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Das Automobil - Die ersten 50 Jahre

Das Auto - vielgeliebt und vielgehasst. Was für die einen die absolute Freiheit bedeutet, ist für andere nur ein lärmender Klimakiller. Doch es dauerte lange, bis das Auto zum Massenvehikel wurde. Auf dem Weg dahin wurden auch einige Möglichkeiten ausgelassen - z.B. der Antrieb durch Elektromotor. Von Markus Mähner (BR 2021) Credits Autor dieser Folge: Markus Mähner Regie: Martin Trauner Es sprachen: Julia Fischer, Peter Weiß Technik: Ruth-Maria Ostermann Redaktion: Thomas Morawetz Das Manuskript zur Folge gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/manuskript-radiowissen-auto-benz-daimler-elektromotor-benzin-militaer-autorennen-100.html]. Interviewpartner:  Prof. Kurt Möser, KIT Karlsruhe Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Henry Ford - Von Hitlers Held zum Idol der Welt JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/henry-ford-von-hitlers-held-zum-idol-der-welt/bayern-2/87402718/] https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/henry-ford-von-hitlers-held-zum-idol-der-welt/bayern-2/87402718/Rudolf Diesel - Zwischen Genie und Versagen JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/rudolf-diesel-zwischen-genie-und-versagen/bayern-2/78755218/] https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/rudolf-diesel-zwischen-genie-und-versagen/bayern-2/78755218/Die Münchner U-Bahn - Wegbereiterin einer Weltstadt JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/die-muenchner-u-bahn-wegbereiterin-einer-weltstadt/bayern-2/10674613/] https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/die-muenchner-u-bahn-wegbereiterin-einer-weltstadt/bayern-2/10674613/Verkehrspolitik der Zukunft - Effizienter und umweltschonender? JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/verkehrspolitik-der-zukunft-effizienter-und-umweltschonender/bayern-2/10463629/] Linktipps: Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir: ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Das Kalenderblatt erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum. Ein Angebot des Bayerischen Rundfunks. DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]  Frauen ins Rampenlicht! Der Instagramkanal frauen_geschichte versorgt Sie regelmäßig mit spannenden Posts über Frauen, die Geschichte schrieben. Ein Angebot des Bayerischen Rundfunks. EXTERNER LINK | INSTAGRAMKANAL frauen_geschichte [https://www.instagram.com/frauen_geschichte/] Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]

25 jun 2025 - 23 min
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Das Abenteuer der Schatzsuche - Geschichte einer Leidenschaft

Ein Schatz ist eine Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist. So nüchtern die Definition, so sagenumwoben die Schätze selbst: von Drachen bewacht, mit einem X markiert, durch Beschwörungsformeln gefunden - und noch immer gesucht. Autorin: Inga Pflug (BR 2025) Credits Autorin dieser Folge: Inga Pflug Regie: Ron Schickler Es sprachen: Hemma Michel, Peter Veit Technik: Wolfgang Lösch Redaktion: Iska Schreglmann Im Interview: -      - Dr. Markus Hirte, Experte für Ältere und Neuere Strafrechtsgeschichte und geschäftsführender Direktor im Mittelalterlichen Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber -      - Dr. Stefanie Berg, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Abteilung Bodendenkmalpflege -      - Mäxe Hirscher, Pädagoge Windsbacher Knabenchor, Sondengänger -      Knaben des Windsbacher Knabenchors -      - Uta Kirpal, Archäologin, ARCHAIOS Archäologische Dienstleistungen GmbH -     - Dr. Manfred Hilgart, Archäologe, ARCHAIOS Archäologische Dienstleistungen GmbH -      - Lennart Schönemann, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Grabungsreferent, stv. Referatsleiter Lineare Projekte LINK-TIPS: https://www.kriminalmuseum.eu/blog/ausstellung/schatz-und-schatzsuche-in-recht-und-geschichte/ [https://www.kriminalmuseum.eu/blog/ausstellung/schatz-und-schatzsuche-in-recht-und-geschichte/] https://www.kriminalmuseum.eu/ [https://www.kriminalmuseum.eu/] https://www.blfd.bayern.de/information-service/schatzregal/index.html [https://www.blfd.bayern.de/information-service/schatzregal/index.html] https://www.blfd.bayern.de/denkmal-atlas/index.html [https://www.blfd.bayern.de/denkmal-atlas/index.html] https://geoportal.bayern.de/denkmalatlas/liste.html [https://geoportal.bayern.de/denkmalatlas/liste.html] Diese hörenswerten Folgen von Bayern 2 könnten Sie auch interessieren: IQ - Wissenschaft und Forschung · Grönlands Rohstoffe - Unerreichbarer Schatz unter Eis? · Podcast in der ARD Audiothek [https://www.ardaudiothek.de/episode/iq-wissenschaft-und-forschung/groenlands-rohstoffe-unerreichbarer-schatz-unter-eis/bayern-2/14480827/] Radiowissen · Bodenschätze in der Tiefsee - Das Schürfen von Rohstoffen · Podcast in der ARD Audiothek [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/bodenschaetze-in-der-tiefsee-das-schuerfen-von-rohstoffen/bayern-2/78750768/] Radiowissen · Das Grundwasser - Schatz aus der Tiefe · Podcast in der ARD Audiothek [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/das-grundwasser-schatz-aus-der-tiefe/bayern-2/78758296/] Literatur: -       Schatz und Schatzsuche in Recht und Geschichte – Kataloge des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber, Band 4; Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kriminalmuseum mit zahlreichen Bildern und Beispielen Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-manuskripte-abenteuer-schatzsuche-geschichte-einer-leidenschaft-fund-grabung-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Sprecherin: Eine dunkle, stürmische Nacht, irgendwo im nirgendwo, vielleicht 1748. 01 Zuspielung Museum (raffbar): (Eule, Donner, Schritte) Hier muss es sein. Oh heiliger Christopherus, steh mir bei. Lass mich den Schatz schnell finden … (Schaufeln)  Oh gloriosem … (Donner) … Sprecherin: So wie hier in der akustischen Untermalung im Rothenburger Kriminalmuseum könnte sie abgelaufen sein, eine frühneuzeitliche Schatzsuche: nachts, im Wald, mit Hacke und Schaufel – und unter Zuhilfenahme gebetsähnlicher magischer Formeln. Denn: 02 Hirte: In der magischen Welt unserer Vorfahren vor allem des späten Mittelalters, frühen Neuzeit, im Mittelalter selbst, war der Schatz immer irgendetwas Magisches, Geheimnisvolles gewesen, und das in mehrerer Hinsicht. Sprecherin:  … beschreibt Markus Hirte, Experte für Ältere und Neuere Strafrechtsgeschichte und geschäftsführender Direktor im Mittelalterlichen Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber. MUSIK: Who's Knocking 03 Hirte:  Zum einen gab es in der Vorstellungswelt unserer Vorfahren Schatzgeister, Poltergeister, wo ein Schatz gefunden werden wollte. Sprecherin: … worauf der Poltergeist durch sein Poltern aufmerksam macht:   04 Hirte: Die Vorstellung war, dass manche Menschen, die besonders schlimme Sachen gemacht haben oder noch eine Aufgabe zu erfüllen hatten, noch so lange der Erde als Geist gewandelt haben, bis ihre Aufgabe erfüllt ist. Zum Beispiel fiktiv jetzt mal, dass jemand Menschen umgebracht hat und Geld gestohlen hat. Und dann wurde er nicht mal zum Sterben gelassen, sondern wandelte als Geist durch die Zwischenwelten und musste sehen, dass dieser Schatz wiedergefunden wird. Sprecherin:  … damit der Schatz den Eigentümern zurückgegeben werden kann – und der Poltergeist erlöst. Umgekehrt gab es aber auch die Vorstellung von bewachten Schätzen, die eben nicht gefunden werden sollten: 05 Hirte: Schätze werden bewacht von – und dann kommt das ganze Sammelsurium – zum Teil von wilden Tieren, von Drachen natürlich. Da haben wir sofort die Erinnerung an das Nibelungenlied, an Beowulf, es gab natürlich auch Geister und Dämonen, die Schätze bewacht haben. Sprecherin:  … erklärt Museumsdirektor Markus Hirte. So wird im Mittelalter, der Zeit zwischen etwa 500 und 1500 nach Christus, zunächst noch selten nach Schätzen gesucht. In den beiden bekanntesten Erzählungen um Schätze des Mittelalters, „Beowulf“ und Nibelungenlied, ist der Schatz gefährlich. Er ist verflucht oder bringt den Tod, weil Konflikte um ihn entstehen. Ungefährlich ist der Schatz nur, wenn er unentdeckt oder unerreichbar ist: in der Behausung des Drachens oder auf dem Grund des Rheins. 06 Hirte: Das für mich spannendste war, dass nach der Vorstellung vieler – und auch quellenmäßig belegt über sogenannte Zauberbücher und Gerichtsprozessakten – dass der Schatz selbst magisch war, sich nämlich bewegen konnte, so die Vorstellung, dass der durch die Erde wandelt, dass manche Schätze auch gar nicht gefunden werden wollten, die sich dann mal zum Sonnenbad nach oben bewegten und sobald einer kam, wieder verschwunden sind. Also eine ganz fantastische Welt, die man auch wirklich heute noch nachlesen kann, in Literatur längst vergangener Zeit. Sprecherin: … Und die das Rothenburger Kriminalmuseum zu einer Sonderausstellung über Schatz und Schatzsuche in Recht und Geschichte zusammengetragen hat: MUSIK: Glitch Fork Cello2 Besonders spannend wird diese Geschichte in der Volkskultur der Frühen Neuzeit, also in der Zeit ab etwa 1500, als die Suche nach dem magischen Objekt „Schatz“ beginnt. Markus Hirte: 07 Hirte: Reisen wir zurück ins 16. Jahrhundert, einer hat gehört, dass auf dieser Burg ein Schatz versteckt ist. Also nicht wie heute Quellensuche, schauen, wo könnte sie gewesen sein? Man hat das gehört, manchmal hat auch einer ne Flamme nachts gesehen. Das war schon ein Hinweis, da könnte was sein…. Sprecherin: Damit die frühneuzeitliche Schatzsuche starten kann, ist ein „Schatzmagier“ essenziell. Jemand, der lesen und schreiben kann und die magischen Gebete und Formeln kennt, die für die Suche nach dem magischen Schatz unabdingbar sind. 08 Hirte: Man hat sich durchaus auch irgendwie mit dem Teufel oder mit den Dämonen einlassen müssen, hat aber auch um göttlichen Beistand zum Beispiel gebetet. Eben, dass die Höllenhunde einen nicht zerreißen. Und diese Magier, das waren teilweise auch Kleriker gewesen. Das war auch gar nicht so fernliegend, da gab es auch Exorzismen. Da spielten ja auch Dämonen und Engel noch eine andere Rolle als beim Protestantismus, später zum Beispiel. Und wenn man also einen Priester hat, einen Exorzisten hat, der sowieso den Dämonen austreiben muss, dann hat der möglicherweise auch Ahnung, wie das mit anderen Dämonen zum Beispiel geht.   Sprecherin:  Gegraben wird dann meist in der Nacht. Kein ungefährliches Unterfangen – leben in den Wäldern doch noch Wölfe und andere Raubtiere. Und manch ein Schatzsucher mag auch über Böschungen gestürzt oder anderweitig verunfallt sein. Waren die Schatzsucher schließlich am Ort einer Lichterscheinung angelangt … MUSIK: Incubus 09 Hirte: Dann wurde teilweise dann mit einer Wünschelrute gegangen. Und wenn sie ausgeschlagen hat, war das ein Zeichen. Und je nach Konstellation begann dann der Magier Pentagramme in dem Boden zu zeichnen. Paraphernalia, Totenköpfe, kleine Gefäße, Räucherstäbchen. Das war ganz, ganz bunt. Das war ja auch so ein bisschen seine Show gewesen – wie heute bei den Magiern im Fernsehen auch, es wird ja auch was verkauft – und hat dann Dämonen angerufen oder Geister gebannt. Und dann begann die Suche. Und wie aber die Geschichte fast überall zeigt: gefunden ist eigentlich nie irgendwas worden. Atmo Kinder Sprecherin: Und heute? Schatzsuche beim Windsbacher Knabenchor. Im Sand des Volleyballfelds auf dem Campus der jungen Sänger hat Pädagoge Mäxe Hirscher ein paar Schätze vergraben, nach denen eine quirlige Schar Elf- bis Fünfzehnjähriger nun suchen darf. Atmo Sprecherin: Metalldetektoren, also Ortungsgeräte, die Metalle im Boden aufspüren können und durch einen Piepton anzeigen, unterstützen bei der Schatzsuche. 10 Hirscher: Schaut mal, ich mach Euch mal die Geräte an, … und jetzt schwenkt Ihr einfach mal über den Boden … Sprecherin: Und dann geht es auch schon los. Atmo unterliegend Sprecherin: Die Windsbacher Knaben sind mit Eifer dabei. Und es dauert nicht lange, bis der Metalldetektor anschlägt: 11 Knaben: I hab was gefunden / Hier / dann geh mal drauf dass wir genau hören, wo es ist. / Dann darf der Max mal buddeln / … Hier, hier // Wir habens. Sprecherin: Und schon halten die Jungen ihren ersten Schatz in Händen. MUSIK: Friendly Exploration 12 Knaben: Schaut mal, wir haben hier so ne Münze gefunden, willst du mal schauen / darf ich mal / Pfennig / was könnte das denn sein, da steht drauf? / der deutsche Reichsadler, oder? / Reichspfennig / 1919 steht da / Ein Pfennig von 1919. / sehr gut. Sprecherin: Die initiierte Schatzsuche ist Freizeitbeschäftigung für die Windsbacher Knaben. Auch alte, leere Patronenhülsen, Knöpfe, ein Blei-Gewicht und Cent-Stücke tauchen im Sand noch auf. Allesamt echte Fundstücke von zurückliegenden Exkursionen, bei denen auch umliegende Äcker, Wiesen und Feldwege abgesucht wurden. Und die Pädagoge Mäxe in einer kleinen Schatzschatulle für das Internat aufbewahrt. 13 Hirscher:  Ich möchte, dass die Jungs nicht dieses Schatzsuchergen mitbekommen, dass se sagen, was ich hab, das ist unbedingt meins. Sondern, ich möchte wirklich, dass die Nachwelt was davon hat. Und zum einen die Jungs was davon haben, dass sie ihre Vergangenheit ein bisschen recherchieren können, aber zum anderen, was ich viel wichtiger finde: dass sie ehrenhaft und toll mit diesen Sachen umgehen können. Dass sie wissen, was das ist, dass sie wissen, was sie da mitbekommen und dass sie auch ordentlich damit umgehen können und nicht sagen, ich schmeiß das jetzt mal am Boden, ist mir egal, was das ist. Das ist mir wichtig. MUSIK: Friendly Exploration Sprecherin: Der materielle Wert der gefundenen Schätze steht bei den Nachwuchs-Schatzsuchern ohnehin nicht an oberster Stelle. 14 Knaben: Es macht Spaß / das Spannendste ist wenn das Piepen kommt / Du weißt nicht, was da kommt / dass man Gemeinschaft hat, zusammenhilft / dass die Sachen schon so alt sind / du das ausgräbst und dann ist das halt einfach irgendeine coole Sache. 16 Hirte:  Der Schatz, da sagt das Gesetz, 984 BGB, dass das ein Gegenstand ist, eine Sache, die so lange verborgen war, dass man den Eigentümer nicht mehr ermitteln kann. Das heißt, da gibt's keinen Eigentümer, das sind in der Regel alte Sachen. Das ist so die ganz nüchterne Definition eines Schatzes.     Sprecherin: Sagt Markus Hirte im Rothenburger Kriminalmuseum. Dabei kann es sich freilich grundsätzlich auch um vor langer Zeit verlorengegangene Dinge handeln. Denkt man beim Schatz aber an Schatzkästchen voller Schmuck, Gold oder Münzen, wurden die in der Regel absichtlich in der Erde vergraben oder in einem Geheimfach verborgen. Aus gutem Grund, wie der Museumsdirektor resümiert: 17 Hirte:  Es war eine Zeit, wo es noch keine Sparkassen, wo es noch keine Banken gab, wo die Menschen auch noch nicht zu viele Habseligkeiten hatten. Die wurden dann aus Angst vor Überfällen oder um das Geld einfach ja sicher zu verwahren, in der Erde eingegraben. Das konnte aber auch ein Dieb sein, der was geraubt hatte, auf der Flucht dann seine Beute irgendwo versteckt. Ja, und dann stirbt der Dieb oder in der Familie bekommt der, der es versteckt hat, ein Herzinfarkt. Und dann ist keiner mehr da, der um den Fundort weiß. Und so gerät dann dieser Schatz in Vergessenheit und überdauert dann manchmal Jahre, Jahrhunderte und Jahrtausende.

25 jun 2025 - 22 min
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Insolvenzen – Machtspiel zwischen Gläubiger und Schuldner

Von der Herstatt Bank über Philipp Holzmann bis hin zu Schlecker - große Pleiten haben die deutsche Wirtschaft immer wieder erschüttert. Dabei ging es nicht nur um wirtschaftliches Scheitern, sondern oft auch um politische Machtspiele, finanzielle Interessen und juristische Streitfragen. Von Maike Brzoska Credits Autorin dieser Folge: Maike Brzoska Regie: Irene Schuck Es sprachen: Thomas Birnstiel, Carsten Fabian Technik: Andreas Caramelle Redaktion: Nicole Ruchlak Im Interview: Jasper Kunstreich, Historiker, Max-Planck-Institut für Rechtgeschichte und Rechtstheorie Christoph G. Paulus, Insolvenzrechtler, emeritierter Professor der Humboldt-Universität Berlin Peter Kranzusch, Sozialwirt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn Diese hörenswerten Folgen von Alles Geschichte - Der History-Podcast könnten Sie auch interessieren: Podcast-Tipp: Eltern ohne Filter Mütter und Väter erzählen ungefiltert von ihrem Leben als Eltern. Vom irrsinnigen Glück. Vom ganz normalen Wahnsinn. Und von ihren dunklen Momenten. Es ist und bleibt ein Abenteuer. ZUM PODCAST [https://1.ard.de/radiowissen-eof-] RAUS AUS DER KRISE! Keynes' folgenreicher Plan für die Wirtschaft Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre hat John Maynard Keynes auf die Idee gebracht: In Krisen soll der Staat gezielt in die Wirtschaft eingreifen, um ihr wieder auf die Beine zu helfen. Damit vertrat er genau das Gegenteil von der Idee einer Wirtschaft, die sich am besten selbst helfen könne. Bis heute scheiden sich am Keynesianismus die ökonomischen Geister. (BR 2010) HIER [https://www.ardaudiothek.de/episode/alles-geschichte-der-history-podcast/raus-aus-der-krise-keynes-folgenreicher-plan-fuer-die-wirtschaft/ard/10435803/]  RAUS AUS DER KRISE! Roosevelts Kampf um die Wirtschaft Es war ein Schock: Im Oktober 1929 brach der Börsenhandel an der amerikanischen Wall Street ein, es folgte eine schwere Wirtschaftskrise. Bald war ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung arbeitslos. Dann wurde der Demokrat Franklin D. Roosevelt zum Präsidenten gewählt. Er versprach den Leuten einen New Deal. Bald kam es zu etlichen Wirtschafts- und Sozialreformen, Elemente eines US-amerikanischen Sozialstaats. (BR 2016) HIER [https://www.ardaudiothek.de/episode/alles-geschichte-der-history-podcast/raus-aus-der-krise-roosevelts-kampf-um-die-wirtschaft/ard/10435805/] Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Spannende Berichte über aktuelle Forschung und Kontroversen aus allen relevanten Bereichen wie Medizin, Klima, Astronomie, Technik und Gesellschaft gibt es bei IQ - Wissenschaft und Forschung: BAYERN 2 | IQ - WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG [https://www.ardaudiothek.de/sendung/iq-wissenschaft-und-forschung/5941402/] Literatur: Christoph G. Paulus, „Große Pleiten und die Wege des Insolvenzrechts“ – spannend und informativ geschrieben, stellt die wichtigsten Grundsätze des Insolvenzrechts dar.  Jasper Kunstreich, „Bankruptcy as Standortpolitik“ in: Dealing with Economic Failure in Historical Perspective“ – wissenschaftliches Paper, das den Umgang mit Pleiten im 19. Jahrhundert untersucht.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/manuskript-radiowissen-insolvenz-sanierung-konkurs-schuld-zwangsvollstreckung-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: SPRECHER In früheren Zeiten war der Umgang mit Schuldnern mitunter recht martialisch. Wenn sich jemand Geld geliehen hatte und das Geld nicht zurückzahlen konnte, machte man mit ihm sogenannten „kurzen Prozess“. Im Römischen Reich regelte das Zwölftafelgesetz die Details: ZITATOR Wenn der Schuldner nicht bezahlt, darf der Gläubiger ihn fesseln und festhalten.  SPRECHER Warum das nötig war, erschließt sich aus dem weiteren Prozedere: ZITATOR Nach 60 Tagen kann der Schuldner öffentlich ausgestellt werden. Wenn sich niemand bereit erklärt, die Schuld zu zahlen, kann er getötet oder jenseits des Tibers verkauft werden.  SPRECHER Also Tod oder Versklavung – und wehe dem, der mehrere Gläubiger geprellt hatte.  ZITATOR Wenn es mehrere Gläubiger gibt, sollen sie den Schuldner unter sich aufteilen. SPRECHER Und das war durchaus wörtlich gemeint: „in partis secanto“ stand im Zwölftafelgesetz – bedeutet übersetzt: sie sollen sie in Teile schneiden.  01 O-TON (Paulus) Der eine schneidet den Finger ab, der andere schneidet den Arm ab, der dritte schneidet die Knie heraus. Die Gläubiger hatten also gegenüber dem Schuldner, der seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ein ziemlich mächtiges Druckmittel an der Hand.  SPRECHER Sagt der Insolvenzrechtler Christoph G. Paulus. Er ist emeritierter Professor der Humboldt-Universität Berlin und Autor des Buches „Große Pleiten und die Wege des Insolvenzrechts“.  Musik 3 "Pink" - Album: Colours of Air - Komponist: Loscil & Lawrence English - Ausführender: Loscil & Lawrence English - Länge: 0'47 SPRECHER Die drakonischen Strafen im antiken Rom zeigen: So eine Pleite ist keine Kleinigkeit, oft sogar ein Drama. Kein Wunder – es geht um Existenzen, die auf dem Spiel stehen, um Verträge, die gebrochen werden, um viel Geld – und manchmal auch um kreative Buchführung, sprich: Betrug. Alles in allem eine komplexe Gemengelage. Wobei heute bei einer Firmenpleite nicht mehr kurzer Prozess gemacht wird, sondern der lange: Zwei bis sechs Jahre dauern Insolvenzverfahren – mit Ausnahmen, die sich jahrzehntelang hinziehen. Es dauert eben, bis im Detail aufgedröselt ist, wer was bekommt.  Musik 4 "Humankind" - Album: Shock Waves - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'40 SPRECHER Aber der Reihe nach. Im Prinzip geht es darum: Ein Unternehmen geht – salopp gesprochen – Pleite, ist also insolvent, was nichts anderes als zahlungsunfähig bedeutet. Früher sagte man auch Konkurs dazu, das ist heute aber nicht mehr so üblich. Die Gründe für so eine Pleite sind vielfältig: Missmanagement, Konjunktureinbruch oder nachlassendes Interesse am Angebot. Aber generell kann man sagen: Je mehr geliehenes Geld in einer Firma steckt, desto größer das Risiko. 02 O-TON (Kranzusch) Die Insolvenzgefährdung steigt im Allgemeinen, wenn ein Unternehmen hohe Investitionen tätigen muss oder wenn sie Projekte vorfinanzieren müssen. SPRECHER Sagt der Sozialwirt Peter Kranzusch. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn. 03 O-TON (Kranzusch) Typisch ist das in Branchen wie der Baubranche oder auch im Verkehrssektor. Aber es gibt auch Branchen mit einem hohen Verdrängungswettbewerb – also wo es viele Gründungen gibt, da gibt es auch viele Austritte – und da beobachten wir dann auch Insolvenzen, wenn sich die Investitionen noch nicht amortisiert haben. Also das ist zum Beispiel häufig der Fall im Handel, bei Gaststätten, bei Diskotheken, bei Fitnessstudios. SPRECHER Mit Blick auf die gesamte Wirtschaft sind Insolvenzen aber eher selten. (2024 waren es bundesweit 22.000 Unternehmen, die Insolvenz angemeldet haben. Die allermeisten davon waren Kleinstunternehmen mit wenigen Beschäftigten.) 04 O-TON (Kranzusch) Nur jede zehnte Schließung eines Unternehmens erfolgt im Wege eines Insolvenzantrags. Also die Masse der Unternehmen, die liquidiert werden, wo die Selbständigen ihre Tätigkeit einstellen, passiert ohne Insolvenz.  SPRECHER Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Steuerberaterin die Kanzlei oder ein Tischler den Betrieb dichtmachen, sei es aus Altersgründen oder weil sich die Firma nicht mehr rechnet. Das ist, wenn man so will, der Normalfall. Insolvenzen sind eher die Ausnahme.  MUSIK 5 "Rania (2)" - Album: Überleben - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'50 SPRECHER In die Schlagzeilen geraten Insolvenzen, wenn es sich um große Unternehmen handelt: Das Bauunternehmen Philipp Holzmann etwa, die Drogeriekette Schlecker, Lehman Brothers, Galeria oder der Zahlungsdienstleister Wirecard. Oft kommt es dann zu zahlreichen Entlassungen und manchmal wird auch Betrug im großen Stil offenkundig, siehe Wirecard. Aber der Schmied oder die Steuerberaterin, die Insolvenz anmelden, schaffen es nicht in die Medien – und trotzdem ist jede Pleite ein Drama, nicht nur für den Schuldner oder die Schuldnerin, sondern auch für die Gläubiger – und davon gibt es oft reichlich. Der Insolvenzrechtler Christoph G. Paulus: 05 O-TON (Paulus) Die beiden berühmtesten sind einmal die Banken und zum anderen der Fiskus, also der Steuerstaat. Aber was man nicht so auf dem Bildschirm hat, natürlich auch jeder Lieferant. Auch jeder Dienstleister, der mir irgendetwas erbringt.  SPRECHER So ein Unternehmen hat oft zahlreiche Vertragsbeziehungen – mit anderen Firmen, die Material oder Vorprodukte liefern, mit Rechts- oder Steuerberaterinnen, Stromanbietern und so weiter. Zum Kreis der Gläubiger gehören aber auch die Angestellten und womöglich ein Vermieter oder eine Vermieterin. Bei richtig großen Unternehmen kann sogar eine ganze Region betroffen sein, sagt der Sozialwirt Peter Kranzusch. 06 O-TON (Kranzusch) Weil das in einer ländlichen Region vielleicht dann der einzige große Arbeitgeber ist. Und wenn der dann schließt, dann hat es eine große Wirkung für die Bevölkerung, Arbeitsplätze fallen weg, und es hat eben auch noch Folgen für Zulieferer von Materialien, von Dienstleistungen, bis hin zu Gaststätten und Handelseinrichtungen. Musik 6 "Pink" - Album: Colours of Air - Komponist: Loscil & Lawrence English - Ausführender: Loscil & Lawrence English - Länge: 0'47 SPRECHER Ein Beispiel ist die Pleite der Werft Bremer Vulkan, bei der Mitte der 1990er rund 20.000 Menschen ihren Job verloren und die einen jahrelangen Niedergang der gesamten Region nach sich zog. Oder 2009 die Insolvenz des Versandhändlers Quelle: 4000 Arbeitsplätze fielen weg, die Arbeitslosenquote im Raum Nürnberg/Fürth stieg um 36 Prozent. Manchmal hängt eben die ganze Region mit drin, wenn eine Firma Insolvenz anmeldet – genauer: einen Antrag auf Insolvenz stellt.   07 O-TON (Kranzusch) Also es bedarf eines Antrags. Wer kann den Antrag stellen? Das kann entweder ein Gläubiger sein oder auch der Unternehmer selbst.  SPRECHER ((Für Kapitalgesellschaften wie GmbHs oder Aktiengesellschaften gibt es sogar eine Pflicht, einen Antrag zu stellen, wenn sie zahlungsunfähig oder überschuldet sind. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, kann im Gefängnis landen, Stichwort Insolvenzverschleppung – da ist es wieder: das mächtige Druckmittel gegenüber Schuldnerinnen und Schuldnern.))  MUSIK 7 "Humankind" - Album: Shock Waves - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'22 SPRECHER Ist die Insolvenz ordentlich angemeldet und vom Gericht geprüft und genehmigt, kommt in der Regel der Insolvenzverwalter oder die Insolvenzverwalterin ins Spiel. Er oder sie übernimmt gewissermaßen das Ruder des sinkenden Schiffes – das aber manchmal noch gerettet werden kann. 08 O-TON (Kranzusch) Dann kommt es darauf an, ob der Insolvenzverwalter in dieser frühen Phase schon erkennt, okay, ich finde jemand, der dieses Unternehmen vielleicht kauft oder das Unternehmen kann sich selber retten mit neuen Investoren.  SPRECHER Das gelingt aber nur manchmal. 09 O-TON (Kranzusch) Man sagt grob, 80 bis 90 Prozent aller Unternehmen werden geschlossen.  SPRECHER  Weil die Masse der Unternehmen Kleinstunternehmen sind, die dann einfach ihre Arbeit einstellen. Betrachtet man nur große Unternehmen sehen die Zahlen anders aus. 10 O-TON (Kranzusch) Das sind Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten oder mit mindestens 20 Millionen Umsatz, dann kann man grob sagen, mindestens 50 Prozent der Unternehmen werden als Ganzes gerettet oder werden in Teilen gerettet. SPRECHER Auch weil sich manchmal die Kommune bemüht, die Firma zu erhalten, damit die Arbeitsplätze nicht wegfallen. Gelingt die Rettung nicht, heißt es: Alles muss raus, der große Ausverkauf beginnt. Es geht darum, möglichst viel Geld zu erlösen, um die Gläubiger so gut es geht auszubezahlen. Dabei gilt der Grundsatz:  11 O-TON (Paulus) Wir verteilen den Verlust gleichmäßig. Das ist der Gleichbehandlungsgrundsatz der Gläubiger, par conditio creditorum. SPRECHER Das ist allerdings kaum durchzuhalten. Denn im Prinzip sind zwar alle gleich, aber in der Praxis sind dann manche doch ein bisschen gleicher. Zum Beispiel wenn sie Sicherheiten erhalten haben. 12 O-TON (Kranzusch) Das sind zum Beispiel Banken, die einen Kredit geben und dafür dann aber einen Eintrag in das Grundbuch erhalten.  SPRECHER Sie bekommen dann auch Geld aus dem Verkauf der Immobilie. Aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genießen einen gewissen Schutz.  13 O-TON (Paulus) Die haben einen Schutzmechanismus dergestalt, dass sie auf jeden Fall die letzten drei Monate vor dem Antrag des Insolvenzverfahrens ihr Gehalt vollständig bezahlt bekommen. Wenn nicht von ihrem Arbeitgeber, dann von einer Bundesanstalt. SPRECHER Eher wenig bleibt übrig für diejenigen, die keine Sicherheiten haben – erstaunlich wenig sogar.  14 O-TON (Paulus) Im Schnitt bekommt der Gläubiger drei Prozent. Das heißt, von den geschuldeten 100 Euro kriegt er drei Euro. Und wenn ich im Schnitt sage, heißt das natürlich, dass er gelegentlich mal zehn Euro bekommt. In ganz, ganz seltenen Fällen sogar mehr. Aber in ganz vielen Fällen bekommt er Null.  Musik 8 "Pink" - Album: Colours of Air - Komponist: Loscil & Lawrence English - Ausführender: Loscil & Lawrence English - Länge: 0'40 SPRECHER Der Lieferant von Vorprodukten oder die Steuerberaterin der Firma gehen also oft leer aus.  Dass es so wenig zu verteilen gibt, liegt daran, dass ein Insolvenzantrag erst spät gestellt wird. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – und es könnte ja noch ein Großauftrag kommen oder jemand, der von dem Produkt begeistert ist und investiert.  15 O-TON (Paulus) Man vermeidet das auf Deubel komm raus. Und je länger sich das hinzieht, desto weniger ist da. Es ist völlig klar, wenn ich merke, in einem Jahr oder in zwei Jahren, wenn es so weitergeht wie jetzt, bin ich in der Pleite, dass mit jedem weiteren Tag, an dem ich keine Gegenschritte unternehme – ich muss ja weiter meine Rechnungen bezahlen – das Geld wird immer weniger und dadurch ist eben für die Gläubiger im Falle der Verteilung immer weniger da.  SPRECHER Und das obwohl wir in Deutschland den Fokus eher auf die Ansprüche von Gläubigerinnen und Gläubigern haben.  16 O-TON (Paulus) Wir in Deutschland zielen traditionell darauf ab, mit dem Insolvenzverfahren die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Mit dieser Sichtweise hängen wir noch ganz stark im antiken Rom drin. Sie erinnern sich, da war den Gläubigern die Macht an die Hand gegeben, den Schuldner in Stücke zu schneiden.  SPRECHER Deutschland hat traditionell also einen Fokus auf die Gläubiger – in anderen Ländern ist das anders. 17 O-TON (Paulus) Die Franzosen beispielsweise haben als Ziel ihres Insolvenzrechts so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten und Unternehmen am Leben zu halten. Das haben die Argentinier auch. Die wollen eben gewissermaßen die Wirtschaft als solche retten und den sozialen Frieden. SPRECHER Und nochmal eine andere Herangehensweise haben die angelsächsischen Länder, allen voran die USA:  18 O-TON (Paulus) Da ist das Ziel des Insolvenzrechts, dem Schuldner wieder auf die Beine zu helfen. Musik 9 "Humankind" - Album: Shock Waves - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'25 SPRECHER Die Beispiele zeigen schon: Das Abwägen zwischen Schuldnern und Gläubigern läuft überall ein bisschen anders. Tatsächlich lässt sich das auch an einigen Begriffen ablesen. Vor unserem heutigen Insolvenzrecht gab es hierzulande das Konkursrecht. Und hier zeigt das Wort schon, worum es bei einer Pleite ging.   19 O-TON (Kunstreich) Das Wort leitet sich ab vom lateinischen concursus creditorum, also dem Zusammenlauf der Gläubiger oder auch Wettlauf. Und dieses Zusammenlaufen der Gläubiger, die darum wetteifern, noch einen Teil vom Kuchen abzubekommen, der offenbar nicht für alle reicht, das steckt da drin. Und das richtet eben das Augenmerk auf das Verteilungsproblem, was dahintersteht.  SPRECHER Sagt der Historiker Jasper Kunstreich. Er forscht am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main.  Und er weist darauf hin, dass Begriffe wie „Schulden“ und „Gläubiger“ einen moralischen Anklang haben: Da hat jemand eine „Schuld“ und jemand anderes hat an die Rückzahlung „geglaubt“. Auch hier gibt es historische Wurzeln. 20 O-TON (Kunstreich) Die ersten Konkursvorschriften im heutigen Sinne, die wir so nennen würden, haben sich im Mittelalter herausgebildet und in den Renaissancestätten in Italien. Und die haben tatsächlich den Konkurs oft mit so einer besonderen Form von Demütigung verknüpft, so eine Art von öffentlicher Schande. Zum Beispiel, indem eine Glocke geläutet wurde und die Schuldner auf den Marktplatz geführt wurden. Oder die mussten eine sogenannte Schandkappe tragen, solche Sachen.  SPRECHER Und wer jetzt denkt: lange her und das Mittelalter war sowieso ziemlich grausam, sollte sich vor Augen halten, dass solche Moralvorstellungen oft sehr lange Schatten werfen - bis ins 20. Jahrhundert. 21 O-TON (Kranzusch) Die Insolvenz ist der bürgerliche Tod des Kaufmanns. Und bis weit in die 50er, 60er Jahre war das üblich, dass ein Unternehmer, der insolvent wurde, der hat sich auch am Ende erschossen, weil die Schande viel zu groß war. Musik 10 "Politische Entscheidungen" - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Album: Berlin 1945 - Tagebuch einer Großstadt (Die Original Filmmusik) - Länge: 1'47 SPRECHER Aber zunächst ins 19. Jahrhundert. Denn da entwickelte sich das erste allgemeine Konkursrecht. Das war nötig, weil sich die Wirtschaft zu dieser Zeit stark veränderte. Es war die Zeit, als die Industrialisierung ihren Anfang nahm.  22 O-TON (Kunstreich) Mit dieser industriellen Revolution veränderte sich das Arbeiten und das Wirtschaften aller Menschen komplett und der Agrarsektor hat aufgehört, der alles dominierende Sektor zu sein. SPRECHER Die ersten industriellen Zentren entwickelten sich hierzulande in Sachsen und im Rheinland, wo Textilien oder Metall in großen Fabriken verarbeitet wurden. Daneben entstanden im Ruhrgebiet erste große Bergbauunternehmen. Und von Hansestädten wie Hamburg oder Lübeck aus machten Kaufleute bereits Geschäfte nach Übersee. Aber so unterschiedlich diese Unternehmungen und Geschäfte auch waren – eines hatten alle gemeinsam: Um sie aufzubauen, musste man erst mal investieren und man brauchte viel, viel Geld. Aber wie das eben so ist im Leben: nicht alles gelingt. Pleiten gab es immer wieder. Was es nicht gab, war ein Staat mit einer einheitlichen Rechtsordnung. Die Region in der Mitte Europas war damals stark zersplittert: Es gab Königreiche wie Bayern oder Sachsen, Herzogtümer wie Braunschweig oder Baden und freie Hansestädte. Der Umgang mit Schuldnerinnen und Schuldnern war überall anders geregelt. Was dazu führte, dass Menschen, die Pleite gingen, regelmäßig ungeschoren das Weite suchten.  23 O-TON (Kunstreich) Die nächste Landesgrenze ist ja nur ein paar Kilometer entfernt. Und dann haut er einfach ab und hinterlässt im Zweifel auch noch Frau und Kind, die dann die Gemeinschaft durchfüttern muss.  SPRECHER Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde das zumindest erschwert. Ein paar Jahre später, 1879, trat dann die erste reichsweite Konkursordnung in Kraft. Das Machtspiel zwischen Schuldnern und Gläubigern bekam ein einheitliches Rahmenwerk. Es zielte vor allem darauf ab, die Gläubiger zu befriedigen. Der Schuldner, die Schuldnerin musste zwar keine Schandkappe mehr tragen, war aber in wirtschaftlicher Hinsicht für den Rest des Lebens erledigt. Und trotzdem galt die neue Konkursordnung als fortschrittlich.  24 O-TON (Kunstreich) Die wurde oft als großer Wurf erst mal dargestellt, weil sie eine sehr komplizierte und zersplitterte Materie wirklich vereinheitlicht hat. Aber es hat sich doch im 20. Jahrhundert dann gezeigt, dass sie mit ganz vielem nicht so gut zurechtkam, weil sie nämlich in erster Linie – ein Kind ihrer Zeit – den Einzelkaufmann vor Augen hatte und vielleicht nicht so sehr die Aktiengesellschaft, die GmbH, die Unternehmen, die wir dann im 20. Jahrhundert haben. SPRECHER Denn mit zunehmender Größe und Komplexität der Unternehmen braucht man eben im Insolvenzfall andere Regelungen.  Musik 11 "Humankind" - Album: Shock Waves - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'57 SPRECHER Die Konkursordnung war aber auch sehr lange in Kraft. 1935 kam die sogenannte Vergleichsordnung hinzu, aber einen ganz neuen Rahmen für Firmenpleiten gab es erst 1999, also 120 Jahre später.  25 O-TON (Kunstreich) Da sind wir nach der Wiedervereinigung, da musste ja sozusagen dafür gesorgt werden, dass wir einen einheitlichen Rechtsraum haben mit den neuen Bundesländern. Aber die Kritik an der alten Konkursordnung hat eigentlich schon in den 1970ern eingesetzt. SPRECHER Aus mehreren Gründen. Zum einen hatten sich Firmen stark verändert. Nicht nur waren neue Rechtsformen hinzugekommen, sondern auch die Unternehmen selbst wandelten sich. Statt Fabrikhallen mit vielen Maschinen oder großen Fuhrparks, die man im Falle einer Pleite veräußern kann, wurden Dienstleistungen und immaterielle Güter immer wichtiger.  26 O-TON (Paulus) Know-how spielt eine Rolle, Goodwill, Charisma. Und das sind Werte, die kann ich nicht wirklich gut auf dem Markt verkaufen. Wie soll ich Know-how verkaufen? Ich kann nicht aus ihrem Hirn herausschneiden, wie man eine Software entwickelt oder wie man eine KI entwickelt, und das bei Ebay an den Meistbietenden verkaufen, das geht nun mal nicht. SPRECHER Gleichzeitig zeigte der Bankruptcy Code, der 1979 in den USA in Kraft trat, wie ein modernes Insolvenzrecht aussehen kann. Das veränderte den Blick auf Unternehmenspleiten weltweit. 27 O-TON (Paulus) Was jetzt mal, historisch gesehen, völlig überraschend ist, dass eine neue juristische Erfindung auf den Markt kommt und innerhalb von wenigen Jahrzehnten praktisch die gesamte Welt erobert. Und das ist der Fall mit dem Reorganisationsverfahren, mit dem berühmten Chapter-Eleven-Verfahren.  SPRECHER Das Chapter Eleven, also das elfte Kapitel, ist Teil der US-amerikanischen Insolvenzordnung. Es bietet einer Firma eine Reihe von Möglichkeiten, sich im Rahmen der Insolvenz neu zu strukturieren. Ungünstige Verträge etwa, zum Beispiel über hohe Stromkosten, können neu ausgehandelt werden. Es räumt dem Unternehmer, der Unternehmerin also weitreichende Rechte ein. Das Ziel ist, dass die Firma wieder eine wirtschaftliche Perspektive bekommt – und das macht oft auch für Gläubigerinnen und Gläubiger Sinn. Vor allem, wenn es sich um Dienstleistungsfirmen handelt, wo nach einem Ausverkauf nicht viel zu verteilen wäre. Deshalb stimmen sie der Sanierung meist zu, selbst wenn sich ihre Konditionen verschlechtern.  28 O-TON (Paulus) Das tun sie nicht deswegen, weil sie jetzt so besonders humanistisch gesinnt und die christliche Nächstenliebe entdeckt hätten, sondern das tun sie deswegen, weil das ökonomische Kalkül ihnen sagt: Wenn wir an unser Geld rankommen, müssen wir in den sauren Apfel beißen und müssen dem Schuldner auf die Beine helfen. SPRECHER Nach dem Vorbild der USA wurden die Insolvenzordnungen mittlerweile in vielen Ländern umgestaltet oder zumindest angepasst.  Musik 12 "Humankind" - Album: Shock Waves - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'42 SPRECHER In Deutschland trat die neue Insolvenzordnung 1999 in Kraft. Sie sieht unter anderem eine mögliche Restschuldbefreiung, also einen Schuldenerlass vor, um Schuldnern einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen. Denn Einzelunternehmer oder Inhaberinnen kleinerer Personengesellschaften haften bei einer Pleite oft mit ihrem Privatvermögen. Außerdem ermöglicht die neue Insolvenzordnung die Sanierung von Unternehmen. Einige Reformen aus den letzten Jahren haben das noch weiter vereinfacht. Zum Beispiel bestimmt heute nicht mehr unbedingt das Gericht den Insolvenzverwalter oder die Insolvenzverwalterin.  29 O-TON (Kranzusch) Seit 2012 haben wir erstmalig die Möglichkeit, dass der Schuldner selber im Vorfeld einen Insolvenzverwalter sich aussucht und diesen Insolvenzverwalter dann beauftragt, ein Sanierungskonzept zu erstellen. Das ist dann das sogenannte Schutzschirm-Verfahren.  SPRECHER Das Ziel ist, möglichst frühzeitig umzusteuern und nicht immer weiter zu warten, bis die Pleite da ist. Das gilt auch für die Reform, die 2021 auf Druck der EU umgesetzt wurde.  30 O-TON (Paulus) Es muss am Horizont bereits das rote Licht flackern, das rote Licht der Insolvenz. Aber es ist noch genug Verhandlungsspielraum da, dass ich jetzt als Schuldner zu meinen Gläubigern sagen kann: Wir setzen uns zusammen und versuchen mal, ob ich meine Rettung schaffen kann mit euch.  SPRECHER Neu daran ist, dass der Schuldner, die Schuldnerin sich die Gläubiger aussuchen kann – und ganz wichtig: Es gilt nicht mehr das Prinzip der Einstimmigkeit, sondern es reicht, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Gläubiger den neuen Konditionen zustimmt. Die überstimmten Gläubiger müssen sich der Mehrheit fügen. Wenn man so will, hat sich die deutsche Insolvenzordnung also der US-Amerikanischen immer weiter angenähert. Mehr als in früheren Zeiten geht es darum, der Unternehmerin, dem Unternehmer wieder auf die Beine zu helfen. Das hat implizit auch das Verhältnis zwischen Schuldnern und Gläubigern verändert.  Musik 13 "Humankind" - Album: Shock Waves - Komponistin und Ausführende: Ulrike Haage - Länge: 0'46 SPRECHER Über den ganz langen Zeitverlauf betrachtet, kann man sagen: Es gab eine enorme Machtverschiebung zugunsten des Schuldners.  31 O-TON (Paulus) Am Anfang das Zwölftafelgesetz: Die Gläubiger sind völlig entrüstet über den Schuldner, der nicht bezahlt und schneiden den in Stücke. Und heute der Schuldner, der zu den Gläubigern hingeht und sagt: Freunde, wir setzen uns jetzt mal zusammen und verhandeln darüber, dass ich aus der Insolvenz rauskomme, also es ist schon ein Machtinstrument in der Hand des Schuldners. SPRECHER Ein Machtinstrument in der Hand des Schuldners, von dem aber – wenn alles gut geht – letztlich alle profitieren.

25 jun 2025 - 23 min
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Die ersten Salonnièren - Als Frauen mitreden wollten

Lange Zeit durften Frauen weder politisch entscheiden, noch öffentlich mitreden. Vor rund 300 Jahren hatten bürgerliche Frauen dann die Idee, Gelehrte einfach zu sich nach Hause einzuladen. In den so genannten Salons, ihren Wohnzimmern, wurde angeregt diskutiert, debattiert - und sich emanzipiert. Autorin: Susanne Brandl (BR 2025) Credits Autorin dieser Folge: Susanne Brandl Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Christian Baumann  Technik: Wolfgang Lösch  Redaktion: Katharina Hübel Im Interview: Dr. Petra Dollinger, freie Historikerin, spezialisiert auf die Zeit der Salons, ehem. Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Astrid Dröse, Literaturwissenschaftlerin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Dr. Kersten Knipp, Sachbuchautor „Die Erfindung der Eleganz: Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens“ Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: [https://1.ard.de/1+1] Im neuen SWR3-Podcast treffen jeden Monat zwei verschiedene Promis aufeinander. Die Promis lernen sich erst im Podcast persönlich kennen, müssen einen Monat lang gemeinsam podcasten, labern, diskutieren, spielen und verschiedene Rubriken und Aufgaben meistern. HIER [https://1.ard.de/1+1] Linktipps:  Die Münchner Salons: Literatur, Musik, Theater – kurz, die Künste werden erst lebendig, wenn man sie teilt. Genau das geschah im 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das inspirierende Gespräch stand im Mittelpunkt dieser Kreise; wichtig waren auch die Besonderheit der Orte und Rituale. HIER [https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/muenchner-salons-kuenstlerische-geselligkeit/1885144] Kulturgeschichte des Absinths und die Macht des Rausches in den Salons: Das grüne Gebräu aus Kräutern und Alkohol war zunächst das Getränk der Armen. Während der Belle Epoque wurde es jedoch rasend schnell zu Kult und eroberte auch die vornehmen Kreise. HIER [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/kulturgeschichte-des-absinths-die-macht-des-rauschs/bayern-2/10368333/] Literatur :  Kersten Knipp: die Erfindung der Eleganz, Philipp Reclam Verlag, 2022    Christiana Mariana von Ziegler: Moralische und vermischte Sendschreiben, hrsg. von Astrid Dröse, Secession-Verlag 2019  Benedetta Craveri: The age of conversation, New York Review Books, 2006 Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/manuskripte/index.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: SPRECHER: Blau muss er sein, ihr literarischer Salon. Blaue Möbel, blaue Wände und ein blauer Himmel an der Decke. Die Marquise de Rambouillet [sprich: dö Rombujee] hat klare Vorstellungen. Um 1620 schafft sie einen Raum, der als chambre bleue [sprich: schambr blö]- als blaues Zimmer - in die Geschichte eingeht. O-TON 1 DOLLINGER „Im Hotel Rambouillet hat sie es sich richtig gemütlich und schön gemacht, sie hat dieses Chambre bleu eingerichtet, was damals was Besonderes war. Üblich war es damals, Zimmer in rotem und braunem Holz und mit roter Samtbespannung einzurichten. SPRECHER: Die Historikerin Petra Dollinger. Sie forscht seit Jahrzehnten zur Geschichte der literarischen Salonkultur. Auf dem Gebiet der Anfänge der Konversationsgeselligkeit ist sie eine der wenigen Expertinnen. Eine Schlüsselfigur damals: Die Autorin Madeleine de Scudery. Sie war im Salon de Rambouillet zu Gast und webt diese Erfahrung ein in ihren bedeutenden Roman „Artamenes oder der Grosse Cyrus“ [sprich: Artamenes… Zirus] von 1656:   MUSIK: / Z8028007104 Max Richter: Spring 1 (recomposed Vivaldi) ZITATORIN: Alles ist großartig, ja einzigartig! (…) Die Zimmer der Rambouillet sind gefüllt mit tausend Raritäten und jede einzelne zeugt von ihrem Geschmack. Immer duftet es dort, große und kleine Gefäße voll mit Blumen sorgen dafür, dass immer Frühling zu sein scheint. Und der Ort ist so angenehm und so phantasievoll gestaltet, dass man sich fühlt, als sei man in einem Zauberreich.“ SPRECHER: Sie schafft einen eigenen kreativen Kosmos. Eine harmonische Gegenwelt zur höfischen Galanterie. 1835 blickt Pierre-Louis Roederer, der unter anderem Berater Napoleon Bonapartes war, in seinen Memoiren auf die Geschichte Frankreichs. Darin schreibt er dem Salon der Rambouillet eine besondere Bedeutung zu: ZITATOR: „Der Salon der Marquise und der Hof waren zwei verschiedene Welten. Politik und Intrigen wurden im Hotel de Rambouillet [sprich: otel dö Rombujee] an der Tür abgegeben. Umso intriganter und korrupter der Hof war, umso (…) blühender gedeihte die Rambouillet-Geselligkeit. SPRECHER: Über mehrere Jahrzehnte ist das Palais der Marquise Mittelpunkt des intellektuellen Leben Frankreichs. Und nicht nur das: Hier sprechen Männer und Frauen auf Augenhöhe. Hier unterhält sich Adel mit Bürgertum. Es entsteht eine neue Gesprächskultur. Hier ist Raum für Emanzipation. All das ist ungewöhnlich, fortschrittlich, neu. MUSIK: Max Richter Spring 3 (recomposed Vivaldi) SPRECHER: Der eigentliche Name der Marquise de Rambouillet ist Catherine de Vivonne [sprich: katriin dö Wiwonn]. Leider hat sie selbst kaum Schriftliches hinterlassen – und es gibt auch nicht viele historische Quellen über sie. Was man aber definitiv weiß: Sie kommt aus gutem Hause. Ihre Mutter Giulia Savelli entstammt einem italienischen Adelsgeschlecht, das auch Päpste hervorgebracht hat und ist mit den Medici verwandt. Als ihr Vater Jean de Vivonne als französischer Botschafter in Rom arbeitet, lernt er Giulia kennen. Aus der Heirat geht Catherine hervor. Sie wird 1588 geboren. Mit sieben Jahren kommt sie nach Paris. Die Eltern vermitteln ihr jede Menge italienischen Humanismus und den Geist der italienischen Renaissance. In Italien hat es sich damals zunehmend durchgesetzt, Bildung auch Frauen zugänglich zu machen. Es geht um die Kultivierung des Intellekts. O-TON 4 DOLLINGER: „Da haben wir  - zumindest für die oberen Schichten - haben wir Frauen, die wirklich eine Geselligkeit geführt haben, wo also einmal Gelehrte und Schriftsteller kamen und die sich da unterhielten, und zugleich war es aber auch eine Schule der guten Sitten, und die Lebenskunst wurde auch gepflegt und es war überhaupt ein Umschwung hin zum Weltlichen.“ SPRECHER: Schon im Elternhaus hört Catherine aufmerksam zu, wenn Gäste zum kultivierten Miteinander vorbeikommen. Offenbar reizt sie der Gedanke, selbst Salonnière [sprich: Salonjer] zu werden, aber bevor sie ihre Ambitionen verwirklichen kann, ereilt sie das typisch weibliche Schicksal ihrer Zeit. Sie wird mit 12 Jahren an den zukünftigen Marquis de Rambouillet verheiratet. Mit 18 bekommt sie ihre erste Tochter Julie [sprich: schüli]. Sechs weitere Kinder folgen. Doch ihre beiden Söhne verliert sie durch Kriege und Seuchen. Nichtsdestotrotz bleibt sie eine lebenslustige, neugierige Frau. Sie will Leute kennenlernen. Aber nicht unbedingt die Adeligen am Hof, sondern vor allem Menschen einer sich gerade neuformierenden Schicht. O-TON Kersten KNIPP „Es waren ja die neuen, modernen Berufe, Ärzte, Juristen, Verwaltungsbeamte, Ingenieure, die sich damals bildeten - in Abgrenzung zum Hof, und das lief auf kultureller, stilistischer Ebene, weil man eben einen Stil für sich, für das entstehende Bürgertum gerade erst im Begriff war, zu formulieren, indem sich die wichtigen Vertreter dieser gerade sich konstituierenden Schicht miteinander trafen und ins Gespräch kamen.“ SPRECHER: Kersten Knipp hat sich als Sachbuchautor eingehend mit der kultivierten Geselligkeit im 17. Jahrhundert auseinandergesetzt. Catherine sieht ihre Stunde gekommen. Als Marquise de Rambouillet hat sie ein eigenes Stadtpalais mit den entsprechenden Räumlichkeiten und ihr Mann lässt sie machen. Sie will den Zeitgeist mitgestalten und ist damit Vertreterin eines frühen Aufklärungsfeminismus, der noch nicht kämpferisch ist, aber entschieden. Zunehmend haben Frauen eine Haltung. O-TON DOLLINGER: „Sie hatten den Anspruch an sich selbst, zu lernen, sich zu bilden, fortzubilden, klüger zu werden, sie wollten das aus eigener Kraft schaffen.“ SPRECHER: Ihr Herrschaftsbereich ist das Haus und somit kann Catherine de Vivonne die Gelehrten einfach zu sich einladen. Bald wird der Salon der Rambouillet zum Anziehungspunkt einer illustren Gästeschar, es kommen Bürger und Bürgerinnen unterschiedlicher Stände, Dichter, Schriftstellerinnen, Intellektuelle. Weil sie sich oft kränklich fühlt, zieht sie es vor, auf einem Canapee zu liegen, wenn sie ihre Gäste empfängt. ZITATORIN: „Ich sah sie in einer Nische, wohin keine Sonnenstrahlen drangen, aber es war dennoch nicht ganz dunkel. Um sie herum hingen lauter Porträts von Leuten, die sie mochte. Da stapelten sich außerdem viele Bücher auf kleinen Tischen. Gewiß keine gewöhnlichen Bücher. Nur zwei oder drei Leute durften jeweils gleichzeitig eintreten, weil sie kein Durcheinander mochte.“ SPRECHER: … schreibt die spätere Königin von Sizilien und Sardinien Anne Marie d’Orleans 1659 in ihrer Geschichte über die Prinzessin von Paphlagonien. Wann genau sich der Rambouillet-Salon formiert, ist nicht eindeutig überliefert. Um 1613 sollen die ersten Gäste zu ihr gekommen sein, berichtet der französische Schriftsteller Francois de Malherbe, der auch bei der Marquise zu Gast war. O-TON KNIPP „Ich glaube, es ist im Wesentlichen eine intellektuelle oder auch ästhetische Freude gewesen, die sie getrieben hat, diesen Salon zu betreiben, eben den Austausch zu pflegen, was Neues zu hören, sich selbst auch zu äußern, ja sich der Welt zu öffnen, sich den Menschen zu öffnen und so im Grunde die eigene Person auch zu erweitern.“ O-TON DOLLINGER: „Entwicklungen in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Literatur, aber auch Tagesereignisse spielten natürlich auch eine ganz große Rolle, und man sprach nicht nur über die letzte Neuerscheinung, sondern man sprach natürlich auch über irgendwelche interessanten Gerichtsprozesse, die im Moment gerade liefen.“ O-TON 8 KNIPP: Jeder sollte sich beteiligen können, jederzeit in das Gespräch, seine eigenen Standpunkte einwerfen können … und dann führte das wieder zu neuen Gedanken. Also diese Vorstellung des unentwegt sich fortpflanzenden Gedankens, der im Grunde nie an ein Ende kommt, ja wo eins das Andere ergibt, das war das Ideal dieser Zeit. ZITATOR: „Sie sprechen nicht wie Fachleute, aber sie sprechen vernünftig und es gibt keinen Platz in der Welt, wo es mehr Gefühl und Gespür gibt und weniger Pedanterie als im Hotel de Rambouillet.“ SPRECHER: So der Salongast und französische Schriftsteller Jean Chapelain, der die Académie francaise mitbegründete, 1638 in einem Brief. Darin klingt ein Ton an, der sich vom absolutistischen Duktus distanziert. Zunehmend setzt sich in der Zeit eine Haltung durch, die grundlegend wird für aufklärerisches Gedankengut. O-TON 9 DOLLINGER: „Dass der wahre Adel sich nicht über Geburt und Stand definiert, sondern dass die Menschen sich über ihre Verdienste, über ihre Bildung, über ihren Charakter, über Geist und Herz sozusagen definieren. Und diese Gedanken, die sind natürlich dann im Zeitalter der Aufklärung noch mal wieder aufgegriffen worden und verstärkt gesagt worden, also Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wie später in der französischen Revolution.“ SPRECHER: Für damalige Verhältnisse klingt das wie gelebte Utopie. Und das ist es ein Stück weit auch. MUSIK Max Richter: Spring 1 (recomposed Vivaldi) O-TON DOLLINGER: „Wichtig war, dass man das Gespräch mit Witz und Geist führte, man wollte locker und offen und frei über etwas sprechen, und das ist vielleicht überhaupt jetzt das Stichwort: die Geistesfreiheit - sowohl im Renaissance-Humanismus als auch in den Salons des 17. Jahrhunderts als auch in der Aufklärung. Die Geistesfreiheit ist das gewesen, was die Salons vielleicht auch so wichtig gemacht hat, weil hinter den verschlossenen Türen eines Salons konnte man sich vieles sagen trauen, was man sich vielleicht nicht trauen würde, in der Öffentlichkeit zu sagen, geschweige denn in der Zeitung zu drucken.“ SPRECHER: Dieses experimentelle und geschützte Forum des Salons macht außerdem möglich, was die Marquise besonders liebt: Schabernack. Catherine hat einen ausgeprägten Sinn für Humor. Es sollen durchaus derbe Scherze gewesen sein, mit denen die Marquise den ein oder anderen Gast gehörig auf die Schippe nahm. O-TON DOLLINGER: „dass man also irgendwelchen Freunden, also zum Beispiel die Kleider enger machte, dass sie meinten, sie wären dicker geworden und solche Sachen.“ MUSIK Max Richter: Autumn 3 (recomposed Vivaldi) SPRECHER: Das Amusement in geselliger Runde, das ist es, was die damaligen Gäste anzieht. Nicht zu vergessen: Ohne Einladung ging gar nichts. Catherine wählte aus, wen sie zum Freund ihres Hauses machte, wer wiederkommen durfte, wer nicht. War man eine Frau, hatte man fast bessere Karten. O-Ton DOLLINGER: „Da hob sich auch Madame de Rambouillet sehr von anderen Salons hervor. Es hat auch Salons gegeben, wo fast nur Männer verkehrten, das war im Hotel del Rambouillet anders, da verkehrten auch viele Frauen und die durften ihre Töchter mitbringen. Die hörten und sahen da, was sie in Ihrer Klosterschule nie im Leben gelernt hätten.“ MUSIK: Max Richter Summer 2  SPRECHER: 1665 stirbt die Marquise und damit ihr Salon. Kaum eine Geselligkeit bestand über so lange Zeit hinweg. Fast ein halbes Jahrhundert gab es das Format der Rambouillet. Frauen, die bei ihr zu Gast waren, sind von ihr inspiriert und entwickeln ihre Ideen weiter. Wie zum Beispiel Madeleine de Scudery, die damals ein internationaler Star war – und DIE Schriftstellerin des 17. Jahrhunderts. Die Salonnière kämpft in ihren Geselligkeiten und Schriften vehement für die Gleichberechtigung. Ein echtes Role Model! Mag sich die ein oder andere Frau damals gedacht haben. So wohl auch die Leipziger Schriftstellerin Christiana Mariana von Ziegler. Sie entdeckt um 1735 die französische Salondame fast zufällig und ist inspiriert von ihrer Schrift „Conversations morales“ [sprich: conversasion morall). Von Ziegler hält in ihren sogenannten „Moralischen und vermischten Sendschreiben“ fest: ZITATORIN: „Die Unterredungen der Mademoiselle de Scudery gefielen mir und ich hielt es für gut, dass sie jedermann in unserer deutschen Sprache lesen möchte, weil ich darinnen die Regeln einer artigen Lebensart sehr wohl ausgeführt fand.“ SPRECHER: Christiana Mariana von Ziegler übersetzt de Scuderys Schrift über tugendhafte Geselligkeit, in der Frauen beanspruchen, als Gesprächspartnerinnen auf Augenhöhe zu gelten. Damit ist der französische Aufklärungsfeminismus in Deutschland angekommen. Von Ziegler nimmt de Scudery zum intellektuellen und ethischen Vorbild, adaptiert die französische Salonkultur und wird eine der ersten deutschen Salonnièren, die im 18. Jahrhundert emanzipatorische Pionierarbeit leistet. TON ASTRID DRÖSE „Das ist ein Kernanliegen. Die Bildung der Frau und der Mädchen und die Gleichwertigkeit der Geschlechter. Und das sagt sie immer wieder auch im satirischen Ton. Sie forderte auch die Frauen auf, hab den Mut, dich zu entwickeln, lies, lerne Sprachen, denn es bringt doch mehr, wenn du in der Gesellschaft was über Literatur sagen kannst, als wenn du nur über Fleischtöpfe redest.“ SPRECHER: So die Literaturwissenschaftlerin Astrid Dröse. Sie konnte durch Recherche in der Bayerischen Staatsbibliothek Zieglers Schriften im gesamten deutschen Sprachgebiet nachweisen und betont, wie berühmt die Schriftstellerin und Salonnière im 18. Jahrhundert war. Doch irgendwann verschwindet diese aus der Literaturgeschichte. TON DRÖSE „Die feministische Literaturgeschichtsschreibung in den 70er, 80er Jahren hat sich sehr bemüht Autorinnen der frühen Neuzeit und der Aufklärung wieder zu entdecken. Und da ist Christiana Mariana von Ziegler wieder aufgetaucht.“ MUSIK: Max Richter Spring  SPRECHER: Christiana Mariana Romanus wird 1695 in Leipzig geboren. Sie stammt aus einer Juristenfamilie des gehobenen Bürgertums und erhält eine gute musische und sprachliche Ausbildung. Als ihr Vater wegen politischer Intrigen lebenslang inhaftiert wird, ist Christiana 10 Jahre alt. Die Familie steht vor dem Nichts. Sie heiratet mit 16 Jahren, bekommt eine Tochter, doch kurz darauf verstirbt ihr Mann. Sie heiratet ein zweites Mal, bekommt wiederum eine Tochter, doch auch der zweite Mann Georg Friedrich von Ziegler stirbt bald und schließlich erliegen auch beide Töchter wohl einer Seuche. Schwere Schicksalsschläge. MUSIK: Bach Konzert Nr. 5 in F-Moll Doch das Leben muss weitergehen. Christiana Mariana beschließt, Witwe zu bleiben und zieht in ihr Elternhaus, zurück zu ihrer lebenstüchtigen Mutter, die erfolgreich gegen die Versteigerung des Wohnhauses gekämpft hatte. TON DRÖSE „Sie hat sich wohl gedacht, das Schicksal hat mir so übel mitgespielt, was mache ich jetzt mit dem Leben? Und da muss sie den Entschluss gefasst haben: warum gründe ich nicht jetzt einen Salon? Sie hatte dazu die Möglichkeiten und offensichtlich ja auch das nötige Selbstbewusstsein. Das führte dann dazu, dass sie dieses Romanushaus zu einem sehr lebendigen Ort der Begegnung in Leipzig gemacht hat. Die Professoren der Universität, Gelehrte, Kaufleute, auch viele Frauen, gingen dort ein und aus.“ SPRECHER: Christiana Mariana hat die richtige Idee zur rechten Zeit und eine Persönlichkeit, die viele Menschen in ihren Bann zieht. Ihr kommt entgegen, dass Leipzig zu dieser Zeit eine der modernsten Städte des Heiligen Römischen Reichs ist. Die Stadt gilt damals als kleines Paris. TON DRÖSE „Es gab die Universität, die ein sehr hohes Niveau hatte. Es gibt eine entsprechende gesellschaftliche Trägerschicht, die auch die Gedanken der Aufklärung verbreitet. Es gibt einen funktionierenden Buchmarkt, die Buchmesse, die ja noch heute existiert, es gibt Drucker, Verleger, also Leipzig war eine Medienstadt. Leipzig war das intellektuelle Zentrum Deutschlands gerade im frühen 18. Jahrhundert.“ SPRECHER: Die Atmosphäre ihres Salons ist heiter. Christian Gabriel Fischer, ein Professor für Naturlehre, der 1725 auf der Durchreise bei Ziegler vorbeischaut, erwähnt sie extra in seinem Reisebericht. Sie sei … ZITATOR: „… viel zu munter und aufgeweckt, als daß sie sich gemein männlichem Verstande unterwerfen sollte Von reden frey, aber gescheid und artig, im Umgang mehr freundlich, lustig und scherzhaft als gravitätisch. Sie schießet mit Büchsen, Pistolen und Armbrüsten. Sie macht alles mit, spielet auf allerhand musikalischen Instrumenten und singt dabey.“ MUSIK: Partita in A Minor; II.Corrente SPRECHER: Sie schreibt Gedichte, trägt die gerne spontan vor und animiert auch ihre Gäste, einfach mal drauflos zu reimen, zu singen oder zu spielen. Besonders gern besingt sie das männliche Geschlecht und macht sich über chauvinistisches Gehabe lustig. Die Satire ist für sie wie ein emanzipatorisches Werkzeug, mit dessen Hilfe sie Unbequemes reizvoll               verpacken kann. Wie in dieser für Seminarzwecke nachempfundenen Passage aus einem Seminar von Astrid Dröse. TON Gesang mit Atmo Cembalo: „Du weltgepriesenes Geschlechte, du in dich selbst verliebte Schar! Prahlst allzu sehr mit deinem Rechte, das Adams erster Vorzug war. Doch soll ich deinen Wert besingen, der dir auch wirklich zugehört So wird mein Lied ganz anders klingen, als das, wofür man dich verehrt.“ TON  DRÖSE „Man sieht, dass ihr so ein Schalk im Nacken saß. Sie hat so dieses leichte Schmunzeln, das sagt: Es ist schon ernst, was ich meine, aber ich sage es mit einem Lächeln im Gesicht. Und viele ihrer Texte sind wirklich gesalzen. ZITATORIN:  „Seht doch, wie ihr vor Eifer schäumet, wenn’s nicht nach eurem Kopfe geht. O Himmel, was ist da versäumet, wenn man nicht gleich zu Diensten steht!“ SPRECHER: Verse aus einer Ode von Christiana Mariana von Ziegler, die 1739 im Verlag der königlichen Universitätsbuchhandlung in Göttingen publiziert wird. Sie schreibt nieder, was sie denkt und will veröffentlichen. Dabei hilft ihr ein Salongast, der in ihrem beruflichen Leben eine entscheidende Rolle spielt. Johann Christoph Gottsched. Aber zunächst profitiert er von ihr. TON DRÖSE „Wenn man neu in eine Stadt kommt, als junger, gerade fertig studierter Mensch, dann braucht man ein Netzwerk, und da war Ziegler für ihn eine wichtige Figur. Sie hat gleich gemerkt, dass sie irgendwie auch in Fragen der weiblichen Aufklärung auf einer Wellenlinie sind. Gottsched war ein Verfechter der weiblichen Aufklärung, und sie hat ihn eingeführt in die Leipziger Gesellschaft.“ SPRECHER: Gottsched publiziert die erste deutsche Frauenzeitschrift überhaupt: „Die vernünftigen Tadlerinnen“. Darin ermutigt er Frauen, sich zu bilden, sich mit Wissenschaft und Literatur zu beschäftigen und zu schreiben. Christiana Mariana von Ziegler muss er nicht lange überreden. Sie schreibt drauf los. Zum Beispiel, dass sie von einer rein weiblich regierten Republik träumt, in der die „vernünftigsten Bürgerinnen“ einen Rat einberufen und eine hohe Schule, in der alle „Professoren-Stellen mit weiblichen Personen“ besetzt sind. Gottsched schätzt ihr literarisches Schaffen so sehr, dass er ihr eine Hymne schreibt. TON DRÖSE „Schließlich hat er auch erwirkt, dass sie gekrönt wurde, die Dichterkrönung quasi empfangen hat als kaiserliche Poetin und den Preis der Poesie in der deutschen Gesellschaft erhalten hat; als erste Frau überhaupt in diese Gesellschaft aufgenommen wurde.“ SPRECHER: So Astrid Dröse. Sie muss aber auch viel Spott und Schmach einstecken, nicht alle sind damit einverstanden, dass sie Erfolg hat. Aber das ist ihr egal. Immerhin läuft ihr Laden, man will sie sehen und hören, der Salon ist gut besucht und es ist nicht ausgeschlossen, dass sogar Johann Sebastian Bach vorbeikam. TON DRÖSE „Ganz sicher weiß man, dass sie ihm Manuskripte übergeben haben muss. Er war gerade zum Thomaskantor berufen worden und brauchte neue Texte. ((…)).“ Bach-Kantate: „Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen“ SPRECHER: Eine Bach Kantate, der Text stammt von Ziegler. Sie versteht es, ihren Namen in die Welt zu tragen. Es kommt ihr entgegen, dass sie Witwe ist. Sie ist frei, unabhängig, muss sich an keine Konventionen der Ehe richten, keinen Mutterpflichten nachkommen. Sie will eigentlich nicht mehr heiraten, obwohl sie viele Anträge bekommt. Aber ein 9 Jahre jüngerer Professor für Geschichte namens Wolf von Steinwehr wirbt erfolgreich um sie. 1941 folgt sie ihm nach Frankfurt. Das Licht im Leipziger Salon erlischt. Aber ihr Feuer brennt weiter. Musik: Spring TON DRÖSE „Es ist schwer zu sagen, wer sie aufgegriffen hat, denn wir kennen die Autorinnen des 18. Jahrhunderts noch nicht so gut. Das wäre noch weiter zu erforschen, ob sie sich stilistisch an Ziegler orientiert oder ihre ganze Lebensweise als Modell verwendet haben. Jedenfalls hat sie etwas in den Diskurs eingespeist, was nicht mehr wegzudenken war. SPRECHER Der lange Weg zur Mündigkeit war geebnet. SPRECHER (Podcast-Absage) Die ersten Salonnièren – von Susanne Brandl: Lange Zeit durften Frauen weder politisch entscheiden noch öffentlich mitreden. Vor rund 400 Jahren hatten adelige und bürgerliche Frauen dann die Idee, Gelehrte einfach zu sich nach Hause einzuladen.

Ayer - 23 min
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Ein Freistaat unter Strom - Bayerns Hunger nach Energie

Als Bayern sich zum Industriestaat entwickelte, wurde sein Hunger nach Energie immer größer. Vor allem auch der Hunger nach elektrischem Strom. Dabei gilt für Bayern, ein Land mit wenig Rohstoffen und ohne Meereszugang, schon lange: Der Zugang zu bezahlbaren Energieträgern ist ein Dauerthema. Von Lorenz Storch (BR 2024) Credits Autor dieser Folge: Lorenz Storch Regie: Martin Trauner Es sprach: Julia Fischer Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. em. Dirk Götschmann (Uni Würzburg) Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Die Welt in unter 30 Minuten besser verstehen? Das geht nicht? Doch, das zeigt der tagesschau  Podcast 11KM JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/11km-der-tagesschau-podcast/12200383/]  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/manuskripte/index.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: SPRECHERIN: 9. September 1957. Bayern an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Euphorie im frisch gebauten „Atomei“ von Garching bei München. Viele Politiker sind da, und alle haben sie ein Strahlen im Gesicht, sie drängen sich um den Ort des Geschehens. Professor Heinz Maier-Leibnitz, Chef des neuen Atomforschungszentrums, geleitet die Ehrengäste zum Höhepunkt. ZUSP. 1 (vorne Atmo) „Also das ist jetzt ein Original-Element. Vielleicht können wir das Element nochmal hochhalten und das dann als eröffnet betrachten, wenn es Ihnen recht ist. Herr Ministerpräsident, wenn Sie es selber in die Hand nehmen wollen? Das ist unschädlich!“ (hinten Atmo, Gelächter, Ah, Oh) SPRECHERIN: Ein Mann im eleganten hellgrauen Anzug reckt mit einer Hand ein Bündel empor, das aussieht wie ein verschnürter Sack voll Zeltstangen.  (ATMO Applaus aus Cartwall) SPRECHERIN: Euphorie, Siegerpose. Das Bündel enthält einen von 39 angereicherten Uran-Brennstäben – vor Kurzem eingetroffen aus den USA! Zwei Wochen lang waren sie mangels anderer Möglichkeiten im Tresor der Bayerischen Staatsbank zwischengelagert, aber nun ist das Uran ja angekommen in Garching. Und der dynamische Herr, der das Brennelement per Taschenmesser aus seiner Transportkiste geholt hat (ein Schraubenzieher war grade nicht zur Hand) - das ist der bayerische Ministerpräsident. Wilhelm Högner. Der einzige Sozialdemokrat, der jemals an der Spitze des Freistaats stand, macht Bayern zum Atomstaat.  ZUSP. 2 „Im Namen der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren heiße ich Sie im ersten Atommeiler Deutschlands herzlich willkommen.“ SPRECHERIN: Unter tätiger Mithilfe des Bundesministers für Atomfragen, Franz-Josef Strauß von der CSU. Der Atomminister, knapp über 40 Jahre alt, von Journalisten als „jugendlich-aggressiv“ beschrieben, sieht sich als Zukunftsminister. Auf die Frage, welche Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung nötig sein werden, wenn jetzt auch Bayern einen Atomreaktor hat, sagt Strauß: ZUSP. 3 „Es handelt sich um reine Forschungsreaktoren von geringer Kraft- und Wärmeleistung. Im Falle München von 1000 Kilowatt Leistung. Außerdem sind bereits mehrere Exemplare dieses Typs in den USA und anderen Staaten aufgestellt worden. Dieser Reaktor weist bereits hunderttausende von Betriebsstunden auf, ohne dass der geringste Unfall bisher passiert ist.“ SPRECHERIN: Die 1950er Jahre waren auch und gerade in Bayern eine Zeit ungeheurer Atomeuphorie. Man erhoffte sich von der Kernkraft billige Energie im Überfluss. Heimischer Kernbrennstoff sollte aus Uranbergwerken im Fichtelgebirge gewonnen werden. Was nie klappte, weil der Abbau dort sich als zu teuer erwies. Das vom Ministerpräsidenten begeistert gefeierte erste Paket mit Brennelementen musste 1958 in die USA zurückgeschickt werden, weil sich Fertigungsmängel zeigten. Und auch sonst kollidierten die hoch gesteckten Erwartungen an die Kernkraft alsbald mit der Realität, erzählt Historiker Dirk Götschmann, der eine Wirtschaftsgeschichte Bayerns geschrieben hat.  ZUSP. 4 „Erwies sich dann natürlich doch alles als schwieriger, als man zunächst erhofft hatte. Das war natürlich langwieriger. Der Unterschied zwischen einem Forschungsreaktor und einem Reaktor zur Gewinnung von Energie. Der ist natürlich schon enorm. Und tatsächlich war es ja so, dass der Atomstrom über Jahrzehnte nicht konkurrenzfähig war. Wenn man also die ganzen Kosten mit einberechnet hat, die also der Bau und der Betrieb eines Atomkraftwerkes erforderte. Trotzdem hat man gemeint, dass das eben die Energiequelle der Zukunft sein wird, und man hat also daran festgehalten und hat das weiterentwickelt.“ SPRECHERIN: Einen substanziellen Beitrag zur Stromgewinnung in Bayern leistete die Kernkraft erst ab Ende der 1970er Jahre. Auf dem Höhepunkt, ab den 1990er Jahren, lieferte die Kernkraft dann allerdings zwei Drittel des bayerischen Stroms. Mit fünf Reaktoren an den Standorten Grafenrheinfeld bei Schweinfurt, Isar bei Landshut und Gundremmingen im Landkreis Günzburg.  (MUSIK) SPRECHERIN: Angefangen hat die Geschichte der Elektrifizierung Bayerns jedoch mit einer anderen Energiequelle. Der Wasserkraft. Das Walchenseekraftwerk war der Ursprung des flächendeckend zusammenhängenden Stromnetzes in Bayern.  ZUSP. 5 (Sprecher Fernsehbeitrag 1960er Jahre)  „Oskar von Miller, Bayerns großer Ingenieur. Ihm ist nicht nur das Deutsche Museum zu verdanken. Er wurde 1918 von der Regierung zum ehrenamtlichen Staatskommissar für den Bau des Walchenseewerks und des Bayernwerks ernannt und hat mit seinem Stab tüchtiger Männer diese vielbestaunte Pioniertat vollbracht. Das Wasser des Walchensees wird durch einen Stollen im Berg in ein Becken, das Wasserschloss am jenseitigen Hang, geführt. Durch riesige Druckrohre schießt das Wasser zu Tal. Die Energie des Walchenseewerkes speist über die große Stromschiene der Bayernringleitung das deutsche Verbundnetz. Damals 1918/19/20 war man in Bayern skeptisch. Was wollte Miller mit diesem Überfluss an elektrischer Energie?“ SPRECHERIN: Das Walchenseekraftwerk liefert seinen Strom bis heute teilweise in das Netz der Deutschen Bahn. Und bereits der Bau des Kraftwerks damals war eng verknüpft mit dem Plan zur Elektrifizierung der Eisenbahn in Bayern. Ähnlich wie in der nahen Schweiz wurde diskutiert, möglichst das gesamte bayerische Schienennetz elektrisch zu betreiben. Allerdings erhoben die bayerischen Generäle Einspruch: Was, wenn im Kriegsfall der Strom ausfällt? Wie sollten dann Truppen transportiert werden? Noch gewichtiger war aber ein zweiter Einwand, so Wirtschaftshistoriker Dirk Götschmann: ZUSP. 6 „Dass eben die bayerischen Lokomotivhersteller zu diesem Zeitpunkt noch nicht so ganz fit waren, was die Produktion von elektrischen Lokomotiven anbelangte und man eigentlich, wie soll ich sagen, diesen Zukunftsmarkt nicht irgendwelchen auswärtigen preußischen Herstellern überlassen wollte, Und dann hat Krauss-Maffei eben zu diesem Zeitpunkt eine besonders effektive Dampflokomotive entwickelt, die damals wirklich konkurrenzlos gut war, sparsam im Gebrauch und schnell, sodass man also gesagt hat: Wenn wir jetzt eine solche Super-Dampflokomotive haben, wozu brauchen wir dann eine elektrische Bahn: Das geht doch so auch.“ SPRECHERIN: Und so fehlt dank der damaligen Rücksicht auf die bayerische Dampflokindustrie bis heute an der Hälfte der Bahnstrecken im Freistaat die Oberleitung. Während das Bahnnetz der Schweiz zu 100 Prozent elektrifiziert ist. (MUSIK) SPRECHERIN: Statt mit elektrischem Strom fuhren die meisten Loks in Bayern also weiter mit Kohle. Aber auch in der Stromproduktion kam Bayern – trotz der Wasserkraft – nicht ohne Kohle aus. Schon bei den ersten Anfängen im 19. Jahrhundert, als noch kein Verbundnetz für Strom existierte, lieferten Dampfmaschinen die Elektrizität überall dort, wo Wasserkraft nicht zur Verfügung stand. Später mussten die Kohlekraftwerke vor allem im Winter einspringen, wenn in den Flüssen weniger Wasser fließt. Und auch sonst lieferten die Kohlekraftwerke regelmäßig, vor allem zu Spitzenzeiten des Verbrauchs. Und mit der Zeit immer häufiger, denn der Stromverbrauch in Bayern stieg. Was vor allem mit dem Aufstieg der bayerischen Industrie zu tun hatte.  ZUSP. 7 „Damals war der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung eben alles, was mit Elektroindustrie zu tun hatte. Nicht nur die Elektroindustrie selbst, die Maschinen und derartiges hergestellt hat, sondern auch die Industrie, die also in starkem Umfange Strom benötigt hat, zur Produktion ihrer eigenen Güter, dazu dann elektrische Maschinen und so weiter im Einsatz hat. Und es waren sehr viele Maschinen. Also alle Bohrmaschinen, Drehbänke, Fräsmaschinen und so weiter wurde ja dann schon elektrisch betrieben.“ SPRECHERIN: Schwerindustrie wie Stahlhütten, die in großem Maße Kohle verbraucht, spielte in Bayern stets eine geringere Rolle. Weil die großen Kohlereviere Westdeutschlands zu weit entfernt waren. Zwar konnte die Kohle von dort mit der Eisenbahn nach Bayern transportiert werden. Was der bayerischen Staatsbahn auch schöne Einnahmen brachte. Aber dadurch wurde der Brennstoff teuer. Was zu einer Chance für Bayerns heimische Kohle wurde. Die Pechkohle im Alpenvorland war von schlechter Qualität, für Hüttenwerke nicht geeignet. Und kam in dünnen Flözen vor, eher schwierig abzubauen. Trotzdem gab es für einige Jahrzehnte eine Marktlücke für diese oberbayerische Kohle. Für die Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg spielte sie eine große Rolle, auch noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dann ging es aber schnell bergab. ZUSP. 8 (Sprecher TV-Beitrag) „Die Arbeit des Bergmannes war ein Fundament wirtschaftlicher Macht. Leistung und Tradition schufen den Bergleuten eine Stellung, die erst vor einem Jahrzehnt ins Wanken geriet. Seit 1958 steckt der deutsche Bergbau in einer Krise. Auch der oberbayerische Pechkohlenbergbau war davon betroffen. In den vier Zechen Marienstein, Penzberg, Hausham und Peißenberg waren die Schwierigkeiten noch größer, weil dort ohnehin unter ungünstigeren Verhältnissen abgebaut werden musste, als bei der Konkurrenz an Saar und Ruhr.“ SPRECHERIN: 1971 schloss das letzte bayerische Bergwerk, wo unter Tage Kohle abgebaut wurde, in Peißenberg.  In der Oberpfalz dagegen, wo Braunkohle im Tagebau gefördert werden konnte, war sie konkurrenzfähig. Hier erreicht die Kohleförderung mit großen Schaufelradbaggern erst in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt. ZUSP. 9 (TV-Sprecher) „Schließlich entfalten die Braunkohlenfelder, die sich vor allem im Schwandorfer Gebiet befinden und rund hundert Millionen Tonnen umfassen, einen wichtigen Rohstoff. Hier hat vor kurzem die BBI, die bayrische Braunkohlenindustrie AG, ein großes neues Abbaugebiet in Rauberweiher erschlossen. Das ist eine zwar nicht sehr leistungsstarke, aber billige Kohle, die das nahegelegene Dampfkraftwerk Dachelhofen bei Schwandorf speist. Dieses Kraftwerk ist für die Stromversorgung Bayerns von großer Bedeutung.“ SPRECHERIN: 1981 ist das Kohlevorkommen bei Schwandorf jedoch erschöpft. Danach werden die Gruben geflutet – sie bilden heute das Oberpfälzer Seenland. (MUSIK)  SPRECHERIN Aber die Tage der Kohle als Haupt-Energieträger waren da ohnehin längst vorbei. Nach dem Zweiten Weltkrieg brach die Zeit des Öls an. Im Autotank, als Treibstoff für die Massen-Motorisierung. Als Heizöl in den Kellern der Häuser. Aber auch zur Herstellung von Strom: Vor den Ölkrisen war Erdöl billig, deshalb wurden damals Heizöl-Kraftwerke gebaut. Unter anderem an der Donau, in Irsching bei Ingolstadt und Pleinting bei Vilshofen. Und weil man diesen neuen Energieträger per Pipeline transportieren konnte, sah Wirtschaftsminister Otto Schedel von der CSU eine neue Chance für das energie-arme Bayern. Eine Pipeline vom Mittelmeerhafen Triest nach Ingolstadt an der Donau!  ZUSP. 10 „Ich wollte die günstige Lage des Landes zu den Ländern, in denen Öl gefördert wird, ausnutzen. Was ich damit meine, zeigt ein Blick auf die Karte, wenn die Pipeline, die in drei Ländern im Bau sich befindet, Ingolstadt-Triest, fertig ist und der Seeweg noch kürzer wird. Wir sparen 4500 Kilometer, haben nur noch die Hälfte der Transportwege. Das bedeutet billiges Öl und billige Energie in Bayern. Das bedeutet Überwindung der Revierferne.“ SPRECHERIN: Rund um Ingolstadt entstehen durch den Bau der neuen Pipeline fünf Raffinerien. Damit ist Regensburg ausgebootet, das mit seinem Donauhafen bis dahin das Zentrum der bayerischen Ölindustrie gewesen war. Nach den Ölkrisen der 1970er Jahre wird das Erdöl allerdings deutlich teurer. Eine weitere Raffinerie, die Texaco im Raum Ingolstadt plante, wird deshalb nie gebaut. Heute sind von den ursprünglich sechs bayerischen Raffinerien noch vier in Betrieb. (MUSIK) SPRECHERIN: Und auch das Öl bekommt neue Konkurrenz: Durch Erdgas. Erst aus eigener Produktion im bayerischen Alpenvorland. Dann aber folgt schnell importiertes Erdgas. Bayerische Politiker waren führend beteiligt daran, die so genannten Erdgas-Röhren-Geschäfte mit der Sowjetunion anzubahnen. Und 1973 ist es dann so weit. ZUSP. 11 (TV-Sprecher) „Für die Energieversorgung der Zukunft fressen sich also die kostspieligen Rohrleitungen durch die idyllische Landschaft der Oberpfalz wie hier bei Nabburg. Die Bewältigung der umfangreichen Schweißarbeiten liegt dabei fest in indischer Hand. Die billigeren, angelangten Kräfte aus Fernost mit einem Sonder-Gastarbeiterstatus ersetzen die deutschen Fach-Schweißer, für die Spitzenlöhne bis zu 6000 Mark gezahlt werden müssten. Trotz solcher Sparmaßnahmen belaufen sich die Kosten pro laufendem Meter Erdgasleitung aus druckfestem und gleichzeitig schweißfreundlichem Spezialstahl auf 1500 Mark. Der Kilometer kommt also auf 1,5 Millionen ohne Planungs- und Rechteerwerbskosten für den Grund und Boden. SPRECHERIN: Schon damals ist der Bau neuer Energie-Infrastruktur ein Eingriff in die Landschaft. Schon damals auch sehr teuer. Und: Schon damals subventioniert der Staat den Bau der neuen Leitungen für Erdgas. Es gibt Werbekampagnen, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, ihre Heizung und ihre Herde auf Erdgas umzustellen. Mit Erfolg – wie dieses Interview mit einem Vertreter der Münchner Stadtwerke zeigt: ZUSP. 12 „Herr Stahlknecht, wie notwendig ist für die städtische Energieversorgung die Umstellung von Stadtgas auf Erdgas?“ – „Die Nachfrage nach dem Energieträger Erdgas steigt laufend. Wir haben derzeit in München Steigerungswerte von 20 Prozent. In exakten Zahlen haben wir im Jahr 1972 2,7 Milliarden Kubikmeter Gas abgegeben. Diese riesigen Mengen an Gas können nicht mehr durch Stadtgas, das man früher aus Kohle gewonnen hat, gedeckt werden.“ SPRECHERIN: Auch in den Städten müssen die Leitungen – und auch die Gas-Herde - umgebaut werden, weil das Erdgas einen anderen Heizwert hat und einen anderen Betriebsdruck als das Stadtgas, das zuvor jeweils vor Ort aus Kohle hergestellt worden war. Teilweise gibt es Zuschüsse, um die Umstellung den Kundinnen und Kunden schmackhaft zu machen.  Über die Abhängigkeit von der Sowjetunion, die Deutschland durch die Erdgasgeschäfte eingeht, wird damals durchaus diskutiert. Aber Wirtschaftsvertreter beschwichtigen. Im BR-Fernsehen 1973 ein Herr Dehner: ZUSP. 13 „Von dem gesamten Erdgas-Aufkommen der Bundesrepublik wird das sowjetische Erdgas nach gegenwärtigem Sachstand vielleicht 15 Prozent ausmachen. Sie sehen also, dass ein Abschalten des russischen Gases aus politischen Gründen oder auch aus technischen Gründen vielleicht zu örtlichen Störungen führen würde. Einen Zusammenbruch unserer Energieversorgung aber würde es jedenfalls nicht riskieren.“ SPRECHERIN: 2021, vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, lag der russische Anteil an den deutschen Erdgasimporten dann allerdings bei vollen 65 Prozent.  ZUSP. 14 „Eine sehr viel genutzte Energiequelle. Und die war tatsächlich auch unschlagbar billig. Das muss man eindeutig sagen. Es hat also zu dem industriellen Aufschwung, der sich dann in Bayern fortgesetzt hat, in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, hat diese billige Energie durchaus einen Beitrag geliefert. Das kann man überhaupt nicht abstreiten.“ SPRECHERIN: Bilanziert Wirtschaftshistoriker Dirk Götschmann. (MUSIK)  Und die Kernenergie? Ist in Bayern seit April 2023, mit der Abschaltung von Isar 2 bei Landshut, ebenfalls Geschichte. Es gab folgenschwere Unfälle – 1975 sterben im Kernkraftwerk Gundremmingen A zwei Arbeiter durch austretenden radioaktiven Dampf aus dem primären Kühlkreislauf. 1977 dann im gleichen Reaktor: Kurzschluss, Sicherheitsventile reißen ab, radioaktiver Dampf strömt in das Reaktorgebäude – das dadurch überflutet und kontaminiert wird. Der Reaktor geht nie wieder ans Netz. Ein GAU oder Störfall mit Austritt großer Mengen Radioaktivität in die Umwelt ist Bayern aber erspart geblieben. Anders als Japan. Dort passiert 2011 die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Danach drängt Markus Söder, damals CSU-Umweltminister, darauf, die bayerischen Kernkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten:  ZUSP. 15 „Unser Ziel ist, einen Ausstieg bis 2020 zu ermöglichen. Spätestens bis 2022, das muss man evaluieren.“ SPRECHERIN: Ministerpräsident Horst Seehofer verkündet in einer Regierungserklärung im Landtag: ZUSP. 16 „Die bayerischen Kernkraftwerke, meine Damen und Herren, werden abgeschaltet. 2022 Isar 2. In elf Jahren, meine Damen und Herren, ist also in Bayern kein Kernkraftwerk mehr am Netz, und zwar verlässlich und ohne Hintertürchen.“ SPRECHERIN: 2022 allerdings – unter dem Eindruck der Energiekrise nach Russlands Angriffskrieg – hat die CSU ihre Meinung geändert. Ministerpräsident Söder findet jetzt: ZUSP. 17 „Kernkraft auszuschalten, macht überhaupt keinen Sinn. Es gibt keine Argumente, außer ideologischen Basta-Argumenten, die Kernkraft nicht zu verlängern.“ SPRECHERIN: Mit ihrem Versuch eines Ausstiegs aus dem Ausstieg aus der Atomkraft drang die CSU dann jedoch nicht mehr durch. Die Ampel-Bundesregierung gab den letzten Atomkraftwerken noch eine Gnadenfrist von vier Monaten, doch dann war endgültig Schluss. War die Kernkraft auch eine billige Form der Stromerzeugung? Je nachdem, wie man es betrachtet, sagt Wirtschaftshistoriker Dirk Götschmann: ZUSP. 18 „Die Risiken musste der Staat übernehmen, um das mal so auszudrücken. Also die ganzen Investitionen in die Grundstruktur, die man überhaupt erst mal schaffen musste, das musste alles der Staat übernehmen. Also die Industrie hat sich da sehr zurückgehalten. Wie dann die Endrechnung tatsächlich ausschaut, wieviel Gewinn hat man jetzt aus dieser Stromerzeugung gezogen? Wo ist der Gewinn hingewandert. Was hat der Staat sozusagen, was für einen Anteil hat der Staat an diesem Gewinn? Hat er die Subventionen dann tatsächlich auch rentabel erscheinen lassen? Also das sind alles so Dinge, die ich glaube bis heute noch keiner beantworten kann.“ SPRECHERIN: Und die Zukunft? Es ist wieder eine Umstellung im Gang. Windkraft und Photovoltaik sollen künftig die wichtigsten Energieträger sein. Mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke die Lücken füllen. Bayern wird weiter Energie importieren müssen – wie schon immer in den vergangenen 150 Jahren, seit die Industrialisierung Fahrt aufgenommen hat. Und die Energie wird nicht so billig sein wie an manch anderem Ort auf der Welt. Ebenfalls der historische Normalzustand in diesem Land fernab der Meere und mit wenig eigenen Ressourcen. Erst teure Kohle, dann teures Öl, dann eine Stromversorgung, die schon lange zwar sehr zuverlässig war, aber auch nicht besonders billig – egal ob der Strom mit Kohle, Erdgas oder Kernkraft produziert war. Unterm Strich hat es Bayern nicht geschadet, sagt Götschmann, der eine Wirtschaftsgeschichte Bayerns seit dem 19. Jahrhundert geschrieben hat – und dadurch die langen Linien sieht.  ZUSP. 19 „Also man muss dann sozusagen in Bayern tatsächlich hochwertige Produkte herstellen, bei denen der Energieeinsatz nicht mehr so stark zu Buche schlägt. Und es war eigentlich ein Vorteil, kann man sagen für die Entwicklung der bayerischen Industrie, weil die bayerische Industrie dadurch gewissermaßen gezwungen war, rational zu arbeiten. Also immer fortschrittlich zu sein, möglichst energiesparende Verfahren zu entwickeln und hochwertige Produkte herzustellen. Also billige Energie verleitet natürlich auch dazu, dass man sie gewissermaßen verschwendet. Wenn die Energie teuer ist, dann versucht man, das Beste daraus zu machen. Und das kommt dann letztendlich den Produkten auch zugute.“ SPRECHERIN: Billige Energie ist schon seit Langem nicht der entscheidende Standortfaktor hier im Land. Und wird es mit einiger Sicherheit so schnell auch nicht werden.

Ayer - 24 min
Muy buenos Podcasts , entretenido y con historias educativas y divertidas depende de lo que cada uno busque. Yo lo suelo usar en el trabajo ya que estoy muchas horas y necesito cancelar el ruido de al rededor , Auriculares y a disfrutar ..!!
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