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Mary Leakey flog aus dem Internat, als sie das Chemielabor fast in die Luft gejagt hätte. Ohne Abschluss machte sich die Autodidaktin auf den Weg nach Afrika. Dort stößt sie auf Funde, mit denen sie beweisen kann: Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika. Von Florian Kummert (BR 2013) Credits Autor: Florian Kummert Regie: Irene Schuck Es sprachen: Beate Himmelstoß, Andreas Neumann, Margrit Carls, Friedrich Schloffer Technik: Susanne Herzig, Josuel Theegarten Redaktion: Bernhard Kastner Im Interview: Prof. Friedemann Schrenk Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): Ein Zimmer für uns allein – Der Frauengeschichte-Podcast Im Podcast "Ein Zimmer für uns allein" mit Host Paula Lochte treffen zwei Frauen aus verschiedenen Generationen aufeinander und sprechen über ein Thema, das sie verbindet. Zum Beispiel über Schönheitsideale, sexuelle Aufklärung, Finanzen, Care-Arbeit. Was waren ihre Struggles damals und heute? Was hat sich verändert, oder vielleicht sogar verbessert? ZUM PODCAST [https://1.ard.de/EinZimmerfuerunsallein] Linktipps: Deutschlandfunk Nova (2015): Paläoanthropologie – Stumme Zeugen Die Wiege des Homo sapiens ist Afrika. Eine Erkenntnis, die noch gar nicht so alt ist, denn lange war man sicher, dass er aus Europa kommen müsse. Wie politisch die Frühmenschforschung ist, zeigt sich in Friedemann Schrenks Abriss der sechs Millionen Jahre Menschheitsgeschichte. JETZT ANHÖREN [https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/pal%C3%A4oanthropologie-interpretation-von-fossilien] SWR (2024): Frauen in der Wissenschaft Qualifizierten Nachwuchs gibt es genug. Aber allen Gleichstellungsmaßnahmen zum Trotz machen Frauen immer noch seltener Karriere in der Wissenschaft als Männer. Woran liegt das, was ist zu tun? Julia Nestlen im Science Talk mit Dagmar Höppel, Leiterin der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an den wissenschaftlichen Hochschulen Baden-Württemberg. JETZT ANSEHEN [https://www.ardmediathek.de/video/science-talk/frauen-in-der-wissenschaft/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE5ODUzNTM] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE [https://www.ardaudiothek.de/sendung/tatort-geschichte-true-crime-meets-history/88069106/]“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ATMO Vulkanausbruch & matschigen Schritten SPRECHERIN: Der Vulkanausbruch war gewaltig. Auf vielen Quadratkilometern fiel feiner Ascheregen auf die Erde. Die Flocken schwebten überall, drangen beim Atmen in Mund und Nase ein. Zwei Personen - mindestens - waren auf der Flucht vor dem Vulkan und seiner tödlichen Glut. Schnell konnten sie nicht vorankommen, ihre Füße sanken beim Gehen in die graue Masse ein, die der Regen matschig-weich gemacht hatte. Schritt für Schritt brachten sie mehr und mehr Abstand zwischen sich und dem Berg. Andere Lebewesen huschten an ihnen vorbei, ebenfalls auf der Flucht. Ein dreizehiges Huftier etwa, eine Stute mit ihrem Fohlen. ATMO gedämpfter Galopp SPRECHERIN: Weiter, immer weiter. Bald war niemand mehr zu sehen. Nur die Fußabdrücke blieben zurück. Noch mehr Asche fiel, deckte die Abdrücke zu und konservierte sie für die Ewigkeit. MUSIK Erst 3,6 Millionen Jahre später kommen sie wieder ans Tageslicht, und werden zur Sensation. MUSIK & ATMO Soundcollage Pinseln, Schaben, Steingeröll, Ausgrabungsstelle SPRECHER: Zuerst sind es nur seltsame Abdrücke im Geröll, ehe daraus eindeutige Fußspuren werden. Die Grabungsleiterin reinigt sie viele Stunden lang, immer wieder, begutachtet die Stelle, bis es keinen Zweifel mehr gibt. Das sind keine Affen-Spuren, bei denen sich der große Zeh abspreizt. Hier liegt der große Zeh in einer Linie zum Fuß. Vormenschen also. Und vor allem: Vormenschen mit aufrechtem, bipedalem Gang. Handabdrücke sind nirgends zu sehen. Dies sind die Spuren von Zweibeinern. Mary Leakey richtet sich auf und blickt auf die rund 70 fossilen Fußabdrücke. Dann zündet sie sich - wie so oft - eine Zigarillo an, bläst genussvoll den Rauch in den Himmel und sagt zu ihren Assistenten an der Grabungsstelle: ZITATORIN MARY LEAKEY: „Na, das ist doch mal eine Trophäe für den Kaminsims!“ SPRECHER: Typisch Mary Leakey. Trockenes britisches Understatement für einen Jahrhundertfund. In Ostafrika, auf dem Laetoli-Plateau an der Grenze zwischen Tansania und Kenia, findet sie 1978 die bis dahin ältesten bekannten Fußspuren der Menschheit. Fußspuren einer Kleinfamilie von Vormenschen, die nach einem Vulkanausbruch durch die Savanne geflüchtet waren. Damit gelang Mary Leakey der Nachweis, dass der aufrechte Gang bereits vor mehreren Millionen Jahren entwickelt war. OTON FRIEDEMANN SCHRENK 1 „Als diese Fußabdrücke kamen, muss man sagen, war das das erste Mal, das der aufrechte Gang überhaupt aus dieser Zeitphase direkt nachgewiesen werden konnte.“ SPRECHERIN: Sagt Friedemann Schrenk, einer der führenden Paläoanthropologen aus Deutschland. Zudem ist Friedemann Schrenk einer der wenigen deutschen Wissenschaftler, die selber eine Grabungslizenz in Afrika haben. OTON FRIEDEMANN SCHRENK 2 „Man kann sich ja lange streiten über Langknochen, über Oberschenkelknochen, was das jetzt bedeutet, wie der Gang war. Bei den Fußabdrücken ist das völlig eindeutig, und das Alter ist eindeutig, weil das in vulkanischen Aschen ist, die 3,6 Millionen Jahre alt sind, das heißt: der entscheidende Punkt an diesen Fußabdrücken war, dass man den aufrechten Gang sozusagen bis 3,6 Millionen Jahre zurückdatieren konnte.“ MUSIK SPRECHER: Woher stammen wir ab? Wie und warum haben sich unsere frühen Vorfahren weiter entwickelt zum Homo sapiens sapiens? Welche Gattungen sind durch den Flaschenhals der Evolution gekommen und welche mussten aussterben? Seit Mitte des 19. Jahrhunderts liefert die Wissenschaft immer fundiertere Ergebnisse über den Stammbaum der Menschheit. Die Paläontologie, die Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Zeitalter, gräbt dazu tief in der Erde, bringt zahllose Knochen und Fossilien ans Tageslicht und mit ihnen immer mehr Informationen über die Frühzeit der menschlichen Spezies. Informationen für die sich ein Teilgebiet der Paläontologie besonders interessiert: die so genannte Paläoanthropologie. Sie befasst sich mit der Stammesgeschichte des Menschen und mit dem Entstehen der spezifischen menschlichen Merkmale. Die Fakten dazu liefern die Fossilien. Doch die muss man erst mal finden. SPRECHERIN: Über Jahrzehnte hinweg zeigte eine Großfamilie hierbei besonderes Talent: die Leakeys. Denn nicht nur Mary, sondern auch ihr Mann, Louis Leakey, später dann ihr Sohn Richard und dessen Frau Maeve, und schließlich auch Marys Enkeltochter Louise haben das Bild der modernen Paläontologie geprägt wie keine andere Familie zuvor. Der Name Leakey wurde zum Synonym für die Suche nach den Ursprüngen der Menschheit. Als Mary Leakey im Dezember 1996 im Alter von 83 Jahren starb, betitelte die New York Times ihren Nachruf „Die Grande Dame der Archäologie“. OTON FRIEDEMANN SCHRENK 3 „Sie ist natürlich eine der ersten Frauen, die in diesem Gebiet international Grabungen gemacht hat und weltweit berühmt wurde. Ich denke so viel Vergleichsmöglichkeiten gibt‘s da gar net.“ SPRECHERIN: Friedemann Schrenk hat mittlerweile den Großteil der Leakey-Familie kennengelernt. Als junger Wissenschaftler traf er 1993 in Tansania auch noch die Grande Dame höchstpersönlich. OTON FRIEDEMANN SCHRENK 4 „Mary Leakey hab ich selbstverständlich kennen gelernt, hab auch mit ihr auch schon in Olduvai, da haben wir ihren 80. Geburtstag gefeiert, da haben wir in Olduvai-Schlucht übernachtet, in einem Camp, im Camp Leakey, ja, wie das so schön heißt. Mary Leakey war ne tolle Frau, sehr überzeugt, dass sie immer alles richtig gemacht hat, und das hat sie wahrscheinlich auch.“ MUSIK SPRECHER: Man geht davon aus, dass der Stammbaum der menschlichen Vorfahren sich vor etwa sechs bis sieben Millionen Jahren von dem der Affen getrennt hat. Doch wo liegt die Wiege der Menschheit? Als Marys Mann, Louis Leakey, in den 1920er Jahren begann, in Ostafrika nach Fossilien zu graben, war der Rassismus in den Köpfen vieler Wissenschaftler noch fest verankert. Afrika, so der Glaube, dieser wilde, dunkle, primitive Kontinent konnte nie und nimmer die Wiege der Menschheit sein. Einige glaubten, in Asien sei der Ursprung zu vermuten, doch für die meisten kam einzig und allein Europa in Frage. OTON FRIEDEMANN SCHRENK 5 Sie finden das bis heute, jetzt wo langsam klar wird, dass der biologische Ursprung der Menschheit in Afrika ist, gibt‘s immer noch Kollegen die nun wenigstens den „kulturellen Ursprung“ irgendwo der modernen Menschen, wenigstens den noch in Europa suchen wollen, aber das ist auch dabei zu zerbröseln, und letztendlich war das die Überzeugung der Leakeys schon immer gewesen dass es eben nur einen Ursprung gibt, und das ist Afrika.“ MUSIK SPRECHER: Eine der ergiebigsten Regionen für die Paläoanthropologie ist das ostafrikanische Grabensystem. Die exzellenten Ablagerungsbedingungen der Region führten hier zu einer Vielzahl an Fossilienfunden. Besondere Bedeutung fällt dabei der Olduvai-Schlucht zu, im Norden Tansanias, an der Grenze zu Kenia. Hier, in dieser Schlucht, haben Mary Leakey und ihre Familie den Großteil ihres Lebens verbracht, und mit spektakulären Funden wesentlich dazu beigetragen, die Paläoanthropologie regelmäßig ins Rampenlicht zu holen. ((Dass die Leakeys selber auch immer wieder für handfeste Skandale sorgten, hat ihrer Bekanntheit nicht geschadet. Im Gegenteil. SPRECHERIN: Für Mary verlässt Louis Leakey seine erste Ehefrau und die zwei kleinen Kinder. Für sie setzt er seine Karriere und sein Ansehen aufs Spiel. Mary Leakey aber kann sich behaupten und wird zu den angesehensten Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit gehören: die erste Frau, die von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaft die Linné-Medaille in Gold erhält, die die Ehrendoktorwürde nicht nur von Yale, sondern auch von Cambridge und Oxford verliehen bekommt. SPRECHER: Dabei hat sie nie einen regulären Schulabschluss gemacht. Mary Leakey liebt es zwar ihr Leben lang zu lernen. Aber sie hasst auch ihr Leben lang pädagogische Regeln und jede Art von formeller Schulbildung. Mary ist ein Freigeist wie ihr Vater, der Landschaftsmaler Erskine Nicol, ein Weltenbummler, der in Ägypten seine Frau Cecilia kennen und lieben lernt. MUSIK SPRECHER: Am 6. Februar 1913 kommt in London Erskines Tochter zur Welt, sein erstes und einziges Kind: Mary Douglas Nicol. Die Familie ist ständig auf Reisen. London wird die Sommerresidenz der Nicols, hier verkauft Erskine seine Gemälde und sammelt ausreichend Geld an für die Reisen während der Winter- und Frühlingsmonate. Er malt Landschaften in der Schweiz, in Italien und immer wieder in Frankreich. In der Dordogne sieht das Mädchen zum ersten Mal Höhlenmalereien aus der Steinzeit, und zeichnet die Motive detailgetreu nach. SPRECHERIN: Im Frühjahr 1926 endet Marys unbeschwerte Kindheit. Erskine Nicol erkrankt unheilbar an Krebs und stirbt. Ein traumatisches Erlebnis für die Familie. Mary, gerade erst 13 geworden, sucht ihren Ausweg in Rebellion. Zurück in England, torpediert sie jegliche Art von Erziehung und macht ihrer Mutter und ihren Lehrern das Leben zur Hölle. Sie entschließt sich nur das zu lernen, was sie wirklich interessiert. Ihre Mutter aber hat andere Pläne: Mary soll eine gediegene Schulausbildung erhalten und sesshaft werden. ZITATORIN MARY LEAKEY: „Meine Mutter dachte: gute katholische Kinder gehen in ein gutes katholisches Nonnenkloster, um eine gute katholische Erziehung zu genießen. Unglücklicherweise befand sich gleich bei uns ums Eck solch ein Kloster. Fast ein Jahr musste ich mich dort durch den Unterricht quälen. Meine Taktik, mich vor dem Poesieunterricht im Heizkeller zu verstecken, erzürnte die Nonnen. In der Klasse hätte ich ein Gedicht laut aufsagen sollen. Nun sollte ich zur Strafe vor der gesamten versammelten Schule das Gedicht vortragen. Doch ich weigerte mich auch nur ein Wort zu sagen. Damit verwies mich die Mutter Oberin von der Schule. Wir zogen nach Wimbledon, wo es leider ein Ursulinen-Kloster gab, das ich besuchen musste. Auch dort lernte ich nichts was von Nutzen gewesen wäre und auch dort wurde ich nach einem Jahr unehrenhaft entlassen. Zum einen täuschte ich einen Tobsuchtsanfall vor und benutzte Seife, um Schaum vorm Mund zu simulieren. Zum anderen kam es zu einem Zwischenfall im Chemielabor.“ ZITATORIN MARY LEAKEY: „Die Explosion, an der ich zugegeben ganz eindeutig schuld war, hörte man im ganzen Kloster. Viele Nonnen kamen angelaufen, was den meisten von ihnen ganz gut tat. Meine Karriere als Schülerin fand damit allerdings ein abruptes Ende.“ SPRECHER: Dass sie ohne Schulabschluss nicht studieren kann, findet Mary zwar ärgerlich, es hält sie aber auch nicht davon ab, ihrem Traumberuf nachzugehen. MUSIK Systematisch arbeitet sie daran, Archäologin zu werden und assistiert bei Grabungen. Bald fällt Mary zum einen durch eine rigorose Präzision auf, die ihr Markenzeichen werden soll, zum anderen durch ihr Talent, detaillierte Zeichnungen von den Fundstücken anzufertigen. So wird Mary Nicol, gerade 20-jährig, weiterempfohlen. Ein aufstrebender Afrikaforscher namens Louis Leakey sucht eine begabte Zeichnerin, die sein Buch, Adams Vorfahren, illustrieren könnte. Louis ist begeistert von der brünetten Wissenschaftlerin mit den stechend blauen Augen. Aus dem Arbeitsverhältnis wird bald eine Affäre. Zwei Seelenverwandte seien sie gewesen, haben Mary und Louis immer wieder gesagt. SPRECHERIN: Leakey zählt zur Speerspitze der Forschung, als er Mary 1933 kennenlernt. Die Affäre wird aber alles ins Wanken bringen. Der Grund: Louis Leakey ist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter. Zudem ist seine Frau Frida mit dem zweiten Kind schwanger. Louis, der schon vor Mary etliche Affären hatte, wartet noch, bis das Kind geboren ist, dann beichtet er Frida alles. Mary, die mit anwesend ist, erinnert sich in ihrer Autobiografie: ZITATORIN MARY LEAKEY: „Frida bebte vor Wut, und als betrogene Ehefrau hatte sie auch allen Grund dazu. Mit bewundernswerter Offenheit sagte sie, was sie von uns beiden hielt. Genau erinnere ich mich nicht mehr an ihre Worte, aber im Groben und Ganzen hielt sie Louis für einen gemeinen Schuft und für einen Verräter, der sie und ihre Kinder hintergangen habe. Mich betitelte sie als wertloses Luder, das Louis verführt habe, ohne einen Funken Anstand und Moral. Dann ging sie, und untersagte Louis fortan jeglichen Kontakt zu seinen Kindern.“ SPRECHERIN: In Cambridge ernten Louis und Mary nichts als Verachtung, Freunde und Kollegen ziehen sich zurück, an Forschungsgelder und Sponsoren ist in der Situation kaum zu denken. Schließlich kehren beide England den Rücken, heiraten, und beginnen ein neues Leben, in Afrika. Ihr Ziel: die Olduvai-Schlucht, die bislang nur rudimentär erforscht wurde. MUSIK SPRECHERIN: Am Rande der Serengeti schlagen die beiden ihr Lager auf, inmitten der Jagdgründe von Löwen, Hyänen und Schakalen. Es wird ein Abenteuerleben, in das sich Mary Leakey intensiv stürzt. Aus Liebe zu Louis, aber auch aus eigenem Ehrgeiz. Sie bekommt drei Söhne, Jonathan, Richard und Philip. Mary genießt es, wenn die Kinder während der Grabungsarbeit in Sichtweite sind, aber nur, wenn die Kleinen sich selbst beschäftigen. Die Leidenschaft für die Arbeit bleibt immer größer als die Mutterliebe: ZITATORIN MARY LEAKEY: „Ich war nicht gewillt, der Mutterschaft zu erlauben, meine Arbeit zu stören.“ SPRECHER: Ein halbes Jahrhundert lang wird Mary Leakey unter der sengenden Sonne Ostafrikas arbeiten, auf Knien mit einfachen Werkzeugen im Staub und Geröll graben, und Millionen Jahre alten Schotter nach Fossilien durchforsten, immer auf der Suche nach Fundstücken, die Licht ins Dunkel der menschlichen Evolution bringen können. MUSIK SPRECHER: In Kenia macht Mary Leakey ihren ersten bedeutenden Fund. Im Oktober 1948 entdeckt sie auf der Insel Rusinga im Victoriasee einen 18 Millionen Jahre alten Schädel. Ein „Proconsul africanus“, aus der Frühphase der Entwicklung der Menschenaffen. Elf Jahre später gelingt ihr ein weiterer Sensationsfund, diesmal in Olduvai. Nach fast drei Jahrzehnten erfolgloser Grabungsaktivitäten in der Schlucht zahlt sich die Beharrlichkeit der Leakeys aus. Es ist der 17. Juli 1959. Louis liegt mit Fieber im Camp, Mary aber entschließt sich mit dem Range Rover und zweien ihrer geliebten Dalmatiner-Hunde zu einer Grabungsstelle in der Schlucht zu fahren. Stundenlang sucht sie die Erdoberfläche ab, und will, als die Mittagshitze sie müde macht, wieder zurückkehren. Da fällt ihr Blick auf einen hervorstehenden Knochen. ZITATORIN MARY LEAKEY: „Das Stück schien zu einem Schädel zu gehören, sah hominid aus, aber die Knochen wirkten viel zu dick und kräftig. Ich nahm einen Pinsel und legte mehr von diesem Kieferknochen frei. Ein mächtiges Gebiss wurde sichtbar.“ SPRECHER: Mary rast zum Camp zurück, weckt Louis und führt ihn zur Fundstelle. Zum Schädel, der als „Nussknacker-Mensch“ in die Geschichte eingehen wird. Louis nennt die Gattung Zinjanthropus, nach dem alten arabischen Wort „Zinj“ für Ostafrika. Heute wird der Fund oft auch der Gattung „Paranthropus“ zugeordnet, wortwörtlich heißt das „neben dem Menschen“. Auf dem Stammbaum unserer Vorfahren findet sich der Nussknacker-Mensch auf einer ausgestorbenen Seitenlinie. Sein Gebiss bleibt aber auch heute noch beeindruckend, erklärt Friedemann Schrenk. OTON FRIEDEMANN SCHRENK 8 „Der Unterkiefer ist sehr mächtig, die Zähne sind ungefähr drei Mal so groß wie bei uns heute und die Kaumuskulatur die an der Seite sitzt außen, die bei uns auf halber Höhe aufhört am Schädel, die geht bei denen bis auf den Kopf, und stößt dann in der Mitte von beiden Seiten zusammen, so dass sich dann ein Knochenkamm bildet, deswegen hat dieser Zinjanthropus wie er genannt wurde, so einen Knochenkamm auf dem Schädel, also ist ne Kombination von Kiefer, Zähne und Muskulatur, und alles zusammengenommen ist - wenn man so will - eine Nussknacker-Konstruktion.“ SPRECHER: Dieser Nussknacker-Mensch schiebt die Leakeys mit einem Schlag ins weltweite Rampenlicht. Sie landen auf den Titelseiten der New York Times, der London Times und beginnen eine langjährige Zusammenarbeit mit der National Geographic Society. Filmteams, Reporter und natürlich auch viele Wissenschaftler besuchen Camp Leakey in regelmäßigen Abständen. MUSIK Zahlreicher werden die Funde, diffiziler die Kategorisierung in Gattungen und Arten. In der Ehe der Leakeys beginnt jedoch zu kriseln. Louis hat etliche Affären, bis es Mary schließlich reicht. Ihre Wege trennen sich. Sie leitet nun in alleiniger Verantwortung die Grabungsarbeiten in der Olduvai-Schlucht. Nach Louis Tod 1972 muss sie auch noch die Öffentlichkeitsarbeit übernehmen, Vorträge halten und Spendengelder eintreiben. Im Gegensatz zu Louis ist ihr all der Trubel unangenehm, der 1978 seinen Höhepunkt findet, als Mary ihren wichtigsten Fund, die Fußabdrücke von Laetoli, öffentlich macht. MUSIK SPRECHERIN: Die Ruhe. Die Einsamkeit der Savanne. Die ausgedehnten Spaziergänge mit ihren Dalmatinern. Ungestörte Grabungen. Das ist es, was Mary Leakey fasziniert. Und die einzigartige Landschaft von Olduvai. MUSIK ZITATORIN MARY LEAKEY: „An diesem Anblick kann ich mich nie satt sehen. Vor über einem halben Jahrhundert kam ich mit Louis zum ersten Mal nach Olduvai. Und noch immer bin ich verzaubert, egal ob es Regenzeit ist oder extrem trocken, ob die Sonne mittags vom Himmel brennt, oder die Abenddämmerung anbricht. Olduvai fühlt sich immer gleich an, und immer anders. Dies ist mein Zuhause geworden.“ SPRECHERIN: Als Mary Leakey im Dezember 1996 im Alter von 83 Jahren stirbt, erfüllen ihr ihre Söhne den letzten Wunsch und verstreuen ihre Asche in der Olduvai-Schlucht. SPRECHERIN: Mittlerweile ist die Straße nach Olduvai geteert und es gibt vor Ort ein Museum zu Ehren von Mary Leakey und ihrer Entdeckungen. Auf ihre umfangreiche Forschungsarbeit stützen sich Paläoanthropologen wie Friedemann Schrenk bis heute. MUSIK OTON FRIEDEMANN SCHRENK 9 „Für mich bleibt von Mary Leakey die Faszination für diese Wissenschaft. Etwas zu entdecken, was noch nie vorher jemand gesehen hat, ihre Liebe zu Afrika und die ungeheure Energie, die sie da reingesteckt hat und diese Wissenschaft geprägt hat, die moderne Paläoanthropologie. Ohne Mary Leakey wäre unsere Wissenschaft nicht so wie sie ist.“

Erkundung der bis dahin in Europa weitgehend unbekannten Sahara. Wie gefährlich das Vorhaben ist, merkt der deutsche Forscher schon nach wenigen Wochen, als er sich bei sengender Hitze in der vegetationslosen Region verirrt. Nachdem Barth gerade noch dem Verdursten entkommt, setzt er seinen Weg äußerst umsichtig und mit großem Respekt vor den Einheimischen fort. Barth lernt in den kommenden fünf Jahren viele lokale Sprachen und passt sich der Lebensweise der Menschen an. Von Linus Lüring (BR 2017) Credits Autor: Linus Lüring Regie: Dorit Kreissl Es sprachen: Rainer Buck, Rahel Comtesse, Jerzy May Technik: Miriam Böhm Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. Dr. Klaus Schneider (war bis 2018 Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums) Linktipps: BR (2019): Die Geschichte der Sahara – Seen im Sand Inmitten der Sahara liegen seit Jahrtausenden die Seen von Ounianga. Ihre Existenz verdanken sie Regen, der vor mehr als 5.000 Jahren fiel. Denn die Sahara war nicht immer eine Wüste. JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/die-geschichte-der-sahara-seen-im-sand/bayern-2/78750488/] SWR (2015): Timbuktu, Mali Zentrum islamischer Gelehrsamkeit - so zumindest stellte sich Timbuktu den Menschen des 19. Jahrhunderts dar, als nach Timbuktu zu gelangen noch ein gefährliches Abenteuer war. Eine Stadt in der Wüste und scheinbar aus Sand gebaut. Die Bewohner beleben das allgemeine Lehmbraun mit ihrer bunten Kleidung. Die Nahrungsmittel werden über hunderte Kilometer auf dem Niger herbeigeschifft, und es ist nach wie vor ein Abenteuer, nach Timbuktu zu gelangen. Die Lehm-Moscheen bestimmen immer noch das Stadtbild, wenn nicht Sandstürme alles begraben. Die islamische Universität hat allerdings nicht mehr die Bedeutung früherer Jahrhunderte. JETZT ANSEHEN [https://www.ardmediathek.de/video/schaetze-der-welt/timbuktu-mali-folge-79/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS83MjAzMTE2] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE [https://www.ardaudiothek.de/sendung/tatort-geschichte-true-crime-meets-history/88069106/]“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK Sprecher Vor 24 Stunden hatte Heinrich Barth zum letzten Mal etwas getrunken. Jetzt steigt die Sonne erbarmungslos immer höher. An Schatten ist nicht zu denken, die wenigen Bäume sind verdorrt. Der junge Deutsche ist allein unterwegs und weiß, dass er bald verdursten wird. In seiner Verzweiflung schneidet er sich in den Arm und trinkt sein eigenes Blut, um den Durst zu stillen. Dann fällt er in Ohnmacht. In der sengenden Hitze dämmert Barth dahin. Doch am Abend weckt ihn plötzlich der Schrei eines Kamels. ATMO Schrei eines Kamels Zitator Der klangreichste Ton, den ich je im Leben gehört! Ich erhob mich etwas vom Boden und sah einen Targi in einiger Entfernung langsam nach allen Seiten umherspähend, vor mir vorbeireiten. Ich öffnete meine trockenen Lippen, mit meiner geschwächten Stimme „Wasser, Wasser“ rufend. Sprecher Die Rettung für Heinrich Barth kommt in letzter Minute. Beinahe wäre sein Traum – das nördliche Afrika zu erforschen – schon hier im kargen Idinen-Gebirge am Rand der Sahara zu Ende gewesen. Jetzt aber lernt Barth aus dieser Erfahrung. Er teilt seine Kräfte künftig besser ein und riskiert nie wieder bei Alleingängen sein Leben. Das ist die Basis für eine beeindruckende Pionierleistung, die aber jahrzehntelang völlig in Vergessenheit geraten wird. MUSIK Sprecherin Einige Wochen vorher, im März 1850, hat sich Heinrich Barth in Tripolis mit einer Expedition im Auftrag der britischen Regierung auf den Weg in Richtung Süden gemacht. Neben dem damals 29-jährigen Barth sind noch der deutsche Geologe Adolf Overweg und der Leiter der Expedition dabei, der britische Missionar James Richardson. Begleitet werden sie von einheimischen Führern und dutzenden Kamelen. Zuerst wollen sie die Sahara durchqueren und dann weiter in Richtung Tschadsee vorstoßen. Ihr Auftrag: Sie sollen das nördliche Afrika erforschen und dabei Absatzmärkte für britische Waren erschließen. Vor den Männern liegt ein Gebiet, das zur damaligen Zeit in Europa größtenteils noch unbekannt ist. Es gibt wenig verlässliche Informationen, stattdessen Gerüchte über angriffslustige Nomadenvölker, wilde Tiere und Dürren. Wie gefährlich die Expedition ist, das werden die Europäer schnell spüren. Barth wird der Einzige der drei sein, der die Forschungsreise überlebt. MUSIK Sprecher Nachdem sich Barth von seinem lebensgefährlichen Alleingang erholt hat, zieht die Karawane weiter in Richtung Air-Gebirge. Die wasserlose Region ist sagenumwoben, noch nie waren Europäer bis hierher vorgedrungen. MUSIK Sprecherin Schon nach wenigen Tagen gerät die Expedition in einen Hinterhalt. Dutzende Tuareg, bewaffnet mit Schwertern und Speeren, überfallen die Karawane. Sie haben es auf die mit unzähligen Kisten und Gepäckstücken beladenen Kamele abgesehen. Die Expedition verliert etwa ein Viertel der Lebensmittelvorräte und andere Güter. Während Expeditionsleiter Richardson schon mit dem sicheren Tod rechnet, tritt Heinrich Barth den Nomaden entschlossener entgegen. Schließlich kommen die drei Christen nach zähen Verhandlungen mit dem Leben davon. Sprecher Immer wieder wird Heinrich Barth bei der weiteren Reise bedrohliche Situationen erleben. Dennoch begegnet er den Einheimischen mit großem Respekt. Stets sucht er den Kontakt mit Ihnen und schließt viele Freundschaften. Dies ermöglicht ihm tiefe Einblicke in die Kulturen Nordafrikas. Dass Barth in Afrika so gewinnend auftritt, war keineswegs zu erwarten gewesen. In Deutschland galt Heinrich Barth als Einzelgänger, ja sogar als beziehungsunfähig. MUSIK Sprecherin Im Februar 1821 wurde er als Sohn einer Kaufmanns-Familie in Hamburg geboren. Seine Eltern achteten auf Fleiß und eiserne Disziplin, Merkmale, die Barths Persönlichkeit prägten. Ein Mitschüler beschrieb ihn zwar als kränklich und schwach, fügte aber bewundernd hinzu, dass er im Winter in Eiswasser schwamm, um seinen Körper zu stärken. Bald soll Barth dann eine stattlichere Statur gehabt haben, trotzdem fanden ihn viele ziemlich merkwürdig, wie ein Klassenkamerad festhielt. Zitator Namentlich hieß es von ihm, dass er sich privat und ohne alle Anleitung mit dem Arabischen beschäftige, was uns gedankenlosen Schuljungen denn freilich als der Gipfel aller Verrücktheit erschien. Sprecherin Auch später im Studium hatte er wenig Kontakt zu anderen, stattdessen war er getrieben vom Wissensdrang, also studierte er in Berlin nicht nur Geschichte, sondern gleich auch noch Geografie, Jura und Germanistik. Nach der Promotion brach er zu einer Reise ums südliche Mittelmeer auf. Dass er unterwegs angeschossen und ausgeraubt wurde, warf ihn nur kurz aus der Bahn. Zu fasziniert war er von den antiken Stätten und den unterschiedlichen Kulturen, denen er in Tunesien oder Syrien begegnete. Sprecher Obwohl ständig von Hunger und Geldsorgen geplagt, notierte er doch alle möglichen Details zu Namen, Entfernungen und Begegnungen. Daraus verfasste er später seine Habilitationsschrift in Geographie. Trotz dieser enormen Leistung erfüllte sich sein großer Wunsch nicht – eine eigene Professur. Er schafft es nicht, andere mit seinen enormen Kenntnissen zu begeistern. Seine Vorlesungen sind schlecht besucht. Entmutigt zieht Barth sich zurück und blickt einer unsicheren Zukunft entgegen. Sein Schwager charakterisiert ihn so: Zitator Sein Selbstgefühl erlaubt ihm nicht, sich zur rechten Zeit zu beugen. Er ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens. Sprecherin Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine Expedition in unbekannte Gebiete, bei der es auf Diplomatie und Offenheit ankommen wird. Trotzdem: Für Barth kam die Einladung zur Teilnahme gerade recht. Die Briten wollten von seiner akribischen Arbeitsweise profitieren. Und dem ehrgeizigen Wissenschaftler wurde zugesichert, dass er - wenn er mit herausragenden Ergebnissen nach Europa zurückkehrt - eine passende Professur bekommt. Darauf verließ sich Barth. Hochmotiviert brach er auf nach Afrika. Während der Expedition wird er ein anderer Mensch werden. MUSIK Sprecher Im Januar 1851, knapp neun Monate nach dem Aufbruch, haben die Männer um Heinrich Barth bereits dreieinhalbtausend Kilometer zurückgelegt. Langsam lassen sie die Sahara hinter sich und sehen jetzt die ersten Kornfelder im Norden des heutigen Nigeria. Sprecherin Für Barth kommt die Karawane zu langsam voran, außerdem nerven ihn die ständigen finanziellen Sorgen, denn der Geldnachschub aus England ist schon seit längerem ausgeblieben. Allein wäre er nicht nur schneller und günstiger, sondern auch unauffälliger und damit sicherer unterwegs, hofft er. Expeditionsleiter Richardson stimmt schließlich zu, dass die drei Europäer sich trennen. Für die umfangreichen Forschungsarbeiten Barths und auch des anderen Wissenschaftlers Adolf Overweg hat er ohnehin immer weniger Verständnis. Die Männer vereinbaren, sich drei Monate später im 700 Kilometer entfernten Kukawa wiederzutreffen, der Hauptstadt des mächtigen Bornu-Reiches am Tschad-See. Sprecher Heinrich Barth zieht mit neuer Energie und nur wenigen Begleitern weiter. Dass er nun seinen Weg selbst bestimmen und ungehindert die Gegenden, die vor ihm liegen, erforschen kann, macht ihn glücklich. Wie besessen versucht er jedes Detail festzuhalten. Seine breite Bildung in Archäologie, Geographie und Linguistik ist dabei ein Schlüssel für bemerkenswerte Erkenntnisse. Sprecherin Schon kurz nach der Abreise hatte der deutsche Forscher im heutigen Libyen einige jahrtausendealte Felsbilder entdeckt. Weil er dort, mitten in der Wüste, Zeichnungen von Elefanten und Flusspferden sah, begriff er als erster überhaupt, dass die Region einen gewaltigen Klimawandel erlebt hat. Solche Erkenntnisse notiert er akribisch. Seine Schriften gibt er dann von Zeit zu Zeit Karawanen in Richtung Norden mit. Barths Briefe sind monatelang unterwegs, bis sie in Europa eintreffen. MUSIK Sprecher Im März 1851, kurz vor Kukawa, dem vereinbarten Treffpunkt der drei Europäer, reiten Boten Heinrich Barth entgegen. Die Nachricht, die sie überbringen dämpft seinen Optimismus empfindlich. Expeditionsleiter Richardson ist vor wenigen Tagen an Entkräftung gestorben. Auf einmal muss sich Barth die Frage stellen, wie es mit der Expedition weitergeht. Er schreibt deshalb an die britische Regierung in London mit der Bitte um Anweisungen. Dabei steht er vor einem weiteren Problem: Der Deutsche weiß nicht, wie der mächtige Scheich von Bornu ihn in Kukawa empfangen wird. Weil Adolf Overweg noch nicht eingetroffen ist, muss er allein, ärmlich gekleidet und nach Richardsons Tod auch ohne offiziellen Auftrag in die Stadt einreiten. Sprecherin Unsicher reitet Heinrich Barth auf die in der Sonne schimmernden, weißen Lehmmauern der Stadt zu. Doch er wird erst vom Wesir, dem wichtigsten Minister des Scheichs und später von Scheich Omar selbst wohlwollend begrüßt und dann zu einem üppigen Abendessen eingeladen. Und obwohl er fast keine Gastgeschenke mitbringt, wird Barth sogar ein geräumiger Lehmziegelbau zugewiesen. Sprecher Schon nach wenigen Tagen ist es ihm gelungen, das Vertrauen des Scheichs zu gewinnen. Er wird mit Unterbrechungen insgesamt über ein Jahr in Kukawa verbringen. Sprecherin Es scheint paradox. In Europa ist Heinrich Barth noch der zurückgezogene, abweisende Einzelgänger. In Afrika tritt er dagegen völlig anders auf, erklärt Professor Klaus Schneider: ZUSP Schneider 1 Er hatte anscheinend ein ganz großes Geschick oder große Ausstrahlung diesen Menschen gegenüber. Er hatte überall, wo er war, und das sagt er in einem ganz berühmten Satz, überall wo ich gewesen bin, habe ich Freunde hinterlassen. Und das hat er auch ganz früh zu einer Methode gemacht und er sagte, man muss mit diesen Menschen persönlich in Kontakt geraten, und sie müssen sich um dich kümmern. Sonst wird das nicht gut gehen. Sprecherin Barth profitiert dabei auch von seinem außerordentlichen Sprachtalent. Innerhalb weniger Wochen schafft er es oft die Sprachen der Regionen, durch die er gerade reist, zu lernen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dolmetscher braucht er so gut wie nie. Und noch etwas hilft ihm. Er hat keine Berührungsängste mit dem Islam, der in Nordafrika dominierenden Religion. Im Gegenteil, während in Europa im 19. Jahrhunderts der Antiislamismus weit verbreitet ist, faszinieren ihn die islamischen Einflüsse auf Wissenschaft und Kunst. In vielen Gegenden kleidet er sich sogar wie ein Muslim und reist unter dem Pseudonym „Abd el Karim“, übersetzt: „der Diener des Höchsten“. Ein gewaltiger Unterschied zu anderen Afrika-Forschern vor ihm, wie etwa Mungo Park. Sie bevorzugten bewusst europäische Kleidung um sich als Höherstehende abzugrenzen. Sprecher Mitte des Jahres 1852 ist Kukawa, die Hauptstadt des Bornu-Reiches, für Heinrich Barth seine „afrikanische Heimat“ geworden, wie er selbst sagt. Von hier aus unternimmt er monatelange Exkursionen ins Umland, begleitet von Adolf Overweg, der mit einigen Wochen Verspätung doch noch angekommen ist. Dabei bereisen sie Gebiete, die in Europa nicht mal dem Namen nach bekannt sind. Dann, nach über einem Jahr, kommt endlich ein Brief aus London. Für Barth wird das einer der „glücklichsten Tage seines Lebens“, wie er sagt: denn die britische Regierung bestimmt ihn zum neuen Leiter der Expedition. Mit diesem offiziellen Auftrag kann er schließlich den Handelsvertrag für Großbritannien mit dem Scheich abschließen – eines der Hauptziele der Expedition ist damit erreicht. Außerdem bekommt Barth lang ersehnte finanzielle Unterstützung. Nun kann er die weitere Route der Expedition selbst bestimmen. Und da fasst Heinrich Barth einen Ort ins Auge, der in Europa damals einen mythischen Ruf hatte – Timbuktu. MUSIK Sprecherin Unvorstellbar reich soll die Wüstenstadt sein. Es heißt sogar, dass die Häuser mit Gold überzogen seien. Allerdings sind das eben nur Erzählungen. Wohl erst zwei Europäer haben Timbuktu bisher erreicht. Ihre jahrzehntealten Berichte sind ent-weder nicht überliefert oder werden angezweifelt. Barth möchte herausfinden, wie es in der Stadt wirklich aussieht. Er weiß, dass die Reise etwa ein Jahr dauern wird: von Kukawa nach Timbuktu sind es mehr als 2000 Kilometer. Trotzdem ist der deutsche Wissenschaftler voller Tatendrang. Aber kurz vor dem geplanten Aufbruch dann ein Rückschlag: Adolf Overweg stirbt an Malaria. Barth ist tief erschüttert, denn Overweg war für ihn zu einem wichtigen Freund geworden. Den-noch bleibt er bei seinem Ziel - er will Timbuktu unbedingt erreichen. Im November 1852 bricht er mit acht Begleitern sowie einigen Pferden und Kamelen auf. Sprecher Auf dem Weg nach Westen, in Richtung Timbuktu erlebt Barth, wie er später schreibt, „ununterbrochene Kriegsführung und Gewalttätigkeit“. Immer wieder müssen er und seine Begleiter deshalb große Umwege machen. Einmal reiten sie 30 Stunden ohne wirkliche Rast, in der ständigen Angst entdeckt zu werden. Dabei spürt Heinrich Barth die Überanstrengung immer deutlicher. Seit knapp drei Jahren ist er jetzt schon unterwegs. Rheuma, Fieber oder Skorpionstiche quälen ihn immer wieder. Dazu kommt die einseitige Ernährung: Auf dem Weg nach Timbuktu zum Beispiel gibt es monatelang fast nur Hirsebrei. Trotzdem treibt ihn eiserne Disziplin vorwärts, mit teilweise bizarren Folgen: Zitator Bald begann ich die Qual der Übermüdung zu fühlen. Um nicht im schläfrigen Zustande vom Kamele zu fallen, war ich genöthigt, einen großen Teil der Nacht mich zu Fuße hinzuschleppen, was nicht eben angenehm war. Sprecher Dass Barth es dabei schafft, seine Forschungsarbeiten nicht zu vernachlässigen, wirkt fast übermenschlich. Doch genau das bringt ihn jetzt in zusätzliche Schwierigkeiten. Weil er ständig Gebäude oder Landschaften zeichnet und sogar lange Vokabellisten für verschiedenste Sprachen anlegt, ist er vielen Afrikanern suspekt. In die Zeit fallen auch Berichte, dass französische Truppen beginnen, den Nordwesten Afrikas zu erobern. Für viele Einheimische steht deshalb fest: Barth muss ein Spion sein, der eine Invasion vorbereitet. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Sprecherin Während viele Europäer Afrika zur damaligen Zeit als Kontinent ohne Geschichte sehen und Afrikaner für primitive Wilde halten, fehlen bei Heinrich Barth solche rassistischen Bemerkungen. Er ist überzeugt, dass den afrikanischen Gesellschaften eine große Gefahr droht. Professor Klaus Schneider: Zusp. Schneider 2 Also ich glaube der Kolonialismus, der sich anbahnte, der war für Barth schon gefühlt. Er war sicher, dass die Europäer Afrika überrennen würden. Und er sagt dann ja auch an manchen Stellen, er hätte davon geträumt, dass er an der Spitze eines panafrikanischen Heeres gegen die europäischen Kolonialmächte angehen würde. Und damit war er der einzige überhaupt zu der Zeit, der sich in irgendeiner Art und Weise wirklich artikuliert auf die Seite der Afrikaner gestellt hat. Sprecherin Ein Europäer an der Seite Afrikas – Heinrich Barth wird noch spüren, dass er sich mit dieser Einstellung nicht nur Freunde macht. Sprecher Endlich. Im September 1853 hat es Heinrich Barth trotz aller Widrigkeiten geschafft. In der Ferne taucht vor ihm die Stadt seiner Sehnsucht auf -Timbuktu. Doch der Anblick ist für den mittlerweile 32-jährigen eine Enttäuschung. MUSIK Zitator Ihre dunklen, schmutzigen Tonmassen waren kaum vom Sande und umher aufgehäuften Schutt zu unterscheiden. Denn der Himmel war dick überzogen und mit Sand erfüllt. Sprecher Für Barth wird Timbuktu trotzdem eine der wichtigsten Stationen. Denn hier freundet er sich mit Scheich Al-Bakkai an, einem der berühmtesten Koran-gelehrten Westafrikas. Der mächtige Mann beschützt Barth als feindliche Herrscher herausbekommen, dass der Fremde Christ ist. Außerdem führen die beiden Männer lange Gespräche über die Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum. Und Al-Bakkai gewährt ihm Einblicke in bedeutende historische Dokumente. So kann Barth die Geschichte der westafrikanischen Reiche erstmals umfassend nachvollziehen. Dabei bleibt seine Lage lebensgefährlich, mehrmals muss der Forscher Timbuktu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. In dieser Zeit reißt auch der Kontakt nach Europa völlig ab. In der Heimat kursiert bereits die Nachricht, dass Heinrich Barth ums Leben gekommen sei, und zahlreiche Nachrufe werden verfasst. Sprecherin Nach sechs Monaten in Timbuktu macht sich Heinrich Barth Anfang 1854 auf den Rückweg nach Europa. Im August 1855 erreicht Barth völlig erschöpft wieder Tripolis. Hinter ihm liegen über 15.000 Kilometer in fünfeinhalb Jahren. Als Heinrich Barth sich dann nur wenige Tage später auf die Weiterreise nach London macht, ist er sich sicher, dass das, was er zu berichten hat, in Europa für Furore sorgen und ihn in Wissenschaftskreisen weit bringen würde. Sprecher Doch angekommen in London erfährt er, dass England und Frankreich ihre Interessensgebiete in Nordafrika inzwischen abgesteckt haben. Die Gebiete, in denen Heinrich Barth Handelsverträge für England abgeschlossen hat, liegen jetzt im französischen Einflussbereich. Die zähen Verhandlungen Barths waren umsonst. Schwer enttäuscht schreibt er seinen Reisebericht. Bereits zwei Jahre später erscheint das Werk auf Deutsch und Englisch. Auf 3.500 Seiten erklärt Heinrich Barth in fünf Bänden geografische und sprachliche Details, schildert politische und wirtschaftliche Beziehungen und beschreibt Personen, die er getroffen hat. Doch anders als die Bücher früherer Afrikareisender wird das Werk ein Ladenhüter. Es ist zu detailliert, zu wenig spannend geschrieben. Der nächste Rückschlag für Barth. Wehmütig denkt er an seine Reisejahre zurück: MUSIK Zitator Wie sehne ich mich nach einem freien Nachtlager in der Wüste. Wo ohne Ehrgeiz, ohne Sorge um die tausend Kleinigkeiten, die hier den Menschen quälen, ich mich im Hochgenuss der Freiheit nach Beendigung des Tagesmarsches auf meine Matte zu strecken pflegte. Sprecher Aber statt nach Nordafrika, kehrt Barth nun nach Deutschland zurück und wird wieder enttäuscht. Die versprochene Professur bekommt er nicht, stattdessen spürt er breite Ablehnung. Viele nehmen ihm übel, dass er im Auftrag der Briten unterwegs war. Und dass er dazu den Kolonialismus deutlich kritisiert und den Islam bewundert, passt so gar nicht zum damaligen Zeitgeist. Professor Klaus Schneider: ZUSP: Schneider 4 Er hatte keine Möglichkeit in diese Wissenschaftskreise zu gelangen, von denen er sich dann die weitere Karriere versprochen hat. Das ist für ihn, glaube ich, auch ein Grund gewesen, zu resignieren und vielleicht auch durch diese Umstände depressiv zu werden und in Kombination mit einigen Krankheiten, die er aus Afrika mitgebracht hatte, dass er daran auch verstarb. MUSIK Sprecher Mit nur 44 Jahren stirbt Heinrich Barth zurückgezogen im November 1865 in Berlin. Lange gerät er dann in Vergessenheit. Erst 100 Jahre später wird sein Werk wiederentdeckt und die Bedeutung seiner Arbeit gewürdigt. Gerade weil er vorurteilsfrei den direkten Kontakt suchte, erkannte er als einer der ersten Forscher die reiche Vergangenheit Afrikas und wies nach, dass die These vom Kontinent ohne eigene Geschichte nicht haltbar ist. Doch das passte nicht in eine Zeit, die gerade die Kolonialisierung Afrikas vorbereitete.

Die Welt kann auch komplett anders funktionieren, als wir gemeinhin meinen. Das hat der Ethnologe Bronislaw Malinowski gezeigt. Er hat Anfang des 20. Jahrhundert auf abgelegenen Inseln im Pazifik gewohnt, hat die Sprache der Trobriander gelernt und hat ihren Alltag präzise beobachtet. Von Bettina Weiz (BR 2018) Credits Autorin: Bettina Weiz Regie: Kirsten Böttcher Es sprachen: Christiane Roßbach Technik: Regina Staerke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. Dr. Gunter Senft, Prof. Dr. Bettina Beer Besonderer Linktipp der Redaktion: ARD: Gold & Asche: Projekt Versicherungen Im Podcast “Gold & Asche: Projekt Versicherung" führen Antonia Mannweiler und Till Bücker in neun Folgen durch die komplizierte Welt der Versicherungen. Welche Versicherungen sind Pflicht – und auf welche kann man verzichten? Dafür haben sie mit zahlreichen Experten gesprochen: Versicherungsexperten, Professorinnen, Verbraucherschützer und Journalistinnen teilen ihr Wissen und geben wertvolle Einblicke in die Welt der Versicherungen. ZUM PODCAST [https://1.ard.de/gold-und-asche] Linktipps: SWR (2023): Feldforschung vor der eigenen Haustür – Die Ethnologin Juliane Stückrad Juliane Stückrad wollte eigentlich in Lateinamerika forschen, doch ihre ostdeutsche Heimat fand sie interessanter. In ihrem vielbeachteten Buch "Die Unmutigen, die Mutigen" zeigt sie Arbeits- und Lebenswelten im Wandel. JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/swr2-tandem/feldforschung-vor-der-eigenen-haustuer-die-ethnologin-juliane-stueckrad/swr-kultur/12040475/] ARD (2024): Papua-Neuguinea extrem – Hölle oder Paradies? Ein krasses Land! Papua-Neuguinea ist gefährlich, unberechenbar, faszinierend – und manchmal furchteinflößend. ARD-Korrespondent Florian Bahrdt und sein Team sind auf einem Roadtrip durchs Hochland von Papua-Neuguinea. Reisen dort ist eine mühsame Strapaze. Und sehr riskant. Brutale Kämpfe zwischen den Dörfern fordern täglich Tote und Verletzte. Raubüberfälle und Straßensperren sind an der Tagesordnung. Aber Papua-Neuguinea ist so viel mehr: „Expect the unexpected! Erwartet das Unerwartete!“, rät Mundiya Kepanga. Der Chief, der sich gerne im traditionellen Outfit zeigt und mühelos zwischen Regenwald und Klimakonferenzen wechselt, zeigt dem Team bedrohte und lebenswichtige Naturschätze der Insel. Warum ist Papua-Neuguinea noch so einzigartig? ARD-Korrespondent Florian Bahrdt sucht Antworten - und zwar dort, wohin sonst kaum jemand geht. JETZT ANSEHEN [https://www.ardmediathek.de/video/weltspiegel-doku/papua-neuguinea-extrem-hoelle-oder-paradies/ard/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3dlbHRzcGllZ2VsLWRva3UvMjAyNC0xMS0xN18xOC0zMC1NRVo] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE [https://www.ardaudiothek.de/sendung/tatort-geschichte-true-crime-meets-history/88069106/]“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ATMO und MUSIK Erzählerin: Es ist Sommer 1914. Ein Schiff dampft über die Weltmeere, an Bord: ein dreißigjähriger Herr. ATMO Schiffströte & Wellen Erzählerin: Er ist schlank, hat ein langes, schmales Gesicht, eine hohe Stirn, sinnliche Lippen und eine kleine, runde Brille: Bronislaw Malinowski. Ein Wissenschaftler durch und durch. Er hat in Krakau Mathematik und Physik studiert und ist Doktor der Philosophie geworden. An der Universität Leipzig hat er sich mit Psychologie und Wirtschaft befasst. Und dann hat er in London noch ein Studium abgeschlossen – das der Völkerkunde. Nun hat er einen Job auf einer Wissenschaftler-Konferenz ergattert. Deshalb ist er auf dem Dampfer. Die Konferenz findet nämlich in Australien statt, und immerhin kommt er so günstig ans andere Ende der Welt. MUSIK Erzählerin: Genau an dem Tag, an dem die Konferenz beginnt, bricht der Erste Weltkrieg aus. Plötzlich befindet sich Bronislaw Malinowski in Feindesland. Als Pole ist er Bürger der Donaumonarchie und damit Kriegsgegner Englands, zu dem Australien damals gehört. Die Regierung lässt ihm die Wahl: zurück nach Europa, also in den Krieg, oder in die Südsee. Malinowski wählt die Südsee. Er fährt nach Papua Neu Guinea und forscht – erst auf dem Festland, dann auf einer vorgelagerten Insel, dann noch weiter weg, so der Sprachwissenschaftler Gunter Senft, der selbst über Jahrzehnte in der Gegend gearbeitet hat. 1. Zsp. (Gunter Senft) Daraufhin hatte ihm sein Doktorvater Seligman da empfohlen, da auf die Rossell-Insel zu fahren, eine ganz weit abgelegene Insel in der Solomon-See, und auf dem Weg auf diese Inseln hat er eine Einladung von einem Offizier angenommen, ihn auf den Trobriand-Inseln zu besuchen. Das hat den damaligen Oberbefehlshaber und Verwalter der Kolonie Neu Guinea, Sir Hubert Murray, derart aufgeregt, dass er schon wieder ein eigenwilliges Experiment gemacht hat, dass er Malinowski angeordnet hat, er MUSS jetzt auf den Trobriand bleiben und dort Forschung betreiben. Wir verdanken also die Tatsache, dass wir diese exzellente Ethnographie über die Trobriand-Insulaner von Malinowski haben, der Tatsache, dass ein Verwaltungsbeamter verärgert über ihn war und ihn dort hat sitzenlassen. Erzählerin: Eine Ethnographie ist die Beschreibung des Lebens von Leuten, die die Welt anders verstehen und andere Dinge tun als man selbst. Die Völkerkundler vor Bronislaw Malinowski hatten auch Ethnographien verfasst – aber die Informationen dafür hatten sie meist aus zweiter oder dritter Hand. Einer der Großen von ihnen soll auf die Frage, ob er jemals persönlich einen Wilden, wie man damals sagte, getroffen habe, geantwortet haben: „Gott bewahre!“. Er bekam seine Daten, mit Hilfe von Fragebögen und von Kolonialbeamten und Missionaren, die wiederum einzelne Dorfbewohner zu sich auf die Verandas kommen ließen und diese befragten. MUSIK Erzählerin: Zunächst hatte auch Malinowski bei anderen Europäern gewohnt, die es in die Südsee verschlagen hatte. Er hatte abends bei ihnen zu Grammophonmusik Walzer getanzt und tagsüber im Dorf nebenan Frauen mit Baströcken bei Zeremonien zu Trommelrhythmen beobachtet. Aber immer mehr ärgerte er sich über Kolonialbeamte, die den Leuten in den Dörfern zum Beispiel die Schweinehaltung verboten oder Missionare, die ihnen ihre Religion ausreden wollten – und die Leute nicht verstanden. Da machte er aus der Not, dass er wegen des Krieges vier Jahre lang in der Südsee festsaß, die Tugend, dass er die Kulturen anders erforschte als die Kollegen vor ihm: vor Ort, im Felde, wie man damals sagte, kurz: in einer Feldforschung statt im Lehnstuhl zuhause oder von der Veranda anderer Weißer aus, weiß die Luzerner Völkerkunde-Professorin Bettina Beer. 3. Zsp. (Bettina Beer) Häufig wurden eben auch die Sachen beschrieben, die ganz besonders waren. Also Kopfjagd, Kannibalismus, Dinge, die gruselig waren oder komisch oder erschreckend, und er hat eben gesagt, um verstehen zu können, wie die Lebensweise von den Menschen ist, muss man sich eigentlich mit allem beschäftigen, auch mit dem ganz Banalen, mit dem Alltäglichen. Erzählerin: Bronislaw Malinowski beschreibt, wie er jeden Morgen unter seinem Moskitonetz hervorkroch und einen Spaziergang durchs Dorf machte, wie er dabei sah, wie vor den palmblattgedeckten Hütten Essen gekocht wurde, Kinder spielten, Paare sich stritten oder sich liebten, wie er in den Gärten bei der Yams-Ernte war, an Fischzügen auf den kunstvoll gebauten Katamaran-Segelbooten teilnahm oder mit den Leuten Kämme schnitzte, wie er sich am Abend lange am Feuer mit ihnen unterhielt, scherzte und bei spannenden Geschichten mitfieberte – und wie er dadurch viel mehr verstand, als wenn er nur für ein paar Stunden am Tag einen bezahlten, lustlosen Informanten befragt hätte. Selbstverständlich lernte der polnische Kulturforscher dabei auch die Sprache der Trobriander, das Kiliwila. Und zwar ohne dass er dafür Lehrer, Kurse oder Sprachbücher zur Verfügung gehabt hätte, betont der Sprachwissenschaftler Gunter Senft. 4. Zsp. (Gunter Senft) Er musste unglaublich sprachbegabt gewesen sein, das stammt wirklich auch aus der Jugend her, seine Mutter hatte ihn ausgesprochen stark gefördert, sein Vater selber war auch Sprachwissenschaftler, der war Dialektologe an einer polnischen Universität, und Malinowski hat schon mit etwa 18 oder 20 Jahren Italienisch, Latein, Englisch, Französisch, Deutsch gesprochen. Ich hab die erste Grammatik des Kiliwila geschrieben – bei meinem Versuch, Informationen über grammatische Strukturen in der Literatur zu finden, waren die einzigen verlässlichen Daten die Aufzeichnungen von Malinowski. MUSIK Erzählerin: Bronislaw Malinowski war in einer gelehrten polnischen Familie im multikulturellen Habsburgerreich groß geworden. Er hatte im großstädtischen Krakau gewohnt, wo die Gebildeten Deutsch sprachen. Er hatte aber auch viel Zeit auf dem Land verbracht, wo polnisch gesprochen wurde. Er beschreibt, wie er als Achtjähriger in zwei völlig unterschiedlichen kulturellen Welten gelebt habe, zwei Sprachen gesprochen habe, Essen aus zwei unterschiedlichen Küchentraditionen verzehrt und zwei verschiedene Tischmanieren befolgt habe, zwei verschiedene Codes von Verschwiegenheit und Feinheiten beherrscht habe, auf zwei unterschiedliche Arten Spaß gehabt habe. Er habe auch zwei religiöse Weltsichten, Glauben und Praktiken gelernt und mitbekommen, dass es unterschiedliche Vorstellungen von Moral und Sexual-Sitten gab. ATMO SÜDSEE Erzählerin: Er konnte also von Haus aus mit kultureller Verschiedenheit umgehen und verstand auch, dass „Kultur“ mehr ist als Malerei, Musik, Kunst und Bücher. Dementsprechend beobachtete er, als er in der Südsee war, alle Aspekte des Lebens und verfolgte nicht wie mit Scheuklappen ein vorgefasstes Forschungsthema. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal guter Feldforschung, unterstreicht die Völkerkundeprofessorin Bettina Beer. 5. Zsp. (Bettina Beer) Es ist der Aspekt des Sich-Hineinbegebens, des zwar Ein-Thema-Verfolgens, aber doch sich auch dem Überlassens, was vor Ort passiert. Dass man also, auch wenn man fertige Fragestellungen hat, dennoch die nicht stur verfolgt, sondern sich auch von dem leiten lässt, was für die Menschen vor Ort entscheidend, wichtig, gerade brisant ist und nicht an seinem Thema klebt. MUSIK Erzählerin: Umfassend. Unvoreingenommen. Präzise. Vor Ort. Das sind seit Bronislaw Malinowski bis heute wichtige Grundsätze für die wissenschaftliche Erkundung anderer Kulturen, für die Feldforschung. Die Ergebnisse hat Bronislaw Malinowski in einem Dutzend Büchern veröffentlicht. Sein berühmtestes Werk heißt „Argonauten des westlichen Pazifik“. Es beschreibt kula, einen Tauschhandel, der auf den ersten Blick als sinnlose Mühe erscheint: Männer begeben sich dafür auf höchst teure und lebensgefährliche Seereisen, zu Inseln, die teils Hunderte von Kilometern entfernt sind und auf denen Leute mit fremder Sprache und Kultur wohnen. Dabei werden von Insel zu Insel im Uhrzeigersinn lange Halsketten aus roten Muscheln weitergegeben. In Gegenrichtung gehen Armreifen aus durchbrochenen Muscheln. Ihr praktischer Nutzen steht dabei im Hintergrund – die meisten Armreifen sind zum Beispiel zu klein, um über den Arm eines Erwachsenen zu passen. Manche Ketten gelten als viel zu wertvoll, um getragen zu werden. Höchstens bei ganz besonderen Zeremonien stellt man sie zur Schau – Bronislaw Malinowski vergleicht sie mit den Kronjuwelen der Königin von England, die gewöhnlich gut bewacht im Londoner Tower lagern. Aber anders als diese darf eine Kette oder dürfen Armreifen im kula-Tauschhandel höchstens ein paar Jahre lang im Besitz ein- und desselben Mannes sein. Dann muss er sie weitertauschen. Der Feldforscher beschreibt, wie Trobriander dafür kunstvolle Kanus bauten und sich aufwändig vorbereiteten, welche Nebengeschäfte mit praktischen Handelswaren sie dabei machten, und besonders, was für eine überragende Rolle dabei magische Rituale spielten. Die standen für die Teilnehmer an dem weitläufigen Handel sogar im Vordergrund. Aber die praktischen Effekte waren auch groß, weiß der Südsee-Spezialist Gunter Senft. 6. Zsp. (Gunter Senft) Damit haben sich die Trobriander in einer See, die so hoch gefährlich ist – also „der Pazifik“ ist ein sehr gefährlicher Ozean, da haben sie sich ein Netz geschaffen, das über Handelsbeziehungen auch eine Lebensversicherung ist, sozusagen, denn wenn diese Leute auf ihren Auslegerbooten dann tatsächlich auch mal in schwere See kamen und Schiffbruch erlitten haben, konnten sie, wenn sie eine Insel erreicht haben und an Land gehen konnten, sich da erstmal durchfragen und fragen, ob die Leute vielleicht auch in diesem Kula-Handel waren. Wenn die Leute in dem Kula-Handel waren, dann waren sie verpflichtet, diesen Leuten Gastrecht zu geben, vor allem dann, wenn sie auch noch die gleichen Gegenstände mal besessen hatten, und damit war gewährleistet, dass Schiffbrüchige, die es geschafft hatten, an Land zu kommen, in irgendeiner Art und Weise von ihren kula-Partnern wieder so geholfen bekommen hatten, dass man sie wieder zurück zu ihrer Insel gebracht hat. Erzählerin: Daneben haben sie mit dem kula-Tauschhandel auch Netzwerke geknüpft und Plattformen für den internationalen Austausch geschaffen. Ähnlich leisten das auf anderer Ebene die Welthandelsorganisation, die G20 oder internationale Handelsabkommen. In solchen ist längst auch Papua Neu Guinea Mitglied. Den alten kula-Tauschhandel, der den Beteiligten auch Ehre verleiht und der persönliche Bande zwischen ihnen knüpft, gibt es daneben aber immer noch. 7. Zsp. (Gunter Senft) Ja. Auch wenn die Kanus, die für kula gebraucht wurden, früher, nicht mehr von vielen Leuten gebaut werden können – der kula wird heute teilweise auch mit Fliegern gemacht, dass man also mit kleinen Maschinen der Milne-Bay-Air oder von Air New Guinea von Insel zu Insel fliegt und sich dort trifft und dann den kula-Handel macht, so wie man den früher gemacht hat, als man sich mit Segelbooten noch besucht hat. Heute hat der auch immer noch diese Band-stiftende Funktion. Man kann sagen, Leute, die im kula sind, haben eine ganz bestimmte Beziehung. Und diese Beziehung wirkt sich eben auch aus als – wenn Sie so wollen - als Kartell dieser Leute, die in der Milne-Bay-Provinz miteinander interagieren, helfen sich auch in anderen Situationen. Auch in anderen Gebieten. Die Trobriander beispielsweise, auch wenn die Leute aus der Milne-Bay-Provinz oft in Port Moresby leben, haben sie in Port Moresby, in der Hauptstadt von Papua Neu Guinea, einen ganz eigenen Kreis geschaffen und helfen sich da wie eine kleine Mafia, wenn irgendwo eine Stelle offen ist, dann wird der Trobriander vielleicht einen Menschen von den d'Entrecasteaux-Inseln aus der Milne-Bay-Provinz bevorzugen, als jemanden vom Hochland. Weil er mit diesen Leuten in Beziehung steht. MUSIK Erzählerin: Die Welt kann ganz anders funktionieren kann, als man sich das gemeinhin vorstellt. Das hat Bronislaw Malinowski auch an weiteren Aspekten des Lebens der Trobriand-Insulaner gezeigt. Zum Thema Familie etwa beschreibt er, wie sie ausschließlich über die Linie der Mutter festlegen, mit wem jemand verwandt ist. Wie Kinder oder Jugendliche nicht in Matrosenanzüge oder gebügelte Kleidchen gesteckt werden, wie sie sich auch nicht nur im beaufsichtigten Tanzkurs erlaubterweise sehen und berühren dürfen, sondern wie sie alle Freiheiten genießen. Der Kulturforscher zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der Frauen wie Männer vor der Ehe Sex haben und das auch dürfen – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der in Bronislaw Malinowskis Kreisen im heimatlichen Europa außerehelicher Sex für Frauen tabu war. Es war die Geisteshaltung, aus der heraus Menschen ungleiche Rechte zugebilligt wurden: Männern mehr als Frauen, Erwachsenen mehr als Kindern, Weißen mehr als Schwarzen (13’57) Bürger der einen Nation glaubten, sich mehr Rechte herausnehmen zu dürfen als Bürger einer anderen. Dieser Glaube an die eigene Überlegenheit konnte über Leben und Tod entscheiden – im Rahmen des Ersten Weltkriegs und auch von sogenannten Strafexpeditionen in Kolonien. Erzählerin: Bronislaw Malinowski ist nicht in den Krieg gezogen. Er beschreibt in seinen Ethnographien die Sitten und Gebräuche der Trobriander, ohne sich darüber zu erheben. Auch was er über seinen Umgang mit trobriandischen Mitarbeitern schreibt, lässt auf kollegialen Umgang schließen, teils sogar auf freundschaftlichen. Aber sein Buch etwa über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen auf Trobriand hat einen Titel, der heute absonderlich klingt: „Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien“, und gleich auf der ersten Seite zeigt ein Foto den Forscher in blütenweißem Hemd und Knickerbockerhosen und mit Tropenhelm, wie er barbusigen Trobrianderinnen, die viel kleiner sind als er und wie angewurzelt dastehen, an die Halsketten fasst. Durchaus typisch, findet die Völkerkundlerin Bettina Beer. 8. Zsp. (Bettina Beer) Ich sehe ihn als Kind seiner Zeit, kritisch muss man das natürlich schon sehen, weil das auch Ausdruck ist einer bestimmten Haltung den Einheimischen gegenüber, Frauen gegenüber, aber was ich dann doch wieder an ihm interessant finde, ist, dass er in der ganzen Frage der Mythologie der Geschlechterbeziehungen dann doch so weit hat von seinen eigenen Vorstellungen sich hat lösen können, dass er hat nachvollziehen können, wie die Trobriander selbst auch das Ganze erklären. Erzählerin: Den Standpunkt des Indigenen, seinen Bezug zum Leben verstehen, seine Sicht seiner Welt – so umreißt Bronislaw Malinowski das Ziel des Forschers. Dabei ist ihm klar, dass verschiedene Trobriander verschiedene Weltsichten haben. In seinen Darstellungen notiert er immer genau, wer ihm welche magische Formel verraten hat, wer ihm geholfen hat, sie zu deuten, woher diese Auskunftgeber stammen und dass das womöglich auf der Nachbarinsel oder von jüngeren oder älteren Trobriandern oder Frauen anders gesehen wird. Doch bei all dieser Differenzierung versucht er, die Kultur der Trobriander als zusammenhängendes Ganzes verständlich zu machen. Heute dagegen würde man die Widersprüche eher stehenlassen und die Vielstimmigkeit betonen. 9. Zsp. (Bettina Beer) Von seiner theoretischen Ausrichtung her hat er schon sehr stark versucht, die einheimischen Gesellschaften als so integrierte Ganzheiten zu beschreiben, in denen dann die einzelnen Aspekte der Gesellschaft jeweils die Funktion haben, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Und diese theoretischen Überlegungen, die er da so gemacht hat, das ist eigentlich der Aspekt seiner Arbeit, von dem ich sagen würde, der ist heute eigentlich überholt. Wobei eben die Feldforschungsmethodik und die Reflexion der Methodik, das ist, was eher noch Bestand hat. Erzählerin: Klar und deutlich schrieb Bronislaw Malinowski in seinen hat ein 10. Zsp. (Gunter Senft) Ich bewundere ihn als Feldforscher und als Wissenschaftler absolut, aber ich muss auch sagen, wenn ich ganz ehrlich bin, ich bin froh, dass ich ihm nicht begegnet bin, nicht kennengelernt hab. Er muss ein sehr eigenwilliger Mensch gewesen sein, er muss ein sehr herrischer Mensch gewesen sein, er hat seine Studenten wirklich behandelt teilweise wie Kleinkinder, indem er ihnen vorgeschrieben hat, was sie wo mit welchem Farbstift in ihren Aufzeichnungen zu markieren haben, war ein Hypochonder ohne gleichen, er hat in den ganzen Aufzeichnungen seines Tagebuches, die eigentlich dann posthum fast schon als Racheakt von seiner zweiten Frau veröffentlicht wurden, permanent beschrieben, wovor er jetzt schon wieder Angst hat, was für eine Krankheit er hat, er hat schon oft gedacht, er hätte Typhus, Malaria, er hatte das alles nicht gehabt. Erzählerin: Tatsächlich ist eine Feldforschung, wie Bronislaw Malinowski sie als Pionier ausgeführt hat, körperlich wie geistig und seelisch anspruchsvoll. 11. Zsp. (Gunter Senft) Wenn man diese Bilder mit den weißen Sandstränden sieht von der Südsee, das ist alles wunderbar, sieht idyllisch aus, aber was auf diesen Bildern nicht abgebildet sind, das sind die Sandflöhe, die einem ganz schön zusetzen können. MUSIK & ATMO Insekten Erzählerin: Bronislaw Malinowski selbst erwähnt in seinem Tagebuch ekelhafte Flöhe, grausame Moskitos und sein Grauen vor der Hitze und Schwüle der Tropen. Er notiert auch, wie er sich einfach nicht davon losreißen konnte, Romane wie „Der Graf von Montechristo“ zu lesen, um sich so gedanklich nach Europa zu flüchten. Es geht um Heimweh, Liebeskummer, das faszinierende Spiel der Muskeln auf dem nackten Rücken eines hübschen Trobriander-Mädchens, das vor ihm herging – oder er schimpft über „Wilde“, die er nur mit extra-viel geschenktem Tabak dazu bekam, mit ihm zu sprechen. Als das Tagebuch nach dem Herzinfarkt-Tod des Forschers 1958 erschien, platzte für viele das Bild des zugewandten, Südsee-affinen Malinowski. Doch Bettina Beer, die selbst Feldforschung betrieben hat, auf den Philippinen und in Papua Neu Guinea, wirbt um Verständnis für solch ein Tagebuch. 12. Zsp. (Bettina Beer) Eigentlich ist das ein ganz gutes Mittel, Dampf abzulassen, wenn man eben vor Ort jetzt nicht ne zweite Person hat und nicht ständig in Kontakt mit zuhause steht, dass man die Probleme und auch das Ausgeliefertsein dann in so einer Situation irgendwie – ja, loswird oder sich klarmacht und damit auch beiseitelegt und damit auch im Alltag dort auch funktionieren kann. Erzählerin: Doch die Strapazen und Mühen lohnen sich, so die Luzerner Völkerkundeprofessorin. 13. Zsp. (Bettina Beer) Eine andere Weltsicht kennenzulernen bedeutet auf jeden Fall eine Bereicherung der eigenen Welt, und in dem Moment, wo man es schafft, sich so einen anderen Standpunkt anzueignen, bekommt man auch einen ganz frischen Blick auf das Eigene. Man bemerkt vielmehr, was eigentlich wirklich Zwang ist, oder was vielleicht auch in der eigenen Lebensweise zu den Dingen gehört, die man aufgeben könnte. Es gibt ne gewisse Freiheit. Man ist nicht Marionette einer Kultur. MUSIK & ATMO Erzählerin: Ein Jahrhundert, nachdem Bronislaw Malinowski die Trobriand-Inseln verlassen hat, liegen sie immer noch weit ab in der Südsee. Die Inselbewohner haben damit zu kämpfen, dass das Klima sich wandelt und der Meeresspiegel ansteigt und dass wichtige Ressourcen wie Holz knapp werden, berichtet Gunter Senft. Aber den Namen des Vaters der modernen Feldforschung kennen dort selbst kleine Kinder. 14. Zsp. (Gunter Senft) Er ist bekannt und ist auch sehr geehrt, weil die Trobriander sich durchaus der Tatsache bewusst sind, dass sie auf der Welt wegen Malinowski bekannt sind.

Alles Geschichte stellt vor: "Fast Food - Long Story”. Die Tiefkühlpizza ist aus den deutschen Gefriertruhen nicht wegzudenken. Aber wie ist sie dahin gekommen? Host Anke van de Weyer erzählt in dieser Folge von einem italienischen Gastarbeiter, der den Kompromiss zwischen Dolce Vita und deutschem Pragmatismus fand. Credits: Autor: Tobias Stosiek Regie: Martin Zeyn Es sprachen: Anke van de Weyer und Tobias Stosiek Redaktion: Friedrich Müller, BR Kultur Ein besonderer Linktipp der Redaktion: “Fast Food – Long Story” erzählt in jeder Episode die Kulturgeschichte der besten schlechten Essen: vom Hamburger bis zum Borschtsch. In sechs Episoden begibt sich Host Anke van de Weyer mit den Reportern und Reporterinnen auf eine kulinarische Reise durch die Zeit und trifft auf Menschen, die diese Essen groß gemacht haben und dafür oft alles aufs Spiel setzten. Fast Food – Long Story ist abrufbar in der ARD Audiothek und auf allen Podcastplattformen. https://1.ard.de/fast_food_podcast?aig [https://1.ard.de/fast_food_podcast?aig] Linktipps: BR: "Schmankerlpost"-Newsletter Abonnieren Sie den Newsletter aus der "Wir in Bayern"-Küche! Dann erhalten Sie jeden Freitag die Rezepte der Woche bequem in Ihr Email-Postfach. ZUM NEWSLETTER [https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/wir-in-bayern/rezepte/schmankerlpost-newsletter-wirinbayern-infos-100.html]

Alles Geschichte stellt vor: "Fast Food - Long Story”. Die Ramensuppe ist in Japan Kulturgut, und das gilt auch für Ramenfertigsuppe, die ein findiger Geschäftsmann kurz nach dem zweiten Weltkrieg erfand. Davon erzählt Host Anke van de Weyer in dieser Episode. Credits: Autor: Jakob Wihgrab Regie: Martin Zeyn Es sprachen: Anke van de Weyer und Jakob Wihgrab Redaktion: Friedrich Müller, BR Kultur Ein besonderer Linktipp der Redaktion: “Fast Food – Long Story” erzählt in jeder Episode die Kulturgeschichte der besten schlechten Essen: vom Hamburger bis zum Borschtsch. In sechs Episoden begibt sich Host Anke van de Weyer mit den Reportern und Reporterinnen auf eine kulinarische Reise durch die Zeit und trifft auf Menschen, die diese Essen groß gemacht haben und dafür oft alles aufs Spiel setzten. Fast Food – Long Story ist abrufbar in der ARD Audiothek und auf allen Podcastplattformen. https://1.ard.de/fast_food_podcast?aig
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