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Lange schon nach 12 Uhr: Auch, weil richtige Worte nicht oder zu spät gesprochen werden – über einen Kommentar des Deutschlandfunks zu Gaza

Der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk erscheint kritischen Hörern entgegen seines Auftrags (Rundfunkstaatsvertrag) wie ein Regierungssender, ein Verbreitungsmedium genehmer Nachrichten, Meinungen und „Einordnungen“: „Da geht es lang, liebe Mitbürger“, tönen DLF-Wortmeldungen oft. Da wütet in Gaza eine gemachte Katastrophe, die zum Monstrum der Unmenschlichkeit für die Ewigkeit auswuchert. Dennoch kommen zahlreiche Berichte und Nachrichten des DLF (und vieler anderer Medien) bislang im kühlen Stil daher, als braucht es Sachlichkeit und regierungsfreundliche Kunst, Böses zu relativieren, um sich so wegzuducken. Nun hörte ich einen Kommentar, der mich aufhorchen ließ, weil der kritisierte, dass „Gaza“ möglich gemacht (!) wurde durch Rhetorik, Wegsehen, Doppelmoral und Schweigen. Ein Zwischenruf von Frank Blenz. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Vorab: Die Sätze der Kommentatorin des Deutschlandfunks sind an sich beeindruckend. Allein sie kommen viel zu spät, schieben nichts an und ändern auch nichts (mehr). Sie lösen bei potenziellen Adressaten (Politiker der Regierung) keinen oder kaum Handlungsdruck aus. Das Schweigen, das Nichtstun bleibt, das Agieren für die Katastrophe setzt sich fort. Tag für Tag. Diese Katastrophe, das Unrecht, das Verbrechen in Gaza setzt sich fort – bis zur kompletten Vollendung, die sich Mensch nicht ausmalen kann und will. Der DLF-Kommentar endet zumindest zaghaft, dass das Schweigen die Idee, dass es so etwas wie universelle Menschenrechte je gegeben hat, zerstört. Richtiger muss es heißen: schon lange zerstört hat. Wir haben uns daran gewöhnt? Nein, die, die immer wegschauen, wenn es unbequem wird Vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn beim Medienkonsum ein (seltener) Lichtblick zutage tritt. Ich erlebte jüngst beim regelmäßigen wie anstrengenden Hören des Deutschlandfunks einen solchen, als ich den hier nachfolgend aufgeschriebenen Text (Kommentar) vernahm. Immer und immer wieder hörte ich beim Notieren die Sätze der Kommentatorin und spürte ein heftiges Hin und Her der Gefühle: Schön, dass es so einen Kommentar gibt – schlimm, dass das so lange braucht, bis sich jemand vom Lager der öffentlich-rechtlichen Einordner, Erklärer, Regierungsversteher usw. aus der Deckung wagt, dachte ich. Die Katastrophe Gaza ist ohnehin im Gang, der Kommentar nahm sich dieser wenigstens an – und doch zu spät. Ich nahm ihr ihre Worte folglich auch nicht wirklich ab, schon gar nicht akzeptierte ich, dass die Kommentatorin im „Wir“-Modus sprach. Ihr Kommentar: Welche Farce und Verhöhnung – eine „humanitäre Stadt“, und doch findet es statt > Israels Militär soll jetzt konkret planen, wie mindestens 600.000 Palästinenser aus Gaza in eine sogenannte „humanitäre Stadt“ zwangsvertrieben werden können. Ein Lager auf den Ruinen Rafahs, in dem Palästinenser eingesperrt und auf ihre Ausreise vorbereitet werden sollen. Das hat Verteidigungsminister Katz Journalisten am Montag vertraulich mitgeteilt. Der Begriff „humanitäre Stadt“ – eine Farce, eine Verhöhnung, der Gipfel einer bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Reinterpretation des Völkerrechts. Er steht exemplarisch für eine Strategie, in der Schutz zur Kontrolle und Hilfe zur Internierung wird. > > Und der Aufschrei? Bleibt aus. Wir haben uns an diese Rhetorik gewöhnt. Wir zucken kaum noch, wenn Israels Verteidigungsminister so eine Ankündigung macht, auch weil die Idee nicht neu ist. Sie wurde monatelang angekündigt, sprachlich getestet, ihre Umsetzung dadurch vorbereitet. Seit bald zwei Jahren hört man von Hardlinern wie dem rechtsextremen Finanzminister Smotrich, die Bevölkerung Gazas solle konzentriert und zur (Zitat) „freiwilligen Ausreise gedrängt werden“. Je öfter man diese Rhetorik hört, desto sagbarer wird das Unsagbare, desto mehr stumpft man ab. Und das Unvorstellbare wird Realität. Und es funktioniert. > > Der Plan soll jetzt umgesetzt werden, weil die internationale Gemeinschaft dem nie mit der nötigen Empörung und Konsequenz entgegengetreten ist. Konsequenz hieße etwa, keine Waffenlieferungen mehr und keine Statements, die mit „Wir sind besorgt“ beginnen und mit der immer gleichen Formel vom Selbstverteidigungsrecht enden. Die Solidarität nach den Schrecken des 7. Oktober war richtig, doch längst ist die Verhältnismäßigkeit überschritten, das Unvorstellbare wird zur Routine, weil wir nicht nur tatenlos zuschauen, sondern weil Politiker wie Friedrich Merz die Sprache dieser Gewalt akzeptieren. Sie sprechen von Solidarität – und meinen Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Palästinenser. Sie sprechen von Israels Sicherheit und schweigen über eine Regierung, die ethnische Vertreibung forciert und weiterplant. > > Der bedeutungsschwangere Begriff „humanitäre Verantwortung“ verkommt zur Floskel. Er bedeutet nichts mehr, wenn wir heute zulassen, dass Menschen in Lager gesperrt werden unter dem Etikett „humanitär“, wenn wir hinnehmen, dass das Völkerrecht nicht mehr zählt, solange es der richtige Bündnispartner ist, der es bricht. > > Was in Gaza passiert ist, war nicht plötzlich da, es wurde möglich gemacht, durch Rhetorik, durch Wegsehen, durch Doppelmoral, durch Schweigen. Und wer jetzt noch schweigt, der darf sich nicht wundern, dass am Ende nicht nur eine Region zerstört ist, sondern auch die Idee, dass es so etwas wie universelle Menschenrechte je gegeben hat. (Hanna Resch, Kommentar Deutschlandfunk) > > (Quelle: DLF [https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-zu-humantitaerer-stadt-in-gaza-vertreibung-anders-etikettiert-100.html]) Nicht wundern? Am Ende eine Region zerstört? Wenn wir zulassen? Die Sätze lassen mich mehr und mehr betroffen und wütend zurück. Die an und für sich offene, ungeschönt wirkende Wortmeldung sehe ich eher als einen Beleg der Ohnmacht und Folgsamkeit. Keine Konsequenzen werden gefordert, das Unheil wird kritisiert, aber hingenommen, das Handeln der Verantwortlichen ebenso. Die Sätze mit all diesen „Wenn“ klingen, als sind sie jetzt schnell noch formuliert worden, um sagen zu können: Das ist aber auch schlimm, habe ich ja schon immer so gedacht. Ich finde das bequem und wenig mutig, weil der Kommentar in einem zeitlichen Verlauf, in dem sowieso schon alles kaputt ist, in die Öffentlichkeit gelang. Warum gab es nicht schon ab Oktober 2023 derartige Kommentare, Worte, Mahnungen, Forderungen, Appelle aufzuhören, innezuhalten mit dem Wahnsinn der Rache, der Vergeltung, den Angriffen, die in ihrer Wucht und perspektivischen Ausrichtung genau zum Ziel hatten, was im DLF-Kommentar nun bilanziert wird? Ich lese: „Wenn wir hinnehmen, dass das Völkerrecht nicht mehr zählt, solange es der richtige Bündnispartner ist, der es bricht. Was in Gaza passiert ist, war nicht plötzlich da. Es wurde möglich gemacht, durch Rhetorik, durch Wegsehen, durch Doppelmoral, durch Schweigen.“ Nicht wenn, sondern weil „wir“ hinnehmen, passiert das, denke ich. Das „Wir“ personifiziere ich nicht mit den vielen Menschen in unserem Land und überall um uns herum, die nicht „hinnehmen“. Doch da gibt es ein Problem. Was nützt es der einfachen Bevölkerung hier und sonst wo, für Frieden, Verständigung, Miteinander, Solidarität und Fairness einzustehen, all dieses zu verlangen und auch zu verdienen, wenn ihr mächtiges Führungspersonal und deren Gefolgschaften ihre unheilvolle Politik und deren „Verkauf“ unbeeindruckt umsetzen? Die „Verkäufer“ – etablierte Medien, die mitmachen und sich manchmal humanistisch geben Dem Fußvolk wird tatsächlich offeriert, was fern von Frieden, Verständigung usw. richtig ist. Alle die spielen mit, die etabliert und weich gepolstert arbeiten können und „dazugehören“. Ich höre DLF, ich lese Zeitungen wie die Süddeutsche – stets schwingt das Gefühl des Unwohlseins mit und die Frage: Warum reden, schreiben die so, warum protestieren sie nicht, warum schreien sie nicht auf, warum machen sie keinen Rabatz? Sie machen das halt lieber so: Ein Verbrechen anzukündigen, zu planen und zu realisieren, heißt dann „erwägt“? > Israels Regierung erwägt, im Süden des Gazastreifens ein Lager für 600.000 Menschen zu errichten. Premier Netanjahu sagt, er suche auch nach Ländern, die bereit seien, die Palästinenser aufzunehmen. > > (Quelle: Süddeutsche [https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-gaza-lager-rafah-umsiedlung-li.3281381?reduced=true]) Das Ende ist da, das nächste Ende schließt sich an – welches wohl? Von den so genannten Leitmedien, eher Leid-Medien, erwarte ich im jetzigen Zustand nichts. Ich sehe nur deren Nicht-Agieren und ihr tatenloses Zuschauen, das scheinbare Reagieren der Profis in Wort, Bild und Ton, wenn es denn mal gar nicht anders geht. Doch das erste Ende ist schon längst da – in Nahost zum Beispiel ganz konkret und bitter. Ich habe die Worte von NachDenkSeiten-Chefredakteur Jens Berger vor mir und seinen Artikel: > Nach 21 Monaten israelischer Bombardements, Bodenoffensiven und Besatzung hat der Gazastreifen sein Gesicht verändert. Wo noch 2023 dicht besiedelte Wohngebiete, Sportanlagen, Souks, Schulen und kleinere Gewerbegebiete waren, ist heute eine dystopische Trümmerlandschaft. Wo einst Strand, Freiflächen und kleine Parks waren, stehen heute unzählige Reihen von Zelten und provisorischen Verschlägen, die den Flüchtlingen rudimentären Schutz bieten. Mit Googles Dienst Google Earth können Sie sich dank der Zeitleiste, mit der sie Satellitenbilder unterschiedlicher Jahre für den gewählten Bildausschnitt betrachten können, selbst ein Bild von der Zerstörung machen – eine schreckliche Erfahrung, die einen wütend und hilflos zurücklässt. (Quelle: NachDenkSeiten [https://www.nachdenkseiten.de/?p=135806]) Zerstörung. Menschen, Gebäude, Heimat. Das war die Heimat von Menschen. Es könnte die eigene Heimat sein. Ich schrieb anfangs, dass der DLF-Kommentar zumindest zaghaft endet, dass Schweigen die Idee, dass es so etwas wie universelle Menschenrechte je gegeben hat, zerstört; und dass es richtiger heißen muss: schon lange zerstört hat. Offensichtlich ist das, was in den nächsten Monaten, Jahren folgen wird, weil die Politik nicht einlenken wird: viele weitere Tote in Gaza und im Nahen Osten, eine komplette Besetzung, die Vertreibung, ja das Verjagen der verbliebenen Palästinenser, eine weitere Fluchtbewegung zum Beispiel Richtung Europa. Tatsachen werden geschaffen. Nachdem in Gaza alles kaputt ist, bekommen die Menschen dort „erstmals“ den Flüchtlingsstatus zuerkannt. Zynismus pur. Herr Macron, ist das ein bisschen von der Idee, dass es so etwas wie universelle Menschenrechte je gegeben hat? > Gaza-Bewohner können in Frankreich aufgrund „israelischer Verfolgung“ Flüchtlingsstatus erhalten, urteilt ein Gericht. Dies ist das erste Mal in Frankreich, dass Staatsangehörigen des Gazastreifens vom Nationalen Asylgerichtshof (CNDA) der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. > (Quelle: The Jerusalem Post [https://www-jpost-com.translate.goog/diaspora/antisemitism/article-861014?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=rq&_x_tr_hist=true])

16. jul. 2025 - 12 min
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Was sind denn „absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte der Gesellschaft“? Uninteressant, nutzlos!

Die von der SPD vorgeschlagene Kandidatin für das Richteramt am Bundesverfassungsgericht, die Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, hat sich in einem Interview mit der Tagesschau verteidigt. Siehe hier [https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/brosius-gersdorf-rueckzug-100.html]. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Und hier einige Zitate aus der einschlägigen Berichterstattung: > Die Juristin hatte bereits in einer schriftlichen Stellungnahme [https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/brosius-gersdorf-brief-100.html] gegen sie erhobene Vorwürfe deutlich zurückgewiesen. „Die Bezeichnung meiner Person als ‘ultralinks’ oder ‘linksradikal’ ist diffamierend und realitätsfern“, heißt es darin. > > „Ordnet man meine wissenschaftlichen Positionen in ihrer Breite politisch zu, zeigt sich ein Bild der demokratischen Mitte.“ Zuschreibungen wie „ultralinks“ oder „linksradikal“ beruhten „auf einer punktuellen und unvollständigen Auswahl einzelner Themen und Thesen, zu denen einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, um ein Zerrbild zu zeichnen“. Brosius-Gersdorf kritisiert Berichterstattung über sich scharf | tagesschau.de [https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/brosius-gersdorf-brief-100.html] Das klingt nicht gerade ermutigend. Brauchen wir Personen in wichtigen Ämtern wie als Richterin am Bundesverfassungsgericht, die beispielsweise die aktuelle Einkommens- und Vermögensverteilung entsprechend dem Denken der „gemäßigten Mitte“ für grundsätzlich in Ordnung halten? Brauchen wir Personen in diesem Amt, die ein paar gelegentliche Drohnenangriffe gegen Russland sowie den Erwerb der Kriegstüchtigkeit für angebracht, wenn auch den richtigen großen Krieg gegen Russland nicht für sinnvoll halten? – Das brauchen wir nicht. Brauchen wir beim Bundesverfassungsgericht Personen der „gemäßigten Mitte“, die im Blick auf den Kapitalmarkt von marktwirtschaftlichen Verhältnissen sprechen, obwohl einige wenige große Kapitalsammelstellen wie BlackRock schon mit relativ geringen Anteilen das Geschehen beherrschen? Wer so „gemäßigt mittig“ denkt, wird den jetzigen Bundeskanzler Merz, der früher einmal Aufsichtsratschef bei BlackRock Europa war, ohne das notwendige Misstrauen begleiten. Solche Personen brauchen wir als Richter am Bundesverfassungsgericht nicht. Jedenfalls lohnt sich für solche der politische Kampf nicht. Titelbild: Sendungsbild / ARD-aktuell

16. jul. 2025 - 3 min
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Das gebrochene Gesellschaftsversprechen: Wie der Staat die Überreichen schützt

Die Bundesrepublik versteht sich als soziale Marktwirtschaft, als Rechtsstaat und als Demokratie. Ihre Verfassung verpflichtet sie zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse und zur Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Doch diese Versprechen sind eine Verhöhnung der Urteilskraft unserer Bürger – und das nicht zufällig. Hinter der Fassade ordnungspolitischer Rhetorik hat sich ein System etabliert, das Reichtum schützt, Umverteilung nach oben organisiert und demokratische Einflussmöglichkeiten systematisch untergräbt. Von Detlef Koch. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Wir erleben ein System, das den Interessen der finanzstarken Minderheit dient – nicht dem Gemeinwohl. In seiner Ausgestaltung ist es nicht nur ungerecht, sondern zutiefst verfassungswidrig und demokratiezersetzend. Die AfD wird es uns danken! Dieser Artikel rekonstruiert, wie kleine Machtzirkel aus Wirtschaft, Politik und Medien das Steuerrecht zur strategischen Selbstentlastung instrumentalisiert – und wie dabei ein Gesellschaftsvertrag zerfällt, der ohnehin nur für wenige galt. 1. Die juristische Entkernung des Leistungsprinzips Die Grundidee des deutschen Steuerrechts ist einfach: Wer mehr leisten kann, soll mehr zum Gemeinwesen beitragen. Dieses Leistungsfähigkeitsprinzip bildet die Legitimationsbasis der progressiven Einkommensteuer. Doch gerade an der Spitze der Einkommensverteilung wurde dieses Prinzip systematisch unterlaufen. Die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge (25 Prozent pauschal) erlaubt es schon Multimillionären, mit ihren Dividenden und Spekulationsgewinnen unterhalb der Belastung von Pflegekräften, Lehrern oder Ingenieur:innen zu bleiben. Gleichzeitig werden Kapitalgesellschaften und Holdings mit effektiven Steuersätzen im einstelligen Prozentbereich belastet – ein Umstand, den sich weder Handwerksbetriebe noch mittlere Angestellte vorstellen können. Besonders drastisch ist die Umgehung der Grunderwerbsteuer durch sogenannte Share Deals: Während jede Privatperson beim Immobilienkauf zwischen 3,5 und 6,5 Prozent an den Fiskus zahlt, kaufen Großinvestoren Anteile an Immobiliengesellschaften – steuerfrei. Ja, richtig gehört – steuerfrei[1]. Die Regelung war politisch gewollt und blieb trotz Kritik jahrelang unangetastet. Auch im Erbschaftssteuerrecht offenbart sich die doppelte Moral: Große Unternehmensvermögen können über die sogenannten Verschonungsregelungen nahezu steuerfrei übertragen werden. Die Bedürftigkeitsprüfung, eingeführt nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ist so konzipiert, dass sie selbst von Milliardenerben mit Leichtigkeit bestanden wird. Der Steuerstaat schützt dynastische Vermögensübertragung[2] – er unterbindet sie nicht. Wer bei „dynastische Vermögensübertragung“ an feudale Zeiten erinnert wird … Ja, so ist das auch gedacht! 2. Architektur der Selbstentlastung: Ein steuerpolitisches Kartell Die Frage, wem diese Steuerpolitik nützt, beantwortet sich empirisch und strukturell: Sie nützt den reichsten 1 Prozent der Bevölkerung – insbesondere den oberen 0,1 Prozent. Diese Gruppe verfügt über Kapitalgesellschaften, internationale Wohnsitze, spezialisierte Steuerkanzleien, Vermögensverwalter und politische Zugänge. Sie ist in der Lage, selbst komplexe Steuerregime strategisch zu nutzen oder gar mitzugestalten. Der Fall der Stiftung Familienunternehmen zeigt exemplarisch, wie Gesetze im Dialog mit den Profiteuren entstehen. Als das Bundesverfassungsgericht 2014 entschied, dass die Verschonung von Betriebsvermögen zu weit geht, war die Reaktion kein Umsteuern, sondern eine gezielte Anpassung: Die Stiftung hatte frühzeitig Änderungswünsche formuliert – und unsere loyalitätsgestörten Volksvertreter lieferten. Auch international bekannte Skandale wie Cum-Ex oder Cum-Cum waren keine Randphänomene, sondern Ausdruck einer Haltung: Steuervermeidung ist kein Notbehelf, sondern Bestandteil eines feudalen, ideologisch aufgeladenen Selbstverständnisses, das öffentliches Eigentum als Beute begreift, auf das man aufgrund seines Standes Anspruch hat. Die juristische Umgehung geht Hand in Hand mit der politischen: Lobbyisten aus Banken und Kanzleien schreiben mit an Gesetzestexten. Ex-Minister finden sich wenige Monate nach Amtsende in Aufsichtsräten. Eine Trennung zwischen legislativer Sphäre und wirtschaftlichen Interessen existiert allenfalls nur auf dem Papier. 3. Lobbyismus als Machttechnologie Die gezielte Einflussnahme ökonomischer Machtzirkel auf die Gesetzgebung ist in Deutschland weder Zufall noch Ausnahme – sie ist Teil einer durchrationalisierten Machtstrategie. Lobbyarbeit wird in Stiftungen, Verbänden, Denkfabriken und Beratungsnetzwerken organisiert. Besonders effektiv zeigt sich dieses Netzwerk in der Steuerpolitik. Zwischen 2012 und 2017 flossen allein aus dem Umfeld der Stiftung Familienunternehmen mindestens 2,8 Millionen Euro an CDU, CSU und FDP[3]. Parteispenden, Gutachten, Kanzleramtstreffen – es ist ein informeller Komplex der Nähe, der mit demokratischer Aushandlung wenig zu tun hat. Der politische Erfolg dieser Netzwerke zeigt sich nicht nur im Gesetzeswortlaut, sondern auch im Unterlassen: Share Deals wurden jahrelang nicht verhindert, die Abgeltungsteuer trotz verfassungsrechtlicher Zweifel nicht reformiert, die Gemeinnützigkeit wirtschaftslobbyistischer Stiftungen nicht hinterfragt. Die Vorstellung, dass es sich bei all dem um technische Details handele, ist gelinde gesagt naiv. Steuerpolitik ist Machtpolitik – und ihre Ausgestaltung Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. 4. Klassismus in Reinform: Das Framing der Ungleichheit Entsprechende Machtzirkel begnügen sich nicht mit ökonomischer Dominanz – sie schaffen die semantischen Rahmen, in denen ihre feudalen Privilegien als normal, gerecht oder notwendig erscheinen. Der Begriff „Leistungsträger“ wurde in den 2000er Jahren gezielt propagiert, um hohe Einkommen und Vermögen moralisch aufzuwerten. Wer Reichtum besteuern will, gilt als „neidisch“ oder „wirtschaftsfeindlich“. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eine von Arbeitgeberverbänden finanzierte PR-Initiative, suggeriert regelmäßig, dass höhere Steuern auf Kapitalflucht und Standortschwäche hinauslaufen. Dass viele dieser Narrative empirisch nicht haltbar sind, stört dabei nicht – entscheidend ist ihre diskursive Funktion: Umverteilung wird zur Gefahr erklärt, Besitzstandswahrung zur Leistung. Die Erzählung vom bedrohten Mittelstand ist ein weiterer Baustein. Reiche Familienunternehmen inszenieren sich als Rückgrat der Gesellschaft, obwohl ihre Eigentumsverhältnisse und Steuerstrukturen mit dem klassischen Mittelstand nichts mehr zu tun haben. Diese rhetorische Gleichsetzung vernebelt die Realität: Dass sich in Deutschland rund ein Drittel des gesamten Nettovermögens in den Händen des obersten Prozents konzentriert, bleibt in der öffentlichen Debatte weitgehend ausgeblendet. 5. Verfassungsbruch mit Ansage – und ohne Konsequenz Es sind nicht nur ethische Fragen, die sich hier stellen, sondern auch rechtliche. Der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), das Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG), das Leistungsfähigkeitsprinzip – sie alle wurden durch die bestehende Steuerarchitektur ausgehöhlt. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach gerügt, dass bestimmte Regelungen zu einseitig zugunsten hoher Vermögen ausgestaltet sind. Doch eine gerechte Reaktion des Gesetzgebers blieb aus – oder die Korrektur des Unrechts wurde gleich von den Steuerbegünstigten selbst beeinflusst. Was blieb, war ein durch Missachtung sozialer Verpflichtungen gekennzeichnetes Demokratieverständnis. Die Verfassungswidrigkeit wird hingenommen, wenn sie den Richtigen dient. Die Rechtsordnung erscheint selektiv. Während Sozialleistungsbeziehende unter Generalverdacht stehen, wird bei Steuervermeidern auf Augenhöhe verhandelt. Es ist ein doppelter Standard, der das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt und manche Menschen in die Arme des Faschismus treibt. 6. Demokratie ohne Demos? Wenn politische Teilhabe ökonomisch vergiftet ist Die ökonomische „Elite“ hat nicht nur mehr Geld – sie hat auch mehr Zugang, mehr Gehör, mehr Einfluss. Studien zeigen, dass politische Entscheidungen in Deutschland fast ausschließlich den Interessen der Vermögenden folgen als denen der Mehrheit[4]. Wenn das Steuerrecht de facto im Dialog mit den Reichsten entsteht, ist die parlamentarische Repräsentation ausgehöhlt. Wenn der politische Raum durch Parteispenden, Expertengutachten und Medienkooperationen kontrolliert wird, reduziert sich das Spektrum demokratischer Willensbildung auf fast null. Besonders alarmierend ist die mediale Normalisierung dieser Zustände. Hans-Werner Sinn oder andere treten in Talkshows als „neutrale Experten“ auf, während kapitalismuskritische Stimmen marginalisiert oder als populistisch diffamiert werden. So entsteht eine Meinungshegemonie, die Reformforderungen schon im Vorfeld delegitimiert. Die Demokratie wird nicht per Staatsstreich beschädigt, sondern durch informelle Herrschaftsverhältnisse vernichtet – und das ganz ohne Beobachtung durch den Verfassungsschutz. 7. Jenseits der Parteinahme – Warum ein neuer Gesellschaftsvertrag überfällig ist Diese Zustände sind keine Betriebsunfälle – sie sind das Ergebnis einer langfristigen Verschiebung der politischen Ökonomie. Sie zeugen von elitären Machtzirkeln, die sich von der Idee des Gemeinwohls verabschiedet haben, ohne es offen einzugestehen. Die Elite glaubt, sich das leisten zu können – ökonomisch wie ethisch. Doch dieser feudalistische Hochmut ist gefährlich. Denn das Vertrauen in die demokratische Ordnung erodiert nicht nur in sozialen Randgruppen, sondern auch in der Mitte. Wenn Gerechtigkeit zur Simulation verkommt, wenn Gesetze vor allem den Besitzenden dienen, wenn politische Macht käuflich wird, dann steht mehr auf dem Spiel als nur fiskalische Fairness. Dann ist die Idee der Demokratie selbst beschädigt. Es braucht eine radikale Revision der Steuerpolitik – nicht als technokratische Maßnahme, sondern als gesellschaftspolitisches Signal. Progression, Vermögensbesteuerung, die Schließung von Schlupflöchern, solide Personaldecke für die Steuerfahndung: All das sind keine Neidprojekte, sondern Voraussetzungen für eine Gesellschaft, in der Gleichheit mehr ist als ein Wort im Grundgesetz. Ein neuer Gesellschaftsvertrag ist überfällig. Einer, der nicht fragt, wie viel Reichtum möglich ist, sondern wie viel Konzentration von Reichtum eine Demokratie erträgt. Ein Gesellschaftsvertrag, der Eigentum nicht abschafft, aber seine Grenzen klar definiert, und einer, der den Anspruch erhebt, Politik für alle zu machen – nicht nur für jene, die es sich leisten können, mitzureden. Noch hält die Bevölkerung still, aber wie lange wird das Unrecht ertragen? Titelbild: Thorsten Schier/shutterstock.com ---------------------------------------- [«1] Während Privatpersonen beim Immobilienkauf stets der vollen Grunderwerbsteuerpflicht (zwischen 3,5 Prozent und 6,5 Prozent) unterliegen, nutzen Großinvestoren sogenannte Share Deals, bei denen statt des Grundstücks Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften übertragen werden. Solange die Beteiligung unter 90 Prozent bleibt (bis Juli 2021: unter 95 Prozent), fällt keine Grunderwerbsteuer an. Diese legalen Gestaltungen führen laut Bundesfinanzministerium jährlich zu Steuerausfällen von bis zu 1 Mrd. Euro. Vgl. Bundesministerium der Finanzen: Interview [https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2021/10/Inhalte/Kapitel-2b-Schlaglicht/2b-interview-sarah-ryglewski.html] mit Staatssekretärin Sarah Ryglewski zum Gesetz gegen Share Deals, Monatsbericht Oktober 2021, online: bundesfinanzministerium.de [http://www.bundesfinanzministerium.de] (Zugriff: 11.07.2025). [«2] Das deutsche Erbschaftsteuerrecht gewährt für Betriebsvermögen weitreichende Steuervergünstigungen, die in der Praxis häufig zur nahezu steuerfreien Übertragung großer Familienvermögen führen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 (Az. 1 BvL 21/12) verstießen die damals geltenden Verschonungsregelungen gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), insbesondere weil selbst große Unternehmensvermögen ohne Bedürfnisprüfung vollständig steuerfrei bleiben konnten. Zwar wurde das Gesetz 2016 novelliert, doch zentrale Begünstigungen – etwa die Optionsverschonung – blieben erhalten. Laut Bundesfinanzministerium entfällt der Großteil des übertragenen Betriebsvermögens weiterhin auf verschonungsfähige Fälle. Vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12; Bundesministerium der Finanzen: Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, BT-Drs. 18/5923, S. 34 f. [«3] Laut Auswertung der Rechenschaftsberichte der CDU, CSU und FDP durch Finanzwende e. V. gingen zwischen 2012 und 2017 mindestens 2,8 Mio. € aus dem Umfeld der Stiftung Familienunternehmen an diese Parteien (CDU: 1,898 Mio. €, CSU: 85.000 €, FDP: 974.000 €). Diese Spenden stammen von Kuratoriums- oder Geschäftsführungsmitgliedern der Stiftung und belegen eine regelmäßige politisch-finanzielle Zuwendung. Vgl. Finanzwende e. V.: Analyse Parteispenden aus dem Umfeld der Stiftung Familienunternehmen, August 2024, online: Lobbypedia-Eintrag „Stiftung Familienunternehmen [https://lobbypedia.de/wiki/Stiftung_Familienunternehmen?utm_source=chatgpt.com] – Hohe Spenden an CDU, CSU und FDP“ [«4] „Dem Deutschen Volke“? Die ungleiche Responsivität des Bundestags – Lea Elsässer · Svenja Hense · Armin Schäfer

16. jul. 2025 - 13 min
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Die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien offenbart ihre grausame Absicht

Während die verheerenden Folgen der Sanktionen gegen Syrien lange Zeit ignoriert oder geleugnet wurden, bedeutete der Sturz der Assad-Regierung, dass es plötzlich politisch opportun war, zuzugeben, was viele schon die ganze Zeit wussten. Die Funktion von Sanktionen ist es, den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu befördern. Das ist kein Kollateralschaden, es ist der Mechanismus des Drucks. Sanktionen sind eine Waffe der wirtschaftlichen Kriegsführung. Es ist längst an der Zeit, sie als solche zu behandeln. Von Michael Galant und Eleonora Piergallini. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Am 30. Juni unterzeichnete Präsident Donald Trump ein Dekret, das die meisten US-Sanktionen gegen Syrien aufhebt. Mit diesem Schritt, der noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen wäre, löste er ein Versprechen ein, das er im Mai auf einem Investitionsforum in Riad gegeben hatte. Vor einem Publikum aus hauptsächlich saudischen Geschäftsleuten erklärte [https://www.youtube.com/watch?v=aM8mNAuwCX0] er: „Die Sanktionen waren brutal und lähmend.“ Ihre Aufhebung werde „Syrien die Chance geben, groß zu werden“. Die Bedeutung dieser Aussage liegt nicht nur in der Erleichterung, die sie dem syrischen Volk bringen wird. Sie offenbart auch eine implizite, aber selten zugegebene Wahrheit: Sanktionen werden oft als eine zurückhaltende, friedliche Alternative zum Krieg dargestellt, real haben sie dem syrischen Volk aber die ganze Zeit über schwer geschadet. Das Ausmaß der wirtschaftlichen Zerstörung Syriens kann kaum geleugnet werden. Die Größe der syrischen Wirtschaft hat sich zwischen 2010 und 2021 mehr als halbiert. Etwa 70 Prozent [https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2024/05/24/syria-growth-contraction-deepens-and-the-welfare-of-syrian-households-deteriorates] der Syrer leben in Armut und die Hälfte der Bevölkerung in Ernährungsunsicherheit [https://www.wfp.org/news/half-syrias-population-faces-hunger-conflict-passes-12-year-milestone-and-earthquakes-deepen]. Die Befürworter behaupten meist, dass die Sanktionen nicht für zivile Schäden verantwortlich sind. „Die heutigen Maßnahmen zielen darauf ab, das mörderische Assad-Regime zur Rechenschaft zu ziehen. Sie richten sich nicht gegen das syrische Volk“, lautet eine typische Mitteilung [https://www.presidency.ucsb.edu/documents/statement-the-press-secretary-regarding-continued-treasury-and-state-sanctions-the-assad?utm_source=chatgpt.com] des Weißen Hauses zur Verhängung neuer Sanktionen im Jahr 2020. Das Europäische Parlament behauptet [https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2023/749765/EPRS_BRI(2023)749765_EN.pdf] in ähnlicher Weise, dass seine Sanktionen gegen Syrien „so angelegt wurden, dass sie nur minimale Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben“. Es ist natürlich schwierig, genau zu bestimmen, wie viel von Syriens wirtschaftlichem Zusammenbruch auf den Bürgerkrieg und Assads Regierung zurückzuführen ist und wie viel auf die Sanktionen des Westens. Es gibt jedoch überwältigende Beweise [https://cepr.net/report/the-human-consequences-of-economic-sanctions/] dafür, dass weitreichende Wirtschaftssanktionen der Zivilbevölkerung immensen Schaden zufügen: Sie verlangsamen das Wirtschaftswachstum, erschweren den Zugang zu Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten und tragen letztlich zu einem Massensterben [https://cepr.net/images/stories/reports/venezuela-sanctions-2019-04.pdf] bei. In einigen Fällen sind die Auswirkungen von Sanktionen mit denen von Krieg vergleichbar [https://sanctionsandsecurity.org/wp-content/uploads/2022/01/January-2022-Venezuela-Case_Rodriguez.pdf]. Insbesondere die Sanktionen gegen Syrien haben die humanitären Bemühungen behindert [https://www.hrw.org/news/2023/06/22/questions-and-answers-how-sanctions-affect-humanitarian-response-syria], die Inflation [https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC7524540/] bei Lebensmitteln angeheizt und zum Kollaps des Gesundheitswesens [https://www.washingtonpost.com/world/2025/01/10/syria-sanctions-health-care-hospitals/] des Landes geführt. Während diese Auswirkungen lange Zeit ignoriert oder geleugnet wurden, bedeutete der Sturz der Assad-Regierung, dass es plötzlich politisch opportun war, zuzugeben, was viele schon die ganze Zeit wussten. Zwei Mitglieder des US-Kongresses, die sich vor dem Sturz Assads für Sanktionen eingesetzt hatten [https://foreignaffairs.house.gov/press-release/mccaul-wilson-gonzalez-hill-boyle-introduce-bipartisan-bill-to-hold-assad-regime-accountable/], haben seitdem argumentiert [https://news.az/news/two-us-lawmakers-call-for-deliberate-and-phased-lifting-of-syria-sanctions], dass eine Lockerung der Sanktionen „die Stabilisierung, den Wiederaufbau, internationale Investitionen [und] die humanitäre Erholung“ erleichtern und den „Zugang zu Wirtschaft und Finanzen für einfache Syrer“ verbessern würde. Nach Trumps Ankündigung erklärte [https://www.state.gov/releases/office-of-the-spokesperson/2025/05/providing-sanctions-relief-for-the-syrian-people/] sein Außenminister Rubio, dass die Aufhebung der Sanktionen „die Bereitstellung von Elektrizität, Energie, Wasser und sanitären Einrichtungen erleichtern und eine effektivere humanitäre Reaktion in ganz Syrien ermöglichen würde“. Bei einer Anhörung im Senat sagte [https://www.youtube.com/watch?v=gO3ZbXIV1AA] er weiter, dass „die Nationen in der Region Hilfe leisten wollen, ihnen helfen wollen und es nicht können, weil sie Angst vor unseren Sanktionen haben“. Rubio führt hier aus, wie die US-Sanktionen als eine Form der wirtschaftlichen Belagerung funktionieren: Sie behindern humanitäre Hilfe und isolieren sanktionierte Länder effektiv von wirtschaftlicher und diplomatischer Zusammenarbeit mit anderen Nationen. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Dorothy Shea, erklärte [https://web.archive.org/web/20250619050006/https://usun.usmission.gov/remarks-at-a-un-security-council-briefing-on-the-political-and-humanitarian-situations-in-syria-13/] letzten Monat: > „Die Beendigung der US-Sanktionen gegen Syrien wird dem Land eine Chance auf Erfolg geben.“ Es ist schwierig, solche Stellungnahmen mit der Behauptung unter einen Hut zu bringen, Sanktionen würden der Zivilbevölkerung nicht schaden. Wenn die Aufhebung der Sanktionen der Zivilbevölkerung zugutekommt, dann muss ihre Verhängung Schaden verursacht haben. Das schmutzige Geheimnis der Sanktionspolitik ist, dass diese Schäden beabsichtigt sind. Die Funktion von Sanktionen ist es, den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu befördern. Das ist kein Kollateralschaden, es ist der Mechanismus des Drucks. Vereinzelt haben die politischen Entscheidungsträger dies auch zugegeben. In einem Memo des Außenministeriums aus der Anfangszeit [https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1958-60v06/d499] des Embargos gegen Kuba wurde vorgeschlagen, „Kuba Geld und Lieferungen zu verweigern, um Geld und die Lieferung von Versorgungsgütern zu verweigern, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen.“ Auf die Frage nach der Wirksamkeit der Sanktionen der Trump-Administration gegen den Iran sagte [https://x.com/CBSEveningNews/status/1095986045324349440?s=20] der damalige Außenminister Mike Pompeo: „Die Dinge sind für das iranische Volk viel schlimmer geworden, und wir sind überzeugt, dass es sich erheben und das Verhalten des Regimes ändern wird.“ Ähnlich zustimmend [https://2017-2021.state.gov/remarks-to-the-press-5/index.html] äußerte er sich über das Leiden der venezolanischen Bevölkerung unter den US-Sanktionen – eine Auffassung, die auch Trump teilte, der später hämisch sagte [https://x.com/Acyn/status/1667682589333659648]: „Als ich aus dem Amt schied, stand Venezuela kurz vor dem Zusammenbruch. Wir hätten es übernommen.“ Während Trumps Regierungsvertreter besonders offen gewesen sind, verweisen Politiker beider Parteien regelmäßig auf makroökonomische Faktoren wie das BIP [https://x.com/SenatorBanks/status/1174393039642603520], die Ölproduktion [https://www.youtube.com/watch?v=SifAjst6dFI&t=174s], die Devisenreserven [https://www.c-span.org/program/senate-committee/secretary-of-state-nominee-marco-rubio-testifies-at-confirmation-hearing-part-1/654138], die Währungsstabilität [https://x.com/POTUS46Archive/status/1507842574865866763] und die Kosten für Lebensmittel [https://x.com/ericswalwell/status/230194222823768064] – Faktoren, die sich direkt auf das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung auswirken – als Maßstab für den „Erfolg“ der Sanktionen. Der Kongressabgeordnete Jim McGovern, ein Kritiker vieler US-Sanktionen, bemerkte [https://x.com/RepMcGovern/status/1404550214766190592/photo/1] einmal: > „Wirtschaftlicher Schmerz ist das Mittel, mit dem die Sanktionen wirken sollen.“ Aber es gibt einen Grund dafür, dass nur wenige zugeben wollen, wie die Sanktionen in Wirklichkeit funktionieren: weil dies ein Eingeständnis wäre, gegen internationales Recht zu verstoßen. Wie Dutzende von juristischen Organisationen und mehr als 200 Anwälte im vergangenen Jahr in einem Brief [https://drive.google.com/file/d/1pXOnN-V7WOZyMS9EKJIs0pQuTBm4qkMs/view] geschrieben haben, stellt die gezielte Bestrafung von Zivilisten durch Sanktionen eine kollektive Bestrafung dar, die gegen das humanitäre Völkerrecht und die UN-Charta verstößt. Die schwersten Sanktionen gegen Syrien werden nach und nach aufgehoben. Das ist eine gute Nachricht. Aber die Begründungen für ihre Aufhebung sind Eingeständnisse dessen, was Kritiker aus der Zivilgesellschaft und Forscher seit Langem vorbringen: Sanktionen töten dieselben Menschen, die ihre Befürworter angeblich schützen wollen. Syrien dient zwar als Fallstudie, aber das gilt überall dort, wo es umfassende Wirtschaftssanktionen gibt, von Kuba über Venezuela bis zum Iran. Wenn Sanktionen vom Leiden der Zivilbevölkerung abhängen, um zu funktionieren, sind sie kein diplomatisches Instrument – sie sind eine Waffe der wirtschaftlichen Kriegsführung. Es ist längst an der Zeit, sie als solche zu behandeln. Übersetzung: Marta Andujo Über die Autoren: Michael Galant und Eleonora Piergallini sind Mitarbeiter des Center for Economic and Policy Research (CEPR) in Washington. Selbstverständnis: „Faktenbasierte, datengestützte Forschung und Analyse, um die demokratische Debatte über wichtige Themen, die das Leben der Menschen beeinflussen, voranzubringen.“ Der Beitrag ist zuerst auf Englisch bei Responsible Statecraft erschienen [https://responsiblestatecraft.org/syria-sanctions/]. Titelbild: Shutterstock / Novikov Aleksey Mehr zum Thema: EU-Kommission: Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien nur bei Schließung der russischen Militärbasen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=126640] Wem gehört Syrien? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=133023] Wie weiter in Syrien? Viele haben das Vertrauen in die Vereinten Nationen verloren [https://www.nachdenkseiten.de/?p=130295] Sanktionen gegen das internationale Recht [https://www.nachdenkseiten.de/?p=135981]

16. jul. 2025 - 9 min
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Spannend wie ein Krimi – elementar für die Aufarbeitung der Pandemiepolitik: „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“

Geheime Treffen in der Lobby eines Berliner Hotels, ein USB-Stick mit vertraulichem, brisantem Material aus dem Innern des Robert Koch-Instituts, die Übernachtung im anonymen Hotelzimmer am Vorabend einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz – zugleich der zähe juristische Kampf eines kleinen, aber feinen Online-Magazins gegen die wichtigste staatliche Behörde in der Corona-Pandemie: Das ist der Stoff für eine klassische David-vs.-Goliath-Story. Von Volker Rekittke. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Die Geschichte der zunächst vor Gericht in Teilen freigeklagten, aber zunächst von Behördenseite vielfach geschwärzten, dann über einen behördeninternen Whistleblower vollständig geleakten RKI-Protokolle liest sich wie ein Krimi. Es ist zugleich ein Lehrstück über die elementare Bedeutung von unabhängigen, investigativ arbeitenden und in alle Richtungen kritisch hinschauenden Medien für eine funktionierende Demokratie. Dass jeder Bürger und jede Journalistin heute auf gut 4.000 ungeschwärzte Protokoll-Seiten des Covid-19-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts (kurz: RKI-Protokolle) zugreifen, diese herunterladen und darin recherchieren kann, das verdanken wir nicht den mit reichlich Gebührengeld ausgestatteten Recherche-Teams von ARD und ZDF, ebenso wenig wie einstigen journalistischen Schlachtrössern von Spiegel bis Zeit („Leitmedien“), wir verdanken diese vielmehr einer Handvoll Journalisten, die ihren Job noch ernst nehmen, darunter: Multipolar-Herausgeber (und Kläger gegen das RKI) Paul Schreyer sowie den freien Journalisten Aya Velázquez und Bastian Barucker. Und natürlich einem (oder einer) mutigen Mitarbeiter/in des RKI, der oder die jene RKI-Protokolle der Jahre 2020-2023 sowie umfangreiches Zusatzmaterial an Velázquez übermittelte. Barucker ist auch Herausgeber des Sammelbands „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“, das jetzt erschienen ist und in dem auf 250 Seiten über diesen in Deutschland (zumindest in dieser Größenordnung) bislang einmaligen Leak eines mutigen Whistleblowers berichtet wird. Ein wichtiges Buch, das zum richtigen Zeitpunkt kommt – und das die Forderung nach einer wirklichen Aufarbeitung der politischen Entscheidungen während der Pandemie und der teils gravierenden Folgen für Millionen Menschen unterstreicht. Nicht nur die vielen Impfgeschädigten warten darauf. Einige Kapitel im Buch wurden schon veröffentlicht – etwa bei Cicero, Berliner Zeitung, Welt oder auf Blogs und Internetseiten. Für das Buch wurden all diese Artikel überarbeitet und aktualisiert, andere Kapitel kamen neu hinzu. Sie alle beleuchten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven die RKI-Protokolle sowie tausende Seiten Zusatzmaterial: juristisch, medizinisch, parlamentarisch, medien- und gesellschaftspolitisch, … „Das RKI, das zeigen die RKI-Protokolle in vielen Details, saß in der Corona-Zeit nicht etwa am Steuer, sondern es ließ sich lenken und vor den Karren spannen: von der Politik, von internationalen Organisationen“, schreibt Paul Schreyer: „Nach außen hin aber wurde der Eindruck erweckt, die Politik folge den Experten der eigenen Fachbehörde.“ Das ist keine Petitesse, war doch die „wissenschaftliche Expertise“ des RKI („follow the science!“) Grundlage nicht nur von so weitreichenden politischen Entscheidungen wie Lockdowns, Schulschließungen, einrichtungsbezogener Impfpflicht, 2G/3G-Regeln, sondern auch von (höchst)richterlichen Urteilen über eben jene „Corona-Maßnahmen“. Auch jene Gerichte, die die fast fließbandmäßigen Ablehnungen von Versorgungsansprüchen Impfgeschädigter durch die Ämter überprüfen sollen, berufen sich immer noch auf das RKI, ebenso wie auf seine Schwesterbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Dabei sind beide Institute dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt und diesem weisungsgebunden. Das PEI übrigens verortet immer noch – unerklärlicher Geburtenrückgang hin, mysteriöse Übersterblichkeit her – „kein Risikosignal“ bei den mRNA-Impfstoffen. Und weit und breit kaum ein Journalist in Leit- und sonstigen (öffentlich-rechtlichen) Qualitätsmedien, der darüber wenigstens ins Grübeln kommt. Jenes Versagen des Journalismus von Tagesschau bis Spiegel beleuchtet Ruth Schneeberger, bis Anfang 2025 Ressortleiterin Gesundheit bei der Berliner Zeitung. Warum biedern sich Journalisten immer noch „so an die Politik und an längst widerlegte Experten an?“, fragt sie – wo es doch der Job der Medienvertreter wäre, „als vierte Gewalt die Entscheidungsträger zu kontrollieren und kritisch zu hinterfragen, anstatt wie eine PR-Abteilung für die Regierenden zu fungieren“. Kein Wunder, dass der kritische, die Mächtigen in Staat und Wirtschaft kontrollierende good old journalism seit einigen Jahren in Form von neuen Online-Medien bemerkenswerte Erfolge erzielt, während ARD, ZDF und etliche klassische Printprodukte schmerzhafte Reichweitenverluste verzeichnen, etwa die ARD von 54 Prozent (2019) auf nur noch 39 Prozent (2025) [https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1343130/umfrage/ranking-reichweite-medien-deutschland/]. Weitere Buchbeiträge kommen von den Journalisten Philippe Debionne (Nordkurier) und Elke Bodderas (Welt), die – wie Schneeberger – in den Pandemiejahren nicht vergessen haben, dass eine Recherche mit einer Pressemitteilung von RKI oder PEI nicht endet, sondern dass sie da erst anfängt. Zu Wort kommt auch der FDP-Politiker und ehemalige Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki, der sich als einer der wenigen Abgeordneten tief in die RKI-Files eingelesen hat. Ihm fielen Protokolleinträge vom 9. und 25. Februar 2022 auf, da war die sehr viel mildere Omikron-Variante längst vorherrschend, die Pandemie ging in ihr endemisches Stadium über. Dennoch lehnte das von Karl Lauterbach (SPD) geführte Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine Herunterstufung des Risikos von „sehr hoch“ auf „hoch“ ab. Kubicki sieht Bezüge zur Anfang April 2022 im Bundestag anstehenden (und vor allem von SPD und Grünen gewollten) allgemeinen Impfpflicht: Das RKI habe „auf Drängen des BMG den öffentlichen Pandemiedruck künstlich hochgehalten“, so Kubicki, der es für einen Skandal hält, „dass politische Entscheidungen von einer solchen Tragweite derart aus einem Ministerium beeinflusst werden“. Aya Velázquez begibt sich in einem Extra-Kapitel auf die Spur der mysteriösen interministeriellen „AG Impfpflicht“, in der das RKI im Winter 2021/22 die von Karl Lauterbach gepushte allgemeine Impfpflicht argumentativ unterstützen sollte. Die Bundesregierung bestätigte Anfang 2025 auf eine Parlamentarische Anfrage die Existenz der AG – doch existiert angeblich kein einziges Protokoll und auch kein Mail-Verkehr dazu. Oliver Hirsch und Kai Kisielinski beschäftigen sich mit jenem Eintrag aus den RKI-Protokollen vom 18. Januar 2021: „Keine fachliche Grundlage zur Empfehlung FFP2-Maske für die Bevölkerung vorhanden, daher Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen hinzufügen.“ Bekanntermaßen wurde Deutschland ab 2021 mit – völlig überteuert von Jens Spahn eingekauften – FFP2-Masken regelrecht überschwemmt. Doch wer bekam je eine arbeitsmedizinische Einweisung zum Masken-Tragen? Das RKI thematisierte mögliche Gesundheitsschäden ja nicht ohne Grund: Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin empfiehlt für eine FFP2-Maske ohne Ausatemventil „eine Gebrauchsdauer von 75 Minuten und eine Erholungsdauer von 30 Minuten“. Schließlich führe der Atemwiderstand beim Ein- und Ausatmen „zu einer Beanspruchung der Atmung und des Herz-Kreislauf-Systems“, so die Arbeitsschutz-Behörde. Das wusste man auch beim RKI, wie aus dem Protokoll vom 2. November 2020 hervorgeht: „[FFP2-Masken] sind nur für die unmittelbare, medizinische Arbeit vor Ort und für einen begrenzten Zeitraum gedacht (nach 75 Minuten Tragen sollte eine 30-minütige Pause eingelegt werden).“ Thematisiert wird im Buchkapitel auch, dass unter jenen Masken hohe Kohlendioxid-Konzentrationen entstehen, die bei längerem Tragen toxisch wirken können. Wer erinnert sich nicht an eigene Atembeschwerden, an die Kinder und Jugendlichen in den Schulen, an das Klinik- und Altenpflegepersonal, die viele Stunden am Stück FFP2-Masken tragen mussten? Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler widmet sich in einem Kapitel der „Bundesnotbremse“ vor dem Bundesverfassungsgericht, dessen Richter kurz zuvor vom Merkel-Kabinett zum Dinner im Kanzleramt eingeladen worden waren, die Rechtsanwälte Franziska Meyer-Hesselbarth und Sebastian Lucenti den (bislang weitgehend verpassten) Möglichkeiten von Gerichten, zu einer Neubewertung staatlicher Corona-Maßnahmen zu gelangen, und Sabine C. Stebel den teils schweren und anhaltenden Nebenwirkungen der Corona-„Impfung“. Eins der bedrückendsten Kapitel, von Bastian Barucker, betrifft den staatlichen Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Die waren weder Pandemietreiber noch besonders durch Corona gefährdet, wie auch das RKI wusste: „Kinder haben ein, im Vgl. zu anderen Atemwegserkrankungen, geringes Risiko für schwere Krankheitsverläufe“ (30. Juni 2021). Dennoch mussten sie viele Stunden am Tag unter FFP2-Masken, wochen- und monatelang unter geschlossenen Sport- und Spielplätzen, unter den längsten Schulschließungen Europas (zusammen mit Polen) und nachfolgend unter anhaltenden psychischen Schäden leiden. Um grundlegende Fragen nicht etwa zum Staatsverständnis der Bürger, sondern umgekehrt zum paternalistisch-misstrauischen Blick der Politik auf die Staatsbürger geht es schließlich im wichtigen Beitrag von Ethikrat-Mitglied Frauke Rostalski, der Philosophin Svenja Flaßpöhler, der Juristin Elisa Hoven sowie der Schriftstellerin Juli Zeh (die zwei Letztgenannten zugleich Verfassungsrichterinnen in Sachsen und Brandenburg). Deren zentrale Erkenntnis: „In den geleakten Papieren tritt immer wieder ein Menschenbild zutage, das mit der demokratischen Idee vom mündigen Bürger wenig zu tun hat.“ Um die Menschen massenhaft zur Impfung zu bringen, duften Zweifel aus RKI-internen Diskussionen bloß nicht nach außen dringen, etwa, dass die Rede von einer „Pandemie der Ungeimpften“ in den Protokollen als „fachlich nicht korrekt“ eingestuft wird, dann aber der Kotau der Wissenschaft vor der Politik offenbar wird: „Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst, kann eher nicht korrigiert werden.“ Auch vor dem Hintergrund, dass sich die Mehrheit des Bundestages immer noch gegen einen Corona-Untersuchungsausschuss sperrt und stattdessen gerade eine zahnlose Enquete-Kommission eingesetzt hat und sich an Jens Spahns Maskendeals abarbeitet: Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für jeden Abgeordneten in einem deutschen Parlament werden – und Journalisten wie Richtern zumindest dringend zum intensiven Studium empfohlen werden. Vielleicht traut sich der eine oder die andere danach, selbst einen Blick in die RKI-Protokolle zu werfen (keine Angst vor den 4.000 Seiten: die PDFs können ziemlich einfach nach Stichworten durchsucht werden) – damit diese endlich angemessen in der Berichterstattung und der Urteilsfindung vor Gericht berücksichtigt werden. Dem Frieden im seit der Pandemie tief gespaltenen Land würde es dienen. Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts, von Bastian Barucker (Hrsg.), 2025 , Softcover mit Klappen: 252 Seiten, 22,90 €, Massel Verlag, ISBN: 9783948576219 Buchpremiere „Vereinnahmte Wissenschaft“ [https://babylonberlin.eu/programm/live/literatur-live/8856-buchpremiere-vereinnahmte-wissenschaft] und Podiumsdiskussion über die Bedeutung der RKI-Protokolle bei der Aufarbeitung der Corona-Politik am Mittwoch, 16. Juli, 19:30 [https://www.kinoheld.de/kino-berlin/babylon-berlin/show/59602] Uhr im „Babylon“ in Berlin (mit Bastian Barucker, Aya Velàzquez, der CDU-Bundestagsabgeordneten Saskia Ludwig und Volker Boehme-Neßler, Professor für öffentliches Recht). Titelbild: Screenshot Buchcover Mehr zum Thema: RKI-Leak und die Hintergründe: Florian Warweg und Gabriele Gysi im Gespräch mit Aya Velázquez [https://www.nachdenkseiten.de/?p=118880] RKI-Files, mutmaßliche Lügen des Karl Lauterbach und die hilflosen Ausreden seines Sprechers [https://www.nachdenkseiten.de/?p=120014] Verteidigungsministerium hebt Corona-Impfpflicht für Bundeswehrsoldaten auf – Was waren die Gründe? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=115971] Corona aufarbeiten – Ohne Psychologinnen und Psychologen? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=124625] „Wir drehen durch“ – Gabriele Gysi und Florian Warweg im Gespräch mit Christine Prayon [https://www.nachdenkseiten.de/?p=118334]

16. jul. 2025 - 12 min
En fantastisk app med et enormt stort udvalg af spændende podcasts. Podimo formår virkelig at lave godt indhold, der takler de lidt mere svære emner. At der så også er lydbøger oveni til en billig pris, gør at det er blevet min favorit app.
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