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Vor zehn Jahren brannte das Gewerkschaftshaus von Odessa – Es war eines der Startsignale für einen blutigen Bürgerkrieg
Am 2. Mai 2014 starben 42 Menschen im Gewerkschaftshaus von Odessa. Ein nationalistischer Mob hatte das Gebäude mit Molotow-Cocktails und Schlägertrupps angegriffen. Der Angriff wurde von der Regierung in Kiew wohlwollend kommentiert, wenn nicht sogar organisiert, denn der ukrainische Sicherheitschef Andrej Parubi besuchte am 30. April 2014 Pro-Maidan-Kräfte, die im Gebiet Odessa Straßen kontrollierten. Von einer zielgerichteten Aktion zur Einschüchterung von Regierungskritikern wollte man in den großen deutschen Medien 2014 nichts wissen. Der Brand sei eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ gewesen, meinten damals die ukrainischen Medien. Eigene Recherchen gaben die großen deutschen Medien nicht in Auftrag. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Kein einziger der Täter und Hintermänner des Überfalls auf das Gewerkschaftshaus von Odessa wurde bis heute vor Gericht gestellt. Die Ermittlungen verliefen im Sande. Es half auch nicht, dass Beobachter des Europarates im November 2015 einen 90 Seiten umfassenden Bericht [https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=090000168048610f] vorlegten, in dem sie der Regierung in Kiew bescheinigten, dass sie die Ermittlungen zum Brand vernachlässige. Gefordert wurde eine Föderalisierung der Ukraine Wie kam es überhaupt zum Brand im Gewerkschaftshaus? In Odessa gab es eine starke Stimmung gegen den Staatsstreich in Kiew. Die Stadt war 2014 vorwiegend russland-freundlich. Nachdem die Staatsstreich-Regierung in Kiew beschlossen hatte, der russischen Sprache den Status einer Regionalsprache in Gebieten mit starkem russischen Bevölkerungsanteil abzuerkennen, kam es in Odessa und anderen Städten im Südosten der Ukraine zu Demonstrationen. In Odessa demonstrierten 20.000 Menschen für eine Föderalisierung der Ukraine. Die Föderalisten bauten vor dem Gewerkschaftshaus von Odessa ein Zeltlager auf. Am 2. Mai 2014 wurde dieses Zeltlager von aus Kiew und Charkow angereisten Ultranationalisten niedergebrannt. Etwa 300 Anti-Maidan-Aktivisten flüchteten vom Zeltlager ins Gewerkschaftshaus und verbarrikadierten sich dort in den Zimmern. Zu denen, die sich in das Gebäude geflüchtet hatten, gehörte auch Anschela Polownowa. In einem Interview (ab Minute 11:33) [https://odysee.com/@UlrichHeyden:2/%25C3%25BCberlebende-des-massakers-im:6] berichtete sie mir, was sie erlebte. Den ultranationalistischen Schlägertrupps, die in das Gebäude über einen Seiteneingang eingedrungen waren, sei es gelungen, das Bürozimmer, in dem sie sich zusammen mit anderen Schutzsuchenden befand, aufzubrechen. Die Eindringlinge hätten geschrien, „alle hinlegen“. Dann hätten die Ultranationalisten begonnen, die am Boden Liegenden mit Ketten und Knüppeln zu schlagen. Polownowa berichtet, weil der Qualm des Brandes im Gebäude das Atmen erschwerte, seien Menschen aus den Fenstern des Gebäudes geklettert und hätten sich dann an Mauervorsprüngen festgehalten. Andere sprangen in Todesangst aus dem Fenster. Doch auch unten angekommen war man sich seines Lebens nicht sicher. Viele derer, die gesprungen waren, wurden von Nationalisten, die unten warteten, mit Knüppeln blutig geschlagen. „Hier könnt ihr sehen, was aus Russland werden wird …“ Was in den Köpfen der Ultranationalisten vorging, wird in dem Film „Remember Odessa“ deutlich, den der Regisseur Wilhelm Domke-Schulz 2022 veröffentlichte. In dem Film gibt es Szenen, die zeigen, wie Maidan-Anhänger durch das Gewerkschaftshaus ziehen und mit höhnischen Kommentaren über die dort liegenden Toten reden und sich deren persönlicher Dokumente bemächtigen (bei Minute 1:00:00 [https://www.youtube.com/watch?v=56bfHtbMC9w]). Von dem Video-Streamer hört man Sätze wie, „da liegt noch eine Negerin … sie sind verbrannt“. Oder „ja, so etwas gibt es. Kartoffelkäfer“. Kartoffelkäfer wurden die russland-freundlichen Oppositionellen wegen ihre schwarz-orangenen St.-Georgs-Erkennungs-Bandes genannt. Dann hört man den Sprecher im Stream-Video sagen, „da könnt ihr euch vorstellen, was aus Russland werden wird, wenn da zufällig das Gleiche … das ist hier bloß Odessa.“ Man spürt, wie groß der Hass der Ultranationalisten auf Russen und Russland schon damals war, acht Jahre bevor die russische Armee in die Ukraine einmarschierte. Ich besuchte Odessa im Juli 2014, zwei Monate nach dem Brand im Gewerkschaftshaus. Mit Hilfe eines Ortskundigen gelang es mir, in das vom Brand zerstörte und abgesperrte Gebäude zu gelangen. Ich sah eingeschlagene Türen und vom Brand verrußte Wände. In einem Zimmer sah ich eine getrocknete Blutlache und auf einen Spiegel hatte jemand geschrieben, „wir werden Russland töten“ (ab Minute 7:30 [https://odysee.com/@UlrichHeyden:2/5.-jahrestag-des-odessa-massakers-es:e]). Die Feuerwehr kam erst spät Die Feuerwehr kam erst 38 Minuten nach dem Beginn des Brandes, obwohl die Feuerwache nur 500 Meter vom Gewerkschaftshaus entfernt liegt. Bürger, welche die Feuerwehr anriefen, wurden abgewimmelt, wie ein Audiomitschnitt der Anrufe belegt. Die Polizei, die mit nur wenigen Männern vor dem Gebäude präsent war, schritt nicht ein und die Sicherheitskräfte bekamen auch keine Verstärkung. Man hatte den Eindruck, dass der Gouverneur von Odessa, Wladimir Nemirowski, den Ultranationalisten ganz bewusst freie Hand für ihren Überfall ließ. Die Bilder aus Odessa sollten abschrecken Ungewöhnlich war, dass die Attacke auf das Gewerkschaftshaus von zahlreichen Video-Streamern begleitet wurde. Sie konnten in aller Seelenruhe filmen. Die zahlreichen Film-Teams, die während des Massakers vor Ort waren, lieferten per Stream Berichte in alle Regionen der Ukraine. Dass „ukrainische Patrioten“ – ohne dass die Polizei einschritt – ein Gebäude mit Menschen in Brand stecken konnten, sollte offenbar eine abschreckende Wirkung haben. Der Ablauf der Ereignisse zeigt: Die Staatsstreich-Regierung in Kiew wollte die Welle der Besetzungen von Regierungsgebäuden, die es im Frühjahr 2014 im Südosten der Ukraine gegeben hatte, mit aller Macht stoppen. Nach dem Massaker bedankte sich die bekannte ukrainische Politikerin Julia Timoschenko bei „den ukrainischen Patrioten“, welche „den russischen Terrorismus“ in Odessa gestoppt hätten. Als ich im Juli 2014 Odessa besuchte, begann ich spontan, Interviews mit Angehörigen der im Gewerkschaftshaus verbrannten Menschen zu filmen. Die Aufnahmen waren ein Grundstock für den Film „Lauffeuer“ [https://www.youtube.com/watch?v=LXRIuVNGmds], den ich dann mit dem Video-Kollektiv Leftvision in Berlin gemeinsam produzierte. Die Premiere des Films war im Februar 2015 im Berliner Programmkino Moviemento. „Lauffeuer“ war mehrere Jahre der einzige deutschsprachige Film, der die Ereignisse vom 2. Mai 2014 kritisch aufarbeitete und auch die politischen Motive der Brandstifter und ihrer Hintermänner nannte. Als einen der Hintermänner identifizierten wir in unserem Film Andrej Parubi, 2014 Chef des ukrainischen Sicherheitsrates, der Odessa noch am 30. April 2014 besucht und mit Pro-Maidan-Schutzstaffeln Gespräche geführt hatte, sowie den Oligarchen Igor Kolomoiski, der gewaltbereite Maidan-Anhänger finanzierte und im Frühjahr 2014 öffentlich ein Kopfgeld von 10.000 Dollar auf „Separatisten“ ausgesetzt hatte. Russen: „Warum berichtet das deutsche Fernsehen nicht?“ Für die russische Gesellschaft war der Brand im Gewerkschaftshaus in den Jahren 2014 und folgende ein zentrales Thema. Viele Russen äußerten mir gegenüber Empörung darüber, dass über den Brand im Gewerkschaftshaus in Deutschland nur am Rande und sehr verschwommen berichtet wurde. Als ich gefragt wurde, ob unser Film „Lauffeuer“ schon im deutschen Fernsehen gelaufen sei, und ich verneinte, gab es ungläubiges Staunen. Heute ist der Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa kein zentrales Thema mehr in Russland. Der Chef-Kommentator des russischen Fernsehkanals Rossija, Dmitri Kiseljow, hat zwar vor einigen Tagen noch eine längere Sendung über die Tragödie vom 2. Mai 2014 gebracht, aber im Prinzip ist in Russland alles zum Thema gesagt. Frontgebiet Odessa Wenn es heute in den russischen Medien um Odessa geht, dann nur noch, wenn über russische Angriffe auf militärische Infrastruktur in der ukrainischen Hafenstadt berichtet wird. In den letzten Tagen berichteten russische Medien mehrmals über Raketenangriffe auf militärische Ziele im Gebiet Odessa. Dabei seien durch herabfallende Raketentrümmer auch Zivilisten verletzt worden. Raketentrümmer seien durch die ukrainische Luftabwehr entstanden. Die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete, dass die russische Armee in der Nacht auf den 1. Mai 2024 einen Stab der ukrainischen Armee in der Nähe des Kulikow-Feldes im Stadtzentrum von Odessa bombardiert habe. Am Kulikow-Feld liegt auch das Gewerkschaftshaus von Odessa. Drei russische Geschosse seien eingeschlagen. In russischen Medien wird auch berichtet, es gäbe in Odessa bewaffnete Untergrund-Gruppen. Diese würden der russischen Armee als Informanten helfen. Derartige Meldungen werden wohl auch mit dem Ziel veröffentlicht, die Bevölkerung in der Ukraine zu ermutigen, sich an russischen Militäraktionen zu beteiligen. Titelbild: © Ulrich Heyden Mehr zum Thema: Odessa – 5 Jahre nach dem Brand im Gewerkschaftshaus (nachdenkseiten.de) [https://www.nachdenkseiten.de/?p=51371] [https://vg01.met.vgwort.de/na/de71868e7502403c9bc59cb32d84e09a]
02 may 2024 - 10 min
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Heraus zum 1. Mai. Gibt es was zu feiern? Ja, aber nur ein bisschen
Es ist wieder so weit. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine acht Mitgliedsgewerkschaften rufen am „Tag der Arbeit“ [https://www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit] bundesweit zu Demonstrationen, Kundgebungen und Festen unter der Losung „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit” auf. Der DGB rechnet auf rund 400 Veranstaltungen mit mehr als 300.000 Teilnehmern. Von Rainer Balcerowiak. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Seit 1886 ist der 1. Mai eine Art Fixpunkt für die internationale Arbeiterbewegung. Damals streikten eine halbe Million US-Amerikaner für die Einführung des Achtstundentags. In den folgenden Tagen eskalierte die Auseinandersetzung vor allem in Chicago, es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Acht Streikführer wurden inhaftiert und später hingerichtet. 1889 beschlossen Gewerkschaften und Arbeiterparteien auf dem Zweiten Internationalen Arbeiterkongress in Paris, zum Gedenken an die Opfer von Chicago am 1. Mai zu einer internationalen Demonstration aufzurufen. Zentrale Forderungen waren auch hier der Achtstundentag, außerdem höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. 1890 erklärte die SPD den 1. Mai offiziell zum „Kampftag der Arbeiterklasse“, und 1919 wurde er als „Tag der Arbeit“ von der Weimarer Nationalversammlung per Gesetz zum offiziellen Feiertag erklärt. In den vergangenen Jahren war der 1. Mai für den DGB vor allem ein Tag für die identitätsstiftende Selbstvergewisserung der schrumpfenden Mitgliedschaft. Und für viele Teilnehmer war es auch einfach eine große Party: Das Bier floss in Strömen, dazu kam der manchmal etwas strenge Geruch von angekokelten Bratwürsten. Auch für Kinderbespaßung – etwa mit Hüpfburgen – war gesorgt, und auf den Bühnen versuchten Kulturschaffende aller Couleur, gute Laune zu verbreiten. „Kampftag der Arbeiter“ zum Ritual verkommen Wirklich zu feiern gab es allerdings eher wenig. Die vergangenen Jahre waren von empfindlichen Reallohnverlusten, einer erodierenden Tarifbindung und einem wuchernden Niedriglohnsektor geprägt, verbunden mit einem deutlichen Mitgliederrückgang der DGB-Gewerkschaften. 500.000 Mitglieder verloren sie zwischen 2013 und 2023, jetzt sind es noch 5,65 Millionen, davon 2,1 Millionen bei der IG Metall und 1,9 Millionen bei ver.di. Noch drastischer stellt sich dieser Schrumpfungsprozess in einem längeren Zeithorizont dar: 1991 waren es noch fast zwölf Millionen Mitglieder. Es gab Jahr für Jahr die ewig gleichen „kämpferischen Reden“ von DGB-Funktionären und Polit-Prominenz, zumeist mit SPD-Parteibuch. Dieser fast schon symbiotischen Bindung der DGB-Führung an die SPD hat auch der massivste soziale Kahlschlag der bundesdeutschen Geschichte, die von einer sozialdemokratisch geführten Regierung exekutierten Agenda-2010-Reformen, kaum etwas anhaben können. Das ist diesmal nicht anders. Auf den größeren Kundgebungen werden neben der DGB-Prominenz auch die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil, der Generalsekretär Kevin Kühnert, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und die EU-Spitzenkandidatin Katarina Barley ans Mikrofon treten. Wobei stets mit mehr oder weniger lautstarken Protesten etlicher Teilnehmer zu rechnen ist, denn diese Politiker stehen nicht nur für eine aggressive Rüstungs- und Sanktionspolitik gegen Russland, sondern auch für sozial-, klima- und wirtschaftspolitische Geisterfahrten, die auch vielen Gewerkschaftsmitgliedern schwer im Magen liegen. Erfreuliche Erfolge bei Tarifkämpfen Dennoch gibt es in diesem Jahr für die Gewerkschaften durchaus etwas zu feiern. Vor allem als Reaktion auf die Inflation in den vergangenen zwei Jahren ging man recht offensiv in die Tarifrunden und konnte in einigen Branchen, teilweise begleitet von Streiks, ansehnliche Abschlüsse erzielen. Das betraf zum einen den öffentlichen Dienst und – besonders „publikumswirksam“ – alle Verkehrssektoren, also die Luftfahrt, den Schienenverkehr und den kommunalen Nahverkehr. So bekommen die Beschäftigten der Luftsicherheitsunternehmen zwischen 13,1 und 15,1 Prozent mehr, bei einer Laufzeit von 15 Monaten. Beim Bodenpersonal der Lufthansa beläuft sich die durchschnittliche Erhöhung auf 12,5 Prozent, wobei es eine Mindesterhöhung von 280 Euro pro Monat gibt, wodurch die Entgelte bei unteren und mittleren Gehaltsgruppen überproportional steigen. Auch im kommunalen Nahverkehr gab es teilweise kräftige Lohnerhöhungen mit Mindestbeträgen – und obendrauf dann stets noch als Leckerli die einmalige, steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro. Kräftig zugelangt haben auch zwei Spartengewerkschaften, die nicht dem DGB angehören. Bei der Unabhängigen Flugbegleiterorganisation (UFO) reichte ein ganztägiger Streik, um die Lufthansa in der folgenden Schlichtung zum Einlenken zu bewegen. Neben der steuerfreien Einmalzahlung bekommt das Kabinenpersonal eine dreistufige Lohnerhöhung um insgesamt 16,5 Prozent, bei einer Laufzeit bis Ende 2026. Den Vogel abgeschossen hat diesmal allerdings die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die bei der Deutschen Bahn mit massiven Streiks ihr Hauptziel durchsetzen konnte [https://www.nachdenkseiten.de/?p=106731]: Die stufenweise Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden mit vollem Lohnausgleich. Dazu auch hier die Einmalzahlung sowie eine einheitliche, zweistufige Lohnerhöhung um 420 Euro pro Monat. Und das gilt eben nicht nur für den bundeseigenen Konzern, sondern auch für fast alle privaten Konkurrenzunternehmen. Und es ist bereits abzusehen, dass die Frage der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, die jetzt von der GDL wieder nachdrücklich auf die Tagesordnung gesetzt wurde, auch in kommenden Tarifrunden anderer Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen wird. Die in diesen Branchen erfolgreichen Tarifkämpfe hatten allerdings auch recht günstige Rahmenbedingungen. Denn die Gewerkschaften sind dort traditionell gut organisiert, und Arbeitskämpfe im Verkehrsbereich üben erheblichen Druck auf die Arbeitgeber aus. Ferner spielen dort die generell im Sinne abhängig Beschäftigter (noch) relativ entspannte Lage auf dem Arbeitsmarkt und der in einigen Branchen große Arbeitskräftemangel eine Rolle. Wenn keiner mehr Bock hat, im Schichtdienst Lokomotiven oder Busse zu fahren oder den Fluggästen die Koffer abzufertigen, weil es derzeit auch andere Jobs mit besseren Arbeitsbedingungen und besserer Entlohnung gibt, dann wird das ein ziemlich großes Problem. Immer mehr tariffreie Zonen Dieses Druckpotenzial gibt es in anderen Branchen offenbar nicht. So gestaltet sich die Tarifrunde im Einzelhandel seit über einem Jahr als Hängepartie. Die Forderungen der Gewerkschaft und das Angebot der Arbeitgeber liegen meilenweit auseinander. Doch die sitzen die gelegentlichen, nur von wenigen Beschäftigen getragenen Warnstreiks bislang schulterzuckend aus. Und generell sinkt der Geltungsbereich vieler Tarifverträge erheblich. Waren 1995 noch mehr als 80 Prozent der Beschäftigten bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt, so sind es heute nur noch knapp die Hälfte [https://www.wsi.de/de/analysen-zur-tarifbindung-34899.htm]. Nur noch jeder vierte Betrieb ist an einen Tarifvertrag gebunden. Das betrifft nicht nur Kleinbetriebe und Branchen mit sehr schwachem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, sondern auch „Leuchttürme“ der Industrie und der Handelslogistik, wie z.B. Tesla und Amazon. Auch der von der „rot-grünen“ Bundesregierung unter Gerhard Schröder massiv beförderte Niedriglohnsektor hat sich verfestigt. Rund ein Viertel aller Beschäftigten verdient weniger als 14 Euro pro Stunde, wobei die große Grauzone von Subunternehmen und Scheinselbstständigen noch gar nicht erfasst ist. Gelöst werden könnte das Problem wenigstens teilweise durch die Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen auf alle oder wenigstens die meisten Branchen, was in den meisten westeuropäischen Ländern auch längst Standard ist. Doch politische Mehrheiten für so ein Vorhaben sind in Deutschland nicht in Sicht, und die Gewerkschaften sind offensichtlich zu schwach bzw. nicht willens, in dieser Frage entsprechend Druck aufzubauen. Auf die Pauke hauen dagegen jetzt Unternehmerverbände und ihre Parteien. Sie nehmen die – im europäischen Vergleich eher harmlose – Streikwelle im Verkehrssektor zum Anlass, massive Einschränkungen des Streikrechts zu fordern [https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-03/lokfuehrer-gewerkschaft-gdl-bahn-tarifstreit-kritik-fdp-streikrecht]. Aber bei aller Verkommenheit: Das kann sich die SPD nun wirklich nicht leisten. In Tarifauseinandersetzungen sind die Gewerkschaften also nach wie vor ein Faktor, vor allem für ihre traditionellen Kernklientele. Politisch sind sie dagegen weitgehend verzwergt und faktisch nicht mehr kampagnenfähig. Zur SPD-Treue gehört für große Teile des Apparats auch die prinzipielle Unterstützung der Aufrüstung, der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Sanktionen gegen Russland. Einen entsprechenden Leitantrag beschloss auch der ver.di-Bundeskongress im September 2023 [https://www.hallo-wippingen.de/wp/2023/09/ver-di-sagt-jein-bundeskongress-stimmt-fuer-lieferung-von-waffen-an-ukraine/] mit großer Mehrheit. Gegen diese Positionierungen gibt es allerdings viel innergewerkschaftlichen Widerstand – bis hin zu ganzen Landesverbänden. Aber wie bereits gesagt: Ein bisschen was zu feiern gibt es trotzdem. Man kann also ruhig auf eine Maifeier gehen und dort ein – hoffentlich nicht lauwarmes – Bier auf die Lokführer, Busfahrer, Flugsicherheitsmitarbeiter und andere trinken, die sich ein kräftiges Lohnplus erkämpft haben. Und wenn dann anschließend Esken, Klingbeil, Kühnert, Barley & Co. ans Rednerpult treten, kann man um so kräftiger buhen und pfeifen.[http://vg04.met.vgwort.de/na/b7d1613148b8471da6413f2cb6229a7e] Titelbild: Sigit Stock Vector / Shutterstock
Ayer - 11 min
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Ukraine-Konferenz in der Schweiz: Ohne Russland, ohne China, ohne Friedensabsicht
Trotz verzweifelter Versuche des Bundeskanzlers Olaf Scholz bei seinem China-Besuch hat die Volksrepublik kein Interesse an der Ukraine-Konferenz in der Schweiz. Dies ist bezeichnend für den Zustand der westlichen und vor allem deutschen Diplomatie. Die Bundesrepublik schreitet scheiternd voran in die außenpolitische Bedeutungslosigkeit. Von Artur Leier. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Beim Besuch von Olaf Scholz in China war die Ukraine von deutscher Seite wieder das dominierende Thema. Auch hier wurde, diametral zu deutschen Interessen, wieder einseitig Position für die Ukraine bezogen und mit scharfen Verurteilungen gegenüber Russland eine hysterische Rhetorik verwendet, welche die wenigen verbliebenen Brücken zwischen Deutschland und Russland weiter abbrennt und die Bundesrepublik deutlich im Lager der selbsterklärten Feinde Russlands positioniert. China bleibt bei seiner Außenpolitik Der Bundeskanzler stellte selbst fest: „Chinas Wort hat Gewicht in Russland.“ Auch Deutschlands Wort hatte früher Gewicht in Russland. Das Auftreten von Scholz in China demonstrierte wieder, warum Berlin kaum noch Einfluss in Moskau hat. Innerhalb weniger Jahre fiel das Ansehen Deutschlands, übrigens in der ganzen Welt, von dem eines ehrlichen Vermittlers auf den Status eines aggressiven Agitators für ein korruptes Regime, welches nichts mit Deutschland, der EU oder der NATO zu tun hat – wenn man sich die reale Situation in Kiew anschaut, zudem auch nichts mit Demokratie, Freiheit und Menschenrechten. Es ist für Berlin trotzdem so wichtig, diese nicht vorhandenen Werte in der Ukraine zu verteidigen, dass sogar die eigene Wirtschaft und Energiesicherheit dafür gesprengt werden. Durch diesen weitestgehenden Bedeutungsverlust Deutschlands blieb dem Bundeskanzler deshalb nur die verzweifelte und vage Bitte an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, „auf Russland einzuwirken“, und der Versuch, China von einer Teilnahme bei der Ukraine-Konferenz zu überzeugen, die im Juni in der Schweiz stattfindet. Dazu sahen wir auf dem X-Konto von Olaf Scholz und in der deutschen Presse dann Versuche, die Gespräche so darzustellen, als würde sich China eine Teilnahme bei dieser Konferenz überlegen und diese zumindest „unterstützen“. Dies basierte allerdings auf rhetorischen Tricks und kleinen Manipulationen, bei denen sich an jedes Wort der chinesischen Seite geklammert wurde wie an einen lebensrettenden Strohhalm. Da die Chinesen eben noch Diplomatie verstehen und kein hartes „Nein“ äußerten, wurde daraus in Deutschland teilweise ein „Vielleicht“ gezaubert (so im Tagesspiegel vom 16. April). In Wahrheit waren die Aussagen, bei allen diplomatischen Gepflogenheiten, klar genug. Der chinesische Präsident sagte, China fördere „die Friedensgespräche auf seine eigene Weise“ und unterstütze nur eine Friedenskonferenz, die von Russland und der Ukraine, also von beiden direkten Konfliktparteien akzeptiert werde. Da Russland zu der Konferenz im Juni nicht eingeladen ist und es dort absehbar wieder darum gehen wird, die antirussische Position des Westens zu wiederholen, wird es also keine Beteiligung Chinas geben. Deutschland und die EU ohne eigene Außenpolitik Man kann sagen, Xi Jinping und Olaf Scholz haben von verschiedenen Dingen gesprochen, weil sie Außenpolitik auf verschiedenen Ebenen betreiben. China betreibt eine souveräne Außenpolitik auf der höchsten Ebene von Geopolitik, ebenso Staaten wie Russland und die USA. Deutschland und auch die EU positionieren sich selbst eine Ebene darunter – als Erfüllungsgehilfen imperialistischer Interessen der USA und seines transnationalen Finanzkapitals. Deshalb konnte der Bundeskanzler sich in China zwar um bessere Bedingungen für deutsche Unternehmen bemühen, aber bei der Außenpolitik wurde er nicht als ernsthafter Gesprächspartner wahrgenommen. Das war nicht immer so. Erst knapp 20 Jahre ist es her, da konnten sich ein Gerhard Schröder und Jacques Chirac zu einem klaren „Nein“ gegen den Irakkrieg verbünden, trotz allen Drucks aus England und vor allem den USA sowie nicht zuletzt auch von transatlantischen Medien, die Frankreich und Deutschland möglichst tief in diesen verbrecherischen Krieg hineinziehen wollten, der unter dem Vorwand von Massenvernichtungswaffen gestartet und in Wirklichkeit wegen Öl und strategischen Interessen im Nahen Osten geführt wurde. Es stimmt also in gewisser Hinsicht, wenn einige Experten sagen, dass die EU eine eigene Außenpolitik entwickeln muss. Entscheidend ist aber, was damit gemeint ist, und da muss man genau hinschauen. Denn wenn es darum geht, die häufig erwähnte „Verantwortung“ zu übernehmen, dann ist Vorsicht geboten. Meist geht es dann darum, die imperialistische Politik des Westens in einer Region durchzusetzen, wenn die USA mit einer anderen Region beschäftigt sind. Genau dies ist im Falle der Ukraine zu beobachten. Da die USA sich langsam aus der Ukraine zurückziehen, weil sie ihren Fokus auf China legen müssen, hört man aus Brüssel vermehrt, dass Europa nun die Ukraine unterstützen müsse. Allerdings ist das neoliberale Konstrukt EU nicht Europa, und die Bürokraten in Brüssel sprechen nicht für die Völker Europas. Von einer „eigenen“ Außenpolitik der EU braucht man also keine Verbesserung zu erwarten. Die Antwort liegt bei positiven Veränderungen auf Ebene der Nationalstaaten. Wenn Staaten wie Deutschland und Frankreich wieder anfangen, eine souveräne Außenpolitik zu betreiben, dann werden wieder eigene Interessen vertreten. Das „Nein“ zum Irakkrieg zeigt, dass dies möglich ist. Dann können wir auch wieder ehrliche Friedensinitiativen aus Deutschland erwarten statt durchschaubarer Versuche eines deutschen Bundeskanzlers, einen Keil zwischen Peking und Moskau zu treiben. Dann werden auch deutsche Außenminister, ohne feministische oder maskulistische Außenpolitik, wieder auf Augenhöhe gesehen und behandelt, anstatt dem Ansehen Deutschlands in der ganzen Welt zu schaden. Das bedeutet nicht, dass Volksinteressen dann immer oder auch nur meist vor Kapitalinteressen stehen werden, aber eine sachliche Realpolitik im nationalstaatlichen Interesse wäre bereits eine enorme Verbesserung. Westliche Diplomatieverweigerung schadet prowestlichen Kreisen Man muss konstatieren, dass die westliche Diplomatie vorrangig dazu beigetragen hat, die „Friedenspartei“ in politisch einflussreichen Kreisen Russlands zu schwächen. Ihre Grundüberzeugung, dass die Diplomatie siegreich sein muss und nicht das Militär, wurde immer weniger haltbar und entfernte sich zunehmend von der Realität einer aggressiven Einkreisung Russlands durch die NATO und US-Militärbasen. Auch nach der Zuspitzung der ukrainischen Kriegsvorbereitungen gegen die Volksrepubliken des Donbass und dem folgenden russischen Einmarsch in die Ukraine gab es genug Möglichkeiten, schnell zum Frieden zurückzukehren. Tatsächlich gab es umgehend Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern in Weißrussland und dann große Fortschritte auf Vermittlung der Türkei. Vielleicht war dies die letzte Chance für die – durchaus prowestliche – Friedenspartei in Moskau, ihre Vorstellungen im Kreml durchzusetzen. Stattdessen folgte ein einseitiger Verhandlungsabbruch auf Wunsch des Westens, und mit jedem Kriegsmonat festigte sich auch bei dieser Friedenspartei die Einsicht, dass der Westen nur eine vollständige Niederlage und schlussendlich Vernichtung Russlands akzeptiert. Dadurch wurde vor allem das Ansehen der großen westeuropäischen Staaten und damit auch der EU in Moskau nachhaltig geschädigt. Denn bei den USA ist man eine harte geopolitische Auseinandersetzung gewohnt, und beide Seiten haben sich im Kalten Krieg nichts geschenkt. Am Ende hat sich bei den Amerikanern aber oft ihr Business-Pragmatismus durchgesetzt, und es wurde ein Geschäft angeboten. Die Wahrnehmung gegenüber Westeuropa war aber eine andere, und einflussreiche Kräfte in Moskau sahen sich wie selbstverständlich als Teil Europas. Es ist kein Geheimnis, dass Putin selbst offen germanophil ist und gutes Deutsch spricht. Seine Rede im Bundestag von 2001 war ehrlicher Ausdruck seiner damaligen Haltung. Nun ist prowestlich, proeuropäisch oder germanophil nicht das Gleiche, aber es gab in Russland selten einen so westorientierten Präsidenten wie Putin – deshalb auch die ständigen Versuche, eine Einigung zu finden, sowohl bei Treffen mit dem US-Präsidenten George Bush Jr. als auch mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und entsprechend groß war der Einfluss prowestlicher Kreise im Kreml. Der Westen hat es mit seiner Anti-Diplomatie geschafft, einen solchen Präsidenten zum Gegner und sogar Feind zu machen. Denn am Ende ist Putin Staatsmann und hat, bei allen subjektiven Sympathien, das objektive Interesse seines Volkes im Sinn. Gerade dadurch konnten, ideologisch und innenpolitisch heterogene, antiwestliche Kreise in Moskau triumphieren und darauf hinweisen, dass sie es schon immer gesagt haben: Der Westen ist politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verrottet und selbst die vormals schöne Fassade ist weitestgehend abgebröckelt. Für Europa oder die EU kommt erschwerend hinzu, dass keine eigenständige Politik betrieben wird und eine direkte Abhängigkeit von den USA besteht. Deshalb müsse sich Russland bei seiner Bündnispolitik nach Osten und Süden orientieren. Das ist, durch westliche Diplomatieverweigerung und kurzsichtige Machtpolitik ohne Berücksichtigung der Langzeitfolgen, nun die dominante Denkweise in Moskau. Diplomatie muss langfristig denken und die Geschichte kennen Das alles geschieht vor dem Hintergrund katastrophaler Erfahrungen in den 1990er-Jahren. Der Westen hat damals, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, seine antirussische Politik nahtlos fortgesetzt und sogar zugespitzt. Die Herrschaft der Jelzin-Oligarchie wurde aktiv unterstützt, das Volksvermögen wurde geplündert und endete meist in westlichen Banken. Alles, was unter Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft vermarktet wurde, war in Realität das Gegenteil des Versprochenen. Dies führte in der Bevölkerung zum nachhaltigen Misstrauen gegenüber liberalen Politikern sowie Ideen und zum Wunsch nach einer starken sichtbaren Hand, die für Ordnung sorgt, statt der unsichtbaren Hand des Marktes, die Chaos verursacht und das Land verkauft. Das Verhalten des Westens wurde so wahrgenommen, als ob die sowjetische Propaganda über westlichen Imperialismus noch untertrieben hat. Man erlebte bzw. überlebte einen Westen, der nur die vollständige Unterwerfung akzeptiert und nur die Sprache der Stärke versteht. Wie Hohn wirkt es da, wenn diese Zeit in der westlichen Bewertung und von Liberalen in Russland weiterhin positiv dargestellt wird. Auch deshalb ist die prowestliche Opposition innerhalb Russlands heute bedeutungslos und dient nur dazu, Bilder und „Hoffnungsträger“ für die westliche Propaganda zu erzeugen. Wenn Wladimir Putin also jede Präsidentschaftswahl deutlich und immer deutlicher gewinnt und das Ergebnis umso höher ist, je stärker der Druck von außen wird, dann liegt dies an den Erfahrungen der russischen Bevölkerung in Vergangenheit und Gegenwart. Dazu gehört die lebendige Erinnerung an die 1990er-Jahre, vor allem aber die heutige, hysterisch-antirussische Politik des Westens. Wenn zudem die Bundesrepublik geschichtsvergessen wieder gegen Russland hetzt und deutsche Panzer in die Ukraine schickt, dann gehört dazu auch das historische Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. Der Westen hat mit seiner Politik also nur erreicht, das russische Volk hinter Putin zu vereinen. Er hat ebenfalls dazu beigetragen, Russland und China zu strategischen Verbündeten zu machen. Eine Ukraine-Konferenz in der Schweiz, zu der Russland nicht eingeladen ist, hat deshalb keine ehrliche Friedensabsicht. Sie überzeugt niemanden, der nicht schon überzeugt ist, und das sind faktisch nur direkt von den USA abhängige Regime des „kollektiven Westens“. Sie zeigt aber der russischen Bevölkerung wieder, dass nur die vollständige Niederlage und Unterwerfung angeboten wird. Das ist so kurzsichtig wie die Politik nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Damit wird nur die organische Opposition in Russland, von links bis rechts, nachhaltig und unnachgiebig gegen den Westen eingestellt. Die wahre Rechnung dafür kommt später, nach der Zeit von Wladimir Putin. Einige werden sich dann nostalgisch an den germanophilen russischen Präsidenten erinnern. Russlandexperten und Historiker werden darauf hinweisen, dass der Westen um 2000 mit der Unterwerfung bzw. Vernichtung Russlands gescheitert ist, dies hätte einsehen müssen, und danach 30 Jahre Zeit hatte, um das Riesenreich zum Partner auf Augenhöhe zu machen. Die USA werden sich, als imperiales Zentrum hinter dem Ozean, noch länger als Machtfaktor behaupten können, auch wenn sie schon jetzt in einer gesellschaftlichen Dystopie leben. Die deindustrialisierte BRD wird diese Russlandpolitik aber am härtesten Treffen. Die deutschen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen der Zukunft werden leise über die suizidale Außenpolitik dieser Zeit meckern, während Sie auf dem Lastenrad um ein Windrad fahren und nach Pfandflaschen sowie Brennmaterial suchen. Titelbild: Shutterstock / Michael Derrer Fuchs Mehr zum Thema: Deutschland will „Völkermord“-Resolution bei UN-Vollversammlung einbringen: AA-Sprecher weiß angeblich von nichts [https://www.nachdenkseiten.de/?p=114544] „Kulturwandel“ im Auswärtigen Amt: Baerbock will, dass deutsche Diplomaten mehr auf Social Media gegen Russland und China austeilen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=103079] Die Infantilisierung der deutschen Außenpolitik: Botschafterin in der Ukraine posiert mit „Kuschel-Leo“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=95404] Fake News von Tagesschau und Baerbock? – „Russischer Terrorangriff“ auf Marktplatz von Kostjantyniwka war laut New York Times wohl ukrainische Rakete [https://www.nachdenkseiten.de/?p=104050] Staatsfern? Anfrage ergibt: Bundesregierung zahlte Hunderttausende Euro an Journalisten von ARD und ZDF [https://www.nachdenkseiten.de/?p=94769]
30 abr 2024 - 13 min
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„Landesverräter“ rufen „Haltet den Dieb!“
In der aktuellen Debatte um mutmaßliche China-Spionage durch AfD-Personal ist eine weitere Verrohung zu beobachten. Politische Konkurrenten als „Verräter“ zu bezeichnen, ist abzulehnen. Es kann außerdem als Ablenkungsversuch vom eigenen „Verrat“ an den Interessen der Bürger bezeichnet werden. Die nun praktizierte Verrohung kann sich auch irgendwann gegen die Initiatoren der sprachlichen Tabubrüche wenden. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Wie manche Begriffe umgedeutet werden, kann aktuell angesichts der Debatte um mutmaßliche Spionage für China durch AfD-Personal [https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/haftbefehl-jian-g-afd-100.html] beobachtet werden: Wer Vokabeln wie „Volksverräter“ benutzt, um den politischen Gegner zu beschädigen, der wurde früher eher einem rechtsextremen Lager zugeordnet, das Gleiche gilt für Wörter wie „Kriegstüchtigkeit“ oder „Verächter des Staates“. Auch wer forderte, dass Russland niedergerungen gehöre, wurde früher eher als rechtsradikal denn als staatstragend betrachtet. Heute gehört all das zum Vokabular sogar von Unterstützern der Bundesregierung. Ich lehne die Nutzung des Begriffs „Verräter“ im politischen Zusammenhang als polarisierend und verrohend ab – aber da er nun fast schon als „offiziell“ eingeführt wird, komme ich in diesem Text nicht darum herum. Auf die konkreten Fälle mutmaßlicher Spionage etwa für China soll hier nicht eingegangen werden: Für eine sinnvolle Beurteilung der Fälle bleibt noch abzuwarten, wie gravierend das Ganze ist. Hier geht es nur um die sprachliche Ebene der Reaktionen. Der Nazi-Paragraph „Volksverrat durch Lügenhetze“ Telepolis beschreibt einige Beispiele für die aktuelle Nutzung der Begriffe in diesem Artikel [https://www.telepolis.de/features/Nazi-Sprech-kann-die-AfD-besser-Der-Vorwurf-des-Volksverrats-und-seine-Tradition-9696893.html] und erinnert daran, dass „Volksverrat durch Lügenhetze“ von den Nazis als Straftatbestand eingeführt worden sei. Im Artikel heißt es zum aktuellen Gebrauch: > „Die Junge Union und andere, die sich zum demokratischen Spektrum zählen, nutzen das Wort ‚Volksverräter‘ jetzt für AfD-Politiker – mal mit, mal ohne Fragezeichen auf der Plattform X, wo von der AfD auch als ‚Alternative für Russland und China‘ die Rede ist und ihr Kürzel in kyrillischen Buchstaben auftaucht. ‘Für wen arbeitet die AfD?’, fragt dort die Junge Union Deutschland, ihr Bundesvorsitzender Johannes Winkel nutzt in diesem Kontext den Hashtag #Volksverräter – und der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe äußerte bereits den Verdacht, ‚dass die Vaterlandsverräter von der AfD direkt vom Kreml bezahlt werden‘.“ Der Spiegel titelt aktuell [https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2024-18.html] zur AfD (ein Ausschnitt ist auch das Titelbild dieses Artikels): „Die Landesverräter – Moskaus Marionetten“. Die Nutzung solcher Kampfbegriffe ist nicht ganz neu – bereits vergangenen Sommer hatten die NachDenkSeiten im Artikel „Die Grünen und die Landesverräter [https://www.nachdenkseiten.de/?p=102977]“ geschrieben: > „Die Wortwahl Hofreiters und die Gedankenspiele um Parteiverbote stellen eine weitere verbale Eskalation dar, dieser Eskalation haftet aber auch etwas Verzweifeltes an: Dem Erkenntnisprozess vieler Bürger bezüglich der realen Auswirkungen grüner Politik (jenseits der Phrasen) müssen immer stärkere sprachliche Geschütze entgegengestellt werden.“ Und weiter: > „Der Gebrauch des Begriffs ‚Landesverräter‘ könnte für die Grünen auch gefährlich werden: Wenn sie den Begriff durch die eigene Nutzung selber auf die Stufe eines ‚legitimen Ausdrucks‘ im Meinungskampf einführen, dann kann das Wort auch an den Grünen hängenbleiben: Vielleicht haben manche Kritiker der Grünen bisher gezögert, den harten Ausdruck vom ‚Landesverräter‘ gegen den politischen Gegner zu nutzen – nun gibt ihnen Hofreiter indirekt die ‚Erlaubnis‘.” Diese Warnung gilt noch immer: Begriffe wie „Volks-, Vaterlands- oder Landesverräter“ bedeuten für mich „Hasssprache von oben“. Ihre Nutzung kann auch nicht durch den Verweis auf den (ebenso abzulehnenden) Gebrauch durch andere (rechte) Gruppen [https://www.spiegel.de/politik/deutschland/dresden-proteste-volksverraeter-aber-gerne-doch-kommentar-a-1115094.html] gerechtfertigt werden – schließlich zählt man sich doch zu den Guten. Aber die Begriffe sind nicht nur polarisierend und verrohend, sie können auch gefährlich für jene Politiker und Journalisten werden, die sie nun nutzen. Denn die teils radikale Politik der Bundesregierung bezüglich Ukrainekrieg, russischer Energie, Aufrüstung und daraus folgender Kriegsgefahr und Verarmung kann durchaus als ein „Verrat“ an den Interessen der Bürger hierzulande zugunsten von US-Interessen interpretiert werden, wenn man sich schon eines solchen Vokabulars bedienen möchte. Außenministerin Baerbock hat diese Haltung schön offen illustriert, als sie sagte: „Egal, was meine deutschen Wähler denken: Wir stehen zur Ukraine“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=87511]. Da ist es eine provokante Flucht nach vorne, wenn Wirtschaftsminister Habeck die für alle Seiten zerstörerische „Hilfe“ für die Ukraine laut Medien [https://www.welt.de/politik/deutschland/article250809996/Robert-Habeck-verteidigt-Ukraine-Unterstuetzung-mit-Verweis-auf-Amtseid.html] auch noch mit seinem Amtseid begründet, der ihn verpflichte, Schaden abzuwenden. „Haltet den Dieb!“ Wir erleben momentan den Versuch einiger politischer Akteure, den Begriff „Verräter“ zu kapern und gegen jene zu wenden, die ihn potenziell nutzen würden (der AfD „wegnehmen“). Zusätzlich wird mit der Nutzung „Haltet den Dieb!“ gerufen und vom eigenen „Verrat“ abgelenkt. Das ist – wie gesagt – nicht ohne Risiko, denn wenn man mit Kampfbegriffen wie „Volksverräter“ selber die Kommunikation verroht, dann kann man auch Opfer dieser Verrohung werden. Die Methode „Haltet den Dieb“ hat momentan auch auf anderen Ebenen Konjunktur: Vor allem Wirtschafts- und Außenministerium beklagen regelmäßig Entwicklungen, die sie selber forciert haben, und stellen sie als „höhere Gewalten“ dar, denen sie sich tapfer entgegenstellen müssen. Dass die AfD für mich keine politische Alternative darstellt [https://www.nachdenkseiten.de/?p=101632], habe ich oft geschrieben. Der Vorgang um die mutmaßlichen Spionagefälle und der große mediale Aufwand können aber doch den Eindruck einer Kampagne gegen einen politischen Konkurrenten erwecken, das wäre prinzipiell abzulehnen. Ich wage zu bezweifeln, dass die mutmaßlichen Spionagefälle solche Aufmerksamkeit erfahren würden, wenn wir uns nicht kurz vor einigen Wahlen befinden würden. Es schwingt noch eine weitere Ablenkung in der politischen Nutzung des Begriffs „Verräter“ und der Darstellung der AfD als von ausländischen Mächten gesteuert mit: Durch diesen Kunstgriff kann das Symptom AfD von ihrer Ursache getrennt werden. Denn der Erfolg der AfD liegt selbstverständlich zuerst in der Politik der letzten Regierungen begründet und nicht in Geldzahlungen aus Peking. Doch Symptom und Ursache werden in der AfD-Debatte ja von jeher möglichst scharf getrennt. Die Debatte um Einmischung steht auf dem Kopf Dass Deutschland sich vor ausländischer Einmischung schützen sollte, finde ich selbstverständlich. Allerdings ist die Gewichtung in der Debatte darüber auf den Kopf gestellt: Während wir täglich vor den Gefahren der Desinformation durch „autokratische Systeme“ gewarnt werden, fällt die mutmaßlich massive Spionage und die politische Einmischung durch private und staatliche US-Interessen, die die Bürger hierzulande weit mehr betreffen, weitgehend unter den Tisch. Titelbild: Screenshot/Spiegel Mehr zum Thema: Die Grünen und die Landesverräter [https://www.nachdenkseiten.de/?p=102977]
30 abr 2024 - 7 min
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China und britische Versicherer glauben nicht an die offizielle Version zur Sprengung von Nord Stream
Eineinhalb Jahre ist es nun her, dass beide Stränge der Gaspipeline Nord Stream 1 und ein Strang der nie in Betrieb genommenen, neueren Gaspipeline Nord Stream 2 in den Gewässern vor Bornholm gesprengt wurden. Während der Starjournalist Seymour Hersh [https://www.nachdenkseiten.de/?p=104405] und viele andere davon ausgehen, dass die Pipelines von den USA gesprengt wurden, gehen die offiziellen Ermittlungen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=102997] von einer Sprengung durch nichtstaatliche ukrainische Terroristen aus. China will sich damit nicht zufriedengeben und forderte in der letzten Woche im UN-Sicherheitsrat Untersuchungen und Führung der UN. Argumentative Unterstützung bekommt China aus einer unerwarteten Ecke. Die beiden britischen Versicherer Lloyd’s of London und Arch weigern sich, für den Schaden zu zahlen, und reichten vor wenigen Tagen ein Dokument vor einem Londoner Gericht ein, in dem sie einen staatlichen Akteur für die Sprengung verantwortlich machen und darauf verweisen, dass die Versicherung der Pipeline für Kriegsschäden nicht haftet. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Im Februar 2023 debattierte der UN-Sicherheitsrat schon einmal über die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines [https://www.nachdenkseiten.de/?p=94179]. Russland, China und Brasilien forderten damals eine Untersuchung des Anschlags durch die UN. Die USA und die Europäer lehnten dies mit der Begründung ab, dass die laufenden Untersuchungen der Anrainerstaaten Deutschland, Dänemark und Schweden bereits ausreichend sind und bald zu abschließenden Ergebnissen kommen. Die Untersuchungen durch Dänemark [https://www.tagesschau.de/ausland/europa/daenemark-nord-stream-untersuchung-100.html] und Schweden [https://www.spiegel.de/ausland/schweden-stellt-ermittlungen-zu-nord-stream-explosionen-ein-a-cf307548-3031-4f40-af37-2b31979ade12] sind bereits abgeschlossen und kamen zu keinem Ergebnis. Die deutschen Untersuchungen laufen noch, haben sich jedoch auf die unwahrscheinliche Arbeitshypothese festgelegt, dass die Pipeline durch ein paar ukrainische Hobbytaucher vom Bord eines Segelschiffs aus gesprengt wurde und es weder einen staatlichen Auftraggeber noch eine Mittäterschaft von staatlichen Akteuren gab. Diesen Ergebnisstand finden die Chinesen „enttäuschend“. Man könne „keine konkreten Fortschritte [bei den Ermittlungen] erkennen“, so der stellvertretende chinesische UN-Botschafter Gen Shuang [http://un.china-mission.gov.cn/eng/hyyfy/202404/t20240427_11290033.htm] am Freitag im UN-Sicherheitsrat. „In dieser Situation kann man nur vermuten“, so Shuang, „dass sich hinter dem Widerstand gegen eine internationale Untersuchung eine versteckte Absicht verbirgt, während man gleichzeitig die mögliche Vertuschung und den Verlust einer großen Menge zwingender Beweise beklagt.“ China fordere „die betroffenen Länder auf, aktiv mit Russland zu kommunizieren und mit ihm bei der gemeinsamen Untersuchung zusammenzuarbeiten“ und hoffe, „dass eine baldige Einigung über den Entwurf erzielt werden kann, so dass der Rat sich so bald wie möglich zu diesem Thema äußern kann“. Konkrete Folgen wird der chinesische Vorstoß jedoch wahrscheinlich nicht haben, da es bei einer Abstimmung im UN-Sicherheitsrat neun Stimmen für einen Antrag auf die Aufnahme eigener Ermittlungen durch die UN bräuchte, von den 15 Mitgliedern vier Staaten Mitglieder der NATO sind und mit Malta, Japan und Südkorea drei weitere enge Verbündete der NATO im Gremium sitzen. Sehr konkrete Folgen wird jedoch ein Richterspruch des Handelsgerichts des britischen High Court of Justice haben. Dort reichte vor rund einem Monat [https://de.marketscreener.com/kurs/aktie/MUNICH-RE-436858/news/Nord-Stream-verklagt-Versicherer-in-London-wegen-Pipeline-Explosionen-im-Jahr-2022-46151942/] die im schweizerischen Zug ansässige Nord Stream AG eine Klage gegen die beiden britischen Versicherungskonzerne Lloyd’s of London und Arch ein. Die beiden Konzerne gehören zu den Versicherern der Nord-Stream-1-Pipeline – der Versicherungsschutz für Nord Stream 2 durch westliche Versicherer musste nach der Androhung von Sanktionen durch die USA im Jahr 2021 gestoppt werden, für Nord Stream 1 galten diese Sanktionen jedoch nicht. Die Nord Stream AG beziffert den versicherten Schaden in ihrer Klage auf 400 Millionen US-Dollar, Lloyd’s und Arch weigerten sich bislang jedoch zu zahlen. In ihrer Antwortschrift zur Nord-Stream-Klage, die mittlerweile auch öffentlich vorliegt [https://www.dropbox.com/scl/fi/y8ezf3pjdjpp2npp7fpog/2024-04-08-Nord-Stream-v-1-LIC-and-2-Arch-CL-2024-000094-Defence.pdf?rlkey=tpptejx0c9d7c2ncjposv9l9a&e=1&dl=0], verweisen die Versicherer darauf, dass der Versicherungsvertrag mit Nord Stream Kriegsschäden ausdrücklich ausschließe. Solche „Kriegsklauseln“ sind übrigens bei privaten Versicherungen vollkommen normal, die Definition, was ein Kriegsschaden ist und was nicht, ist jedoch strittig. Lloyd’s und Arch verweisen darauf, dass die Sprengung von Nord Stream 1 „nur – oder mit hoher Wahrscheinlichkeit – von einer Regierung oder auf deren Befehl hin verursacht werden konnte“. Dies stehe in direktem Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg und sei demnach ein kriegerischer und kein terroristischer Akt; gegen Letzteren wäre die Pipeline sehr wohl versichert. Diese Argumentation ist vor allem in dem Punkt interessant, da die beiden britischen Versicherungskonzerne damit der von deutschen und amerikanischen Medien mit Nachdruck vertretenen Hypothese widersprechen, nach der die beiden Pipelines von ukrainischen Terroristen ohne Auftrag und ohne Mithilfe eines staatlichen Akteurs gesprengt worden wären. Dies wäre nämlich aus versicherungsrechtlicher Sicht ein Terrorakt, bei dem die Versicherung für den Schaden aufkommen müsste. Folgt man jedoch der Hersh-Version, wäre die Sprengung ein von einem oder mehreren Staaten verursachter Schaden, für den die Kriegsklausel-Regelung gelten und die Versicherer aus der Haftung befreien würde. Spitzfindig könnte man sogar argumentieren, dass Lloyd’s und Arch den USA damit unterstellen, einen kriegerischen Akt gegen Russland begangen zu haben. Darüber muss nun der High Court of Justice entscheiden, und das Urteil wird – egal wie es ausfällt – ein weiteres Politikum. Folgt der Gerichtshof den Argumenten von Lloyd’s und Arch, führt er höchstrichterlich die offiziellen Arbeitshypothesen der deutschen Ermittler ad absurdum und bringt den Westen auch international in eine prekäre Lage, da unter anderem die britische Regierung dann vor dem UN-Sicherheitsrat Ermittlungen verteidigen müsste, die der eigene Gerichtshof für unplausibel hält. Gibt der High Court of Justice hingegen der Nord Stream AG recht, bringt er die britischen Versicherer Lloyd’s und Arch in eine prekäre Lage, da sie zwar schadensersatzpflichtig wären, die Zahlung der Versicherungssumme jedoch durch die jüngeren Sanktionen nicht zulässig wäre. Russland ist Mitglied der Welthandelsorganisation WTO und würde in diesem Fall sicherlich Großbritannien vor der WTO verklagen, da es durch seine Sanktionen die Zahlung von Ansprüchen verhindert, die ein eigenes Gericht in einem Urteil bestätigt hat. Auch für die Bundesregierung hätte dies politische Folgen, da sowohl die Bundesrepublik selbst als auch zahlreiche deutsche Firmen in einem solchen Fall Ansprüche an ihre Versicherungen geltend machen könnten. An Nord Stream 1 waren beispielsweise auch die deutschen Konzerne E.On und Wintershall DEA beteiligt, auch wenn sie ihre Anteile mittlerweile abgeschrieben haben. Wenn diese Konzerne einen überzeugenden Rechtsanspruch an die Versicherungen haben und ihn aus politischen Gründen nicht geltend machen, würde dies den Tatbestand der Untreue gegenüber den Aktionären erfüllen. Interessant ist auch, dass die Nord Stream AG Nord Stream 1 nicht nur bei Lloyd’s und Arch, sondern auch bei anderen Versicherungen – darunter den deutschen Konzernen Munich Re und Allianz – versichert hat. Es ist unklar, ob das Londoner Urteil den Weg auch für Ansprüche gegen diese Konzerne frei machen würde, und es ist ebenfalls unklar, bei wem sich Lloyd’s und Arch selbst bei diesem Geschäft abgesichert haben. Es ist durchaus üblich, dass einzelne Versicherer solche Großprojekte bei Rückversicherern absichern – hier kämen aus Deutschland die beiden Branchengrößen Munich Re und Hannover Rück in Frage. Während es im aktuellen Verfahren vor dem High Court erst einmal „nur“ um 400 Millionen US-Dollar geht, wird der Gesamtschaden von den Versicherern auf 1,2 bis 1,35 Milliarden US-Dollar beziffert. Und auch das dürfte nicht die volle Schadenssumme sein, hat der Bau von Nord Stream 1 doch einst ganze 7,8 Milliarden Euro gekostet [https://www.handelszeitung.ch/insurance/wer-zahlt-fur-die-zerstorte-nord-stream-pipeline-542356], und es klingt nicht eben wahrscheinlich, dass der Betreiber die Pipeline derart massiv unterversichert hat. Unklar ist zudem, ob die US-Sanktionsandrohungen für Nord Stream 2 wirklich von sämtlichen Versicherern befolgt worden. Auch hier drohen milliardenschwere Klagen. Nord Stream 2 hat 7,5 Milliarden Euro gekostet. Auch wenn die westliche Politik gerne möglichst schnell Gras über die Sache wachsen lassen und ebenso wie die Medien die gesamte Thematik am liebsten totschweigen würde, wird – so viel ist jetzt schon klar – die Sprengung noch einige Gerichte beschäftigen. Und ob diese ebenso leichtgläubig wie die deutschen Medien der offiziellen Arbeitshypothese folgen werden, ist unwahrscheinlich. Es bleibt also spannend. Titelbild: Illustration der Explosion der Nord-Stream-Pipelines – shutterstock / apprenticebk[http://vg02.met.vgwort.de/na/fd37fa8fc6564f09861df13d3c7ebdac]
30 abr 2024 - 8 min

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