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„Rund 900.000 russische Soldaten in der Ukraine getötet oder verletzt“ [https://www.spiegel.de/ausland/russland-ukraine-krieg-rund-900-000-russische-soldaten-getoetet-oder-verletzt-a-5655ee70-b449-46d8-86fc-3bb60734f168] – so lautet die Überschrift eines aktuellen Spiegel-Beitrags. Der Artikel beruht auf einer dpa-Meldung, die von zahlreichen Medien [https://www.google.com/search?sca_esv=a041a287eb5789bb&q=900.000+soldaten&tbm=nws&source=lnms&fbs=ABzOT_DDfJxgmsKFIwrWKcoyw2RfQzk-mnhEZ0eNebVtggJglAtzv79DvUAGHYU54HwtYyOhgwVGQSW5CPAi2zxheyO5SyyEB7j-0-HM0dq62Xs38QLi6lIiN4S8RC06raBxA7F8w3-XXxCKNgV-6IbmqIQk-vCRjcOtNYb4F7nyV8DsgStFNx-Ll30Ack_fxxpZf8hlhQkTW3WwOYfZQnVTTMsZIk8-jw&sa=X&ved=2ahUKEwi009u06r2MAxVsS_EDHcV8H9EQ0pQJegQIDxAB&biw=1536&bih=863&dpr=1] aufgegriffen wird. Was der Öffentlichkeit serviert wird, ist jedoch kein Journalismus, sondern Propaganda. Warum? Von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Die Frage nach den Opferzahlen im Ukraine-Krieg ist elementar. Doch verlässliche Zahlen zu bekommen, ist schwierig. Im Krieg sollen bestimmte Fakten und Wahrheiten der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Die Angaben zu getöteten und verwundeten Soldaten gehören dazu. Keine der an dem Krieg beteiligten Seiten hat ein Interesse, an dieser Stelle mit offenen Karten zu spielen. Schließlich: Je höher die nach außen kommunizierten eigenen „Verluste“ sind, umso schwieriger wird es, in der eigenen Bevölkerung die Kriegsbereitschaft hochzuhalten. Auch für den Westen, der sich als „Unterstützer“ der Ukraine inszeniert, sind hohe ukrainische Todes- und Verlustzahlen ein Problem. Denn auch in den Unterstützerländern ist davon auszugehen, dass bei einem großen „Schadensbild“ die Bevölkerung zu der Einsicht gelangt: Es reicht mit Waffenlieferungen! Nun geht also eine Meldung durch die Medien, in der von 900.000 getöteten und verletzten russischen Soldaten die Rede ist. Die Meldung stammt von der Nachrichtenagentur dpa und wurde von einigen Medien redaktionell bearbeitet. Die Angaben beruhen, wie es in dem Spiegel-Artikel heißt, auf den Aussagen eines „ranghohen Nato-Beamten“. Er sprach „am Rande eines Außenministertreffens in Brüssel von bis zu 250.000 Toten“. An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, ob diese Angaben stimmen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass jede Seite im Sinne der Propaganda versucht, die Verluste des Gegners größer darzustellen, als sie sind, während die eigenen Verluste nach unten gerechnet werden. Aber lassen wir das mal beiseite. Unabhängig davon, ob diese Zahlen korrekt sind oder nicht: An dieser Meldung ist etwas anderes bemerkenswert. Zur journalistischen Sorgfaltspflicht gehört es, umfassend zu berichten. Dazu gehört, dass in der Meldung auch Angaben zu den ukrainischen Opferzahlen angeführt werden. Die Formulierung „ukrainische Soldaten“ kommt in der vom Spiegel veröffentlichten Meldung genau null Mal vor! Anders gesagt: Nirgends in dem Beitrag sind Angaben zur Anzahl der ukrainischen Opfer zu finden. Gibt es die nicht? Natürlich muss in diesem Krieg auch von hohen Opferzahlen auf ukrainischer Seite ausgegangen werden. Unabhängig davon, ob die von dem NATO-Beamten gelieferte Zahl von 900.000 nun stimmt oder nicht: In Anbetracht des Frontgeschehens, des Stellungskrieges usw. kann davon ausgegangen werden, dass die Verluste auf beiden Seiten ähnlich groß sind. Sollten die Angaben des NATO-Vertreters stimmen, könnte die Gesamtzahl russischer und ukrainischer Soldaten, die getötet oder verletzt wurden, auf zwischen 1,5 bis 2 Millionen geschätzt werden. Hinzuzuzählen wären auch noch die traumatisierten Soldaten. Selbst wenn diese Zahlen stark nach unten korrigiert werden müssten: So oder so ist es eine furchtbare Tragödie. Dass in der Meldung die ukrainischen Opferzahlen nicht angeführt werden, ja, noch nicht einmal in einem Halbsatz erwähnt wird, dass es schwer ist, an verlässliche Zahlen ranzukommen, ist journalistisch untragbar. Durch das Weglassen werden die ukrainischen Opfer ausgeblendet. Warum ist das so? Wie angesprochen: Für die NATO-Länder ist es politisch heikel, hohe ukrainische Verlustzahlen zu präsentieren. Der Politik passt das nicht. Journalismus hat sich aber nicht daran zu halten, was der Politik gefällig ist. Uraufgabe von Journalisten ist, „sichtbar zu machen“, oder, um Spiegel-Gründer Rudolf Augsteins altes Journalistenmotto zu bemühen: „Sagen, was ist“. Wenn der Spiegel schon über russische Verlustzahlen spricht, muss er auch ukrainische Verlustzahlen anführen. Das ist nicht der Fall. Die dpa-Meldung ist in der präsentierten Form als politisch, und somit als propagandistisch kontaminiert zu betrachten. Titelbild: Jose HERNANDEZ Camera 51/shutterstock.com

Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) hat Israel seit seinem einseitigen Bruch der Waffenruhe ab dem 17. März 2025 „durchschnittlich mehr als 100 Kinder pro Tag getötet oder verletzt“. UNICEF hebt in dem Zusammenhang die gezielten Bombardements auf die chirurgische Abteilung des Al-Nasser-Krankenhauses im Süden Gazas hervor. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wieso die Bundesregierung bisher zu dieser enormen Anzahl an verletzten und getöteten Kindern keine Stellung bezogen hat. Ebenso kam in der BPK die Frage auf, ob die Bundesregierung die von den UN geforderte Untersuchung zu der mutmaßlich gezielten Ermordung von 15 Sanitätern und Rettungskräften durch das israelische Militär unterstützt. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. „Eine Million Kinder in großer Gefahr“ Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) hat in einer aktuellen Pressemitteilung mit dem Titel „Gazastreifen: Eine Million Kinder in großer Gefahr“ [https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/gazastreifen-eine-million-kinder-in-grosser-gefahr-/373024] kritisiert, dass seit der von israelischer Seite aus aufgekündigten Waffenruhe im Gazastreifen „mindestens 322 Kinder aufgrund der erneuten intensiven Angriffe und Bodenoffensive ihr Leben verloren“ und weitere 609 Kinder verletzt wurden. Weiter heißt es in der UNICEF-Pressemitteilung: > „Dies bedeutet, dass in den vergangenen zehn Tagen durchschnittlich mehr als 100 Kinder pro Tag getötet oder verletzt wurden. Die meisten von ihnen waren Vertriebene, die in behelfsmäßigen Zelten oder beschädigten Häusern Zuflucht gesucht hatten. Die Zahlen umfassen auch Kinder, die Berichten zufolge bei einem Angriff auf die chirurgische Abteilung des Al-Nasser-Krankenhauses im Süden Gazas am 23. März getötet oder verletzt wurden. Die erneute Eskalation der Gewalt und die vollständige Blockade der Hilfslieferungen in den Gazastreifen seit mehr als drei Wochen setzen die humanitäre Hilfe massiv unter Druck und bringen die Zivilbevölkerung – insbesondere die eine Million Kinder – in größte Gefahr.“ [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250402-BPK-Screen1_gaza.png]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250402-BPK-Screen1_gaza.png Die Exekutivdirektorin von UNICEF, Catherine Russell, rief vor diesem Hintergrund zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und zum Schutz der palästinensischen Kinder auf: > „Die Waffenruhe in Gaza war ein dringend benötigter Rettungsanker für die Kinder in Gaza und bedeutete Hoffnung auf einen Weg zum Wiederaufbau. Doch erneut wurden Kinder in einen Teufelskreis aus tödlicher Gewalt und Not hineingezogen. Alle Konfliktparteien müssen ihren Verpflichtungen gemäß dem humanitären Völkerrecht nachkommen und Kinder schützen.“ Zeugen: Von Israel getötete Sanitäter waren gefesselt Am selben Tag, an dem das israelische Militär die chirurgische Abteilung des Al-Nasser-Krankenhauses im Süden Gazas bombardierte und zahlreiche Kinder tötete, kam es zudem zu einem mutmaßlichen Massaker an 15 Sanitätern und Rettungskräften. Wie unter anderem die englische Tagesszeitung The Guardian berichtet [https://www.theguardian.com/world/2025/apr/01/palestinian-paramedics-shot-by-israeli-forces-had-hands-tied-eyewitnesses-say?utm_term=67ecb9c6f1cf7a7106554ec1e8d8794b&ut], wurden „einige der Leichen von 15 palästinensischen Sanitätern und Rettungskräften, die von israelischen Streitkräften getötet und in Gaza in einem Massengrab verscharrt wurden, mit gefesselten Händen oder Beinen und Schussverletzungen an Kopf und Brust aufgefunden“. Dr. Ahmed al-Farra, leitender Arzt am Nasser-Klinikkomplex in Khan Younis, war Zeuge der Ankunft einiger der Überreste und schilderte dies gegenüber The Guardian wie folgt: > „Ich konnte drei Leichen sehen, als sie ins Nasser-Krankenhaus gebracht wurden. Sie hatten Kugeln in Brust und Kopf. Sie wurden hingerichtet. Ihre Hände waren gefesselt. Sie wurden gefesselt, damit sie sich nicht bewegen konnten, und dann wurden sie getötet.“ Laut übereinstimmenden Medienberichten liegen auch Fotobeweise vor. Der Guardian zitiert zudem noch weitere Augenzeugen, die diese Angaben ebenfalls bestätigen. Was war passiert? Am 23. März wurden Rettungskräfte des Palästinensischen Roten Halbmonds und des Zivilschutzes in den frühen Morgenstunden an den Schauplatz eines Luftangriffs im Bezirk al-Hashashin in Rafah, der südlichsten Stadt des Gazastreifens, gerufen. Auf dem Weg dorthin wurde ein erster Krankenwagen von den Israelis unter Feuer genommen. Dabei starben die ersten beiden Sanitäter. Die übrigen 13 Toten befanden sich in einem Konvoi aus Krankenwagen und Zivilschutzfahrzeugen, der ausgesandt worden war, um die Leichen ihrer beiden Kollegen zu bergen. Einer der Toten war ein UN-Mitarbeiter. Ein Sanitäter des Roten Halbmonds namens Assad al-Nassasra wird noch vermisst. Die UN gab an, dass die Krankenwagen und andere Fahrzeuge zusammen mit den Leichen der Toten von Bulldozern im Sand vergraben wurden, was den Anschein erweckt, dass versucht wurde, die Morde zu vertuschen. UN-Videoaufnahmen, die vom Bergungsteam gemacht wurden, zeigen ein zerdrücktes UN-Fahrzeug, Krankenwagen und ein Feuerwehrauto, die vom israelischen Militär plattgewalzt und im Sand vergraben wurden. Jens Laerke, Sprecher des UN-Büros für die Koordinierung der humanitären Hilfe in Genf, erklärte [https://www.unognewsroom.org/story/en/2603/gaza-update-ocha-unicef-ifrc-01apr2025] zu dem Vorfall: > „Dies ist ein schwerer Schlag für uns … Diese Menschen wurden erschossen. Normalerweise fehlen uns nicht die Worte, wir sind Sprecher, aber manchmal fällt es uns schwer, sie zu finden. Dies ist einer dieser Fälle.“ Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 2. April 2025 Frage Towfigh Nia (freier Journalist) Deschauer, ich habe eine Frage zu einem israelischen Massaker in Gaza: Die Vereinten Nationen berichteten gestern über ein Massaker, bei dem 15 Rettungskräfte durch israelisches Militär ermordet worden sind. Es gibt Fotos, die zeigen sollen, dass das israelische Militär mit Bulldozern die Krankenwagen und die UN-Autos zerstört und vergraben hat. Die Vereinten Nationen verlangen jetzt eine internationale Untersuchung. Unterstützt die Bundesregierung so eine Untersuchung? Deschauer (AA) Danke, Herr Towfigh Nia. – Ich möchte erst einmal grundsätzlich sagen, dass wir diese Vorfälle, die wir, wie Sie, ebenfalls über die Medien gesehen haben, sehr bestürzend finden. Wir finden auch bestürzend, dass nach mehreren Tagen des Bangens und Wartens jetzt Gewissheit herrscht, dass fast alle Mitglieder eines vermissten Rettungsteams – das ist ja der Vorfall, den Sie ansprechen – durch israelischen Beschuss getötet wurden. Wir haben uns dazu auch öffentlich auf X geäußert, und auf diese Äußerungen möchte ich hinweisen. Und es ist auch so, dass ein weiterer Mitarbeiter nach wie vor vermisst wird. Unter den Toten ist erneut ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen. Das ist alles sehr bestürzend. Wir sagen noch einmal sehr klar: Zivilisten sowie medizinisches und humanitäres Personal, Helferinnen und Helfer, die den Menschen dort vor Ort in der schlimmen Krise helfen, dürfen nicht Ziel von Angriffen werden. Auch wir finden, dass eine umfassende Untersuchung der Vorfälle notwendig ist. Zusatzfrage Towfigh Nia Wenn Sie von einer umfassenden Untersuchung sprechen, dann meinen Sie eine internationale Untersuchung? Deschauer (AA) Ich kann sagen, dass an allererster Stelle die Stellen, die direkten Zugang vor Ort haben und involviert sind, aufgerufen sind, die Umstände aufzuklären. Das ist das, worauf wir jetzt den Fokus legen würden. Aber ja, eine umfassende Untersuchung ist notwendig. Wie Sie sagen – ich schließe mich Ihrer Wortwahl nicht an – geht es um gravierende Vorfälle und um medizinisches und humanitäres Personal, das da zu Schaden gekommen ist, und das darf so nicht sein. Frage Warweg Allgemein im Kontext Gaza, wenn wir gerade bei den Vereinten Nationen sind: UNICEF hat vorgestern bekanntgegeben, dass im Zuge der israelischen Angriffe seit Bruch der Waffenruhe in den letzten zehn Tagen über 1000 Kinder entweder getötet oder schwer verletzt worden sind. Das entspräche 100 schwer verletzten und getöteten Kindern pro Tag. Da würde mich interessieren, wie die Bundesregierung dies bewertet und wieso das Auswärtige Amt dazu bisher keine Stellung bezogen hat. Deschauer (AA) Herr Warweg, wir beziehen hier immer sehr klar Stellung zu den schlimmen Vorfällen oder schlimmen Erkenntnissen, die wir alle gemeinsam teilweise tagtäglich zu verfolgen haben. Ich habe jetzt diesen Bericht, den Sie ansprechen, hier nicht vorliegen. Aber es ist völlig klar, dass Zivilisten und gerade Kinder, die erst ins Leben gehen und das Leben vor sich haben, in Krisen und Konflikten eines besonderen Schutzes bedürfen und auch geschützt werden müssen. Das ist eine klare Haltung der Bundesregierung, die Ihnen, glaube ich, nicht neu ist. Zusatzfrage Warweg Noch eine generelle Verständnisfrage an Herrn Hebestreit: Der Kanzler hat hier bis kürzlich beziehungsweise Sie in seinem Namen vehement darauf beharrt, dass Israel sich bei seinem Agieren in Gaza weit umfänglich an das Völkerrecht hält. Da würde mich interessieren – auch mit Blick auf die vom Kollegen erwähnte Tötung von Ersthelfern und die massiven Tötungen von Kindern -, ob Olaf Scholz weiterhin bei seiner Einschätzung bleibt, dass Israel sich bei seinem Agieren in Gaza umfassend an das Völkerrecht hält. Regierungssprecher Hebestreit Herr Warweg, der Bundeskanzler hat das verschiedentlich hervorgehoben. Jetzt haben wir den Fall, den wir hier eben behandelt haben. Angesichts der schrecklichen Vorfälle, die das Rettungsteam aus Gaza betreffen, haben wir zu einer Untersuchung aufgefordert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung müssen wir abwarten. Da können wir nicht einfach aus dem hohlen Bauch heraus agieren. Das ist immer das Mühsame in einem solchen Konflikt, dass wir unvollständige Informationen haben, dass wir Untersuchungen brauchen, dass wir immer wieder mahnen müssen, dass sich an Recht und Gesetz gehalten wird. Aber es gibt keine Positionsveränderung seitens Deutschlands, dass sich das massiv verändert hätte. Das muss man jetzt abwarten und genau beobachten. Deswegen tun wir das und fordern auch eine solche Untersuchung immer wieder ein. Frage Towfigh Nia Frau Deschauer, der israelische Ministerpräsident hat gestern betont, dass er den Trump-Plan, was Gaza betrifft, voll umsetzen wird. Dazu hätte ich gern eine Reaktion. Deschauer (AA) Ich glaube, Sie sprechen von den Äußerungen von Minister Katz, wenn ich das richtig – – – Zusatz Towfigh Nia Nein, Netanjahu hat es gestern auch noch einmal betont. Deschauer (AA) Gut. Im Grundsatz haben wir uns dazu ja auch schon verhalten. Sie sprechen entsprechende Äußerungen zum Thema Umsiedlung oder zum sogenannten Riviera-Plan an. Sie wissen, dass wir uns sehr klar in Unterstützung des arabischen Plans positioniert haben, der aus unserer Sicht einen Ausweg aus dem aktuell wieder aufgeflammten dramatischen Konflikt ebnet. Er involviert die Staaten der Region und kann eine Perspektive aufzeigen, wie der Gazastreifen frei von Hamas zu einer Situation kommen kann, dass die Menschen dort Seite an Seite in Frieden mit den Israelis leben können. Das ist für uns der Weg nach vorne. Wir fordern alle Seiten dazu auf, wieder in die Gespräche zu kommen, um den Waffenstillstand, den es eine Zeitlang gab, wieder erreichen und in die Phase 2 übergehen zu können. Wir hören, dass es weiterhin Gespräche gibt, fazilitiert durch regionale Akteure. Das ist gut und leicht ermutigend, aber die aktuelle Situation ist dramatisch. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Zusatzfrage Towfigh Nia Frau Deschauer, welche Anzeichen sehen Sie, dass Israel weiterhin an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert ist? Deschauer (AA) Ich glaube, die Frage müssen Sie in einer Pressekonferenz den israelischen Kolleginnen und Kollegen stellen. Ich kann Ihnen hier sagen, dass das der einzige Weg ist, um eine dauerhafte Lösung, einen dauerhaften Frieden für die Menschen in der Region zu schaffen – und das ist auch von den Regionalakteuren im Rahmen des Arabischen Plans so vorskizziert und gezeichnet, der den Weg dorthin ebnen könnte. Frage Warweg Herr Hebestreit, Ihre Antwort hat sich mir nicht ganz erschlossen. Können Sie das noch einmal präzisieren? Ist der geschäftsführende Kanzler der Ansicht, dass sich Israel bei seinem bisherigen Agieren in Gaza an das Völkerrecht hält, ja oder nein? – Die Antwort war nicht ganz klar verständlich. Hebestreit Herr Warweg, wir geben hier keine Rechtsberatung oder Rechtsurteile ab, sondern ich habe gesagt, dass die Erwartung des Bundeskanzlers unverändert ist, dass sich Israel an Recht und Gesetz hält. Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 02.04.2025 Mehr zum Thema: Nach UN-Bericht über „gezielte Hungerkampagne“: Hält sich Israel in Gaza laut Kanzler Scholz noch immer an das Völkerrecht? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=118135] Die anhaltende Hölle für Gazas Bevölkerung darf nicht vergessen werden! [https://www.nachdenkseiten.de/?p=126055] Historische Bundespressekonferenz: „Deutschland muss sich als Mittäter an den Reparationszahlungen für Gaza beteiligen“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=125587] Neue UN-Analyse: 70 Prozent der Toten in Gaza sind Frauen und Kinder – Was sagt Bundesregierung? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=124720] [https://vg07.met.vgwort.de/na/57bc488b7ff14a278ddf81021ad2aafd]

Trotz des anhaltenden Krieges Israels gegen die Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland, trotz anhaltender Bombardierung in Syrien, trotz Bomben auf Jemen und trotz des fortlaufenden Bruchs der Waffenruhe im Libanon liefert Deutschland weiterhin Rüstungsgüter nach Israel. Zwischen dem 1. Januar und dem 16. März 2025 genehmigte die noch amtierende Rest-„Ampel“-Regierung von Sozialdemokraten und Grünen Rüstungsexporte nach Israel im Wert von 24,46 Millionen Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der langjährigen Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (BSW) hervor, über die die Berliner Zeitung berichtete [https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/deutschland-israel-mehr-ruestungsexporte-li.2310780]. Von Karin Leukefeld (Beirut und Südlibanon). Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Deutschland exportierte damit in den ersten drei Monaten 2025 zum Vergleichszeitrahmen 2024 fast dreimal so viele Rüstungsgüter an Israel, das sich nach Aussagen von Premierminister Benjamin Netanjahu „im Krieg an sieben Fronten“ befindet. Der „Warenwert“ 2024 betrug im ersten Quartal demnach 9,3 Millionen Euro. 2023 exportierte Deutschland „Rüstungsgüter“ an Israel im Wert von rund 327 Millionen Euro. 2024 wurden von Deutschland „Rüstungsgüter“ im Wert von 161 Millionen Euro an Israel exportiert. Aussagen über die Art der „Rüstungsgüter“ – wie es vornehm heißt – wurden nicht gemacht, weil das Rückschlüsse auf den militärischen Bedarf Israels zuließe und „negative Auswirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“ haben könnte. Immerhin hatte ja das Auswärtige Amt am Anfang des Jahres stolz auf die „strategische Partnerschaft“ zwischen Deutschland und Israel hingewiesen. Beide Länder seien „vereint in ihrem Engagement für gemeinsame Werte und ihrer Entschlossenheit, gemeinsam den Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen“, hieß es in einer Presseerklärung des Auswärtigen Amtes [https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/2693774-2693774]. Für die Bevölkerung in Palästina, Libanon, Syrien, Jemen ist die genaue Bezeichnung der „Rüstungsgüter“ egal. Sie sehen, was bei ihnen ankommt. Sie sehen, mit welcher Macht und mörderischen Gewalt die „Rüstungsgüter“ bei ihnen Leben auslöschen. Die Libanesen hatten gehofft, mit der Vereinbarung am 27. November 2024 eine Waffenruhe erreicht zu haben. Doch während sich die Hisbollah – bis auf eine Ausnahme – an die Vereinbarung hielt, bombardierte Israel ungestraft Hunderte von Dörfern und landwirtschaftlich genutztes Kulturland. Seit Beginn der Waffenruhe verübte Israel mindestens 1.250 Angriffe auf den Zedernstaat. Mindestens 100 Menschen wurden getötet. Allein in den ersten fünf Tagen nach Beginn der Waffenruhe feuerte Israel 99 Geschosse auf den Libanon. Die Hisbollah habe im gleichen Zeitraum zwei Geschosse auf Israel abgefeuert. Die Angaben wurden vom Leiter der UNO-Friedensmissionen, darunter auch die UNIFIL im Libanon, bei einer Sitzung im UNO-Sicherheitsrat vorgetragen [https://www.washingtonpost.com/world/2025/01/19/lebanon-ceasefire-israel-destruction/]. Israel habe die Zustimmung der USA für die fortgesetzten Angriffe, erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Ziel ist, den Druck auf die neue libanesische Regierung zu erhöhen. Sie soll die Hisbollah entwaffnen, während die libanesische Armee nicht in der Lage ist, das Land gegen Israel und seine anhaltende Besatzung im Südlibanon zu verteidigen. Washington unterstützt Israel, weil es den Libanon zwingen will, die “Abraham-Vereinbarung“ mit Israel zu unterzeichnen und die Beziehungen zu „normalisieren“. Die israelische Handschrift Wer verletzt die Waffenruhe im Libanon? [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-01.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-01.jpg Diese Warnung vor einem bevorstehenden Bombenangriff am 28.3.2025 wurde von der israelischen Armee per WhatsApp an libanesische Mobiltelefone geschickt. Bomben auf Zivilisten Am vergangenen Freitag hat Israel erneut die libanesische Hauptstadt Beirut bombardiert. Ziel war ein Wohnkomplex im Stadtteil Hadath, der im dicht bewohnten Süden von Beirut liegt. Am späten Vormittag um 11:08 Uhr tauchte auf libanesischen Mobiltelefonen eine „#Dringende Warnung“ der israelischen Armee an „die Menschen (…) insbesondere im Stadtteil Hadath“ auf. Die Warnung enthielt eine Satellitenaufnahme des Stadtteils, auf der Gebäude in unmittelbarer Nähe des Lycee des Artes, der Kunsthochschule und der St. Georges Schule rot markiert waren. Wer sich in den markierten Gebäuden aufhalte, befinde sich „in der Nähe von Einrichtungen der Hisbollah“, so die Warnung. Man sei „verpflichtet, diese Gebäude sofort zu verlassen und sich mindestens 300 Meter von ihnen entfernt aufzuhalten, wie auf der Karte dargestellt“. Knapp zwei Stunden später erschütterten zwei schwere Explosionen die Hauptstadt. Erste Aufnahmen vom Angriffsort zeigten einen tiefen Krater und ein weites Trümmerfeld. Über der Stadt stieg eine gigantische schwarze Wolke auf, die sich in weißen Rauch auflöste und einen Schleier aus Staub über dem attackierten Stadtviertel ausbreitete. Es war der erste Angriff auf Beirut, seit am 27. November vergangenen Jahres eine Waffenruhe in Kraft trat. Erneut verloren Tausende Menschen im Süden von Beirut ihre Wohnungen, Geschäfte und ihr Hab und Gut. „Das muss aufhören“, sagte ein Mann Journalisten, die das Geschehen dokumentierten. Er habe schon sein Haus im Süden verloren, jetzt auch noch sein Geschäft. „Das ist zu viel.“ Ein anderer Anwohner, Mohammad Zibara, suchte in seiner schwer verwüsteten Wohnung nach Dingen, die noch zu retten waren. „Warum greifen sie unbewaffnete Leute an?“, fragte er ein Filmteam des Nachrichtensenders Al Jazeera [https://www.aljazeera.com/video/inside-story/2025/3/29/how-stable-is-lebanons-peace-after-israel-attack-on-beirut]. Nach Angaben der israelischen Armee solle sich die Wohnung neben einem Lager für Drohnen befunden haben. „Gibt es hier Drohnen, wo sind die Drohnen?“, fragte der aufgebrachte Familienvater. „Wären hier Drohnen, wäre alles von innen explodiert. Hier sind keine Drohnen, der Feind lügt.“ Der libanesische Präsident Joseph Aoun hielt sich zu Gesprächen in Paris auf, als die israelische Armee ihre Angriffe auf den Libanon am Freitagmorgen eskalierte. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärte der französische Präsident Macron, die USA müssten den Druck auf Israel erhöhen, damit es den Waffenstillstand einhalte. Aoun wurde mit den Worten zitiert, er gehe nicht davon aus, dass die Hisbollah für einen „Raketenabschuss“ aus dem Libanon verantwortlich sei. Israel hatte seit dem Morgen zahlreiche Orte im Süden des Libanon angegriffen, bevor der Angriff auf das Wohnviertel angekündigt wurde. Die Angriffswelle war zunächst mit einem vorherigen „Raketenbeschuss aus dem Libanon“ begründet worden. Später wurde als Begründung ein „Drohnenlager“ in dem Gebäudekomplex im Süden von Beirut behauptet. Israel legte keine Beweise für die Behauptungen vor. Nach israelischen Angaben soll es sich bei dem morgendlichen Raketenbeschuss um den zweiten Beschuss innerhalb einer Woche gehandelt haben. Nach dem ersten Beschuss Anfang der Woche hatte die libanesische Armee nach langem Suchen einfache Holzvorrichtungen gefunden, die möglicherweise als Abschussrampen gedient haben könnten. Nach dem zweiten Beschuss nahm die Armee eine Reihe von Verdächtigen fest. Niemand im Libanon übernahm Verantwortung für den Abschuss von Raketen. Israel beschuldigt die Hisbollah Israel machte die Hisbollah verantwortlich. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärte, man werde fortan den Waffenstillstand „militärisch durchsetzen“, damit israelische Bürger wieder in Frieden im Norden des Landes leben könnten. Jede Rakete auf Israel werde mit Bomben auf Beirut beantwortet. Das sei das „neue Gleichgewicht“ der Waffen, sagte Netanjahu. Die Sicherheit der libanesischen Bevölkerung erwähnte Netanjahu nicht. Die Hisbollah wies jede Verantwortung für einen angeblichen Raketenbeschuss zurück. Die Organisation halte den Waffenstillstand ein, hieß es in einer Erklärung, die vom Nachrichtensender Al Manar – der der Hisbollah nahesteht – veröffentlicht wurde. Mohammad Raad, Parlamentsabgeordneter der Hisbollah, bekräftigte, dass die Hisbollah dem Waffenstillstand verpflichtet sei. Es sei die Aufgabe der libanesischen Regierung, die Angriffe des Feindes abzuwehren. Bei einer Rede zum Al-Quds-Tag, der am letzten Freitag des Fastenmonats Ramadan an die völkerrechtswidrige Besetzung Jerusalems durch die israelische Armee 1967 erinnert, sagte der Generalsekretär der Hisbollah Naim Qassem, man werde nicht zulassen, dass Israel fortlaufend die Souveränität und territoriale Integrität des Libanon verletzte. Der Staat müsse Libanon verteidigen. Er habe zahlreiche Briefe von Hisbollah-Kämpfern erhalten, die bereit seien, den Märtyrertod zu sterben. Er habe sie aufgefordert, Geduld zu haben. Doch die Geduld sei nicht endlos. Seit Vereinbarung der Waffenruhe zwischen Israel und Libanon am 27. November 2024 hat Israel immer wieder den Libanon angegriffen unter dem Vorwand, Stellungen der Hisbollah zu zerstören. Zahlreiche Orte entlang der “Blauen Linie“ wurden von Israel seit Anfang Dezember 2024 nahezu vollständig zerstört, ohne dass die Hisbollah, die libanesische Armee oder der UNO-Sicherheitsrat Israel gestoppt hätten. Die Washington Post berichtete bereits am 19. Januar 2025 [https://www.washingtonpost.com/world/2025/01/19/lebanon-ceasefire-israel-destruction/], dass im Süden des Libanon zwischen dem 5. Dezember und 6. Januar mehr als 800 Gebäude von der israelischen Armee absichtlich zerstört oder beschädigt wurden. Die Angaben basieren auf der Analyse von Daten des Satelliten Sentinel-1, die von Corey Scher (CUNY Studienzentrum) und Jamon van den Hoek von der Staatlichen Universität Oregon zur Verfügung gestellt wurden. ACLED (Armed Conflict Location and Event Data Project), ein in Großbritannien ansässiges Projekt, das Daten aus Konflikt- und Kriegsgebieten sammelt, berichtete, dass Israel zwischen dem 27. November und 6. Januar mehr als 400 Raketenangriffe aus der Luft und mit der Artillerie auf den Libanon durchführte. Mit Bulldozern sei zivile Infrastruktur im Süden des Landes beschädigt oder zerstört worden. „Löscht sie aus“ Kommentare in den sozialen Medien begrüßten den israelischen Angriff auf Beirut. „Wir haben dich vermisst, Avichay“, hieß es in einem Kommentar, der sich auf Avichay Adraee bezog, den Sprecher der israelischen Armee, der den Angriff in arabischer Sprache angekündigt hatte. Eine Userin “Jessy“ forderte die israelische Armee auf, alle Bewohner von Dahiyeh/Südbeirut zu töten. Ein Mann namens George Fakhri begrüßte den israelischen Armeesprecher Avichay Adraee mit den Worten: „Löscht sie alle aus.“ Andere jubelten über den israelischen Anschlag und kommentierten, „die Bewohner von Dahiyeh haben das verdient“. Der im Libanon bekannte Journalist Albert Kostanian rechtfertigte den israelischen Angriff und erklärte, selbst wenn Hisbollah den morgendlichen Raketenangriff nicht zu verantworten habe, sei die Hisbollah schuld an der Eskalation. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-02.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-02.jpg Al Khiam, Südlibanon. (Foto: Karin Leukefeld) Die israelische Handschrift Bei einer Fahrt durch Dörfer entlang der “Blauen Linie“ konnte sich die Autorin von der zerstörerischen „israelischen Handschrift“ überzeugen. Die Orte Khiam, Kfar Kila und Odaysseh liegen – wie nach einem Erdbeben – weitgehend zerstört. Die meisten Häuser wurden von Israel nach dem Beginn der Waffenruhe gesprengt, die israelische Armee veröffentlichte Videos, die die schweren Sprengungen in verschiedenen Orten im südlichen Libanon dokumentierten. In Khiam sah die Autorin viele Arbeiter vor Ort, um die Trümmer zu beseitigen. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-03.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-03.jpg Al Khiam, Südlibanon. Schutt wird abgeräumt. (Foto: Karin Leukefeld) Offizielle nahmen von Haus- und Geschäftsbesitzern Angaben über das zerstörte Eigentum zu Protokoll. Die Antragsteller hatten sich an einem Platz versammelt, wo Geschäfte in einem Rundbogen angelegt waren – sie waren zerstört. Darüber waren Bilder der Märtyrer von Khiam angebracht worden. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-04.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-04.jpg Al Khiam, Südlibanon. In Erinnerung an die Märtyrer. (Foto: Karin Leukefeld) Auf dem Hauptplatz des Ortes war ein Berg aus Trümmern und Schutt zusammengetragen worden, in dem zahlreiche Bilder getöteter Kämpfer von Hisbollah und Amal und die Fahnen der Organisationen steckten. Jemand hatte zwei Plastikstühle aufgestellt, möglicherweise, um in Ruhe die Zerstörung zu betrachten, die wie eine Grabstätte wirkte. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-05.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-05.jpg Al Khiam, Südlibanon. Auf dem zentralen Platz des Ortes sind Trümmer wie zu einer Gedenkstätte aufgeschichtet. Bilder von Märtyrern und Fahnen sind dort angebracht. (Foto: Karin Leukefeld) In Kfar Kila war so gut wie keine Hauswand mehr zu erkennen. Zwei Schimmel beobachteten die Autorin, während sie fotografierte. „Amerika ist die Mutter aller Kriege“, war auf einem großen Poster zu lesen. Die Trümmerlandschaft war mit Bildern der Toten und Fahnen übersät. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-06.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-06.jpg Kfar Kila, Südlibanon. Auf dem Poster steht „Amerika ist die Mutter aller Kriege“. (Foto: Karin Leukefeld) [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-07.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-07.jpg Kfar Kila, Südlibanon. Trümmer, so weit das Auge reicht. (Foto: Karin Leukefeld) Weil die Straße auf libanesischer Seite entlang der israelischen Grenzmauer, die auf der “Blauen Linie“ errichtet wurde, von Bulldozern komplett zerstört und aufgerissen wurde, führte der Weg einen steilen Berg hinauf, um nach Odaysseh zu gelangen. Von oben war der Blick frei auf die Trümmer des Ortes, die sich bis an die “Blaue Linie“ erstreckten. Auf der anderen Seite der Mauer liegt eine israelische Siedlung, deren Bewohner fortan einen guten Ausblick auf die Zerstörung vor ihren Haustüren haben dürften. Zerstörung, die viele Israelis von der Armee gefordert hatten, Zerstörung ist die „israelische Handschrift“ in der Region. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-08.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250404-Waffenruhe-08.jpg Kfar Kila. Die Häuser wurden während der Waffenruhe von der israelischen Armee dem Erdboden gleichgemacht. Oberhalb der Bildmitte erstreckt sich die israelische Sperrmauer entlang der „Blauen Linie“. Im Hintergrund der mit Schnee bedeckte Jbeil Scheich, wie die Bewohner der Region den Berg Hermon nennen. (Foto: Karin Leukefeld) Ein unbefestigter Weg führte nach Odaysseh, sehr nah an einem israelischen Militär- und Überwachungsposten vorbei, der auf einem Hügel hinter der israelischen Grenzmauer liegt. Die israelischen Soldaten konnten von dort aus alle Fahrzeuge auf dem Weg überwachen. Der Fahrer zeigte sich unschlüssig, ob der Weg sicher sei. Als ein Wagen entgegenkam, winkte er dem Fahrer, um ihn zu befragen. „Immer geradeaus, nicht anhalten, zügig fahren“, erklärte der junge Mann mit ernstem Gesicht. „Sie haben gerade über unser Auto hinweggeschossen.“ Nach einer zügigen Fahrt über den staubigen, von Schlaglöchern übersäten Weg erreichte der Wagen schließlich Odaysseh. Geschossen wurde auf den Wagen nicht. Und obwohl der Ort durch eine schützende Bergkuppe von der israelischen Sperrmauer und dem Militärposten getrennt war, breitete sich auch hier eine Trümmerlandschaft aus. Titelbild: Karin Leukefeld

Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes, Kriminalisierung „falscher Tatsachenbehauptungen“, verschärfter Tatbestand der Volksverhetzung: Einige Forderungen in den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen bezüglich der Meinungsfreiheit sind sehr beunruhigend. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. In den kürzlich „durchgestochenen“ Verhandlungspapieren der künftigen schwarz-roten Koalitionäre heißt es laut Medien unter der Überschrift „Stärkung der repräsentativen Demokratie“: „Wir wollen den Bundestag zu einem moderneren Gesetzgebungsorgan weiterentwickeln. Der Bundestag muss die Regierung und die Verwaltung effektiv kontrollieren können.“ Und weiter, so die Berichte: > „Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir hingegen abschaffen.“ Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ermöglicht jedem Bürger den Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden: Bei der Pkw-Maut von Verkehrsminister Andreas Scheuer, den Protokollen des Robert Koch-Instituts oder bei den Cum-Ex-Akten – immer stand hinter den öffentlich gemachten Enthüllungen das 2006 in Kraft getretene IFG, wie das ZDF berichtet [https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/cdu-csu-spd-informationsfreiheitsgesetz-transparenz-100.html]. Der entsprechende Satz im Koalitionspapier ist in blauer Schrift gehalten, er ist noch Gegenstand von Verhandlungen zwischen CDU und SPD. Das wichtige Gesetz aber überhaupt anzugreifen und zur Verhandlungsmasse zu erklären, ist in meinen Augen bereits skandalös. „Frontalgriff auf die Bürger“ Der von dem Gesetz einst selbst betroffene CDU-Politiker Philipp Amthor will die Pläne nun als eine „Reform“ des Gesetzes verkaufen, von der SPD kommt in einer Talkshow verhaltener Widerspruch, wie das ZDF berichtet [https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/markus-lanz-philipp-amthor-informationsfreiheitsgesetz-100.html]. T-Online schreibt zum Thema [https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100654184/informationsfreiheitsgesetz-cdu-will-sich-vor-den-buergern-druecken.html]: > „Die Union fordert im Papier aber keine Reform. Sie will das Gesetz ‚in seiner jetzigen Form‘ abschaffen, wie es wörtlich heißt. Das ist keine Initiative zur ‚Stärkung der repräsentativen Demokratie‘, wie der Absatz beschönigend überschrieben ist. Es ist ein Frontalgriff auf die Bürger.“ Die FDP schreibt in einer Mitteilung [https://saarland.freie-demokraten.de/fdp-saar-kritisiert-angriff-der-cdu-auf-die-informationsfreiheit]: > „Wo ansonsten bei den Koalitionäre vom Willen zum Bürokratieabbau nichts zu merken ist, möchte die CDU das Informationsfreiheitsgesetz ausgerechnet unter dem Deckmantel ‚Bürokratieabbau‘ schleifen. Frei nach dem Motto: ‚Der Bürger muss nicht alles wissen!‘ Dabei wurden bisher unter Berufung auf das Gesetz von 2006 Anfragen im sechsstelligen Bereich an Staat und Regierung gerichtet. Auch der Deutsche Journalistenverband protestiert gegen die Haltung der CDU, die nicht nur Bürger- sondern auch Journalistenrechte einschränken will.“ „Lügen verboten“? Die Pläne mit dem Informationsfreiheitsgesetz sind nicht die einzigen mit sehr problematischem Potenzial. An anderer Stelle heißt es in den schwarz-roten Papieren laut Medien: > „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.“ Dieser Satz sei „so gut gemeint“, dass er ihm Angst mache, schreibt Nikolaus Blome im Spiegel [https://www.spiegel.de/politik/deutschland/friedrich-merz-und-schwarz-rot-die-debatte-um-luegenverbote-a-c859bdd3-3062-40c4-a7d3-625fec18b777] und führt aus: > „Es gibt seit Langem letztinstanzliche Rechtsprechung, die nachweislich unwahre Tatsachenbehauptungen (‘Die Erde ist eine Scheibe’) eben nicht unter den grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit nimmt, einfach, weil sie keine Meinungsäußerung darstellen, sondern die Behauptung falscher Tatsachen. Damit sind solche Äußerungen nicht verboten, aber vom Grundgesetz geschützt sind sie eben auch nicht. (…) > > Es gibt aber auch Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, wonach (falsche) Tatsachenbehauptungen, die mit Meinungsäußerung verwoben sind, gleichsam wegen des Meinungsanteils unter dem grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit stehen.“ Die Welt schreibt zu diesen Fragen [https://www.welt.de/debatte/plus255808506/Schwarz-rote-Plaene-Spektakulaerer-Angriff-auf-die-Meinungsfreiheit.html]: > „Die ‚bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen‘ jedenfalls, also lügen, ist natürlich durch die Meinungsfreiheit gedeckt, solange das Strafrecht nicht tangiert wird wie etwa beim juristischen Tatbestand der Verleumdung. Einmal ganz abgesehen davon, dass Schwammworte wie ‚Hass und Hetze’ keine juristischen Begriffe, sondern eher die Existenzgrundlage diverser steuerfinanzierter NGOs sind.“ Zusätzlich zu diesen Aspekten ist die folgende Frage zentral: Wer darf wie entscheiden, welche in politischen Debatten getätigte Äußerung überhaupt als „falsche Tatsachenbehauptung“ einzuordnen ist, und darf anschließend die Verbreiter kriminalisieren? Ein neu zu schaffendes „Wahrheitsministerium“? In der oben zitierten Form birgt dieser Absatz einen großen Raum für Missbrauch. Volksverhetzung und „Wählbarkeitsausschluss“ Es finden sich weitere potenziell problematische Stellen in den Koalitionsverhandlungen. So würden Fachpolitiker von Union und SPD vorschlagen, bei mehrmaliger Verurteilung wegen Volksverhetzung das passive Wahlrecht zu entziehen, wie die Welt berichtet [https://www.welt.de/politik/deutschland/plus255672574/Koalitionsverhandlungen-Tatbestand-der-Volksverhetzung-verschaerfen-der-weitreichende-Vorschlag-von-Schwarz-Rot.html]. Politische Bewerber könnten dann vorerst nicht mehr in ein Parlament gewählt werden. Im schwarz-roten Papier heiße es: > „Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.“ Außerdem wolle man prüfen, „inwiefern eine Strafbarkeit für Amtsträger und Soldaten, die im Zusammenhang mit der Dienstausübung antisemitische und extremistische Hetze in geschlossenen Chatgruppen teilen, eingeführt werden kann“. Das Thema sei der SPD wichtig, so die Welt, schon an anderer Stelle hätten sich Sozialdemokraten für eine entsprechende Verschärfung ausgesprochen, so hätten die SPD-Landesinnenminister im Sommer einen „Wählbarkeitsausschluss“ bei Volksverhetzung vorgeschlagen. Da kann man nur rufen: Auf in den „Kampf für die Demokratie“ – mithilfe eines „Wählbarkeitsausschlusses“! BlackRock + SchwarzRot = BlackRot? Zu guter Letzt: Wie die Bild-Zeitung gemeldet hat [https://www.bild.de/politik/cdu-nicht-groko-friedrich-merz-sucht-namen-fuer-neue-koalition-67dfe0844043cc0cc5634d62], sucht der designierte CDU-Kanzler Friedrich Merz einen anderen Namen für die schwarz-rote „Große Koalition“. In diesem Zusammenhang muss die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang für ihren guten Vorschlag gelobt werden, der schon in der Überschrift übernommen wurde: „BlackRot“. Ttielbild: Ryan Nash Photography / Shutterstock[https://vg08.met.vgwort.de/na/2b521bb75171441b89d848273c8564ba]

Es ist die alte Leier: „Russland abzuschrecken und einzudämmen“ bedeutet Steigerung der Verteidigungsausgaben und Kürzung in anderen Bereichen. Ja, der Preis dafür könne im Extremfall sogar in Menschenleben bemessen sein und wäre doch zu erbringen, wie Carlo Masala uns mitteilen will. Mit seinem Buch „Wenn Russland gewinnt“ bespielt er die Klaviatur der Ängste, um eine mehrheitlich friedliebende Bevölkerung kriegstüchtig zu machen, und ebenso, um für sich selbst als Experte zu werben. Von Irmtraud Gutschke. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Mit erbitterter Miene in polierter Rüstung: Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München und, wie der Klappentext ihn rühmt, „gefragter Kommentator für deutsche und internationale Medien sowie häufiger Gast in den großen Polit-Talkshows“. Mit seinem Buch „Wenn Russland gewinnt“ sagt er eigentlich nur das, was er in seinen vorher bei C.H.Beck erschienenen Bänden „Weltunordnung“ und „Bedingt abwehrbereit“ schon proklamiert hat. Aber diesmal ist es ein „Szenario“, ja fast ein „Roman“. „Wenn Russland gewinnt“ – schon der Titel appelliert an Ängste, die besonders im Westen verbreitet sind. Dass Konrad Adenauer als strikter Antikommunist einen Horror vor „Soffjetrussland“ hatte, kam aus seiner Vergangenheit und passte zur US-Politik nach 1945. Im bald beginnenden Kalten Krieg zwischen den Supermächten fand mit der politischen auch eine geistig-kulturelle Teilung der „Deutschländer“ statt. Die besteht bis heute fort. Im Osten gibt es eine Russland-Erfahrung, oft auch mit Sprachkenntnis verbunden, die dem Westen gerade jetzt von Nutzen wäre, da Donald Trump die US-Politik um 180 Grad zu ändern verspricht. Aber diese Ost-Kompetenz ist bis heute nicht angekommen im politischen Milieu, wo Verunsicherung herrscht. Plötzlich schmerzt die transatlantische Leine, mit der man sich früher so wohlgefühlt hatte. Einst williger Bündnispartner der USA – gerade die Westdeutschen galten als Musterschüler –, geht dieser Status verloren. Missachtung aus Washington. Europa wird abserviert und ist in Sorge, jenen Schutzschirm zu verlieren, unter dem man sich sicher wähnte. Selbst war er nie in der Bundeswehr Carlo Masala, 1968 als Kind einer österreichischen Verkäuferin und eines italienischen Gastarbeiters in Köln geboren, war interessanterweise selbst nie in der Bundeswehr. „Ich bin damals, schulisch geprägt, in einem linksliberalen Milieu aufgewachsen“, sagte er in einem taz-Interview. „Hätte ich damals gewusst, dass die Bundeswehr auch ein Studium, eine Ausbildung finanziert, wäre das für mich interessant gewesen.“ [1] Früh schon musste er lernen, sich durchzusetzen, zielstrebig arbeitete er an seiner Karriere. Heute wohnt er in Leipzig. Wenn er schon zu DDR-Zeiten dort gelebt hätte, wäre aus ihm ein anderer geworden. Nun trennen uns Welten. Dass sich auf sein Buch nur satirisch reagieren ließe, dachte ich zunächst. Beim Lesen aber merkte ich, dass ich es ernst nehmen musste, bitterernst: Ein Wehrdienstverweigerer will die deutsche Bevölkerung auf einen möglichen Krieg in Europa einschwören. Mit Wucht rennt er durch nun geöffnete Türen. CDU und SPD haben sich, assistiert von den Grünen, einen Blankoscheck für Aufrüstung ausgestellt – wohlweislich, bevor das im neu gewählten Bundestag mit veränderten Mehrheiten schwierig geworden wäre. Eine Verfassungsänderung wurde beschlossen, die an einen Staatsstreich denken lässt: per namentlicher Abstimmung – Fraktionsdisziplin setzte die Abgeordneten unter Druck. Per Volksentscheid wäre die Entscheidung kaum so zustande gekommen. Im Schnelldurchlauf wurde ein Exempel statuiert, was Demokratie in diesem Lande wert ist. Über unsere Köpfe hinweg sichert sich die Waffenlobby nun Profite auf unabsehbare Zeit. Im Buch kommt der Vorstandsvorsitzende der Firma Rheineisen am 27. März 2028 nach dem Beschuss seines Firmenjets Gulfstream G 650 durch eine Stinger-Rakete ums Leben. Und am gleichen Tag wird auf dem historischen Rathaus der estnischen Stadt Narwa die russische Flagge gehisst. Ein Einmarsch in Estland: Es geistern ja längst schon Meinungen durch die Medien, was Schlimmes geschehen würde, wenn Russland seine Kriegsziele in der Ukraine erreicht. Dann macht uns „Soffjetrussland“ zur Kolonie, ruft Adenauer aus seinem Grab, dann sind wir „Sibirien“. Dass der Ukraine-Krieg endet – was nicht nur für mich eine Hoffnung ist, wird für Carlo Masala zum Schreckensszenario, mit dem er möglichst viele Leute anstecken will. Von Anfang an ist die Absicht des Buches durchsichtig, auch wenn es auf durchaus spannende Weise an verschiedene Schauplätze führt: in die russische Präsidialverwaltung, den Rat der Außenminister in Brüssel, das Büro des Bundeskanzleramts, das NATO-Hauptquartier … Der Autor will Eindruck machen mit seinem Insiderwissen. Das tat ihm wohl schon beim Schreiben gut. Wir sollen ihm folgen, aufblicken zu ihm als Experten, damit wir unbeirrt bleiben in einem Krieg, der Trump nun zu teuer wird. Ungefragt sollen wir bereitwillig weiterhin für Waffenlieferungen an die Ukraine zahlen, auch wenn wir an deren Sieg nicht mehr glauben. Denn mit einem Kapitulationsfrieden, meint Masala, würde es für uns erst richtig schlimm. Angstszenario voller Russenhass Niemand kann in die Zukunft sehen. Das Szenario in diesem Buch ist höchst manipulativ. Mit der Kränkung, dass die ganze westliche Aufrüstung der Ukraine letztlich für die Katz war, stände Masala nicht allein. Aber es ist doch ziemlich erschreckend, wie ihm der Russenhass aus allen Knopflöchern blitzt, als hätte Deutschland nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg ein Recht auf Revanche. Er ist besessen davon, es wird ihm schon fast zur fixen Idee. „Russland bereitet sich auf einen großen Krieg vor.“ Landauf, landab geht er in den Medien mit seiner Phobie hausieren. [2] War er je in Russland? Beherrscht er die Sprache? Selbst wenn, wäre er mental fähig zu Diplomatie auf Augenhöhe? Europäische Diplomatie statt Waffenlieferungen, gerade dafür würde es doch jetzt höchste Zeit. Denn wir leben doch auf einem Kontinent. Putin kann Deutsch. Vielleicht liest er das Buch sogar und amüsiert sich über die Idee des Autors, dass er nach der Kapitulation der Ukraine seinen Rücktritt anbieten würde. Mag ja sein, dass er das schon mal vorhatte. Aber dass sein junger Nachfolger ausgerechnet Obmantschikow heißt und sein Vertrauter Palatschow! „Lügner“ und „Henker“. Es ist ihm wohl selbst gar nicht klar, wie er seinen Ruf als „Militärexperte“ lädiert, wenn er sich dermaßen vordergründig von Emotionen leiten lässt. Wir sollen ihn für einen Sachverständigen halten, aber Nüchternheit ist nur Fassade. Unter dieser Maske ist er befangen, gekränkt, kampfeswütig und voller Angst. In Moskau wird man sich amüsieren über seine Idee, ein russisches Atom-Unterseeboot zur unbewohnten Hans-Insel im Nordpolarmeer zu schicken, um dort die russische Flagge zu hissen und darunter eine Flasche Kristall-Wodka mit einer Büchse Kaviar zu deponieren: Ach, da hätten wir doch eine bessere Wodka-Marke gefunden als die, die es schon zu DDR-Zeiten gab, wird man lachen. Aber originell ist der Mann – und vor allem: Er nimmt uns ernst. Er fürchtet uns sogar. Wenn der US-Präsident zögert In seinem „Roman“ will das 2028 von Russland angegriffene Estland den NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 ausrufen. Der NATO-Generalsekretär überlegt, wie das konkret durchzuführen wäre, und verweist auf Schwierigkeiten, sollte Russland eine Seeblockade errichten. Der französische Staatspräsident gibt zu bedenken, dass Russland wohl keinen Krieg mit der NATO bezweckt, sondern vor allem seine Bürger in Estland schützen will. „Man muss schon sagen, dass Estland deren Rechte seit Jahren nicht in vollem Umfang berücksichtigt.“ [3] Immerhin ist das mal ausgesprochen. Eigentlich müsste man noch weiter gehen: Zwar von inneren Widersprüchen ausgelöst, lag der Zerfall der Sowjetunion im Interesse des Westens. Die Unterstützung antirussischer Bestrebungen in den einstigen Sowjetrepubliken und die NATO-Osterweiterung waren zur Eindämmung Russlands gedacht und wurden dort als Bedrohung verstanden. Weil den USA die Mittel knapp werden, steigt Trump jetzt ab vom hohen Ross und gibt sogar zu, dass in der Ukraine ein „Stellvertreterkrieg“ der USA mit Russland stattgefunden hat. [4] Und wenn es so ist (was unsereins schon lange sagte), ist doch plausibel, dass sich zuerst diese beiden Großmächte an einen Tisch setzen müssen. Der Ukraine und der EU wird auf beleidigende Weise klargemacht, was sie schon immer waren und wohl auch bleiben sollen: Handlanger der USA. Der US-Präsident im Buch gibt jedenfalls keine Zustimmung zur Ausrufung des Artikels 5: „Wegen einer kleinen Stadt in Estland riskiere ich nicht den Dritten Weltkrieg.“ [5] Aber das klingt ja absolut vernünftig. Alles ist zu tun, um einen dritten Weltkrieg zu vermeiden. Russland-Hass verstellt Masala den Blick. Er müsste ja auch nicht aufs Schlachtfeld, dürfte einen bequemen sicheren Bunker haben. Aber eigentlich denkt er gar nicht so weit. Erst einmal will er sich in unserem noch-friedlichen Land publikumswirksam im Kampf gegen die „Angstunternehmer“ profilieren. Bunt zusammengesetzt sei diese Truppe. „Es sind Menschen, die aus ideologischer Überzeugung für die Sache Moskaus streiten, ehemalige Militärs, die ihre öffentliche Bedeutungslosigkeit kompensieren, Publizisten, die sich am extremen rechten oder linken Rand des Spektrums sichtlich wohl fühlen, und eine kleine Schar von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen.“ [6] Hat er sich da gar schon Namen aufgeschrieben? So, wie es die Ukraine auf ihrer Seite „Mirotworez“ macht? Die heißt auf Deutsch „Friedensstifter“ und gibt Tausende von Namen, Telefonnummern und Mailadressen von Leuten preis, die in diesem Krieg nicht den ukrainischen Kampf unterstützen. [7] Die Ukraine als weltweit größter Waffenimporteur Kriegslogik. Aber was geschieht mit uns, wenn ein solches Freund-Feind-Schema Fuß fasst? „Wenn die NATO nicht reagiert, hat Russland gewonnen“, sagt der deutsche Bundeskanzler nach der Telefonkonferenz am 27. März 2028 zu seinem Sicherheitsberater. Damit spricht er dem Autor aus dem Herzen. Sowieso behandelt er den Bundeskanzler betont zuvorkommend, wenn er im Buch auftritt. Schließlich will er dem Verteidigungsministerium weiterhin Beratungsleistungen verkaufen. Mit dermaßen simplen Gut-Böse-Konstellationen im Kopf? Was ist das für ein Sachverständiger? Eher ist er ein Sprachrohr, ein Mann für Publicity. Er ist ehrgeizig, will hoch hinaus. Dass Trump sich von Europa abkehrt, ist seine Chance, als Scharfmacher in die Öffentlichkeit zu treten. Dabei geht er in seinem Verständnis des Ukrainekrieges als „Weltordnungskonflikt“ schon weiter, als es medial bislang üblich war. Da wurde vornehmlich an unser Mitgefühl appelliert, weil ein großes Land ein kleines überfallen habe. Dass in der Ukraine unsere Demokratie verteidigt würde, sollten die Leute glauben, obgleich die korrupte Oligarchie dort weit von Demokratie entfernt ist. Kriegspropaganda: Längst schon ist Deutschland Teil dieses Krieges, für den die Ukraine mit unsäglichem Leid bezahlt. Ein Krieg des Westens gegen Russland, in dem der US-Präsident nun anscheinend das Handtuch wirft. Allein schon emotional: Wie sollen europäische Transatlantiker mit dieser jähen Wendung fertig werden? Und Selenskyj erst: Wie er von Biden erst gehätschelt und dann von Trump gedemütigt wurde! Mit Sanktionen gegen die russische Wirtschaft hat Deutschland sich selbst massiv geschadet. Wie viele Milliarden Militärhilfe an die Ukraine die deutschen Steuerzahler finanzierten, die Zahlen entziehen sich jedem Vorstellungsvermögen. Und man merkt schon kaum mehr auf, wenn neue Sanktionen beschlossen und weitere Mittel für die Ukraine in Aussicht gestellt werden. Die Commerzbank prognostiziert, dass sich Deutschlands kreditfinanzierte Ausgaben für Verteidigung in den nächsten zwölf Jahren um 750 Milliarden Euro erhöhen werden. Plus dem Infrastruktur-Sondervermögen von rund 500 Milliarden und dem zusätzlichen Verschuldungsspielraum für die Bundesländer ergebe sich eine Summe von rund 1.500 Milliarden Euro neuer Schulden. [8] Es ist eigentlich widersinnig: Während US-Politik irgendwie das Feuer löschen will, schiebt Deutschland neuen Brennstoff nach – wobei Trump durchaus eigene Interessen verfolgt. Der Weltordnungskonflikt wird unter dem Motto „America First“ nur auf eine andere Ebene geschoben. Putin kann Trumps gutem Willen nicht vorbehaltlos glauben, und wir können es ebenso wenig. Die kriegsgebeutelte Ukraine soll für die US-Militärhilfen womöglich nicht nur mit ihren Bodenschätzen zahlen, sondern kommt wirtschaftlich noch stärker unter US-Protektorat. Wenn es zu einem EU-Beitritt der Ukraine käme, stünde allen US-Unternehmen, die dort engagiert sind, ein riesiger Freihandelsbereich offen. Allein schon mit ihrer großen industriellen Lebensmittelproduktion könnte die Ukraine faktisch alle kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe in der EU über den Preis plattmachen. Und auf der anderen Seite wird die EU für alle Kriegsschäden aufkommen. [9] Laut dem Europäischen Friedensforschungsinstitut in Stockholm ist die Ukraine weltweit der größte Waffenimporteur. Auffällig ist zudem die starke Abhängigkeit europäischer Staaten von US-Rüstungsgütern. 64 Prozent der Waffenkäufe der europäischen NATO-Staaten stammen aus den USA. [10] Trumps mit Forderungen verbundene Abkehr von Europa kommt seiner heimischen Rüstungsindustrie zugute. Kann der militärisch-industrielle Komplex in den USA da wirklich an einer Friedensordnung auf unserem Kontinent interessiert sein? Was Deutschland betrifft: Wie die Aktie von „Rheinmetall“ in der vergangenen Woche über 20 Prozent zulegte, bildet Hoffnungen ab, dass der Gewinn des Bundeswehrlieferanten – im vorigen Jahr schoss er um 61 Prozent in die Höhe – noch weiter steigt. [11] Werden wir von Rüstungsaktionären regiert? Verteidigung liberaler Werte: Was wird davon übrig sein? Immer wieder ist im Buch davon die Rede, dass Europa ohne die USA militärisch nicht stark genug sei, der Ukraine beizustehen. Allerdings legt Masala dem russischen Präsidenten Obmantschikow mehrmals die Prognose einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur in den Mund. Wie die aussehen könnte, wird nicht erklärt. Dass sie dem Autor bedrohlich erscheint, bildet die Interessen der Rüstungslobby ab. Dass schon einmal ein solches Sicherheitsbündnis mit Russland beschlossen worden ist, dürfte Masala wissen. Am 21. November 1990 wurde die „Charta von Paris für ein neues Europa“ von 32 europäischen Ländern, einschließlich der Sowjetunion, sowie den USA und Kanada unterzeichnet. [12] Sie sollte ein „neues Zeitalter des Friedens“ eröffnen. Doch bereits neun Monate später begannen die Kriege auf dem Territorium Jugoslawiens, die 1999 in der NATO-Bombardierung Belgrads kulminierten. Mit Serbien wurde ein Verbündeter Russlands getroffen. Sowieso wurde die „Charta von Paris“ nach dem Zerfall der Sowjetunion begraben. Im Sinne westlicher Machtpolitik schien Russland in die Knie gezwungen. Das änderte sich erst mit Putins Machtübernahme. Der Kalte Krieg trat in eine neue Phase. Nach dem belletristischen Teil im Buch erklärt der Autor im Nachwort noch einmal explizit seine Positionen. „Die Ukraine darf nicht verlieren. Russland darf nicht gewinnen.“ [13] So entschieden Olaf Scholz das sagte, wird er von Masala (er hatte ja bereits einen neuen Kanzler im Blick) dennoch kritisiert. Zu schwammig sei das, ohne klare Strategie. Dass es unrealistisch war, davon spricht er nicht. Stattdessen erklärt er: „Putins Strategie …, neben der Erzeugung von Angst infolge einer möglichen nuklearen Eskalation auf die Erschöpfung demokratischer Gesellschaften zu setzen … Je mehr Kosten die Sanktionen gegen Russland verursachten, desto weniger waren Menschen bereit, ihre Fortdauer zu unterstützen.“ [14] Wohl wahr. Nur folgen seine Gedanken eben nicht dem allgemeinen Interesse, in Frieden und Sicherheit zu leben. Im Gegenteil: Von oben herab überlegt er, wie sich die Widerspenstigen zähmen lassen. „Denn Fragen wie die nach höheren Verteidigungsausgaben, nach beschleunigten Rüstungsprozessen, nach Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht … können dann nicht auf der Basis eines breiten gesellschaftlichen Konsenses entschieden werden.“ Vielmehr liege die Aufgabe der Politik darin, „diese Themen nicht bloß im Blick auf öffentliche Meinung und kommende Wahlen zu verhandeln, sondern bewusst politische Führung auszuüben“. [15] Also Durchregieren, was auch Kanzler Merz gefallen dürfte. Zentralismus ohne Demokratie macht vieles leichter und schmeichelt dem Ego. In Putin entdeckt Masala „missionarischen Eifer“, als sähe er sein Spiegelbild. Wie weit würde er gehen mit seiner Ausrichtung auf Kriegstüchtigkeit, die schließlich im Gegensatz zum Friedensgebot des Grundgesetzes steht, den Staat so einzurichten, dass er auf Erhaltung, Verstetigung und Ausweitung von Frieden gerichtet ist? Dass Frieden zwar erstrebenswert, würde er antworten, aber wenn überhaupt nur auf dem Wege intensivier Militarisierung zu erreichen sei. „Russland abzuschrecken und einzudämmen, kann nur gelingen, wenn die europäischen Gesellschaften bereit sind, den dafür angefallenen Preis zu zahlen. Und dieser Preis bemisst sich zwar im Extremfall der Bündnisverteidigung in Menschenleben, er fällt aber bereits jetzt an als ökonomische und politische Kosten. Wer eine Steigerung von Verteidigungsausgaben durchsetzen will, der wird in anderen Bereichen kürzen müssen oder kann dort zumindest weniger investieren. Es wird also auch um eine Priorisierung von Staatsaufgaben gehen.“ [16] Zu diesem Zweck sei „klar zu kommunizieren, was auf dem Spiel steht. Demokratische Gesellschaften sind durch hybride Kriegsführung bedroht und letzten Endes geht es um nicht weniger als um die Verteidigung der demokratischen Staatsform, oder pathetischer gesprochen, um die Art und Weise, wie wir leben und leben wollen.“ [17] Dass Masalas Vorstellungen von zentral angeordneter Kriegsertüchtigung sich durchsetzen, davor sei eindringlich gewarnt. Denn in diesem Fall ist es fraglich, welche liberalen, demokratischen Werte überhaupt noch übrig sind, die wir gegen autoritäre Herrschaftsformen verteidigen wollten. Carlo Masala: Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario. C.H.Beck, 116 Seiten, broschiert, 15 Euro. ---------------------------------------- [«1] taz.de/Carlo-Masala-ueber-die-Bundeswehr/!5884220.html [https://taz.de/Carlo-Masala-ueber-die-Bundeswehr/!5884220.html] [«2] welt.de/vermischtes/article255743250/Maischberger-Russland-bereitet-sich-auf-einen-grossen-Krieg-vor.html [https://www.welt.de/vermischtes/article255743250/Maischberger-Russland-bereitet-sich-auf-einen-grossen-Krieg-vor.html] merkur.de/politik/putin-carlo-masala-ueber-militaerische-russland-ukraine-krieg-deutschland-bundeswehr-zr-93636746.html [https://www.merkur.de/politik/putin-carlo-masala-ueber-militaerische-russland-ukraine-krieg-deutschland-bundeswehr-zr-93636746.html] augsburger-allgemeine.de/politik/interview-militaerexperte-carlo-masala-zur-bedrohung-durch-russland-wer-das-nicht-sehen-will-ist-blind.html [https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/interview-militaerexperte-carlo-masala-zur-bedrohung-durch-russland-wer-das-nicht-sehen-will-ist-blind.html] [«3] Carlo Masala, S. 65 [«4] t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_100626374/trumps-ukraine-plan-ploetzlich-heisst-es-stellvertreterkrieg-.html [https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/usa/id_100626374/trumps-ukraine-plan-ploetzlich-heisst-es-stellvertreterkrieg-.html] [«5] Masala, S. 65 [«6] ebenda, S. 102 [«7] bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2019_06/647952-647952 [https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2019_06/647952-647952%2520] [«8] nd-aktuell.de/artikel/1189955.aufruestung-sparen-fuer-die-kriegstuechtigkeit.html [https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189955.aufruestung-sparen-fuer-die-kriegstuechtigkeit.html] [«9] berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/ein-teuflischer-plan-usa-wollen-ukraine-komplett-uebernehmen-li.2311608 [https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/ein-teuflischer-plan-usa-wollen-ukraine-komplett-uebernehmen-li.2311608] [«10] tagesschau.de/ausland/europa/sipri-waffen-102 [https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sipri-waffen-102] [«11] nd-aktuell.de/artikel/1189959.rheinmetall-co-aufruestung-an-der-boerse.html [https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189959.rheinmetall-co-aufruestung-an-der-boerse.html] [«12] bundestag.de/resource/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf [https://www.bundestag.de/resource/blob/189558/21543d1184c1f627412a3426e86a97cd/charta-data.pdf] [«13] Masala, S.106 [«14] ebenda, S. 107 f [«15] ebenda, S. 109 [«16] ebenda, S.115 [«17] ebenda, S. 116
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