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Laut Medienberichten fördert die EU-Kommission „heimlich“ handzahme Klima-„NGOs”. Wenn das zutrifft, ist es sehr problematisch. Es gibt aber noch andere – mutmaßlich mächtigere – Lobby-Strukturen, die in dem Zusammenhang ebenso betont werden müssen. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Die Welt am Sonntag (WamS) hat in aktuellen Artikeln schwere Vorwürfe bezüglich der Praxis der Finanzierung von „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) durch die EU-Kommission erhoben. So heißt es in diesem Beitrag [https://www.welt.de/wirtschaft/plus256224858/welt-recherchen-einblick-in-die-geheimvertraege-so-funktioniert-die-schatten-klimalobby-der-eu.html]: > „Die EU-Kommission schmiedete heimlich eine Allianz mit NGOs, um ihre Ziele durchzusetzen. In Geheim-Verträgen legte die Behörde fest, wie die Aktivisten Kohlekraft und Handelsabkommen torpedieren sollten – und zahlte viel Geld dafür.“ Und in diesem Artikel [https://www.welt.de/wirtschaft/plus256221718/geheime-vertraege-eu-kommission-bezahlte-aktivisten-fuer-klimalobbyismus.html] heißt es: > „Die Europäische Kommission hat im Verborgenen Umweltverbände für Klagen und Kampagnen gegen deutsche Unternehmen bezahlt. (…) Wie aus bislang geheimen Unterlagen hervorgeht, bezahlte die EU-Kommission Umweltorganisationen für fragwürdige Lobbyarbeit – auch mit Geld deutscher Steuerzahler. Auch deutsche Firmen wurden zum Ziel der NGOs.“ Die Europäische Kommission hat laut Medienberichten [https://de.euronews.com/my-europe/2025/06/07/europaische-kommission-weist-vorwurf-geheimvertrage-mit-klimalobbyisten-zu-unterhalten-zur] Vorwürfe zurückgewiesen, wonach sie „geheime Verträge“ mit Umwelt-NGOs zur Förderung der Klimapolitik der Union unterzeichnet habe: > „Entgegen den Medienberichten gibt es keine geheimen Verträge zwischen der Europäischen Kommission und NGOs“, sagte ein Sprecher der Kommission zu euronews. „Die Kommission übt ein hohes Maß an Transparenz aus, wenn es um die Finanzierung von NGOs geht.“ „Die Zivilgesellschaft“ Der Vorgang ist Anlass zu einigen prinzipiellen Gedanken über Lobbyismus. Einerseits: Es ist sehr befremdlich, dass sich hier Teile „der Zivilgesellschaft“ mit einem mächtigen politischen Gremium in Europa mutmaßlich heimlich verabreden, um die Bürger und die Industriepolitik im Verborgenen (so die WamS) zu beeinflussen. Der eigene Anspruch, zu dieser Einflussnahme berechtigt zu sein, weil man ja zu „den Guten“ gehört, illustriert eine inakzeptabel arrogante Haltung. Angesichts der von der WamS unterstellten Heimlichkeit der Absprachen stellt sich auch die Frage nach dem „offenen Visier“, das sonst von dieser Seite oft von politischen Gegnern eingefordert wird. Nicht zuletzt ist festzustellen, dass die Forderung nach Transparenz noch keine Kampagne gegen die Klima-„NGOs“ darstellt. Außerdem führt der Ausdruck „Zivilgesellschaft“ zweifach in die Irre. Zum einen können von staatlichen Geldern abhängige Initiativen sich in meinen Augen nicht als „unabhängig“ deklarieren – das ist Etikettenschwindel. Zum anderen: Was ist das für eine „Zivilgesellschaft“, die ganz überwiegend die aktuelle Militarisierung der Gesellschaft duldet oder gar unterstützt? Und ist es vorstellbar, dass eine tatsächlich militarismus-kritische „NGO“ ebenso gefördert würde wie einige Klima-„NGOs“? Und: Wer legt denn fest, wer „die Guten“ sind, die mutmaßlich heimlich gepäppelt werden dürfen? Der „Lobbyismus“ des Mietervereins Aber: Es gibt eben verschiedenste Lobbygruppen. Und manche sich großen Konzernen verbunden fühlende Akteure, die jetzt bei den Klima-„NGOs“ eine „Transparenz“ einfordern, pflegen höchstwahrscheinlich ihr ganz eigenes intransparentes System des versteckten Lobbyismus – und das möglicherweise mit erheblich mehr finanziellen Mitteln im Hintergrund. Man sollte zusätzlich sehr wachsam sein, wenn zum Beispiel Immobilienkonzerne die Arbeit der Mietervereine als Lobbyismus diffamieren wollen. Diese Definition trifft zwar einerseits zu, aber das Eintreten für bezahlbare Mieten ist doch etwas ganz anderes als die Praxis, mit Milliarden im Rücken und mit hochbezahlten Anwälten auf Regierungsebene laschere Regeln für die eigenen Konzerne durchzuboxen. In diesem Sinne muss ich dem grünen EU-Abgeordneten Daniel Freund teilweise recht geben, wenn er laut Medien [https://www.welt.de/wirtschaft/plus256224858/welt-recherchen-einblick-in-die-geheimvertraege-so-funktioniert-die-schatten-klimalobby-der-eu.html] sagt, dass „Unternehmen aus der Tech-Branche oder der Industrie Millionenbeträge für die politische Interessenvertretung aufwenden können“, während die Budgets von NGOs eine derartige Präsenz häufig nicht möglich machen würden. In diesem Beitrag auf X [https://x.com/daniel_freund/status/1931647097872273596] tritt er auch der Darstellung der WamS bezüglich einer angeblichen Geheimhaltung teilweise entgegen. Wir sind „die Guten“! Prinzipiell sollte aber, wie gesagt, endlich darauf verzichtet werden, staatlich geförderte Gruppen als „unabhängige Zivilgesellschaft“ zu bezeichnen. Transparenz ist von allen Lobbygruppen einzufordern. Erhebliches Misstrauen sollte außerdem entstehen, wenn sich politische Akteure selber als „die Guten“ einordnen, und damit dann erzieherisches Verhalten rechtfertigen wollen. Titelbild: metamorworks / Shutterstock[https://vg01.met.vgwort.de/na/586994f5fc864f8da46821aec15bcb53]

Ukrainische Drohnenangriffe auf russische Militärflugplätze am 31. Mai und 1. Juni in den Regionen Murmansk und Irkutsk haben erhebliche Schäden verursacht. Das wirft die Frage auf, wie diese Angriffe die russische Militärstrategie beeinflussen und welche Gegenmaßnahmen von Moskau zu erwarten sind. Der prominente russische Politologe Dmitri Trenin analysiert in unserem Interview die russische Haltung, die möglichen Folgen eines langen Krieges, den Einfluss westlicher Akteure und die Rolle Donald Trumps im Konflikt. Das Interview mit Dmitri Trenin führte und übersetzte aus dem Russischen Éva Péli. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Am 31. Mai und 1. Juni griffen ukrainische Drohnen Militärflugplätze in den Regionen Murmansk und Irkutsk an, was laut dem russischen Verteidigungsministerium zu erheblichen Verlusten geführt hat. Welche Folgen hat dies für die bisherige Militärstrategie der russischen Führung? Wie hoch auch immer der tatsächliche Schaden durch die ukrainischen Angriffe ist (es ist bereits klar, dass er deutlich geringer ist als von Kiew angegeben), wird dies praktisch keine Auswirkungen auf die Militärstrategie Russlands in der Ukraine haben. Ich hoffe, dass Lehren gezogen und die Schwachstellen Russlands beseitigt werden. Allerdings: Eine Woche nach den Ereignissen hat die strategische Luftwaffe Russlands einen der stärksten Schläge gegen Ziele in der Ukraine geführt. Unterdessen rücken die russischen Truppen an der gesamten Front weiter vor. Ich möchte auch auf die Worte von Präsident Putin hinweisen, dass sich der ukrainische Staat nach den blutigen Terroranschlägen auf Personenzüge zunehmend zu einem terroristischen Staat entwickelt. Diese neue Charakterisierung der ukrainischen Führung könnte in Zukunft Konsequenzen für Kiew haben. Welche Reaktion ist Ihrer Meinung nach in den nächsten Wochen vom russischen Militär zu erwarten? Es ist falsch, die militärischen Operationen nur auf eine Reaktion auf die Schritte des Feindes zu reduzieren. Russische Truppen werden die Aufgabe lösen, die heute von Kiew gehaltenen verfassungsmäßigen Gebiete von Noworossija (Neurussland) und des Donbass unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie werden auch danach streben, militärische, militärindustrielle, infrastrukturelle und ähnliche Objekte des Feindes im Hinterland zu zerstören. Der Unterschied zwischen der russischen und der ukrainischen Strategie besteht darin, dass die Ukraine in erster Linie auf die propagandistische Wirkung ihrer Maßnahmen setzt, um die Moral der ukrainischen Streitkräfte und der Bevölkerung zu stärken und mehr Hilfe vom Westen zu fordern, während Russland sich auf die Erfüllung rein militärischer Aufgaben konzentriert. Es ist jedoch zu bedenken, dass die ukrainischen Aktionen vom 1. Juni die Frage nach der Rolle der westlichen Länder bei ihrer Vorbereitung und Durchführung aufwerfen. Um eine weitere Eskalation in Richtung eines großen Krieges zwischen der NATO und Russland zu vermeiden, würde ich zu einem bestimmten Zeitpunkt (allerdings kaum in den nächsten Tagen) auch Angriffe auf das Territorium europäischer Staaten, die die Ukraine bewaffnen und unterstützen, nicht ausschließen. Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass diese neuen, aber kostengünstigen Methoden zu einer Verlängerung des Krieges beitragen könnten, da die Ukraine mit Unterstützung westlicher Satelliten ganz Russland erreichen und ähnliche Aktionen organisieren könnte? Es ist zu bedenken, dass eine Ausweitung des Konflikts auf das gesamte russische Territorium den Krieg auch in die entgegengesetzte Richtung ausweiten könnte – auf ganz Europa. Die Europäer geben sich der Illusion hin, dass sie mit dem Leben der Ukrainer bezahlen können, während sie selbst in Sicherheit sind. Meiner Meinung nach bewegen wir uns derzeit auf eine groß angelegte Konfrontation zwischen Russland und der NATO zu, und die Ereignisse vom 1. Juni sind ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg. Wer ist Ihrer Meinung nach die führende Figur unter den westlichen Akteuren, wenn es um Ratschläge für die Ukraine geht? Was sind Ihrer Meinung nach die Leitprinzipien der „Koalition der Willigen“? Meiner Meinung nach gibt es hier eine gewisse Konkurrenz zwischen London, Paris und Berlin. Herr Starmer, Herr Macron und Herr Merz wetteifern darum, wer gegenüber Russland „cooler“ ist. Bislang scheuen sie sich jedoch, ihre Truppen in den Krieg gegen Russland zu schicken. Sollten sie ihre Zurückhaltung überwinden und es wagen, ohne US-Militärunterstützung in die Ukraine einzumarschieren, würden diese Truppen zum Ziel russischer Angriffe werden. Die Grundsätze dieser Koalition lauten (vorerst): laut schreien, wenig geben, keine Truppen schicken. Das kann sich jedoch ändern. Wie beurteilen Sie die Haltung von US-Präsident Trump, der den Krieg so schnell wie möglich beenden möchte, angesichts der oft unentschlossenen Maßnahmen Washingtons? Trump will die Militäraktionen in der Ukraine beenden, sich dies als Verdienst anrechnen und den Friedensnobelpreis erhalten. Er will, aber er kann nicht. Er manövriert und droht, seine Vermittlerrolle aufzugeben und Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Trumps Position ist ziemlich schwach. Seine Drohungen gegenüber Putin zeigen keine Wirkung. Er ist auch dem Einfluss eines Teils seines Teams, des Kongresses (einschließlich der Republikaner) und praktisch aller europäischen Staats- und Regierungschefs ausgesetzt. Trump hat Angst, eine Entscheidung zu treffen. Daher seine Unentschlossenheit. Es scheint, dass Russland vor einer Entscheidung steht. Wie schätzen Sie die Möglichkeiten ein, die militärischen Herausforderungen des Krieges mit den bisher eingesetzten Mitteln und in dem bisherigen Umfang zu bewältigen? Im Krieg ändert sich ständig alles. Der aktuelle Konflikt erfordert nicht nur ständig verbesserte Formen und Methoden der Kriegsführung, sondern auch völlig neue Lösungen als Antwort auf die wachsenden Herausforderungen. Wir haben gerade eine massive Eskalation des Krieges durch Kiew und seine Verbündeten erlebt. Auf diese Herausforderung muss eine Antwort gefunden werden. Titelbild: Rokas Tenys/shutterstock.com[https://vg01.met.vgwort.de/na/4e98689cdc28433abd12b8a79591e56c]

Staatlich gefördertes Denunziantentum, extremer Anstieg der politisch motivierten Kriminalität oder verbesserte Verfolgung von Straftaten im Internet aufgrund staatlicher Meldestellen? Die Präsentation der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität durch Innenminister Dobrindt und BKA-Chef Münch wirft bei näherem Hinsehen einige Fragen auf. Werden die vermeintlich gestiegenen Fallzahlen letztendlich politisch instrumentalisiert, um eine weitreichendere Überwachung im Internet und im öffentlichen Raum durchzusetzen? Oder wird damit am Ende sogar die Bekämpfung der politischen Opposition gerechtfertigt? Von Karsten Montag. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Am 20. Mai stellte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) [https://www.youtube.com/watch?v=pHaLRpxSL6M] eine Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) [https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKZahlen2024/PMKZahlen2024_node.html] zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) vor. Die PMK sei 2024 „extrem“ auf über 84.000 Fälle angestiegen. Es handele sich um einen Höchststand. Die Entwicklung unterstreiche „einmal mehr den dringenden Bedarf einer gemeinsamen Sicherheitsoffensive von Bund und Ländern“. Dobrindt verdeutlichte den Anstieg mithilfe eines Diagramms, in dem die Anzahl der politisch motivierten Straftaten seit 2015 dargestellt wird. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-01.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-01.jpg Abbildung 1: Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität, Datenquelle: Bundeskriminalamt [https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/pmk_node.html] „Einige Besonderheiten“, die jedoch nicht zur Relativierung beitragen sollen, hätten zu diesem Anstieg beigetragen, erläuterte der Innenminister. So hätten im Jahr 2024 die Europawahl, drei Landtagswahlen und neun Kommunalwahlen stattgefunden. Dies würde jedoch nicht im Ansatz die Gesamtsteigerung erklären, denn diese sei getrieben durch die „Polarisierung“ der Gesellschaft. Im Jahr 2024 sei die „PMK rechts“ der größte Phänomenbereich gewesen. Deswegen werde man „den Kampf gegen den Rechtsextremismus und von rechts motivierten Straftaten“ weiter fortsetzen. Auch die „PMK links“ sei nach wie vor „sehr ausgeprägt“. Daher werde die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern „eine Strategie zur konsequenten Verfolgung und Bekämpfung linksextremistisch motivierter Straftaten und Strukturen“ entwickeln. Auch im Bereich der religiösen und ausländischen Ideologie der PMK habe es einen „erheblichen“ Anstieg gegeben, der sich größtenteils aus dem Nahostkonflikt und dem „Terror der Hamas“ erkläre. „Größte Sorgen“ würde jedoch der steigende Antisemitismus auslösen. Gegen die Phänomene der politisch motivierten Kriminalität wolle die Bundesregierung mit einer „Doppelstrategie“ vorgehen. Einerseits soll die Polizei „mehr Kompetenzen“ erhalten, insbesondere hinsichtlich der IP-Adressenspeicherung und der Videoüberwachung. Andererseits soll die Mindeststrafe für tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte von drei auf sechs Monate angehoben werden. Zudem sei Dobrindt „sehr“ für eine „Regelausweisung“ bei Verurteilung zur Freiheitsstrafe wegen antisemitisch motivierter Straftaten. BKA-Präsident Holger Münch machte zusätzlich darauf aufmerksam, dass der Anstieg der PMK 2024 im Vergleich zum Vorjahr 40 Prozent oder 24.000 Fälle betrage. Das sei ein Ausdruck der „zunehmenden Radikalisierung und Polarisierung“ sowie ein „Angriff auf die Demokratie“. Ohne Zahlen zu nennen, wies Münch zudem auf „hybride“ Angriffe russischer Geheimdienste hin und sprach in diesem Kontext von einer „Zeitenwende“ in der inneren Sicherheit. Weder Dobrindt noch Münch wiesen in ihrer Präsentation darauf hin, was der eigentliche Grund für die Steigerung der PMK hauptsächlich war. Erst auf Nachfragen von Journalisten äußerte der BKA-Präsident, dass man einen „sehr starken Anstieg“ bei den „Straftaten über das Internet“ verzeichnet habe. Das „Dunkelfeld“ werde dabei kleiner. Allein 3.000 Fälle mehr seien über die „zentrale Meldestelle für Internetkriminalität“ gelaufen, „die gerne auch in der Statistik“ landeten. Diese Andeutungen geben zumindest einen Hinweis darauf, was die hohen Fallzahlen tatsächlich ausgelöst hat. Straftaten im Internet und Sachbeschädigungen Hauptauslöser der hohen Zahlen Eine genauere Untersuchung der PMK-Statistik fördert zutage, dass die Anzahl der politisch motivierten Gewalttaten in den letzten 14 Jahren zwischen 2.400 und 4.400 Fällen pro Jahr schwankte – mit dem Höhepunkt im Jahr 2015. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-02.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-02.jpg Abbildung 2: Politisch motivierte Kriminalität, ausgewählte Phänomenbereiche, Datenquelle: Bundeskriminalamt [https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/pmk_node.html] Deutliche Steigerungen gab es hingegen bei Straftaten im Internet sowie bei Sachbeschädigungen. Unter strafrechtliche Gewalt fallen laut der Polizei Brandenburg [https://polizei.brandenburg.de/seite/was-ist-gewalt-/5418291] Körperverletzungen, Bedrohungen, Nötigungen, Erpressungen, Raubdelikte, Beleidigungen und Mobbing. Unter politisch motivierte Straftaten im Internet [https://hateaid.org/straftaten-im-netz/] fallen Bedrohung, Beleidigung, Cybergrooming, Cyberstalking, Doxxing, Erpressung, Nötigung, üble Nachrede, Verletzung der Ehre, Verleumdung und Volksverhetzung. Zu politisch motivierten Sachbeschädigungen zählen laut einer Information der Polizei Chemnitz [https://www.dienstleistungsportal-chemnitz.de/dienstleistungsportal/print.itl?id=b101d01d-445e-4989-8b91-ea5d1f6a8249] das „Aufbringen von Aufklebern, Schmierereien, Graffiti und Parolen an Sachen, die sich in fremden [sic] Eigentum befinden“. Da es bei den Gewalttaten und den Straftaten im Internet Überschneidungen gibt und in der PMK-Statistik Mehrfachnennungen möglich sind, ist davon auszugehen, dass die Steigerung im Bereich Internet ausschließlich auf Straftaten beruht, die nicht als Gewalttaten gewertet werden. Es stellt sich daher die zentrale Frage, ob es tatsächlich zu einer Steigerung der politisch motivierten Kriminalität gekommen ist oder ob es einfach nur mehr Anzeigen gibt. Diese Frage lässt sich anhand der Daten nicht beantworten. Trotzdem ist beides möglich, und das Betreiben und die Förderung von Meldeportalen im Netz deuten darauf hin, dass eine Steigerung der Anzeigen durchaus staatlich gewollt ist. Erinnerungen an Corona werden wach Kritiker der Corona-Maßnahmen wiesen während der Corona-Krise darauf hin, dass man mit einer willkürlichen Steigerung der Corona-Tests von Menschen ohne Symptome die politisch festgelegte Grenze einer gewissen Anzahl von Infizierten je 100.000 Einwohner erreichen konnte, ohne dass eine echte Gefahrenlage vorlag. Berechnungen des Mathematikers Klaus Pfaffelmoser zufolge [https://multipolar-magazin.de/artikel/warum-die-pandemie-nicht-endet] reichte ab einer Anzahl von 2.500 Tests je 100.000 Einwohnern allein die Anzahl der falsch positiv Getesteten aus, um auf 35 Infizierte pro 100.000 Einwohner zu kommen. Dies war zum damaligen Zeitpunkt die Grenze, ab der rigorose Maßnahmen verordnet wurden. Selbst der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn gab zu [https://www.youtube.com/watch?v=Ej2fv0txfQU], dass ohne ein Ende der Tests die „Pandemie“ nie aufhören würde. Zwar kann man die Meldung politisch motivierter Kriminalität im Netz oder in Form von Sachbeschädigungen nicht wie die Durchführung von Corona-Tests anordnen. Doch die Politik kann eine Agenda setzen, welche die Bevölkerung beispielsweise für den Phänomenbereich „Hasskriminalität“ sensibilisiert, sowie ein entsprechendes Beschwerdemanagement in den sozialen Netzwerken anordnen und zusätzliche Meldestellen betreiben und fördern. Die politisch motivierte Kriminalität überschneidet sich größtenteils mit der Hasskriminalität. 2015 setzte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine solche Agenda, indem er die Einrichtung einer „Task Force“ zur Bekämpfung der Hasskriminalität in sozialen Netzwerken ankündigte [https://www.youtube.com/watch?v=y5Oi0z7sUVo]. Zwei Jahre später verabschiedete der Deutsche Bundestag [https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2017/kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz-513398] das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Damit verpflichtete der Gesetzgeber die Betreiber sozialer Netzwerke, ein Beschwerdemanagement einzurichten und Nachrichten, die den Kriterien der Hasskriminalität entsprechen, zu löschen und darüber Berichte anzufertigen. Zusätzlich wurden Meldestellen eingerichtet, mithilfe derer Hasskriminalität im Internet schnell und ohne hohe formale Hürden gemeldet werden können. Hierzu gehören: * REspect! [https://meldestelle-respect.de/], Betreiber: Jugendstiftung Baden-Württemberg im Demokratiezentrum Baden-Württemberg in Kooperation mit der Bayerischen Staatsregierung (gefördert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg, durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales), eingerichtet 2017, * HessenGegenHetze [https://hessengegenhetze.de/hate-speech-und-extremismus-melden], Betreiber: Hessisches Innenministerium, eingerichtet 2020, * MeldeHelden-App [https://hateaid.org/meldehelden-app/], Betreiber: HateAid gGmbH (gefördert unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von Campact e. V. und vom Bundesministerium für Justiz), eingerichtet: 2020. Nur ein Bruchteil der Meldungen ist strafrechtlich relevant Die von den Meldestellen bereitgestellten Daten zu Meldungen von Hasskriminalität zeigen, dass sie für den überwiegenden Teil der Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität im Internet verantwortlich sind. Die von der Meldestelle REspect! an die Strafverfolgungsbehörden übermittelten Meldungen entsprechen allein 56 Prozent der in der PMK-Auswertung für 2024 angegebenen strafrechtlich relevanten Fälle im Phänomenbereich Internet. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-03.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-03.jpg Abbildung 3: Meldungen zu Hetze im Netz über die Meldestelle REspect!, Datenquelle: REspect! [https://meldestelle-respect.de/wp-content/uploads/2025/05/Zahlen-2024-Webseite-Respect_Stand-Mai-2025.pdf] Auch das etwas dürftigere Datenmaterial der Meldestelle HessenGegenHetze deutet darauf hin, dass sie maßgeblich zur Steigerung der Fälle der politisch motivierten Kriminalität beigetragen hat. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-04.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-04.jpg Abbildung 4: Meldungen zu Hetze im Netz über die Meldestelle HessenGegenHetze, Datenquelle: HessenGegenHetze [https://hessengegenhetze.de/die-meldestelle/downloads-infomaterialien] Neben der Möglichkeit, Hasspostings im Internet über die genannten Meldestellen anzuzeigen, besteht zudem die Möglichkeit einer Online-Anzeige [https://portal.onlinewache.polizei.de/de/] bei der Polizei. Hierüber können auch Sachbeschädigungen angezeigt werden. Aus den Daten der Meldestellen wird ein weiterer, besorgniserregender Umstand deutlich. Von allen gemeldeten Fällen von Hasskriminalität waren nur 28 Prozent (REspect!) beziehungsweise 18 Prozent (HessenGegenHetze) strafrechtlich relevant. Das bedeutet, dass die Mehrheit derjenigen, die vermeintliche Straftaten im Internet melden, den Unterschied zwischen Aussagen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, und Aussagen, die strafrechtlich relevant sind, offensichtlich nicht kennt. Auch bei denjenigen, die letztendlich mit ihrem Posting eine Straftat begangen haben, muss man annehmen, dass dies nicht bewusst geschah. Es herrscht also allgemein ein großes Unwissen darüber, was Hasskriminalität überhaupt ist. Bevor eine Regierung mit staatlich geförderten Mitteln gegen die eigenen Bürger vorgeht, wäre zu erwarten gewesen, dass sie zunächst mit einer breiten Aufklärungskampagne darüber informiert, mit welchen konkreten Aussagen die Linie von der Meinungsfreiheit zur Straftat überschritten wird. Das sollte zumindest auch im Eigeninteresse erfolgen, um die Bearbeitung einer Flut von Fehlmeldungen zu vermeiden und potenzielle Täter über ihre möglichen Straftaten aufzuklären. Doch selbst die Meldeformulare der beiden staatlich geförderten Meldestellen REspect! und HessenGegenHetze enthalten keinerlei Hinweise oder konkrete Beispiele dafür, was von der Meinungsfreiheit gedeckt und was strafrechtlich relevant ist. Es bleibt dem Gefühl oder der subjektiven Ansicht der Meldenden überlassen, was sie zur Meldung bringen. Die unklare Abgrenzung zur Straffälligkeit öffentlich getätigter Aussagen wird dadurch verstärkt, dass an Beleidigung und Volksverhetzung grenzende Äußerungen und Gesten von selbst ernannten Komikern wie Sarah Bosetti (Blinddarm-Vergleich) oder Jan Böhmermann (Stinkefinger gegen Ungeimpfte) in letzter Konsequenz von der Kunstfreiheit gedeckt sind – ein Kriterium, das auf Aussagen von Privatpersonen nicht zutrifft. Diese Unklarheit, gepaart mit der konsequenten Verfolgung von potenziell strafbewehrten Äußerungen, könnte durchaus Methode haben. Ein Ziel könnte sein, die Nutzer sozialer Netzwerke so weit einzuschüchtern, dass sie eine vorsorgliche Selbstzensur betreiben – insbesondere bei Aussagen, die sich gegen die Interessen der etablierten Parteien wenden. Es entsteht der Eindruck, dass die Regierungen von Bund und Ländern mit ihrem Vorgehen eine möglichst hohe Anzahl an Hasskriminalitätsfällen ermitteln wollen. Dabei scheuen sie auch nicht davor zurück, ein Denunziantentum unterhalb der Grenze strafrechtlich relevanter Aussagen zu fördern. Was im Film „Muxmäuschenstill“ aus dem Jahr 2004 mit der fiktiven Webseite „www.denunziant.com“ noch satirisch überhöht dargestellt wurde, ist mittlerweile – mit staatlicher Unterstützung – Realität geworden. Zumindest deutet der Name der App „MeldeHelden“ darauf hin, dass die Meldung eines vermeintlichen Vergehens, das aber womöglich keines ist, generell etwas moralisch Gutes ist und nicht etwa zu einem Klima der Angst vor Denunziation und ständiger Vorverurteilung durch die Mitmenschen führen kann. Anzahl der von der Polizei registrierten Fälle von Hasskriminalität erscheint im internationalen Vergleich unplausibel Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die Anzahl der registrierten Fälle von Hasskriminalität im internationalen Vergleich betrachtet. Die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereitgestellten Daten zeigen ein sehr uneinheitliches Bild. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-05.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-05.jpg Abbildung 5: Von der Polizei registrierte Hasskriminalität im Jahr 2023, Anzahl Fälle je 100.000 Einwohner, Datenquelle: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [https://hatecrime.osce.org/hate-crime-data] Demnach hat es laut der jeweiligen Statistik der Polizei in Großbritannien 2023 mehr als zehnmal mehr Fälle von Hasskriminalität gegeben als in Deutschland, und in Deutschland wiederum 20-mal mehr Fälle als in Griechenland, der Slowakei, Tschechien oder Ungarn. Ein derartiger Unterschied innerhalb Europas erscheint vollkommen unplausibel. Welchen Einfluss eine Änderung der Gesetzeslage auf die polizeilich erfasste Hasskriminalität haben könnte, zeigt das Beispiel Österreich. Dort trat am 1. Januar 2021 das Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz [https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/I/481] (HiNBG) in Kraft. Darin findet sich unter anderem die Regelung, dass Privatkläger von der „Kostenersatzpflicht für Verfahrenskosten bei Strafverfahren“ wegen „übler Nachrede“, „Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung“ und „Beleidigung“, die im „Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems“ begangen wurden, gesetzlich befreit werden. Die Anzahl der jährlichen Fälle polizeilich registrierter Hasskriminalität ist in Österreich zwischen 2020 und 2021 um 3.400 Prozent anstiegen. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-06.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-06.jpg Abbildung 6: Von der Polizei registrierte Hasskriminalität in Österreich, Datenquelle: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [https://hatecrime.osce.org/austria] Auch eine derartige Steigerung innerhalb nur eines Jahres erscheint vollkommen unplausibel. Das Internet verzeiht keine Entgleisungen Viele der Straftaten, die unter den Bereich Hasskriminalität oder politisch motivierte Kriminalität fallen, bleiben im physischen Alltag höchstwahrscheinlich ungesühnt. Sie passieren nicht selten im Affekt. Es fehlt wahrscheinlich häufig an Zeugen, an der eindeutigen Identität des Täters oder an der Motivation der Opfer, gegen einen Aggressor vorzugehen. Das ist im Internet anders. In sozialen Netzwerken ist schon anhand der im Profil hinterlegten Daten die Identität des Urhebers festzustellen. Falls nicht, kann sie über die IP-Adresse ermittelt werden. Zeugen braucht es nicht, da die schriftlichen Aussagen als Beweis ausreichen. Selbst wenn ein Nutzer sein Posting nach einer Meldung gelöscht hat, dürfte es in der Datenbank des Betreibers des sozialen Netzwerks noch vorhanden sein. Denjenigen, die Straftaten im Internet begehen, sollte bewusst sein, dass sie rechtlich verfolgt werden. Es sollte jedem Nutzer des Internets klar sein, dass es eine vollkommene Anonymität im Netz nicht gibt. Mit einem stetigen Anwachsen der Zahl von Überwachungskameras, deren Bilder mit immer genauerer Software automatisch ausgewertet werden, wird auch eine Anonymität im physischen Raum immer unwahrscheinlicher. Zudem sind in den letzten Jahren einige Gesetze, die einen Einfluss auf die Anzahl der Hasskriminalitätsfälle haben, in Deutschland verschärft worden. Darunter fallen die „Belohnung und Billigung von Straftaten“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Belohnung_und_Billigung_von_Straftaten] sowie „gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Gegen_Personen_des_politischen_Lebens_gerichtete_Beleidigung,_%C3%Bcble_Nachrede_und_Verleumdung]. Die technischen Möglichkeiten erhöhen zwar die Aufklärungsrate von Straftaten, erzeugen jedoch auch ein Gefühl der ständigen Überwachung und damit eine subjektiv empfundene Einschränkung der Freiheit. Verdacht auf politische Instrumentalisierung der Hasskriminalität Aus Sicht der Opfer ist eine angemessene Verfolgung strafrechtlich relevanter Taten auf den ersten Blick durchaus begrüßenswert. Doch allein die Tatsache, dass Innenminister Dobrindt und BKA-Präsident Münch in ihren Präsentationen der PMK-Auswertung nicht darauf hingewiesen haben, dass die deutliche Steigerung der Fallzahlen auf Delikten beruht, die größtenteils im Internet begangen und über das Internet gemeldet wurden, macht stutzig. Denn sie erzeugen damit den Eindruck, als hätte sich die Gefahrenlage verschärft. Dabei kann es durchaus sein, dass die Anzahl der Delikte erst durch die staatlich geförderten Meldestellen, das Agenda-Setting der Regierung und die erhöhte Sensibilität in der Bevölkerung sichtbar geworden ist. Mit dem Verweis auf eine gesteigerte Gefahrenlage lassen sich politische Forderungen leichter und schneller durchsetzen als nach gründlicher sachlicher Prüfung. Das wurde in der Finanzkrise, in der Corona-Krise und beim Krieg in der Ukraine deutlich. Mit dem Argument, dass man schnell auf eine Gefahrenlage reagieren musste, lässt sich zudem eine nachträgliche Aufarbeitung nachweislich falscher Entscheidungen wirksam verhindern. Auch bei den Zahlen der politisch motivierten Kriminalität geht es neben der angemessenen Verfolgung von Straftaten auch um andere Ziele: um die Kontrolle der öffentlichen Meinung, um eine verstärkte Überwachung im Internet sowie im öffentlichen Raum, um eine Verschärfung des Strafrechts, um eine Einschränkung des Asyl- und Aufenthaltsrechts sowie letztendlich um die Bekämpfung politischer Gegner. Doch nicht der immer größere Zuspruch zu den nicht etablierten Oppositionsparteien, der auffälligerweise mit der Steigerung der politisch motivierten Kriminalität einhergeht, ist das Problem, sondern eine Politik der etablierten Parteien, die von den Wählern abgelehnt wird. Dobrindt machte dies aus seiner Sichtweise in der Präsentation der PMK-Statistik auch deutlich. Er sprach von einem „politischen Wettbewerb“. Man solle die Parteien „an den Rändern“ mit „guter Politik“ „wegregieren“, anstatt sie „juristisch zu verbieten“. Der Erfolg des Wegregierens werde „der Größere sein“. Allerdings ist seine Aussage mehrdeutig. Denn anstatt die Wünsche der Wähler umzusetzen, könnte „Wegregieren“ auch bedeuten, alle unlauteren Mittel, die einer Regierung zur Verfügung stehen, anzuwenden, um die Konkurrenz kleinzuhalten. Ein solches Mittel wäre beispielsweise, der politischen Opposition allein die „Polarisierung“ der Gesellschaft und damit die Verursachung der gesteigerten Kriminalität zur Last zu legen, anstatt die Polarisierung als Folge einer von breiten Gesellschaftsteilen nicht erwünschten Politik aufzufassen. Titelbild: Tero Vesalainen/shutterstock.com[https://vg09.met.vgwort.de/na/0acdbc75b41840febf0eb94ae5ba39e8]

Gibt es in Deutschland eine „Moralelite“? Und wenn ja: Wer soll das sein, und was zeichnet sie aus? Hans-Dieter Rieveler hat sich in einem aktuellen Buch mit dem Selbstverständnis des „linksliberalen“ Milieus auseinandergesetzt. Dort sieht er eine „Moralelite“ verwurzelt. Rieveler spricht von Akteuren, „die sich auf ihre überlegene Moral mächtig etwas einbilden und keine Gelegenheit auslassen, vermeintliche Missetäter abzukanzeln, um selbst in umso hellerem Licht zu erstrahlen.“ Im Interview mit den NachDenkSeiten sagt der Soziologe, dieses Verhalten resultiere in einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft. Von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Marcus Klöckner: Herr Rieveler, wer bestimmten Medien oder Politikern von bestimmten Parteien zuhört, hat den Eindruck: Hauptsache Haltung! „Hauptsache Haltung“ – so lautet auch der Titel Ihres Buches. Gewähren Sie uns bitte einen Einblick. Warum dieser Titel? Worum geht es? Hans-Dieter Rieveler: Den Titel hat der Verlag festgelegt. In meinem Buch geht es um die Ideologie und das Selbstverständnis des „linksliberalen“ Milieus als moralische Elite. Gegen Haltung habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden. Wer etwa die Haltung vertritt, dass Menschenrechte universell gelten, wird nicht Krokodilstränen über die ach so furchtbaren Lebensumstände von Frauen in Deutschland vergießen und zugleich die reale Unterdrückung von Frauen in Ländern wie Iran oder Saudi-Arabien damit verharmlosen, dass „die da unten“ eben andere Sitten haben. Eine Haltung zu haben bedeutet in meinen Augen, für eine Sache einzutreten statt nur für eine Ideologie oder die eigenen Interessen. Viele verwechseln leider Haltung mit Konformität und Gesinnungsstolz. Daher ist Haltung in Verruf gekommen. Keine Haltung zu haben, ist aber auch keine Lösung. In Ihrem Buch kommt auch der Begriff „Moral“ vor, genauer gesagt 72 Mal. Moral und Haltung: Was hat es mit „Moral“ und „Haltung“ auf sich, wenn wir öffentliche Diskussionen beobachten? In öffentlichen Debatten geht es nach meinem Eindruck immer weniger darum, mit Sachargumenten zu überzeugen. Stattdessen setzen vor allem Anhänger der Grünen und andere „Progressive“ darauf, ihre Kontrahenten als unmoralisch hinzustellen. So wurde sich beispielsweise wochenlang darüber empört, dass Friedrich Merz „kleine Paschas“ gesagt hatte. Ginge es denen, die sich da empörten, wirklich um die Sache, dann würden sie sich einer offenen Debatte darüber, warum Jungen aus muslimischen Familien viel häufiger als die Mädchen Schulprobleme haben, gerade nicht verweigern. Denn eventuell könnte das ja etwas mit antiquierten Rollenbildern und herkunftsbedingten Erziehungsmethoden zu tun haben. Da könnte man ansetzen, nicht zuletzt zum Wohle der kleinen Paschas. Wer in solchen und ähnlichen Fällen vorgeblich Haltung zeigt, indem er sich über eine angeblich rassistische Wortwahl ereifert, der hilft damit niemandem, außer sich selbst. Sie sprechen ja auch von einer „Moralelite“. Damit meine ich genau solche Menschen, die sich auf ihre überlegene Moral mächtig etwas einbilden und keine Gelegenheit auslassen, vermeintliche Missetäter abzukanzeln, um selbst in umso hellerem Licht zu erstrahlen. Dass sie damit die gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben, merken sie nicht, oder es ist ihnen egal. Im engeren Sinne zähle ich zur Moralelite vorgeblich progressive Politiker, Journalisten und Kulturschaffende – Menschen, die in der Öffentlichkeit Gehör finden, dies aber nur selten dazu nutzen, für reale Verbesserungen zu werben, sondern vor allem damit beschäftigt sind, reale Probleme, die sie nicht lösen wollen oder können, mit pseudomoralischer Empörung zu tabuisieren. Außerhalb ihres Milieus machen sie sich damit lächerlich, zum Beispiel, wenn sie behaupten, Zuwanderung habe keinen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Spiegelt sich diese Grundhaltung auch in der Sprache wider? Zu welchem Befund kommen Sie? Ja, in mehrfacher Hinsicht: Zum einen versuchen sogenannte Linksliberale, Wörter zu tilgen, zum anderen erfinden sie neue Wörter. Beides dient dem Zweck, die Realität zu verbiegen. Wenn beispielsweise Flüchtlinge pauschal als Schutzsuchende bezeichnet werden und der Begriff der Armutsmigration als rassistisch gewertet wird, wozu dann überhaupt noch Asylverfahren? Kritik an Fehlentwicklungen im eigenen Milieu wird beiseitegewischt, indem „Cancel Culture“ oder „woke“ als rechte Kampfbegriffe bezeichnet werden, die nur dazu dienten, Linke zu diskreditieren. Mit politisch korrekter Wortwahl, Denglisch-Einsprengseln und beflissentlichem Gendern stellt der Progressive seine vermeintliche Weltläufigkeit zur Schau. Gegner der Gendersprache, die er „geschlechtergerechte Sprache“ nennt, hält er für zurückgebliebene Sexisten. Dabei lehnen auch Frauen und junge Leute mit großer Mehrheit das Gendern ab, und längst nicht nur Rechte kritisieren Political Correctness und Cancel Culture. Wenn wir von Haltung, von Moral, von Sprache im Hinblick auf den öffentlichen Diskurs reden, dann geht es doch im Kern vor allem um eins: den Kampf um die Deutungshoheit. Wie sehen Sie das? Ja, darum geht es. Dass sich im politischen Wettstreit nicht unbedingt die besseren Argumente durchsetzen, ist keine neue Erkenntnis. Die postmodernen Linksliberalen zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie – anders als Konservative – offen zugeben, dass es ihnen vornehmlich um die Deutungshoheit über die Realität geht. Wenn Wording, Framing und Narrative im Vordergrund stehen, bleibt die Objektivität oft auf der Strecke. Und am Ende glaubt man die eigenen Erzählungen selbst. So scheinen etwa große Teile der Grünen nach wie vor davon überzeugt zu sein, dass es zwischen ungeregelter Migration und dem Aufstieg der AfD keinerlei Zusammenhang gebe. Man müsse der Bevölkerung nur noch intensiver das Narrativ einhämmern, dass Migration ausschließlich positiv zu bewerten sei, glauben sie. Wie wird dieser Kampf geführt? Haben Sie Beispiele? Mit den schon angesprochenen sprachlichen Mitteln und mit Moralisierung. Wer kann schon etwas gegen „geschlechtergerechte Sprache“ oder ein „Selbstbestimmungsgesetz“ haben? Und wer stört sich an Pollern und Fahrradstraßen, wenn damit doch das Klima gerettet wird? Der Kampf um die Deutungshoheit wird auch mit dem „Kampf gegen rechts“ verknüpft. Es stimmt ja: Rechtspopulisten und Rechtsextreme schüren Ressentiments, wenn sie von „Umvolkung“, „Asylmissbrauch“ oder „Lügenpresse“ raunen. Doch allzu oft versuchen Linksliberale, auch Andersdenkende aus der demokratischen Mitte mit der Nazikeule zum Schweigen zu bringen. Wer fundierte Kritik an einseitiger Medienberichterstattung äußert, wird mit „Lügenpresse“-Schreihälsen auf eine Stufe gestellt. Und wer für eine restriktivere Migrationspolitik eintritt, dem wird leichthin AfD-Nähe unterstellt. Dann gibt es da ja noch den Begriff der Identitätspolitik. Was hat es damit auf sich? In der Theorie bedeutet Identitätspolitik, dass marginalisierte Gruppen für Anerkennung und gleiche Rechte streiten. Praktisch ist es ein Ersatz für den längst aufgegebenen Klassenkampf. Statt für höhere Löhne und auskömmliche Renten setzen sich diejenigen, die sich heute links nennen, vor allem für angeblich benachteiligte Gruppen ein. Ich sage „angeblich“, da es den Verfechtern der Identitätspolitik nicht auf die reale Marginalisierung von Frauen, queeren Menschen oder Migranten ankommt. Wer einer anerkannten Opfergruppe angehört, gilt ihnen per se als diskriminiert. Theoretisch wird dabei neben Geschlechtszugehörigkeit, sexueller Orientierung und Migrationshintergrund auch die Klassenzugehörigkeit einbezogen. Da es aber nur um Diskriminierung geht, geraten Ausbeutungsverhältnisse völlig aus dem Blick. Überzeugte Verfechter der Identitätspolitik interessiert es nicht, ob Kellner, Paketboten oder Kassierer zu wenig verdienen, um sich eine angemessene Wohnung leisten zu können. Interessant werden sie für sie erst, wenn sie eine Wohnung als Migrant, Muslim oder Transperson nicht bekommen – Frauen sind auf dem Wohnungsmarkt ja im Vorteil. Für Diskriminierungen aufgrund der Klasse, etwa im Bildungssystem, interessiert sich die Moralelite nicht wirklich. Und von den zahllosen Förder- und Gleichstellungsprogrammen, die vorgeblich mehr soziale Gerechtigkeit schaffen sollen, profitieren größtenteils eh schon privilegierte Menschen. Welche Rolle spielen die Medien, wenn es um Identitätspolitik geht? Die meisten Journalisten, vor allem diejenigen in einflussreichen Positionen, gehören demselben Milieu an wie typische Grünen-Wähler. Fast alle, die eine Journalistenschule besucht haben – die Eintrittskarte für Top-Positionen in den Medien – entstammen der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht. Entsprechend vertreten sie auch ähnliche Haltungen und sie haben ähnliche Interessen. Reale oder gefühlte Diskriminierung empört sie vor allem, wenn sie das eigene Milieu betreffen. Das zeigt sich nicht nur an der Art der Berichterstattung, sondern auch an der Themenauswahl. Dass weibliche Fußballer weniger verdienen als männliche, halten manche für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Dass Schüler aus den unteren Gesellschaftsschichten bei der Notenvergabe und bei Schullaufbahnempfehlungen massiv benachteiligt werden, ist dagegen kein großes Thema – zumal die eigenen Kinder ja davon profitieren. Was heißt all das für eine Gesellschaft? Wenn ehemals linke Parteien statt klassischer Umverteilungs- und Sozialpolitik auf Identitätspolitik setzen, dann driftet die Gesellschaft auseinander. Selbst die tatsächlich Benachteiligten aus den anerkannten Opfergruppen profitieren nur wenig davon. Ungezügelte Migration, für die neben den Grünen auch die Linke und Teile der SPD eintreten, nützt neben Arbeitgebern und Vermietern vor allem den Rechten. Die Art, wie der „Kampf gegen rechts“ geführt wird, trägt zusätzlich dazu bei, die Rechten zu stärken. So mancher sagt sich: „Wenn ich sowieso schon als Nazi abgestempelt werde, weil ich die Gendersprache ablehne und daran festhalte, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt, dann kann ich mein Kreuz ja auch gleich bei der AfD machen.“ Es ist schlimm genug, dass große Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass niemand mehr ihre Interessen vertritt. Viele haben inzwischen aber auch verstanden, dass besonders die Grünen dazu neigen, ihre eigenen Interessen als Gemeinwohl auszugeben, während sie die negativen Begleiterscheinungen ihrer Migrations- und Klimapolitik, die vor allem die unteren Schichten treffen, leugnen oder kleinreden. Lesetipp Hans-Dieter Rieveler: Hauptsache Haltung – Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten [https://www.buchkomplizen.de/hauptsache-haltung.html?force_sid=4e65b9d7f65a7856d840b3350ef23a9e]. Frankfurt am Main 2025, Fifty Fifty, 224 Seiten, 978-3946778578, 24 Euro. Titelbild: © privat[http://vg08.met.vgwort.de/na/08fbb727b4d44136bf7b743f42d700c1]

Während sich Israel nach außen als westlich-demokratische Bastion präsentiert, verfestigt sich im Inneren ein autoritärer Block, der offen das Ende der säkularen Staatsordnung anstrebt. Gleichzeitig hält die politische Klasse Deutschlands nahezu unbeirrt an einem idealisierten Bild Israels fest. Dieses Idealbild erscheint nicht nur ritualisiert, sondern auch bewusst entkoppelt von der Realität israelischer Innenpolitik. Von Detlef Koch. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Dieser Artikel liegt auch als gestaltetes PDF vor [https://www.nachdenkseiten.de/upload/flyer/250606-Israelische-Realitaet-deutscher-Mythos-NDS_Detlef_Koch.pdf]. Wenn Sie ihn ausdrucken oder weitergeben wollen, nutzen Sie bitte diese Möglichkeit. Weitere Artikel in dieser Form finden Sie hier [https://www.nachdenkseiten.de/?cat=54]. 1. Die Weltuntergangs-Theokratie des Rabbi Ginsburg Am 22. Mai 2025 veröffentlichte die hebräische Ausgabe der israelischen Tageszeitung Haaretz einen Artikel, der – gemessen an seiner theologischen und gesellschaftspolitischen Sprengkraft – kaum übertroffen werden kann. Den Original-Text finden Sie unter diesem Link [https://archive.md/yI4Dy], eine Übersetzung finden Sie unter diesem Link [https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/250522-Haaretz-Artikel-uebersetzung.pdf]. Im Zentrum steht eine Predigt des einflussreichen Rabbis Yitzhak Ginsburg, einem charismatischen Vordenker des messianischen Rechtsextremismus in Israel. Ginsburg entwirft in seinen Schriften und öffentlichen Ansprachen die Vision eines radikal-theokratischen Staates, der das bestehende säkular-zionistische Gemeinwesen nicht reformieren, sondern überwinden und ersetzen soll – durch eine Herrschaftsform, die sich ausschließlich auf die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, stützt. Das Sprachbild, das Ginsburg zur Veranschaulichung dieses Ziels verwendet, ist ebenso bildstark wie verstörend. In seinem Vortrag vergleicht er den modernen Staat Israel mit einer Walnuss: Der heilige Kern – das „wahre Volk Israel“ – sei von vier unreinen „Schalen“ (Klippot) umgeben, die es mit Gewalt zu zerschlagen gelte. Diese Schalen stehen für zentrale Institutionen des säkularen Staates, also eines Staates, der Religion und Staat streng trennt: die Medien, das Rechtssystem, die Regierung und das Militär. Sie seien Ausdruck einer säkularen Ordnung, die dem göttlichen Plan widerspreche und daher beseitigt werden müsse. Am deutlichsten formuliert Ginsburg dies im Blick auf die israelische Armee. Diese sei zwar notwendig, müsse jedoch von „verdorbenen moralischen Werten“ gereinigt und in ein Instrument göttlicher Vergeltung überführt werden. Der säkulare Grundsatz der „Reinheit der Waffen“ – also das Gebot, Gewalt nur verhältnismäßig und moralisch gerechtfertigt anzuwenden – sei eine „falsche Doktrin“, die der göttlichen Ordnung zuwiderlaufe. Stattdessen fordert Ginsburg eine neue Generation von „Nussknackern“: einfache Juden, die sich nicht mehr an die Regeln der IDF binden, sondern sich dem göttlichen Willen unterwerfen und im Zweifelsfall selbst zu Vollstreckern der göttlichen Gerechtigkeit werden. Dass es sich bei diesen Ideen nicht um bloße Theorie handelt, belegt die parallele Veröffentlichung repräsentativer Umfragedaten. Einer im März 2025 erhobenen Studie zufolge befürworten 82 Prozent der jüdischen Israelis die Zwangsumsiedlung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens. Fast die Hälfte – 47 Prozent – stimmte der Aussage zu, es sei gerechtfertigt, bei der Eroberung feindlicher Städte alle Bewohner zu töten – eine direkte Anlehnung an das biblische Massaker in Jericho unter Josua. Diese Zahlen deuten auf eine tiefgreifende Radikalisierung breiter Teile der israelischen Gesellschaft hin – nicht nur an den Rändern, sondern im Zentrum. Ginsburgs Ideen finden nicht nur in militanten Siedlerkreisen wie der sogenannten Hilltop Youth[1] Widerhall. Sie beeinflussen auch nicht nur politische Akteure wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, die hohe Ämter in der israelischen Regierung bekleiden und wiederholt Positionen vertreten haben, die sich direkt auf Ginsburgs Theologie der Vergeltung und der ethnischen Reinheit zurückführen lassen. Die „jüdische“ Bevölkerung ist von dieser „ethnischen Reinheit“ berauscht. Besonders brisant ist der Umstand, dass Ginsburg kein isolierter Außenseiter ist. Sein Lehrhaus „Od Yosef Chai“ in der Siedlung Yitzhar wurde zeitweise mit öffentlichen Mitteln gefördert, seine Publikationen erschienen mit Unterstützung staatlicher Institutionen. Obwohl er offen zur Untergrabung der israelischen Ethno-Demokratie[2] aufruft, genießt er in großen Teilen des religiösen Establishments Respekt – nicht wegen seiner Inhalte, sondern wegen seiner „konsequenten Prinzipientreue“. Diese Mischung aus Unterstützung durch offizielle Stellen, klaren Ideen und Zustimmung in der Gesellschaft macht seine Gedanken besonders gefährlich, weil sie wie berechtigt wirken. Die Vision, die Ginsburg entwirft, ist nicht nur eine theologische Abrechnung mit dem gezähmten zionistischen Projekt. Sie ist ein politisches Programm zur Ersetzung der bisherigen Ethno-Demokratie durch ein fundamentalistisches Gottesregime – inspiriert nicht zuletzt von der Islamischen Republik Iran, mit der Ginsburgs Konzept strukturelle Parallelen aufweist. Der Dritte Tempel in Jerusalem ist in dieser Vision nicht bloß ein religiöses Symbol, sondern das institutionelle Zentrum eines neuen jüdischen Gottesstaates, der das bestehende Israel ablöst – oder, in Ginsburgs Worten, „freilegt“. Diese Entwicklungen markieren eine historische Zäsur: Während sich Israel nach außen als westlich-demokratische Bastion präsentiert, verfestigt sich im Inneren ein autoritär-messianischer Block, der offen das Ende der säkularen Staatsordnung anstrebt. Ginsburg ist nicht ihr einziger Prophet – aber vielleicht ihr radikalster. 2. Wie Deutschland den israelischen Staat portraitiert – Mythen, Mantras und die Immunisierung gegen Kritik Während sich in Israel zunehmend ein autoritärer, ethno-religiöser Staatsumbau vollzieht, hält die politische Klasse Deutschlands nahezu unbeirrt an einem idealisierten Bild Israels fest. In Reden, Pressekonferenzen und offiziellen Stellungnahmen wird Israel regelmäßig als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ gewürdigt, als „Rechtsstaat mit westlicher Wertebindung“ oder gar als „Schutzmacht gegen Antisemitismus“. Diese Zuschreibungen erscheinen nicht nur ritualisiert, sondern auch bewusst entkoppelt von der Realität israelischer Innenpolitik. Am 14. März 2025 etwa erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Premierminister Benjamin Netanjahu in Jerusalem: „Israel ist eine lebendige Demokratie und ein Staat, dessen Werte uns verbinden.“ Der Satz wurde von zahlreichen deutschen Medien aufgegriffen – nicht etwa kritisch, sondern zustimmend. Zwei Wochen zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag Israel als „unseren engsten Partner in der Region und den einzigen Rechtsstaat“ bezeichnet – eine Formulierung, die angesichts der zeitgleich veröffentlichten Berichte über systematische Vertreibungen und Militärgewalt in Gaza keinerlei Verstörung hervorrief. Auch unter der neuen Regierung von Friedrich Merz blieb der rhetorische Grundton gleich. In einem FAZ-Interview vom 2. Mai 2025 betonte Merz: „Die Wertegemeinschaft mit Israel ist für Deutschland unverhandelbar.“ Was genau mit diesen „Werten“ gemeint ist – und ob sie mit der Realität eines Staates vereinbar sind, in dem Minister systematisch arabische Ortschaften auslöschen wollen und Justizreformen demokratische Kontrollmechanismen aushebeln –, bleibt ungesagt. Entscheidend ist nicht die inhaltliche Substanz, sondern der symbolische Akt der zustimmenden Beschwörung. Diese politische Rhetorik bleibt nicht folgenlos. Sie prägt auch den medialen Diskurs. Leitmedien wie die FAZ, die Welt, der Tagesspiegel oder das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem bedienen die immer gleichen Narrative: Israel als „Stabilitätsanker“, als „verlässlicher Partner“, als „pluralistische Gesellschaft unter Bedrohung“. Der Verweis auf Hamas, Terror, Raketen und „unsere historische Verantwortung“ dient dabei regelmäßig als argumentative Abrissbirne gegen jede Form von struktureller oder menschenrechtlicher Kritik an israelischer Politik. Auffällig ist, wie stark die deutschen Deutungsmuster entkoppelt sind von israelischen Selbstbeschreibungen und gesellschaftlichen Realitäten. Während in Israel selbst ein mehrheitlicher Teil der sich selbst als jüdisch verstehenden Bevölkerung offen rassistische, theokratische oder von Auslöschungssehnsucht beflügelte Positionen vertritt, wird in Deutschland die Vorstellung gepflegt, Israel sei trotz „innerer Polarisierung“ ein funktionierender Rechtsstaat mit intakter Gewaltenteilung. Dabei ist längst dokumentiert, dass zentrale demokratische Prinzipien – von der Gleichheit vor dem Gesetz bis zur Meinungs- und Pressefreiheit – in den besetzten Gebieten systematisch ausgeschlossen sind und auch innerhalb der Grünen Linie zunehmend ausgehöhlt werden. Dieser Widerspruch zwischen Realitätslage und politisch-medialem Narrativ lässt sich als strategische Immunisierung[3] gegen Kritik deuten. Wer in Deutschland Israels Systemcharakter in Frage stellt, läuft Gefahr, mit Antisemitismusvorwürfen überzogen zu werden – selbst wenn die Kritik sich explizit auf völkerrechtliche, menschenrechtliche oder innerisraelische Quellen stützt. Das ist kein Zufall, sondern Teil einer politischen Kommunikationsstrategie, die spätestens mit der offiziellen Übernahme der IHRA-Definition von Antisemitismus institutionell verankert wurde. Diese Definition – inklusive ihrer umstrittenen Beispiele zur Delegitimierung Israels – wird zunehmend als De-facto-Zensurmechanismus gegen palästinasolidarische, aber auch innerjüdische kritische Stimmen genutzt. So entstehen doppelte Auslöschungen: die Auslöschung der Realität vor Ort – durch ihre Ausblendung – und die Auslöschung abweichender Stimmen im Diskursraum – durch Ausgrenzung. Der deutsche Diskurs über Israel beruht somit auf einem moralpolitischen Dogma: Kritik ist nur erlaubt, wenn sie zustimmend bleibt. Wer dieses Dogma infrage stellt, gefährdet nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern zunehmend auch seine berufliche Existenz – wie zahlreiche Fälle von ausgeladenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, diffamierten Künstlern und geächteten Journalistinnen belegen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass selbst zentrale jüdische Kritiker des Zionismus – von Hannah Arendt über Yeshayahu Leibowitz bis zu Judith Butler – im deutschen Diskurs systematisch ignoriert oder umgedeutet werden. Ihre Positionen gelten als randständig, obwohl sie in Israel und in der jüdischen Diaspora eine lange Tradition repräsentieren. Die Gleichsetzung von Judentum und Zionismus, von Israelkritik und Antisemitismus schafft so nicht nur ein verzerrtes Bild des jüdischen Denkens, sondern untergräbt auch die pluralistischen Grundlagen des demokratischen Diskurses. In dieser Konstellation erscheint die deutsche Reaktion auf israelische Realität nicht als Ausdruck freundschaftlicher Loyalität, sondern als aktives Mitwirken an einer politischen Fiktion. Indem deutsche Regierungsvertreter Israel ungeprüft als Demokratie affirmieren, obwohl das Land systematisch nichtjüdische Minderheiten entrechtet, verschleiern sie nicht nur die wachsenden autokratischen Tendenzen, sondern machen sich auch mitschuldig an deren Legitimierung. Das ist ein Widerspruch: Ausgerechnet das Land, das sagt, es trage wegen des Holocaust eine besondere Verantwortung, unterstützt heute einen Staat, der mit dieser Begründung Gewalt gegen andere Volksgruppen rechtfertigt. Finde den Fehler! Wer sich dieser Dynamik entziehen möchte, muss die Frage stellen, ob das gegenwärtige deutsche Israel-Narrativ nicht selbst zu einem Instrument der Realitätsverweigerung geworden ist – und wie die Wahrheit über Israel in Verbindung mit dem politischen Zionismus in Deutschland ethisch vertretbar vermittelt werden muss. 3. Wie ist der Zionismus künftig zu bewerten – und was bedeutet das für Deutschlands moralische Position? Zionismus – ein Begriff, der in der deutschen Öffentlichkeit mit Judentum und somit mit historischer Schuld, kollektiver Loyalität und der Staatsräson der Bundesrepublik verschmolzen ist – bedarf dringend einer begrifflichen und politischen Revision. Denn der politische Zionismus des 21. Jahrhunderts hat mit der Emanzipationsbewegung des späten 19. Jahrhunderts, als deren gerechtfertigten Ursprung man ihn gern versteht, nur noch wenig gemein. Was einst als jüdische Selbstschutzstrategie in einer antisemitischen Welt begann, ist heute zur ideologischen Grundlage eines Staates geworden, der sich in weiten Teilen ethnisch exklusiv, theokratisch aufgeladen und völkerrechtlich rückwärtsgewandt verhält. Es ist ein Nationalismus, der nicht auf Gleichheit, sondern auf Unterschieden, nicht auf Einbeziehung, sondern auf Ausschluss beruht – gerechtfertigt durch eine religiös-ethnische Erzählung, die für Nichtjuden im „jüdischen Staat“ strukturell keinen gleichberechtigten Platz vorsieht. Die Gleichsetzung von Zionismus und Judentum zur Antisemitismusabwehr, wie sie insbesondere in der deutschen Politik zur Doktrin geworden ist, erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur analytisch unhaltbar, sondern moralisch verwerflich. Sie immunisiert den Zionismus gegen jede Form gerechtfertigter Kritik – auch dann, wenn diese von jüdischen Stimmen selbst geäußert wird. Ilan Pappé, Shlomo Sand, Amira Hass, Gideon Levy, Yehuda Shaul, Breaking the Silence, B’Tselem, Rabbiner der Neturei Karta, jüdische Holocaustüberlebende in den USA – sie alle geraten in Deutschland unter Verdacht, wenn sie den Zionismus kritisieren. Das ist keine Debattenkultur, das ist Dogma. Eine ethisch fundierte Bewertung des Zionismus muss sich daher zunächst von der falschen Alternative emanzipieren, die da lautet: Entweder Zionismus gleich Judentum oder Antisemitismus. Diese Schwarz-Weiß-Logik verkennt, dass Zionismus geschichtlich wie gegenwärtig nicht nur eine Schutzideologie, sondern auch eine Gewaltordnung ist. Die Nakba von 1948, die systematische Vertreibung und Enteignung Hunderttausender Palästinenser, war keine bedauerliche Begleiterscheinung, sondern eine bewusste Strategie gebietsbeanspruchender Vorherrschaft – getragen von einem Siedlerkolonialismus, der seine Rechtfertigung aus dem zionistischen Gründungsmythos bezog. Heute zeigt sich der politische Zionismus in Form eines exklusiven Souveränitätsanspruchs, der auf ethnischer Überlegenheit und theologischer Unverhandelbarkeit beruht – ein Anspruch, der durch Siedlungsexpansion, Gesetzgebung, Staatsbürgerrecht und militärische Gewalt fortdauernd durchgesetzt wird. Und nicht nur in den besetzten Gebieten: Auch innerhalb der „Grünen Linie“ werden arabische Israelis systematisch benachteiligt – rechtlich, wirtschaftlich, institutionell. Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, in Deutschland zwischen Judentum und Zionismus zu differenzieren. Diese Unterscheidung ist keine terminologische Spitzfindigkeit, sondern eine demokratische Notwendigkeit. Sie erlaubt, die berechtigte Sorge um jüdisches Leben und die berechtigte Kritik an einem völkerrechtswidrigen Staatsprojekt zugleich ernst zu nehmen. Sie verhindert die moralische Erpressung, in deren Namen palästinensische Rechte suspendiert, jüdische Dissidenten diffamiert und demokratische Diskurse unterdrückt werden. Aus dieser Neubewertung ergeben sich klare politische Konsequenzen: * 3.1. Keine automatische Gleichsetzung von Israelkritik mit Antisemitismus: Deutschland muss sich von der IHRA-Definition als politischem Kampfmittel verabschieden und stattdessen auf juristisch trennscharfe, kontextbezogene Antisemitismusdefinitionen zurückgreifen, wie sie etwa von jüdischen Organisationen wie Jewish Voice for Peace oder in der Jerusalem Declaration on Antisemitism entwickelt wurden. * 3.2. Ende der Diskurszensur in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Räumen: Kritik an Israel und am Zionismus muss an Schulen, Universitäten, in der Kulturpolitik und in der Erinnerungskultur möglich sein – auch wenn sie radikal, provokant oder antinationalistisch formuliert ist. Nur dort, wo auch Dissens erlaubt ist, verdient eine Demokratie ihren Namen. * 3.3. Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an Menschenrechten statt an Staatsräson: Militärische Zusammenarbeit, Rüstungsexporte und diplomatische Flankierung eines Staates, der unter permanenter Anklage wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen steht, können nicht durch historische Schuld begründet werden – sie konterkarieren sie. * 3.4. Solidarität mit jenen Kräften, die in Israel selbst gegen Besatzung, Rassismus und Theokratie kämpfen: Der wahre Freund Israels ist nicht, wer seine Regierung bedingungslos unterstützt, sondern wer Israel darin unterstützt, eine Demokratie zu werden – auch gegen religiöse Extremisten wie Ginsburg und gegen deren parlamentarische Kollaborateure. Deutschland steht damit an einem moralischen Scheideweg. Entweder bleibt es Gefangener eines Narrativs, das den Zionismus sakralisiert und damit immunisiert – oder es wagt die politische Aufrichtigkeit, zwischen historischem Gedenken und gegenwärtiger Verantwortung zu unterscheiden; zwischen der Verteidigung jüdischen Lebens und der unbedingten Loyalität zu einem Staat, der sich zunehmend als autoritär, rassistisch und religiös-exklusiv geriert. Solange Deutschland die gewaltvolle, ethno-nationalistische Spielart des Zionismus als Ausdruck „westlicher Werte“ bestätigt, verrät es seine eigene demokratische Substanz. Glaubwürdigkeit beginnt dort, wo der Mut wächst, auch den „eigenen Freunden“ die Wahrheit zuzumuten. Ein Staat, der Menschen systematisch entrechtet, kann nicht zugleich als demokratisches Vorbild hofiert werden. Die politische und mediale Weigerung, diese Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, ist Ausdruck einer tiefgreifenden Legitimationskrise – nicht Israels, sondern Deutschlands. Glaubwürdigkeit in den universellen Menschenrechten beginnt dort, wo sich Täter und Opfer aus der Geschichte lernend gegenseitig im Ringen um diese Rechte ermahnen, wenn sie vom Pfad der Tugend abweichen. Ttielbild: Andy.LIU / Shutterstock ---------------------------------------- [«1] Hill Top Youth bezieht sich auf die Gewohnheit der Siedler, immer die Hügel in Palästina zuerst zu besiedeln. [«2] Eine Ethno-Demokratie ist ein Staat mit Wahlen und Parlament, bei dem aber eine Volksgruppe (hier zionistische Juden) bevorzugt wird. Andere Gruppen haben weniger Rechte. [«3] Ein Verhalten oder eine Taktik, bei der Kritik gezielt so abgewehrt wird, dass sie gar nicht mehr ernst genommen oder als unzulässig dargestellt wird – zum Beispiel, indem man Kritiker automatisch als voreingenommen oder feindlich hinstellt.
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