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Es ist wieder so weit. Unter dem Motto „Mach dich stark mit uns!“ ruft der DGB für den heutigen 1. Mai bundesweit zu insgesamt rund 430 Veranstaltungen auf, „um unsere Stimme für eine gerechte Arbeitswelt zu erheben”. Die zentrale Kundgebung findet diesmal in Chemnitz statt, wo die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi als Hauptrednerin auftritt. Auch die restliche DGB-Prominenz, also alle Mitglieder des Geschäftsführenden Bundesvorstands sowie die Vorsitzenden der acht Mitgliedsgewerkschaften, sind quer durch die Republik im Einsatz. In einigen Städten wird es auch Demonstrationen geben, doch Schwerpunkt sind die Maifeiern mit „Kulturprogramm” und „Angeboten für die ganze Familie”. Hüpfburgen und Schminkstände für die Kleinen, Bier und Bratwurst (manchmal inzwischen auch vegan) für die Großen. Von Rainer Balcerowiak. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Vom „Kampftag der Arbeiterklasse” ist beim DGB schon lange nicht mehr die Rede. Und so klingt auch der Aufruf eher wie ein weinerlicher Bettelbrief an die künftige Bundesregierung [https://www.dgb.de/fileadmin/download_center/Aufrufe/1._Maiaufruf_2025.pdf]. Die solle „die Wirtschaft am Laufen halten”, und die Investitionen aus dem Sondervermögen „müssen jetzt dahin fließen, wo sie dringend benötigt werden: in die Schienen, Schulen, den Wohnungsbau, die soziale Sicherung, die Digitalisierung und den Klimaschutz”. Ferner gehe es um mehr Tarifbindung und „faire Löhne” als „Schlüssel, um ausreichend Fachkräfte zu gewinnen, die unsere Schulen mit Leben füllen, Kranke pflegen und versorgen, unsere Brücken sanieren und bauen sowie den klimagerechten Umbau des Landes voranbringen”. Die Rede ist ferner von einem „starken Sozialstaat”, „gerechten Steuern” und einem „fairen Beitrag der Reichen und Superreichen, um den Haushalt zukunftsfest zu gestalten und die Daseinsvorsorge zu sichern”. Das alles entspricht ungefähr dem, was die SPD – bekanntlich mit eher mäßigem Erfolg – auch im Wahlkampf postuliert hat, was wiederum kein Zufall ist. Denn die Führungsriege des Dachverbandes und der Mitgliedsgewerkschaften besteht fast ausschließlich aus SPD-Mitgliedern, teilweise mit parlamentarischer Mandatserfahrung oder in Spitzenämtern des Parteiapparats. Wie bei der DGB-Vorsitzenden Fahimi, die vor ihrem Wechsel an die Gewerkschaftsspitze für ihre Partei unter anderem als Generalsekretärin, Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin tätig war. SPD-Wasserkopf auf einem zahnlosen Tiger Doch das Missverhältnis zwischen der historisch gewachsenen engen Verzahnung der DGB-Spitze mit der SPD und der politischen Verortung der Mitgliederbasis hat mittlerweile groteske Ausmaße angenommen. Bei der letzten Bundestagswahl wählten laut einer Nachwahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen nur noch 20,6 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder die SPD, die damit erstmals hinter die CDU (23,2 Prozent) und die AfD (21,8 Prozent) zurückfiel. Bei der Wahl im September 2021 waren es noch 32,1 Prozent, und auch das war im Vergleich zu früheren Wahlen schon ein extrem niedriger Wert. 1998 erreichte die SPD noch 56 Prozent. Der Absturz begann dann nach den „Hartz-Reformen” der SPD-geführten Bundesregierung, wobei die gewerkschaftliche Wählerwanderung zunächst nach links ging. So stimmten 2009 17 Prozent der Gewerkschafter für die erstmals kandidierende gesamtdeutsche Linkspartei und nur noch 34 Prozent für die SPD. Der große Einbruch kam dann 2017, aber diesmal ging es nach rechts: 15 Prozent der Gewerkschafter stimmten für die AfD, also deutlich mehr als in der Gesamtwählerschaft, wo es 12,6 Prozent waren. Doch auch unabhängig von der Entwicklung der Parteipräferenzen bei Gewerkschaftsmitgliedern steckt der DGB in einer Dauerkrise. Der Mitgliederschwund konnte 2023/24 zwar erstmals seit 1991 (da waren es nach der Wiedervereinigung fast zwölf Millionen Mitglieder) gestoppt werden, aber es sind jetzt halt nur noch etwas mehr als 5,6 Millionen. Spätetens seit den „Hartz-Reformen” ist deutlich geworden, dass die Gewerkschaftsbewegung und vor allem ihr SPD-dominierter Führungsapparat weder die Kraft noch den Willen haben, sich gegen massive Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen wirkmächtig zur Wehr zu setzen. Und auch in ihrem Kernbereich, der Sicherung angemessener Entlohnung abhängig Beschäftigter durch Tarifverträge, sieht es trotz punktueller Erfolge ziemlich düster aus. So ist die Tarifbindung durch Branchen- oder Firmentarifverträge in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken, von ihr profitieren nur noch 49 Prozent aller Arbeitnehmer, im Osten noch weniger (44 Prozent). 1998 unterlagen im alten Bundesgebiet noch 76 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse einer tariflichen Bindung, im Osten waren es 63 Prozent. Knapp 16 Prozent aller Beschäftigten erhalten nur den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 12,81 Euro pro Stunde. Nur noch in wenigen Wirtschaftszweigen sind die Gewerkschaften auch aufgrund eines relativ hohen Organisationsgrades in der Lage, einigermaßen erfolgreiche Tarifkämpfe zu führen. Das betrifft an erster Stelle den Öffentlichen Dienst, aber auch „sensible Bereiche” wie den öffentlichen Nah- und Fernverkehr und den Flugverkehr. Dazu kommen einige industrielle Sektoren, etwa in den Bereichen Chemie und Metall. Dort ist es in den letzten Jahren auch teilweise gelungen, ordentliche Abschlüsse zu erzielen, mit deutlichen prozentualen Zuwächsen nebst einmaligen Corona- bzw. Inflationsausgleichsprämien. Begünstigt wurde dies auch durch den Fachkräftemangel und den insgesamt relativ entspannten Arbeitsmarkt. Beredtes Schweigen zu Kriegs-und Aufrüstungspolitik Aber jetzt ist Schluss mit lustig. Deutschland befindet sich in einer strukturellen (also nicht nur konjunkturellen) Rezession, kräftig befördert durch die Kriegs- und Sanktionspolitik. Zentrale Sektoren, wie die Autoindustrie und ihr Umfeld, sowie besonders energieintensive Bereiche stecken in einer heftigen Krise. Die Infrastruktur ist in vielen Bereichen, etwa Schienenverkehr und Brücken, aber auch Bildung und Sozialsysteme betreffend, ziemlich runtergerockt, die Digitalisierung haben wir weitgehend verschlafen, und die internationalen Handelsbeziehungen werden gerade kräftig durchgeschüttelt. Und allmählich kommt das alles auch auf dem Arbeitsmarkt an, und zwar mit zunehmender Abwärtsdynamik. Und während sich alle noch über erbitterte, teilweise erfolgreiche Tarifkämpfe – wie etwa im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen oder bei den Berliner Verkehrsbetrieben – entweder freuten oder erbosten, geht es in anderen Bereichen bereits in die andere Richtung, also Reallohnverzicht und Arbeitsplatzabbau bis hin zu Standortschließungen. Für die vom BlackRock-Kanzler Friedrich Merz geführte künftige Bundesregierung ist dieses Szenario natürlich eine Steilvorlage für eine Politik, die noch unverblümter die Interessen die Finanzkapitals in den Mittelpunkt stellt und soziale Standards absenkt. Ganz zu schweigen von einer agressiven und immens teuren Rüstungs- und Kriegsvorbereitungspolitik auf allen Ebenen. Womit wir wieder beim DGB wären. Denn der hat das Kunststück vollbracht, in seinem Aufruf weder den Krieg in der Ukraine und die deutsche Rolle dabei noch die selbstzerstörerische Sanktionspolitik oder den Blankoscheck für unbegrenzte Aufrüstung mit auch nur einer Silbe zu erwähnen. Einen Zusammenhang zwischen Kriegspolitik und Krise will man nicht thematisieren, und vor allem die IG Metall bekennt sich ja in Teilen zum drastischen Ausbau der Rüstungsproduktion, auch durch „Umwidmung” ziviler Produktionsstandorte. Wie etwa in Görlitz, wo ein traditionsreicher, seit einiger Zeit kriselnder Waggonbau-Standort von einem Rüstungskonzern übernommen wurde, um dort künftig verschiedene Baugruppen für den Kampfpanzer Leopard 2, den Schützenpanzer Puma und den Radpanzer Boxer zu produzieren [https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/bautzen/goerlitz-weisswasser-zittau/alstom-waggonbau-ruestungskonzern-demo-102.html]. Schließlich diene das dann ja auch der Sicherung von Arbeitsplätzen, und gebe „dem Standort eine Zukunft”, fiel dem örtlichen IG-Metall-Bevollmächtigten dazu ein. Und das ist nur ein Beispiel von vielen für diese ganz spezielle Spielart einer industriellen Konversion. Auch aus dem für die Schließung vorgesehenen VW-Standort in Osnabrück könnten bald Panzer statt Autos rollen. Da bekommt dann die diesjährige Losung des DGB für den 1. Mai („Mach dich stark mit uns!“) eine ganz spezielle Bedeutung. Konsequent wird diese Linie unter anderem in Lübeck umgesetzt. Wer dort bei den 1.-Mai-Feierlichkeiten einen Stand beim DGB in Lübeck anmelden wollte, musste sich mit einer langen Liste von „Werten des DGB” identifizieren [https://www.jungewelt.de/artikel/498674.dgb-für-verteidigungsfähigkeit-ostermarscherklärung-mit-folgen.html]. Darunter: die „uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine – wir erkennen W. Putin als alleinigen Aggressor an”, „Bekenntnis zu Europa und zu NATO-Mitgliedschaft”, und „Bekenntnis zur Richtigkeit des Sondervermögens, um in die Zukunft zu investieren”. Aber heute wird erst mal gefeiert, egal was. An einigen Orten wird es auch Proteste geben, denn es gibt auch an der Gewerkschaftsbasis einige Menschen, die das mit der Kriegs- und Aufrüstungspolitik anders sehen als große Teile ihrer Führung. Und wenn die letzte Bratwurst gegessen, das letzte Bier getrunken und die letzte kulturelle Darbietung verklungen sind, gehen die Teilnehmer wieder nach Hause. Vielleicht war es ja für viele dann ein schöner Tag, zusammen mit Familie, Freunden und Kollegen, was ja auch nicht zu verachten ist. Was dieser 1. Mai aber definitiv nicht sein wird, ist der selbstbewusste Auftritt einer Dachgewerkschaft, die die bevorstehenden Herausforderungen benennt und dem Kapital und seinen Politikern den Fehdehandschuh hinwirft. Wo kämen wir denn da auch hin, wir sind hier schließlich nicht in Frankreich. Titelbild: ojka/shutterstock.com

Die Berufung des „Süddeutsche Zeitung“-Redakteurs Stefan Kornelius zum Regierungssprecher ist eine Provokation. Es gibt kaum ein wichtiges Thema, bei dem Kornelius in den letzten Jahren nicht fragwürdig bis destruktiv gewirkt hat – seien es Russland, Corona, Syrien, Aufrüstung und so weiter. Diese Personalie wird die Gesellschaft also weiter spalten – sie ist aber auch Spiegel der ideologischen Verfassung von Schwarz-Rot. Ein Kommentar von Tobias Riegel.* Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Der Politikjournalist Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung (SZ) soll Sprecher der neuen schwarz-roten Bundesregierung werden, wie Medien berichten [https://www.rnd.de/politik/stefan-kornelius-sz-journalist-wird-regierungssprecher-4KLBK2KZNBLXJMOH46KSZ77RMQ.html]. Nach der für den 6. Mai geplanten Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler soll der 59-Jährige Steffen Hebestreit ablösen, der seit dreieinhalb Jahren Sprecher der Regierung von SPD-Kanzler Olaf Scholz ist. Kornelius wurde von Merz auf den Posten berufen. Er leitete seit 2021 das Politik-Ressort, davor war er seit 2000 für die Außenpolitik verantwortlich. Weitere Stationen waren unter anderem das Berliner Büro und Washington während der Clinton-Präsidentschaft. Für die SPD war der Name ihres Nominierten zunächst noch nicht bekannt. Polarisierende Person Die SZ kann ihre Posten besetzen, wie sie will. Aber als Sprachrohr in „der Demokratie“ ist es doch ein mindestens fragwürdiges Zeichen vonseiten der CDU, als Regierungssprecher keine eher ausgleichende Stimme zu wählen, sondern einen bekanntermaßen harten und darum polarisierenden Ideologen. Ich empfinde das als das Gegenteil einer Überwindung von gesellschaftlichen Gräben und darum als politisch verantwortungslos. Dass Kornelius ein (unter anderem) transatlantischer und antirussischer Ideologe ist, steht angesichts seines publizistischen Schaffens meiner Meinung nach außer Zweifel. In seine Zeit als Chef des Auslandsressorts bei der Süddeutschen Zeitung (2000-2021) fallen unter anderem geopolitische Kampagnen wie „Krieg gegen den Terror“, „Arabischer Frühling“, der syrische „Bürgerkrieg“, der Maidan-Putsch, die Umtriebe des ukrainischen Asow-Regiments sowie die permanente Steigerung der westlichen wirtschaftlichen, propagandistischen und militärischen Provokationen gegen Russland. Alle diese geopolitischen Kampagnen wurden von der SZ entweder gestützt oder nicht angemessen thematisiert – und die schlimmen Folgen dieser Geopolitik in Form von zerstörten Ländern, Flüchtlingsbewegungen, erhöhter Kriegsgefahr, Rüstungsdebatten und so weiter spüren wir auch in Deutschland heute noch. Es geht in der Beurteilung nicht nur um die eigenen Texte von Kornelius, sondern auch um die Ausrichtung der von ihm verantworteten Ressorts, vor allem außenpolitisch. Kornelius kann angesichts der so von ihm entfachten publizistischen Wirkung als eine der zahlreichen zentralen Personen in Medien und Politik gelten, die die Feindschaft zwischen Russland und dem Rest Europas auf das heute brandgefährliche Niveau eskaliert zu haben. Von 2000 bis zu seiner jetzigen Berufung zum Regierungssprecher war er Chef von wichtigen Ressorts bei der SZ. In diesen Positionen ist eine seiner inhaltlichen Kontinuitäten eine harte Meinungsmache zugunsten der NATO-Ideologie. Regierungen kamen und gingen – aber Kornelius ist (mindestens) seit 2000 eine permanente Stimme der geopolitischen Eskalation, die die Politik auch durchaus mal „vor sich hertreiben kann“. Bei allen wichtigen Themen lag er falsch Die SZ hat eine Geschichte [https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCddeutsche_Zeitung#Geschichte] seit 1945. Es gab in dieser Zeit auch einzelne Mitarbeiter, die einen gewissen Respekt vor Teilen der Zeitung begründen konnten, etwa den Journalisten Heribert Prantl. Inzwischen aber gehört die SZ in meinen Augen zu den härtesten Meinungsmachern in Deutschland – unter vielem anderen bei den Themen Russland, Corona, Aufrüstung, Ukraine, Syrienkrieg, Zuwanderung, liberale Wirtschaftsordnung, Hartz-IV oder auch bei der mit den Vehikeln „rechtsextrem“ oder „Hass und Hetze“ betriebenen Diffamierung von Regierungsgegnern. Bei all diesen Themen hat Kornelius in meinen Augen nicht nur inhaltlich falsch gelegen, sondern er hat seine Rolle als Redakteur für die Verbreitung teils extremer transatlantischer Positionen genutzt, die gegen die Interessen der Bürger hierzulande gerichtet waren, und das in einer zum Teil unangemessen harten Sprache. Zusätzlich gibt es das aus den Begriffsumdeutungen der letzten Jahre resultierende Missverständnis, die SZ verfolge einen „linksliberalen“ Kurs, – mehr zu solchen Begriffsverwirrungen findet sich hier [https://www.nachdenkseiten.de/?p=97262] oder hier [https://www.nachdenkseiten.de/?p=98657]. Erst am Dienstag bin ich in diesem Artikel [https://www.nachdenkseiten.de/?p=132211] auf einen aktuellen und hoch ideologischen Kommentar in der SZ zum Ukrainekrieg eingegangen. Unvergessen ist auch, wie Kornelius z.B. laut Horizont [https://x.com/hori_____zont/status/1917272149124882901] eine Impfpflicht forderte – oder wie er über Julian Assange schrieb: > „Dieser Mann ist ein Gefährder“ > Stefan Kornelius von der @SZ [https://twitter.com/SZ?ref_src=twsrc%5Etfw] wird neuer Regierungssprecher. > > NIEMALS vergessen >>> pic.twitter.com/5q2tWdz3c1 [https://t.co/5q2tWdz3c1] > > — _horizont_ (@hori_____zont) April 29, 2025 [https://twitter.com/hori_____zont/status/1917272149124882901?ref_src=twsrc%5Etfw] Wenn es um die Themen Debattenkultur, sprachliche Verrohung, ideologische Verhärtungen und vieles mehr geht, dann würde ich Kornelius’ Aussage von dem Gefährder fast schon auf ihn selber beziehen. Wer wie Kornelius seit langen Jahren mit steilen Thesen in die Politik hineinwirkt, der „gefährdet“ auch eine vernünftige Politik, etwa die alternativlose Entspannung zwischen Russland und dem Rest Europas. Übrigens: Die Regierungssprecher sind für die Kommunikation der Bundesregierung als Ganzes verantwortlich, begleiten den Kanzler zu seinen Terminen im In- und Ausland, leiten seine Pressekonferenzen – und: Sie stellen sich drei Mal in der Woche in der Bundespressekonferenz (BPK) den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Ein Gutes kann die Berufung von Kornelius also haben, es besteht die Chance auf Dekonstruktion: Während man seine Texte in der SZ so hinnehmen musste, kann unser Kollege Florian Warweg in der BPK Kornelius’ „Argumente“ künftig direkt hinterfragen. * Aktualisierung 1.5.2025, 11:15 Uhr: Die Überschrift wurde geändert. Titelbild: Cineberg / Shutterstock Mehr zum Thema: „Süddeutsche Zeitung“ und „taz“ in Not: In der Ukraine droht Frieden auszubrechen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=132211] Der eingebettete Außenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung Kornelius rühmt sich des Gleichklangs der „großen seriösen Medien“ in der Ukraine-Krise [https://www.nachdenkseiten.de/?p=25559] Wie transatlantische Netzwerke die deutsche Politik beeinflussen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=126494] From Hero to Zero – die jämmerlichen Reaktionen des deutschen Mainstreams auf Seymour Hershs Enthüllungen. Jämmerliche Medien (7) [https://www.nachdenkseiten.de/?p=93624] Der Einfluss der US- und NATO-Netzwerke [https://www.nachdenkseiten.de/?p=64537] „Krise des Westens“ und „Weimar“ – was sollen diese grotesken Übertreibungen? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=41186] [https://vg01.met.vgwort.de/na/dfd5572cb869459990f9dbef3f6821d3]

Das oben abgebildete Plakat stammt aus der Bundestagswahl von 1953. Unter anderem mit dieser Agitation verbesserte die CDU/CSU bei der damaligen Wahl ihr Ergebnis um 14,2 Prozentpunkte auf 45,2 Prozent. Die Union erreichte das wohl auch damit, dass sie mit dieser Propaganda das Gewissen vieler Deutscher, die für den Tod von 24 Millionen Bürgern der Sowjetunion verantwortlich waren, erleichterte. So wie auf dem Plakat dargestellt, so sind die Russen halt, kein Wunder, dass wir so viele davon umbringen mussten. In dieser Tradition steht unser künftiger Außenminister Wadephul: „Russland wird immer ein Feind für uns bleiben“. Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Der Russenhass war ein konstituierendes Merkmal der westdeutschen Propaganda unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Es war kein Wunder, dass die Union damit 1957 sogar die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag erreichte. Die Widersacher in den eigenen Reihen wie zum Beispiel das Gründungsmitglied der Rheinischen CDU, der Innenminister im ersten Kabinett Adenauer, Gustav Heinemann, wurden hintergangen und damit zum Austritt gezwungen. Ende der Fünfzigerjahre entwickelte dann der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, zusammen mit einem kleinen Kreis von Gleichgesinnten erste Überlegungen zur Politik der Verständigung auch mit Russland. Zu diesem Zirkel gehörte auch Horst Grabert. Er war dann ab Ende 1970 Chef des Bundeskanzleramtes und damit auch mein Chef; von ihm weiß ich von den Vorarbeiten für die Entspannungspolitik. Willy Brandt und Egon Bahr trugen die neuen Überlegungen dann im Sommer 1963 auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing vor. Ihre damalige Botschaft und Hoffnung: Wandel durch Annäherung. In dieser Formel kommt im Kern ja noch der Geist des Rollback zum Ausdruck. Jedenfalls haben die Träger der Entspannungspolitik nicht alleine auf Frieden und Entspannung, sondern auch auf eine Veränderung im Bereich des Ostblocks gezielt. Sie setzten nicht alleine auf Verständigung, sondern auch darauf, dass die Politik der Verständigung einen Wandel, eine Veränderung im Inneren des damaligen Warschauer Paktes auslösen würde. Das war nicht falsch kalkuliert. Die Politik der Verständigung, die ihren Niederschlag in Verträgen mit dem Kern Gewaltverzicht, also im Moskauer Vertrag, in Warschauer Vertrag und Prager Vertrag fand, löste Veränderungen in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn etc. und dann auch in der Sowjetunion aus. Willy Brandts Fazit in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 war wegweisend für die damalige Zeit und auch für die Zukunft in Europa: Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein. Es liegen Welten zwischen dieser Botschaft des damaligen Vorsitzenden der SPD und des heutigen, von der SPD gestellten Verteidigungsministers mit seinem Verlangen, kriegstüchtig zu werden. Wer ein Volk der guten Nachbarn sein will, muss nicht kriegstüchtig werden. Es ist schon seltsam, wie die Substanz der Politik und der handelnden Personen in einer so kurzen Zeitspanne von 50 Jahren wie zwischen 1969 bzw. zwischen 1975, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), und heute so verändert werden kann. Es ist schon seltsam, dass heute Verständigung und Abrüstung als möglicher Kern der Politik nicht mehr gesehen und angestrebt werden. Feindbildaufbau, Aggression, Aufrüstung sind offensichtlich das Gebot der Stunde. Die oben zitierte Äußerung des künftigen Außenministers Wadephul spricht Bände: „Russland wird immer ein Feind für uns bleiben“. Oder Merz lt. ntv vom 28.4.2025 zu „größter Herausforderung“: „Wir sind unmittelbar durch Russland bedroht“. „Bei dem kleinen Parteitag der CDU spricht Parteichef Merz über die Herausforderungen für die angehende Bundesregierung. Ganz oben auf der Liste steht laut dem CDU-Chef die Bedrohung durch Russland und den Ukraine-Krieg.“ Armes Deutschland – du bist in die Hände von Typen gefallen, die die Agitation der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts geprägt hatten und auf heute übertragen. Zur Erinnerung die Wiederholung und Ergänzung; CDU/CSU und NPD bedienten sich der gleichen grundlegenden aggressiven Vorurteile: [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250429-Russenhass-02.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250429-Russenhass-02.jpg Anhang: [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250429-Russenhass-01.png]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250429-Russenhass-01.png in den Jahren 1939-1945 Blau = Soldaten, schwarz = zivile Opfer. Quelle: de.statista.com [https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1055110/umfrage/zahl-der-toten-nach-staaten-im-zweiten-weltkrieg/] Titelbild: Wikimedia Commons/Konrad-Adenauer-Stiftung/CDU Wahlkampfplakat 1953

Bei den Sozialdemokraten haben Verfechter des Friedens einen schweren Stand. Arno Gottschalk, Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft, ist einer von nur noch wenigen in der Partei, die glaubhaft und hörbar gegen Militarismus, für Abrüstung und Diplomatie eintreten. Im Interview mit den NachDenkSeiten spricht er über die Schwächen der Friedensbewegung, eine SPD im Panikmodus und Friedrich Merz als Sicherheitsrisiko. Das Gespräch mit ihm führte Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Zur Person Arno Gottschalk, Jahrgang 1956, ist Sprecher für Haushalt und Finanzen der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft sowie Mitglied des Landesvorstandes. Gottschalk hatte jüngst beim Ostermarsch in Bremen eine beachtenswerte Rede [https://bremerfriedensforum.de/wp-content/uploads/2025/04/Arno-Gottschalk-250419-Rede-Ostermarsch-Bremen-2025.pdf] gegen Krieg, Aufrüstung und die forcierte innere Militarisierung der Gesellschaft gehalten. Ralf Wurzbacher: Herr Gottschalk, Deutschland rüstet in irrwitziger Dimension auf, die ganze Gesellschaft wird mental auf Kriegstüchtigkeit getrimmt, der künftige Kanzler will die Ukraine mit deutschen Raketen versorgen, die bis nach Moskau reichen. Vielleicht stand die Menschheit noch nie näher vor der atomaren Vernichtung. Aber echter, massenhafter Protest in der Bevölkerung bleibt aus. Warum ist die deutsche Friedensbewegung so schwach? Arno Gottschalk: Die Friedensbewegung ist nicht verschwunden, aber sie hat es heute schwer. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird jeder, der für Diplomatie und Abrüstung eintritt, schnell als naiv oder Putin-Freund diffamiert. Das schreckt viele ab. Hinzu kommt: Jüngere Generationen, die nach 1980 geboren sind, haben den Kalten Krieg nicht mehr erlebt. Die Bedrohung durch atomare Aufrüstung ist für viele abstrakt. Ein Grund ist auch der Kurswechsel der Grünen: Wo früher Umwelt- und Friedensengagement zusammengehörten, dominiert heute bei vielen die Fixierung auf Putin als Feindbild – auf Kosten einer kritischen Auseinandersetzung mit Aufrüstung und der Verschwendung von Mitteln, die wir dringend für Klima- und Umweltschutz bräuchten. An der Überwindung dieser Schwächen müssen wir arbeiten. Die Mehrheit will keinen Krieg – wir müssen ihr wieder eine Stimme geben. Muss es also erst richtig knallen, bis die Menschen aufwachen? Wenn es erst knallt, ist es zu spät – dann stehen wir vor der Katastrophe. Gerade deshalb müssen wir jetzt warnen. Welche Rolle spielen die Medien bei all dem? Eine zentrale. Viele Medien haben sich vom kritischen Journalismus entfernt und wirken heute eher als Verstärker der Aufrüstungspolitik. Abrüstung, Diplomatie oder NATO-Kritik finden kaum noch statt. Das verengt den Debattenraum dramatisch. Was trauen sie dem wohl künftigen deutschen Regierungschef Friedrich Merz (CDU) so alles zu? Wird er grünes Licht für die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper geben? Der Einsatz von Taurus wäre eine direkte Kriegsbeteiligung Deutschlands – mit unkalkulierbaren Eskalationsrisiken. Außerdem wäre Taurus kein Gamechanger. Viel Risiko, wenig erkennbarer Nutzen. Ich hoffe, dass auch Friedrich Merz das erkennt. Und wenn nicht? Und was erst, wenn die Ukraine demnächst mit Taurus auf Moskau feuert? Was passiert dann? Moskau wird versuchen, die Raketen – wie schon britische und französische – abzufangen und zu zerstören. Sollte ein Einsatz größere Wirkung zeigen, droht Vergeltung. Die Eskalationsdominanz liegt weiterhin klar auf russischer Seite. Spricht so ein „Putin-Versteher“? Nein. Es geht nicht darum, Putin zu verstehen, sondern die Risiken realistisch einzuschätzen. Viel versteht offenbar auch Olaf Scholz nicht. Bis auf Taurus ist er bislang noch jede Eskalation des Ukraine-Kriegs mitgegangen. Und dann setzt er quasi per „Staatsstreich“ und finaler Amtshandlung das größte Aufrüstungsprogramm der deutschen Geschichte ins Werk. Was verstehen Sie persönlich unter „staatspolitischer Verantwortung“? Olaf Scholz hat sich lange um Besonnenheit bemüht – ohne ihn wären viele Eskalationsschritte vermutlich schneller erfolgt. Dafür wurde er als „Bremser“ diffamiert. Das erste 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr war wohl auch ein politischer Entlastungsschlag. Die praktisch vollständige Öffnung der Schuldenbremse für Rüstung ist das Werk der neuen Koalition. Doch staatspolitische Verantwortung heißt nicht, jedem Druck nachzugeben – sondern kühlen Kopf zu bewahren. Warum Scholz ohne erkennbare Gegenwehr die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen unterstützt hat, bleibt mir unverständlich. Das ist ein gefährlicher Kurswechsel. Der dazu ohne jede parlamentarische Beteiligung und bar jeder öffentlichen Diskussion einfach durchgezogen wurde. Hat Demokratie in Krisenzeiten ausgedient? Nein, gerade in Krisenzeiten muss Demokratie besonders wachsam verteidigt werden. Entscheidungen von solcher Tragweite – wie die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen – dürfen nicht im Schatten informeller Zusagen getroffen werden. Sie gehören ins Parlament und in die öffentliche Debatte. Ich frage mich allerdings auch, welche ausführlicheren vertraglichen Regelungen es auf Regierungsebene zwischen den USA und Deutschland überhaupt gibt. Eine bloße politische Zustimmung Deutschlands am Rande eines NATO-Gipfels kann eigentlich nicht alles sein. Bei einer Entscheidung von solcher Dimension müsste es klare, rechtlich bindende Regelungen geben – zu Zahl, Stationierungsort, Kontrolle und Einsatz der Waffen. Alles andere wäre nicht nur fahrlässig und demokratietheoretisch höchst fragwürdig – es würde auch die Frage aufwerfen, wie es um die souveräne Entscheidungsfähigkeit Deutschlands in sicherheits- und friedenspolitischen Fragen tatsächlich bestellt ist. Was halten Sie von der These, Moskau bereite einen Schlag gegen Europa vor? Der Ukraine-Krieg zeigt, wie schwer sich Russland schon dort tut. Ein Angriff auf NATO-Staaten wäre ein völlig anderes Kaliber – militärisch aussichtslos. Die NATO ist Russland schon jetzt in allen konventionellen Bereichen deutlich überlegen. Die Warnungen vor einem möglichen Angriff dienen vor allem der Angstmache und sollen massive Aufrüstung rechtfertigen. Aber Ihre Partei ist für die allgemeine Panikmache sehr empfänglich, oder täuscht der Eindruck? Viele in der SPD sind durchaus empfänglich für die Botschaft, dass Deutschland mehr bei der Verteidigung tun müsse – vor allem mit Blick auf einen möglichen Rückzug der USA. Aber von einer bellizistischen Grundstimmung, wie man sie teils bei den Grünen sieht, ist die Partei weit entfernt. Gerade an der Basis, besonders bei älteren Genossinnen und Genossen, gibt es eine kritischere Haltung. Diese Stimmen müssen lauter werden. Damit Scharfmacher wie etwa der inner- und außerhalb der SPD so beliebte und wohl bleibende Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nicht mehr zu hören sind? Es geht nicht darum, Stimmen zum Schweigen zu bringen. Aber es geht darum, das politische Gleichgewicht wiederherzustellen. Eine fundamentale Erkenntnis der Entspannungspolitik war: Verteidigungsfähigkeit ist notwendig, reicht allein aber nicht aus. Sie muss durch Diplomatie, Entspannung und Rüstungskontrolle ergänzt werden. Nur so entsteht eine dauerhafte und stabile Sicherheit. Gerade diese Perspektive muss in der SPD wieder deutlich hörbar werden. Sie schreiben auf Ihrem Weblog, warum Sie in der SPD wirken: Weil sie „im Kern für das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit steht, weil sie die Partei friedlicher Konfliktlösungen ist“. Sind Sie vielleicht selbst nur naiv? Nein, ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass politische Realität widersprüchlich ist – auch in der SPD. Aber genau deshalb bin ich dort: Weil ich für soziale Gerechtigkeit und friedliche Konfliktlösungen streiten will, in der Partei, nicht daneben. Ohne die SPD, davon bin ich weiterhin überzeugt, wird es keine neue breite Orientierung am Prinzip gemeinsamer Sicherheit und dem Vorrang für nicht-militärische Konfliktlösungen geben. Aber wo bleibt wohl die soziale Gerechtigkeit, wenn Deutschland mit SPD-Segen künftig Billionen für Waffen verpulvert? Zunächst soll das Spannungsverhältnis zwischen steigenden Rüstungsausgaben und sozialen Ansprüchen durch Kreditfinanzierung kaschiert werden. Aber das wird nicht lange gutgehen. Mit zunehmender Verschuldung wächst – nicht zuletzt wegen der europäischen Fiskalregeln – der Spardruck, und er wird sich auf zivile Bereiche wie Bildung, Pflege, Klimaschutz und soziale Absicherung entladen. Soziale Gerechtigkeit und massive Aufrüstung passen auf Dauer nicht zusammen. Und die SPD muss sich entscheiden, wofür sie steht. Was muss passieren, damit sich schlimme Befürchtungen mit Blick auf Krieg und forcierten Sozialabbau nicht bewahrheiten – in und mit der Gesellschaft, in und mit der SPD? Es braucht eine breite gesellschaftliche Verständigung darüber, was Sicherheit im 21. Jahrhundert eigentlich bedeutet – jenseits von Waffen und Abschreckung. Und in der SPD muss klar werden: Wer soziale Gerechtigkeit ernst meint, kann auf Dauer keinen Kurs mittragen, der öffentliche Mittel in immer neue Rüstungsschleifen lenkt. Die Partei muss wieder zum Ort werden, an dem über Alternativen zur Militarisierung gestritten wird – und nicht nur über deren Finanzierung. Und wenn es anders kommt? Dann droht die SPD ihre Seele zu verlieren. Titelbild: Thomas Margraf/shutterstock.com[http://vg06.met.vgwort.de/na/1055356784584e779b3acf17f37c49bb]

Steile These, böser Reinfall. Auf der neuen ICE-Rennstrecke in Baden-Württemberg sollen täglich 17 Güterzüge verkehren. Nur so rentierte sich das Projekt, hatten einst die Macher ermittelt. Leider verrechnet: In zweieinhalb Jahren ist nur ein einziger Zug übers Gleis gerollt und das auch nur „zum Spaß“. Kein Witz: Auf dem Abschnitt herrscht eine zu starke Steigung. Die schaffen nur Leichttransporter, von denen es aber keine gibt. Das kostet Nerven – und vier Milliarden Euro. Von Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Hans-Jörg Jäkel ist ein „privilegierter“ Bahnfahrer. Davon gibt es in der heutigen Zeit bekanntlich nicht viele. Am 28. Januar 2024 war ihm die Ehre zuteil geworden, die Neubaustrecke (NBS) zwischen Wendlingen und Ulm in einem Güterzug zu befahren, „mehr so zum Spaß“ und weil der „Lokführer ein guter Freund“ sei, wie er den NachDenkSeiten sagt. Jäkel engagiert sich in einem Verein für historische Eisenbahnen und organisiert dabei Touren mit ausgefallenen Fahrzeugen auf ausgefallenen Routen. Und irgendwie „ausgefallen“ ist auch der neue Abschnitt in Baden-Württemberg, der unterhalb von Stuttgart 60 Kilometer in den Südosten stößt. Ausgefallen – für den Warentransport. In den zweieinhalb Jahren seit seiner Einweihung war auf ihm nur ein einziger Güterzug unterwegs, eben der, in dem Jäkel saß. Insofern war sein Trip nichts weniger als museumsreif. Aber warum? „Damals war Lokführerstreik, es ist so gut wie nichts gefahren“, schildert er. Deshalb der Entschluss: „Rollen wir doch mal über die Neubaustrecke, und nicht wie sonst über die Geislinger Steige.“ Dabei kam den Beteiligten ein entscheidender Umstand zupass. „Wir waren leicht, nur 600 Tonnen bei 400 Metern Länge, bloß leere Kesselwagen, auf dem Weg zur Wartung.“ Dazu muss man wissen: Bei 1.000 Tonnen ist Schluss. Gespanne mit höherem Gewicht haben auf der Strecke nichts verloren. An manchen Stellen beträgt das Gefälle drei Prozent. Die Steigung ist einfach zu steil für schwere Gefährte. ICEs und andere Personenzüge haben dagegen keine Probleme, so wenig wie Güterzüge, die kurz sind oder nur leichte Fracht befördern, zum Beispiel Schaumstoff, Styropor oder Luft, wenn es zur Werkstatt geht. Unbegrenzte Möglichkeiten Offenbar hatten die Verantwortlichen genau diese Zielgruppe im Sinn, als sie den Bau der NBS projektierten. Damit sich die Unternehmung rentiert, also am Ende gewinnbringend ist und kein finanzielles Desaster, sollte und müsste die Strecke auch vom Frachtverkehr genutzt werden. Die Berechnung der Wirtschaftlichkeit erfolgte im Jahr 2010 unter Ägide des damaligen Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer (CSU). Die Zielmarke von 1,0 wurde nur erreicht, indem leichte Güterzüge in die Kalkulation Eingang fanden. Unterstellt hatte man dabei einen Nutzeneffekt in Höhe von 750 Millionen Euro [https://www.merkur.de/deutschland/baden-wuerttemberg/auf-einer-milliardenteuren-bahnstrecke-ist-in-zweieinhalb-jahren-nur-ein-einziger-gueterzug-gefahren-93696929.html], wodurch der Wert hoch auf bis zu 1,5 kletterte. Ohne Güterzüge wären es 0,92 gewesen, wie dieser Tage etwa der Münchner Merkur festhielt. Bei dieser Größenordnung hätte es kein grünes Licht geben dürfen. Aber die Macher wollten unbedingt grünes Licht. Und die Profiteure wollten Geld machen, wovon es bei Gesamtausgaben von 3,99 Milliarden Euro reichlich gab. Anfangs waren nur zwei Milliarden Euro veranschlagt, die sich aber auf die übliche wundersame Weise vermehrten. Die NBS Wendlingen–Ulm ist eine Komponente von Stuttgart 21, dem Bahnprojekt der unbegrenzten Möglichkeiten [https://www.nachdenkseiten.de/?p=115195] – was Inkompetenz, Kostenexplosionen und zeitlichen Verzug anbelangt. Und krumme Sachen: Allein die Filstalbrücke, ein Herzstück der NBS, geriet vier Mal teurer als geplant und der Verdacht der Korruption steht im Raum. Über den Stand der Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft [https://www.nachdenkseiten.de/?p=92243] drang allerdings länger nichts mehr an die Öffentlichkeit. Auf der schiefen Bahn Jedenfalls sollten eigentlich täglich 17 leichte Güterzüge über die NBS brettern, womit es nach Eröffnung am Jahresende 2022 inzwischen über 15.000 hätten sein müssen. Dagegen wirkt ein einziger ziemlich kläglich. Und weitere Bestellungen gibt es nach Auskunft der Bahn auch nicht. Das Problem brachte unlängst Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann gegenüber Tagesschau.de [https://www.tagesschau.de/inland/regional/badenwuerttemberg/swr-wieso-auf-der-bahnstrecke-ulm-stuttgart-bisher-insgesamt-nur-ein-einziger-gueterzug-unterwegs-war-100.html] auf den Punkt: „Diese leichten Güterzüge gibt es nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht geben.“ Er selbst habe miterlebt, „wie die Strecke im Bundestag schöngerechnet wurde“. Hermann hat gut reden. Damals gehörte der Grünen-Politiker noch zur Opposition im Bundestag und gerierte sich als erbitterter Gegner von S21. Aber seit dem gescheiterten Volksentscheid vor bald 14 Jahren zieht er das Irrwitzprojekt an prominenter Stelle gegen alle Widerstände durch. So kennt man die Grünen … Und die Konzernbosse bei der Deutschen Bahn (DB)? Die mögen es vorzugsweise größenwahnsinnig und buddeln sich für teures Geld durch jeden Hügel. Aber muss das sein? „Sinnvollerweise werden Tunnel dort gebaut, wo Höhenzüge unterfahren werden, um große Steigungen zu vermeiden“, erläutert Tom Adler von „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“. Die NBS zwischen Wendlingen und Ulm verläuft auf fast der Hälfte der Länge unter Tage – zu zwölf Tunneln kommen noch 37 Brücken [https://regional.bahn.de/regionen/baden-wuerttemberg/ueb/partner/neubaustrecke-wendlingen-ulm] –, was angesichts des Aufwands eine Klimasünde ersten Ranges ist. „Aber bei dieser Trasse vergrößert sich die Steigung sogar noch gegenüber der Bestandsstrecke“, bemerkt Adler gegenüber den NachDenkSeiten. Wendlingen–Ulm wurde ausdrücklich zur Entlastung einer alten Linie in der Nähe realisiert, der Geislinger Steige. Auf der verkehren laut DB-Auskunft derzeit pro Tag aber immer noch bis zu 65 Güterzüge. Warum nur? Durch den schicken Bypass um die Ecke strömen nur ICEs und „Deutschlands schnellster Regionalverkehr“, aber leider nichts, was schwerer ist. Halbleere Güterzüge rechnen sich betriebswirtschaftlich nicht. Dumm gelaufen! Auf die alte Tour Bahnromantiker Jäkel hat eine weitere Erklärung parat. Auf der NBS sind nur Loks mit dem modernen Zugleitsystem ETCS (European Train Control System) zugelassen. Die Technik soll im Rahmen einer umfassenden Digitalisierungsoffensive über kurz oder lang auf dem gesamten deutschen Schienennetz etabliert werden. Eher wird es länger dauern, denn inzwischen hat die DB-Führung ihre hochfliegenden Pläne auf Eis gelegt [https://netzpolitik.org/2025/deutsche-bahn-digitalisierung-aufs-abstellgleis/]. Vor allem wegen ausufernder Kosten. Allein die Ausstattung der Züge wird laut einem Spiegel-Bericht vom Juli 2024 auf 38 Milliarden Euro taxiert. Sechs Jahre davor habe sich die Schätzung noch auf „vier Milliarden Euro“ belaufen. Würde man alle Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) zur Umrüstung nötigen, triebe das insbesondere die vielen kleinen Anbieter in den Ruin. „Für die lohnt sich das einfach nicht“, weiß Jäkel. Die „Lösung“ könne deshalb nur sein, auch neue Schienenwege auf die alte Tour zu bestücken, „also überall Doppelausrüstung, alte und neue Technik nebeneinander“. Nicht so zwischen Wendlingen und Ulm. Der Abschnitt läuft unter „ETCS-Level-2-Strecke ohne Signale nach Baseline 3“, die „erste“ ihrer Art in Deutschland. Es könnte auch schon die letzte gewesen sein. Eine Minute für 200 Millionen Euro „Diese Neubaustrecke wurde überhaupt erst durch bewusstes Faktenleugnen und gezielten Betrug möglich“, meint Werner Sauerborn vom „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“. „Diese Methode soll bei weiteren S21-Tunnelprojekten fortgesetzt werden, und es gibt Überlegungen, dafür den Schuldenfonds von 500 Milliarden Euro anzuzapfen.“ Sein Mitstreiter Dieter Reicherter ergänzt: > „Dass diese Güterzüge eine Erfindung sind und dort nie fahren würden, war allen Fachleuten bekannt. Bei der jetzigen Planung für den Pfaffensteigtunnel wird genau wieder so verfahren.“ Angefressen ist auch Carl Waßmuth vom Bündnis „Bahn für alle“. „Die NBS ist nur ein Beispiel für die vielen kurzen Beine der vielen Lügen rund um S21“, beklagt er im Gespräch mit den NachDenkSeiten. „Aber hinterher recht behalten, hilft wenig, wenn alles schon gebaut ist.“ Er hat trotzdem noch Hoffnung, dass der oberirdische Kopfbahnhof in Stuttgart „noch zu retten“ sei. „Jetzt, wo wir wissen, dass die Berechnungen zum Tiefbahnhof auch in Bezug auf Wendlingen–Ulm gefakt waren, haben die Verantwortlichen ein Kommunikationsproblem mehr.“ Von wegen. Grünen-Verkehrsminister Hermann hat bereits die neue Sprachregelung gesetzt. Korruption, Missmanagement, Geldverschwendung – alles halb so wild. Letztlich blieben „zum Glück für die Fahrgäste die Vorteile für den Nahverkehr“: also ein Bahnhalt mehr in Merklingen und 20 Minuten weniger Fahrzeit mit dem ICE zwischen Stuttgart und München. Das sind bloß 200 Millionen Euro pro Minute oder 3,333 Millionen Euro pro Sekunde. Der Steuerzahler hat schon für viel mehr Geld viel weniger bekommen. Danke! Titelbild: RugliG/shutterstock.com[http://vg06.met.vgwort.de/na/9eccf4564fb14a4189f7a7adfc7ef150]
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