
alemán
Actualidad y política
4,99 € / mes después de la prueba.Cancela cuando quieras.
Acerca de NachDenkSeiten – Die kritische Website
NachDenkSeiten - Die kritische Website
Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XVIII) – Diesmal: „coolste Ausschnitte“, „echt“, „eisiger Frieden“ und der „European Way of War“
Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – an das Undenkbare zu gewöhnen und möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln. Von Leo Ensel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Beschaffungsbeschleunigungsgesetz [https://www.bmvg.de/de/beschaffung-neues-gesetz-staerkt-verteidigungsfaehigkeit] Wortungetüm der neuen Verwaltungssprache im Tarnfleck. Von der Bundesregierung im Juli 2025 eingeführt. O-Ton Boris Pistorius: „Die Bedrohungslage erlaubt keinen Aufschub. Wir können uns zu lange Vergabeverfahren und überbordende Bürokratie nicht mehr erlauben.“ – Heißt auf Deutsch: „Rückkehr zur Kriegswirtschaft“! Oder in den Worten des Publizisten Ilja Rynkin [https://www.manova.news/artikel/grune-moral-munition]: „Direktvergaben bis 100.000 Euro, keine europaweiten Ausschreibungen mehr, Verzicht auf Umweltstandards, wenn‘s ‚dringlich‘ ist – und wann ist es das nicht? Der militärisch-industrielle Komplex bekommt freie Bahn, während die Bevölkerung weiter mit CO2-Geboten und Heizvorschriften gegängelt wird. Diesel darf man nicht mehr fahren, aber dafür Drohnen jetzt schneller bauen.“ brutaler Mafiaboss [https://www.tagesspiegel.de/internationales/langjahrige-nato-strategin-stefanie-babst-putin-wartet-einfach-darauf-dass-sich-der-westen-selbst-zerlegt-11976620.html] Ist laut Expertin – immerhin arbeitete sie nach eigenen Angaben „für fünf NATO-Generalsekretäre direkt“ [https://www.deutschlandfunk.de/nato-eu-ukraine-gespraeche-interview-mit-stefanie-babst-sicherheitsexpertin-100.html] – Stefanie Babst mal wieder der „Mörder & Killer“ (Marie-Agnes Stack-Zimmermann) Wladimir Putin. Dass dieser nebenbei auch noch ein „kleptokratisches Mafiaregime“ – ebenfalls eine Perle von Babst – betreibt, liegt in der Natur der Sache. coolste Ausschnitte [https://www.rnd.de/politik/deutsche-freiwillige-im-ukraine-krieg-warum-hanz-und-wizard-ihr-altes-leben-hinter-sich-liessen-T7PCCG4EHZB6FDRJRKHEK2TYSA.html] „Auf sozialen Medien seien nur ‚die coolsten Ausschnitte‘ zu sehen.“ – Nein, hier ist nicht die Rede von üppigen Dekolletés à la Sophia Loren, Anita Ekberg oder Brigitte Bardot. (Von Marilyn Monroe ganz zu schweigen.) Gemeint ist der Einsatz von deutschen Legionären [https://ildu.mil.gov.ua/de] an der Ukrainefront. Und deren Abenteuer auf der Suche nach einem sinnerfüllten Leben – dokumentiert auf Social Media. ‚Wizard‘ (Kampfname): „Es ist aber viel mehr dahinter. Es ist viel mehr Horror.“ (Horrorvideos generieren bekanntlich die meisten Klicks!) (vgl. „neues Gefühl“, „Sinnsuche“) CRINK [https://de.wikipedia.org/wiki/CRINK] Flottes und zitierfähiges Akronym für China (C), Russland (R), Irak (I) und Nordkorea (NK). (Warum man dem ostasiatischen Staat gleich zwei Buchstaben zugebilligte, ist nicht ganz klar. Vielleicht, damit das Kunstwort am Ende noch etwas im Halse knackt?) Griffige Formel für die „Neue Achse des Bösen“ [https://www.fr.de/politik/crink-neue-achse-des-boesen-oder-russlands-verzweiflung-im-ukraine-krieg-zr-93374791.html] – ihrerseits ein Produkt westlicher Politik, die über Jahrzehnte hinweg Russland geduldig in die Arme der CINK trieb. Vergleichen wir CRINK mit George W. Bushs Original-„Axis of Evil“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Achse_des_B%C3%B6sen] (Iran, Irak und Nordkorea) vom 29. Januar 2002: Statt drei sind es heute derer vier! Iran und Nordkorea haben sich gehalten, China und Russland – ein Comeback des einstigen „Reich des Bösen“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Reich_des_B%C3%B6sen] – sind neu im Ensemble. Der Irak wurde zwischenzeitlich – von den USA – rausgekickt. Spielt jetzt in der „Achse des Guten“. (Bis zur nächsten Umbesetzung ist es ohnehin nur eine Frage der Weltlage.) dämmrige Übergangszeit [https://www.rundschau-online.de/politik/bundeswehrtagung-unsere-art-zu-leben-ist-in-gefahr-1145685] Die bislang betörend schönste Formulierung, um uns einzureden, dass wir – wie es jetzt in tausend Variationen allerorten erklingt – „noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr (ganz) im Frieden“ leben. And the winner is: Der Poet in Uniform, Generalinspekteur Carsten Breuer! (Fast sehnt man sich danach, dass diese quälend lange Übergangszeit endlich ihrem Ende entgegendämmert … Und wir gleich mit ihr!) diese „Friedensbewegung“ [https://www.fr.de/meinung/vor-putins-karren-93934402.html] „Diese ‚Friedensbewegung‘ verdient den Namen nicht.“ Urteilte – die obligatorischen Anführungszeichen beim heiklen F-Wort sorgfältig gesetzt – die Frankfurter Rundschau am 14. September 2025 über die Berliner Friedensdemonstration vom Tage zuvor. (Vor viereinhalb Jahrzehnten, als die FR sich noch deutlich anders positionierte, sprach man von der „sogenannten Friedensbewegung“.) Vorhersehbare scharfsinnige Begründung: Sahra Wagenknecht – der laut CSU-Vorstandsmitglied Bernd Posselt „menschgewordene Hitler-Stalin-Pakt“ – und die anderen hätten sich „vor Putins Karren“ spannen lassen. – Mit anderen Worten: „Note sechs. Ungenügend. Setzen!“ doppelter Epochenbruch [https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Zeitungsbeitraege/2025/251019-Appell-der-Praesidenten.html] Die Begriffe überschlagen sich: Begann es fünf Tage nach dem russischen Überfall – aus heutiger Sicht noch vergleichsweise harmlos – mit Olaf Scholz‘ berühmt-berüchtigter „Zeitenwende“, so fühlte Bundespräsident Steinmeier sich schon zweieinhalb Monate später bemüßigt, diese zum „Epochenbruch“ zu steigern. Der nun aber seinerseits auch schon nicht mehr reicht. „Europa erlebt heute einen doppelten Epochenbruch: Am 24. Februar 2022 ist mit dem russischen Überfall auf die Ukraine der Angriffskrieg auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Ein Angriff, der auch der europäischen Friedensordnung gilt. Und zeitgleich erleben wir, dass unsere Gewissheiten über die Tragfähigkeit der transatlantischen Sicherheitsarchitektur brüchig geworden sind.“ Verkündete am 19. Oktober 2025 wieder mal Frank-Walter Steinmeier, diesmal zusammen mit seinem österreichischen Amtskollegen Van der Bellen – also doppelt – in einer „Gemeinsamen Botschaft an die Europäerinnen und Europäer“. Bitte beachten: Der „doppelte Epochenbruch“ hat nichts mit der „zweiten Zeitenwende“ zu tun! Auch nichts mit der „Zeitenwende 2.0“. Drohnenwall [https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/10137] Der zeitgemäße, weil zeitengewendete ‚Limes‘ in der Luft „über der NATO-Ostflanke“. Ukrainische Entwicklungshilfe inclusive. – Klingt defensiv. Steht aber für automatisierte Luftraumüberwachung, Zielidentifikation, Präzisionsbekämpfung. Mit Schwarmintelligenz, Wärmebild und Künstlicher Intelligenz. Ein Wall, der nicht nur abschirmt, sondern auf Knopfdruck zuschlägt. durchhaltefähig [https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw23-de-regierungsbefragung-1002264] „Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein.“ Forderte, mal wieder, Boris Pistorius am 5. Juni 2024 im Bundestag. Genauer: „Bis 2029 kriegstüchtig.“ Dafür müsse der Truppe die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden – vom Kampfpanzer bis zur mobilen Feldküche. – „Durchhaltefähig“. Hieß früher: „bis zum letzten Blutstropfen“! Suggeriert, der spätestens 2029 gegen Russland geführte Krieg würde verlaufen wie damals bei Verdun und Stalingrad. Das könnte sich freilich als fataler Irrtum erweisen. Gegen russische atomare Präventiv- oder Vergeltungsschläge hilft nämlich auch keine mobile Feldküche mit veganer Vollwertkost aus der Gulaschkanone! echt [https://www.youtube.com/watch?v=lop0zyRpdEc] „Also für uns ist immer am wichtigsten – und das sage ich nicht in der Vergangenheitsform –, dass dieser Krieg echt ist! Dass das, was wir tun, um die Ukraine zu unterstützen, sich jeden Tag auf dem Gefechtsfeld praktisch auswirkt.“ Antwortete mit leuchtenden Augen der ehemalige Leiter des „Sonderstabs Ukraine“ und des „Planungs- und Führungsstabs im BMVG“, Generalmajor Christian Freuding, auf die Frage, was ihn „in dieser Zeit am meisten bewegt oder beschäftigt“ habe. – Merke: Hauptsache, „echt“! Und nicht etwa in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Zur Krönung auch noch mit „echten Feinden“ … (vgl. „erlebbar“, „Freiheit“, „Glück“, „unglaublich erfüllende Aufgabe“, „Wille zum Kampf“, „Wir“) eisiger Friede [https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-10/bnd-praesident-reale-gefahr-russland-krieg-andgriff-militaer] „Der Gegner kenne keine Rast und Ruhezeiten“, warnte der frischgebackene neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Martin Jäger, in seiner Antrittsrede am 13. Oktober 2025. (Als Ex-Botschafter in Kiew weiß er das.) Und dann wurde er genauer: „In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Friede.“ Wenige Sätze zuvor hatte er noch – hoch die Logik! – verkündet: „Wir stehen schon jetzt im Feuer!“ – Offenbar gilt für die sicherheitspolitische Lage dasselbe wie beim beliebten Dessert im Restaurant: Eis und Heiß [https://www.essen-und-trinken.de/rezepte/88305-rzpt-eis-und-heiss-dessert] auf einem Teller! (vgl. „Nachsteuerungsbedarf“) entschlossenes Auftreten in der Welt [https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100789618/merz-regierungserklaerung-bundeswehr-soll-staerkste-armee-europas-werden.html] Fordert forsch für sein Land, die üblichen Keywords wie „Stärke und Geschlossenheit“ bemühend, Kanzler Merz. Dabei schaute er schon fast so ernst daher wie der berühmte „Philosoph der Entschlossenheit“ aus dem Schwarzwald. Und das bedeutet selbstverständlich … – Na? – Genau! Die Bundeswehr gleich mal zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ zu machen! Darunter tut es der neue Eiserne Kanzler nicht. – „Entschlossenheit“ und „Geschlossenheit“. (Und die Reihen fest geschlossen …) (vgl. „Führungsrolle“) Erhöhung der Sicherheit im besten Sinne [https://www.berliner-zeitung.de/news/olaf-scholz-stationierung-von-us-langstreckenwaffen-erhoeht-sicherheit-deutschlands-li.2234636] So verkaufte uns (Cum-)Ex-Kanzler Scholz im Juli 2024 die durch kein Bundestagsmandat legitimierte erneute Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. (Und nur hier!) Raketen, die sein Volk – über 83 Millionen Menschen – in Geiselhaft nehmen und im Krisen-, gar Kriegsfalle zur Zielscheibe russischer Präventiv- oder Vergeltungsschläge verwandeln. Securitas anno 2024! erste Verteidigungslinie [https://petraerler.substack.com/p/was-die-vielen-wahren-gesichter-von?utm_source=post-email-title&publication_id=580267&post_id=173842391&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=2apl54&triedRedirect=true&utm_medium=email] Stellt – wie einst Afghanistan im „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ – heute die Ukraine für uns dar. Diesmal gegen den „feindlichen russischen Expansionismus“. Weshalb sie – von uns – notfalls zu Tode verteidigt wird! (Donald Trump [https://www.deutschlandfunk.de/europa-heute-komplette-sendung-vom-20-08-100.html] sieht das allerdings etwas anders: Die erste Verteidigungslinie bilden für ihn – die Europäer! „They are the first line of defense.“ Plausible Begründung des US-Präsidenten: „Because they are there.“) ertüchtigen [https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/operationsplan-deutschland-was-berlin-im-krieg-droht-li.2357285] Nicht nur, im Dienste der „Kriegstüchtigkeit“, Menschen, sondern jetzt – im Rahmen des ominösen „Operationsplan Deutschland“ – auch Dinge! In der Hauptstadt soll nun laut Berliner Zeitung geprüft werden, „ob U-Bahn-Stationen und Bahnhöfe zu Notunterkünften ertüchtigt werden.“ Auch bei der Verkehrsinfrastruktur: „Autobahnen und Brücken müssten ertüchtigt werden, um Panzertransporte zu ermöglichen.“ – Ziel der tüchtigen wie ertüchtigenden Aktivitäten: Die flächendeckende Militarisierung unserer Lebenswelt – möglichst ohne dass es (vorerst) auffällt! Erzählung Heißt jetzt auf Deutsch: „Narrativ“. Eurobombe [https://www.spiegel.de/ausland/die-rueckkehr-der-abschreckung-braucht-europa-die-eurobombe-a-25e7b264-3c10-45a4-97b1-a20b368dab8e] Die. Neues – und ultimatives – Spielzeug der Eurofighter-Doppelpunkt-innen. Besonders gerne propagiert [https://taz.de/Aufruestung-als-Sackgasse/!6122498/] von ehemaligen Außenministern und alternden Streetfighting Men. Eurofighterin [https://www.fr.de/politik/leyen-strack-zimmermann-fdp-eu-europawahl-eurofighterin-spitzenkandidatin-von-der-92800802.html] Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dreifache „Oma“ und „streitbar in Europa“ [https://www.fr.de/politik/leyen-strack-zimmermann-fdp-eu-europawahl-eurofighterin-spitzenkandidatin-von-der-92800802.html], zeigt nun „Courage“, via Eurofighter auf Seiten der tapferen Ukraine selbst ins Kampfgeschehen einzugreifen. Nachdem die beliebte Rüstungslobbyistin im August 2022 Kanzler Olaf Scholz „Ladehemmung“ vorgeworfen hatte, setzt sich der „Staatsmann unter den Frauen“ [https://www.rnd.de/politik/marie-agnes-strack-zimmermann-wie-die-fdp-fuer-ihre-europa-spitzenkandidatin-wirbt-EW3IYMATJ5G7ZBFML64CQIVVJQ.html] jetzt für Selenskyj und die FDP höchstpersönlich an den Steuerknüppel. Couragiertes Motto: „Wer immer die Hosen voll hat, wird nie kreativ sein.“ Ein kreatives Himmelfahrtskommando, zu dem man ihr (und uns) nur gratulieren kann! European Way of War [https://www.spiegel.de/politik/deutschland/europa-und-die-usa-eigenstaendiger-european-way-of-war-ist-unverzichtbar-a-c38c2970-cdd6-4bfd-ba85-a734b974bf40] Offenbar das zeitengewendet-kontinentale Pendant zum „American Way of Life“! Die uns aus sämtlichen Talkshows („Fünf Stühle, eine Meinung“) bekannten Experten Claudia Major und Christian Mölling fordern genau das: Europa macht sich endlich selbstständig – auch im Krieg. Hoffen wir, dass am Ende nicht auch noch ein ganz spezifischer „European Way of Death“ herauskommt! Fähigkeiten [https://www.youtube.com/watch?v=tPI_qP_tpSQ] Sollen den Feind „kampfunfähig“ machen. Begriffe im olivgrünen Vokabelarsenal: „Adaptions-“, „Anpassungs-“, „Aufwuchs-“, „Durchhalte-“, „Handlungs-“, „Sieg-“, „Wehr-“, „Verteidigungs-“, „Zweitschlagsfähigkeit“ – dazu „Fähigkeitsanalyse“, „Fähigkeitslücke“, „Fähigkeitsziele“, „Fähigkeitspakete“. – Übersetzung: „Aufrüstung“. Oder, in den unmissverständlichen Worten des Sozialpsychologen Harald Welzer: „Fähigkeiten heißt: Du kannst damit besser Menschen töten, als wenn du diese Fähigkeiten nicht hast.“ (Die Steigerung der „Fähigkeit“ lautet – ganz unpathetisch – „Tüchtigkeit“!) Fähigkeitspakete [https://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-sicherheitsgarantien-interview-andre-wuestner-bundeswehr-verband-100.html] „Wäre denn die Bundeswehr aktuell in der Lage, eine Brigade oder mehr in die Ukraine zu schicken?“ Stellte DLF-Redakteur Stefan Heinlein Ende August 2025 Oberst André Wüsting (Bundeswehrverband) die Gretchenfrage. – Antwort: „Ja, die Bundeswehr ist definitiv in der Lage, Fähigkeitspakete zu schicken!“ (Die Brigade als „Fähigkeitspaket“ …) – Hausaufgabe für den aufmerksamen Leser: Bitte nochmal Stichwort „Fähigkeiten“ lesen und anschließend ‚eins plus eins‘ zusammenzählen! (vgl. „Abschreckung (II)“) (wird fortgesetzt) Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge [https://globalbridge.ch/das-woerterbuch-der-kriegstuechtigkeit-xviii-diesmal-coolste-ausschnitte-echt-eisiger-frieden-und-der-european-way-of-war/]. Alle bisher erschienenen Folgen der Serie „Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit“ von Leo Ensel können Sie in dieser Übersicht finden [https://www.nachdenkseiten.de/?tag=woerterbuch-der-kriegstuechtigkeit] und diese auch einzeln darüber aufrufen. Titelbild: arvitalyaart/shutterstock.com
Merkel: „Wir haben von den Menschen verlangt, sich nicht menschlich zu verhalten“ – Oh ja, eine Aufarbeitung der Coronapolitik ist unabdingbar
Eine Politik, die von den Bürgern verlangt hat, sich „nicht menschlich“ zu verhalten: Davon sprach [https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-coronapandemie-war-eine-demokratische-zumutung-a-97a47349-0fd3-4c47-a7fc-1d1a7afda57a] Angela Merkel bei einer Ehrung für ihre Coronapolitik diese Woche in Stuttgart. „Nicht menschlich“? Moment! Gegen das Unmenschliche der Coronapolitik [https://www.nachdenkseiten.de/?page_id=47542&suche=corona] ist eine große Zahl an Bürgern auf die Straße gegangen. Dafür gab es Knüppel, den Einsatz von Wasserwerfern und: Diffamierung und Beschimpfung am laufenden Band durch Medien und Politik. Zum Thema „nicht menschlich“ gibt es einiges zu sagen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Als Angela Merkel am Dienstag von Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Staufermedaille in Gold für ihre Coronapolitik erhalten hat, sagte die ehemalige Kanzlerin etwas Bemerkenswertes. > „Wir haben von den Menschen verlangt, sich nicht menschlich zu verhalten.“ Vielleicht ist es angebracht, diesen Satz stehen zu lassen und lange darüber nachzudenken. Nicht, weil die Aussage an sich in ihrer Offensichtlichkeit schwer zu erfassen wäre. Auch nicht, weil Merkel hier lediglich das sagt, was von Anfang an doch jedem klar war oder zumindest hätte klar sein können. Nein, es geht darum, zu verstehen oder genauer: wirklich in seiner Tiefe zu begreifen, warum an einer Aufarbeitung der Coronapolitik kein Weg vorbeiführt. Es geht darum, zu begreifen, dass über die politischen Entscheidungen, die zur schwersten Grundrechtskrise seit dem Besehen der Bundesrepublik geführt haben, nicht einfach so hinweggegangen werden darf, wie es weite Teile der Politik versuchen. Wenn Politiker von Menschen „nicht Menschliches“ verlangen, dann sollte jeder Demokrat auf der Straße sein. Doch das Gegenteil war der Fall. Viele haben damals zwar gegen eine Politik, die zu massiven Schäden am einzelnen Bürger, aber auch in der Gesellschaft geführt hat, demonstriert – im besten Sinne von Demokratie und Grundgesetz. Aber erschreckend viele haben die Aufforderungen der Politik, sich nicht mehr menschlich zu verhalten, hingenommen und akzeptiert. Freilich, wie immer, für den „höheren Wert“, die „gute Sache“, sprich: um die Pandemie „in den Griff“ zu bekommen. Diejenigen, die nicht bereit waren, das Unmenschliche zu akzeptieren, die tief im Innern spürten, dass hier Grenzen überschritten werden, die ein demokratischer Staat nicht überschreiten darf, wurden dargestellt, als wären sie ein Haufen Verrückter. Beschimpft, beleidigt, ausgegrenzt, verfolgt: Dafür sorgte eine Allianz aus Politikern, Journalisten und Experten. Soweit, so bekannt. Doch da ist nun wieder Merkel. Und da ist auch wieder Kretschmann. Jener Grünen-Politiker, der sich während der Pandemie in einem Gastbeitrag in der FAZ unter der Überschrift „Die Impfpflicht schützt die Freiheit“ zu Wort meldete, würdigte Merkel für ihren „herausragenden politischen Einsatz während der Coronapandemie“. Hier das Gold für eine Politik, die von Menschen forderte, nicht menschlich zu sein. Und da, auf der anderen Seite, traumatisierte Kinder, Bürger und Menschen, die an der Coronaimpfung verstorben oder für den Rest ihres Lebens geschädigt sind. Die Ehrung Merkels sagt viel aus über den Zustand der politischen Klasse. In weiten Teilen ist sie von der Realität entkoppelt. In ihrer Welt ist bis heute nicht angekommen, welchen unfassbaren Schaden ihre Politik angerichtet hat. In ihrer Welt sind sie sogar noch die Helden, die – mit einem Fünkchen Pseudo-Selbstkritik – scheinbar selbstlos eingestehen, dass sie den Bürgern einiges „zugemutet“ haben. Unterm Strich steht für sie jedoch fest: Das Gold, das ist verdient – sonst würde es ja nicht verliehen und angenommen. Als in Frankreich die Pandemie für beendet erklärt wurde, sagte [https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-08/frankreich-corona-regeln-maskenpflicht-lockerungen] der Vorsitzende des Expertenrats, Jean-François Delfraissy: „Natürlich bedauere ich vieles. Wir haben manchmal die Gesundheit über die Menschlichkeit gestellt.“ Bewohner von Altenheimen hätten ihren Willen zum Leben aufgegeben, im Prinzip nur noch auf den Tod gewartet. Ja, dass auch die deutsche Politik Bedingungen und Regeln aufgestellt hat, die dazu geführt haben, dass Alte und Kranke jämmerlich allein, scheinbar verlassen von ihren Liebsten, vor sich hin vegetieren oder gar sterben mussten: Das war „nicht menschlich“. Eine Politik, die von einer Mutter erwartet hat, dass ihr Kind allein im Krankenhaus verstirbt, dass ein Sohn keinen Abschied von seinem im Sterben liegenden Vater nehmen kann: Das war „nicht menschlich“. Eine Politik, die Rahmenbedingungen geschaffen hat, dass Menschen entgegen ihrem Willen geradezu gezwungen wurden, sich einen hochumstrittenen Impfstoff spritzen zu lassen: Auch das war „nicht menschlich“. Eine Politik, die Kinder stundenlang in den Schulen unter Masken gezwungen hat: Das war „nicht menschlich“. Vieles mehr ließe sich an dieser Stelle anführen. Aber der Punkt wird auch so klar: Eine Politik, die von Menschen ein „nicht menschliches“ Verhalten verlangt, muss als unmenschlich bezeichnet werden. Ja, diese Politik darf man auch als monströs bezeichnen. Doch es ist ja noch schlimmer. Christoph Lütge war Mitglied im Bayerischen Ethikrat. Während der Coronakrise äußerte er sich kritisch über die Maßnahmen. Er wurde aus dem Rat entlassen. Auf der Plattform X kommentierte er am Mittwoch die Äußerung Merkels mit folgenden Worten: > Das besonders perfide an Merkels Formulierung (man hätte von den Menschen verlangt, sich nicht menschlich zu verhalten) ist ja, dass damit suggeriert wird, die Politiker hätten sich an Wissenschaft und Rationalität gehalten, die Menschen seien aber eben menschlich geblieben. Nein, darum geht es nicht, sondern im Kern um etwas anderes: vieles von dem, was Merkel und andere getan und womit sie so viel Schaden angerichtet haben, hatte gerade keine wissenschaftliche Grundlage, sondern beruhte auf – dem Stand der Wissenschaft zuwiderlaufenden – politischen Setzungen, die von Teilen der Wissenschaft, quasi auf Bestellung, akklamiert wurden. (Genau das bestätigen etwa die RKI-Protokolle, es war aber seinerzeit auch schon für viele erkennbar.) Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Die Verantwortlichen der Coronapolitik spinnen sich bis heute in ihren Kokon, worin die Realität so aussieht, dass alle Entscheidungen zwar „schmerzhaft“, aber eben aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendig gewesen waren. Und selbst heute, in der Rückschau, halten viele an dieser Sichtweise fest. Das ist ein Bruch mit der Realität. Auch deshalb ist eine schonungslose Aufarbeitung der Coronapolitik unabdingbar. Eine Politik, die von Menschen verlangt – und das auch noch mit Repression – sich „nicht menschlich“ zu verhalten, hat in einer Demokratie nichts verloren! Titelbild: Drop of Light/shutterstock.com[http://vg08.met.vgwort.de/na/ce3ecabd227b42cfa7725f9dc8773228]
Schrödingers Fachkräftemangel
Entsprechend ihrer politischen Stationen müsste Andrea Nahles eigentlich den Inbegriff der Fachexpertin für Arbeitsmarktthemen darstellen. Ihre parteiinternen Posten bis hin zur SPD-Vorsitzenden, die eine häufige Auseinandersetzung mit der Mutter aller Arbeitsmarktreformen, der Agenda 2010, mit sich brachten, später ihre Tätigkeiten als Ministerin für Arbeit und Soziales und nun gar als Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit sind mehr als Beleg dafür. Doch nun hat Nahles ausgerechnet auf dem Arbeitsmarkt ein Paradoxon entdeckt, welches sie nicht so recht aufzuklären vermag. Eine Glosse von Lutz Hausstein. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Während Andrea Nahles einerseits zu viele Arbeitslose konstatierte, beklagte sich die Chefin der Bundesagentur für Arbeit [https://www.gmx.net/magazine/wirtschaft/arbeitsmarkt-paradox-deutschland-41636570] über den Mangel an Arbeitskräften. Was die Einen als eine bipolare Störung interpretieren mögen, weckt in mir eher die Erinnerung an Schrödingers Katze [https://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dingers_Katze]. Schaut man nicht in die Blackbox hinein, weiß man auch nicht mit Gewissheit, ob die Katze lebt, …, äh, … ob es wirklich keine Fachkräfte gibt. Der vielbeschworene Fachkräftemangel ist ein Mythos, der uns schon seit mehr als zwei Jahrzehnten begleitet. Er existiert bis heute in verschiedenen Erscheinungsformen: mal als Mangel an Informatikern [https://www.nachdenkseiten.de/?p=6378], mal als Mangel an MINT-Fachleuten allgemein [https://www.nachdenkseiten.de/?p=6388], dann wieder fehlten Ingenieure oder Ärzte [https://www.nachdenkseiten.de/?p=43841]. Später war der Fachkräftemangel sogar schon bei LKW-Fahrern und Friseuren [https://aktuelle-sozialpolitik.de/2021/09/19/arbeitskraeftemangel/] angekommen. Stets wurde von den Unternehmen „händeringend“ gesucht. Beispiele aus der Praxis, bei denen ausgerechnet Fachleute der jeweils gesuchten Sparte ihrerseits seit Längerem – gern ebenfalls händeringend – eine Arbeit suchten, wurden entweder komplett ignoriert oder als Einzelfälle abgetan. Der Mythos hatte Bestand: In Deutschland ist einfach kein geeignetes Personal aufzutreiben. Nun ist das aber so eine Sache mit dem fachlich geeigneten Personal. Wer entscheidet eigentlich, was eine Fachkraft ist, und nach welchen Kriterien? Die JobCenter, die der Bundesagentur für Arbeit zugehören, also dem Kompetenzbereich von Andrea Nahles, haben da eine recht einfache Einordnung: Wer länger als ein Jahr keine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle mehr hatte, verliert formal seine sämtlichen Qualifikationen. Es ist also für die JobCenter-Mitarbeiter völlig egal, ob der betreffende Arbeitslose eine Fachausbildung, ein abgeschlossenes Studium oder gar einen Doktortitel hat: Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit wird derjenige auf den Status eines Ungelernten herabgestuft. So werden mit einem Federstrich aus gut und sogar ausgezeichnet ausgebildeten Fachkräften per Deklaration Hilfsarbeiter und man kann einen Fachkräftemangel postulieren. All das könnte Andrea Nahles wissen. Würde sie die Blackbox „Fachkräftemangel“ öffnen und nur ein klein wenig genauer auf die Details schauen, würde sie verstehen, dass der proklamierte Fachkräftemangel in dieser Form nicht existiert. Damit wäre auch das vermeintliche Paradoxon vom Tisch und Erwin Schrödinger könnte sich wieder um die Existenz oder Nichtexistenz seiner bedauernswerten Katze kümmern. Titelbild: Foto-berlin.net/shutterstock.com
Vom Kampf um die Ukraine zum Wirtschaftskrieg gegen Russland
Schützengräben voller Blut, zerbombte Häuserzeilen mit zivilen Opfern, Drohnenattacken auf Infrastruktureinrichtungen weit hinter den Frontlinien und das langsame Vorrücken russischer Soldaten im Osten der Ukraine. Zwischen solchen oder ähnlichen Überschriften mäandert die Kriegsberichterstattung der Staats- und Konzernmedien. Dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann, ergänzen Ex-Generäle des Nordatlantikpaktes auf alternativen Portalen. Das Gros der Debatte widmet sich der militärischen Betrachtungsweise des russisch-ukrainischen Konfliktes. Es ist an der Zeit, auch die historischen und ökonomischen Aspekte dieses größten und heftigsten Krieges seit 1945 auf europäischem Boden in den Blick zu nehmen. Von Hannes Hofbauer. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Wir wollen mit dem Kampf um die Ukraine beginnen, dem – wie schon der Name sagt – Grenzland zwischen Ost und West. Er weist eine lange Geschichte auf. Die erste große Konfrontation spaltete die orthodoxe Bevölkerung von Polen-Litauen, die im 16. Jahrhundert vom heutigen Weißrussland im Westen bis zur Dnjepr-Insel Chortyzija bei Saporischschja im Osten lebte. Von Rom entsandte Jesuiten predigten gegen die „Ungläubigen“ des Moskauer Patriarchats und bauten jenen Druck auf, der mithilfe des polnischen Adels im Jahr 1596 zur „Union von Brest“ führte. Mit diesem Vertrag unterwarfen sich orthodoxe Priester mitsamt den ihnen anvertrauten Seelen und Kirchenhäusern dem Recht der katholischen Kirche. Die orthodoxe Liturgie durfte beibehalten werden, der Papst in Rom bestimmte aber fürderhin über Priesterschaft und Kirchengüter. Griechisch-katholisch bzw. uniert nannte man in den folgenden Jahrhunderten die Christen im Westen der späteren Ukraine. Volksaufstände gegen die polnische Herrschaft und die aufoktroyierte Kirchenunion gipfelten im Kosaken-Hetmanat des Bogdan Chmelnizkij in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Bis zur ersten modernen ukrainischen Staatlichkeit sollten noch 250 Jahre vergehen. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges überstürzten sich die Ereignisse. Die Februar-Revolution von 1917 fegte die zaristische Herrschaft hinweg, die im Westen bis an die habsburgischen Kronländer Galizien und Bukowina reichte. In Kiew bildete sich sogleich eine Zentralna Rada (Zentralrat), die am 12. Januar 1918 die „Ukrainische Volksrepublik“ als unabhängigen Staat ausrief. Einen Monat zuvor, am 12. Dezember 1917, wurde in der Arbeiterhochburg Charkow/Charkiw die Gründungsurkunde der „Ukrainischen Sowjetrepublik“ unterzeichnet. Damit standen einander Volksrepublik und Sowjetrepublik gegenüber. Beide beanspruchten eine territorial umfassende Staatlichkeit für sich. In Kiew war man bäuerlich-bürgerlich, in Charkow proletarisch-revolutionär orientiert. Dazu kam noch die bakunistisch-anarchistische Machnowschtschina, benannt nach ihrem Führer Nestor Machno, der zwischen 1917 und 1921 einen freien Rajon in der Größe von 80.000 Quadratkilometern mit sieben Millionen Einwohnern im Süden und Osten der späteren Ukraine verwaltete. Parallel zu den von Leo Trotzki als Vertreter der Sowjets geführten Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk schlossen die bereits arg in Bedrängnis geratenen Monarchien der Hohenzollern und der Habsburger am 27. Januar 1918 einen Separatfrieden mit der Kiewer Rada, den sogenannten Brotfrieden. Für die Anerkennung der bürgerlichen „Ukrainischen Volksrepublik“ verlangten Berlin und Wien Getreidelieferungen, um damit die Hungernden zu Hause ernähren zu können. Zur militärischen Absicherung dieses gegen die Sowjetrepubliken in Charkow und Donezk-Kriwoj-Rog gerichteten Separatabkommens marschierte die österreichisch-ungarische Armee bis Odessa, während die Preußen ihre Interessen von Kiew aus kontrollierten. Das Ende der deutsch bzw. österreichisch geführten Ukraine näherte sich im Juni 1920 mit dem Vormarsch der Bolschewiken. Die „Ukrainische Sowjetrepublik“ beließ vorerst ihre Hauptstadt in Charkow, erst 1934 verlieh man Kiew diesen Status. Der nächste deutsche Vorstoß kam am 22. Juni 1941. Drei Millionen Wehrmachtssoldaten überrannten die Ukraine und hinterließen verbrannte Städte und fünf Millionen Tote. Das hastig eingerichtete „Reichkommissariat Ukraine“ plante die Vernichtung großer Teile der slawischen und jüdischen Bevölkerung und deren Ersetzung durch die Ansiedlung von 20 Millionen Deutschen. Der fruchtbarste Boden Europas, die ukrainische Schwarzerde, sollte in Zukunft den deutschen „Herrenmenschen“ ernähren. Dazu wurden an vielen Stellen des Reiches Bauern zu Verwaltern von landwirtschaftlichen Gütern im Osten ausgebildet. Der Autor dieser Zeilen war mit einem solchen präsumtiven Verwalter befreundet, der als junger Bauer auf waggonweise herbeigeschaffter Schwarzerde im damals ostmärkischen Waldviertel den Anbau von Getreidesorten übte. Vier Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion endete der deutsch-nationale Traum von einem „Raum ohne Volk“ im bislang schrecklichsten Albtraum. Die Spitzen der Wehrmacht-freundlichen „Organisation ukrainischer Nationalisten“ (OUN) wie Stepan Bandera und sein Stellvertreter Jaroslaw Stezko zogen mit den deutschen Truppen ab und fanden in München politisches Asyl. Unmittelbar nach der ukrainischen Unabhängigkeitserklärung vom 24. August 1991, die vier Monate vor der Auflösung der Sowjetunion ohne Volksbefragung erfolgte, begann die nächste Runde im Kampf um die Ukraine. Auch diesmal ging es, wie 400 Jahre zuvor, anfangs um die religiös-kulturelle Orientierung und die dazugehörige Hardware, die Kirchenhäuser. Die in der Sowjetunion verbotenen und in den Untergrund getriebenen griechisch-katholischen Kleriker kehrten mit Unterstützung der Benediktiner des Wiener Schottenstiftes auf das Feld Gottes zurück – und kämpften im Westen der Ukraine um materielle Pfründe und menschliche Seelen. Anlässlich des 89. Ökumenischen Symposiums der Kirchenstiftung Pro Oriente, die sich vor allem um die Heimholung östlicher, orthodoxer Gläubiger ins römische Papstreich kümmert, fand eine denkwürdige Konfrontation zwischen Moskauer und römischen Kirchenfürsten statt. Die Veranstaltung, an der im Juni 1998 Hunderte Honoratioren und politisch einflussreiche Persönlichkeiten in den Räumen der Wiener Akademie der Wissenschaften teilnahmen, stand unter dem Titel „Orthodoxe und Griechisch-Katholische in der Westukraine“. Zwei Stunden lang warfen Bischof Avhustin vom Moskauer Patriarchat aus Lwiw/Lwow und der griechisch-katholische Auxiliar Lubomir Husar einander gegenseitigen Mord und Totschlag vor. Die Wiedervereinnahmung der Kirchenhäuser in den römisch-westlichen Orbit forderte ihre Opfer. 20 Jahre später, während der orangenen Revolution am Kiewer Maidan im Herbst 2004, brüstete sich die rechtsradikale Partei Swoboda auf ihrer Homepage damit, schon beim Kirchenkampf der 1990er-Jahre gegen die „Moskowiter“ aktiv gewesen zu sein. Im Winter 2004/2005 wurde der west-östliche Kampf um die Ukraine rund um die Präsidentenwahlen ausgetragen. In der Stichwahl zwischen Wiktor Janukowitsch und Wiktor Juschtschenko obsiegte Ersterer mit 49,4 Prozent gegenüber 46,7 Prozent. Verlierer Juschtschenko galt als Mann des Westens, während Janukowitsch auf die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit Russland setzte. Straßenproteste mit Zigtausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern forderten die Wiederholung der Stichwahl, weil Nachwahlbefragungen ein anderes Resultat ergeben hatten und Manipulationen während des Wahlvorgangs vermutet wurden. Vom Westen ausgebildete und über die Konrad-Adenauer-Stiftung und die von George Soros gegründete Open Society Foundation finanzierte NGOs radikalisierten den Protest, damals angeführt von den gewaltbereiten Nationalisten der Gruppe „Pora!“ („Es ist Zeit!“). Tatsächlich kam es am 26. Dezember 2004 zu einer Wiederholung der Stichwahl, die nun Juschtschenko mit 54 Prozent gegen 46 Prozent für sich entschied. Brüssel und Washington konnten sich am Sieg ihres Kandidaten indes nicht lange erfreuen. Im Machtkampf um die Führung zwischen Präsident Juschtschenko und Ministerpräsidentin Julija Timoschenko zerrieb sich das westliche Lager. Jedem Beobachter, der in den Jahren nach der Unabhängigkeitserklärung die Ukraine bereiste und sich nicht nur in den westlichen, ehemals habsburgischen Oblasten aufhielt, musste die extreme Spaltung des Landes aufgefallen sein. Die Ukraine war (und ist) ein vielfach geteiltes Land: wirtschaftlich in einen agrarischen Westen und einen industriellen Osten sowie kulturell und historisch in einen griechisch-katholischen Westen und einen orthodoxen Osten und Süden. Politisch zeigt sich diese Zerrissenheit bei den Wahlen. Die von Janukowitsch letztlich gewonnenen Präsidentschaftswahlen 2010, die letzten vor den seit 2014 anhaltenden militärischen Konfrontationen, geben ein Zeugnis dieser Teilung ab. Während im Westen in den Bezirken Lwiw und Iwano-Frankiwsk die europäisch orientierte Timoschenko auf 86 bis 88 Prozent der Stimmen kam, siegte Janukowitsch auf der Krim und im Donbass mit 89 bzw. 90 Prozent. Kein Land der Welt kann eine solche politische Zerrissenheit langfristig überleben. Brüssels Vormarsch Die vielfach unterschätzte, wenn nicht sogar ignorierte Rolle der Europäischen Union bei der Einkreisung Russlands begann spätestens im Jahr 2008. Nur ein Jahr nach dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien trafen sich die europäischen Außenminister am 28. Mai 2008 und setzten den vom Schweden Carl Bildt und dem Polen Radosław Sikorski ausgeheckten Plan zur fortgesetzten Osterweitung auf Schiene. Mit der sogenannten „Östlichen Partnerschaft“ sollten sechs ex-sowjetische Republiken ökonomisch und militärisch an die Brüsseler Union angebunden werden, ohne ihnen eine direkte Mitgliedschaft anzubieten. Dafür auserkoren waren Georgien, Moldawien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus und die Ukraine. De facto war dies ein militärisch abzusicherndes Freihandelsangebot, um die sechs Staaten aus dem russischen Einfluss herauszulösen und sie für westeuropäisches Kapital zu öffnen. Die entsprechenden Schlagworte lauteten: institution building, energy security und economic integration. Auf verständlicheres Deutsch wären diese Programmpunkte mit Schaffung einer EU-kompatiblen Administration, Abnabelung von russischer Energie und Marktöffnung für EU-Konzerne zu übersetzen. Belarus und Aserbaidschan sahen sich aus innenpolitischen Gründen bald in der zweiten Reihe, für die übrigen vier Staaten sollte im November 2013 ein sogenanntes Assoziierungsabkommen am EU-Gipfel von Vilnius unterzeichnet werden. Der Kreml war allerdings in der Zwischenzeit nicht säumig gewesen. Seine Emissäre, allen voran der Ökonom Sergej Glasjew, zogen mit Zuckerbrot und Peitsche durch die von Brüssel ins Visier genommenen Republiken. Armenien und die Ukraine konnten im letzten Moment – nicht zuletzt über den Energiepreis – überzeugt werden, das EU-Angebot abzulehnen. Nur Georgien und Moldawien unterschrieben die Vereinbarung. Der Gipfel von Vilnius endete somit in einem Debakel; einzig jene zwei Republiken, deren Regierungen nicht über ihr gesamtes Staatsterritorium herrschten (Abchasien, Südossetien und Transnistrien standen und stehen bis heute nicht unter der Kontrolle von Tiflis bzw. Chișinău), unterschrieben die Abkommen. Insbesondere das Njet des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch schmerzte Brüssel. Kommissionspräsident José Barroso akzeptierte das ukrainische Nein nicht und setzte auf die Straße, wo anfänglicher Studentenprotest rasch von rechtsradikalen Kräften unterwandert wurde. Gemeinsam mit EU-Außenministern wie Guido Westerwelle gingen die Maidan-Kräfte im Dezember 2013 daran, die unter den Bürgern verbreitete Unzufriedenheit zu instrumentalisieren. Die Folgen sind bekannt: Janukowitsch wurde verfassungswidrig aus dem Amt vertrieben, die Ukraine zerfiel als Staat. Die Krim schloss sich der Russländischen Föderation an, die Anti-Maidan-Kräfte im Donbass gründeten die Donezker und Luhansker Volksrepubliken, und die neue, mit bedeutsamer westlicher Hilfe an die Macht gespülte Regierung in Kiew begann einen Bürgerkrieg gegen die Sezessionisten im Osten. Slowjansk war die erste Stadt im Donbass, die am 2. Mai 2014 aus der Luft von Kiewer Militäreinheiten angegriffen wurde. Mit dem Regimewechsel vom Februar 2014 war es den USA – unter der Federführung der Sondergesandten Viktoria Nuland – gelungen, Brüssel als Drahtzieher für das weitere Schicksal der (Rest-)Ukraine abzulösen. Gemeinsam entwickelten Washington und Brüssel im März 2014 die Grundlagen für eine seit damals immer umfassender werdende Sanktionspolitik gegen Russland, die in der Geschichte beispiellos ist. Längst ist sie zu einem veritablen Wirtschaftskrieg ausgewachsen. Wirtschaftskrieg gegen Russland Dass es von Anfang an auf dem Kiewer Maidan nicht um Demokratie, sondern gegen Russland ging, darauf machte der alte US-Haudegen, Vietnamkriegsveteran und republikanische US-Senator John McCain aufmerksam. Anlässlich eines Besuchs in Kiew während der Maidan-Proteste im Dezember 2013 meinte er: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Ukraine von vitalem Interesse für Putin ist. Ich denke, es war Kissinger – bin aber nicht sicher –, der sagte, Russland ohne Ukraine ist eine östliche Macht, mit der Ukraine eine westliche Macht. Hier beginnt Russland, genau hier in Kiew.“ McCain hätte auch den langjährigen Präsidentenberater Zbigniew Brzeziński zitieren können, der schon im Jahr 1994 meinte: „Ohne die Ukraine wird Russland nie wieder eine Weltmacht werden.“ Um die Zurückdrängung Russlands ging es. Deshalb standen in der Protestbewegung Rechtsliberale und Faschisten aus der Ukraine Seite an Seite mit den höchsten Diplomaten aus Deutschland, Polen, Schweden und den USA im Kiewer Kampfgeschehen. McCain war nicht der Einzige, der wusste, was er tat, als er den Kämpfern vom Maidan Mut zusprach. Mit dem 6. März 2014 begann, transatlantisch abgesprochen, das Sanktionsregime gegen russische Personen und – kurz darauf – gegen russische Unternehmen und ganze Branchen. Anfangs landeten Menschen, denen Washington und Brüssel vorwarfen, gegen Maidan-ukrainische Interessen zu handeln oder für die Abspaltung der Krim verantwortlich zu sein, auf schwarzen Listen. Sergej Glasjew war einer der ersten, die der Bannstrahl traf. Ihn hatte der Kreml ausgesandt, um ex-sowjetische Republiken bei der russischen Stange zu halten. Auch weniger politisch exponierte Figuren wie beispielsweise der bekannte russische Sänger Iossif Kobson wurden sanktioniert. Er hatte im Oktober 2014 in Donezk, seiner Heimat, ein Konzert gegeben. Brüssel setzte ihn deswegen auf die schwarze Liste. Sanktioniert zu sein, bedeutete Einreiseverbot und Vermögensentzug in der gesamten EU. Mittlerweile verloren Hunderte Oligarchen auf diese Weise den Zugriff auf ihre Unternehmen, Immobilien, Jachten und einer sogar seinen britischen Fußballklub „Chelsea“. EU-Konzerne profitierten davon, konnten sie sich doch mithilfe der Sanktionen lästige Konkurrenz vom Hals schaffen. Die ersten russischen Unternehmen, denen Brüssel und Washington die Märkte sperrten, waren Dual-Use-Güter-Produzenten und einzelne Banken, denen eine Nähe zum Kreml vorgeworfen wurde. Bald darauf waren es ganze Branchen, die mit Sanktionen belegt wurden. Dass sich diese Politik nicht nur auf Russland, sondern auch auf die Volkswirtschaften sanktionierender Länder auswirkte, zeigt ein Blick in die Außenhandelsstatistik des Jahres 2013, dem letzten Jahr, bevor die Sanktionsmaschine angeworfen wurde. Damals nahmen die EU-Staaten 51 Prozent der russischen Exporte ab und waren für 36 Prozent der russischen Importe zuständig. Die Vergleichszahlen für die USA lauteten: 2,5 Prozent bzw. 4,8 Prozent. In anderen Worten: Die mit der Sanktionspolitik angestrebte Schädigung Russlands hatte dies- und jenseits des Atlantiks total unterschiedliche Auswirkungen. Während die US-Wirtschaft davon fast unberührt blieb, schnitt sich die Europäische Union damit tief ins eigene Fleisch. Man könnte sich auch mit der Interpretation anfreunden, dass die von den USA betriebenen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen Russland willentlich europäischen Volkswirtschaften Schaden zufügen sollten. Augenfällig ist dies spätestens am 26. September 2022 geworden, als die energetische Nabelschnur zwischen Russland und Deutschland, die Nord-Stream-Pipeline, gesprengt wurde. Während anfangs vor allem Russland und eine Reihe von Staaten der EU unter den Sanktionen litten, profitierten die USA … und China. Dies verschärfte sich noch durch russische Gegensanktionen, die Moskau ab August 2014 gegen „unfreundliche Staaten“ und deren Unternehmen in Gang setzte. Begonnen haben diese mit Importverboten von Agrargütern, womit polnische Äpfel, französischer Käse, holländische Milch und italienische Orangen vom russischen Markt ferngehalten wurden. An ihrer Stelle profitierten russische und türkische Bauern, Schweizer und belarussische Molkereien sowie marokkanische Exporteure. Der große Paukenschlag kam am 26. Februar 2022, zwei Tage nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Mit dem Einfrieren von 300 Milliarden russischer Zentralbankgelder im gesamten Dollar- und Euro-Raum war eine neue Qualität im Sanktionsreigen geschaffen. Der Ausbruch des bislang in der Weltgeschichte heftigsten Wirtschaftskrieges kann mit diesem Tag datiert werden. Zeitgleich wurden russische Banken vom SWIFT-System und damit vom Dollar-kontrollierten internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Auch bei den Zahlungsmitteln ist, wie im Außenhandel, die unterschiedliche Betroffenheit von USA und EU durch die Sanktionspolitik beachtenswert. Während die Europäische Union 191 Milliarden US-Dollar an russischen Werten sperrte, sind es in den USA vergleichsweise läppische sechs Milliarden US-Dollar. Washington tut sich also um ein Vielfaches leichter bei der Debatte, wie weiter mit den eingefrorenen Geldern verfahren werden soll. In EU-Europa wurde bereits damit begonnen, sich das Vermögen der russischen Zentralbank – mithin russisches Volksvermögen – anzueignen. Im Mai 2024 gab die EU-Kommission grünes Licht, die Zinsen der russischen Einlagen – 30 Milliarden US-Dollar – zu kassieren und die ersten Tranchen davon an die Ukraine, genauer: über den Umweg Kiews an Rheinmetall zu überweisen. Im Rechtsstaat würde man diesen Vorgang, sich Zinsen der Geldeinlagen des jeweiligen Besitzers anzueignen, Diebstahl nennen. Brüssel hat – ohne hörbaren Widerstand aus den EU-Mitgliedsstaaten – genau dies getan. Um das gesamte Kapital der in der EU festgesetzten russischen Zentralbankgelder zu beschlagnahmen, wird seit mehr als einem Jahr heftig gestritten. Der bislang letzte, abenteuerlich anmutende Vorschlag der EU-Kommission, den auch Deutschlands Kanzler unterstützt, will die 191 Milliarden US-Dollar als Sicherheit für einen Kredit vergeben, der auf dem Kapitalmarkt aufgenommen wird, um selbigen an Kiew weiterzuleiten. Dieser Trick hat etwas Infantiles an sich. Denn um in Zukunft nicht für den Ausfall des Kredites haftbar gemacht werden zu können, stellt sich Ursula von der Leyen vor, Russland nach der herbeigesehnten Niederlage zu zwingen, auf die 191 Milliarden Zentralbankgelder im Rahmen von Entschädigungszahlungen zu verzichten. Sollte Russland dem nicht zustimmen oder gar den Krieg gewinnen, dann wären die EU sowie ihre Mitgliedsstaaten – allen voran Belgien, weil dort die russischen Zentralbankgelder liegen – haftbar. Ein stümperhafter Versuch von der Leyens, die Europäische Zentralbank in die Haftung miteinzubeziehen, scheiterte kläglich. Dort will sich niemand damit die Finger verbrennen, gestohlene Vermögenswerte zu besichern. Dies schon deshalb, weil eine Beschlagnahmung von Staatsvermögen durch fremde Gerichte verboten ist. Bereits im Mai 1972 regelte das „Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität“ den Schutz von Vermögen ausländischer Staaten. Es heißt dort unmissverständlich: > „Die Staatenimmunität entzieht den Staat der Strafverfolgung durch die Gerichte anderer Saaten und schützt ihn vor der Zwangsvollstreckung seiner Guthaben und Vermögenswerte.“ Im Ausland befindliches Staatseigentum ist also vor dem Zugriff von Gerichten geschützt. Dazu kommt noch der immense internationale Vertrauensverlust in die Euro-Zone, der durch den Diebstahl russischen Vermögens per politischem EU-Beschluss stattfinden würde. Im Dezember 2025 hält die Europäische Union beim 19. Sanktionspaket gegen Russland und russische Unternehmen. Tatsächlich ist der wirtschaftliche – sowie der politische, sportliche, mediale, gesellschaftliche und kulturelle – Austausch mit dem großen Nachbarn im Osten auf nahezu null gesunken. Mit Stichtag 15. Dezember 2025 stehen über 2.700 Personen und Organisationen auf den schwarzen Listen Brüssels. Eine von unabhängiger Stelle veröffentlichte Quantifizierung der wirtschaftlichen Verluste Europas durch die EU-Sanktionen existiert nicht. Brüssel und Berlin halten sich diesbezüglich bedeckt. Das ist weiter nicht verwunderlich, würden doch die blanken Zahlen für jeden und jede ersichtlich machen, was er oder sie Woche für Woche an den steigenden Energiekosten und der Inflation zu spüren bekommt. Das russische Außenministerium veröffentlichte Anfang Dezember 2025 anlässlich einer UN-Sitzung die Zahl von 1,6 Billionen Euro – in Ziffern: 1.600.000.000.000 –, die den europäischen Unternehmen und Haushalten zwischen 2022 und 2025 durch die eigene Sanktionspolitik entzogen wurden. Die Zahl ist mit Vorsicht zu genießen. Angesichts der Tatsache, dass – laut Berechnungen von „Eurostat“ – allein die Erhöhung der Gaspreise seit 2022 mit 200 Milliarden Euro zu Buche schlägt, scheint die Berechnung des russischen Außenministeriums jedoch nicht ganz unrealistisch zu sein. Jedes der mittlerweile 19 Pakete beinhaltet neuen Sprengstoff im Kampf gegen Moskau. So erließ Brüssel im 9. Paket vom Dezember 2022 ein allgemeines Verbreitungsverbot für russisch finanzierte Medien, mithin eine EU-weite Zensurmaßnahme gegen russische Narrative die Weltlage betreffend. Nur drei Staaten in Europa beteiligen sich nicht daran: Serbien, die Schweiz und Belarus. Das 11. Sanktionspaket vom Juni 2023 barg eine neue Eskalationsstufe. Was bis dahin von EU-europäischen und deutschen Politikern heftig an US-Sanktionen kritisiert worden war, nämlich die sogenannte extraterritoriale Sanktion, wird seither auch von Brüssel betrieben. Damit landen chinesische, türkische oder kasachische Unternehmen auf schwarzen Listen, wenn sie im Verdacht stehen, EU-Sanktionen gegen Russland zu umgehen. Extraterritoriale Sanktionen stehen nicht zu Unrecht im Geruch, mit kolonialer Attitüde eigene Gesetze auf Drittstaaten und dortige Unternehmen überzustülpen. Der chinesische Geschäftsmann Lin Zhongheng mit seiner Shenzhen Biguang Trading Co. Ltd. ist nur einer von vielen nicht-russischen Opfern EU-europäischer wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen. Die Sanktionspakete 15 und 17 vom Dezember 2024 bzw. vom Mai 2025 widmeten sich der sogenannten russischen Schattenflotte. Diese geschätzten 800 Tanker, die unter verschiedensten Flaggen die Weltmeere durchpflügen, transportieren russisches Erdöl. Weil Brüssel sich anmaßt, den Energie-Weltmarkt kontrollieren und seine Sanktionspolitik allen Erdölhändlern und Importeuren auf der Welt aufzwingen zu wollen, nahm sie die Tanker ins Visier. Bislang landeten ca. 350 von ihnen auf der Sanktionsliste, was immer wieder dazu führt, dass sich baltische Staaten oder auch Frankreich dazu ermutigt fühlen, die Öl-Kolosse auf offener See aufzubringen und in ihre Häfen zu verschleppen. So war beispielsweise Anfang Oktober 2025 der Tanker „Boracay“ vor einer bretonischen Insel von der französischen Marine gestoppt worden. Er stand auf der EU-Sanktionsliste und war gerade dabei, russisches Erdöl nach Indien zu transportieren. Der Verdacht, die Mannschaft würde Drohnen-Attacken gegen Frankreich und Dänemark durchführen, konnte nicht erhärtet werden. Der Kapitän wurde festgenommen. Erst nach Wochen konnte die „Boracay“ ihre Fahrt fortsetzen. Mitte Mai 2025 kam es aus ähnlichem Grund vor der Küste Estlands zu einem Zwischenfall, bei dem auch russische Kampfjets beteiligt waren. Sie begleiteten den Tanker „Jaguar“ auf seinem Weg in den russischen Ostseehafen Ust-Luga. Als die estnische Marine den Tanker zwecks Inspektion kapern wollte, griff die russische Luftwaffe – ohne zu schießen – ein und verhinderte dies. Gerade in der Ostsee, wo der Streit um Seemeilengrenzen von Hoheitsgewässern zwischen Estland und Russland tobt, könnte der Wirtschaftskrieg leicht zu einem Schießkrieg zwischen NATO und Russland eskalieren. EU-Bürger auf EU-Sanktionslisten Im Wirtschaftskrieg gegen Russland beschränkten sich EU-Rat und -Kommission die längste Zeit auf russische Unternehmen und Personen, fallweise landeten auch missliebige ukrainische Oligarchen auf der schwarzen Liste. Das mag für die Betroffenen hart und verlustreich sein, betrifft aber in so gut wie allen Fällen nicht den Lebensmittelpunkt des einzelnen Menschen oder die Firmenzentrale der Kapitalgesellschaft, die sich überwiegend in Russland befinden. Mit dem 21. Juli 2022 änderte sich das. An diesem Tag veröffentlichte Brüssel das 7. Sanktionspaket, in dem u.a. der Handel mit russischem Gold unter Strafe gestellt wurde. Bedeutsamer war jedoch, dass mit diesem 7. Paket das erste Mal ein EU-europäischer Staatsbürger auf der EU-Sanktionsliste erschien. Der Mann heißt Jozef Hambálek, ist Slowake und war Europa-Präsident des russischen Motorrad-Klubs „Nachtwölfe“. Weil Brüssel die „Nachtwölfe“ verdächtigte, Ausbildung für Soldaten im Krieg gegen die Ukraine zu betreiben, sanktionierte es seine führenden Exponenten. Für Hambálek bedeutete dies die vollkommende Entrechtung. Die slowakischen Behörden erklärten seinen Pass für ungültig, sein Konto wurde gesperrt, die Vermögenswerte eingezogen. All dies geschah ohne eine gerichtliche Vorladung, ja ohne formelle Anklage, freilich auch ohne Verteidigung oder Schuldspruch … und erinnert ein wenig an die Praxis der mittelalterlichen Ächtung. Nach dem Wahlsieg von „Smer“ im Dezember 2023 setzte sich der neue slowakische Ministerpräsent Robert Fico für Hambálek ein, betonte bei jedem Treffen mit von der Leyen oder Olaf Scholz, dass er nicht verstünde, warum der slowakische Bürger auf einer EU-Sanktionsliste auftaucht, nur „weil er Motorrad fahre“ – so der Originalton –, und erreichte tatsächlich am 13. März 2024, dass Hambálek von der Sanktionsliste gestrichen wurde. Anders als Fico reagierte dann drei Jahre später Friedrich Merz auf die Tatsache, dass mit dem 17. Sanktionspaket vom 20. Mai 2025 drei deutsche Staatsbürger EU-europäisch gelistet wurden. Alina Lipp, Thomas Röper und Hüseyin Doğru waren damit von einem Tag auf den anderen all ihrer Bürgerrechte beraubt; und dies mit der fadenscheinigen Begründung, sie hätten mit ihrer journalistischen Arbeit „Handlungen der Regierung der Russischen Föderation (unterstützt), die die Stabilität und Sicherheit in der Union und in einem oder mehrerer ihrer Mitgliedstaaten untergraben und bedrohen“, wie es im Beschluss des Rates wörtlich heißt. Merz – konträr zu Fico – kümmert sich nicht um seine Staatsbürger, eher noch besteht der Verdacht, dass die Listung der drei Deutschen auf Zuruf Berlins erfolgte. Von Hannes Hofbauer ist zum Thema erschienen: „Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland.“ (Promedia Verlag, Wien) Titelbild: OSORIOartist / Shutterstock Mehr zum Thema: „Schießkrieg und Wirtschaftskrieg hängen eng zusammen“ – Wirtschaftshistoriker Hannes Hofbauer über Sanktionen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134012] Wirtschaft in Osteuropa: Verfestigte Bruchlinien [https://www.nachdenkseiten.de/?p=141029] Der Kampf um die Ostsee: Wie der Westen Russland den Meerzugang sperren will [https://www.nachdenkseiten.de/?p=126866] Hannes Hofbauer: „Es ist dystopisch“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=72026] [http://vg04.met.vgwort.de/na/8c9720d1737245ac997bd3417f5530da]
Die unerträgliche Eitelkeit des Außenministers: Wadephul gibt Anweisung, weltweit sein Porträt aufzuhängen
Außenminister Johann Wadephul hat mittels einer internen Anweisung die über 200 deutschen Auslandsvertretungen dazu verpflichtet, zukünftig ein Porträtbild von ihm aufzuhängen. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie der Minister diese Art von Personenkult, die man sonst vornehmlich von Staaten kennt, die die Bundesregierung gerne als autoritär bezeichnet, rechtfertigt und was diese Maßnahmen den Steuerzahler kosten werden. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Hintergrund Das Auswärtige Amt unterhält derzeit 154 Botschaften, 57 Konsulate und 12 Ständige Vertretungen bei internationalen Organisationen. Bisher war es seit Gründung der BRD üblich, dass in den deutschen Auslandsvertretungen lediglich ein Porträt des jeweils amtierenden Bundespräsidenten, als formell höchstem Amtsträger der Bundesrepublik, hängt. Doch das soll sich jetzt ändern. Außenminister Wadephul will, dass zukünftig auch sein Porträtfoto die Wände in den über 200 deutschen Auslandsvertretungen schmückt. Als Begründung wird vorgebracht, dies solle dazu dienen, die Auslandsvertretungen und die Berliner Zentrale des Auswärtigen Amtes besser miteinander zu vernetzen. Laut Informationen [https://table.media/berlin/news/wadephul-foto-in-allen-auslandsvertretungen-aussenminister-irritiert-mit-anweisung] von Table.Briefings soll die Anweisung in zahlreichen Botschaften für Irritationen gesorgt haben und viele Diplomaten würden sich fragen, ob diese Maßnahme wirklich dazu angetan ist, die Verbindung zwischen Auslandsvertretung und Zentrale zu stärken und „und was wohl los wäre, wenn Annalena Baerbock sich das getraut hätte“. Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 10. Dezember 2025 Frage Warweg Eine aktuelle Anweisung von Außenminister Wadephul verpflichtet, alle Botschaften und Konsulate zukünftig ein Porträtbild von ihm aufzuhängen. Herr Giese, wie rechtfertigt der Herr Minister diese Art von Personenkult, die man sonst vornehmlich von Staaten kennt, die hier im Saal eher als autoritär bezeichnet werden? Giese (AA) Das weise ich zurück. Ich glaube, Fotos von Ministerinnen und Ministern aufzuhängen ist keine Eigenheit von autoritären Staaten; vielmehr macht das die Bundesregierung ganz genauso. Das bedarf keiner Rechtfertigung. Der Außenminister ist der Dienstvorgesetzte, und deswegen ist es auch eine vollkommene Normalität, dass da auch ein Foto von ihm zu sehen ist. Zusatzfrage Warweg So eine Normalität ist das nicht; denn alle Vorgänger von ihm seit 1949 haben das so nicht gehandhabt. Meines Wissens unterhält die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt derzeit 154 Botschaften, 57 Konsulate und 12 Ständige Vertretungen bei internationalen Organisationen. Wie hoch sind die antizipierten Kosten dieses Sonderwunsches des Außenministers nach Präsenz seines Porträts in über 200 deutschen Auslandsvertretungen? Giese (AA) Es geht darum, ein Foto auszudrucken und aufzuhängen. Das werden keine hohen Kosten sein. Die genauen Zahlen müsste ich Ihnen nachliefern. Zusatzfrage Warweg Das hängt ja auch davon, ob ein Platinrahmen oder ein Goldrahmen verwendet wird. – Das heißt, die Kosten können Sie derzeit noch nicht nennen? Giese (AA) Die würde ich Ihnen zu gegebener Zeit übermitteln. Die Zahl der Auslandsvertretungen haben Sie ja bereits genannt. Das Ausrollen der ganzen Sache wird wahrscheinlich auch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Bis die Fotos dann auch entwickelt sind, muss man ja manchmal ein bisschen warten. Wenn das alles fertig ist, kann ich Ihnen gerne sagen, was das kostet. Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 10.12.2025 Mehr zum Thema: „Hat es nicht gegeben …“ – Desinformation von Außenminister Wadephul gegenüber dem Bundestag [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134374] Geplatzter China-Besuch von Außenminister Wadephul: Arroganz oder peinlicher Planungsfehler? [https://www.nachdenkseiten.de/?p=142266] Außenminister Wadephul besucht Westbalkan: NATO-Bombardierung von Serbien 1999 war nicht völkerrechtswidrig [https://www.nachdenkseiten.de/?p=142308] Offener Brief von EU-Abgeordneten an Wadephul: Israel muss medizinische Hilfsgüter nach Gaza lassen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=143291] [https://vg04.met.vgwort.de/na/f65ec5c5f6044affaadab51f40e3561b]
Elige tu suscripción
Premium
20 horas de audiolibros
Podcasts solo en Podimo
Podcast gratuitos
Cancela cuando quieras
Disfruta 30 días gratis
Después 4,99 € / month
Premium Plus
100 horas de audiolibros
Podcasts solo en Podimo
Podcast gratuitos
Cancela cuando quieras
Disfruta 30 días gratis
Después 9,99 € / month
Disfruta 30 días gratis. 4,99 € / mes después de la prueba. Cancela cuando quieras.