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Was steckt hinter den steigenden Zahlen bei politisch motivierter Kriminalität?

Staatlich gefördertes Denunziantentum, extremer Anstieg der politisch motivierten Kriminalität oder verbesserte Verfolgung von Straftaten im Internet aufgrund staatlicher Meldestellen? Die Präsentation der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität durch Innenminister Dobrindt und BKA-Chef Münch wirft bei näherem Hinsehen einige Fragen auf. Werden die vermeintlich gestiegenen Fallzahlen letztendlich politisch instrumentalisiert, um eine weitreichendere Überwachung im Internet und im öffentlichen Raum durchzusetzen? Oder wird damit am Ende sogar die Bekämpfung der politischen Opposition gerechtfertigt? Von Karsten Montag. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Am 20. Mai stellte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) [https://www.youtube.com/watch?v=pHaLRpxSL6M] eine Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) [https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKZahlen2024/PMKZahlen2024_node.html] zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) vor. Die PMK sei 2024 „extrem“ auf über 84.000 Fälle angestiegen. Es handele sich um einen Höchststand. Die Entwicklung unterstreiche „einmal mehr den dringenden Bedarf einer gemeinsamen Sicherheitsoffensive von Bund und Ländern“. Dobrindt verdeutlichte den Anstieg mithilfe eines Diagramms, in dem die Anzahl der politisch motivierten Straftaten seit 2015 dargestellt wird. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-01.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-01.jpg Abbildung 1: Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität, Datenquelle: Bundeskriminalamt [https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/pmk_node.html] „Einige Besonderheiten“, die jedoch nicht zur Relativierung beitragen sollen, hätten zu diesem Anstieg beigetragen, erläuterte der Innenminister. So hätten im Jahr 2024 die Europawahl, drei Landtagswahlen und neun Kommunalwahlen stattgefunden. Dies würde jedoch nicht im Ansatz die Gesamtsteigerung erklären, denn diese sei getrieben durch die „Polarisierung“ der Gesellschaft. Im Jahr 2024 sei die „PMK rechts“ der größte Phänomenbereich gewesen. Deswegen werde man „den Kampf gegen den Rechtsextremismus und von rechts motivierten Straftaten“ weiter fortsetzen. Auch die „PMK links“ sei nach wie vor „sehr ausgeprägt“. Daher werde die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern „eine Strategie zur konsequenten Verfolgung und Bekämpfung linksextremistisch motivierter Straftaten und Strukturen“ entwickeln. Auch im Bereich der religiösen und ausländischen Ideologie der PMK habe es einen „erheblichen“ Anstieg gegeben, der sich größtenteils aus dem Nahostkonflikt und dem „Terror der Hamas“ erkläre. „Größte Sorgen“ würde jedoch der steigende Antisemitismus auslösen. Gegen die Phänomene der politisch motivierten Kriminalität wolle die Bundesregierung mit einer „Doppelstrategie“ vorgehen. Einerseits soll die Polizei „mehr Kompetenzen“ erhalten, insbesondere hinsichtlich der IP-Adressenspeicherung und der Videoüberwachung. Andererseits soll die Mindeststrafe für tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte von drei auf sechs Monate angehoben werden. Zudem sei Dobrindt „sehr“ für eine „Regelausweisung“ bei Verurteilung zur Freiheitsstrafe wegen antisemitisch motivierter Straftaten. BKA-Präsident Holger Münch machte zusätzlich darauf aufmerksam, dass der Anstieg der PMK 2024 im Vergleich zum Vorjahr 40 Prozent oder 24.000 Fälle betrage. Das sei ein Ausdruck der „zunehmenden Radikalisierung und Polarisierung“ sowie ein „Angriff auf die Demokratie“. Ohne Zahlen zu nennen, wies Münch zudem auf „hybride“ Angriffe russischer Geheimdienste hin und sprach in diesem Kontext von einer „Zeitenwende“ in der inneren Sicherheit. Weder Dobrindt noch Münch wiesen in ihrer Präsentation darauf hin, was der eigentliche Grund für die Steigerung der PMK hauptsächlich war. Erst auf Nachfragen von Journalisten äußerte der BKA-Präsident, dass man einen „sehr starken Anstieg“ bei den „Straftaten über das Internet“ verzeichnet habe. Das „Dunkelfeld“ werde dabei kleiner. Allein 3.000 Fälle mehr seien über die „zentrale Meldestelle für Internetkriminalität“ gelaufen, „die gerne auch in der Statistik“ landeten. Diese Andeutungen geben zumindest einen Hinweis darauf, was die hohen Fallzahlen tatsächlich ausgelöst hat. Straftaten im Internet und Sachbeschädigungen Hauptauslöser der hohen Zahlen Eine genauere Untersuchung der PMK-Statistik fördert zutage, dass die Anzahl der politisch motivierten Gewalttaten in den letzten 14 Jahren zwischen 2.400 und 4.400 Fällen pro Jahr schwankte – mit dem Höhepunkt im Jahr 2015. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-02.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-02.jpg Abbildung 2: Politisch motivierte Kriminalität, ausgewählte Phänomenbereiche, Datenquelle: Bundeskriminalamt [https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/pmk_node.html] Deutliche Steigerungen gab es hingegen bei Straftaten im Internet sowie bei Sachbeschädigungen. Unter strafrechtliche Gewalt fallen laut der Polizei Brandenburg [https://polizei.brandenburg.de/seite/was-ist-gewalt-/5418291] Körperverletzungen, Bedrohungen, Nötigungen, Erpressungen, Raubdelikte, Beleidigungen und Mobbing. Unter politisch motivierte Straftaten im Internet [https://hateaid.org/straftaten-im-netz/] fallen Bedrohung, Beleidigung, Cybergrooming, Cyberstalking, Doxxing, Erpressung, Nötigung, üble Nachrede, Verletzung der Ehre, Verleumdung und Volksverhetzung. Zu politisch motivierten Sachbeschädigungen zählen laut einer Information der Polizei Chemnitz [https://www.dienstleistungsportal-chemnitz.de/dienstleistungsportal/print.itl?id=b101d01d-445e-4989-8b91-ea5d1f6a8249] das „Aufbringen von Aufklebern, Schmierereien, Graffiti und Parolen an Sachen, die sich in fremden [sic] Eigentum befinden“. Da es bei den Gewalttaten und den Straftaten im Internet Überschneidungen gibt und in der PMK-Statistik Mehrfachnennungen möglich sind, ist davon auszugehen, dass die Steigerung im Bereich Internet ausschließlich auf Straftaten beruht, die nicht als Gewalttaten gewertet werden. Es stellt sich daher die zentrale Frage, ob es tatsächlich zu einer Steigerung der politisch motivierten Kriminalität gekommen ist oder ob es einfach nur mehr Anzeigen gibt. Diese Frage lässt sich anhand der Daten nicht beantworten. Trotzdem ist beides möglich, und das Betreiben und die Förderung von Meldeportalen im Netz deuten darauf hin, dass eine Steigerung der Anzeigen durchaus staatlich gewollt ist. Erinnerungen an Corona werden wach Kritiker der Corona-Maßnahmen wiesen während der Corona-Krise darauf hin, dass man mit einer willkürlichen Steigerung der Corona-Tests von Menschen ohne Symptome die politisch festgelegte Grenze einer gewissen Anzahl von Infizierten je 100.000 Einwohner erreichen konnte, ohne dass eine echte Gefahrenlage vorlag. Berechnungen des Mathematikers Klaus Pfaffelmoser zufolge [https://multipolar-magazin.de/artikel/warum-die-pandemie-nicht-endet] reichte ab einer Anzahl von 2.500 Tests je 100.000 Einwohnern allein die Anzahl der falsch positiv Getesteten aus, um auf 35 Infizierte pro 100.000 Einwohner zu kommen. Dies war zum damaligen Zeitpunkt die Grenze, ab der rigorose Maßnahmen verordnet wurden. Selbst der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn gab zu [https://www.youtube.com/watch?v=Ej2fv0txfQU], dass ohne ein Ende der Tests die „Pandemie“ nie aufhören würde. Zwar kann man die Meldung politisch motivierter Kriminalität im Netz oder in Form von Sachbeschädigungen nicht wie die Durchführung von Corona-Tests anordnen. Doch die Politik kann eine Agenda setzen, welche die Bevölkerung beispielsweise für den Phänomenbereich „Hasskriminalität“ sensibilisiert, sowie ein entsprechendes Beschwerdemanagement in den sozialen Netzwerken anordnen und zusätzliche Meldestellen betreiben und fördern. Die politisch motivierte Kriminalität überschneidet sich größtenteils mit der Hasskriminalität. 2015 setzte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine solche Agenda, indem er die Einrichtung einer „Task Force“ zur Bekämpfung der Hasskriminalität in sozialen Netzwerken ankündigte [https://www.youtube.com/watch?v=y5Oi0z7sUVo]. Zwei Jahre später verabschiedete der Deutsche Bundestag [https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2017/kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz-513398] das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Damit verpflichtete der Gesetzgeber die Betreiber sozialer Netzwerke, ein Beschwerdemanagement einzurichten und Nachrichten, die den Kriterien der Hasskriminalität entsprechen, zu löschen und darüber Berichte anzufertigen. Zusätzlich wurden Meldestellen eingerichtet, mithilfe derer Hasskriminalität im Internet schnell und ohne hohe formale Hürden gemeldet werden können. Hierzu gehören: * REspect! [https://meldestelle-respect.de/], Betreiber: Jugendstiftung Baden-Württemberg im Demokratiezentrum Baden-Württemberg in Kooperation mit der Bayerischen Staatsregierung (gefördert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg, durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales), eingerichtet 2017, * HessenGegenHetze [https://hessengegenhetze.de/hate-speech-und-extremismus-melden], Betreiber: Hessisches Innenministerium, eingerichtet 2020, * MeldeHelden-App [https://hateaid.org/meldehelden-app/], Betreiber: HateAid gGmbH (gefördert unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von Campact e. V. und vom Bundesministerium für Justiz), eingerichtet: 2020. Nur ein Bruchteil der Meldungen ist strafrechtlich relevant Die von den Meldestellen bereitgestellten Daten zu Meldungen von Hasskriminalität zeigen, dass sie für den überwiegenden Teil der Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität im Internet verantwortlich sind. Die von der Meldestelle REspect! an die Strafverfolgungsbehörden übermittelten Meldungen entsprechen allein 56 Prozent der in der PMK-Auswertung für 2024 angegebenen strafrechtlich relevanten Fälle im Phänomenbereich Internet. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-03.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-03.jpg Abbildung 3: Meldungen zu Hetze im Netz über die Meldestelle REspect!, Datenquelle: REspect! [https://meldestelle-respect.de/wp-content/uploads/2025/05/Zahlen-2024-Webseite-Respect_Stand-Mai-2025.pdf] Auch das etwas dürftigere Datenmaterial der Meldestelle HessenGegenHetze deutet darauf hin, dass sie maßgeblich zur Steigerung der Fälle der politisch motivierten Kriminalität beigetragen hat. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-04.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-04.jpg Abbildung 4: Meldungen zu Hetze im Netz über die Meldestelle HessenGegenHetze, Datenquelle: HessenGegenHetze [https://hessengegenhetze.de/die-meldestelle/downloads-infomaterialien] Neben der Möglichkeit, Hasspostings im Internet über die genannten Meldestellen anzuzeigen, besteht zudem die Möglichkeit einer Online-Anzeige [https://portal.onlinewache.polizei.de/de/] bei der Polizei. Hierüber können auch Sachbeschädigungen angezeigt werden. Aus den Daten der Meldestellen wird ein weiterer, besorgniserregender Umstand deutlich. Von allen gemeldeten Fällen von Hasskriminalität waren nur 28 Prozent (REspect!) beziehungsweise 18 Prozent (HessenGegenHetze) strafrechtlich relevant. Das bedeutet, dass die Mehrheit derjenigen, die vermeintliche Straftaten im Internet melden, den Unterschied zwischen Aussagen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, und Aussagen, die strafrechtlich relevant sind, offensichtlich nicht kennt. Auch bei denjenigen, die letztendlich mit ihrem Posting eine Straftat begangen haben, muss man annehmen, dass dies nicht bewusst geschah. Es herrscht also allgemein ein großes Unwissen darüber, was Hasskriminalität überhaupt ist. Bevor eine Regierung mit staatlich geförderten Mitteln gegen die eigenen Bürger vorgeht, wäre zu erwarten gewesen, dass sie zunächst mit einer breiten Aufklärungskampagne darüber informiert, mit welchen konkreten Aussagen die Linie von der Meinungsfreiheit zur Straftat überschritten wird. Das sollte zumindest auch im Eigeninteresse erfolgen, um die Bearbeitung einer Flut von Fehlmeldungen zu vermeiden und potenzielle Täter über ihre möglichen Straftaten aufzuklären. Doch selbst die Meldeformulare der beiden staatlich geförderten Meldestellen REspect! und HessenGegenHetze enthalten keinerlei Hinweise oder konkrete Beispiele dafür, was von der Meinungsfreiheit gedeckt und was strafrechtlich relevant ist. Es bleibt dem Gefühl oder der subjektiven Ansicht der Meldenden überlassen, was sie zur Meldung bringen. Die unklare Abgrenzung zur Straffälligkeit öffentlich getätigter Aussagen wird dadurch verstärkt, dass an Beleidigung und Volksverhetzung grenzende Äußerungen und Gesten von selbst ernannten Komikern wie Sarah Bosetti (Blinddarm-Vergleich) oder Jan Böhmermann (Stinkefinger gegen Ungeimpfte) in letzter Konsequenz von der Kunstfreiheit gedeckt sind – ein Kriterium, das auf Aussagen von Privatpersonen nicht zutrifft. Diese Unklarheit, gepaart mit der konsequenten Verfolgung von potenziell strafbewehrten Äußerungen, könnte durchaus Methode haben. Ein Ziel könnte sein, die Nutzer sozialer Netzwerke so weit einzuschüchtern, dass sie eine vorsorgliche Selbstzensur betreiben – insbesondere bei Aussagen, die sich gegen die Interessen der etablierten Parteien wenden. Es entsteht der Eindruck, dass die Regierungen von Bund und Ländern mit ihrem Vorgehen eine möglichst hohe Anzahl an Hasskriminalitätsfällen ermitteln wollen. Dabei scheuen sie auch nicht davor zurück, ein Denunziantentum unterhalb der Grenze strafrechtlich relevanter Aussagen zu fördern. Was im Film „Muxmäuschenstill“ aus dem Jahr 2004 mit der fiktiven Webseite „www.denunziant.com“ noch satirisch überhöht dargestellt wurde, ist mittlerweile – mit staatlicher Unterstützung – Realität geworden. Zumindest deutet der Name der App „MeldeHelden“ darauf hin, dass die Meldung eines vermeintlichen Vergehens, das aber womöglich keines ist, generell etwas moralisch Gutes ist und nicht etwa zu einem Klima der Angst vor Denunziation und ständiger Vorverurteilung durch die Mitmenschen führen kann. Anzahl der von der Polizei registrierten Fälle von Hasskriminalität erscheint im internationalen Vergleich unplausibel Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die Anzahl der registrierten Fälle von Hasskriminalität im internationalen Vergleich betrachtet. Die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereitgestellten Daten zeigen ein sehr uneinheitliches Bild. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-05.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-05.jpg Abbildung 5: Von der Polizei registrierte Hasskriminalität im Jahr 2023, Anzahl Fälle je 100.000 Einwohner, Datenquelle: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [https://hatecrime.osce.org/hate-crime-data] Demnach hat es laut der jeweiligen Statistik der Polizei in Großbritannien 2023 mehr als zehnmal mehr Fälle von Hasskriminalität gegeben als in Deutschland, und in Deutschland wiederum 20-mal mehr Fälle als in Griechenland, der Slowakei, Tschechien oder Ungarn. Ein derartiger Unterschied innerhalb Europas erscheint vollkommen unplausibel. Welchen Einfluss eine Änderung der Gesetzeslage auf die polizeilich erfasste Hasskriminalität haben könnte, zeigt das Beispiel Österreich. Dort trat am 1. Januar 2021 das Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz [https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/I/481] (HiNBG) in Kraft. Darin findet sich unter anderem die Regelung, dass Privatkläger von der „Kostenersatzpflicht für Verfahrenskosten bei Strafverfahren“ wegen „übler Nachrede“, „Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung“ und „Beleidigung“, die im „Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems“ begangen wurden, gesetzlich befreit werden. Die Anzahl der jährlichen Fälle polizeilich registrierter Hasskriminalität ist in Österreich zwischen 2020 und 2021 um 3.400 Prozent anstiegen. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-06.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250609-Montag-Denunziantentum-06.jpg Abbildung 6: Von der Polizei registrierte Hasskriminalität in Österreich, Datenquelle: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [https://hatecrime.osce.org/austria] Auch eine derartige Steigerung innerhalb nur eines Jahres erscheint vollkommen unplausibel. Das Internet verzeiht keine Entgleisungen Viele der Straftaten, die unter den Bereich Hasskriminalität oder politisch motivierte Kriminalität fallen, bleiben im physischen Alltag höchstwahrscheinlich ungesühnt. Sie passieren nicht selten im Affekt. Es fehlt wahrscheinlich häufig an Zeugen, an der eindeutigen Identität des Täters oder an der Motivation der Opfer, gegen einen Aggressor vorzugehen. Das ist im Internet anders. In sozialen Netzwerken ist schon anhand der im Profil hinterlegten Daten die Identität des Urhebers festzustellen. Falls nicht, kann sie über die IP-Adresse ermittelt werden. Zeugen braucht es nicht, da die schriftlichen Aussagen als Beweis ausreichen. Selbst wenn ein Nutzer sein Posting nach einer Meldung gelöscht hat, dürfte es in der Datenbank des Betreibers des sozialen Netzwerks noch vorhanden sein. Denjenigen, die Straftaten im Internet begehen, sollte bewusst sein, dass sie rechtlich verfolgt werden. Es sollte jedem Nutzer des Internets klar sein, dass es eine vollkommene Anonymität im Netz nicht gibt. Mit einem stetigen Anwachsen der Zahl von Überwachungskameras, deren Bilder mit immer genauerer Software automatisch ausgewertet werden, wird auch eine Anonymität im physischen Raum immer unwahrscheinlicher. Zudem sind in den letzten Jahren einige Gesetze, die einen Einfluss auf die Anzahl der Hasskriminalitätsfälle haben, in Deutschland verschärft worden. Darunter fallen die „Belohnung und Billigung von Straftaten“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Belohnung_und_Billigung_von_Straftaten] sowie „gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Gegen_Personen_des_politischen_Lebens_gerichtete_Beleidigung,_%C3%Bcble_Nachrede_und_Verleumdung]. Die technischen Möglichkeiten erhöhen zwar die Aufklärungsrate von Straftaten, erzeugen jedoch auch ein Gefühl der ständigen Überwachung und damit eine subjektiv empfundene Einschränkung der Freiheit. Verdacht auf politische Instrumentalisierung der Hasskriminalität Aus Sicht der Opfer ist eine angemessene Verfolgung strafrechtlich relevanter Taten auf den ersten Blick durchaus begrüßenswert. Doch allein die Tatsache, dass Innenminister Dobrindt und BKA-Präsident Münch in ihren Präsentationen der PMK-Auswertung nicht darauf hingewiesen haben, dass die deutliche Steigerung der Fallzahlen auf Delikten beruht, die größtenteils im Internet begangen und über das Internet gemeldet wurden, macht stutzig. Denn sie erzeugen damit den Eindruck, als hätte sich die Gefahrenlage verschärft. Dabei kann es durchaus sein, dass die Anzahl der Delikte erst durch die staatlich geförderten Meldestellen, das Agenda-Setting der Regierung und die erhöhte Sensibilität in der Bevölkerung sichtbar geworden ist. Mit dem Verweis auf eine gesteigerte Gefahrenlage lassen sich politische Forderungen leichter und schneller durchsetzen als nach gründlicher sachlicher Prüfung. Das wurde in der Finanzkrise, in der Corona-Krise und beim Krieg in der Ukraine deutlich. Mit dem Argument, dass man schnell auf eine Gefahrenlage reagieren musste, lässt sich zudem eine nachträgliche Aufarbeitung nachweislich falscher Entscheidungen wirksam verhindern. Auch bei den Zahlen der politisch motivierten Kriminalität geht es neben der angemessenen Verfolgung von Straftaten auch um andere Ziele: um die Kontrolle der öffentlichen Meinung, um eine verstärkte Überwachung im Internet sowie im öffentlichen Raum, um eine Verschärfung des Strafrechts, um eine Einschränkung des Asyl- und Aufenthaltsrechts sowie letztendlich um die Bekämpfung politischer Gegner. Doch nicht der immer größere Zuspruch zu den nicht etablierten Oppositionsparteien, der auffälligerweise mit der Steigerung der politisch motivierten Kriminalität einhergeht, ist das Problem, sondern eine Politik der etablierten Parteien, die von den Wählern abgelehnt wird. Dobrindt machte dies aus seiner Sichtweise in der Präsentation der PMK-Statistik auch deutlich. Er sprach von einem „politischen Wettbewerb“. Man solle die Parteien „an den Rändern“ mit „guter Politik“ „wegregieren“, anstatt sie „juristisch zu verbieten“. Der Erfolg des Wegregierens werde „der Größere sein“. Allerdings ist seine Aussage mehrdeutig. Denn anstatt die Wünsche der Wähler umzusetzen, könnte „Wegregieren“ auch bedeuten, alle unlauteren Mittel, die einer Regierung zur Verfügung stehen, anzuwenden, um die Konkurrenz kleinzuhalten. Ein solches Mittel wäre beispielsweise, der politischen Opposition allein die „Polarisierung“ der Gesellschaft und damit die Verursachung der gesteigerten Kriminalität zur Last zu legen, anstatt die Polarisierung als Folge einer von breiten Gesellschaftsteilen nicht erwünschten Politik aufzufassen. Titelbild: Tero Vesalainen/shutterstock.com[https://vg09.met.vgwort.de/na/0acdbc75b41840febf0eb94ae5ba39e8]

Ayer - 19 min
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Die Moralelite: „Viele verwechseln Haltung mit Konformität und Gesinnungsstolz“

Gibt es in Deutschland eine „Moralelite“? Und wenn ja: Wer soll das sein, und was zeichnet sie aus? Hans-Dieter Rieveler hat sich in einem aktuellen Buch mit dem Selbstverständnis des „linksliberalen“ Milieus auseinandergesetzt. Dort sieht er eine „Moralelite“ verwurzelt. Rieveler spricht von Akteuren, „die sich auf ihre überlegene Moral mächtig etwas einbilden und keine Gelegenheit auslassen, vermeintliche Missetäter abzukanzeln, um selbst in umso hellerem Licht zu erstrahlen.“ Im Interview mit den NachDenkSeiten sagt der Soziologe, dieses Verhalten resultiere in einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft. Von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Marcus Klöckner: Herr Rieveler, wer bestimmten Medien oder Politikern von bestimmten Parteien zuhört, hat den Eindruck: Hauptsache Haltung! „Hauptsache Haltung“ – so lautet auch der Titel Ihres Buches. Gewähren Sie uns bitte einen Einblick. Warum dieser Titel? Worum geht es? Hans-Dieter Rieveler: Den Titel hat der Verlag festgelegt. In meinem Buch geht es um die Ideologie und das Selbstverständnis des „linksliberalen“ Milieus als moralische Elite. Gegen Haltung habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden. Wer etwa die Haltung vertritt, dass Menschenrechte universell gelten, wird nicht Krokodilstränen über die ach so furchtbaren Lebensumstände von Frauen in Deutschland vergießen und zugleich die reale Unterdrückung von Frauen in Ländern wie Iran oder Saudi-Arabien damit verharmlosen, dass „die da unten“ eben andere Sitten haben. Eine Haltung zu haben bedeutet in meinen Augen, für eine Sache einzutreten statt nur für eine Ideologie oder die eigenen Interessen. Viele verwechseln leider Haltung mit Konformität und Gesinnungsstolz. Daher ist Haltung in Verruf gekommen. Keine Haltung zu haben, ist aber auch keine Lösung. In Ihrem Buch kommt auch der Begriff „Moral“ vor, genauer gesagt 72 Mal. Moral und Haltung: Was hat es mit „Moral“ und „Haltung“ auf sich, wenn wir öffentliche Diskussionen beobachten? In öffentlichen Debatten geht es nach meinem Eindruck immer weniger darum, mit Sachargumenten zu überzeugen. Stattdessen setzen vor allem Anhänger der Grünen und andere „Progressive“ darauf, ihre Kontrahenten als unmoralisch hinzustellen. So wurde sich beispielsweise wochenlang darüber empört, dass Friedrich Merz „kleine Paschas“ gesagt hatte. Ginge es denen, die sich da empörten, wirklich um die Sache, dann würden sie sich einer offenen Debatte darüber, warum Jungen aus muslimischen Familien viel häufiger als die Mädchen Schulprobleme haben, gerade nicht verweigern. Denn eventuell könnte das ja etwas mit antiquierten Rollenbildern und herkunftsbedingten Erziehungsmethoden zu tun haben. Da könnte man ansetzen, nicht zuletzt zum Wohle der kleinen Paschas. Wer in solchen und ähnlichen Fällen vorgeblich Haltung zeigt, indem er sich über eine angeblich rassistische Wortwahl ereifert, der hilft damit niemandem, außer sich selbst. Sie sprechen ja auch von einer „Moralelite“. Damit meine ich genau solche Menschen, die sich auf ihre überlegene Moral mächtig etwas einbilden und keine Gelegenheit auslassen, vermeintliche Missetäter abzukanzeln, um selbst in umso hellerem Licht zu erstrahlen. Dass sie damit die gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben, merken sie nicht, oder es ist ihnen egal. Im engeren Sinne zähle ich zur Moralelite vorgeblich progressive Politiker, Journalisten und Kulturschaffende – Menschen, die in der Öffentlichkeit Gehör finden, dies aber nur selten dazu nutzen, für reale Verbesserungen zu werben, sondern vor allem damit beschäftigt sind, reale Probleme, die sie nicht lösen wollen oder können, mit pseudomoralischer Empörung zu tabuisieren. Außerhalb ihres Milieus machen sie sich damit lächerlich, zum Beispiel, wenn sie behaupten, Zuwanderung habe keinen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Spiegelt sich diese Grundhaltung auch in der Sprache wider? Zu welchem Befund kommen Sie? Ja, in mehrfacher Hinsicht: Zum einen versuchen sogenannte Linksliberale, Wörter zu tilgen, zum anderen erfinden sie neue Wörter. Beides dient dem Zweck, die Realität zu verbiegen. Wenn beispielsweise Flüchtlinge pauschal als Schutzsuchende bezeichnet werden und der Begriff der Armutsmigration als rassistisch gewertet wird, wozu dann überhaupt noch Asylverfahren? Kritik an Fehlentwicklungen im eigenen Milieu wird beiseitegewischt, indem „Cancel Culture“ oder „woke“ als rechte Kampfbegriffe bezeichnet werden, die nur dazu dienten, Linke zu diskreditieren. Mit politisch korrekter Wortwahl, Denglisch-Einsprengseln und beflissentlichem Gendern stellt der Progressive seine vermeintliche Weltläufigkeit zur Schau. Gegner der Gendersprache, die er „geschlechtergerechte Sprache“ nennt, hält er für zurückgebliebene Sexisten. Dabei lehnen auch Frauen und junge Leute mit großer Mehrheit das Gendern ab, und längst nicht nur Rechte kritisieren Political Correctness und Cancel Culture. Wenn wir von Haltung, von Moral, von Sprache im Hinblick auf den öffentlichen Diskurs reden, dann geht es doch im Kern vor allem um eins: den Kampf um die Deutungshoheit. Wie sehen Sie das? Ja, darum geht es. Dass sich im politischen Wettstreit nicht unbedingt die besseren Argumente durchsetzen, ist keine neue Erkenntnis. Die postmodernen Linksliberalen zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie – anders als Konservative – offen zugeben, dass es ihnen vornehmlich um die Deutungshoheit über die Realität geht. Wenn Wording, Framing und Narrative im Vordergrund stehen, bleibt die Objektivität oft auf der Strecke. Und am Ende glaubt man die eigenen Erzählungen selbst. So scheinen etwa große Teile der Grünen nach wie vor davon überzeugt zu sein, dass es zwischen ungeregelter Migration und dem Aufstieg der AfD keinerlei Zusammenhang gebe. Man müsse der Bevölkerung nur noch intensiver das Narrativ einhämmern, dass Migration ausschließlich positiv zu bewerten sei, glauben sie. Wie wird dieser Kampf geführt? Haben Sie Beispiele? Mit den schon angesprochenen sprachlichen Mitteln und mit Moralisierung. Wer kann schon etwas gegen „geschlechtergerechte Sprache“ oder ein „Selbstbestimmungsgesetz“ haben? Und wer stört sich an Pollern und Fahrradstraßen, wenn damit doch das Klima gerettet wird? Der Kampf um die Deutungshoheit wird auch mit dem „Kampf gegen rechts“ verknüpft. Es stimmt ja: Rechtspopulisten und Rechtsextreme schüren Ressentiments, wenn sie von „Umvolkung“, „Asylmissbrauch“ oder „Lügenpresse“ raunen. Doch allzu oft versuchen Linksliberale, auch Andersdenkende aus der demokratischen Mitte mit der Nazikeule zum Schweigen zu bringen. Wer fundierte Kritik an einseitiger Medienberichterstattung äußert, wird mit „Lügenpresse“-Schreihälsen auf eine Stufe gestellt. Und wer für eine restriktivere Migrationspolitik eintritt, dem wird leichthin AfD-Nähe unterstellt. Dann gibt es da ja noch den Begriff der Identitätspolitik. Was hat es damit auf sich? In der Theorie bedeutet Identitätspolitik, dass marginalisierte Gruppen für Anerkennung und gleiche Rechte streiten. Praktisch ist es ein Ersatz für den längst aufgegebenen Klassenkampf. Statt für höhere Löhne und auskömmliche Renten setzen sich diejenigen, die sich heute links nennen, vor allem für angeblich benachteiligte Gruppen ein. Ich sage „angeblich“, da es den Verfechtern der Identitätspolitik nicht auf die reale Marginalisierung von Frauen, queeren Menschen oder Migranten ankommt. Wer einer anerkannten Opfergruppe angehört, gilt ihnen per se als diskriminiert. Theoretisch wird dabei neben Geschlechtszugehörigkeit, sexueller Orientierung und Migrationshintergrund auch die Klassenzugehörigkeit einbezogen. Da es aber nur um Diskriminierung geht, geraten Ausbeutungsverhältnisse völlig aus dem Blick. Überzeugte Verfechter der Identitätspolitik interessiert es nicht, ob Kellner, Paketboten oder Kassierer zu wenig verdienen, um sich eine angemessene Wohnung leisten zu können. Interessant werden sie für sie erst, wenn sie eine Wohnung als Migrant, Muslim oder Transperson nicht bekommen – Frauen sind auf dem Wohnungsmarkt ja im Vorteil. Für Diskriminierungen aufgrund der Klasse, etwa im Bildungssystem, interessiert sich die Moralelite nicht wirklich. Und von den zahllosen Förder- und Gleichstellungsprogrammen, die vorgeblich mehr soziale Gerechtigkeit schaffen sollen, profitieren größtenteils eh schon privilegierte Menschen. Welche Rolle spielen die Medien, wenn es um Identitätspolitik geht? Die meisten Journalisten, vor allem diejenigen in einflussreichen Positionen, gehören demselben Milieu an wie typische Grünen-Wähler. Fast alle, die eine Journalistenschule besucht haben – die Eintrittskarte für Top-Positionen in den Medien – entstammen der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht. Entsprechend vertreten sie auch ähnliche Haltungen und sie haben ähnliche Interessen. Reale oder gefühlte Diskriminierung empört sie vor allem, wenn sie das eigene Milieu betreffen. Das zeigt sich nicht nur an der Art der Berichterstattung, sondern auch an der Themenauswahl. Dass weibliche Fußballer weniger verdienen als männliche, halten manche für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Dass Schüler aus den unteren Gesellschaftsschichten bei der Notenvergabe und bei Schullaufbahnempfehlungen massiv benachteiligt werden, ist dagegen kein großes Thema – zumal die eigenen Kinder ja davon profitieren. Was heißt all das für eine Gesellschaft? Wenn ehemals linke Parteien statt klassischer Umverteilungs- und Sozialpolitik auf Identitätspolitik setzen, dann driftet die Gesellschaft auseinander. Selbst die tatsächlich Benachteiligten aus den anerkannten Opfergruppen profitieren nur wenig davon. Ungezügelte Migration, für die neben den Grünen auch die Linke und Teile der SPD eintreten, nützt neben Arbeitgebern und Vermietern vor allem den Rechten. Die Art, wie der „Kampf gegen rechts“ geführt wird, trägt zusätzlich dazu bei, die Rechten zu stärken. So mancher sagt sich: „Wenn ich sowieso schon als Nazi abgestempelt werde, weil ich die Gendersprache ablehne und daran festhalte, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt, dann kann ich mein Kreuz ja auch gleich bei der AfD machen.“ Es ist schlimm genug, dass große Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass niemand mehr ihre Interessen vertritt. Viele haben inzwischen aber auch verstanden, dass besonders die Grünen dazu neigen, ihre eigenen Interessen als Gemeinwohl auszugeben, während sie die negativen Begleiterscheinungen ihrer Migrations- und Klimapolitik, die vor allem die unteren Schichten treffen, leugnen oder kleinreden. Lesetipp Hans-Dieter Rieveler: Hauptsache Haltung – Von kleinkarierten Besserwissern im Strebergarten [https://www.buchkomplizen.de/hauptsache-haltung.html?force_sid=4e65b9d7f65a7856d840b3350ef23a9e]. Frankfurt am Main 2025, Fifty Fifty, 224 Seiten, 978-3946778578, 24 Euro. Titelbild: © privat[http://vg08.met.vgwort.de/na/08fbb727b4d44136bf7b743f42d700c1]

08 jun 2025 - 11 min
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Die israelische Realität und der deutsche Mythos – Warum Deutschland ein anderes Israel verteidigt, als es existiert

Während sich Israel nach außen als westlich-demokratische Bastion präsentiert, verfestigt sich im Inneren ein autoritärer Block, der offen das Ende der säkularen Staatsordnung anstrebt. Gleichzeitig hält die politische Klasse Deutschlands nahezu unbeirrt an einem idealisierten Bild Israels fest. Dieses Idealbild erscheint nicht nur ritualisiert, sondern auch bewusst entkoppelt von der Realität israelischer Innenpolitik. Von Detlef Koch. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. 1. Die Weltuntergangs-Theokratie des Rabbi Ginsburg Am 22. Mai 2025 veröffentlichte die hebräische Ausgabe der israelischen Tageszeitung Haaretz einen Artikel, der – gemessen an seiner theologischen und gesellschaftspolitischen Sprengkraft – kaum übertroffen werden kann. Den Original-Text finden Sie unter diesem Link [https://archive.md/yI4Dy], eine Übersetzung finden Sie unter diesem Link [https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/250522-Haaretz-Artikel-uebersetzung.pdf]. Im Zentrum steht eine Predigt des einflussreichen Rabbis Yitzhak Ginsburg, einem charismatischen Vordenker des messianischen Rechtsextremismus in Israel. Ginsburg entwirft in seinen Schriften und öffentlichen Ansprachen die Vision eines radikal-theokratischen Staates, der das bestehende säkular-zionistische Gemeinwesen nicht reformieren, sondern überwinden und ersetzen soll – durch eine Herrschaftsform, die sich ausschließlich auf die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, stützt. Das Sprachbild, das Ginsburg zur Veranschaulichung dieses Ziels verwendet, ist ebenso bildstark wie verstörend. In seinem Vortrag vergleicht er den modernen Staat Israel mit einer Walnuss: Der heilige Kern – das „wahre Volk Israel“ – sei von vier unreinen „Schalen“ (Klippot) umgeben, die es mit Gewalt zu zerschlagen gelte. Diese Schalen stehen für zentrale Institutionen des säkularen Staates, also eines Staates, der Religion und Staat streng trennt: die Medien, das Rechtssystem, die Regierung und das Militär. Sie seien Ausdruck einer säkularen Ordnung, die dem göttlichen Plan widerspreche und daher beseitigt werden müsse. Am deutlichsten formuliert Ginsburg dies im Blick auf die israelische Armee. Diese sei zwar notwendig, müsse jedoch von „verdorbenen moralischen Werten“ gereinigt und in ein Instrument göttlicher Vergeltung überführt werden. Der säkulare Grundsatz der „Reinheit der Waffen“ – also das Gebot, Gewalt nur verhältnismäßig und moralisch gerechtfertigt anzuwenden – sei eine „falsche Doktrin“, die der göttlichen Ordnung zuwiderlaufe. Stattdessen fordert Ginsburg eine neue Generation von „Nussknackern“: einfache Juden, die sich nicht mehr an die Regeln der IDF binden, sondern sich dem göttlichen Willen unterwerfen und im Zweifelsfall selbst zu Vollstreckern der göttlichen Gerechtigkeit werden. Dass es sich bei diesen Ideen nicht um bloße Theorie handelt, belegt die parallele Veröffentlichung repräsentativer Umfragedaten. Einer im März 2025 erhobenen Studie zufolge befürworten 82 Prozent der jüdischen Israelis die Zwangsumsiedlung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens. Fast die Hälfte – 47 Prozent – stimmte der Aussage zu, es sei gerechtfertigt, bei der Eroberung feindlicher Städte alle Bewohner zu töten – eine direkte Anlehnung an das biblische Massaker in Jericho unter Josua. Diese Zahlen deuten auf eine tiefgreifende Radikalisierung breiter Teile der israelischen Gesellschaft hin – nicht nur an den Rändern, sondern im Zentrum. Ginsburgs Ideen finden nicht nur in militanten Siedlerkreisen wie der sogenannten Hilltop Youth[1] Widerhall. Sie beeinflussen auch nicht nur politische Akteure wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, die hohe Ämter in der israelischen Regierung bekleiden und wiederholt Positionen vertreten haben, die sich direkt auf Ginsburgs Theologie der Vergeltung und der ethnischen Reinheit zurückführen lassen. Die „jüdische“ Bevölkerung ist von dieser „ethnischen Reinheit“ berauscht. Besonders brisant ist der Umstand, dass Ginsburg kein isolierter Außenseiter ist. Sein Lehrhaus „Od Yosef Chai“ in der Siedlung Yitzhar wurde zeitweise mit öffentlichen Mitteln gefördert, seine Publikationen erschienen mit Unterstützung staatlicher Institutionen. Obwohl er offen zur Untergrabung der israelischen Ethno-Demokratie[2] aufruft, genießt er in großen Teilen des religiösen Establishments Respekt – nicht wegen seiner Inhalte, sondern wegen seiner „konsequenten Prinzipientreue“. Diese Mischung aus Unterstützung durch offizielle Stellen, klaren Ideen und Zustimmung in der Gesellschaft macht seine Gedanken besonders gefährlich, weil sie wie berechtigt wirken. Die Vision, die Ginsburg entwirft, ist nicht nur eine theologische Abrechnung mit dem gezähmten zionistischen Projekt. Sie ist ein politisches Programm zur Ersetzung der bisherigen Ethno-Demokratie durch ein fundamentalistisches Gottesregime – inspiriert nicht zuletzt von der Islamischen Republik Iran, mit der Ginsburgs Konzept strukturelle Parallelen aufweist. Der Dritte Tempel in Jerusalem ist in dieser Vision nicht bloß ein religiöses Symbol, sondern das institutionelle Zentrum eines neuen jüdischen Gottesstaates, der das bestehende Israel ablöst – oder, in Ginsburgs Worten, „freilegt“. Diese Entwicklungen markieren eine historische Zäsur: Während sich Israel nach außen als westlich-demokratische Bastion präsentiert, verfestigt sich im Inneren ein autoritär-messianischer Block, der offen das Ende der säkularen Staatsordnung anstrebt. Ginsburg ist nicht ihr einziger Prophet – aber vielleicht ihr radikalster. 2. Wie Deutschland den israelischen Staat portraitiert – Mythen, Mantras und die Immunisierung gegen Kritik Während sich in Israel zunehmend ein autoritärer, ethno-religiöser Staatsumbau vollzieht, hält die politische Klasse Deutschlands nahezu unbeirrt an einem idealisierten Bild Israels fest. In Reden, Pressekonferenzen und offiziellen Stellungnahmen wird Israel regelmäßig als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ gewürdigt, als „Rechtsstaat mit westlicher Wertebindung“ oder gar als „Schutzmacht gegen Antisemitismus“. Diese Zuschreibungen erscheinen nicht nur ritualisiert, sondern auch bewusst entkoppelt von der Realität israelischer Innenpolitik. Am 14. März 2025 etwa erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Premierminister Benjamin Netanjahu in Jerusalem: „Israel ist eine lebendige Demokratie und ein Staat, dessen Werte uns verbinden.“ Der Satz wurde von zahlreichen deutschen Medien aufgegriffen – nicht etwa kritisch, sondern zustimmend. Zwei Wochen zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag Israel als „unseren engsten Partner in der Region und den einzigen Rechtsstaat“ bezeichnet – eine Formulierung, die angesichts der zeitgleich veröffentlichten Berichte über systematische Vertreibungen und Militärgewalt in Gaza keinerlei Verstörung hervorrief. Auch unter der neuen Regierung von Friedrich Merz blieb der rhetorische Grundton gleich. In einem FAZ-Interview vom 2. Mai 2025 betonte Merz: „Die Wertegemeinschaft mit Israel ist für Deutschland unverhandelbar.“ Was genau mit diesen „Werten“ gemeint ist – und ob sie mit der Realität eines Staates vereinbar sind, in dem Minister systematisch arabische Ortschaften auslöschen wollen und Justizreformen demokratische Kontrollmechanismen aushebeln –, bleibt ungesagt. Entscheidend ist nicht die inhaltliche Substanz, sondern der symbolische Akt der zustimmenden Beschwörung. Diese politische Rhetorik bleibt nicht folgenlos. Sie prägt auch den medialen Diskurs. Leitmedien wie die FAZ, die Welt, der Tagesspiegel oder das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem bedienen die immer gleichen Narrative: Israel als „Stabilitätsanker“, als „verlässlicher Partner“, als „pluralistische Gesellschaft unter Bedrohung“. Der Verweis auf Hamas, Terror, Raketen und „unsere historische Verantwortung“ dient dabei regelmäßig als argumentative Abrissbirne gegen jede Form von struktureller oder menschenrechtlicher Kritik an israelischer Politik. Auffällig ist, wie stark die deutschen Deutungsmuster entkoppelt sind von israelischen Selbstbeschreibungen und gesellschaftlichen Realitäten. Während in Israel selbst ein mehrheitlicher Teil der sich selbst als jüdisch verstehenden Bevölkerung offen rassistische, theokratische oder von Auslöschungssehnsucht beflügelte Positionen vertritt, wird in Deutschland die Vorstellung gepflegt, Israel sei trotz „innerer Polarisierung“ ein funktionierender Rechtsstaat mit intakter Gewaltenteilung. Dabei ist längst dokumentiert, dass zentrale demokratische Prinzipien – von der Gleichheit vor dem Gesetz bis zur Meinungs- und Pressefreiheit – in den besetzten Gebieten systematisch ausgeschlossen sind und auch innerhalb der Grünen Linie zunehmend ausgehöhlt werden. Dieser Widerspruch zwischen Realitätslage und politisch-medialem Narrativ lässt sich als strategische Immunisierung[3] gegen Kritik deuten. Wer in Deutschland Israels Systemcharakter in Frage stellt, läuft Gefahr, mit Antisemitismusvorwürfen überzogen zu werden – selbst wenn die Kritik sich explizit auf völkerrechtliche, menschenrechtliche oder innerisraelische Quellen stützt. Das ist kein Zufall, sondern Teil einer politischen Kommunikationsstrategie, die spätestens mit der offiziellen Übernahme der IHRA-Definition von Antisemitismus institutionell verankert wurde. Diese Definition – inklusive ihrer umstrittenen Beispiele zur Delegitimierung Israels – wird zunehmend als De-facto-Zensurmechanismus gegen palästinasolidarische, aber auch innerjüdische kritische Stimmen genutzt. So entstehen doppelte Auslöschungen: die Auslöschung der Realität vor Ort – durch ihre Ausblendung – und die Auslöschung abweichender Stimmen im Diskursraum – durch Ausgrenzung. Der deutsche Diskurs über Israel beruht somit auf einem moralpolitischen Dogma: Kritik ist nur erlaubt, wenn sie zustimmend bleibt. Wer dieses Dogma infrage stellt, gefährdet nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern zunehmend auch seine berufliche Existenz – wie zahlreiche Fälle von ausgeladenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, diffamierten Künstlern und geächteten Journalistinnen belegen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass selbst zentrale jüdische Kritiker des Zionismus – von Hannah Arendt über Yeshayahu Leibowitz bis zu Judith Butler – im deutschen Diskurs systematisch ignoriert oder umgedeutet werden. Ihre Positionen gelten als randständig, obwohl sie in Israel und in der jüdischen Diaspora eine lange Tradition repräsentieren. Die Gleichsetzung von Judentum und Zionismus, von Israelkritik und Antisemitismus schafft so nicht nur ein verzerrtes Bild des jüdischen Denkens, sondern untergräbt auch die pluralistischen Grundlagen des demokratischen Diskurses. In dieser Konstellation erscheint die deutsche Reaktion auf israelische Realität nicht als Ausdruck freundschaftlicher Loyalität, sondern als aktives Mitwirken an einer politischen Fiktion. Indem deutsche Regierungsvertreter Israel ungeprüft als Demokratie affirmieren, obwohl das Land systematisch nichtjüdische Minderheiten entrechtet, verschleiern sie nicht nur die wachsenden autokratischen Tendenzen, sondern machen sich auch mitschuldig an deren Legitimierung. Das ist ein Widerspruch: Ausgerechnet das Land, das sagt, es trage wegen des Holocaust eine besondere Verantwortung, unterstützt heute einen Staat, der mit dieser Begründung Gewalt gegen andere Volksgruppen rechtfertigt. Finde den Fehler! Wer sich dieser Dynamik entziehen möchte, muss die Frage stellen, ob das gegenwärtige deutsche Israel-Narrativ nicht selbst zu einem Instrument der Realitätsverweigerung geworden ist – und wie die Wahrheit über Israel in Verbindung mit dem politischen Zionismus in Deutschland ethisch vertretbar vermittelt werden muss. 3. Wie ist der Zionismus künftig zu bewerten – und was bedeutet das für Deutschlands moralische Position? Zionismus – ein Begriff, der in der deutschen Öffentlichkeit mit Judentum und somit mit historischer Schuld, kollektiver Loyalität und der Staatsräson der Bundesrepublik verschmolzen ist – bedarf dringend einer begrifflichen und politischen Revision. Denn der politische Zionismus des 21. Jahrhunderts hat mit der Emanzipationsbewegung des späten 19. Jahrhunderts, als deren gerechtfertigten Ursprung man ihn gern versteht, nur noch wenig gemein. Was einst als jüdische Selbstschutzstrategie in einer antisemitischen Welt begann, ist heute zur ideologischen Grundlage eines Staates geworden, der sich in weiten Teilen ethnisch exklusiv, theokratisch aufgeladen und völkerrechtlich rückwärtsgewandt verhält. Es ist ein Nationalismus, der nicht auf Gleichheit, sondern auf Unterschieden, nicht auf Einbeziehung, sondern auf Ausschluss beruht – gerechtfertigt durch eine religiös-ethnische Erzählung, die für Nichtjuden im „jüdischen Staat“ strukturell keinen gleichberechtigten Platz vorsieht. Die Gleichsetzung von Zionismus und Judentum zur Antisemitismusabwehr, wie sie insbesondere in der deutschen Politik zur Doktrin geworden ist, erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur analytisch unhaltbar, sondern moralisch verwerflich. Sie immunisiert den Zionismus gegen jede Form gerechtfertigter Kritik – auch dann, wenn diese von jüdischen Stimmen selbst geäußert wird. Ilan Pappé, Shlomo Sand, Amira Hass, Gideon Levy, Yehuda Shaul, Breaking the Silence, B’Tselem, Rabbiner der Neturei Karta, jüdische Holocaustüberlebende in den USA – sie alle geraten in Deutschland unter Verdacht, wenn sie den Zionismus kritisieren. Das ist keine Debattenkultur, das ist Dogma. Eine ethisch fundierte Bewertung des Zionismus muss sich daher zunächst von der falschen Alternative emanzipieren, die da lautet: Entweder Zionismus gleich Judentum oder Antisemitismus. Diese Schwarz-Weiß-Logik verkennt, dass Zionismus geschichtlich wie gegenwärtig nicht nur eine Schutzideologie, sondern auch eine Gewaltordnung ist. Die Nakba von 1948, die systematische Vertreibung und Enteignung Hunderttausender Palästinenser, war keine bedauerliche Begleiterscheinung, sondern eine bewusste Strategie gebietsbeanspruchender Vorherrschaft – getragen von einem Siedlerkolonialismus, der seine Rechtfertigung aus dem zionistischen Gründungsmythos bezog. Heute zeigt sich der politische Zionismus in Form eines exklusiven Souveränitätsanspruchs, der auf ethnischer Überlegenheit und theologischer Unverhandelbarkeit beruht – ein Anspruch, der durch Siedlungsexpansion, Gesetzgebung, Staatsbürgerrecht und militärische Gewalt fortdauernd durchgesetzt wird. Und nicht nur in den besetzten Gebieten: Auch innerhalb der „Grünen Linie“ werden arabische Israelis systematisch benachteiligt – rechtlich, wirtschaftlich, institutionell. Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, in Deutschland zwischen Judentum und Zionismus zu differenzieren. Diese Unterscheidung ist keine terminologische Spitzfindigkeit, sondern eine demokratische Notwendigkeit. Sie erlaubt, die berechtigte Sorge um jüdisches Leben und die berechtigte Kritik an einem völkerrechtswidrigen Staatsprojekt zugleich ernst zu nehmen. Sie verhindert die moralische Erpressung, in deren Namen palästinensische Rechte suspendiert, jüdische Dissidenten diffamiert und demokratische Diskurse unterdrückt werden. Aus dieser Neubewertung ergeben sich klare politische Konsequenzen: * 3.1. Keine automatische Gleichsetzung von Israelkritik mit Antisemitismus: Deutschland muss sich von der IHRA-Definition als politischem Kampfmittel verabschieden und stattdessen auf juristisch trennscharfe, kontextbezogene Antisemitismusdefinitionen zurückgreifen, wie sie etwa von jüdischen Organisationen wie Jewish Voice for Peace oder in der Jerusalem Declaration on Antisemitism entwickelt wurden. * 3.2. Ende der Diskurszensur in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Räumen: Kritik an Israel und am Zionismus muss an Schulen, Universitäten, in der Kulturpolitik und in der Erinnerungskultur möglich sein – auch wenn sie radikal, provokant oder antinationalistisch formuliert ist. Nur dort, wo auch Dissens erlaubt ist, verdient eine Demokratie ihren Namen. * 3.3. Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an Menschenrechten statt an Staatsräson: Militärische Zusammenarbeit, Rüstungsexporte und diplomatische Flankierung eines Staates, der unter permanenter Anklage wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen steht, können nicht durch historische Schuld begründet werden – sie konterkarieren sie. * 3.4. Solidarität mit jenen Kräften, die in Israel selbst gegen Besatzung, Rassismus und Theokratie kämpfen: Der wahre Freund Israels ist nicht, wer seine Regierung bedingungslos unterstützt, sondern wer Israel darin unterstützt, eine Demokratie zu werden – auch gegen religiöse Extremisten wie Ginsburg und gegen deren parlamentarische Kollaborateure. Deutschland steht damit an einem moralischen Scheideweg. Entweder bleibt es Gefangener eines Narrativs, das den Zionismus sakralisiert und damit immunisiert – oder es wagt die politische Aufrichtigkeit, zwischen historischem Gedenken und gegenwärtiger Verantwortung zu unterscheiden; zwischen der Verteidigung jüdischen Lebens und der unbedingten Loyalität zu einem Staat, der sich zunehmend als autoritär, rassistisch und religiös-exklusiv geriert. Solange Deutschland die gewaltvolle, ethno-nationalistische Spielart des Zionismus als Ausdruck „westlicher Werte“ bestätigt, verrät es seine eigene demokratische Substanz. Glaubwürdigkeit beginnt dort, wo der Mut wächst, auch den „eigenen Freunden“ die Wahrheit zuzumuten. Ein Staat, der Menschen systematisch entrechtet, kann nicht zugleich als demokratisches Vorbild hofiert werden. Die politische und mediale Weigerung, diese Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, ist Ausdruck einer tiefgreifenden Legitimationskrise – nicht Israels, sondern Deutschlands. Glaubwürdigkeit in den universellen Menschenrechten beginnt dort, wo sich Täter und Opfer aus der Geschichte lernend gegenseitig im Ringen um diese Rechte ermahnen, wenn sie vom Pfad der Tugend abweichen. Ttielbild: Andy.LIU / Shutterstock ---------------------------------------- [«1] Hill Top Youth bezieht sich auf die Gewohnheit der Siedler, immer die Hügel in Palästina zuerst zu besiedeln. [«2] Eine Ethno-Demokratie ist ein Staat mit Wahlen und Parlament, bei dem aber eine Volksgruppe (hier zionistische Juden) bevorzugt wird. Andere Gruppen haben weniger Rechte. [«3] Ein Verhalten oder eine Taktik, bei der Kritik gezielt so abgewehrt wird, dass sie gar nicht mehr ernst genommen oder als unzulässig dargestellt wird – zum Beispiel, indem man Kritiker automatisch als voreingenommen oder feindlich hinstellt.

08 jun 2025 - 20 min
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SPD-Zukunftsprogramm: Schuften, bis der Arzt (zu spät) kommt

Arbeit macht glücklich und frei. Mehr davon, finden Union und SPD und holen zum Schlag gegen den Acht-Stunden-Tag aus. Drin sein sollen künftig bis zu 13 Stunden. Carpe diem – für Deinen Boss? Ach was, es geht darum, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Steht so im Koalitionsvertrag. Dumm nur, dass Soziologen, Ökonomen und Mediziner etwas anderes wissen, nämlich: Mit der Plackerei nehmen Krankheiten und Unfälle zu und die Produktivität ab. Schwamm drüber, denkt der Kanzler, und lässt die Putzfrau antanzen. Von Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Manchmal wird aus heißer Luft eine heiße Schlagzeile. „Exklusiv. Die internationale Fleiß-Tabelle“, titelte vor knapp drei Wochen die Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Der Beitrag behandelte eine „Analyse“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zum Umfang der hierzulande geleisteten Arbeitsstunden im Vergleich mit 26 anderen Industrienationen. Ergebnis: Die BRD rangiert an drittletzter Stelle. Die Botschaft: Die Deutschen sind faul. Die sogenannte Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Blätterwald, sämtliche namhaften Medien griffen sie auf. Nur eines erfuhr das Publikum nicht: Die ganze Aufregung entbehrt jeder Grundlage. Für die nötige Aufklärung hat die „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ gesorgt. Dabei musste sie gar nicht lange recherchieren, um herauszufinden: Die viel zitierte Studie „existiert überhaupt nicht“ [https://arbeitsunrecht.de/die-deutschen-arbeiten-zu-wenig-angebliche-studie-des-iw-existiert-nicht-tagesschau-spiegel-korrigieren-online-berichte/]. Auf Anfrage erfuhren die Aktivisten beim IW: „Von uns kam am Sonntag nur eine Pressemeldung. In der Berichterstattung wurde daraus eine Studie. Nun ja.“ Auch das stimmt nicht. Denn es gab nicht einmal eine Pressemitteilung, sondern bloß eine „IW-Nachricht“ [https://www.iwkoeln.de/presse/iw-nachrichten/holger-schaefer-griechen-arbeiten-135-stunden-im-jahr-mehr-als-deutsche.html] vom 18. Mai mit der schneidigen Überschrift: „Arbeitszeiten: Griechen arbeiten 135 Stunden im Jahr mehr als Deutsche.“ Wenn schon die hitzegepeinigten Helenen fester ranklotzen als der deutsche Michel … Zahlensalat Jedenfalls nahmen die Dinge ihren Lauf, wie die Initiative auf ihrer Webseite schildert: „Die Nachrichtenagentur AFP machte aus der an sich belanglosen wie substanzlosen IW-Nachricht dann eine ‚Studie‘ und deutsche Leitmedien übernahmen das Gebräu offensichtlich ungeprüft – die meisten bis heute –, um eine Fleißdebatte zu entfachen, die auf längere Arbeitszeiten und einseitige Flexibilität zu Lasten von Lohnabhängigen und ihren Familien zielt.“ So funktioniert Kampagnenjournalismus. Nur fünf Tage davor hatte der Bundeskanzler das Thema beim CDU-Wirtschaftstag gesetzt: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, polterte da Friedrich Merz (CDU). Die vermeintliche Expertise aus Köln kam da gerade recht, wenngleich sie nichts beweist. Grundlage ist ein Zahlensalat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Daten zu Voll- und Teilzeit, Überstunden, Schwarzarbeit und Selbstständigkeit vermengt und daraus einen Pro-Kopf-Wert an Arbeitspensum herleitet. Die OECD weist selbst auf die Limitierung des Materials hin, wobei gerade im Fall Deutschlands eine gewaltige Unwucht wirkt. Die hohe Teilzeitquote – am Montag vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fürs erste Quartal mit knapp 40 Prozent [https://iab.de/presseinfo/teilzeitbeschaeftigung-erreicht-neuen-hoechstwert/] beziffert – reißt den Durchschnitt nach unten. Svenja Flechtner, Juniorprofessorin für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen, wittert Täuschung. Die Fokussierung auf ein sinkendes Stundenmittel sei „irreführend, denn sie suggeriert, dass die Deutschen fauler geworden seien und fleißiger werden müssten“, befand sie gegenüber den NachDenkSeiten und fügte hinzu: „Insgesamt arbeiteten die Deutschen vor zwei Jahren mit 55 Milliarden Stunden so viel wie nie zuvor.“ Zwölf Stunden malochen Die NachDenkSeiten hatten schon einmal vor einer Woche im Beitrag „Denkfaule Politiker. Knickt die Wirtschaft ein, muss der Deutsche arbeitsmüde sein“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=133790] aufgezeigt, wie haltlos das Narrativ von den „arbeitsscheuen Deutschen“ ist. In Kürze: Es wird hierzulande mehr gearbeitet denn je. Es gab nie mehr Erwerbspersonen. Jährlich werden in Massen Überstunden geleistet, davon mehr als die Hälfte unbezahlt. Die Wirtschaftskraft bemisst sich an der Produktivität, den Lohnstückkosten, nicht an Arbeitszeiten. Studien belegen eine Kausalität zwischen Arbeitszeitverkürzung und höherer Produktivität bei mehr Wohlbefinden und besserer Gesundheit der Beschäftigten. Die fortschreitende Rationalisierung (Digitalisierung, KI) ersetzt sukzessive die menschliche Arbeitskraft. Bei wachsender Arbeitslosigkeit (offiziell fast drei Millionen Betroffene) wäre eigentlich eine gerechtere Verteilung von Arbeit geboten, etwa in Gestalt einer geregelten Vier-Tage-Woche. Alles egal. Die Bundesregierung verfolgt einen Plan. Sie will laut Koalitionsvertrag den Acht-Stunden-Tag kippen und durch „eine wöchentliche Höchstarbeitszeit“ [https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag2025_bf.pdf] nach dem Muster der EU-Arbeitszeitrichtlinie ersetzen. Danach darf die durchschnittliche Arbeitszeit für einen Sieben-Tage-Zeitraum die Marke von 48 Stunden einschließlich Überstunden nicht überschreiten. Ihre Begründung einer „besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ muss man Union und SPD nicht abnehmen. Tatsächlich erlaubt schon die bestehende Rechtslage „eine erhebliche Flexibilität“ [https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-arbeitstage-von-ueber-12-stunden-negative-folgen-fuer-gesundheit-und-vereinbarkeit-69376.htm], wie es in einer aktuellen Kurzstudie des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung heißt. So könne die Arbeitszeit „ohne Rechtfertigung auf bis zu zehn Stunden täglich ausgeweitet werden, wenn innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich erfolgt“. Außerdem bestünden zahlreiche tarifvertraglich festgelegte branchen- und tätigkeitsbezogene „Abweichungen und Ausnahmen“. Zum Beispiel sind deshalb in Krankenhäusern längere Arbeitszeiten als acht beziehungsweise zehn Stunden gang und gäbe. Zum Verbiegen flexibel Aber das reicht der Regierung nicht, so wenig wie den sie treibenden Kapitallobbyisten. Sie wollen die Menschen praktisch allzeit und nahezu unbegrenzt disponibel machen. Nach den Befunden der HSI-Forscher würde die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit „faktisch nach Abzug der Mindestruhezeit von elf Stunden und der entsprechenden Ruhepause von 45 Minuten eine tägliche Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden und 15 Minuten ermöglichen“. Dabei sei längst erwiesen, „dass Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden die Gesundheit gefährden“. Langfristig komme es häufiger zu „stressbedingten Erkrankungen, sowohl zu psychischen Leiden wie vermehrtes Auftreten von Burn-out-Symptomatik, physischen und psychischen Erschöpfungszuständen, als auch zu körperlichen Erkrankungen, etwa Schlaganfälle, Diabetes und erhöhtes Krebsrisiko“. Zudem steige das Unfallrisiko ab der achten Arbeitsstunde „exponentiell“ an und seien Einsatzzeiten von über zehn Stunden „hoch riskant“. Man müsse „genau hinschauen, was mit ‚Flexibilisierung‘ gemeint ist“, bemerkte die Ökonomin Flechtner. „Für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Familie und Freizeit ist flexible Arbeitszeiteinteilung besonders dann hilfreich, wenn man selbst beeinflussen und einteilen kann, wann Arbeitszeit erbracht wird.“ Davon sei im Koalitionsvertrag aber keine Rede. Die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit schaffe „eine andere Flexibilität, nämlich Schichten von bis zu zwölf Stunden“. Das könne für Betriebe attraktiv, „dürfte aber selten im Interesse der Beschäftigten sein“. Im Blick hat Flechtner auch die Situation von Eltern, Alleinerzieherinnen und Personen, die sich um Angehörige kümmern. Angesichts des bereits hohen Arbeitspensums von Menschen mit Betreuungs- und Pflegeverantwortung könne eine Erhöhung der Arbeitszeit „nur zulasten von Gesundheit, Kindern und Familien, partnerschaftlicher Arbeitsteilung und gesellschaftlichem Engagement gehen“. Jetzt schlägt‘s dreizehn Bezeichnend ist, dass ausgerechnet die SPD einmal mehr die Axt an eine zentrale Errungenschaft der Arbeiterklasse anlegt. Dabei schrecken deren Führer auch nicht vor grober Täuschung zurück. In der ARD sagte der designierte Generalsekretär Tim Klüssendorf am 18. Mai, es gehe um Flexibilität, die sich auch die Arbeitnehmer wünschten, um zum Beispiel „vier mal zehn Stunden zu arbeiten, dann habe ich den Freitag frei“ [https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1467874.html]. Vorsicht Falle! Denn derlei ist schon auf Basis des geltenden Rechts möglich. Taro Tatura vom Hamburger Landesverband der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di stellte dazu in einem Gastbeitrag [https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191563.wochenarbeitszeit-massiver-angriff-auf-arbeitszeitgesetz-durch-union-und-spd.html] für neues deutschland (nd) fest: „Man will also mit Fällen, für die eine Änderung gar nicht notwendig ist, Akzeptanz für das Vorhaben schaffen.“ Tatsächlich greife die Koalition nicht den Acht-Stunden-Tag an, der sowieso keine Verbindlichkeit hat, sondern die schon heute möglichen zehn Stunden. Daraus drohten, so Tatura, demnächst bis zu 13 Stunden zu werden. Für manche Branchen wäre das natürlich attraktiv. Der Gewerkschafter macht das an Beispielen fest: So könnte im Einzelhandel künftig eine einzige Schicht eine komplette Öffnungszeit abdecken und eine Fabrik in nur zwei statt drei Schichten auf 24 Stunden kommen. Oder in der Gastronomie werde in der Hauptsaison zwei Monate lang 13 Stunden täglich geschuftet, in der Nebensaison dann zwei Monate lang 6,2 Stunden pro Tag. Am Ende stehe trotzdem ein Schnitt von 48 Stunden. Damit werde in Kombination mit der geplanten Steuerbefreiung von Mehrarbeitszuschlägen, gerade im Niedriglohnsektor, „eine über das gesunde Maß hinausgehende Ausbeutung befördert“, warnt Tatura. Auf dem Holzweg Aber selbst jene, die sich „Standortrettung“ mit sozialer Eiseskälte durch Mehrarbeit und Lohndrückerei erhoffen, sind auf dem Holzweg. „Eine Arbeitszeitderegulierung, die Erkenntnisse von Arbeitsmedizin und Arbeitsforschung ausblendet und an der sozialen Realität vorbeigeht, dürfte wirtschaftlich sogar kontraproduktiv wirken“, meint WSI-Fachfrau Amélie Sutterer-Kipping. Abseits der „fatalen Folgen“ für Arbeitnehmer stelle dies langfristig auch das Gesundheitssystem und Arbeitgeber „vor enorme Herausforderungen“. Obendrein wären weitere Rückschritte in puncto Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu befürchten. „Die Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von Arbeitszeiten“ stellten hierbei wichtige Schlüsselfaktoren dar, und „es droht der Effekt einer weiteren Verringerung der Erwerbsarbeit gerade bei Frauen“. Feline Tecklenburg, Co-Vorstandsmitglied der Initiative „Wirtschaft ist Care“ (WiC), denkt einen Schritt weiter: „Die Annahme, dass Wohlstand auf bezahlter Arbeit beruht, ist so verkürzt wie altmodisch und führt zu dem Eindruck, soziale Tätigkeiten wären ein Luxus, der freundlicherweise von der Industrie mitfinanziert würde“, sagte sie den NachDenkSeiten. Es verhalte sich genau umgekehrt: „Nur durch die Unmengen an unbezahlt geleisteter Sorgearbeit kann in Deutschland gewirtschaftet werden.“ Das anzuerkennen, wäre angebracht, „aber nicht die arrogante Herablassung eines männlichen Millionärs, der im Zweifel noch nie viele Wochen am Bett einer Angehörigen verbracht hat und sicher nicht die eigene Wohnung putzt“, so Tecklenburg. Das ging an die Adresse des Bundeskanzlers. Endlich Klassenkampf? Und wer kümmert sich um Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) und dessen Kabinettsgenossen? „Spätestens mit diesem Vorstoß muss Schluss sein mit falscher Nachsichtigkeit der Gewerkschaften gegenüber der ehemals sozialdemokratischen SPD“, schrieb Tatura. „Ob im Betrieb, Parlament oder auf der Straße – diesen Angriff darf unsere Klasse nicht unbeantwortet lassen. Jede und jeder Abgeordnete, die oder der für diese Gesetzesänderung stimmt, ist unser Gegner.“ Man darf gespannt sein. „SPD buckelt vor kleinem Mann!“ Das wäre eine heiße Schlagzeile. Titelbild: Kittyfly/shutterstock.com[http://vg09.met.vgwort.de/na/494752d926d848898d53f2ff3feebc05]

07 jun 2025 - 13 min
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Wahlrecht absurd: Der Umgang mit dem BSW bleibt demokratiefeindlich und unfair

Abgeordnete konkurrierender Parteien können die durch starke Indizien gestützten Forderungen des BSW zu einer seriösen Klärung des Wahlvorgangs nach den gegenwärtigen Regelungen ganz einfach aussitzen. Und anscheinend haben sie genau das vor. Dieser Zustand ist demokratiefeindlich und unfair – er sollte unabhängig von der aktuellen und fragwürdigen Entscheidung des Verfassungsgerichts dringend überprüft werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte wegen starker Indizien bezüglich Unregelmäßigkeiten beim Wahlvorgang und angesichts eines historisch knappen Abschneidens unterhalb der fünf Prozent vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu diversen Aspekten geklagt, wie Medien berichten [https://www.tagesschau.de/inland/wahlen/bsw-bverfg-100.html]. Im Zentrum stehe der Vorwurf an den Bundestag, keinen sogenannten Rechtsbehelf eingeführt zu haben, um bei Zweifeln an der Richtigkeit des Wahlergebnisses umgehend eine Neuauszählung der Stimmen verlangen zu können. Dieser Vorwurf ist meiner Meinung nach berechtigt und die diesbezügliche Situation muss geändert werden. Nun seien die Klagen aber vom BVerfG „als unzulässig“ verworfen worden, so die ARD. Der EU-Abgeordnete des BSW Fabio De Masi stellt zur Einordnung der Entscheidungen des BVerfG auf X fest [https://x.com/FabioDeMasi/status/1930234472185626792]: „Es ging nur um die bereits per Eilantrag abgewiesenen Sachverhalte, ob bei knappen Wahlergebnissen ein schnelleres Wahlprüfungsverfahren geschaffen werden muss und ob die Reihung auf dem Stimmzettel zulässig war.“ Medienberichte, nach denen das BSW mit seiner Wahlprüfungsbeschwerde endgültig vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sei, seien unzutreffend. Die folgenden Passagen aus einem Artikel der „Tagesschau“ [https://www.tagesschau.de/inland/bsw-wagenknecht-scheitern-bvg-100.html] machen deutlich, wie absurd und ganz offensichtlich inakzeptabel die bestehende Situation des Wahlrechts in den vom BSW angesprochenen Punkten ist: > „Allerdings verweisen die Richterinnen und Richter in Karlsruhe darauf, dass das BSW sich ja an das ‚übliche Wahlprüfungsverfahren im Bundestag‘ wenden könne. Doch da gibt es ein Problem. Denn mehr als drei Monate nach der Wahl gibt es noch immer niemanden, der sich im Bundestag für diesen Einspruch zuständig erklärt.“ Das BSW habe sich an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gewandt. Doch von dort komme zurück: > „Zu Ihrem Anliegen kann ich mich als Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung nicht äußern. Dieser Ausschuss führt zwar die Wahlprüfung im Titel, diese obliegt aber dem vom Plenum gesondert gewählten Wahlprüfungsausschuss.“ Demokratiefeindlich und unfair Es gebe also offenbar einen – wichtigen – Unterschied zwischen dem „Ausschuss für Wahlprüfung“ und dem „Wahlprüfungsausschuss“, so der Artikel. Die Pressestelle des Bundestages würde zudem mitteilen, dass sich alle Bundestags-Ausschüsse am 21. Mai konstituiert hätten, so auch der Ausschuss für Wahlprüfung. Den Vorsitz hat Macit Karaahmetoglu von der SPD. Der wiederum verweise aber auf den Wahlprüfungsausschuss (nicht Ausschuss für Wahlprüfung!), nur der sei für die Bewertung der Einsprüche zur Bundestagswahl 2025 zuständig – und: Dieser Ausschuss müsse erst noch vom Plenum gewählt werden, so die ARD. Der Ausschuss-Vorsitzende schreibt demnach weiter: „Der Wahlprüfungsausschuss wird dann abschließend dem Plenum des Deutschen Bundestages zu jedem Einspruch eine Beschlussempfehlung vorlegen. Das Plenum wird anschließend über die Beschlussempfehlung entscheiden.“ Gänzlich inakzeptabel ist aber dieser Zustand: Laut Wahlprüfungsgesetz gibt es „keine Frist für die Beratungen und die Abgabe einer Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses an den Deutschen Bundestag“. Im Klartext heißt das: Die durch starke Indizien gestützten und darum meiner Meinung nach absolut berechtigten Forderungen des BSW nach einer seriösen Klärung des Wahlvorgangs können durch Abgeordnete konkurrierender Parteien ganz einfach ausgesessen werden. Und es sieht schwer danach aus, als würden viele der momentan im Parlament sitzenden Politiker genau das vorhaben. Das ist, da es möglicherweise nicht illegal ist, demokratiefeindlich, unfair, ehrlos und ganz einfach skandalös. Eine Überprüfung der Unregelmäßigkeiten wäre selbstverständlich ergebnisoffen: Möglicherweise würden dadurch ja auch die Sorgen der BSW-Wähler eindeutig widerlegt, dass ihre Stimmen unberechtigt unter den Tisch fallen sollen. Aber Klarheit muss geschaffen werden – und das schnell! Dass sich auch Politiker gegen eine solche seriöse Klärung sträuben, die permanent vom hohen Stellenwert der Demokratie reden, macht den Vorgang noch aufreizender. Titelbild: penofoto / Shutterstock Mehr zum Thema: BSW ficht das Wahlergebnis an [https://www.nachdenkseiten.de/?p=132001] „Chancen sind da“ – O-Töne zum BSW-Einspruch gegen Ergebnisse der Bundestagswahl [https://www.nachdenkseiten.de/?p=132197] Neuauszählung der Bundestagswahl: BSW geht in die Offensive [https://www.nachdenkseiten.de/?p=130057] Das BSW sollte die Bundestagswahl überprüfen lassen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=129712] [https://vg01.met.vgwort.de/na/f3ade80e38904a808139d5c6f9bfb67d]

06 jun 2025 - 5 min
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