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Neue Bücher von Ingeborg Arvola, Oliver Lovrenski, Susan Barker, ein Gespräch mit der Preisträgerin des Preises der Leipziger Buchmesse 2025 und eine Gratulation zum 85. Geburtstag

Es fällt nicht sogleich ins Auge und wurde bisher eher selten bemerkt: Aber auch das Glück spielt im Werk von Uwe Timm eine entscheidende Rolle. Gewiss mag das überraschen bei diesem Schriftsteller der sich so oft mit den finsteren Momenten der jüngeren deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt hat. > Ja, es ist eine katastrophische Geschichte, und deshalb ist auch einer dieser Hauptmomente in der neueren deutschen Geschichte eben dieses Kriegerische, das weitgehend auch die Mentalität geprägt hat. > > > Quelle: Uwe Timm GLÜCKSMOMENTE - TROTZ ALLEDEM Trotzdem leuchtet das Glück in vielen seiner Erzählwerke auf, zumindest für kurze Augenblicke. Sogar in dem düsteren Roman „Morenga“ über den kolonialistischen Völkermord in Südwestafrika gibt es Glücksfälle der Mäßigung und besseren Einsicht. In „Heißer Sommer“, dem Roman über die Studentenbewegung erfährt der Held im politischen Handeln das Glück der Solidarität. Und gleich mehrere Glückserfahrungen macht die Heldin der Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ in den Wirren am Ende des Zweiten Weltkriegs. FAST EIN NACHKRIEGSKIND Glück hatte auch Uwe Timm selbst schon in seinen ersten Anfängen, nämlich mit dem Geburtsjahr 1940. Denn damit war er durch sein kindliches Alter gefeit gegen Irrwege wie die seines älteren Bruders, dessen Schicksal als SS-Soldat er später in einer Erzählung schilderte. Allerdings hatte auch der kleine Uwe sein Schlüsselerlebnis mit der Nazi-Diktatur: „Also mir hatte man gerade beigebracht, die Hacken zusammen zuschlagen und Heil Hitler zu sagen. Und plötzlich sagte man mir, das darfst du nicht machen. Und dieser Bruch ist auch so ein Erlebnis, wie Autorität plötzlich sich veränderte und zusammenbrach." Die Gegnerschaft zum Autoritarismus wurde zu einem Zentralmotiv in Uwe Timms Leben und Werk. Die Vollendung seiner persönlichen Bildungsgeschichte gelang ihm in nur zehn Jahren, von den Anfängen als Hamburger Kürschnersohn, der für eine Weile dem Vater im familiären Handwerksbetrieb nachfolgte, über den promovierten Jung-Akademiker bis zum politisch engagierten Schriftsteller. Timm erzählt: „Das ist dann ein Prozess gewesen durch die Studentenbewegung, dass ich mich auch politisiert habe. Politisiert meine ich jetzt nicht in der Bedeutung von Parteipolitik, sondern dass man so einen schärferen Blick für gesellschaftliche Probleme bekommt." DER BLICK FÜR GESELLSCHAFTLICHE PROBLEME Mit diesem geschärften Blick für gesellschaftliche aber auch historische Probleme fand er dann die Themen für sein umfangreiches Werk von Erzählprosa, Essayistik, Hörspielen und Drehbüchern. Dieses Werk ist ein Dokument und Spiegel deutscher Zeitgenossenschaft. Und oftmals geht es darin nicht nur um die bare Wirklichkeit, sondern auch darum, den Gedanken an ihre Veränderung wach zu halten, wie Uwe Timm in einem Telefoninterview mit dem SWR betonte: „Ja, ich denke Literatur tut das auch, dieses utopische Denken als Gegenwirklichkeit hat sie als Thema geradezu. Das ist eben die große Leistung von Literatur, dass sie das kann auch wenn sie die Dystopie beschreibt, also die Katastrophe beschreibt, dass da immer auftaucht der Konterpart, das heißt dass es eine andere friedliche Welt gibt, die auch glückverheißend ist." Obwohl sich derzeit die Dystopien bedrohlich vermehren, ist es Uwe Timm zum 85. Geburtstag zu wünschen, dass ihm sein ermutigender Sinn für das Utopische erhalten bleibt.

Ihr Roman „Halbinsel“ kreist genau um dieses Paradox und um die Frage, wie sich eine Mutter und ihre erwachsene Tochter auf Augenhöhe begegnen können. Für ihr Buch wurde Kristine Bilkau mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Gerade die „quietschbunten“ New-Adult-Romane stünden für Kommerz und Event, aber eben auf für eine gewisse Inhaltsleere. Die Präsentation des Gastlandes Norwegen hebe hingegen die „Messelaune“. Literatur aus dem Gastland Norwegen sei nicht nur wegen der vielfältigen Texte erfolgreich, vom autofiktionalen Mammutprojekt bis hin zur Kriminalliteratur. KULTURPOLITISCHEN RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DEN ERFOLG Es gebe in Norwegen auch die notwendigen kulturpolitischen Rahmenbedingungen für diesen Erfolg: Zum Beispiel ein staatlich gefördertes Beschaffungsprogramm für öffentliche Bibliotheken, das auch kleinen Lyrik-Verlagen Einnahmen verschafft – daneben keine Mehrwertsteuer auf Bücher und eine strenge Buchpreisbindung.

Beim Auftakt dieser Geschichte spielt Zufall eine entscheidende Rolle. „Es begann auf dem Flughafen Kansai, am Gate von Flug KL378 nach Amsterdam." Oder ist es doch eher das Schicksal, das Jake und Mariko ihren Flug in Osaka verpassen lässt? Zwei Fremde, die in ihrer Trauer vereint sind, unwissend, dass sich ihre Verluste auf verstörende Weise spiegeln. Denn sie stellen fest: Jakes beste Freundin Lena und Marikos Zwillingsbruder Hiroji starben unter denselben geisterhaften Umständen. Die eine, eine flatterhafte ehemalige Drogenabhängige in London, der andere, ein Butoh-Tänzer in Japan. Kurz vor ihrem Ableben veränderten sie sich, wirkten ekstatisch, gefährlich – ja, beinahe von einer dämonischen Kraft besessen. Besonders mysteriös ist, „dass bei Hirojis Obduktion ein Situs inversus festgestellt wurde – alle seine inneren Organe waren seitenverkehrt angeordnet. Als Todesursache wurde plötzlicher Herztod angegeben. Wie bei Lena." SELTSAME TODESFÄLLE UND EINE GEHEIMNISVOLLE FOTOGRAFIN Noch etwas anderes verbindet die Todesfälle, die tausende Kilometer voneinander entfernt geschahen: Lena und Hiroji begegneten kurz vor ihrem Ende einer deutschen Fotografin. Eine geheimnisvolle Frau, die nicht zu altern scheint. Übernatürlich anmutende Todesfälle, eine mysteriöse Frau, deren Spur sich durch die Jahrhunderte zieht. Eine schaurige Prämisse, bei der man den Roman gar nicht weglegen mag. Und das liegt nicht nur an der an Akte-X-haften Ausgangssituation. Sondern daran, dass Susan Barker ihren Roman gekonnt konstruiert. Die Geschichte entspinnt sich auf sich abwechselnden Erzähl- und verschiedenen Zeitlinien. DIE ZEUGNISSE DER HINTERBLIEBENEN Einerseits Jakes Ermittlungen. Als ihm klar wird, dass noch mehr Menschenleben unter ähnlich mysteriösen Umständen endeten wie Lenas und Hirojis, führen diese Jake um den halben Globus. Er sammelt Zeugenaussagen verschiedener Menschen, die ebenfalls geliebte Personen durch diese mysteriöse Frau verloren haben. Die Zeugnisse, die Jake zusammenträgt, sind das Herzstück des Romans. Barker lässt eine Vielzahl von Stimmen zu Wort kommen. Trauernde aus unterschiedlichen Zeiten, Kulturen und soziale Milieus, deren Erlebnisse sich zu einem Mosaik des Unheimlichen fügen. TRAGISCHE LEBENSGESCHICHTEN AUS UNTERSCHIEDLICHEN ZEITEN UND KULTUREN Die Geschichten aus Japan, Leipzig zu DDR-Zeiten, London, Budapest oder New York verbindet der Verlust und die Trauer der Hinterbliebenen. Wiederkehrend ist auch die Tragik, die nicht nur in den Todesfällen, sondern im Leben der Verstorbenen liegt. Das gelähmte Mädchen im ländlichen Wales, deren streng christlicher, kontrollierender Vater sie von der Außenwelt abschottet. Oder Ursula, mit einem Feuermal im Gesicht gezeichnet. Gefangen im politischen Kontrollsystem der DDR und gefangen in Beziehungen zu egomanischen Künstlern, die sie zum Kunstobjekt entmenschlichen. Oder Lena, als Kind von der alkoholkranken Mutter vernachlässigt, die den familiär erlernten Kreislauf aus Sucht als Erwachsene nicht entfliehen kann. Für alle Figuren markiert die Begegnung mit der rätselhaften Fotografin einen Moment der Hoffnung. Von ihr werden sie angehört. Sie verspricht eine Chance, aus den patriarchalen, unterdrückenden Systemen ausbrechen zu können. Ein Lichtblick, den das Böse zerschlägt, denn es erstickt das Progressive. GESPENSTISCHE FOTOGRAFIEN DOKUMENTIEREN DAS UNHEIMLICHE Die zyklische Wiederkehr des Unheimlichen, die Unausweichlichkeit, ist in der Struktur des Romans verankert. Jede Erzählung ist ein Fragment, das sich in das größere Bild fügt. Apropos Bild: Bilder und Bildnisse spielen ihre Rolle in „Old Soul“, denn es sind gespenstische Fotos, die die Frau hinterlässt, wie im puritanischen Wales. > Ceridwen in ihrem langen Nachthemd unter dem Wildapfelbaum, das seidige Haar offen über den Schultern, ihr Blick wie unter Hypnose auf die Kamera gerichtet. Der leere Rollstuhl stand hinter ihr, und obwohl sich ihre Füße auf dem Boden befanden, wirkte sie schwerelos, als schwebte sie hinauf in die Falle der Fotografin. > > > Quelle: Susan Barker – Old Soul „Old Soul“ entfaltet sich in beklemmender Langsamkeit, präzise und unbestechlich. Bemerkenswert ist dabei die Rolle von Jake, der als Erzähler kaum in Erscheinung tritt – und das ist auch gut so. Denn nicht er steht im Mittelpunkt, sondern die Stimmen derjenigen, die zurückgeblieben sind. Diese Perspektivenvielfalt und die überzeugenden Lebenswelten in verschiedenen Zeiten und Kulturen, verleihen dem Roman eine fast dokumentarische Qualität. IST „FINGERNÄGELKNABBER-LITERATUR“ IN? Susan Barkers „Old Soul“ ist eine literarische Gruselgeschichte, so packend, dass sie das Etikett „Fingernägelknabber-Literatur“ verdient hätte. Ist Gruseln in? Die serbisch-österreichische Autorin Barbi Marković gewann im letzten Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse [https://www.swr.de/swrkultur/literatur/preis-der-leipziger-buchmesse-2024-100.html] mit ihrem Kurzgeschichten-Band „Mini-Horror“ [https://www.swr.de/swrkultur/literatur/bestenliste/swr-bestenliste-20240107-1705-04-barbi-markovic-minihorror-100.html]. Da erleben das Paar Miki und Mini, das Entsetzen des Alltags, absurd und komisch. „Old Soul“ dagegen changiert zwischen Schauerroman, Horrorgeschichte und Thriller. EIN SPIEGELVERKEHRTER DORIAN GREY Von einer dämonischen Entität erfahren wir in der zweite Erzählebene. Sie spielt im Jahr 2022, im Badlands Nationalpark Süddakota und erzählt von der gesuchten Frau, die ihr nächstes Opfer wie ein Raubtier umschleicht. Die Antagonistin ist ein spiegelverkehrter Dorian Gray. Während Oscar Wildes legendäre Romanfigur die Last der Vergänglichkeit seinem Porträt überträgt, bleibt Barkers Kreatur ein wandelndes Memento Mori. Fäulnis und Verfall kann sie nur aufhalten, wenn sie zum Zeitpunkt einer bestimmten Planetenkonstellation ein Foto oder eine Zeichnung eines ihrer Opfer erschafft. Während Dorian Grays Porträt Sünden aufbewahrt, bleibt Barkers Unsterbliche Trugbild. In ihrem langen Leben gelingt es ihr nicht, Bedeutung zu hinterlassen. Nur Verwüstung. Denn sie weiß: > Die beste Methode, unsterblich zu werden, sagt die Frau, ist, nicht zu sterben. > > > Quelle: Susan Barker – Old Soul Kunst und Vergänglichkeit als Strategie der Konservierung. Das Gespenstische ist eben mehr als bloße Erscheinung. Und da steckt der Horror von „Old Soul“: in den existenziellen Fragen der Moderne.
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