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„Es war nicht einfach, aber wir haben sie alle dazu gebracht, sich zu den fünf Prozent zu verpflichten […] Europa wird auf GROSSE Art und Weise Geld ausgeben, so wie es sein sollte, und das wird Dein Sieg sein“, so formulierte es [https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/mark-rutte-umschmeichelt-donald-trump-vor-nato-gipfel,Up3y4K3] der devote NATO-Generalsekretär Rutte gegenüber dem US-Präsidenten Donald Trump. Fünf Prozent. Das klingt auf den ersten Blick wenig, zumal kaum jemand sich wirklich vergegenwärtigt, dass es hier um fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts geht, was nahezu der Hälfte der gesamten Ausgaben des Bundes entspricht. Bei jedem Brötchen, jedem Bier, jedem Urlaub zahlen auch Sie künftig Ihren Zehnt für die Rüstung. Die NachDenkSeiten haben diese abstrakten Zahlen einmal auf verständliche Größen heruntergebrochen. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Dieser Artikel liegt auch als gestaltetes PDF vor [https://www.nachdenkseiten.de/upload/flyer/250625_5_Prozent_fuer_die_Ruestung_JB_NDS.pdf]. Wenn Sie ihn ausdrucken oder weitergeben wollen, nutzen Sie bitte diese Möglichkeit. Weitere Artikel in dieser Form finden Sie hier [https://www.nachdenkseiten.de/?cat=54]. Lesen Sie dazu auch: Karsten Montag – NATO-Gipfel in Den Haag: Fünf Prozent des BIP fürs Militär und Amerikas „felsenfestes“ Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134895] Albrecht Müller – Gezielte Meinungsmache zur Fünf-Prozent-Hürde – von den NachDenkSeiten vorausgesagt [https://www.nachdenkseiten.de/?p=127206] Tobias Riegel – Na, herzlichen Dank an alle Rüstungspropagandisten – Euretwegen unterwerfen sich die Bürger massenhaft einem irren „Fünf-Prozent-Ziel“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134032] Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands betrug im Jahr 2024 rund 4.305 Milliarden Euro. Fünf Prozent davon wären also 215,3 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben. Die Ausgaben des gesamten deutschen Bundeshaushalts beliefen sich 2024 auf 465,7 Milliarden Euro, womit die neuen Militärausgaben dann mit 46,2 Prozent fast die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts einnehmen würden. 215 Milliarden Euro. Jedes Jahr. Was ließe sich damit alles finanzieren! In Deutschland kostet beispielsweise das Schulsystem den Steuerzahler rund 9.200 Euro pro Jahr und Schüler [https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_082_217.html]. Für das Rüstungsbudget ließen sich also 24 Millionen Schüler unterrichten – oder halt etwas weniger, wenn man die Schulen besser ausstattet. Die Kosten für einen Kita-Platz liegen übrigens bei rund 7.700 Euro pro Jahr und Kind [https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156866.kindergaerten-ein-kitaplatz-kostet-euro.html], die Rüstungsausgaben würden also für die Kita-Betreuung von 28 Millionen Kindern reichen. Würden die 215 Milliarden als Bundeszuschuss in das Rentensystem fließen, könnte die durchschnittliche monatliche Rente von etwa 1.300 Euro auf ca. 2.153 Euro steigen, was einer Erhöhung von etwa 65,6 Prozent entspricht. Altersarmut ade. Und wie sieht es mit der Pflegekatastrophe aus? Ein Krankenhausbett kostet den Steuerzahler in Deutschland pro Jahr etwa 20.834-31.250 Euro (nur direkte Steuermittel) bis 131.251–147.917 Euro (inkl. Arbeitnehmeranteil der GKV). Nimmt man 140.000 Euro als Mittelwert, entspräche das Rüstungsbudget mehr als 1,5 Millionen Krankenhausbetten – wohlgemerkt inklusive der ärztlichen und pflegerischen Versorgung. Die Gesamtkosten eines Platzes im Pflegeheim liegen übrigens bei rund 60.000 Euro pro Jahr, die Rüstungsausgaben entsprächen 3,6 Millionen Plätzen – wohlgemerkt vollfinanziert, ohne Eigenanteil und ohne Pflegeversicherung. Auch andere „dicke Brocken“ wirken im Vergleich zum Rüstungsbudget bei 5 Prozent erstaunlich klein. So betragen die Kosten für die Energiewende (über Bundeszuschüsse, Länderzuschüsse und indirekte Steuermittel) rund 60 Milliarden Euro pro Jahr. Auf die gleichen Kosten kommt das Bürgergeld. Die Kosten für die Investitionen in die Bahninfrastruktur liegen bei rund 15 Milliarden Euro pro Jahr. Die Gesamtkosten für Flüchtlinge und Asylpolitik liegen bei rund 40 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn man also die Kosten für Energiewende, Bürgergeld, Schienenverkehr und Flüchtlinge zusammenzählt, kommt man auf rund 175 Milliarden Euro – was rund 80 Prozent der kommenden Rüstungsausgaben entspricht. Ohne die Hochrüstung ließen sich – zumindest finanziell – also alle „Probleme“ lösen, über die die Politik sonst so heiß debattiert. Wo kommt das ganze Geld her? Natürlich vom Steuerzahler, also von Ihnen. Aber was heißt das konkret? Ein verbeamteter Lehrer der Besoldungsstufe A13 kommt nach einigen Jahren Berufserfahrung auf ein Bruttogehalt von rund 6.000 Euro pro Monat, für das er bei Steuerklasse I rund 1.500 Euro Lohnsteuern pro Monat abführen muss. Wenn 46,2 Prozent der Steuereinnahmen in die Rüstung gehen, wären dies 693 Euro. Pro Monat, wohlgemerkt. Jeden Monat würde unser Lehrer fast 700 Euro für die Rüstungspolitik der Bundesregierung bezahlen, 8.316 Euro im Jahr! Das reicht, um zumindest eines seiner Kinder studieren zu lassen. Wenn Sie Ihr Auto mit 50 Liter Benzin E10 volltanken, zahlen sie derzeit bei einem Literpreis von 1,70 Euro 85 Euro, wobei der Steueranteil rund 1,07 Euro pro Liter, also 53,50 Euro beträgt. Wenn 46,2 Prozent der Steuereinnahmen in die Rüstung gehen, wären dies 24,72 Euro. Mit jedem Volltanken zahlen Sie also fast 25 Euro für die Rüstung. Auch Raucher können sich künftig damit brüsten, dass sie sich in besonderem Maße für die „Landesverteidigung“ einsetzen. Heute kostet eine Zigarette einer Premiummarke im Handel rund 45 Cent, wovon stolze 27 Cent ins Staatssäckel fließen. Wenn künftig 46,2 Prozent der Steuereinnahmen für die Rüstung ausgegeben werden, sind dies 12,5 Cent pro Zigarette. Ähnlich hoch ist der Steueranteil bei alkoholischen Getränken. In Deutschland fallen hier 13,03 Euro Alkoholsteuer pro Liter reinem Alkohol an, die Mehrwertsteuer kommt natürlich noch on top. Und auch die Biersteuer ist mit 9,4 Cent pro Liter Bier nicht zu vernachlässigen. Wer sich also künftig eine Flasche Single Malt für 50 Euro gönnt, unterstützt damit die Rüstung mit rund neun Euro; bei der Flasche preiswerten Doppelkorn vom Discounter sind es immerhin bis zu rund zwei Euro. Mit jeder Flasche Bier aus dem Supermarkt gehen rund zehn Cent in die Rüstung; trinkt man das Bier in der Kneipe oder dem Biergarten steigt die „Rüstungsabgabe“ freilich. Richtig viel Geld wird den Rüstungskonzernen auch über die Strom- und Gas-Steuern in die Kassen gespült. Rund 20 Cent beträgt die Steuerlast pro verbrauchter Kilowattstunde, 9,25 Cent davon würden also in die Rüstung fließen. Das führt zu kuriosen Situationen. Wenn Sie sich beispielsweise den mit Rüstungslobbyisten besetzten TV-Talk von Maybrit Illner anschauen, fließt künftig allein über den Stromverbrauch Ihres Fernsehers ein Cent in die Rüstung. Und wenn Sie im Winter ordentlich heizen, unterstützen Sie nicht mehr – wie es 2022 noch hieß – „Putin“, sondern die deutsche Hochrüstung – mit durchschnittlich rund 30 Euro pro Monat. Auch der Urlaub im Süden dürfte künftig die Kassen der Rüstungswirtschaft ordentlich klingeln lassen. Wenn Sie für 400 Euro mit dem Flieger nach Mallorca reisen, beträgt der Steueranteil inkl. Luftverkehrssteuer, Steueranteil an den Flughafengebühren und Mehrwertsteuer stolze 96,26 Euro, wovon nach der nun bekannten Formel künftig 44,47 Euro in die Rüstung gehen. Wenn Sie also mit Ihrer vierköpfigen Familie mal die Sonne genießen und die Seele baumeln lassen wollen, haben Sie – ohne es zu merken – die Rüstung mit ganzen 178 Euro frischem Geld versorgt. Aber auch Kleinvieh macht bekanntlich Mist. Wenn Sie beim Bäcker ein Brötchen für 50 Cent kaufen, ist der Steueranteil dank des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Lebensmittel überschaubar. Aktuell zahlen Sie 3,3 Cent Steuern für jedes Brötchen. Doch sogar hier würde die Rüstungspolitik ihre Spuren hinterlassen. Künftig würden mit jedem einzelnen Brötchen immerhin 1,5 Cent in die Rüstung gehen. Lassen Sie sich doch all diese Zahlen mal durch den Kopf gehen und verwenden Sie sie gerne bei Diskussionen mit Mitmenschen, die der Meinung sind, fünf Prozent wären ja gar nicht so viel. Viel Spaß dabei. Titelbild: Onur26120/stutterstock.com[http://vg04.met.vgwort.de/na/4207ec31496f4118ab180f4ffecc3aaf]

„Wie Kafkas Käfer hat sich die Bundesrepublik Deutschland gleichsam über Nacht zu etwas gewandelt, das man nicht mehr wiedererkennt“, so die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Mit ihrem Band „Zeitenwenden. Skizzen zur geistigen Situation der Gegenwart“ analysiert sie, wie Kriegshysterie, wirtschaftliche Krise und politischer Kontrollverlust zusammenhängen. Sich von Angstpropaganda nicht irre machen zu lassen, ist das Gebot der Stunde. Von Irmtraud Gutschke. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Analytisch fundiert und scharfsinnig polemisch in den Schlussfolgerungen: Wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird mitgerissen sein von der Sprachkraft dieser Autorin, die schon mehrere vielbeachtete Bücher zur Situation in Deutschland und in der Welt geschrieben hat. Dass der Verlag auf die sonst üblichen biografischen Angaben zur Person verzichtete, mag seltsam erscheinen. Aber Leser der NachDenkSeiten werden wissen, welche Kränkung Dr. Guérot erlitt, nachdem sie im Februar 2023 von der Universität Bonn wegen medial verbreiteter angeblicher Plagiatsvorwürfe als Professorin gekündigt wurde, wogegen sie sich immer noch gerichtlich wehrt. Ihre Vermutung, dass es sich um einen politisch motivierten Rauswurf handelte, muss umso plausibler erscheinen, weil sie vorher schon wegen ihrer Ansichten zur NATO, zur deutschen Position im Ukrainekrieg und zur Corona-Politik ideologischen Scharfmachern ins Messer gelaufen war und weil ihre Kündigung umso stärker rufschädigend wirkte. Wie sie aus Schmerz Stärke gewann, fordert Hochachtung ab. Endlich einmal den deutschen Osten kennengelernt „Von heute auf morgen ein stattliches Gehalt zu verlieren und sich auf dem Arbeitsamt melden zu müssen, hat etwas Heilsames“, schreibt sie. Dadurch sei sie mal aus ihrem gewohnten Milieu herausgekommen. „Vor allem habe ich endlich, endlich einmal den deutschen Osten kennengelernt und dort fast überall engagierte Bürger getroffen, die noch einen ganz anderen Begriff von bürgerlichem Engagement haben, oft mehr als die Leute im Westen. Der deutsche Osten scheint mir heute die Herzkammer der Republik zu sein, da, wo nicht denunziert wird, da, wo man Spitzel-Methoden schon kennt, da, wo der Sozialismus – wie schlecht auch immer er war – noch residuale Formen von Gemeinschaft und sozialer Sorge hinterlassen hat, die mir im Westen seit langem nicht mehr begegnet sind.“ [1] Dass in „Erfurt, Weimar, Halle oder Dresden“ das Miteinander „noch halbwegs in Ordnung“ scheint, habe auch ich aus meinen Veranstaltungen dort als gutes Gefühl mitgenommen. Ideologische Indoktrination zu DDR-Zeiten hat eine gewisse Resistenz hinterlassen, welche die Jüngeren von den Älteren mitbekommen haben. Man weiß, kritisch mit öffentlicher Meinungsmache umzugehen und wundert sich nur, wie zunehmend plump sie daherkommt. Ulrike Guérot hat recht: „Es ist der entscheidende Unterschied zwischen der Bundesrepublik und der DDR, dass die Bürger in der DDR wussten, dass sie politisch belogen wurden, während die meisten in der (alten) Bundesrepublik Deutschland dachten und denken, das könne ihnen nie passieren!“ [2] Dass Staaten Machtinstrumente der jeweils herrschenden Klasse sind und sich zu diesem Zwecke der Ideologie bedienen, hat unsereins ja schon in der Schule gelernt. Der Wunsch, am bundesdeutschen „Wirtschaftswunder“ teilzuhaben, ließ viele indes ihr Wissen um die Triebkraft Profit vergessen. Von sozialer Ungerechtigkeit und Unsicherheit wurden sie kalt erwischt. Schon 1989 war „der Westen“ nicht mehr das, was er mal war. Nun aber gerät alles in Gefahr, was ihn einst attraktiv machte. Ulrike Guérot bringt es auf den Punkt: „Wie Kafkas Käfer“ hat sich Deutschland „gleichsam über Nacht zu etwas gewandelt, das man nicht mehr wiedererkennt. Wollte man in loser Folge aufzählen, was in der Bundesrepublik in den letzten Jahren verlustig gegangen ist, ohne dass es irgendeinen größeren Aufschrei in der bürgerlichen Mitte verursacht hätte, dann wären das: Demokratie, Rechtsstaat, Europa, Vertrauen und Sicherheit, Frieden, sichere Grenzen und sozialer Zusammenhalt, also eigentlich alles, was einmal die Grundfesten der Republik ausgemacht hat.“ [3] Für den Osten kommt hinzu, dass vornehmlich Westdeutsche das Sagen haben. Das frustrierende Empfinden, sich gleichsam unter einer Fremdherrschaft zu befinden, wird umso erschütternder, weil die Regierenden überhaupt nichts vom Osten verstehen und, schlimmer noch, die Augen verschließen vor dem geografischen Raum, in dem sie agieren. Immer noch wird die einstige DDR wie ein „Beitrittsgebiet“ betrachtet und östlich von Polen erstreckt sich für sie ein unbekanntes, befremdliches Territorium. Die während des Kalten Krieges in der BRD eingeübte Russophobie kommt heute mit aller Macht an die Oberfläche. Wenn eine solche Gefahr von Putin ausgehen würde, wie es heißt, wäre es doch höchste Zeit, dass Merz mal mit ihm telefoniert. Oder, besser noch, hinfährt. Aber wir haben einen Kanzler, der das weder will noch kann und sich in seinem Russland-Hass sogar noch selber gefällt. Der Freiheitsentzug wurde sorgfältig einstudiert So sind wir tatsächlich in einer fatalen Situation: „Zeitenwende ist ein Wort, das in den letzten Wochen und Monaten so oft benutzt wurde, dass man es nicht mehr hören kann – gewissermaßen die Neuauflage von alternativlos“, so Ulrike Guérot. Schon 2022 hatte Olaf Scholz vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts davon gesprochen: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“ [4] Wird uns die Gegenwart, so kritikwürdig sie erscheint, gar eines Tages wie eine vergangene noch-gute Zeit erscheinen? Das gängige Narrativ derzeit: „Wenn Russland gewinnt“, wie Carlo Masala sein fiktives Buch nannte, würde es für uns schlecht aussehen. Immer wieder wird uns eingehämmert, dass die russischen Truppen weiter nach Westen vorrücken würden, wenn sie in der Ukraine die Oberhand gewinnen. „Wir sind uns sicher und verfügen über nachrichtendienstliche Belege“, beteuert BND-Chef Bruno Kahl. [5] Wie soll man sich gegen derlei Panikmache wehren? Indem man sich klar macht, dass Angst ein Machtmittel ist, wie der Psychologe Rainer Mausfeld in seinem 2019 veröffentlichten Buch „Angst und Macht“ detailliert und überzeugend darlegt. Zum einen lässt sich die Aufmerksamkeit dadurch „sehr wirksam auf Ablenkziele richten, und schließlich lassen sich unter dem Vorwand eines Kampfes gegen X demokratische Strukturen abbauen und auf allen Ebenen der Exekutive und Legislative autoritäre Strukturen etablieren“. [6] Heute hat das Kampfziel „X“ einen Namen: Wieder einmal geht es gegen Russland. Da setzt Kanzler Merz nur lauthals fort, was vorher schon entschieden war. Und auch das „Artikelgesetz Zeitenwende“, Anfang September 2024 vom Bundeskabinett beschlossen, kam nicht aus heiterem Himmel. „Es soll die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung angesichts aktueller Herausforderungen steigern und ist ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zu kriegstüchtigen deutschen Streitkräften.“[7] „Es sind Momente, in denen die Geschichte über das Leben der Menschen herfällt, in denen die Geschichte fast physisch in ihren Alltag eindringt“, so Ulrike Guérot. Dass Zeiten gewendet werden können „wie ein Omelette“ in der Pfanne, von heute auf morgen, manchmal brutal“, dazu musste die behäbige Bundesrepublik erst wieder abgerichtet werden. [8] Womöglich war Corona bereits eine „Vor-)Übung auf den geplanten Krieg“, wie sie meint. „Der Freiheitsentzug wurde sorgfältig einstudiert. So gut einstudiert, dass die Mechanismen des autoritären Zugriffs schon verfangen haben: Sie lauten Cancel Culture, Diffamierung, lautlose Entfernung kritischer Personen, Existenzvernichtung. Aus einer liberalen Gesellschaft wurde im Handumdrehen eine geschlossene Gemeinschaft. Die deutsche Gesellschaft hat zugeschaut und schnell gelernt: die Zeitungsredaktionen als Erste. Besser nicht mucksen!“ [9] Manchmal wünschte man sich gar, dass die Autorin übertreibt mit ihrem Empfinden, „als ob alle buchstäblich geisteskrank sind, diesen Zustand aber als Vernunft deklarieren“. [10] Doch dieses Gefühl kennen viele. Verwirrung und Ohnmacht, so dass man gar an sich selbst zu zweifeln beginnt. Ist es da nicht am bequemsten, den „Experten“ zu glauben? Allerdings sollte man sich klar machen: Was sie publik machen und was nicht, ist zweckgebunden. Wenn wir in Geheimdienst-Informationen eingeweiht werden, wie sie NATO-Generalsekretär Mark Rutte am 9. Juni teilte, sollen wir einer Politik zustimmen, die nicht im mehrheitlichen Interesse ist: Aufrüstung zulasten sozialer Belange. Russland würde schon in diesem Jahr 200 Iskander-Raketen, 1.500 Panzer und 3.000 gepanzerte Fahrzeuge produzieren. So könnte Putin innerhalb von fünf Jahren bereit sein, die NATO anzugreifen, sagt uns Mark Rutte. Da klingt es doch beruhigend, dass die NATO ihre Ausgaben für Luft- und Raketenabwehr um 400 Prozent erhöht. [11] Wozu die Kriegsmaschinerie gut sein soll Der Ertrag dieses Buches: Man gewinnt Abstand zu all dem Gerede, um zu begreifen, worum es wirklich geht. Durch Aufrüstung soll einer Systemkrise begegnet werden, die mit einem Weltordnungskonflikt im Zusammenhang steht. Dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg mit Russland stattfindet (eine Aussage, die einem hier gleich den Ruf „Putin-Versteher“ einbrachte), wird in den USA inzwischen offen zugegeben. Dass die vom Westen gewollte Eindämmung Russlands so nicht funktioniert hat, ist von jenen schwer zu verkraften, die darauf hingearbeitet haben. Sie müssten umdenken, womöglich ihren Hut nehmen. So wie Selenskyj, wenn es hoffentlich bald zu einem Friedensschluss in der Ukraine kommt. Vor dem Hintergrund des Krieges dort hat Russland neue Bündnisse geschlossen und kann international souverän agieren. Der Westen hat nur einen Draht zu Israel, Putin aber hat gleich nach dem israelischen Angriff auf Iran mit dem iranischen Präsidenten Massud Peseschkian und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu telefoniert und seine Bereitschaft erklärt, Vermittlungsarbeit zu leisten, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Was auch in Trumps Interesse ist. Das Buch ist vor dem 13. Juni 2025 entstanden, doch die Autorin dürfte es nicht wundern, wie wieder einmal „Geheimdienstinformationen“ (die Entwicklung einer Atombombe stehe bevor) als Kriegsbegründung herhalten mussten. In ihrem Text hat sie bereits auf die schon lange vorhandenen groß-israelischen Pläne verwiesen und das europäische Schweigen zu Gaza kritisiert. Nicht nur was die Ukraine betrifft: „Der Liberalismus – euphemistisch für das Kapital“ – braucht solche Kriege, „um durch Rüstungsmaschinerie und Kriegswirtschaft jenes Wirtschaftswachstum zu schaffen, das den sozialen Protest in den populistischen Parteien abbindet und zugleich die soziale Frustration in nationalen Kampfesgeist umlenkt … Es ist das letzte Abwehrgefecht der liberalen Elite, die sich, außer repressiv zu werden und buchstäblich selbst zur Gewalt zu greifen, nicht mehr zu helfen weiß. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten, ein politisches System zu stabilisieren: mit Zuspruch oder mit Gewalt.“ [12] Weil der demokratische Zuspruch aber immer mehr bröckelt, wird hierzulande ein möglicher Krieg gegen Russland beschworen, um die Zügel gegenüber der Bevölkerung im eigenen Land anzuziehen. Die Rüstungsindustrie wird staatlich subventioniert mit Hoffnung „auf Wachstum, das diese hoffentlich generiert“. Mentale Kriegsvorbereitung und Kriegswirtschaft und schließlich der Krieg selbst werden zum „Vorwand, um immer autoritärer mit Blick auf die Gesellschaft werden zu können“. Insofern ist die propagandistische Beschwörung demokratischer Werte eine Heuchelei. Denn eine „Militarisierung ist per se mit demokratischen Gesellschaften nicht vereinbar“, wie hier zu Recht festgestellt wird. [13] Gleichzeitig aber, meine ich, sind diese demokratischen Werte hochzuhalten und zu verteidigen. Es ist doch nicht so, dass wir nichts zu verlieren hätten. Die westliche Moderne mit ihren Errungenschaften, in Jahrhunderten gewachsen, trägt immer noch Entwicklungsmöglichkeiten in sich selbst, die nicht gewaltsam abgeschnitten werden dürfen. „Krieg ist das Projekt der Beschneidung – oder zur vollständigen Entsorgung? – des Sozialstaates zugunsten des militärisch-industriellen Komplexes“, hat Ulrike Guérot schon zu Beginn ihres Buches festgestellt. [14] Dass dies keinesfalls passieren darf, ist das Gebot der Stunde. Die Sorgen, die viele umtreiben, sind berechtigt. An was kann man sich noch halten? Eine ganze Gesellschaft ahnt, dass unter dem Teppich, auf dem sie steht, kein Boden mehr ist, nichts mehr, was sie hält, außer viel darunter gekehrter Dreck. [15] „Vielleicht sei darum der Ruf nach äußerer Sicherheit so groß?“, mutmaßt die Autorin. „Weil man sich auf einen inneren Kompass der Gesellschaft, die Reaktion der Anderen, die Vernunft oder den gesunden Menschenverstand eben nicht mehr verlassen kann? Weil die innere Unsicherheit ins Unendliche wächst. Weil einen das Gefühl beschleicht, dass alle Dinge hohl und leer sind, die Rentenkasse ebenso wie die „Sondervermögen“, und alle politischen Versprechen sowieso. [16] Aber der Wahnsinn hat Methode. „Man kann die vielen Spaltungslinien, die derzeit die Republik von Süd nach Nord und von West nach Ost durchkreuzen, gar nicht mehr aufzählen … Es wird gestritten, was das Zeug hält … Soll der Krieg uns wirklich zusammenschweißen? Geht es nicht auch anders?“ [17] Zeit für eine wirkliche Zeitenwende in Europa Europa sei „von einer Rückkehr zu einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung“ weit entfernt, heißt es in dem „Manifest“ genannten Positionspapier, das von mehr als 100 SPD-nahen Personen um Ex-Fraktionschef Mützenich initiiert, einen Kurswechsel in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Gespräche mit Russland fordert. Dagegen hätten sich in Deutschland und den „meisten europäischen Staaten” jene durchgesetzt, „die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und Hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.“ [18] Als Hoffnungsschimmer konnte einem dieses „Manifest“ erscheinen. Wie es sogleich öffentlich in Zweifel gezogen und medial zurückgewiesen wird, tut weh. Die das Sagen haben in unserem Land, haben sich bereit gemacht, auf Teufel komm raus ihren Militarisierungskurs durchzuziehen, ungeachtet dessen, wie sich die Verhältnisse verändert haben. Oder gerade deshalb? Weil diese Veränderungen so erschrecken? Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und den USA werden gerade mühsam repariert, Europa aber scheint weiter Krieg spielen zu wollen. Die vielbeschworene europäische Verteidigungspolitik charakterisiert die Autorin als „Attrappe“. Wer soll in einen Krieg ziehen und wie würde das entschieden? Und was, wenn ein oder mehrere EU-Länder nicht mitmachen wollen? Was ist mit den neutralen Staaten, zum Beispiel Österreich? „Im Wesentlichen ist Europa für eine wirkliche politische Umsteuerung – postatlantisch, Aussöhnung mit Russland, Neudenken Europas, Ende der EU-Technokratie, soziale Wirtschaftsordnung etc. –, also für das, was allen Bürgern in ganz Europa guttäte, bar jeder politischen Alternative.“ [19] Andernfalls kann die EU „ihren Aufrüstungskurs nur um den Preis der Zerstörung ihrer eigenen Strukturen und einer autoritären Schließung weitertreiben, also um den Preis eines unverblümten Hineinregierens in souveräne Staaten hinein … Die Chance, dass dieser Prozess die EU auf die nächsten vier Jahre zerreißt, ist groß. Was aber machen wir dann?“ [20] Ulrike Guérot: Zeitenwenden. Skizzen zur geistigen Situation der Gegenwart. Westend Verlag, 222 S., geb., 24 €. Titelbild: Screenshot ZDF[https://vg08.met.vgwort.de/na/b9a1be37140345dd891feb40c88baf34] ---------------------------------------- [«1] Guérot, S. 11 [«2] ebenda [«3] ebenda, S. 20 [«4] ebenda, S. 24f [«5] fr.de/politik/um-gefangenenaustausch-ukraine-news-russland-mit-luftangriffen-auf-die-ukraine-streit-zr-93775146.html [https://www.fr.de/politik/um-gefangenenaustausch-ukraine-news-russland-mit-luftangriffen-auf-die-ukraine-streit-zr-93775146.html] [«6] Rainer Mausfeld: Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien. Westend Verlag, S. 39 [«7] bmvg.de/de/presse/kabinett-beschliesst-artikelgesetz-zeitenwende-5833634 [https://www.bmvg.de/de/presse/kabinett-beschliesst-artikelgesetz-zeitenwende-5833634] [«8] Guérot, S. 25 f [«9] ebenda, S. 27 [«10] ebenda, S. 32 [«11] merkur.de/politik/russland-nato-angriff-putin-ukraine-krieg-isw-experten-generalsekretaer-93777547.html [https://www.merkur.de/politik/russland-nato-angriff-putin-ukraine-krieg-isw-experten-generalsekretaer-93777547.html] [«12] Guérot, S. 147 [«13] ebenda, S 147 [«14] ebenda, 18 [«15] ebenda, S. 48 [«16] ebenda, S. 49 [«17] ebenda, S. 85 [«18] tagesschau.de/inland/innenpolitik/spd-manifest-russland-100.html [https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/spd-manifest-russland-100.html] [«19] Guérot, S. 157 [«20] ebenda,S. 173

Eine Zumutung – das bot das „ZDF-Morgenmagazin“ in einem zehnminütigen Vor-Ort-Beitrag am Montag seinen Zuschauern. Live aus Ingolstadt sollte der Frage nachgegangen werden: „Wie kriegstüchtig ist die Bundeswehr?“ [https://www.zdf.de/play/magazine/zdf-morgenmagazin-104/moma-vor-ort-ingolstadt-bundeswehr-kern-richter-100?staffel=2025#t=ausschnitte] Das Ergebnis: Eine Propagandashow, befreit von kritischem Journalismus – inklusive einem vermummten Bundeswehrsoldaten, der sich vorm russischen Geheimdienst fürchtet, und zwei Blondinen in der Bildmitte. Ein Kommentar von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Was haben diese zehn Minuten wohl den Gebührenzahler gekostet? Man will es gar nicht wissen. Die Redaktion des „ZDF-Morgenmagazins“ reist nach Ingolstadt, um live der Frage nachzugehen: „Wie kriegstüchtig ist die Bundeswehr?“ – und der fachkundige Zuschauer erahnt, dass es nun düster wird. Seit Langem ist kritischen Mediennutzern bekannt: Viele der Fragen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu brisanten politischen Themen stellt, dienen nicht dem Erkenntnisgewinn. Die Fragen sind verkommen zu einem Steigbügel für die Politik. Und in diesem Geiste serviert der milliardenschwere Rundfunk dem Zuschauer eine Liveshow, die es in sich hat. Auf die Propaganda in der Anmoderation folgt Propaganda in den Gesprächen. Das gesamte Setting: eine einzige Zumutung. Unter dem Wellblechdach der Pionierschule sitzt der Moderator, umgeben von jungen Bundeswehrsoldaten und – nun festhalten – Schülern aus Ingolstadt (schämen sich die Schulen und Lehrer eigentlich nicht?). Als Gesprächspartner dienen der Oberbürgermeister von Ingolstadt, ein vermummter Bundeswehrangehöriger und ein lokaler Unternehmer. Überraschung: Alle sind beim Thema Kriegstüchtigkeit ganz auf Linie. Kritische Stimmen? Sie kommen in der Filterblase des „Morgenmagazin“-Beitrags nicht vor. Der Redaktion darf gratuliert werden: Gute Arbeit! Im besten Sinne der Politik! Schon die Anmoderation aus dem Fernsehstudio zeigt: Die gewünschte politische Ideologie wurde artig geschluckt. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine habe sich „die Bedrohungslage massiv verändert“, sagt der Moderator. Die entsprechend bedeutungsschwangere Mimik vermittelt dem Zuschauer den Eindruck: So ist die Realität! Dass es keine „veränderte Bedrohungslage“ gibt, scheint für den Moderator undenkbar. Die propagandistischen Lügen von einem Russland, das drohe, die NATO und ganz Europa anzugreifen, werden nicht erkannt. Und so geht es weiter. Der Moderator vor Ort unterstreicht gleich zu Beginn noch einmal, was sein Kollege im ZDF-Studio schon sagte. Er spricht von einem „Trainieren für den Ernstfall“ und davon, dass dieses Training der Bundeswehr mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine nun „eine neue Qualität“ bekommen habe. Der Ingolstädter Oberbürgermeister darf dank einer entsprechenden Frage gleich in die Vollen gehen und sagt, dass es „in Zeiten wie diesen“ naheliege, „an das Thema Rüstungswirtschaft intensiver zu denken“. Für Ingolstadt sieht der Politiker in Bezug auf die Rüstungsindustrie Chancen für die Zukunft und, gewiss, man sei in Ingolstadt „sehr verbunden mit der Bundeswehr“, denn die Bürger wüssten: „Die Bundeswehr ist da für unsere Sicherheit“. Ob das alle Ingolstädter so sehen, sei dahingestellt – Differenzierung wäre ohnehin politischer Propaganda abträglich. Dann, Auftritt „Oberstleutnant Max“. Mit Sonnenbrille und vermummten Gesicht sitzt der Offizier im Tarnfleck neben dem Moderator. Wir erfahren: Der kampferprobte Afghanistan-Veteran hat Angst, seine Identität zu erkennen zu geben. Schließlich: Der russische Geheimdienst könnte irgendwo auf der Lauer liegen. Die Zuschauer hören, dass der Krieg nun „Tagesgeschäft“ sei und er aber, wie alle anderen Soldaten natürlich auch, Frieden wolle. Erkenntnisgewinn? Null. Schließlich kommt ein Unternehmer vor Ort zu Wort, der früher Autoteile als Zulieferer produziert hat und nun militärische Produkte herstellt. Die Zuschauer hören, dass der Geschäftsmann sich darüber freut, für die Bundeswehr die Technologien für morgen und übermorgen zu entwickeln. Und: Sein Unternehmen betrachte es „als sehr großes Privileg, für diese Branche arbeiten zu dürfen“. Bemerkenswert: Ziemlich genau in der Bildmitte sitzen zwei junge Frauen mit blonden Haaren. Gewiss, gewiss: Das ist reiner Zufall! Dass gerade auch von einer Wehrpflicht für Frauen die Rede ist und zwei Blondinen junge weibliche Zuschauer auf die Idee bringen könnten, dass doch die Bundeswehr auch für sie eine nette Berufsmöglichkeit sein könnte, ist mit Sicherheit von niemandem beabsichtigt oder gewollt. Lassen wir das. Manipulationen bei der Zuschauerauswahl und Platzierung sind dem ZDF ohnehin fremd [https://www.bild.de/politik/inland/parteiisches-publikum-und-irre-ausreden-luegen-vorwurf-gegen-das-zdf-nach-zuschauer-skandal-67a7377094e93b193511e86a]. Was das „Morgenmagazin“ hier seinen Zuschauern präsentiert hat, ist eine durchgehende Zumutung – insbesondere, wenn man daran denkt, dass Ingolstädter Schüler zu Besuch waren. Wer war für diesen Schulausflug verantwortlich? Welche Direktoren, Lehrer usw. haben diesen Besuch unterstützt? Hier wäre, insbesondere in Anbetracht der Anwesenheit von Schutzbefohlenen, zwingend eine kritische journalistische und politische Einordnung nötig gewesen. Stattdessen werden Schüler Propaganda ausgesetzt. Titelbild: Screenshot/Morgenmagazin[http://vg04.met.vgwort.de/na/66917a514fa141ea8ff23342909a4bf7]

Der frühere britische Botschafter, Menschenrechtsaktivist und schottische Journalist Craig Murray hat schon vor rund 20 Jahren öffentlich Menschenrechtsverletzungen kritisiert, die von westlichen Regierungen gedeckt wurden. Deshalb verlor er sein Amt als Botschafter in Usbekistan. Seine Stimme erhebt er aber auch weiterhin gegen die britische und US-amerikanische Außenpolitik. Unter anderem war Murray einer der prominentesten Unterstützer von Julian Assange. Im folgenden Text [https://www.craigmurray.org.uk/archives/2025/06/war-with-iran/] beleuchtet er die Verbindungen zwischen westlichen Geheimdiensten, insbesondere dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6, Israel und einer medialen Kampagne, die dem Krieg gegen den Iran vorausging. Der Artikel wurde von Susanne Hofman übersetzt. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Krieg gegen den Iran Von Craig Murray Seit 18 Jahren gehört das iranische Atomprogramm zu den zehn wichtigsten Zielen im Visier der US-Geheimdienste. Im Jahr 2007 führten sie erstmals eine formelle behördenübergreifende Überprüfung durch. Sie findet seitdem jedes Jahr statt. Das ist kein unbedeutender Vorgang. Eine große Menge an Informationen wird dabei eingespeist, von Dutzenden Akteuren in Washington, angeführt von der CIA. Das Ergebnis ist dabei Jahr für Jahr dasselbe: Der Iran strebt derzeit nicht den Bau einer Atombombe an. Viele wissen, dass Tulsi Gabbard diese Einschätzung im Frühjahr dieses Jahres kommuniziert hat (Tulsi said Iran not building nukes. One senator after another ignored her. | Responsible Statecraft [https://responsiblestatecraft.org/tulsi-iran-bomb/]). Nur wenige wissen jedoch, dass diese Aussage in keiner Weise besonders auf Tulsi Gabbard zurückgeht. Sie überbrachte lediglich dieselbe Einschätzung, die auch die Direktoren der nationalen Geheimdienste sowohl unter republikanischen als auch unter demokratischen Regierungen durch denselben Prozess abgeliefert haben. Nichts hat sich geändert. Das Einzige, was sich geändert hat, ist Netanjahus Angriff auf den Iran. Trump scheint damit durchzukommen, einfach zu sagen, dass ihm die Einschätzungen der Geheimdienste egal sind. Für Starmer ist es schwieriger, so zu reagieren. Britische und amerikanische Streitkräfte sind bereits in diesem Krieg aktiv: Sie schießen iranische Raketen ab, betanken gemeinsam mit den Deutschen israelische Bomber und liefern Zielinformationen. Militärische Ausrüstung wird über die RAF Akrotiri – ein britisches Hoheitsgebiet auf Zypern – nach Israel transportiert. Mit Sicherheit sind israelische Bomber dort in der vergangenen Woche gelandet; ob sie von dort auch zu Bombenangriffen gestartet sind, kann ich derzeit nicht bestätigen. In Großbritannien gibt es keine öffentliche Unterstützung für eine britische Beteiligung an einem Angriff auf den Iran, trotz massiver und anhaltender Propaganda in allen staatlichen und privaten Medien. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der sich in den letzten zwei Wochen ausschließlich in den Mainstream-Medien informiert hat, auch nur ahnte, dass Israel über Atomwaffen verfügt oder dass es keinerlei Beweise dafür gibt, dass der Iran welche produziert. Die britische Regierung hat eine gewaltige parlamentarische Mehrheit – errungen mit gerade einmal 31 Prozent der Wählerstimmen – und eine konservative „Opposition“, die noch begieriger ist, den Iran anzugreifen, als die durchgeknallten Zionisten Premier Starmer und Außenminister Lammy. Ich sehe nicht, wie man sie daran hindern könnte, den Iran anzugreifen. Aber sie werden sich sehr darum bemühen, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Daher ist es entscheidend, dass die Einschätzung des MI6 – nämlich dass der Iran keine Atombombe entwickelt – unter dem Deckel gehalten wird. Als Blair ein Dossier mit „nachrichtendienstlichen“ Lügen vorlegte, um die Zerstörung des Irak zu rechtfertigen, hatte er das Glück, Richard Dearlove als Chef des MI6 zu haben. Er war nicht nur der am weitesten rechts stehende Ideologe, der je dieses Amt innehatte, sondern einer der rechtsradikalsten Männer in ganz England. Dearlove glaubte, das moralische Argument für den Krieg sei wichtiger als die Wahrheit über die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak. Blair hatte außerdem Sir John Scarlett als Leiter des Gemeinsamen Geheimdienstausschusses und späteren MI6-Chef, auf den er sich stützen konnte. Scarlett war fest davon überzeugt, dass es wichtiger sei, seine eigene Karriere zu fördern, als die Wahrheit über irakische Massenvernichtungswaffen ans Licht zu bringen. Es ist bemerkenswert – und ein herausragendes Beispiel dafür, wie die neoliberale Welt funktioniert –, dass der nächste MI6-Chef, Sir John Sawers, heute in leitender Funktion für British Petroleum arbeitet. Dieses Unternehmen kontrollierte den Iran jahrzehntelang, setzte 1921 den falschen Pahlavi-„Schah“ ein, und es plante und finanzierte den Putsch, der 1953 die Demokratie im Iran beendete. Die entsetzliche Diktatur des Schahs danach führte direkt zur theokratischen Revolution. BP will verzweifelt das iranische Öl zurückhaben, deshalb trommelt der ehemalige MI6-Chef Sawers in den Medien unermüdlich für einen Krieg gegen den Iran. Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass vor zwei Tagen eine neue MI6-Chefin gewählt und eingesetzt wurde. Starmer hat seinen Dearlove gefunden. Die Ernennung erfolgte durch Außenminister David Lammy. Blaise Metreweli wurde der Vorzug vor Kandidaten gegeben, die eine naheliegendere Besetzung für den Job gewesen wären, die länger im MI6 dienten, mehr operative Erfahrung hatten und bessere Analysten oder Manager waren. Metreweli jedoch, die einen Großteil ihrer Karriere im Nahen Osten verbrachte, ist eine fanatische Zionistin. Sie arbeitete eng mit Israel an Technologien für Überwachung und Attentate zusammen. Metreweli entwickelte Projekte mit Pegasus und Palantir und war in Israels Einsatz neuer Angriffsformen im Libanon und Iran eng eingebunden. Sie wurde vom Mossad gegenüber Lammy nachdrücklich als nächste MI6-Chefin empfohlen. MI6 und das Außenministerium sind untrennbar verbunden. Sie arbeiten buchstäblich Tür an Tür in Botschaften weltweit, und Mitarbeiter der MI6-Zentrale in London haben Tarn-Jobs im Außenministerium. Beamte des Außenministeriums sind äußerst unglücklich über die britische Mithilfe beim Völkermord im Gazastreifen. Hunderte von ihnen wurden von Lammy aufgefordert, den Mund zu halten oder zurückzutreten (Civil servants told to consider quitting if they disagree with policy over Gaza [https://www.bbc.com/news/articles/cy8nzx1475ro]). Es herrscht Bestürzung darüber, dass der Mossad die nächste MI6-Chefin bestimmt hat. Ich habe meinen Informanten – eine ranghohe Persönlichkeit im Außenministerium – gefragt, ob Metreweli an den Pager-Angriffen im Libanon beteiligt war. Die Antwort lautete: „Nicht hundertprozentig sicher, aber wahrscheinlich ja.“ Zu erwarten ist eine Ankündigung, dass der MI6 festgestellt hat, dass der Iran tatsächlich kurz davor war, eine Atombombe herzustellen. Die Regierung scheint ihren derzeitigen Militäreinsatz damit zu rechtfertigen, dass sie einen „Verbündeten“, Israel, verteidigen müsse. Emily Thornberry, eine langgediente Labour-Abgeordnete und Juristin, erklärte gestern Abend in der BBC-Sendung Newsnight, dass das Recht auf militärische Maßnahmen auf unserem „Recht beruhe, unsere Freunde zu verteidigen“. Sie verwendete nicht das Wort „Verbündeter“, und ein solches Recht, wie Thornberry es darlegte, existiert nicht. Starmer und Lammy bezeichnen Israel zwar häufig als „Verbündeten“, doch es existiert kein öffentlich zugänglicher Verteidigungsvertrag. Es gibt ein geheimes Verteidigungs-Kooperationsabkommen (UK military support for Israel’s genocide was pre-planned [https://www.declassifieduk.org/uk-military-support-for-israels-genocide-was-pre-planned/]) zwischen Großbritannien und Israel aus dem Jahr 2020. Ob dieses als ein gegenseitiger Verteidigungsvertrag zu verstehen ist, ist nicht bekannt. Solche Verträge sollten öffentlich sein und registriert werden, nicht zuletzt, weil ein Teil des angeblichen Zwecks die Abschreckung ist. Man kann alle Gründungsverträge der NATO (NATO – PDF: North Atlantic Treaty, 01-Apr.-2009 [https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_89597.htm]) einsehen. Die Vorstellung, dass Großbritannien auf Grundlage eines für das britische Volk geheimen Verteidigungsvertrags in den Krieg ziehen könnte, ist moralisch so verkommen, dass sie nicht einmal zur Diskussion gestellt, geschweige denn umgesetzt werden sollte. Aber die Demokratie ist in Großbritannien tot, so tot, dass die Menschen vergessen haben, was Demokratie überhaupt bedeutet. Noch schlimmer ist natürlich, dass es sich hier nicht um gegenseitige Verteidigung, sondern um gegenseitigen Angriff handelt. Es war Israel, das den Iran angegriffen hat. Indem Großbritannien an der Seite Israels steht, wie auch an der Seite der Ukraine, billigt es terroristische Taktiken wie den Einsatz von Autobomben (Iran reports 5 car bomb explosions in Tehran by Israel [https://www.aa.com.tr/en/middle-east/iran-reports-5-car-bomb-explosions-in-tehran-by-israel/3599545]) sowohl durch ukrainische als auch iranische „Verbündete“. Auf welcher moralischen Grundlage verurteilt das Vereinigte Königreich dann den Einsatz von Autobomben auf Londons Straßen, wenn es gleichzeitig den Einsatz solcher Mittel durch unsere „Verbündeten“ unterstützt? Kürzlich habe ich zwei Beiträge (MI5’s Fake Terror Plots – Craig Murray [https://www.craigmurray.org.uk/archives/2025/05/mi5s-fake-terror-plots/]) veröffentlicht, die sich auf bemerkenswerte inszenierte Terroranschlags-Narrative (MI5 Take Us For Fools – Craig Murray [https://www.craigmurray.org.uk/archives/2025/05/mi5-take-us-for-fools/]) konzentrieren, welche von den britischen Sicherheitsdiensten in den Mainstream-Medien stark verbreitet werden. Beide drehten sich um angebliche Aktionen gegen „Iran International“, eine von Saudi-Arabien und der CIA finanzierte Fake-Medienorganisation, die die Rückkehr des Pahlavi-Schahs in Allianz mit Israel und iranischen Sunniten propagiert. Aufgrund meines Einsatzes für die Freilassung von Julian Assange habe ich Kontakte auf der libertären Seite von MAGA, einige sogar in der Regierung. Dort sagt man mir, dass das in Washington von Israel und Saudi-Arabien vorgeschlagene Ziel ein Regimewechsel im Iran mit der Rückkehr des Schahs und einem sunnitischen Premierminister sei. Zur Erinnerung: Zum Zeitpunkt meiner beiden Artikel über die bemerkenswerten Vorgänge rund um die Sicherheitsdienste und „Iran International“ gab es noch keinen Krieg mit dem Iran. Das schrieb ich in meinem ersten Artikel: > Aber ungewöhnlicherweise führte im Jahr 2023 eine von McCallums erfundenen „iranischen Verschwörungen“ tatsächlich zu einer Verurteilung – ein Einblick in die verdrehte Psyche der Sicherheitsdienste. > > „Iran International“ ist wahrscheinlich der zwielichtigste Medienkanal der Welt. Eine auf Persisch ausgerichtete Nischenplattform, die von Saudi-Arabien finanziert wird und sich an jene Iraner richtet, die Israel unterstützen, die Wiederherstellung eines Schahs befürworten und Saudi-Arabien nahestehen. > > Wie gesagt, es ist eine sehr kleine Nische. > > Dennoch wurde diese kleine Medienoperation mit einer saudischen Investition von einer Viertelmilliarde Dollar aufgebaut. Ja, richtig gelesen: 250 Millionen Dollar. Die Frage, wohin all dieses Geld tatsächlich geflossen ist, ist sehr interessant. Die Puzzleteile fügen sich jetzt alle perfekt zusammen. Das Vereinigte Königreich ist tief in die Abgründe der Unmoral eingetaucht, in denen der Zionismus gedeiht. Die Konsequenzen werden entsetzlich sein. Titelbild: Rokas Tenys / Shutterstock

Ein Gespräch mit Moritz Müller, NachDenkSeiten-Autor, über Julian Assange. Am 25. Juni 2025 ist es ein Jahr her, dass Julian Assange, der Gründer der Plattform WikiLeaks, nach 14 Jahren (!) unerbittlicher Verfolgung, Erniedrigung, Überleben im Asyl, haltloser Anklagen, ewiger Prozesse, Inhaftierung ohne Urteil einzig aufgrund seiner investigativen wie unbequemen Arbeit als Journalist und Whistleblower aus einem Hochsicherheitsgefängnis in London entlassen wurde. NachDenkSeiten-Autor Moritz Müller hat diese Zeit noch sehr intensiv in Erinnerung, vor allem die Jahre seit 2017, in denen er sich der zahlreichen Leserbriefe an die NachDenkSeiten zu Assange annahm. Als Moritz Müller Ende 2018 darauf aufmerksam wurde, dass Assange nach sechs Jahren immer noch im Botschaftsasyl in London festsaß und seine Situation sich stetig verschlechterte, zögerte er nicht lange und reiste nach London. Eine intensive Zeit der Unterstützung begann. Das und mehr erfuhr Frank Blenz im Gespräch mit Moritz Müller und hat es für die NachDenkSeiten aufgeschrieben. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Frank Blenz: Lieber Moritz, wenn ich an Julian Assange denke, denke ich auch an Moritz Müller – und zwar, weil Dein Name, Deine Arbeit für die NachDenkSeiten in den langen Jahren der Unterjochung Julian Assanges für mich trotz aller Pein, trotz der schlimmen Nachrichten immer etwas Hoffnung weckten. Ich ziehe vor Dir bis heute – Pardon, wenn ich das so blumig sage – den Hut, dass Du so geduldig und unverrückbar auch selbst in London vor Ort warst. Dort hast Du zahlreiche Artikel verfasst, Texte, die in anderen Publikationen unserer wertebasierten Medienwelt so selten waren und bis heute sind. Ich bin nun, da es sich erstmals jährt, dass Julian Assange freikam, wieder nah in Gedanken bei Euch, Assange und Dir, und will einiges wissen. Also, was war Dein Schlüsselerlebnis, welcher Gedanke kam auf, welcher Anlass ließ Dich entscheiden, dass Du Dich für Julian Assange persönlich einsetzen willst und wirst? Moritz Müller: Seit Ende 2017 war ich bei den NachDenkSeiten für die Bearbeitung der eingehenden Leserbriefe zuständig. Im Herbst 2018 kamen dann sehr gebündelt Leserbriefe zu Julian Assange und der sich zunehmend verschlechternden Situation in seinem Botschaftsasyl in der ecuadorianischen Botschaft in London. Der Hintergrund dazu war ein Aufruf, den seine Mutter Christine Assange gestartet hatte und auf den uns die NDS-Leser aufmerksam machten. Die NachDenkSeiten haben dann im November 2018 einen Beitrag von Chris Hedges [https://www.nachdenkseiten.de/?p=47287] veröffentlicht, der diesen Aufruf enthielt, und am nächsten Tag nochmals darauf hingewiesen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=47313]. Im Archiv der NachDenkSeiten finden sich sehr viele intensive wie wichtige Beiträge von Dir zu Julian Assange. Diese reichen bis auf das Jahr 2019 zurück. Im Dezember/Januar 2018/19 bist Du erstmals, so habe ich gelesen, nach London gereist … Damals hatte ich persönlich den Aufenthaltsort von Julian Assange sozusagen nur im Hinterkopf, zumindest hatte ich noch nicht gehört, dass er die Botschaft verlassen hatte. Ich habe dann mit Freunden in Schottland Silvester gefeiert. Anfang 2019 bin ich dann nach London gereist und zur ecuadorianischen Botschaft gelaufen. Dort hielten eine Handvoll Unterstützer eine Mahnwache. Einige von ihnen unterstützten Julian Assange schon seit seiner ersten Verhaftung im Dezember 2010. Mit ihnen kam ich an diesem Januarnachmittag ins Gespräch. In mir keimte die Idee für meinen ersten Artikel über Julian Assange [https://www.nachdenkseiten.de/?p=48340]. Das war dann mein erster eigener Beitrag auf den NachDenkSeiten überhaupt. Man muss wissen: In den Medien kamen Julian Assange und seine prekäre Situation zu dieser Zeit fast gar nicht vor. Für mich schien es nun umso klarer, dass man sich für den Journalistenkollegen Julian Assange einsetzen muss, wegen seiner persönlichen Situation, aber auch, um die Pressefreiheit zu verteidigen. Ich habe die Diskussionen um die Frage, ob er nun Journalist ist oder nicht, nie verstanden. Viele meiner Artikel habe ich geschrieben, um Julian Assange in der öffentlichen Wahrnehmung wachzuhalten. Es geht mein Dank hier auch explizit an die Kollegen und die Redaktion der NachDenkSeiten, die das Thema immer zu 100 Prozent unterstützt haben. Die NachDenkSeiten wiederum wären ohne die finanzielle Unterstützung der Leser nicht möglich, und somit auch mein großer Dank in diese Richtung. Deine Vor-Ort-Geschichten waren und bleiben wichtig und eindrucksvoll. Wie oft warst Du in London, wie hast Du diese lange, aufreibende Zeit erlebt? Gab es für Dich in der Zeit der Dunkelheit erhellende Hoffnungsmomente, oder war es eher eine Zeit zahlreicher Niederlagen und Demütigungen? Insgesamt bin ich 19-mal nach London gereist, um mich vor Ort zu informieren und für die Leser tätig zu sein. Im September 2020, als am zentralen Londoner Strafgerichtshof Old Bailey über den Auslieferungsantrag der USA verhandelt wurde, war ich für vier Wochen in London. Ich habe auf diesen Reisen London kennen- und lieben gelernt. Ich kenne aus dieser Zeit wunderbare und engagierte Menschen, die nicht nur für Assange auf die Straße gingen und protestierten. Diese Bekanntschaften und Freundschaften möchte ich nicht missen. Sie helfen mir bis heute, noch ein bisschen Optimismus zu haben, was die derzeitige Misere der Menschheit angeht. Hoffnungsmomente gab es in der Sache eher selten, die Situation von Assange verschlechterte sich eigentlich stetig. Im März 2019 war ich mit zwei Freunden mit Plakaten vor einem der Londoner Amnesty International (AI) Büros. Auf einem der Plakate stand: „Protect our Whistleblowers“. Der Name von Julian Assange wurde dabei nicht erwähnt. Es regnete in Strömen. Wir standen da, warteten, hofften. Anstatt mit uns zu kommunizieren, ließen die AI-Angestellten dann die Jalousien herunter. Das war für mich ein entlarvender Moment. Wir gaben nicht auf. Am nächsten Tag wiederholten wir die Aktion vor der AI-Zentrale in Roseberry Avenue, wieder mit einem Whistleblower-Plakat. Diesmal kam AI-Generalsekretär Kumi Naidoo persönlich aus dem Gebäude, um meinem Kollegen die Hand zu schütteln [https://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/190405-Open-Letter-to-Kumi-Naidoo.pdf]. Als dieser ihm darauf ein Julian-Assange-Flugblatt überreichte, machte Naidoo auf dem Absatz kehrt. So löste sich auch dieser kurze Moment der Hoffnung in Luft auf. Die schlechten Sachen, die Niederlagen? Es kam am 11. April 2019 zu Assanges gewaltsamer Verschleppung aus der Botschaft. Da war der Richter, der ihn nach 15-minütiger Verhandlung als Narzisst beschimpfte. Da ist das Auslieferungsbegehren, welches die USA nach jahrelanger Leugnung plötzlich aus der Tasche zogen. Und da ist die Verurteilung zu 50 Wochen Haft wegen Verstoßes gegen „Kautionsauflagen“ in schlimmer Erinnerung. Vergleichend gesagt: Die Hoffnung erwuchs aus dem Engagement der Aktivisten und nicht aus dem Agieren der beteiligten Justizbehörden, Regierungen, Leuten wie beispielsweise denen von AI. Die Mainstream-Medien spielten ebenso eher eine negative Rolle. Die New York Times, die Washington Post, El Pais, The Guardian und der Spiegel, die alle an der Veröffentlichung der Wikileaks-Enthüllungen beteiligt waren und davon schlagzeilenstark profitierten, konnten sich erst zu ganz später Stunde, Ende November 2022, zu einem Aufruf zur Freilassung von Assange [https://www.spiegel.de/ausland/offener-brief-zu-julian-assange-journalismus-ist-kein-verbrechen-a-b846f4af-6ceb-46bd-aa6f-11ad4874d985] durchringen. Man stelle sich das mal vor, das geschah nach über dreieinhalb Jahren nach der Verschleppung aus der Botschaft. Es gab in den Leitmedien natürlich auch positiv herausragende Ausnahmen. Zum Beispiel John Goetz vom NDR, Michael Sontheimer vom Spiegel und der freie Journalist Wolfgang Michal, um nur einige zu nennen. Nicht nur mir war klar, dass die Justiz im Fall Assange gegen ihn eingesetzt wurde. Der damalige UN-Sonderbeauftragte für Folter und menschenunwürdige Behandlung Nils Melzer hat dies in einem kurzen Essay treffend beschrieben [https://www.nachdenkseiten.de/?p=53173]. Du wirst sicher immer wieder hautnah erlebt haben, wie die Justiz und die Mächtigen im Königreich Großbritannien agierten. Hat ihr Handeln etwas mit einem Rechtsstaat zu tun? Mein sowieso eher sehr rudimentär und von Skepsis durchzogener Glauben an den Rechtsstaat hat sich durch die Beobachtung des Geschehens im Fall Assange fast komplett verflüchtigt. Natürlich hat man in dem System, in dem wir leben, eine gewisse und in vielen Fällen entwickelte Rechtssicherheit. Man darf den Staat und die Agierenden, wenngleich in immer enger werdenden Grenzen, auch kritisieren, das aber gewissermaßen, um den Anschein der Freiheit zu wahren. Geht es jedoch wirklich ans Eingemachte und jemand wie Julian Assange veröffentlicht Dinge, die die Staaten wirklich unter der Decke halten wollen, setzt sich die Maschinerie gnadenlos in Gang. So geschehen auch im Fall Chelsea Manning. Manning hatte einen Großteil Informationen an Wikileaks geliefert. Auch die Behandlung von Reiner Füllmich und Michael Ballweg sehe ich in diesem Zusammenhang. In beiden Fällen scheint mir die Behandlung durch die Justiz zumindest äußerst unverhältnismäßig, wenn nicht sogar ungerechtfertigt. Im Fall Assange wurden dann alle Register gezogen, um einem Menschen – ihm – das Leben so schwer wie nur möglich zu machen: Isolationshaft, restriktive Besuchsbedingungen, die späte oder nicht stattfindende Zustellung von Verfahrensakten gehörten dazu. Den ungenügenden Zugang zu den öffentlichen Auslieferungsanhörungen habe ich selbst erlebt. Im Old Bailey passen normalerweise 34 Personen auf die Besuchergalerie, aber während der sogenannten Corona-Maßnahmen wurde die Zahl auf ganze fünf reduziert, von denen drei noch für die Hälfte der Zeit für VIPs reserviert waren. Die drei VIP-Besucher erschienen jedoch nie … Zu diesem Zeitpunkt waren in sonstigen öffentlichen Räumen in England die Fassungsvermögen auf ein Drittel reduziert, was im Old Bailey immerhin noch elf Beobachter ermöglicht hätte. Dies führte in der Schlange vor der Besuchergalerie oft zu Unmut zwischen den Menschen, die Assange und die Pressefreiheit unterstützen wollten. Ich sehe das als einen sehr effektiven Einsatz einer „Teile und herrsche“-Taktik der britischen Behörden. Ich könnte diese Aufzählung noch eine ganze Weile fortsetzen. Nils Melzer hat das Agieren der Justiz in seinem Buch über den Fall Assange [https://www.nachdenkseiten.de/?p=72191] sehr treffend auf den Punkt gebracht: > „Denn wenn die Grundrechte einer Person über einen Zeitraum von zehn Jahren in allen Verfahren aller involvierten Behörden in jedem Stadium systematisch verletzt werden, wenn jedes dagegen ergriffene Rechtsmittel jedes Mal versagt, und wenn die übergeordneten Behörden trotz zahlreicher Hinweise und Beschwerden in keinem Fall korrigierend eingreifen, dann kann beim besten Willen nicht mehr von normalen Unregelmäßigkeiten ausgegangen werden, wie sie auch in funktionierenden Rechtsstaaten hin und wieder vorkommen können.“ Während der insgesamt über sechs Wochen andauernden Anhörungen wurde nie (!) dem Antrag der Verteidigung stattgegeben, die beantragt hatte, dass Assange während der Verhandlungen bei seinem Anwaltsteam sitzen konnte. Stattdessen musste er in diesen Wochen in einem Glaskäfig sitzen, von dem er kaum mit seinem Anwaltsteam kommunizieren konnte – all das, obwohl Assange nie als gewalttätig aufgefallen ist. Am Ende all dieser Erniedrigungen musste dann Julian Assange einen faulen Kompromiss eingehen und, wie er selbst am Tag seiner Freilassung sagte, sich des Journalismus für schuldig bekennen. Und nein, es war nicht ein funktionierender Rechtsstaat, der ihn auf freien Fuß setzen ließ. Interessanterweise konnte man in den letzten Monaten des Auslieferungsverfahrens in Großbritannien den Eindruck bekommen, als gäbe es eine Art Rechtsstaat. Meine persönliche Sicht dazu ist, dass der Deal (Erpressung) zwischen den USA und Assange schon so weit fortgeschritten war, dass es sich die britischen Justizbehörden erlauben konnten, den rechtsstaatlichen Anschein zur Schau zu stellen, weil man wohl wusste, dass Assange wahrscheinlich sowieso freigelassen würde. Das ist zugegebenermaßen eine Vermutung, begründet auf meiner Beobachtung der Geschehnisse seit Anfang 2019. Du erzählst von Unterstützern, von Mahnwachen, von Plakataktionen, von Besuchen bei Anhörungen. Wie hast Du die Unterstützung für Julian Assange erlebt, konntest Du selbst helfen? Wie hast Du die Behandlung der Unterstützer wahrgenommen, wie die Behandlung von Dir als Zeitzeuge? Wie eingangs erwähnt, einige Unterstützer waren schon seit dem Jahr 2010 an Julian Assanges Seite. Ich kann fast sagen, dass sich dieses Unterstützen verselbstständigt hat. Aus dem Londoner Unterstützerkreis wurde eine Art Familie mit gegenseitigem Vertrauen, mit Zwistigkeiten, mit Freundschaften, Skandälchen usw. und mit einem Gefühl der Geborgenheit. Und doch waren sich die Leute auch darüber im Klaren, dass es stets um etwas sehr Ernstes ging. Ich selbst habe, so gut es ging, praktisch geholfen. Für den Unterstützer Ciaron O’Reilly, der im Freien vor der ecuadorianischen Botschaft kampierte, haben wir eine Art Schlafkiste [https://www.nachdenkseiten.de/?p=48689] gebaut. Manchmal gelang es mir, einen Streit zu entschärfen und die Wogen zu glätten. Ich hoffe, dass ich letztlich ein kleines, ein minimales „Bisschen“ zur Freilassung von Julian Assange beigetragen habe. Insgesamt ließ man die Unterstützer recht frei agieren, wahrscheinlich, weil deren Zahl so gering war, dass sich die Behörden keine Sorgen machen mussten und der Protest immer gewaltfrei blieb, was wiederum zu Julian Assange passte und bis heute passt. Die meisten von uns hatten auch immer brav ihre Mobiltelefone dabei, Dank denen man uns orten kann. Nicht nur in London gibt es an jeder Ecke Kameras, und die allerwenigsten Menschen verschlüsseln ihre Emails. Es bleibt somit wenig Platz für Subversion. Die Gedanken sind momentan (noch) frei … Die andere Seite: Einige Male wurden Unterstützer verhaftet, aber es blieb unklar, was das bezwecken sollte. Es schien mir keine konzertierte Kampagne der Behörden gewesen zu sein, vielmehr Unruhe stiften versus Unterstützer. Mal was Positives: Ich empfand die Londoner Polizisten zum Großteil als sehr umgänglich und teilweise ebenfalls relativ gut informiert. Doch sie waren und sind Teil der ständig weiter walzenden Machtmaschinerie. Jede Person (siehe Polizisten) muss für sich entscheiden, inwieweit sie dabei mitmacht. Negativ: Die Behandlung durch die Gerichtsdiener war oft sehr willkürlich, so wie es ihnen im gegebenen Moment in den Kram zu passen schien. Manchmal wurde mein irischer Presseausweis anerkannt und manchmal nicht, obwohl die ausstellende Organisation, die National Union of Journalists, in beiden Ländern der gleiche Verband ist. Die von der australischen Aktivistin Alison Mason initiierten Mahnwachen vor dem Australia House, der australischen Botschaft in London, haben meiner Meinung nach sehr viel bewirkt. Ich glaube, die Botschaft war des wöchentlichen Auftriebs, des Lärms und des Aufsehens so überdrüssig, dass der wahrscheinlich Julian Assange ohnehin schon wohler gesonnene Premierminister Anthony Albanese es für nötig befand, sich für Assange einzusetzen. Dafür hat ihm Assange auch gedankt, indem er vor einiger Zeit zur Stimmabgabe für Albanese aufrief. Leider ist Alison Mason letztes Jahr kurz nach Assanges Freilassung an Krebs gestorben. R.I.P. (Rest in Peace, deutsch: Ruhe in Frieden). Du hast aus London für die NachDenkSeiten geschrieben und die Kollegen um Dich herum erlebt. Wie haben diese es mit dem Fall Assange gehalten? Die Medien im Vereinigten Königreich sind, wie auch in vielen anderen Ländern, durch Desinteresse vielleicht noch mehr aufgefallen als zum Beispiel in Deutschland. Das hatte auch zur Folge, dass es meines Wissens außer in London keinen nennenswerten Unterstützerkreis für Assange gab. Das war ja in Deutschland durchaus etwas anders, denn es gab in sicher 20 – manchmal auch kleineren – Orten Mahnwachen für Assange. Das fand ich immer beeindruckend, was die Mahnwachenden in Deutschland auf die Beine gestellt haben, auch mit der Online-Plattform FreeAssange.Eu [https://freeassange.eu/#aktionsuebersicht]. Es hat sich dann so ergeben, dass ich besonders mit den Berliner und den Mönchengladbacher Mahnwachenden in Kontakt stand. Ein großer Dank auch an das deutsche Netzwerk! Zurück nach England: Überaus schäbig unter den britischen Medien war der Guardian. Zuerst hatte man von den WikiLeaks-Enthüllungen durch Mitmachen profitiert. Dann haben sich einige Mitarbeiter, aus welchen Gründen auch immer, mit Julian Assange überworfen und die Schuld dafür zu 100 Prozent Assange zugeschoben. So konnte man ihn wie eine heiße Kartoffel fallen lassen und dazu mit Lügen niedermachen, indem behauptet wurde, Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort habe Assange dreimal in der Botschaft in London besucht. Das konnte der Guardian nie belegen, obwohl das Gebäude in Knightsbridge zu der Zeit eines der am besten überwachten Häuser in London war. Auch im Gästebuch der Botschaft erscheint der Name Manafort nicht. Der deutsche Sender NDR fand später heraus, dass die Botschaft die Existenz der Manafort-Besuche noch vor der Veröffentlichung aktiv verneinte. Trotzdem befindet sich der Artikel weiterhin unkommentiert auf der Guardian-Webseite [https://www.theguardian.com/us-news/2018/nov/27/manafort-held-secret-talks-with-assange-in-ecuadorian-embassy]. Den absoluten Tiefpunkt erreichte der Guardian mit einem Klatschartikel von Hadley Freeman [https://www.theguardian.com/media/commentisfree/2019/apr/20/badly-behaved-houseguest-julian-assange], in dem es um Assanges angebliches Fehlverhalten in der ecuadorianischen Botschaft geht. In diesem Schmier-Artikel kommt aber weder vor, warum Assange überhaupt in die Botschaft flüchten musste, noch gibt es einen Funken Mitgefühl mit einem Menschen, der die seinerzeit letzten sieben Jahre ohne Sonnenlicht auf 20 Quadratmetern verbringen musste. Der ehemalige Vizekonsul Fidel Narvaez, der viel Zeit mit Assange in der Botschaft verbracht hat, hat sich mir gegenüber immer positiv über Assange geäußert, denn er hält große Stücke auf ihn. Assange hat sicher nicht immer alles richtig gemacht, was ja Teil unseres Menschseins ist, aber diese schäbige Behandlung, die ihm von den beteiligten Regierungen und vielen Medien zuteilwurde, die hat er nicht verdient. So etwas hat niemand verdient. Du erzählst von Deinen Eindrücken und von den Unterstützern. Wie haben die einfachen Menschen, die Bürger auf der Straße über die Jahre auf Assange reagiert? Mein Eindruck war mitunter, so als Stichwort: Queen und Fußball sind wichtiger … Ja, es gab und gibt auch in UK eine große Apathie, was die Themen des Tages angeht. Trotzdem muss ich sagen, dass ich die Menschen in London immer als freundlich und aufgeschlossen empfunden habe. Mit vielen konnte man über das Thema Assange reden und die allermeisten merkten, dass bei diesem Thema etwas faul war. Wie es auch sonst bis heute ein Grundgefühl gibt, dass die Dinge momentan in die falsche Richtung laufen und dass die Leute in den entscheidenden Positionen fast alle Integrität und Verhältnismäßigkeit verloren haben. Ich denke viel darüber nach, wie man Abhilfe schaffen kann, denn sich zu informieren mag zwar gut sein, aber es wird sich wohl nur etwas ändern, wenn die einzelnen Menschen Taten oder Vermeidungen folgen lassen. Rückblickend wird nun gesagt, dass sich alle Anschuldigungen als haltlos, falsch, ja infam erwiesen haben. Assange ist frei, seit nunmehr einem Jahr. Was bleibt von dieser großen, tragischen, von Mächtigen verursachten Geschichte? Ja, was bleibt? Das Wichtigste ist wohl, dass die Kampagne zur Freilassung von Julian Assange von Erfolg gekrönt war und bleibt. Das macht mir irgendwie Mut. Es bleiben die Veröffentlichungen von WikiLeaks, die uns die Korruptheit und Machtversessenheit unserer sogenannten Eliten vor Augen führen. Und man darf nicht vergessen, dass es bei vielen der Dinge, die enthüllt wurden, um handfeste Verbrechen geht. Für mich ganz persönlich bleiben Freundschaften und Begegnungen mit interessanten Menschen, die mit dem Herzen am richtigen Fleck. Da ist die Journalistin Diana Johnstone zu nennen, die den wichtigen Brief an den Erzbischof von Canterbury angestoßen hat. Da ist Alexander Mercouris von The Duran [https://rumble.com/theduran], der mir immer wieder wichtige Einblicke in den Fall gegeben hat. Ich habe unzählige engagierte Menschen getroffen, die nie im Rampenlicht stehen wollten und die ich hier auch nicht namentlich erwähnen kann oder will. Was auch bleibt, ist eine beeindruckende Situation, die Julian mutig gemeistert hat. Als er aus der Botschaft geschleift wurde, hat er laut und deutlich und andauernd „UK resist!“ gerufen („Vereinigtes Königreich, Widerstand leisten!“). Das sagte er nach all dem, was er alles die vorherigen Jahre in UK ausgehalten hatte. Was bleibt weiter, was ist? Eine Person, Assange, wurde vergangenes Jahr aus unmenschlichen Haftbedingungen gerettet, während die Bundesregierung das schlimmste Handeln der israelischen Regierung mit ihrer Armee in Palästina bis heute geradezu aktiv unterstützt und auch den sinnlosen Krieg in der Ukraine mit weiteren Waffen anheizt. In diesem Fall geschieht das auch trotz des Risikos, dass Russland irgendwann vielleicht die Geduld verliert oder so sehr in die Enge getrieben wird, dass es Deutschland womöglich unter Beschuss nimmt. Ich verstehe nicht, wie die vielen Politiker und Leitartikler vergessen können oder ausblenden, dass Deutschland im Juni 1941 die Sowjetunion überfallen hat und dass dieser Überfall bis 1945 27 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete. Es ist für mich heute offensichtlich, dass Russland angesichts der fortwährenden NATO-Osterweiterung irgendwann nervös werden musste … Hast Du etwas davon gehört, dass es eine Entschuldigung Großbritanniens gegenüber Julian Assange gibt oder eine Entschuldigung seitens der führenden Medien, die ihn einst wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen haben und deren Artikel über ihn von Häme durchzogen waren? Nein. Ich glaube auch nicht, dass es eine Entschuldigung geben wird, weder vonseiten der Regierung noch von den Medien, die sich entschuldigen könnten oder sollten. Ich weiß aber auch nicht, ob das wirklich wichtig ist oder ob das für Julian Assange noch eine Rolle spielt. Ich glaube, bei den Medien gab es in allen Ländern die gleiche Mischung aus Lethargie, Folgsamkeit und Gemeinheit. Wie ist jetzt die Lage? Der amtierende Regierungschef ist ein Falke, ein Reaktionär, die Briten rüsten auf, U-Boot-Pläne inklusive. Das Soziale wird weiter geschleift. Was sagen die einfachen Menschen auf der Insel? Die Lage im Vereinigten Königreich scheint immer prekärer zu werden, und die wirtschaftliche Situation ist seit Brexit nicht rosig. Zu Premier Keir Starmer fällt mir ein, dass er zu Beginn von Assanges Botschaftsasyl der Chef des Crown Prosecution Service war, also der Boss der Staatsanwaltschaft der Krone. Diese Behörde scheint die Lösung des schwedischen Auslieferungsverfahrens betreffs Assange aktiv hintertrieben zu haben. Von ihm ist wohl auch keine Entschuldigung zu erwarten. Gerade hörte ich, dass er der unpopulärste Premierminister seit Beginn der Meinungsumfragen sei, aber da ist er vielleicht nur einer unter vielen. Noch mal zu Julian Assange. Hast Du aktuelle Infos zu Julian? Wie geht es ihm? Man sah ihn öffentlich in Rom zu den Trauerfeierlichkeiten für Papst Franziskus, in Cannes bei den Filmfestspielen. Vergangenes Jahr weilte er in Straßburg, wo er bei einer wichtigen wie beeindruckenden Menschenrechtsanhörung [https://www.coe.int/de/web/portal/-/julian-assange-to-attend-a-pace-hearing-in-strasbourg-on-his-detention-and-conviction-and-their-chilling-effect-on-human-rights-1] Rede und Antwort stand. Und noch etwas, Moritz: Gibt es vielleicht neue Julians, die sein Schaffen fortsetzen? Ich habe keine wirklichen Insiderinfos zu Julian Assange. Auch ich habe mich seit letztem Oktober etwas zurückgezogen aus der Nachrichtenwelt, weil bei mir andere Dinge anstanden und weil ich vieles einfach zu deprimierend finde. Ich hoffe aber, dass das lediglich eine Ruhepause ist. Ich mache mir viele Gedanken, wie man Pressefreiheit und Freiheit im Allgemeinen verteidigen oder bzw. überhaupt erreichen kann. Womit wir wieder bei den Gedanken wären … Ende Mai hat ein Film über Assange, „Der 6 Milliarden Dollar Mann“, in Cannes einen Preis gewonnen. Bei der Preisverleihung in Frankreich sah Julian Assange gesund und munter aus, aber laut seiner Frau Stella will er noch weiter zu Kräften kommen, bevor er öffentliche Interviews gibt. Ich weiß, dass er wohl mit einigen Unterstützern und dem Assange-Archiv in Dessau in Kontakt steht. Und nein, bis jetzt hat sich noch kein neuer Julian Assange hervorgetan. Es werden aber glücklicherweise immer wieder Dinge geleakt, die die Herrschenden lieber unter Verschluss halten würden. Die Zukunft wird es uns zeigen. Moritz Müller, vielen Dank für dieses Gespräch und weiterhin alles Gute! Titelbild: darko m/shutterstock.com
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