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Mit den Beneš-Dekreten beschloss die tschechoslowakische Exilregierung die Aussiedlung der Sudetendeutschen. In ihrer neuen Heimat wurden die Vertriebenen nicht mit offenen Armen empfangen, trugen aber ganz wesentlich zum westdeutschen Wirtschaftswunder bei. Von Julia Devlin Credits Autorin dieser Folge: Julia Devlin Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Katja Amberger, Clemens Nicol Technik: Monika Gsaenger Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. Dr. Jiří Pešek, Karls-Universität Prag Dr. René Küpper, Institut für Zeitgeschichte München Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren: Deportation und Exil - Eine polnische Odysssee im Zweiten Weltkrieg JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/deportation-und-exil-eine-polnische-odyssee-im-zweiten-weltkrieg/bayern-2/78756496/] Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir: Alles Geschichte – Der History-Podcast [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Linktipps: Sudetendeutsches Museum in München HIER [https://www.sudetendeutsches-museum.de] geht es zur Website Naši Němci – Unsere Deutschen. Dauerausstellung im Museum der Stadt Usti nad Labem/Aussig HIER [https://www.muzeumusti.cz/vystavy/nasi-nemci/] geht es zur Website Deutsch-Tschechische und Deutsch-Slowakische Historikerkommission HIER [https://www.dt-ds-historikerkommission.de/] geht es zur Website Literatur: Mathias Beer, Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, München 2011. Gut strukturierte Überblicksdarstellung. Detlef Brandes, Der Weg zur Vertreibung 1938-1945. Pläne und Entscheidungen zum "Transfer" der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen. München 2005. Ausführliches, wissenschaftliches Werk mit zahlreichen Originalquellen Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/manuskripte-radiowissen-benes-dekrete-zwangsaussiedlung-sudetendeutschen-edvard-exil-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Sprecherin Berlin, 26. September 1938. Adolf Hitler hält eine umjubelte Rede im Berliner Sportpalast. Es geht um die Deutschen in der Tschechoslowakei. "Frieden oder Krieg" bellt er ins Mikrophon. Er prangert die Benachteiligung der deutschen Minderheit im Nachbarstaat an und bezichtigt den Staatspräsidenten Edvard Beneš dabei zu versagen, Gerechtigkeit zu schaffen. Und er droht offen mit Krieg. Atmo Ende Die Tschechoslowakei entstand 1918 als neuer Staat aus der Erbmasse der Habsburger-Monarchie. Hier lebten nicht nur Tschechen und Slowaken, sondern auch Ungarn, Rumänen, Kroaten und Polen. Und als größte Minderheit die etwa drei Millionen Sudetendeutschen, die vor allem in den Gebieten lebten, die an das Deutsche Reich und an Österreich grenzten. Gerade für sie war die neue Staatsgründung ein erheblicher Einschnitt. Küpper O-Ton 1 13:56 Also die Deutschen in den böhmischen Ländern soweit sie politisiert waren, sind von einer, vereinfacht gesagt, herrschenden Minderheit zu einer Minderheit geworden, die eben ein Stück weit benachteiligt wurde dann. Sprecherin Dr. René Küpper ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München und forscht zu der Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen im 20. Jahrhundert. Mit dem Statusverlust, so erklärt Küpper, konnten sich viele Deutsche in dem neugegründeten Nationalstaat der Tschechoslowakei nur schwer abfinden. O-Ton Küpper 2 15:00 Es war eine Demokratie, das heißt, die Deutschen haben immer zum Beispiel so viele Abgeordnete gehabt im Parlament, wie es ihrem Bevölkerungsanteil entsprach. Es brachte nur nichts, wenn sie nicht an der Regierung beteiligt waren beziehungsweise dort immer in der in der Minderheit waren. Es ist also schwierig, sie sind benachteiligt worden, etwa in der Vergabe von Posten im Staatsdienst und sowas, was aber wieder daraus verständlich ist, dass da verlangt wurde, dass sie tschechisch konnten, was kaum jemand gelernt hatte in der Zeit vor 1918. Sprecherin Dazu kam die schwierige wirtschaftliche Lage. O-Ton Küpper 3 15:37 Da hat die Weltwirtschaftskrise auch eine große Rolle gespielt, die eben diese vorhandenen politischen Konfliktstoffe potenziert hat und der Aufstieg Hitlers natürlich. Dann schauten die eben auch über die Grenze, was da passiert. Die Arbeitslosigkeit im Reich ging schon runter, während sie in der Tschechoslowakei erst ihren Höhepunkt erreichte, und so weiter das ist ein ziemlich kompliziertes Gemenge von Faktoren... Musik: Forebording of war (reduziert) 0‘40 Sprecherin Hitler instrumentalisierte diese Unzufriedenheit zu seinem Nutzen, schlachtete die Spannungen zwischen der deutschen Minderheit und der tschechoslowakischen Regierung aus. Nur wenige Tage nach der Rede im Sportpalast wurde mit dem "Münchener Abkommen" in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 die Abtretung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich besiegelt. Hitler hatte sich dazu den Segen Großbritanniens, Italiens und Frankreichs geholt. Die hofften, auf diese Weise einen Krieg zu verhindern. Doch Hitler ließ sich nicht durch die Zugeständnisse beschwichtigen, denn sein eigentliches Ziel war die endgültige Zerschlagung der Tschechoslowakei. Am 15. März 1939 besetzte die Wehrmacht das Nachbarland. Der bereits amputierte Staat konnte keinen Widerstand mehr leisten. Präsident Edvard Beneš und seine Regierung flohen nach London. Musik: Suite aus der Oper „Das schlaue Füchslein“ 0‘20 Wer war Edvard Beneš, dessen Namen vor allem in Verbindung mit den nach ihm genannten Dekreten genannt wird? Für die Entstehung der modernen, demokratischen Tschechoslowakei ist er ganz zentral, wie Dr. René Küpper erläutert: O-Ton Küpper 4a (Regie: O-Ton geteilt) 24.53 also Benesch ist einer der Gründerväter. Mit Tomáš Garrigue Masaryk und dem Slowaken Štefánik zusammen. Er war dann bis 1935 Außenminister, als er Nachfolger Masaryks wurde, der aus Altersgründen als Präsident zurücktreten musste. Er war das Gesicht der Tschechoslowakei in Genf im Völkerbund, er war ein Friedenspolitiker, er war ein Demokrat. Das können Sie auch bei zeitgenössischen Leuten, die ihn kennen, lesen. Klaus Mann beispielsweise oder Thomas Mann, Heinrich Mann, die ja tschechoslowakische Staatsbürger wurden unter Beneš, als sie Deutschland verlassen mussten. Sprecherin Nach seiner Flucht nach London bekam er noch einmal ein ganz besonderes Gewicht: O-Ton Küpper 4b 25.40 Er war dann der Führer des tschechoslowakischen Widerstandes, des demokratischen, des nicht-kommunistischen. Und hat es eben auch durchgesetzt, dass die Tschechoslowakei nach und nach von den Alliierten anerkannt wurde als vollberechtigter Staat, als vollberechtigte Exilregierung. Musik: Complex questions 0‘38 Sprecherin Die Exilregierung stellte in London Überlegungen zur Zwangsumsiedlung der Deutschen an, und sie sprach sich dazu mit den alliierten Mächten ab. Die hatten schon bald nach Kriegsbeginn überlegt, wie Europa nach dem Krieg dauerhaft zu stabilisieren wäre. Besonders die Briten befürworteten dabei die Trennung der Ethnien, allen voran der britische Premierminister Winston Churchill, der schon 1940 für eine vollständige Umsiedlung warb, um künftige Spannungen zu vermeiden, und auch sein Außenminister Anthony Eden. O-Ton Pešek 1 13.17 das war die Enttäuschung durch die Lösungen des Völkerbundes aus der Zwischenkriegszeit, also die Enttäuschung, nur den Schutz der Minderheiten, ja, die meinten, das funktioniert nicht, man muss etwas anderes machen und die einfachste Lösung, welche die britischen Experten unter dem Historiker Toynbee erfunden haben und Anthony Eden dann übernommen und dem Kabinett vorgelegt hat zur Bestätigung, war: Die Minderheiten müssen verschwinden. Sprecherin Jiří Pešek (Aussprache: ˈjɪr̝i 'peʃek / Jissi Peschek) ist Professor für Geschichte an der Karls-Universität in Prag und war lange Vorsitzender der deutsch-tschechischen Historikerkommission. Er erläutert, dass die Aussiedlung der deutschen Minderheiten in Osteuropa einen Vorläufer hatte, nämlich den sogenannten Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei im Jahre 1923. O-Ton Pešek 2 14:00 Das war gerade diese Vorstellung des Schutzes der Minderheiten, der Bevölkerungsaustausch, als der große Erfolg. Dazu gibt es eine Reihe von Reden von Winston Churchill, "Es ist so gut gelungen, damals `23 in Griechenland und der Türkei." Nur, man hatte vergessen, dass das ein Drittel der Transferierten mit dem Leben bezahlt hat. Also das wollte man nicht sehen. 14:29 Und daneben, man wollte eine einfache, schnelle Lösung haben. Sprecherin Auch der Präsident der Vereinigten Staaten hieß ein solches Vorgehen gut. O-Ton Pešek 3 15:10 Und Franklin Roosevelt, der war der Meinung, ja, das ist eine wunderbare Lösung und die Berichte darüber, wie die beiden begeistert waren durch diese Lösung, die sind mehrere und überprüft. Sprecherin Der zwangsweise Bevölkerungstransfer wurde als ein ideales Konfliktlösungsmodell gesehen. Und hatte nicht das Deutsche Reich selbst solche Transfers praktiziert? Dr. René Küpper: O-Ton Küpper 5 33:52 Was auch alle gesehen haben, das "Heim ins Reich", in Anführungszeichen der Volksdeutschen nach dem Hitler-Stalin-Pakt, aus dem Machtbereich der Sowjetunion, und die haben sich alle gesagt, hm, wenn Hitler da zehntausende oder hunderttausende seiner eigenen Landsleute einfach so verpflanzen kann, dann werden wir das auch machen, ne, also das war ja auch genau die Begründung, halt die Entflechtung. Das hat sogar Hitler auch selber gesagt und dann natürlich eben auch die Vertreibungen, die die Nazis selber vorgenommen haben. O-Ton Pešek 4 18:47 Das war auch ein Bestandteil von dieser Problematik, dass die großen Staatsmänner, und es gehört dann natürlich auch Josef Stalin in zu diesem zu, zu dieser Gruppe, für den die Umschiebung von ganzen Völkern eine Kleinigkeit war und die Auslöschung von ganzen Völkern noch unwichtiger. Musik: Media rumors 0‘20 Sprecherin Und so stellten die Alliierten bereits 1941 die Weichen für eine Zwangsaussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach Deutschland. Professor Jiří Pešek zur Haltung von Benes´ Exilregierung dabei: O-Ton Pešek 5 15:31 Das heißt nicht, dass die Exilregierung dagegen wären. Die hatten das gerne akzeptiert, weil es eine Menge der Impulse kam der Widerstandsgruppen, dass sie nach dem Kriege kein Zusammenleben mit den Deutschen sich wünschen. Und man musste natürlich diese Stimmen ernst nehmen, weil man damit rechnete, nach dem Kriegsende wird man gerade mit den Repräsentanten von diesen Widerstandsbewegungen zusammenarbeiten, und die darf man nicht enttäuschen. Sprecherin Edvard Beneš hatte zunächst eine differenzierte Aussiedlung anvisiert, bei der nicht-schuldig gewordene Deutsche in der Tschechoslowakei verbleiben könnten. Doch der Terror, den die deutschen Besatzer im Land verübten, brachte ihn zum Umdenken. Ein Zusammenleben schien ihm schließlich nicht mehr möglich. Und so arbeitete er gemeinsam mit der tschechoslowakischen Exilregierung die Verordnungen aus, die man heute als "Beneš-Dekrete" kennt - präsidiale Dekrete, die nach dem Krieg durch das neu gewählte tschechoslowakische Parlament bestätigt wurden. Musik: Sad story alt 0‘37 In diesen Dekreten wurde die Ausbürgerung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerungsgruppe beschlossen. Und ihre Enteignung - jeglicher Besitz von Deutschen sollte konfisziert werden und in das Eigentum des Staates übergehen. Ein weiteres Dekret verfügte die Auflösung der deutschen Hochschulen in Prag und in Brünn. Auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 stimmten die Siegermächte - die UdSSR, die USA und Großbritannien - diesem Vorgehen zu. Zitator Potsdamer Abkommen Die Konferenz erzielte folgendes Abkommen über die Ausweisung Deutscher aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn: Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, daß die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muß. Sie stimmen darin überein, daß jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll. Sprecherin So lautet der Artikel 13 des Potsdamer Abkommens. O-Ton Pešek 6 50:14 Diese Ereignisse waren hatten ein Massencharakter, das musste man dann auch in Potsdam dann regulieren. Darum auch diese Artikel 13 von Potsdam mit dem Hinweis zu der Menschlichkeit der Zwangsaussiedlungen. Sprecherin In der tschechoslowakischen Öffentlichkeit wurde der Beschluss jubelnd begrüßt. Prof. Jiří Pešek: O-Ton Pešek 7 20:22 Nach dem aus am 2. August 45 diese Potsdamer Beschlüsse publiziert wurden, dann kam eine Welle der Pressebegeisterung. Auch in Tschechien oder in der Tschechoslowakei, wo die Parteien im Wettbewerb waren. Was haben wir in Potsdam erreicht? Also wir waren, also wir Tschechen, waren nicht anwesend, aber wir haben alles Mögliche erreicht. Das waren einfach Wahlkampagnen, Sie sehen das momentan in Deutschland, was man alles bereit ist zu sagen im Wahlkampf also. Das das ist unglaublich. 00:21:17 Die kommunistische Presse, gleich wie die sozialistische, alle waren der Meinung, wir haben das gewonnen, weil dieser Hass auf die Deutschen, 21:37 Die Angst vor den Deutschen war gigantisch. O-Ton Pešek 8 21:51 Dann die Angst, es könnte sich das Ganze noch einmal wiederholen, oder es wird kein Ende gemacht, und das könnte wieder sich dazu in ein paar Jahren wieder entwickeln. Das war unglaublich. Musik: Dark tide cello 0‘42 Sprecherin Der Hass der Tschechoslowaken auf die Deutschen entlud sich schon gegen Kriegsende in Racheakten und Lynchjustiz. Eines der brutalsten Ereignisse war der Brünner Todesmarsch Ende Mai 1945, bei dem die deutschsprachigen Einwohner, schätzungsweise 24.000 Menschen, über die Grenze nach Niederösterreich getrieben wurden. Über zweitausend Menschen kamen dabei um. Auch das Massaker von Aussig im Juli 1945 hat sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Es kam zu sogenannten „wilden Vertreibungen“. Nach der Potsdamer Konferenz, die im August zu Ende ging, beruhigte sich die Lage. Im Januar 1946 begann dann die geplante, systematische Aussiedlung. Professor Jiří Pešek erläutert, dass die Deutsch-Tschechische Historikerkommission mit verschiedenen Begriffen für diese Vorgänge arbeitet: O-Ton Pešek 9 11.50 ...man spricht über die Vertreibung besonders bis zu dem Potsdamer Abkommen oder dann die Zwangsaussiedlung nach dem Potsdamer Abkommen. Sprecherin Wie viele Menschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit umkamen, ist heute nicht mehr genau festzustellen. Die deutsch-tschechische Historikerkommission geht von 15.000 bis 30.000 Todesfällen aus, die im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung nachgewiesen werden können. O-Ton Pešek 10 53:42 Also diese Übergänge von Krieg zum Frieden ein riesiger Krieg endet mit den blutigen Nachspielen, und das ist etwas, was man nie zur Kenntnis nehmen möchte, dass irgendwelche Unterschriften, die können das auf der niedrigen Ebene nicht ändern. O-Ton Pešek 11 55:10 Das sind schreckliche Sachen. Und die Leute, die Katastrophen verursachen und organisieren, die sind gleichgültig zu diesen Konsequenzen. Musik: Passing landscapes 0‘35 Sprecherin Seit Jahresbeginn 1946 wurden die Sudetendeutschen planmäßig überführt, mit bürokratischer Effizienz. Die vollen Güterzüge verließen die Bahnhöfe in der Tschechoslowakei und entluden ihre menschliche Fracht jenseits der Grenze. Im Sommer 1946 waren es bis zu 12.000 Menschen täglich. Knapp drei Millionen Deutsche wurden so innerhalb einiger Monate aus der Tschechoslowakei vertrieben. O-Ton Pešek 12 1:09:46 Die Mehrheit oder mindestens die relative Mehrheit haben die Amerikaner nach Westdeutschland, also in die westeuropäischen Okkupationszonen gebracht, mit Schwerpunkten in Bayern und in Hessen. Das waren die Hauptländer, welche die größten Kontingente nehmen mussten. Sprecherin Die Sudetendeutschen wurden zunächst in Flüchtlingslagern untergebracht und dann vor allem auf ländliche Gebiete verteilt. Dies hatte den pragmatischen Grund, dass auf dem Land weniger Wohnraum zerstört worden war als in den Städten und die Lebensmittelversorgung sich einfacher gestaltete. Es hatte aber auch den Grund, dass Gruppenbildungen vermieden wurden und man sich dadurch eine schnellere Assimilierung erhoffte. Musik: Precision on demand (red.) 0‘30 Sprecherin Die Vertriebenen wurden in ihrer neuen Heimat nicht mit offenen Armen empfangen. Neben den Verteilungskämpfen um Wohnraum, Nahrung und Arbeitsplätze gab es auch Differenzen in der Religion, in Dialekten, in Temperamenten. Katholiken trafen auf Evangelische, geflüchtete Bauern, die ihren Hof verloren hatten, auf alteingesessene Landwirte, bei denen sie sich als Hilfskräfte verdingen mussten. O-Ton Pešek 13 1:27:32 Ja, diese Mentalitätsprobleme. Hans Lemberg hatte über die Mehl- und Kartoffelnstreite in Hessen gar eine Dissertation schreiben lassen. Die Frau hatte dann die alten Kochbücher der Omas gesammelt, oder analysiert. Die Hessen, das war eine Kartoffelgesellschaft und die waren total geärgert, dass diese angeblich armen Sudetendeutschen Mehl benutzen. Mehl benutzt man doch nur am Sonntag und wenn die die Mehlgerichte fressen, sind sie keine Armen, sondern das ist ein Betrug. Musik: Stock analysts 0‘23 Sprecherin Das Schicksal von Zwangsmigranten ist häufig der soziale Abstieg. Viele Sudetendeutsche setzten alles daran, den Wiederaufstieg zu schaffen. Wenn nicht für sich selbst, dann für die nächste Generation. So fassten sie rasch Fuß, wobei ihnen der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik zugutekam. O-Ton Pešek 14 01:22:32 Da sind die Lehrer, das sind die Hochschullehrer, das sind die Staatsdienste, da sind die Offiziere im Bundeswehr, also dort, wo die Leute einfach nur die Tüchtigkeit, Intelligenz und Energie sich bis zu dem bis zu der höchsten Positionen durchkämpfen konnten, weil natürlich man kein Startkapital hatte. Sprecherin In der Verwaltung und in der Politik waren die Vertriebenen rasch vertreten, und über die Arbeit integrierten sie sich ebenso wie über Trachten- und Sportvereine. Schon 1956 sprach Ministerpräsident Wilhelm Hoegner von den Sudetendeutschen als dem "Vierten Stamm" Bayerns. Musik: Secret prooofs (red) 0‘52 Sprecherin Die Vertreibungen waren in der Tschechoslowakei lange kein Thema. Auch nicht in Österreich, wohin ein kleiner Teil der Sudetendeutschen vertrieben wurde, ebenso wenig in der DDR, wo man nicht von "Vertriebenen", sondern von "Neusiedlern" sprach. In der BRD bildete sich als Interessensverband der Vertriebenen die Sudetendeutsche Landsmannschaft. Sie positionierte sich klar gegen die Ostpolitik von Willy Brandt. Der suchte, nach Polen und der Sowjetunion, auch mit der Tschechoslowakei eine Annäherung und reiste im Dezember 1973 nach Prag, wo er im Prager Vertrag das Münchner Abkommen annullierte und die Unverletzlichkeit der gemeinsamen Grenze versicherte. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Aufnahme der Tschechoslowakei in die Europäische Union wurde die Thematik wieder aktuell. O-Ton Küpper 6 1:18 Also die sogenannten Beneš-Dekrete spielen eigentlich erst nach der Wiedervereinigung wieder eine Rolle. Bis dahin, zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei, ging es eher um die Frage des Münchner Abkommens, also im Prager Vertrag 1973. Auch dort hat man schon die verschiedenen Rechtsauffassungen und Vermögensfragen ausgeklammert, um den Vertrag überhaupt schließen zu können. So ähnlich ist das dann mit dem Nachbarschaftsvertrag von 1992 und mit der gemeinsamen deutsch-tschechischen Erklärung von 1997. Wo beide Seiten ausdrücklich bedauern, was geschehen ist, aber unterstreichen, sich der Zukunft zuwenden zu wollen. Und eben diese nicht durch unterschiedliche Rechtsauffassungen und durch finanzielle Fragen belasten zu wollen. Sprecherin Denn es hat nie einen Friedensvertrag gegeben zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik, und daher auch keine Entschädigung für die Besatzungsschäden und die Enteignungen. O-Ton Küpper 7 2.39 Der Kern bei der Kontroverse um die Beneš-Dekrete sind nicht zuletzt immer noch diese finanziellen Fragen, also das heißt, dass die Deutschen entschädigungslos vertrieben wurden. Dass die Nachfahren der damals Vertriebenen im Grunde immer noch entschädigt werden wollen, während die Bundesrepublik Deutschland eigentlich diese Position nicht vertreten kann, an eine der Siegermächte eben finanzielle Forderungen zu stellen. Sprecherin Ein Glücksfall für die nachbarschaftlichen Beziehungen war Václav Havel, Staatspräsident der Tschechoslowakei seit 1989 bzw. der Tschechischen Republik seit 1993. Havel setzte sich maßgeblich für die deutsch-tschechische Aussöhnung ein, was ihm im eigenen Land nicht nur Sympathien einbrachte. O-Ton Küpper 8 18.44 Man muss sagen, Havels versöhnliche Worte im Bundestag, 1997 etwa, sind in Deutschland besser angekommen als in seinem eigenen Land. Also zeitweise ist "Haveloid" von einer bestimmten Seite aus sogar ein Schimpfwort jetzt, also so was wie hier ein Gutmensch beispielsweise, ein naiver Dummkopf, ein bisschen, der eben nur Frieden und Versöhnung will und der Realität nicht ins Auge blickt. Also er war schon wichtig, aber er ist dort eben ziemlich kritisiert worden, und wenn sie seine Nachfolger ansehen, die haben ja ganz andere Sachen gesagt, also die Tendenz von Havel mag sich auf Dauer hoffentlich dann durchsetzen. Musik: Pensive pondering 1‘20 Sprecherin Es gibt in Tschechien Initiativen, die an die deutsche Minderheit und an die gemeinsame Geschichte erinnern. So zum Beispiel im Stadtmuseum in Usti nad Labem – auf deutsch Aussig an der Elbe. Dort thematisiert die Ausstellung "Naši Nemci", „Unsere Deutschen“, das jahrhundertelange Zusammenleben. In deutsch-tschechischen Versöhnungsaktionen werden Friedhöfe wieder errichtet, die im Grenzgebiet lagen und einplaniert worden sind. O-Ton Küpper 9 9.02 Man kann aber sagen, es gibt eine zunehmende Tendenz, dass so was wächst. Also ein Beispiel wäre noch der Brünner Versöhnungsmarsch, der auch etwa um die Zeit, also 2007 privat mit fünf, sechs Leuten begonnen hat und seit 2015 von der Stadt gefördert wird. Mittlerweile also unter dem Patronat der Stadt und viel mehr Teilnehmer hat und eben eine öffentliche Veranstaltung ist, dann die eben auch ein breiteres Echo findet. Das heißt, es gibt schon positive Entwicklungen in den Jahren. Oder wenn man sieht, was für Filme in den Kinos waren, wie die diskutiert wurden, was für Bücher erschienen sind, da könnte man so einige Ecksteine nennen, die alle ja so in den ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts liegen. Es ist aber noch kein abgeschlossener Prozess.

Die US-Armee rückte 1945 in deutsches Feindesland vor und brachte statt Hass und Furcht Schokolade, Kaugummi, Coca Cola - und die Grundlagen für einen demokratischen Neuanfang. In Windeseile wurden Amerikaner und Deutsche im beginnenden Kalten Krieg zu engen Verbündeten. Von Florian Kummert Credits Autor dieser Folge: Florian Kummert Regie: Sabine Kienhöfer Es sprach: Katja Amberger Technik: Laura Picern Redaktion: Iska Schreglmann Im Interview: Helmut Markwort, Journalist Wolfgang Reinicke, Historiker Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren: Die deutsch-amerikanische Freundschaft - Eine wechselhafte Beziehung JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/die-deutsch-amerikanische-freundschaft-eine-wechselhafte-beziehung/bayern-2/12041781/] Die German Americans - Was wurde aus den deutschen Wurzeln? 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Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/deutsche-amerikaner-wie-aus-feinden-freunde-wurden-kriegsende-deutschland-kaugummi-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: OTON 1 Helmut Markwort 1 Ich bin ja im Hessischen aufgewachsen. Mein Vater war Justizbeamter in Darmstadt. Und da waren aber so viele Luftangriffe immer auf Darmstadt, dass die Familie gesagt hat, wir gehen aufs Land, wir ziehen nach Rodach, bei Coburg. Heute heißt das ganz vornehm Bad Rodach. Aber wir sind zu weiblichen Vorfahren nach Rodach. Und da habe ich als Achteinhalbjähriger den Einmarsch der Amerikaner erlebt. ERZÄHLERIN Erinnert sich Helmut Markwort, vor allem bekannt als langjähriger Herausgeber des Nachrichten-Magazins Focus. Der Journalist und Politiker ist Jahrgang 1936. OTON 2 Helmut Markwort 2 Natürlich hatte man uns Angst gemacht vor den Amerikanern. Die fressen Kinder und was nicht alles. Musik: Minimal melancholy underscore 0‘34 ERZÄHLERIN Am 10. April 1945 marschieren die Amerikaner in Rodach ein, nachdem die Stadt einige Tage zuvor durch Artilleriefeuer beschossen wurde. Dabei ging auch die Spielzeugfabrik von Helmut Markworts Großvater in Flammen auf. OTON 3 Helmut Markwort 3 Ich habe kurz vor dem Einmarsch die lächerlichen Anstrengungen des sogenannten Volkssturms miterlebt. Die alten Männer, die noch da waren und Frauen, die haben Panzersperren auf der Hauptstraße, wo wir wohnten, errichtet, die Straße aufgerissen. Panzersperren gegen die Amis. Dann kamen die Amerikaner, sind da drüber gefahren wie über nichts. Schwupp, waren die Panzersperren weg. Geräusch Panzer, berstendes Holz ERZÄHLERIN Tagelang sind zuvor nur vereinzelte deutsche Soldaten zu sehen, auf der Flucht vor den Amerikanern, am Ende ihrer Kräfte, mit einer kaum mehr funktionierenden Ausrüstung. Die Amerikaner dagegen rücken mit neuesten Panzern und Jeeps an, technisch weit überlegen. Die verbliebenen Rodacher empfangen die US-Streitkräfte, stehen aufgereiht am Rand der Hauptstraße, und sind – so erzählt Markwort - erleichtert. OTON 4 Helmut Markwort 4 Also dieses Rodach liegt ja an der Grenze zu Thüringen. Und als man hörte, der Krieg ist verloren, alles aus, gab es unter meinen Tanten - die Männer waren ja alle im Krieg, ich war ja umzingelt von Tanten und Dienstmädchen und nur Frauen - da gab es nur ein Gerede: hoffentlich kommen nicht die Russen. Das war die größte Angst: vor den Russen. Und tatsächlich war ja zwei Kilometer hinter Rodach, Hildburghausen in Thüringen, bis dahin sind die Russen gekommen, und die Amerikaner sind zu uns gekommen. Deswegen wurden die wie Befreier begrüßt. Die haben freundlich gewinkt und die waren sehr nett. Das war ein herzliches Willkommen. Und da sind wir Kinder immer hingelaufen. Und die haben Kaugummi rausgeworfen. MUSIK: Glenn Miller - American Patrol 0‘37 ERZÄHLERIN Chewing Gum. Die Wunderwaffe der Amerikaner, die die Herzen der deutschen Kinder erobert. Ebenso effektiv und beliebt: Hersheys Schokolade. Und natürlich dieses dunkelfarbige, süße Getränk in den kleinen, elegant geschwungenen Glasflaschen. OTON 5 Helmut Markwort 5 Das sensationelle Getränk Coca-Cola. Das kannte ja kein Mensch. Ihr Coke, das war natürlich ein Hammer. MUSIK Glenn Miller - American Patrol (unter nächstem Absatz wieder ausblenden) ERZÄHLERIN Die Siegermacht USA, hier gefeiert als Befreier. Doch während der nicht einmal neunjährige Helmut Markwort seine erste Cola genießt und sich in Windeseile mit den amerikanischen Soldaten anfreundet, wird in anderen Teilen Bayerns noch erbittert gekämpft. Tag für Tag arbeitet sich die US-Armee nach Süden vor, nimmt Bayreuth und Nürnberg ein. Am 23. April erreichen die Gis die Donau bei Regensburg. OTON 6 Wolfgang Reinicke 1a Regensburg wurde auch beschossen durch die Amerikaner. Es gab aber eine Bewegung im April 1945, wo sich mutige Bürgerinnen und Bürger dafür eingesetzt haben, dass die Stadt eben friedlich den Amerikanern, die schon vor den Toren der Stadt standen, übergeben würde. Das ist dann vereitelt worden von den NS-Machthabern, die sich noch halten konnten. ERZÄHLERIN Erzählt der Historiker Wolfgang Reinicke. Er hat die Dauerausstellung im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg mitkonzipiert. Ein Blick zurück in die Vergangenheit. Die Tragik der letzten Kriegstage wird anhand etlicher Objekte spürbar. Auf einem Pappschild steht geschrieben: „Hier starb ein Saboteur.“ OTON 7 Wolfgang Reinicke 1b Wir stehen hier gerade an einer sehr berührenden Hinterlassenschaft. Domprediger Johann Mayer, der sich sehr stark für diese friedliche Übergabe der Stadt an die Amerikaner eingesetzt hat und dafür dann mit seinem Leben bezahlen musste, wurde von den Nationalsozialisten noch wenige Tage vor Kriegsende gelyncht und gehängt. Und seine Leiche hing dann in der Stadt eine gewisse Zeit und um seinen Hals herum wurde ein sehr fieses Schild gehängt. „Hier starb ein Saboteur.“ Das sollte abschreckend wirken und nochmal die ganze Verachtung der NS-Machthaber für diesen Versuch des aus ihrer Sicht schändlichen Verrats darstellen. ERZÄHLERIN Nur vier Tage später, am 27. April 1945, wird Regensburg kampflos den US-Truppen übergeben. Aus den Häusern, von den Balkonen und selbst von Kirchtürmen hängen nun weiße Fahnen. Ein erhaltenes Exemplar ist auch im Haus der Bayerischen Geschichte zu sehen. OTON 8 Wolfgang Reinicke 2 Die weiße Fahne, wahrscheinlich das Symbolobjekt schlechthin vom Kriegsende, nicht nur in Bayern 1945, sondern in ganz Deutschland. Man muss sagen, eine ehemals weiße Fahne, diese weiße Fahne, der sieht man das Weiß gar nicht mehr so richtig an. Das war ein ehemals weißes Bettlaken aus Neuendettelsau, der Diakonie dort, aus dem Lazarett. Und dieses Bettlaken wurde an einen Kiefernstamm dran geknüpft und mit diesem Kiefernstamm zusammen aus dem Nordturm der Laurentiuskirche in Neuendettelsau gehängt. Und zwar war das im April 1945, um den Amerikanern, die eben auch vor den Toren standen, zu signalisieren, bitte, wir ergeben uns, bitte nicht mehr schießen. Musik: Moderate moods (red.) 0‘28 ERZÄHLERIN Zeitzeugen, die noch aus erster Hand vom Aufeinandertreffen der Deutschen und Amerikaner erzählen können, gibt es immer weniger. Doch das Haus der Bayerischen Geschichte hat ein umfangreiches Archiv an Zeitzeugen-Interviews angelegt. Gespräche – geführt von den 1990er Jahren bis heute. Sie halten die Erinnerungskultur lebendig. OTON 9 Ludwig Steinherr 1 In aller Herrgottsfrüh hieß es plötzlich, die Amerikaner sind da, die Amerikaner sind da! Und ich bin ans Fenster gesaust und da sind sie gekommen, so hintereinander in einer langen Reihe in den Ort einmarschiert, an den Hausreihen entlang, haben dann gleich Maschinengewehre aufgebaut und so kleine Granatwerfer. ERZÄHLERIN Erzählt Ludwig Steinherr über den Einmarsch im oberfränkischen Ebrach. Die Gis und die Germans. Ein Aufeinandertreffen mit Sprachbarrieren. OTON 10 Ludwig Steinherr 2 Dann kam einer ins Haus rein und hat nach Guns gefragt. Have you Guns? Jetzt hat niemand von uns gewusst, was denn nun Gans sind. Eine Cousine, die bei uns war, die hat das Abitur gerade gemacht gehabt, hat Englisch gesprochen, dann haben wir die geholt. Die wusste aber auch nicht, was Gans waren. Ich habe mir schon gedacht, er macht das immer so, das sieht so aus wie ein Gewehrspannen. Aber sie hat ihm dann erklärt, wir hätten also keine Gänse und dann ist er wieder abgezogen. Musik: Hectic hiding (reduziert) 0‘37 ERZÄHLERIN Am 4. Mai 1945 ist - mit der Kapitulation von Berchtesgaden - der Krieg in Bayern endgültig vorüber. Zu den GIs gehören auch jüdische Soldaten, die nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland auf Seiten der Amerikaner gekämpft haben. Wolfgang Robinow (Aussprache: Roobino, Betonung auf erstem o, w hinten stumm), Jahrgang 1918, ist einer der ersten US-Soldaten, der am 30. April 1945 den Münchner Marienplatz erreicht. 1998 erinnert er sich an diesen Moment, nach einem äußerst zähen Vormarsch. OTON 11 Wolfgang Robinow Erstens mal waren die Straßen ja nicht gerade frei, wie sie heute sind. Es war völlig blockiert durch alle möglichen Bombardierungs-geschichten, was da übrig blieb. Und außerdem sind wir sehr langsam und vorsichtig gefahren, weil wir ja nie wussten, wo ist eine Mine. Wir hatten gewisse Erfahrungen mit Minen auf dem Weg nach München. Und dann kamen wir also zum Marienplatz. Und bis wir ungefähr bis zu Stachus kamen, haben wir keine Menschenseele gesehen, nicht eine Person. Und wie wir auf den Marienplatz kamen, da waren auf einmal Deutsche da, sehr alte Männer, kleine Jungs, Mädchen und Frauen, die uns als die großen Befreier begrüßten, ein paar hatten sogar ein paar Blumen, haben uns geküsst und so weiter. Also ein großer Empfang. ERZÄHLERIN Dabei war das besiegte Nazi-Deutschland von den Ausbildern der amerikanischen Einmarschtruppen ganz klar als feindliche Nation deklariert worden, als „enemy nation“. Es gab das Gebot der „Non-Fraternization“. Als US-Soldat sollte man tunlichst keinen Kontakt zur Bevölkerung aufnehmen und auch den Deutschen war es eigentlich untersagt, mit den GIs zu interagieren. Doch Theorie und Praxis gingen schnell getrennte Wege, betont Historiker Wolfgang Reinicke. OTON 12 Wolfgang Reinicke 3 Das ist ein großes Glück gewesen. Vielleicht hat da gerade geholfen, dass viele Kinder an den Straßen auch standen und eben den Amerikanern zugewunken haben und die ihrerseits dann eben diese Candys dabei hatten und die Süßigkeiten verteilt haben. Das war natürlich ein großes Pfund, quasi psychologisch, aber auch materiell, was die amerikanischen Besatzungssoldaten damit dabei hatten. Zum einen diese Süßigkeiten, andererseits auch ihre Verpflegungsrationen. Die Amerikaner waren sehr gut ausgerüstet. So gut, dass sie wirklich auch selber einen Teil von ihrer täglichen Ration dann abgeben konnten, um sich damit vielleicht etwas einzutauschen, wie auf dem Land frische Eier oder sonst was. Das hat, glaube ich, eine Art Eigendynamik entwickelt, die denjenigen, die diesen Einmarsch quasi geplant und befehligt hatten, so in dieser Dimension gar nicht bewusst gewesen ist. ERZÄHLERIN So fanden sich viele Deutsche direkt nach dem Einmarsch der Amerikaner in deren Diensten, darunter auch Helmut Markwort. Ein knapp neunjähriger Einser-Schüler, aufgeweckt, leutselig und sprachbegabt. OTON 13 Helmut Markwort 6 Wie durch ein Pfingstwunder, ich kann es Ihnen nicht erklären, konnte ich Amerikanisch sprechen. Ich konnte mit den Amis reden, das fanden die toll, da haben die mich rausgefischt. Und einer der Höhepunkte war, dass der Panzerspähwagen in Rodach in die Volksschule reinfuhr und da kam der Sarge da zu dem Lehrer und sagte, we need him as an interpreter, wir brauchen ihn als Dolmetscher. Da hat er natürlich seinen Bückling gemacht und schwupp war ich frei. Ich bin da an die Grenzen hingefahren. Ich bin auch mit den Jeeps mitgefahren zu den amerikanischen Außenpatrouillenstationen, wo auf der anderen Seite die Russen waren mit dem Maschinengewehr. Und wurde so ein kleiner Schwarzhändler auch. Die Amerikaner waren ja faul, die haben sich nicht bemüht Deutsch zu sprechen, ich habe das für die gemacht. Die Amerikaner hatten Seife und Zigaretten und Schokolade und Coca-Cola. Und da sind wir zu den Bauern gefahren, ich habe dann gedolmetscht, die haben dafür Eier und Hühner und Speck gegeben und so. Meine ganze Verwandtschaft, meine Mutter und ihre Schwester, viele Geschwister haben alle von den Amis gelebt. Die haben die Wäsche gebracht und abgeholt. Ich war natürlich das Maskottchen dieser Einheiten, jahrelang. CD Out of this world 0‘45 ERZÄHLERIN Der Name Helmut ist den GIs zu kompliziert, also nennen sie den Jungen „Jimmy“. Der spricht auch die Fräuleins an, an denen die Soldaten Gefallen gefunden haben und muss regelmäßig die Grenzstationen anrufen. Alles in Ordnung? Keine besonderen Vorkommnisse auf Seiten der russischen Armee? Helmut Markwort alias „Jimmy“ meldet dann alles dem diensthabenden Offizier. Zum Dank bekommt er eine maßgeschneiderte US-Kinder-Uniform, mit passender Mütze. Dienstrang Master Sergeant. Die Uniform trägt er auch, als sein Vater einige Monate später aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wird. OTON 14 Helmut Markwort 7 Mein armer Vater, der hat einen Todesschreck bekommen. Er stieg da aus dem Lastwagen aus, den hat einer mitgenommen als entlassener Kriegsgefangener. Und da guckt sein Sohn in einer Ami-Uniform aus der Wohnung raus. Er ist bald umgefallen. Der wollte nie wieder was mit Politik zu tun haben. Aber seine Stimmung ist schnell umgeschwungen, weil ich ihn massenweise mit Zigaretten versorgt habe. Lucky Strike, der war ein Kettenraucher. Ich hatte alles. Geräusch: Baseball schlagen, spielende Kinder Musik: Out of this world 0‘26 ERZÄHLERIN Mit den GIs kam auch eine neue Sportart nach Bayern: Baseball. Im Haus der Bayerischen Geschichte hängt ein Foto, das bayerische Buben lachend mit Baseball-Schlägern zeigt, im Sommer 1945. Einer von ihnen, Heinrich Huber, erinnert sich 2013 im Interview: OTON 15 Heinrich Huber Eine erste Amtshandlung war für die G.I.s, sich einen Baseballplatz zu schaffen auf der Stadlerwiese. Und wir Jungs, wir sind am Rande gestanden, haben da zugeschaut und haben gedacht, hey, was machen die da? Und die Amis haben dann gemerkt, dass wir interessiert waren. Wir waren so sieben, acht, neun, zehn, elf Jahre alt. Und ja, die sagten dann: Hello boys, what about you? Would you like to play baseball with us? Ja, really? Okay. Also uns ging es ganz herrlich in der Zeit und wir Buben, wir sind ja sofort zu den Amerikanern übergelaufen und haben ja die Gelegenheit gehabt, mit den Lastwägen mitzufahren und vor allem auch, wir haben dann in der Zeit jeden Nachmittag Baseball gespielt auf der Stadlerwiese. Musik: Out of this world 0‘21 ERZÄHLERIN Es erwacht die Liebe zur US-Kultur, ob Baseball oder Rock’n’Roll, zu Jazz, Jeans und zu Hollywood-Filmen. Und es erwacht auch die Liebe der Soldaten zu den German Fräuleins. Annäherungen, die nicht allen in der US-Regierung gefallen. Insbesondere nicht Henry Morgenthau (AUSSPRACHE: 'Morrgntau, 'Hännri), US-Finanzminister. 1945 veröffentlicht er das Buch „Germany is our problem“, indem er den nach ihm benannten Morgenthau-Plan skizziert und sich für eine raue, alles andere als freundliche Behandlung des besiegten Deutschlands einsetzt. Das Ziel: Deutschland darf nie wieder einen Angriffskrieg führen. Dazu will er das Land komplett demilitarisieren und in einen Agrarstaat verwandeln, die Industrie demontieren und Großgrundbesitz zerschlagen. Vielen in der US-Regierung ist der Morgenthau-Plan aber zu radikal, so dass er letztlich für die tatsächliche Besatzungspolitik der Alliierten im Nachkriegsdeutschland keine Rolle spielt. MUSIK upbeat, z.B. Glenn Miller Little Brown Jug 0‘43 ERZÄHLERIN Von zentraler Bedeutung dagegen wird der Marshall-Plan, benannt nach US-Außenminister George Marshall (AUSSPRACHE: Mahschl (sch=stl.), Dschohdsch): ein umfangreiches Hilfsprogramm, das viele westeuropäische Staaten beim Wiederaufbau unterstützt. Bis 1952 fließen über 13 Milliarden US-Dollar, davon über 1,4 Milliarden Dollar nach Westdeutschland. Für damalige Verhältnisse gewaltige Summen. Finanzielle Mittel, aber auch technische Hilfe, die die wirtschaftliche Stabilität und den Wiederaufstieg Deutschlands massiv fördern. Ein Meilenstein in der Annäherung der beiden Nationen, da der Marshall-Plan den Status der USA als Partner und Förderer Deutschlands zementiert, und vor allem Vertrauen schafft. Ein Vertrauen, das bereits vor dem Marshall-Plan ab 1946 durch private Hilfspakete gefestigt wurde, so der Regensburger Historiker Wolfgang Reinicke. OTON 16 Wolfgang Reinicke 4a Eine private Initiative, CARE, aus den USA, war aufs Ganze gesehen mindestens genauso wichtig dafür, dass die Amerikaner von der deutschen Bevölkerung als positiv wahrgenommen wurden. Denn jetzt kam wirklich professionelle Hilfe aus den USA, sogenannte Liebesgaben, wie sie sehr schnell geheißen haben, in Paketform. Wo man dann sehr genau sich angeschaut hatte, für die hungernde Bevölkerung, was braucht man da: hochkalorienhaltige Lebensmittel, die auch natürlich in Konserven sein mussten oder getrocknet, um nicht zu verderben. ERZÄHLERIN Der Nährwert jedes CARE-Pakets betrug etwa 40.000 Kilokalorien. Mit Rindfleisch in Kraftbrühe, Steaks, Leber, Corned Beef, Speck, Margarine, Schweineschmalz, Zucker, Honig, Schokolade, Rosinen, Aprikosen-Konserven, Eipulver, Vollmilch-Pulver und zwei Pfund Kaffee. OTON 17 Wolfgang Reinicke 4b Die wurden unter anderem nach Deutschland geschickt und dort verteilt. Und dass eben die ehemalige oder eigentliche Feindmacht, die das Land besetzt und den Krieg beendet und das NS-Regime zum Teufel gejagt hatte, dass die jetzt auch noch ein Jahr nach dem Krieg anfängt, in großem Maßstab solche CARE-Pakete hierher zu schicken, an die Bevölkerung, die Hunger leidet. Das gab den, glaube ich, ganz wichtigen Turnaround, dass man doch Zutrauen fand, dass die Amerikaner so schlecht nicht sein konnten und dass man sich gerne an denen orientiert. Musik: Himmelfaden 0‘44 ERZÄHLERIN Allerdings nicht in allen Bereichen. Die US-Militärregierung will eigentlich auch in Bayern das amerikanische Schulsystem installieren, aber High Schools und Colleges unter weiß-blauem Himmel? Ein Vorstoß, der in allen Regierungsbezirken auf Widerstand stößt. Es gibt eine parteiübergreifende Koalition, die gegen die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems protestiert. Grund- und Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien sollen bleiben. Mit Erfolg. Die angedachte Schulreform scheitert. Auf politischer Ebene hingegen werden die Institutionen der US-Demokratie eine wichtige Blaupause für den Neuanfang. OTON 18 Wolfgang Reinicke 5 Der Bayerische Landtag wurde 1946 wieder einberufen und das konnte nur passieren, diese ganz schnelle Re-Demokratisierung, weil Bayern eben Teil der amerikanischen Besatzungszone geworden ist. Weil die Amerikaner ganz starken Wert gelegt haben darauf, dass diese Demokratisierung so schnell wie es irgendwie geht wieder Fuß fasst. Und es wuchs von der Gemeindeebene bis rauf zur Landesebene und Bayern hat auch Ende 1946 schon eine eigene demokratische Verfassung wieder gehabt. Auch das nur, weil die Amerikaner dafür die Grundlagen gelegt haben. Und warum haben die Amerikaner das gemacht? Natürlich, weil sie wollten, dass ihre Vorstellung, ihr Way of Life sich in den von ihnen besetzten Zonen durchsetzt. Aber man sorgt auch dafür, dass diejenigen, die man befreit hat, jetzt auch ganz schnell wieder auf die eigenen Füße kommen und sich selber organisieren können. Denn man brauchte ja auch Partner für den sich abzeichnenden neuen Konflikt zwischen Ost und West, zwischen USA auf der einen Seite und Sowjetunion und dem sogenannten Ostblock auf der anderen Seite. ERZÄHLERIN Nach dem Tod des US-Präsidenten Roosevelt im April 1945 und vor allem nach dem republikanischen Sieg in den Kongresswahlen von 1946 setzen sich Vertreter eines strikt antikommunistischen Kurses durch, darunter US-Präsident Harry S. Truman. Musik: Perdido 0‘28 Ein Kurs, der vor allem ein Ziel hat: der möglichst rasche Wiederaufbau West-Deutschlands als Bastion gegen den Kommunismus - militärisch, ökonomisch, und politisch. Die ersten Amerikahäuser werden gegründet und Austauschprogramme mit US-Universitäten, in denen vor allem deutsche Nachwuchspolitikerinnen und -Politiker Nachhilfe in Demokratie erhalten. OTON 19 Hildegard Hamm-Brücher 1 Also ich behaupte, wir hätten es in Deutschland nicht geschafft, eine Demokratie aufzubauen, die sich so positiv doch in den Fundamenten entwickelt hat, ohne diese amerikanische Wegweisung. ERZÄHLERIN So schätzte es Hildegard Hamm-Brücher ein, Jahrgang 1921. Im Mai 1948 wird sie für den Münchner Stadtrat auf die Liste der Bayern-FDP gewählt und erhält 1949 ein einjähriges Studium an der renommierten Harvard-Universität. Im Gespräch für das Zeitzeugen-Projekt im Haus der Bayerischen Geschichte erinnert sie sich 1998: OTON 20 Hildegard Hamm-Brücher 2 Ich hatte ja noch in der Schule eingedrillt bekommen: Demokratie, das passt für Deutsche nicht, diese Quatschbuden und Parteienstreits, wie schrecklich! Und einer hat befohlen und alle haben zu gehorchen, das war doch das große Unglück und das umzudenken, das lernen umzudenken und nach dem Umdenken anders zu handeln, sich anders zu verhalten, das ist ja nicht vom Himmel gefallen und das haben die Amerikaner in einer geradezu rührenden Geduld bis weit in die 50er-Jahre hinein uns dabei geholfen. Und diese Programme waren eben gerade für junge Menschen wie mich ein Startkapital, wie ich es nirgendwo anders herbekommen hätte. MUSIK: Glenn Miller, In the Mood 0‘30 ERZÄHLERIN Mit gleichberechtigtem Zugang für Männer und Frauen. Ein Mosaikstein in einem vielschichtigen Netzwerk, das zwei Nationen aufs Engste verbinden sollte. Das Gegensätze überwinden konnte und mit Hilfe von politischen Ideen, wirtschaftlichen Kräften und auch der Macht der Popkultur in kürzester Zeit aus Feinden Freunde machte.

In Europa bricht die Olivenernte ein. Fehlendes Wasser und hohe Temperaturen setzen den Bäumen in den Anbauregionen rund ums Mittelmeer zu. Während es im Süden zu heiß wird, experimentieren Landwirte im Norden Europas mit dem Anbau von Oliven. Werden Olivenbäume auch bei uns heimisch? Und was für Hindernisse gibt es? Im Süden wird es den Oliven zu heiß, also ab in den Norden mit ihnen. Der Klimawandel macht es möglich, dass Olivenbäume bald bei uns heimisch werden könnten. Unterwegs mit den Agrorebellen, die unsere Landwirtschaft revolutionieren wollen. Von Anna Küch (BR 2024) Credits Autorin dieser Folge: Anna Küch Regie: Irene Schuck Es sprachen: Anna Küch Technik: Stefan Oberle Redaktion: Bernhard Kastner Im Interview: Erich Welleschitz Landwirt Matthias Welleschitz Landwirt Markus Fink, Agrorebels Carmen Sánchez, Olivenöl-Expertin Michael Becker, Gärtner Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Besser leben. Der Bayern 1 Nachhaltigkeitspodcast. Kaum ein Putz-Hack in den sozialen Medien kommt ohne Natron aus. In dieser Episode von "Besser leben" erläutern Melitta Varlam und Florian Kienast, was Natron eigentlich genau ist, wogegen es wirklich hilft und wie umweltfreundlich Natron ist. Plus: Gibt es einen Unterschied zwischen Backpulver und Natron? Und was hat es mit Soda auf sich? JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/episode/besser-leben-der-bayern-1-nachhaltigkeitspodcast/was-ist-natron/bayern-1/13447683/] Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/manuskript-radiowissen-luxusgut-olivenoel-klimawandel-hitze-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: O-TON 1 Erich Welleschitz „Da sind sie wieder... sehen Sie die Kaninchen, diese Biester... Autorin: Erich Welleschitz ist wütend. Der Biolandwirt steht auf seinem Feld und deutet auf den Abhang. In der Ferne hoppeln drei Kaninchen. O-TON 2 Erich Welleschitz „Das größte Problem bei uns hier sind eigentlich die Wildkaninchen. Das muss man sagen. Wildkaninchen, die haben schon 40 Bäume erledigt. das heißt, sie graben gerne, sie graben sich zu den Wurzeln, fressen die Wurzeln ab oder nagen die Rinde ab und somit der Fall erledigt. Und eine Reihe haben sie in einer Nacht geschafft. Musik 1 "Always turns to spring" - Komponist und Ausführender: Bill Frisell - Album: Ghost Town - Länge: 0'42 Autorin: Und es ist nicht irgendeine Reihe. Erich Welleschitz hat hier im Marchfeld östlich von Wien einen Olivenhain gepflanzt. 135 junge Bäume, die ihre silbrig-grünen Blätter in die kalte Frühlingsluft recken. Die Gegend gilt als Korn- und Gemüsekammer Österreichs. Doch der Anbau verändert sich. Neben Zwiebeln, Erbsen, Spargel, Karotten, Getreide werden auch immer mehr Exoten angebaut. Feigenbäume, Granatapfel, Melone und seit neustem Oliven - wie beim Landwirt Welleschitz: O-TON 3 Erich Welleschitz „Also ganz ehrlich, war es eine ganz unbedingte Idee meiner Frau. Sie hat gesagt du wir müssen das unbedingt machen. Ja, und sie hat einfach nicht mehr loslassen von dem Gedanken und hat gesagt habt ihr keine geeigneten Flächen, irgendwo muss doch was geben. Da hab ich gesagt oh ja, wir haben schon eine geeignete Fläche. Dann machen wir das. Und der Klimawandel selbstverständlich spielt da auch a Rolle. Autorin: Welleschitz zupft ein paar Blätter von den Olivenbäumen. Der Hain macht viel Arbeit. In diesen Wochen müssen die Zweige geschnitten werden. Die ganze Familie hilft mit. Sohn Matthias zeigt, was zu tun ist: O-TON 4 Matthias Welleschitz: „Ja, der Ast und der Ast. Grundsätzlich geht es ja beim Schnitt dann darum, dass jedes Blatt möglichst viel Licht bekommt und dass das kein riesenhoher Baum wird, sondern ja, wie man sich einen Olivenbaum halt vorstellt. Dass das eben klar und in die Breite hin ausfallen wird, er klar und in die Breite hin ausfallend wird. Dadurch kriegen die einzelnen Blätter ziemlich viel Licht....“ Autorin: Die Landwirte in der Gegend bemerken den Klimawandel deutlich: Die Winter werden immer milder, die Sommer heißer. Vieles, was Erich Welleschitz früher angebaut hat, funktioniert mit den hohen Temperaturen nicht mehr so gut. O-TON 5 Erich Welleschitz: 40 Grad sind keine Seltenheit. 40 Grad ist schon normal, vor allem starke Südwinde. Und wenn dann so der Südwind geht tagelang, das ist wirklich heiß und unangenehm. Es ist halt so, dass man in der Landwirtschaft ganz anders betroffen ist. Autorin: Die Nachbarn von Welleschitz pflanzen jetzt Bananen an. Die wachsen wie Unkraut, sagt der Landwirt. Er selbst probiert es mit Olivenbäumen Musik 2 "Un Héros Très Discret - Départ en Train" - Album: Jacques Audiard - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'59 Autorin: Hitze, Trockenheit, karge Böden. So wachsen die Olivenbäume seit Jahrtausenden von Jahren vor allem im Mittelmeerraum. In Spanien, Griechenland, Italien. Portugal. Es gibt über 1.000 verschiedene Arten. Die Stämme sind knorrig, der Busch weit verzweigt. Olivenbäume können uralt werden. Sie zählen zu den ältesten Kultur- und Nutzpflanzen der Menschheit. Und das Olivenöl war immer schon wertvoll. Könnte das grüne Gold auch bald bei uns entstehen? Markus Fink ist überzeugt davon, dass der Olivenbaum auch hierzulande wachsen kann. Er sieht den Klimawandel als Problem und Chance zugleich. Zusammen mit zwei Mitstreitern hat er den Verein Agrorebells gegründet. Die Agrorebellen erforschen exotische Obstsorten und bringen sie nach Österreich. Über 5.000 Olivenbäume haben sie schon zusammen mit Landwirten aus ganz Österreich gepflanzt: O-TON 6 Markus Fink: „Wir sagen halt nicht, was tut der Klimawandel mit uns, sondern was machen wir mit dem Klimawandel. Wir wollen umgehen damit, umkehren können wir ihn nicht. Wir können ihn verlangsamen, so gut es geht, Und wir haben uns zur Aufgabe gemacht, den Bauern / den hiesigen Landwirten zu helfen, sie zu beraten. Was können sie mit ihren Äckern machen, um weiterhin gut bestehen zu können? Autorin: Markus Fink ist eigentlich Physiker. Er hat lange Jahre mit der Weltraumbehörde ESA zusammengearbeitet. Früher hat er Pflanzen im Weltall erforscht: O-TON 7 Markus Fink: „Wo man geschaut hat, wie sichert man das Überleben für den Astronauten auf der ISS? Wie kann man eine bemannte Mars-Mission durchführen und so weiter? Wie können Pflanzen in unwirtlichen, unter unwirtlichen Bedingungen gedeihen? Diese Fragestellung hat mich auch fasziniert. Irgendwo und so ist dann daraus das Projekt irgendwann Aggro-Rap geworden. Wenn man Tomaten auf der ISS zum Wachsen bringt ... wir versuchen halt die Olive in Mitteleuropa zum Wachsen zu bringen. Musik 3 "Un Héros Très Discret - Départ en Train" - Album: Jacques Audiard - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'31 Autorin: Als Markus Fink 2019 damit loslegte, titelte eine Zeitschrift: „Der Astronaut, der die Oliven nach Österreich bringt“. Das war der Beginn des Erfolgs. Viele Landwirte in Österreich lasen den Artikel und waren Feuer und Flamme. Am Anfang mussten die Agrorebellen viel experimentieren. Sie legten Forschungshaine an, pflanzten verschiedene Olivenbäume. Und hatten auch den Mut zu scheitern: O-TON 9 Markus Fink: „Wenn es einen Totalausfall gab, dann war das ein einziges Mal, und zwar in Kärnten in der Testphase. Da hatten wir eine geschlossene Schneedecke von 40 bis 50 Zentimeter über mehrere Wochen. Und das hat kein Olivenbaum überlebt. Da war nicht unbedingt das Temperaturminimum, sondern die geschlossene Schneedecke.“ O-TON 10 Markus Fink „Hallo? Ja das ist jetzt ganz schlecht.“ Autorin: Mittlerweile wollen immer mehr Landwirte von Markus Fink und den Agrorebellen beraten werden. Dauernd klingelt sein Telefon. Markus Fink liebt seine Arbeit. Er ist in Größenbrunn östlich von Wien aufgewachsen. Seine Großeltern hatten einen bäuerlichen Betrieb, dazu gehörte ein kleiner Weinberg. Ein Weingarten sagen die Österreicher. Dort kelterten die Landwirte früher den Wein für den Eigenbedarf: O-TON 11 Markus Fink „Das wurde dann nicht mehr rentabel, sehr viel Arbeit. Mittlerweile sind die Flächen größtenteils als Brachflächen geblieben. Nur wenige Landwirte bauen hier noch Trauben an, und aus diesen Flächen werden jetzt hoffentlich sukzessive Olivenhaine. Der Boden ist gut. Es sind Südhänge.“ Autorin: In der Ferne liegt die Slowakei. Weit ist es nicht zur Grenze. Mit dem Auto fahren wir durch die Gegend, die sich nach und nach verändert: O-TON 12 Markus Fink „Schauens mal da, da haben wir Palmen, sieht man überall an jeder Ecke. Da Zwergpalmen kleine Olivenbäume. Das wäre in den 1980er Jahren unmöglich gewesen!“ Autorin: Klimatisch ist der Anbau kein Problem. Fink und seine Kollegen haben mit verschiedenen Sorten experimentiert. Sie sind in den Mittelmeerraum gefahren, nach Italien, Portugal und Spanien, um die richtigen Bäume zu finden. Am Anfang erklärten sie die Landwirte - zum Beispiel in Spanien - für verrückt: O-TON 13 Markus Fink „Die spanischen Bauern kennen Österreich als allererstes als Skifahrergebiet, wenn sie es überhaupt kennen. Und die meinen, ich wäre ein bisschen „loco“. „Loco“ bedeutet verrückt oder crazy. Ja, dann erklärt man halt na ja, wie schaut in Zentralspanien das Klima aus zum Beispiel in Madrid? Wie viel Minusgrade bekommts Ihr in Madrid eigentlich? Naja, also vielleicht minus sechs, minus sieben, minus acht der mal. Ja, naja, wir kommen hier dann auf minus neun, minus zehn. Das ist gar nicht so weit weg und wie lange auch nur ein, zwei Tage im Jahr. Und damit sehen dann auch die Landwirte dort, dass es vielleicht gar nicht so crazy ist, im Osten Österreichs sage ich jetzt einmal, im pannonischen Gebiet, Olivenbäume zu pflanzen, zumindest das auszuprobieren, diese zu pflanzen.“ Musik 4 "Always turns to spring" - Komponist und Ausführender: Bill Frisell - Album: Ghost Town - Länge: 0'29 Autorin: Das pannonische Gebiet ist eine Tiefebene, die sich von Ungarn bis nach Österreich erstreckt. Die Winter sind mild und feucht. Die Sommer heiß mit viel Sonnenschein. Ein submediterranes Klima. Ideal für die Olivenbäume sagt Markus Fink. Er stoppt das Auto, steigt aus und führt auf einen Aussichtspunkt. Dort stehen ein paar dürre Pflanzen vom Wind zerzaust. O-TON 14 Markus Fink „Das ist unser zweiter Forschungshain. Der befindet sich auf der Parndorfer Platte. Das ist eine typische sehr windige Gegend, extrem heiß und trocken im Sommer und annähernd kein Schnee im Winter, heute ist ein gefühlter Wintertag, fünf Grad und Regen.“ Autorin: Markus Fink greift in die Erde und lässt sie durch die Finger rieseln, dann flüchtet er ins Auto. Der Regen ist zu stark. O-TON 15 Markus Fink „Wir versuchen, verschiedene Sorten verschiedenen Alters zu vergleichen, verschiedene Substrate zu setzen, mit Hanglage, ohne Hanglage, mit Schotter drunter, lehmig oder nicht lehmig oder was auch immer. Und dann zu vergleichen. Wie entwickeln sich die Bäume? O-TON 16 Carmen Sánchez „Schlürfgeräusch ... Hörst Du das? Das ist damit etwas Luft hereinkommt und sich vermischt.“ Autorin: Olivenölprobe bei Carmen Sanchez in Köln Pulheim. Die Spanierin hat zwei Schälchen mit verschiedenen Oliven-Ölen vorbereitet und lässt mich vergleichen: O-TON 17 Carmen Sánchez: „Das schmeckt nach Tomate, hinten raus die Schärfe. Genau! Und nach dem Runterschlucken hast du vielleicht noch das Gefühl der Bitterkeit und Schärfe.“ Autorin: Die Schärfe und Bitterkeit sind Merkmale für ein gutes Olivenöl. Und es gibt noch mehr. O-TON 18 Carmen Sánchez „Auch ein sehr gutes Zeichen ist: Wenn das ein Olivenöl ist fettig. Aber diese gute Qualität ist er eher seidig. Also die Zunge wird nicht so von eine Schicht aus Fett bedeckt. Diese seidige Flüssigkeit ist total sauber und hinterlässt keine Spuren. Das ist auch ein sehr gutes Zeichen.“ Autorin: Carmen Sanchez weiß, wovon sie spricht, sie ist diplomierte Oliven-Öl Sommeliere, genauer gesagt sie sich an der Universität von Jaen in Andalusien zur Expertin für natives Olivenöl ausbilden lassen. Ihre Mission: den Menschen beibringen, was wirklich gutes Oliven-Öl ist. Oder besser Oliven-Saft. O-TON 19 Carmen Sánchez: „Schau mal, die Olive ist eine Frucht. Alle anderen Öle kommen aus Kernen, und die Olive als da mehr ist eine Frucht. Und wenn ich sie auspresse, dann bekomme ich einen Saft.“ Autorin: Viel von diesem Saft ist gerade nicht auf dem Markt. Europas Olivenbauern haben schlechte Jahre hinter sich, die Ernten sind eingebrochen, die Preise auch für minderwertiges Öl drastisch gestiegen. Das gab es bislang noch nicht, erzählt Carmen Sanchez: O-TON 20 Carmen Sánchez „Spanien ist Hauptproduzent von Oliven-Öl. Und es ist das erste Mal in der Geschichte vom Oliven-Anbau, dass zwei Ernten direkt hintereinander katastrophal sind. Das passiert 2023 und davor 2022. Das hat sicherlich mit dem Klimawandel zu tun.“ MUSIK 5 "Always turns to spring" - Komponist und Ausführender: Bill Frisell - Album: Ghost Town - Länge: 1'03 Autorin: Dürre und Hitze führten dazu, dass die Blüten an den Olivenbäumen geradezu verbrannt sind und keine Oliven entstehen konnten. Das heißt, die Ernten in Spanien haben sich halbiert. Eine Katastrophe! Spanien vermarktet etwa 50 Prozent des weltweit konsumierten Olivenöls. Auf einmal fehlten riesige Mengen an Öl. Und die Preise für das grüne Gold kletterten in die Höhe. Auch Italien und Griechenland hatten schlechte Ernten. Hier hatte es vergangenen Mai und Juni zu viel geregnet. Also in der Blütezeit. Dadurch klappte es mit der Bestäubung nicht. Normalerweise weht der Wind den Pollen einer anderen Olivenpflanze heran. Doch durch den Dauerregen war es zu nass, die Blüten konnten sich nicht bestäuben, also gab es keine Frucht. Die Feuchtigkeit lockt auch die Olivenfruchtfliege an, einen gefürchteten Schädling: O-TON 21 Carmen Sánchez „Genau bei Feuchtigkeit. Genau dann fühlt sich diese Fliege sehr wohl. Sie bohrt die Frucht an. Und das bedeutet Sauerstoff in Kontakt mit den Fruchtfleisch. Das bedeutet dass die Oxidation, die Fermentationsprobleme bei dem Olivenöl direkt da sind. Egal, wie toll der Bauer ist. Egal, wie toll die Ölmühle ist. Geschmacklich wird das Öl nix mehr werden.“ Autorin: Der Mittelmeerraum ist das Zentrum der Olivenbäume, doch auch andere Regionen holen auf. In Australien und Kalifornien werden schon lange Oliven angebaut. Sie kamen mit den Missionaren und Reisenden, Entdeckern und Erobern in die Länder. In Verkostungen probiert Carmen Sanchez jetzt ganz oft Oliven-Öl, das aus anderen Weltregionen stammt. Immer wieder sind sie und ihre Kollegen überrascht, wie gut Oliven-Öl aus Südafrika, Brasilien oder Uruguay ist: Könnte dann nicht auch Deutschland zum Anbaugebiet werden? Jetzt, wo es gefühlt jeden Sommer heißer wird? O-TON 23 Carmen Sánchez „Im Prinzip ja. Der Olivenbaum ist sehr bescheiden, das ist ein Kerl, der sehr bescheiden und ist und der kann wachsen, ohne große verwöhnt zu werden. Nur Wasser tut gut und vor allem was er braucht, und was er deutlich vermisst, ist die Sonne. Er braucht den Sommer. Warum? Weil was eine Blüte schafft ist unglaublich. Also erstmal kommt irgendwann eine kleine Frucht, die wie eine Erbse aussieht. Da gibt es noch nicht einen harten Kern ist nichts und bis Anfang des Sommers. Ich rede jetzt so zum Beispiel von Spanien. Bis Juni hat er es geschafft einen Stein zu bekommen. Dann macht er Urlaub bis September. Und im September fängt die Olive an, die Frucht also, das Öl zu machen.“ Autorin: Bis das alles passiert, kann es jahrelang dauern. Erst wenn Olivenbäume etwa sechs Jahre sind, werfen sie Ertrag ab. Musik 6 "Paean (Original Composition For Replica Lyre in the Ancient Greek Dorian Mode)" - Album: The Ancient Greek Lyre - Ausführender: Michael Levy - Länge: 0'42 Autorin: Viele Geschichten ranken sich um den Baum und seine schmackhaften Früchte. Schon zum Ende der Bronzezeit wurden Ölbäume im östlichen Mittelmeerraum systematisch kultiviert. Auf Kreta waren Oliven bereits 6.000 vor Christus ein wichtiges Lebensmittel. Die antiken Griechen waren Spitzenreiter im Verbrauch. Ein Kämpfer verbrauchte 30 Liter jährlich zur Körperpflege, 20 weitere Liter für seine Ernährung und einen halben Liter als Medizin. Auch in der Bibel spielt der Olivenzweig eine Rolle als Symbol des Friedens. Carmen Sanchez ist jeden Tag aufs Neue fasziniert: O-TON 24 Carmen Sánchez: „Der Olivenbaum ist so unglaublich, weil der Olivenbaum, wenn wir hören, dass er es schafft, so alt zu werden ist, Manchmal erlebt er ganz böse Sachen, und aus dem Nichts treibt wieder Leben. Das hieß ich kriege ein. Es ist unglaublich. (schluckt ...stockt ...)“ Autorin: Als Carmen Sanchez nach Deutschland kam, traute sie ihren Augen kaum. Direkt im Nachbardorf in Stommeln bei Köln wuchsen: Olivenbäume. Musik 7 "Un Héros Très Discret - Départ en Train" - Album: Jacques Audiard - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'23 Autorin: Dicht an dicht stehen die 115 Olivenbäume beim Gartenhof Becker, die langen Zweige mit den grünen Blättern recken sich nach oben. Dem Regen entgegen. Es ist ein kühler Maitag. Inhaber Michael Becker hat seinen Schirm aufgespannt. Trotz der kühlen Temperaturen trägt er kurze Hosen: O-TON 25 Michael Becker: „2008/2009 dieser Winter war hier zwei oder drei Tage lang unter 20 Grad. Und da haben wir gemerkt, dass das eine Sorte ist, die auch die Kälte verträgt - das ist die Sorte Leccino aus der südlichen Toskana und die anderen Sorten sind uns fast alle kaputtgegangen.“ Autorin: „Der Oliven-Hain in der Kölner Bucht ist nach Angaben von Michael Becker, der nördlichste der Welt. Und hat es mittlerweile in der Gegend zu einiger Berühmtheit gebracht. Jedes Jahr veranstaltet der Gärtner ein Oliven-Fest zu dem tausende Besucher pilgern, im Hain sitzen, gute Olivenöle probieren und einiges über den Baum erfahren. Dabei hatte alles 2005 als Experiment begonnen sagt Becker, der zu sich in die Küche eingeladen hat.“ O-TON 26 Michael Becker: „Im Prinzip hab ich gedacht das muss funktionieren. Die Kölner Bucht ist einer der wärmsten Regionen, die es in Deutschland gibt im Winter. Also im Sommer nicht. Es ging ja eigentlich nur darum, ähm zu gucken, können die die Kälte ab oder können die das nicht? Und ja, ich, mein Vater hat gesagt jetzt bist du ganz bekloppt. Er als alter Obstbauer. Wir hatten immer schon eine Apfelplantage Pflaumen, Birnen und da lag die Olive ja auch irgendwie so dazwischen, das passte schon irgendwie.“ Autorin: Und es passte wirklich. Nach ein paar Jahren gab es dann die ersten Ernten. 2020 waren es sogar 300 Kilo Oliven. Zusammen mit Freunden und Bekannten spannten sie Netze auf, pflückten die Oliven klassisch per Hand. Und dann? Dann war da der Traum vom eigenen Olivenöl aus Köln: O-TON 27 Michael Becker „Also das Problem bei Olivenöl ist, von der Ernte bis zur Presse, soll möglichst 24 Stunden sein. So was. Was machen Sie? 24 Stunden von hier also die nächste Presse wäre dann mehr oder weniger am Gardasee? Ah, das ist kaum zu schaffen. Und so mussten wir halt versuchen, irgendwoher eine Presse zu kriegen. Und dann haben wir dann im Prinzip in Italien eine Presse bestellt, die es halt im Baumarkt gibt, um die anscheinend wohl viele italienische Familien, die zwei, drei Bäume haben. Die machen da ihr eigenes. Aber das hat bei uns dann eben nicht ganz so gut funktioniert.“ Autorin: Aus hundert Kilo Oliven wurden gerade einmal dreieinhalb Liter Öl: O-TON 28 Michael Becker „Das war natürlich ein Witz, Aber es war das erste hergestellte Olivenöl in Deutschland. Ich habe immer gesagt, das muss Olio di Cologne heißen.“ Autorin: Der Geschmack war fantastisch, ähnlich einem italienischen Öl. Doch der Aufwand ist bislang zu groß. Jetzt experimentiert der Gärtner mit eingelegten Oliven. O-TON 29 Michael Becker: Das ist so sehr pikante Einlegemethode. Also natürlich Wasser, Kochsalz, Pökelsalz und Rosmarin, Thymian, Knofi, Lorbeerblätter, schon mal eine Zitrone oder Peperoncino. Das gibt dann so ein eigentlich ein Geschmackserlebnis. Und jeder, der das probiert ist eigentlich begeistert und ich mein, Oliven aus dem Rheinland wäre natürlich auch schon eine schöne Sache.“ Autorin: Wenn da nicht noch einige Hürden wären: O-TON 30 Michael Becker: „Da muss dann auch auf Nährwerte geachtet werden. Also das Gesundheitsamt stand, nachdem wir das erste Öl gemacht haben, standen die am nächsten Tag schon bei uns. Und ja, sie verkaufen doch noch nicht das Öl. Und ich könnte mir aber vorstellen, dass das mit den Oliven eingelegt schon funktionieren würde, da würden wir jetzt mal so eine Testphase machen.“ Autorin: Seit 19 Jahren stehen die Olivenbäume hier in Köln. Sie haben den Gärtner Michael Becker verändert. Mittlerweile ist er nicht mehr für seine Äpfel, Pflaumen und Rosen bekannt, sondern für den Oliven-Hain. Manchmal geht er abends durch die Reihen spazieren … O-TON 31 Michael Becker: „Also, ich muss Ihnen ehrlich sagen im Winter mache ich das sehr oft, weil ich dann auch immer, wenn ich merke, es wird ein bisschen kälter, Schiss kriege. Und in den ersten Jahren war das auch ganz extrem. Also, da bin ich immer, da war ich auch irgendwie total stolz. Ich bin ich auch jetzt noch stolz darauf. Das ist auch heute immer noch für mich irgendwie so ein so ein Highlight. Und wir machen im Olivenhain ja auch Olivenöl-Verkostungen, die auch immer total schön sind. Und ich habe dann vor ein paar Jahren noch mal neu geheiratet. Und dann haben wir tatsächlich auch einen Olivenhain, so halbwegs die Hochzeit gefeiert.“ Autorin: Michael Becker glaubt fest daran, dass es die Olivenbäume auch in Deutschland schaffen könnten. Noch ist er der Einzige in der Kölner Bucht. O-TON 32 Michael Becker: „Aber ich denke einfach, wenn der eine oder andere Pionier da auch noch mal versucht, was zu machen, also hier in der Region, kann das funktionieren.“ Musik 8 "Un Héros Très Discret - Départ en Train" - Album: Jacques Audiard - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'28 Autorin: Noch kann es dauern, bis die Olivenbäume hier heimisch werden. Vor allem bis es das erste Olivenöl gibt. Doch diese Versuche sind vielversprechend. In Österreich haben die Agrorebellen große Pläne. Sie tüfteln zusammen mit der Uni Wien und dem Institut für Bodenkultur an einer Neuzüchtung. Die erste österreichische Olivensorte, sagt Markus Fink: O-TON 33 Markus Fink: „Nämlich aus einer alten italienischen Sorte. Die haben wir gekreuzt mit einer sehr tragefreudigen selbstfruchtenden und spanischen Sorte. Und aus dieser Kreuzung haben wir jetzt erste Pflanzen gewonnen und mal sehen, ob die auch wirklich selbstfruchtend sind und auch wirklich sehr freudig sind und auch wirklich so frostresistent sind wie die alte italienische Sorte. Aber da sind wir auf einem guten Weg.“ Autorin: Und viele Landwirte sind auch offen dafür. Gerade die neuen Generationen. Im Marchfeld im Osten von Österreich steht der 25jährige Matthias Welleschitz im Olivenhain. Angesichts des Klimawandels muss man umdenken, findet er: O-TON 34 Matthias Welleschitz: „Es sind halt andere Herausforderungen als vor 30 Jahren. Und Landwirte sind ja bekannt dafür, dass sie kreativ sind. Und irgendwie wird es zu meistern sein. Ansonsten schauts für alle schlecht aus.“ Autorin: Matthias Welleschitz hofft jetzt auf seine ersten Olivenernten. Fallen die gut aus, will er zusammen mit seiner Familie weitere Olivenbäume pflanzen. Genug Flächen sind vorhanden

Wer zart leuchten kann, muss noch lange nicht harmlos sein! Glühwürmchen haben Fähigkeiten, die uns sehr schnell ahnen lassen: Diese Käfer sind mehr als fliegende Lämpchen. (BR 2020) Autorin: Anja Mösing Credits Autor/in dieser Folge: Anja Mösing Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Ruth Geiersberger Technik: Regine Elbers Redaktion: Bernhard Kastner Im Interview: Stefan Ineichen (Biologe, Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften); Santiago Vargas (Umweltingenieur, Zürich) Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Das große Leuchten - Tiere mit Biolumineszenz JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/das-grosse-leuchten-tiere-mit-biolumineszenz/bayern-2/78750006/] Libellen - Fliegende Räuber mit poetischem Namen JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/libellen-fliegende-raeuber-mit-poetischem-namen/bayern-2/78754916/] Zikaden - Der Sound des Sommers JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/zikaden-der-sound-des-sommers/bayern-2/78753198/] Nachtaktive Pflanzen - Was uns im Dunkeln blüht JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/nachtaktive-pflanzen-was-uns-im-dunkeln-blueht/bayern-2/78753746/] https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/nachtaktive-pflanzen-was-uns-im-dunkeln-blueht/bayern-2/78753746/ Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]

Die Zahl der Hitzesommer nimmt zu. In Städten sind die Auswirkungen besonders stark, sie entwickeln sich zu Glutöfen. Viele Stadtplaner steuern inzwischen gegen - mit Bächen, Parks und begrünten Fassaden. Von Claudia Steiner (BR 2021) Credits Autorin dieser Folge: Claudia Steiner Regie: Rainer Schaller Es sprachen: Katja Amberger, Katja Bürkle, Peter Veit Technik: Roland Böhm Redaktion: Matthias Eggert, Iska Schreglmann Das Manuskript zur Folge gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/manuskript-radiowissen-hitze-in-der-stadt-100.html]. Im Interview: Stephan Pauleit (Professor am Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung der TU München); Sabrina Erlwein (Doktorandin am Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung der TU München); Espeth Oppermann (Vom Rachel Carson Centre der LMU München); Stefan Petzold (Referent beim Naturschutzbund Deutschland); Giovanni Betti (Assistenz-Professor für Architekturdesign an der Universität in Berkeley/USA) Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren: Hitze, Hagel, Hochwasser - Städte wappnen sich für Extremwetter JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/hitze-hagel-hochwasser-staedte-wappnen-sich-fuer-extremwetter/bayern-2/78759940/] Wasserknappheit bei uns - Rauscht es bald nicht mehr? JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/wasserknappheit-bei-uns-rauscht-es-bald-nicht-mehr/bayern-2/78749348/] El Niño und la Niña - Wie sie das Weltwetter aufmischen JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/el-nino-und-la-nina-wie-sie-das-weltwetter-aufmischen/bayern-2/12655543/] Kühltechnik - Wie künstliche Kälte unser Leben beeinflusst JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/kuehltechnik-wie-kuenstliche-kaelte-unser-leben-beeinflusst/bayern-2/78751142/] Linktipps: Hintergrundinfos des Naturschutzbundes zum Stadtklima und umweltpolitische Forderungen, um die Städte gegen die Klimakrise zu rüsten: EXTERNER LINK | https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/ressourcenschonung/bauen/stadtklima/index.html [https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/ressourcenschonung/bauen/stadtklima/index.html] Handlungsempfehlungen für Kommunen aus dem Projekt "Klimaschutz und grüne Infrastruktur in der Stadt" der Technischen Universität München: EXTERNER LINK | https://www.zsk.tum.de/fileadmin/w00bqp/www/PDFs/Berichte/180207_Leitfaden_ONLINE.pdf [https://www.zsk.tum.de/fileadmin/w00bqp/www/PDFs/Berichte/180207_Leitfaden_ONLINE.pdf] Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]
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