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Maria Theresia schaffte die Folter ab, führte die allgemeine Schulpflicht ein, und reformierte die Verwaltung. Das hätte der 23-Jährigen bei "Amtsantritt" als Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen niemand zugetraut. Bis heute gehört sie zu den erstaunlichsten Gestalten der Ära des Absolutismus. Von Mira Alexandra Schnoor ( BR 2011/2020) Credits Autorin: Mira Alexandra Schnoor Regie: Martin Trauner Es sprachen: Axel Wostry, Aglaia Szyszkowitz, Heiko Ruprecht, Heinz Peter Technik: Angelika Vetter-Wagner Redaktion: Brigitte Reimer Im Interview: Prof. Dr. Karl Vocelka (war bis 2012 Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Wien, inzwischen ist er außerordentlicher Professor für Österreichische Geschichte der Universität Wien im Ruhestand) KORREKTUR: In der aktuellen Version wurde ein Fehler korrigiert: Statt "Am 13. Mai 1717 wird dem österreichischen Kaiser Karl VI. ..." heißt es nun: "Am 13. Mai 1717 wird Kaiser Karl VI. ..." Das eigentliche "Österreichische Kaisertum", die Donaumonarchie, gab es erst ab 1804. Besonderer Linktipp der Redaktion: COSMO: Lost Sheroes Der mächtigste Pirat aller Zeiten? Eine Frau. Der erste Autor der Menschheit? Eine Frau. In diesem Podcast stellt euch die Schauspielerin Milena Straube immer eine Frau vor, die Großes geleistet hat, die Vorkämpferin, Pionierin, Role Model war. Ihr hört die spannenden Lebensgeschichten unbeachteter Heldinnen. Aus allen Zeiten, aus allen Ländern, aus allen Schichten ZUM PODCAST [https://www.ardaudiothek.de/sendung/lost-sheroes-frauen-die-in-den-geschichtsbuechern-fehlen/10778165/] Linktipps WDR (2020): Franz I. – Ehemann von Maria Theresia Maria Theresia von Österreich war 23, als sie in Wien an die Macht kam. Ihr Vater hatte ihr bewusst einen Mann ausgesucht, der nicht besonders mächtig war: Franz, Herzog von Lothringen. Was im Barock selten vorkam: das Brautpaar kannte sich bereits zuvor und beide liebten einander ein Leben lang. JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/wdr-zeitzeichen/franz-i-ehemann-von-maria-theresia-todestag-18-08-1765/wdr-5/79211604/] Deutschlandfunk Nova (2019): Warum Maria Theresia zum Mann erklärt werden musste Frauen an der Macht sind heute keine Seltenheit mehr. Auch wenn sich viele darüber beklagen, dass dies bei weitem noch nicht oft genug der Fall sei. Die Habsburgerin Maria Theresia war die erste Frau auf dem Thron, die sich in Österreich gegen heftige Widerstände behaupten musste. Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger distanziert sich in ihrem Vortrag dennoch von Feministinnen, die Maria Theresia noch heute als Ideal der Weiblichkeit loben. JETZT ANHÖREN [https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/frauen-in-der-politik-unvollkommene-varianten-der-maenner] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Titelsprecher: Prolog. MUSIK Erzähler Am 13. Mai 1717 wird dem österreichischen Kaiser Karl VI. und seiner Gemahlin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel eine Tochter geboren, Maria Theresia. 'Nur' ein Mädchen - die Eltern wünschen sich einen männlichen Thronfolger, doch auf Maria Theresia folgen zwei weitere Töchter. Bereits vier Jahre zuvor hatte Kaiser Karl VI. die Thronnachfolge neu geregelt. Das salische Recht, wonach ausschließlich ein männlicher Nachkomme den Thron erben konnte, wurde außer Kraft gesetzt. Die neue Vereinbarung, die Pragmatische Sanktion, bestimmte, dass im Fall des Aussterbens der männlichen Linie der Habsburger die Tochter des letzten Throninhabers zur Herrscherin werden solle und nicht etwa angeheiratete männliche Verwandte. So vorausschauend der Kaiser in dieser Hinsicht handelte, so nachlässig war er bei der Erziehung. Die älteste Tochter erhielt keine Ausbildung, die sie darauf vorbereitet hätte, einmal Regentin einer Großmacht zu werden. Die junge Prinzessin tanzte gern, machte Musik und führte ein geborgenes Leben in ihrer Familie. Sie war übrigens recht hübsch, wie der preußische Gesandte Graf Podewils feststellte: Zitator „Ihr Gesichtsausdruck ist offen und heiter, ihre Anrede freundlich und anmutig. Man kann nicht leugnen, daß sie eine schöne Person ist.“ MUSIK Erzähler 1736 heiratete Maria Theresia den neun Jahre älteren Herzog Franz Stephan von Lothringen, den sie schon seit ihrer Kindheit kannte. Es war, äußerst ungewöhnlich in den Kreisen des Hochadels, eine Liebesbeziehung. Bis zum Tod Franz Stephans im Jahr 1765 waren die beiden 29 Jahre verheiratet oder, wie Maria Theresia berechnete: MARIA THERESIA „Mein glücklicher Ehestand währte Jahr 29, Monat 335, Wochen 1.540, Tage 10.781, Stunden 258.744.“ MUSIK Titelsprecher Eine Frau auf Habsburgs Thron Erzähler 1740 starb Kaiser Karl VI., Maria Theresia wurde zur Herrscherin über viele, unterschiedliche Länder. MARIA THERESIA „Königin zu Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slowenien. Erzherzogin zu Österreich, Herzogin zu Steyer, Kärnten und Krain, Schlesien, Brabant, Limburg, Luxemburg, Mailand, Mantua, Parma, Piacenza. Markgräfin zu Mähren. Fürstin zu Siebenbürgen. Gefürstete Gräfin zu Tirol und Flandern. Markgräfin des heiligen Römischen Reiches zu Burgau.“ Erzähler Dass sie den Thron tatsächlich besteigen konnte, schien zunächst alles andere als selbstverständlich, Maria Theresia musste damit rechnen, auf viel Widerstand zu stoßen, sowohl bei den Regenten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, als auch bei den Untertanen ihrer vielen Länder. Einigermaßen verblüfft konstatierte der venezianische Gesandte in Wien, dass die neue Herrscherin schnell allgemein anerkannt wurde. Zitator "Aus den Provinzen kommen täglich Berichte von der geleisteten Huldigung, alles vollzieht sich in bewunderungswürdiger und gleichsam unerwarteter Harmonie." Erzähler Das Erbe, das sie antrat, war kein glanzvolles. Sowohl die Armee als auch Wirtschaft und Verwaltung ihrer Länder waren marode. MARIA THERESIA „Niemand glaube (ich) werde widersprechen, dass ein gekröntes Haupt in schwerer- und misslicheren Umständen seine Regierung als ich angetreten habe.“ Erzähler Doch die erst 23 Jahre junge Frau ließ sich nicht entmutigen. Sie machte sich sofort daran, eine der prägenden europäischen Herrscher des 18. Jahrhunderts zu werden und ihr Land durch Reformen voranzubringen. Der Historiker Karl Vocelka, Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Wien: 1 O-Ton Vocelka1 „Was sie charakterisiert hat ist, dass sie als Frau in eine Männerrolle schlüpfen musste, zur Herrschaft gelangt ist, ohne große Vorbereitung. Ihr Vater hat, obwohl er wusste, dass sie seine Nachfolgerin wird (…) sie dennoch nicht vorbereitet auf diesen Job, auf diese Funktion…“ MUSIK MARIA THERESIA „(Ich habe) die zu Beherrschung so weitschichtiger und verteilter Länder erforderliche Erfahr- und Kenntnüs um so weniger besitzen können, als meinem Herrn Vattern niemals gefällig war, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäfte beizuziehen noch zu informieren.“ 2 O-Ton Vocelka „… und sie hat sich eigentlich mit Hilfe vieler Berater natürlich sehr gut geschlagen auf diesem Gebiet.“ MARIA THERESIA „Das bisschen Ruhm, das ich mir in der Welt erworben habe, schulde ich der guten Wahl meiner Vertrauten. Ich habe das Glück gehabt, verdienstvolle und rechtschaffene Leute zu finden.“ Erzähler Bei aller Bescheidenheit: Maria Theresia war zum Herrschen geboren. Noch einmal der venezianische Gesandte: Zitator „Sie ist in der Tat nach allgemeinem Urteil so, dass man niemand anderen als sie zur Bewahrung des Erbes des Hauses Habsburg auswählen würde, wenn man die Möglichkeit hätte, frei die Erbin in der ganzen Welt zu suchen.“ MUSIK Titelsprecher Kindersegen oder: MARIA THERESIA „Man kann nicht genug davon haben, in diesem Punkt bin ich unersättlich.“ Erzähler Bereits ein Jahr nach der Hochzeit brachte Maria Theresia ihr erstes Kind zur Welt, die Tochter Maria Elisabeth, die im Alter von drei Jahren starb. Eineinhalb Jahre später, im Oktober 1738, kam Maria Anna, und im Januar 1740 folgte eine weitere Tochter, die aber nur ein Jahr alt wurde. Am 13. März 1741 dann endlich der ersehnte Thronfolger, Joseph. Zwischen 1737 und 1756 gebar Maria Theresia 16 Kinder, das macht in 19 Jahren 16 Schwangerschaften und Geburten. Sechs ihrer Kinder starben im Kindes- oder Teenager-Alter. Die übrigen zehn überlebten ihre Mutter. Die physische Leistung, die Maria Theresia erbrachte, ist kaum vorstellbar. Neben den zahlreichen Schwangerschaften und Geburten musste sie schließlich einen kriegsgeschüttelten Vielvölkerstaat regieren. MUSIK Titelsprecher Arbeiten oder: MARIA THERESIA „Wir leben in dieser Welt, um unseren Mitmenschen Gutes zu tun, denn wir sind nicht für uns selbst da oder gar nur, um uns zu amüsieren.“ Erzähler Maria Theresias Einstellung zur Arbeit war vorbildlich. Sie stand um halb sechs Uhr in der Früh auf und ging zur Messe. Um halb acht Uhr begann sie mit der Arbeit: sie las Akten oder ließ sie sich vorlesen, und empfing ihre Sekretäre und Minister zum Referat. Das dauerte bis zwölf Uhr mittags. Am Nachmittag dann: MARIA THERESIA „4 uhr bis 6 uhr expedirn, schreiben, audienzen.“ Erzähler Der preußische Gesandte Podewils berichtete an seinen König: Zitator „Sie beschäftigt sich viel mit ihren Staatsangelegenheiten und bemüht sich, genaue Kenntnis von ihnen zu bekommen. Sie liest die meisten Berichte ihrer Gesandten, prüft die Entwürfe der Schriftstücke, unterhält sich oft mit ihren Ministern und wohnt den Konferenzen bei, die über Staatsgeschäfte von irgendwelcher Bedeutung abgehalten werden.“ MUSIK Titelsprecher Militärisches oder: MARIA THERESIA „Was für ein abscheuliches Geschäft ist doch der Krieg; er ist gegen die Menschlichkeit und gegen das Glück.“ Erzähler Die junge Königin saß kaum auf ihrem Thron, da begann Friedrich von Preußen einen Krieg. Der König, nur ein paar Monate vor Maria Theresia gekrönt, nutzte die Gunst der Stunde, denn die Habsburger Herrscherin stand ohne schlagkräftige Armee da - ihr Vater hatte es unterlassen, das Armeewesen zu reformieren. MARIA THERESIA „Die ihren Feinden so förchterlich ehedessen geweste kaiserliche Truppen, die für die erste in Europa gehalten wurden, verloren bei Freund- und Feinden den größten Teil ihres Ansehens.“ Erzähler Friedrich II. warf einen begehrlichen Blick auf das reiche Schlesien. Was ihn antrieb, aus dem Nichts einen Krieg zu beginnen, beschrieb er selbst so: Zitator „Beim Tod meines Vaters fand ich ganz Europa in Frieden. (Ich) war im Besitz schlagfertiger Truppen, eines gut gefüllten Staatsschatzes und von lebhaftem Temperament; das waren die Gründe, die mich zum Kriege mit Therese von Österreich, Königin von Böhmen und Ungarn, bewogen. Der Ehrgeiz, mein Vorteil, der Wunsch, mir einen Namen zu machen, gaben den Ausschlag und der Krieg ward beschlossen.“ Erzähler Also wurden tausende Soldaten in Marsch gesetzt, ein verlustreicher Krieg begann, in dem es hauptsächlich um Eitelkeiten, Gier und Machtansprüche ging. Im Dezember 1740 fiel der preußische König in Schlesien ein – der österreichische Erbfolgekrieg hatte begonnen. Er dauerte insgesamt acht Jahre, sämtliche europäischen Mächte waren mehr oder weniger involviert, gekämpft wurde auf verschiedenen Schauplätzen in Europa, Bündnisse wurden geschlossen und sofort wieder gebrochen, wenn es der eigene Vorteil gebot. Aus seiner Position der Stärke heraus verlangte Friedrich II., dass man ihm das besetzte Schlesien offiziell überlasse. Als notorischer Frauenfeind dachte er anscheinend, die junge, unerfahrene Königin mit seinem rechtswidrigen Verhalten und der Stärke seiner Armee einschüchtern zu können. Doch Maria Theresia widersetzte sich und ließ ihrem Widersacher mitteilen: Maria Theresia „Die Königin hat nicht die Absicht, ihre Regierung mit der Zerstückelung ihrer Staaten zu beginnen. (…) Sie (kann) weder einer Gesamt- noch einer Teilabtretung Schlesiens zustimmen.“ Erzähler Auf Maria Theresias Seite standen England, als Erzfeind Frankreichs, Russland, und der unsichere Kantonist Sachsen, während sich Preußen mit Frankreich, Bayern und Spanien verbündete. Der österreichische Erbfolgekrieg ist ein verwirrendes Hin und Her, bei dem Maria Theresia nicht nur gegen Preußen und Frankreich, sondern auch gegen den bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht kämpfen musste. Dieser hatte die Pragmatische Sanktion nicht anerkannt, und erhob Ansprüche auf einige Länder des Habsburger Reiches, da er mit einer Cousine Maria Theresias verheiratet war. Oberösterreich und Böhmen wollte er sich gemeinsam mit den Franzosen erkämpfen. Doch das misslang. Einen Erfolg konnte Karl Albrecht allerdings verbuchen: im Februar 1742 wurde er in Frankfurt zum deutschen Kaiser gekrönt. Als er drei Jahre später starb, änderte sich die Lage. Sein Sohn, Kurfürst Max III. Joseph schloss Frieden mit Maria Theresia und versprach, die Wahl ihres Mannes, Franz Stephan zum deutschen Kaiser zu unterstützen. Die Gefahr aus Bayern war Maria Theresia nun los, nicht aber die aus Preußen, und der Krieg ging weiter. Friedrich II. blieb Maria Theresias lebenslanger Feind. 3 O-Ton Vocelka7 „Maria Theresia hat Friedrich von Preußen gehasst. Sie nennt ihn Scheusal und Bestie, sie hat ihn zutiefst verabscheut und gehasst. (…) Man hat (…) diese Abneigung verstehen können, weil ja in letzter Instanz der Beginn der ganzen Auseinandersetzung, die dann mit den beiden Schlesischen Kriegen und dem österreichischen Erbfolgekrieg 8 Jahre der Herrschaft Maria Theresias ausfüllen, natürlich durch diesen "räuberischen Überfall" Friedrichs von Preußen auf Schlesien ihren Anfang genommen hat.“ MUSIK Erzähler Acht Jahre Krieg. Nachdem der Erbfolgekrieg im Oktober 1748 mit dem Frieden von Aachen beendet wurde, blieben Maria Theresia nur acht friedliche Jahre, bis es 1756 mit dem siebenjährigen Krieg wieder los ging. 4 O-Ton Vocelka12 „Sie hat den Krieg im Prinzip grundsätzlich abgelehnt, aber hat keine großen Alternativen gehabt, als Kriege zu führen, (…) Sie war keine große Kriegsheldin in dem Sinne, dass sie eine Freude am Krieg hatte, sondern sie hat den Krieg als ein notwendiges Übel der Politik der damaligen Zeit betrachtet.“ MUSIK Titelsprecher Die "Kaiserin" Erzähler Mit dem Tod des bayerischen Kurfürsten wurde im Januar 1745 der Kaisertitel wieder frei. Eigentlich hätte er Maria Theresia gehört, denn die Habsburger stellten schon seit Jahrhunderten den deutschen Kaiser. Aber für das Deutsche Reich galt die Pragmatische Sanktion nicht, hier war es unmöglich, dass eine Frau die Kaiserkrone erhalten konnte. Daher wurde Maria Theresias Ehemann Franz Stephan im Oktober 1745 zum Kaiser gekrönt. "Kaiserin" war Maria Theresia fortan nur als Ehefrau des Kaisers. MUSIK Titelsprecher Reformen Erzähler Nicht nur die Armee musste reformiert werden, Maria Theresia stand vor der Aufgabe, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz und das Bildungswesen ihres Landes zu erneuern. Sie begann mit einer Heeresreform, denn die Schlesischen Kriege hatten gezeigt, dass die österreichische Armee im europäischen Vergleich nicht bestehen konnte, oder, wie ein Bonmot aus späterer Zeit lautete: Zitator „Österreich hinkt immer nach, um eine Idee oder ein Jahr oder eine Armee.“ 5 O-Ton Vocelka5 „Einerseits waren die Reformen in der Monarchie notwendig. (…). Schlesien ging im 1. Schlesischen Krieg an Preußen verloren (…) und innerhalb kürzester Zeit hat sich herausgestellt, dass Preußen imstande war, mehr Steuern aus diesem Schlesien herauszuwirtschaften, als das die Habsburger Monarchie davor gekonnt hat und das hat gezeigt, dass hier dringende Reformen des Systems notwendig sind. Dort beginnt's auch mit der Steuerpolitik, man hat versucht, die adeligen Stände zu entmachten und die Steuerpolitik ganz zu einer Aufgabe des Staates zu machen. Das zieht viele andere Reformen nach sich. Im Wesentlichen (…) kommt es zu einer Zentralisierung der Verwaltung, der Versuch die Verwaltung in unterschiedlichen Schichten aufzubauen, d.h. bis in die untere Ebene hinein, bis in die Kreisebene hinein gab es eben dann Kreisämter, die sowohl Einfluss auf die Politik des Kreises nahmen, aber auch nach Wien berichteten, also auch diesen Zentralismus verstärkt haben.“ Erzähler Im Gegensatz zu anderen Großmächten war Österreich ein Vielvölkerstaat. Die verschiedenen Länder, die er vereinigte, hatten unterschiedliche Sprachen, Gesellschaftsordnungen, Rechtssysteme und auch unterschiedliche Armeen und Militärausbildungen. Dies alles galt es anzugleichen. 6 O-Ton Vocelka5 „Es gab Reformbedarf in vieler Hinsicht, etwa eine Frage, die in ganz Europa zu diesem Zeitpunkt diskutiert wurde, war die allgemeine Verpflichtung zum Unterricht, also in Österreich gibt’s keine Schulpflicht bis heute, sondern eine Unterrichtspflicht, die Maria Theresia eingeführt hat. Aber auch in vielen anderen Bereichen gab es Reformansätze, die im Geist der Zeit lagen. Es ist letztlich eine Zeit, in der Gedanken der Aufklärung eine Rolle spielen, selbst wenn Maria Theresia nicht als aufgeklärte Monarchin zu bezeichnen ist, so ist doch ihr Umkreis sehr stark von diesem Reformgeist der Aufklärung beeinflusst gewesen.“ MUSIK Titelsprecher. Die alten Werte oder: MARIA THERESIA „Nichts ist so nützlich und heilsam wie die Religion.“ Erzähler Obwohl Maria Theresia viele Reformen auf den Weg brachte und durchaus einen pragmatischen Modernismus pflegte, hielt sie konservative Werte sehr hoch. Als tiefgläubige Katholikin besuchte sie regelmäßig die Messe, unterzog sich Exerzitien und hielt die Fasttage ein. Als Herrscherin und Mutter versuchte sie ihre Landeskinder und ihre eigenen Kinder vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. Vor aufklärerischen Gedanken zum Beispiel. Eine Zensurbehörde hatte Schriften zu verbieten, die die katholische Religion oder die gesellschaftliche Ordnung in Frage stellten. Laster und Unmoral ihrer Untertanen versuchte Maria Theresia mit teilweise drastischen Mitteln zu bekämpfen: eine Keuschheitskommission sollte dafür sorgen, dass Prostituierte von den Straßen verschwanden und bestraft wurden. Auch die Freier - oft verheiratete und angesehene Mitglieder der besten Gesellschaft - sollten überwacht werden. Das Gut der Ehe war eines der höchsten für Maria Theresia, sie war glücklich mit Franz Stephan verheiratet und hielt ihm selbstverständlich lebenslang die Treue. 7 O-Ton Vocelka4 „Er hingegen hat durchaus auch andere Abenteuer gehabt und böse Zungen haben behauptet, schon Zeitgenossen haben behauptet, dass Maria Theresias Einrichtung der Keuschheitskommission nicht zuletzt ein Überwachungsmechanismus für ihren untreuen Gemahl gewesen sein könnte.“ MUSIK Titelsprecher Der Tod des Kaisers: MARIA THERESIA „Ich lebe dahin wie ein Tier, habe kein Gefühl und keine Vernunft, ich vergesse alles.“ Erzähler 1765 erlag Kaiser Franz Stephan in Innsbruck einem Herzinfarkt. MARIA THERESIA „Kaiser Franciscus mein Gemahl hat gelebt 56 Jahr, 8 Monat, 10 täge, ist den 18 augusti 1765 gestorben halbe 10 Uhr Abends.“ Erzähler Maria Theresias Witwenschaft sollte fünfzehn Jahre dauern. Sie litt. Doch ihr Pflichtgefühl verbot es ihr, sich ganz von der Regierung zurückzuziehen. Ihr Sohn wurde nach dem Tod seines Vaters zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt und von Maria Theresia zu ihrem Mitregenten ernannt. MUSIK Titelsprecher Mutter und Sohn oder: MARIA THERESIA „Es ist fürwahr ein großes Unglück, mit dem besten Willen verstehen wir uns nicht.“ 8 O-Ton Vocelka6 „Joseph II. war von all den Herrschern des 18. Jahrhunderts ganz sicher der am weitesten mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraute, und auch das Gedankengut der Aufklärung umsetzende. Die zwei Kernfragen der Aufklärung hat ja Maria Theresia schon unter dem Einfluss ihres Sohnes gelöst, nämlich die Frage der Abschaffung der Folter. Und auf der anderen Seite der zweite große Diskurs war die religiöse Toleranz. Die ist erst unter Joseph II. zustande gekommen. Maria Theresia war religiös sehr intolerant als sehr eifrige Katholikin. Die Zusammenarbeit von Mutter und Sohn hat natürlich nicht sehr gut geklappt. Die beiden waren grundverschieden von ihrer Zugangs¬weise zu den Dingen und es gab einen heftigen Generationenkonflikt, (…) weil Joseph II. in vieler Hinsicht sehr viel radikaler die Gedanken der Aufklärung vertreten hat, als das seine Mutter je gekonnt hat.“ Erzähler Ihre Vorstellungen in politischen und gesellschaftlichen Fragen klafften weit auseinander, und der Versuch Übereinstimmungen zu finden, zermürbte beide. MARIA THERESIA „Ich bin so unglücklich, den Kaiser meistens nicht von meinen Absichten überzeugen zu können. Er hat sehr oft andere: das bringt viel Nachteil für die Geschäfte mit sich und macht mir das Leben unerträglich.“ MUSIK Titelsprecher Das Ende oder: MARIA THERESIA „Ich kann mich nicht beklagen: der Mensch muss aufhören.“ Erzähler Nach all' den Schwangerschaften und Geburten, den Sorgen um ihr Land und der schwierigen Regentschaft mit ihrem Sohn war Maria Theresia im Laufe der Jahre müde und krank geworden; sie war sehr korpulent, kurzatmig und fast blind. Am 29. November 1780 starb sie im Alter von 63 Jahren. 9 O-Ton Vocelka14 „Bei den Österreichern hat es ganz sicherlich einen bis heute prägenden Eindruck hinterlassen, man spricht von der Maria-Theresianischen Epoche. Maria Theresia ist eine der beliebtesten Persönlichkeiten auch heute noch, wenn man Österreicher befragt, fast gleichauf mit Leuten wie Mozart. Und zweifellos hat ihre Epoche, die eine Epoche der Modernisierung des Staates ist, wo es einen erheblichen Modernisierungsschub gegeben hat, wo eine Verwaltung geschaffen wurde, die grundlegend bis zum Ende der Monarchie bestanden hat und in manchen Elementen darüber hinaus ihre Wirkung gehabt hat, hat eine ganz große Vorbildrolle gespielt und ist eine ganz eine wichtige Epoche zumindest für die Geschichte der Habsburger Monarchie und die österreichische Geschichte.“

Maria Theresia schaffte die Folter ab, führte die allgemeine Schulpflicht ein, und reformierte die Verwaltung. Das hätte der 23-Jährigen bei "Amtsantritt" als Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen niemand zugetraut. Bis heute gehört sie zu den erstaunlichsten Gestalten der Ära des Absolutismus. Von Mira Alexandra Schnoor (BR 2011/2020) Credits Autorin: Mira Alexandra Schnoor Regie: Martin Trauner Es sprachen: Axel Wostry, Aglaia Szyszkowitz, Heiko Ruprecht, Heinz Peter Technik: Angelika Vetter-Wagner Redaktion: Brigitte Reimer Im Interview: Prof. Dr. Karl Vocelka (war bis 2012 Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Wien, inzwischen ist er außerordentlicher Professor für Österreichische Geschichte der Universität Wien im Ruhestand) Besonderer Linktipp der Redaktion: COSMO: Lost Sheroes Der mächtigste Pirat aller Zeiten? Eine Frau. Der erste Autor der Menschheit? Eine Frau. In diesem Podcast stellt euch die Schauspielerin Milena Straube immer eine Frau vor, die Großes geleistet hat, die Vorkämpferin, Pionierin, Role Model war. Ihr hört die spannenden Lebensgeschichten unbeachteter Heldinnen. Aus allen Zeiten, aus allen Ländern, aus allen Schichten ZUM PODCAST [https://www.ardaudiothek.de/sendung/lost-sheroes-frauen-die-in-den-geschichtsbuechern-fehlen/10778165/] Linktipps WDR (2020): Franz I. – Ehemann von Maria Theresia Maria Theresia von Österreich war 23, als sie in Wien an die Macht kam. Ihr Vater hatte ihr bewusst einen Mann ausgesucht, der nicht besonders mächtig war: Franz, Herzog von Lothringen. Was im Barock selten vorkam: das Brautpaar kannte sich bereits zuvor und beide liebten einander ein Leben lang. JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/wdr-zeitzeichen/franz-i-ehemann-von-maria-theresia-todestag-18-08-1765/wdr-5/79211604/] Deutschlandfunk Nova (2019): Warum Maria Theresia zum Mann erklärt werden musste Frauen an der Macht sind heute keine Seltenheit mehr. Auch wenn sich viele darüber beklagen, dass dies bei weitem noch nicht oft genug der Fall sei. Die Habsburgerin Maria Theresia war die erste Frau auf dem Thron, die sich in Österreich gegen heftige Widerstände behaupten musste. Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger distanziert sich in ihrem Vortrag dennoch von Feministinnen, die Maria Theresia noch heute als Ideal der Weiblichkeit loben. JETZT ANHÖREN [https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/frauen-in-der-politik-unvollkommene-varianten-der-maenner] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Titelsprecher: Prolog. MUSIK Erzähler Am 13. Mai 1717 wird dem österreichischen Kaiser Karl VI. und seiner Gemahlin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel eine Tochter geboren, Maria Theresia. 'Nur' ein Mädchen - die Eltern wünschen sich einen männlichen Thronfolger, doch auf Maria Theresia folgen zwei weitere Töchter. Bereits vier Jahre zuvor hatte Kaiser Karl VI. die Thronnachfolge neu geregelt. Das salische Recht, wonach ausschließlich ein männlicher Nachkomme den Thron erben konnte, wurde außer Kraft gesetzt. Die neue Vereinbarung, die Pragmatische Sanktion, bestimmte, dass im Fall des Aussterbens der männlichen Linie der Habsburger die Tochter des letzten Throninhabers zur Herrscherin werden solle und nicht etwa angeheiratete männliche Verwandte. So vorausschauend der Kaiser in dieser Hinsicht handelte, so nachlässig war er bei der Erziehung. Die älteste Tochter erhielt keine Ausbildung, die sie darauf vorbereitet hätte, einmal Regentin einer Großmacht zu werden. Die junge Prinzessin tanzte gern, machte Musik und führte ein geborgenes Leben in ihrer Familie. Sie war übrigens recht hübsch, wie der preußische Gesandte Graf Podewils feststellte: Zitator „Ihr Gesichtsausdruck ist offen und heiter, ihre Anrede freundlich und anmutig. Man kann nicht leugnen, daß sie eine schöne Person ist.“ MUSIK Erzähler 1736 heiratete Maria Theresia den neun Jahre älteren Herzog Franz Stephan von Lothringen, den sie schon seit ihrer Kindheit kannte. Es war, äußerst ungewöhnlich in den Kreisen des Hochadels, eine Liebesbeziehung. Bis zum Tod Franz Stephans im Jahr 1765 waren die beiden 29 Jahre verheiratet oder, wie Maria Theresia berechnete: MARIA THERESIA „Mein glücklicher Ehestand währte Jahr 29, Monat 335, Wochen 1.540, Tage 10.781, Stunden 258.744.“ MUSIK Titelsprecher Eine Frau auf Habsburgs Thron Erzähler 1740 starb Kaiser Karl VI., Maria Theresia wurde zur Herrscherin über viele, unterschiedliche Länder. MARIA THERESIA „Königin zu Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slowenien. Erzherzogin zu Österreich, Herzogin zu Steyer, Kärnten und Krain, Schlesien, Brabant, Limburg, Luxemburg, Mailand, Mantua, Parma, Piacenza. Markgräfin zu Mähren. Fürstin zu Siebenbürgen. Gefürstete Gräfin zu Tirol und Flandern. Markgräfin des heiligen Römischen Reiches zu Burgau.“ Erzähler Dass sie den Thron tatsächlich besteigen konnte, schien zunächst alles andere als selbstverständlich, Maria Theresia musste damit rechnen, auf viel Widerstand zu stoßen, sowohl bei den Regenten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, als auch bei den Untertanen ihrer vielen Länder. Einigermaßen verblüfft konstatierte der venezianische Gesandte in Wien, dass die neue Herrscherin schnell allgemein anerkannt wurde. Zitator "Aus den Provinzen kommen täglich Berichte von der geleisteten Huldigung, alles vollzieht sich in bewunderungswürdiger und gleichsam unerwarteter Harmonie." Erzähler Das Erbe, das sie antrat, war kein glanzvolles. Sowohl die Armee als auch Wirtschaft und Verwaltung ihrer Länder waren marode. MARIA THERESIA „Niemand glaube (ich) werde widersprechen, dass ein gekröntes Haupt in schwerer- und misslicheren Umständen seine Regierung als ich angetreten habe.“ Erzähler Doch die erst 23 Jahre junge Frau ließ sich nicht entmutigen. Sie machte sich sofort daran, eine der prägenden europäischen Herrscher des 18. Jahrhunderts zu werden und ihr Land durch Reformen voranzubringen. Der Historiker Karl Vocelka, Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Wien: 1 O-Ton Vocelka1 „Was sie charakterisiert hat ist, dass sie als Frau in eine Männerrolle schlüpfen musste, zur Herrschaft gelangt ist, ohne große Vorbereitung. Ihr Vater hat, obwohl er wusste, dass sie seine Nachfolgerin wird (…) sie dennoch nicht vorbereitet auf diesen Job, auf diese Funktion…“ MUSIK MARIA THERESIA „(Ich habe) die zu Beherrschung so weitschichtiger und verteilter Länder erforderliche Erfahr- und Kenntnüs um so weniger besitzen können, als meinem Herrn Vattern niemals gefällig war, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäfte beizuziehen noch zu informieren.“ 2 O-Ton Vocelka „… und sie hat sich eigentlich mit Hilfe vieler Berater natürlich sehr gut geschlagen auf diesem Gebiet.“ MARIA THERESIA „Das bisschen Ruhm, das ich mir in der Welt erworben habe, schulde ich der guten Wahl meiner Vertrauten. Ich habe das Glück gehabt, verdienstvolle und rechtschaffene Leute zu finden.“ Erzähler Bei aller Bescheidenheit: Maria Theresia war zum Herrschen geboren. Noch einmal der venezianische Gesandte: Zitator „Sie ist in der Tat nach allgemeinem Urteil so, dass man niemand anderen als sie zur Bewahrung des Erbes des Hauses Habsburg auswählen würde, wenn man die Möglichkeit hätte, frei die Erbin in der ganzen Welt zu suchen.“ MUSIK Titelsprecher Kindersegen oder: MARIA THERESIA „Man kann nicht genug davon haben, in diesem Punkt bin ich unersättlich.“ Erzähler Bereits ein Jahr nach der Hochzeit brachte Maria Theresia ihr erstes Kind zur Welt, die Tochter Maria Elisabeth, die im Alter von drei Jahren starb. Eineinhalb Jahre später, im Oktober 1738, kam Maria Anna, und im Januar 1740 folgte eine weitere Tochter, die aber nur ein Jahr alt wurde. Am 13. März 1741 dann endlich der ersehnte Thronfolger, Joseph. Zwischen 1737 und 1756 gebar Maria Theresia 16 Kinder, das macht in 19 Jahren 16 Schwangerschaften und Geburten. Sechs ihrer Kinder starben im Kindes- oder Teenager-Alter. Die übrigen zehn überlebten ihre Mutter. Die physische Leistung, die Maria Theresia erbrachte, ist kaum vorstellbar. Neben den zahlreichen Schwangerschaften und Geburten musste sie schließlich einen kriegsgeschüttelten Vielvölkerstaat regieren. MUSIK Titelsprecher Arbeiten oder: MARIA THERESIA „Wir leben in dieser Welt, um unseren Mitmenschen Gutes zu tun, denn wir sind nicht für uns selbst da oder gar nur, um uns zu amüsieren.“ Erzähler Maria Theresias Einstellung zur Arbeit war vorbildlich. Sie stand um halb sechs Uhr in der Früh auf und ging zur Messe. Um halb acht Uhr begann sie mit der Arbeit: sie las Akten oder ließ sie sich vorlesen, und empfing ihre Sekretäre und Minister zum Referat. Das dauerte bis zwölf Uhr mittags. Am Nachmittag dann: MARIA THERESIA „4 uhr bis 6 uhr expedirn, schreiben, audienzen.“ Erzähler Der preußische Gesandte Podewils berichtete an seinen König: Zitator „Sie beschäftigt sich viel mit ihren Staatsangelegenheiten und bemüht sich, genaue Kenntnis von ihnen zu bekommen. Sie liest die meisten Berichte ihrer Gesandten, prüft die Entwürfe der Schriftstücke, unterhält sich oft mit ihren Ministern und wohnt den Konferenzen bei, die über Staatsgeschäfte von irgendwelcher Bedeutung abgehalten werden.“ MUSIK Titelsprecher Militärisches oder: MARIA THERESIA „Was für ein abscheuliches Geschäft ist doch der Krieg; er ist gegen die Menschlichkeit und gegen das Glück.“ Erzähler Die junge Königin saß kaum auf ihrem Thron, da begann Friedrich von Preußen einen Krieg. Der König, nur ein paar Monate vor Maria Theresia gekrönt, nutzte die Gunst der Stunde, denn die Habsburger Herrscherin stand ohne schlagkräftige Armee da - ihr Vater hatte es unterlassen, das Armeewesen zu reformieren. MARIA THERESIA „Die ihren Feinden so förchterlich ehedessen geweste kaiserliche Truppen, die für die erste in Europa gehalten wurden, verloren bei Freund- und Feinden den größten Teil ihres Ansehens.“ Erzähler Friedrich II. warf einen begehrlichen Blick auf das reiche Schlesien. Was ihn antrieb, aus dem Nichts einen Krieg zu beginnen, beschrieb er selbst so: Zitator „Beim Tod meines Vaters fand ich ganz Europa in Frieden. (Ich) war im Besitz schlagfertiger Truppen, eines gut gefüllten Staatsschatzes und von lebhaftem Temperament; das waren die Gründe, die mich zum Kriege mit Therese von Österreich, Königin von Böhmen und Ungarn, bewogen. Der Ehrgeiz, mein Vorteil, der Wunsch, mir einen Namen zu machen, gaben den Ausschlag und der Krieg ward beschlossen.“ Erzähler Also wurden tausende Soldaten in Marsch gesetzt, ein verlustreicher Krieg begann, in dem es hauptsächlich um Eitelkeiten, Gier und Machtansprüche ging. Im Dezember 1740 fiel der preußische König in Schlesien ein – der österreichische Erbfolgekrieg hatte begonnen. Er dauerte insgesamt acht Jahre, sämtliche europäischen Mächte waren mehr oder weniger involviert, gekämpft wurde auf verschiedenen Schauplätzen in Europa, Bündnisse wurden geschlossen und sofort wieder gebrochen, wenn es der eigene Vorteil gebot. Aus seiner Position der Stärke heraus verlangte Friedrich II., dass man ihm das besetzte Schlesien offiziell überlasse. Als notorischer Frauenfeind dachte er anscheinend, die junge, unerfahrene Königin mit seinem rechtswidrigen Verhalten und der Stärke seiner Armee einschüchtern zu können. Doch Maria Theresia widersetzte sich und ließ ihrem Widersacher mitteilen: Maria Theresia „Die Königin hat nicht die Absicht, ihre Regierung mit der Zerstückelung ihrer Staaten zu beginnen. (…) Sie (kann) weder einer Gesamt- noch einer Teilabtretung Schlesiens zustimmen.“ Erzähler Auf Maria Theresias Seite standen England, als Erzfeind Frankreichs, Russland, und der unsichere Kantonist Sachsen, während sich Preußen mit Frankreich, Bayern und Spanien verbündete. Der österreichische Erbfolgekrieg ist ein verwirrendes Hin und Her, bei dem Maria Theresia nicht nur gegen Preußen und Frankreich, sondern auch gegen den bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht kämpfen musste. Dieser hatte die Pragmatische Sanktion nicht anerkannt, und erhob Ansprüche auf einige Länder des Habsburger Reiches, da er mit einer Cousine Maria Theresias verheiratet war. Oberösterreich und Böhmen wollte er sich gemeinsam mit den Franzosen erkämpfen. Doch das misslang. Einen Erfolg konnte Karl Albrecht allerdings verbuchen: im Februar 1742 wurde er in Frankfurt zum deutschen Kaiser gekrönt. Als er drei Jahre später starb, änderte sich die Lage. Sein Sohn, Kurfürst Max III. Joseph schloss Frieden mit Maria Theresia und versprach, die Wahl ihres Mannes, Franz Stephan zum deutschen Kaiser zu unterstützen. Die Gefahr aus Bayern war Maria Theresia nun los, nicht aber die aus Preußen, und der Krieg ging weiter. Friedrich II. blieb Maria Theresias lebenslanger Feind. 3 O-Ton Vocelka7 „Maria Theresia hat Friedrich von Preußen gehasst. Sie nennt ihn Scheusal und Bestie, sie hat ihn zutiefst verabscheut und gehasst. (…) Man hat (…) diese Abneigung verstehen können, weil ja in letzter Instanz der Beginn der ganzen Auseinandersetzung, die dann mit den beiden Schlesischen Kriegen und dem österreichischen Erbfolgekrieg 8 Jahre der Herrschaft Maria Theresias ausfüllen, natürlich durch diesen "räuberischen Überfall" Friedrichs von Preußen auf Schlesien ihren Anfang genommen hat.“ MUSIK Erzähler Acht Jahre Krieg. Nachdem der Erbfolgekrieg im Oktober 1748 mit dem Frieden von Aachen beendet wurde, blieben Maria Theresia nur acht friedliche Jahre, bis es 1756 mit dem siebenjährigen Krieg wieder los ging. 4 O-Ton Vocelka12 „Sie hat den Krieg im Prinzip grundsätzlich abgelehnt, aber hat keine großen Alternativen gehabt, als Kriege zu führen, (…) Sie war keine große Kriegsheldin in dem Sinne, dass sie eine Freude am Krieg hatte, sondern sie hat den Krieg als ein notwendiges Übel der Politik der damaligen Zeit betrachtet.“ MUSIK Titelsprecher Die "Kaiserin" Erzähler Mit dem Tod des bayerischen Kurfürsten wurde im Januar 1745 der Kaisertitel wieder frei. Eigentlich hätte er Maria Theresia gehört, denn die Habsburger stellten schon seit Jahrhunderten den deutschen Kaiser. Aber für das Deutsche Reich galt die Pragmatische Sanktion nicht, hier war es unmöglich, dass eine Frau die Kaiserkrone erhalten konnte. Daher wurde Maria Theresias Ehemann Franz Stephan im Oktober 1745 zum Kaiser gekrönt. "Kaiserin" war Maria Theresia fortan nur als Ehefrau des Kaisers. MUSIK Titelsprecher Reformen Erzähler Nicht nur die Armee musste reformiert werden, Maria Theresia stand vor der Aufgabe, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz und das Bildungswesen ihres Landes zu erneuern. Sie begann mit einer Heeresreform, denn die Schlesischen Kriege hatten gezeigt, dass die österreichische Armee im europäischen Vergleich nicht bestehen konnte, oder, wie ein Bonmot aus späterer Zeit lautete: Zitator „Österreich hinkt immer nach, um eine Idee oder ein Jahr oder eine Armee.“ 5 O-Ton Vocelka5 „Einerseits waren die Reformen in der Monarchie notwendig. (…). Schlesien ging im 1. Schlesischen Krieg an Preußen verloren (…) und innerhalb kürzester Zeit hat sich herausgestellt, dass Preußen imstande war, mehr Steuern aus diesem Schlesien herauszuwirtschaften, als das die Habsburger Monarchie davor gekonnt hat und das hat gezeigt, dass hier dringende Reformen des Systems notwendig sind. Dort beginnt's auch mit der Steuerpolitik, man hat versucht, die adeligen Stände zu entmachten und die Steuerpolitik ganz zu einer Aufgabe des Staates zu machen. Das zieht viele andere Reformen nach sich. Im Wesentlichen (…) kommt es zu einer Zentralisierung der Verwaltung, der Versuch die Verwaltung in unterschiedlichen Schichten aufzubauen, d.h. bis in die untere Ebene hinein, bis in die Kreisebene hinein gab es eben dann Kreisämter, die sowohl Einfluss auf die Politik des Kreises nahmen, aber auch nach Wien berichteten, also auch diesen Zentralismus verstärkt haben.“ Erzähler Im Gegensatz zu anderen Großmächten war Österreich ein Vielvölkerstaat. Die verschiedenen Länder, die er vereinigte, hatten unterschiedliche Sprachen, Gesellschaftsordnungen, Rechtssysteme und auch unterschiedliche Armeen und Militärausbildungen. Dies alles galt es anzugleichen. 6 O-Ton Vocelka5 „Es gab Reformbedarf in vieler Hinsicht, etwa eine Frage, die in ganz Europa zu diesem Zeitpunkt diskutiert wurde, war die allgemeine Verpflichtung zum Unterricht, also in Österreich gibt’s keine Schulpflicht bis heute, sondern eine Unterrichtspflicht, die Maria Theresia eingeführt hat. Aber auch in vielen anderen Bereichen gab es Reformansätze, die im Geist der Zeit lagen. Es ist letztlich eine Zeit, in der Gedanken der Aufklärung eine Rolle spielen, selbst wenn Maria Theresia nicht als aufgeklärte Monarchin zu bezeichnen ist, so ist doch ihr Umkreis sehr stark von diesem Reformgeist der Aufklärung beeinflusst gewesen.“ MUSIK Titelsprecher. Die alten Werte oder: MARIA THERESIA „Nichts ist so nützlich und heilsam wie die Religion.“ Erzähler Obwohl Maria Theresia viele Reformen auf den Weg brachte und durchaus einen pragmatischen Modernismus pflegte, hielt sie konservative Werte sehr hoch. Als tiefgläubige Katholikin besuchte sie regelmäßig die Messe, unterzog sich Exerzitien und hielt die Fasttage ein. Als Herrscherin und Mutter versuchte sie ihre Landeskinder und ihre eigenen Kinder vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. Vor aufklärerischen Gedanken zum Beispiel. Eine Zensurbehörde hatte Schriften zu verbieten, die die katholische Religion oder die gesellschaftliche Ordnung in Frage stellten. Laster und Unmoral ihrer Untertanen versuchte Maria Theresia mit teilweise drastischen Mitteln zu bekämpfen: eine Keuschheitskommission sollte dafür sorgen, dass Prostituierte von den Straßen verschwanden und bestraft wurden. Auch die Freier - oft verheiratete und angesehene Mitglieder der besten Gesellschaft - sollten überwacht werden. Das Gut der Ehe war eines der höchsten für Maria Theresia, sie war glücklich mit Franz Stephan verheiratet und hielt ihm selbstverständlich lebenslang die Treue. 7 O-Ton Vocelka4 „Er hingegen hat durchaus auch andere Abenteuer gehabt und böse Zungen haben behauptet, schon Zeitgenossen haben behauptet, dass Maria Theresias Einrichtung der Keuschheitskommission nicht zuletzt ein Überwachungsmechanismus für ihren untreuen Gemahl gewesen sein könnte.“ MUSIK Titelsprecher Der Tod des Kaisers: MARIA THERESIA „Ich lebe dahin wie ein Tier, habe kein Gefühl und keine Vernunft, ich vergesse alles.“ Erzähler 1765 erlag Kaiser Franz Stephan in Innsbruck einem Herzinfarkt. MARIA THERESIA „Kaiser Franciscus mein Gemahl hat gelebt 56 Jahr, 8 Monat, 10 täge, ist den 18 augusti 1765 gestorben halbe 10 Uhr Abends.“ Erzähler Maria Theresias Witwenschaft sollte fünfzehn Jahre dauern. Sie litt. Doch ihr Pflichtgefühl verbot es ihr, sich ganz von der Regierung zurückzuziehen. Ihr Sohn wurde nach dem Tod seines Vaters zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt und von Maria Theresia zu ihrem Mitregenten ernannt. MUSIK Titelsprecher Mutter und Sohn oder: MARIA THERESIA „Es ist fürwahr ein großes Unglück, mit dem besten Willen verstehen wir uns nicht.“ 8 O-Ton Vocelka6 „Joseph II. war von all den Herrschern des 18. Jahrhunderts ganz sicher der am weitesten mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraute, und auch das Gedankengut der Aufklärung umsetzende. Die zwei Kernfragen der Aufklärung hat ja Maria Theresia schon unter dem Einfluss ihres Sohnes gelöst, nämlich die Frage der Abschaffung der Folter. Und auf der anderen Seite der zweite große Diskurs war die religiöse Toleranz. Die ist erst unter Joseph II. zustande gekommen. Maria Theresia war religiös sehr intolerant als sehr eifrige Katholikin. Die Zusammenarbeit von Mutter und Sohn hat natürlich nicht sehr gut geklappt. Die beiden waren grundverschieden von ihrer Zugangs¬weise zu den Dingen und es gab einen heftigen Generationenkonflikt, (…) weil Joseph II. in vieler Hinsicht sehr viel radikaler die Gedanken der Aufklärung vertreten hat, als das seine Mutter je gekonnt hat.“ Erzähler Ihre Vorstellungen in politischen und gesellschaftlichen Fragen klafften weit auseinander, und der Versuch Übereinstimmungen zu finden, zermürbte beide. MARIA THERESIA „Ich bin so unglücklich, den Kaiser meistens nicht von meinen Absichten überzeugen zu können. Er hat sehr oft andere: das bringt viel Nachteil für die Geschäfte mit sich und macht mir das Leben unerträglich.“ MUSIK Titelsprecher Das Ende oder: MARIA THERESIA „Ich kann mich nicht beklagen: der Mensch muss aufhören.“ Erzähler Nach all' den Schwangerschaften und Geburten, den Sorgen um ihr Land und der schwierigen Regentschaft mit ihrem Sohn war Maria Theresia im Laufe der Jahre müde und krank geworden; sie war sehr korpulent, kurzatmig und fast blind. Am 29. November 1780 starb sie im Alter von 63 Jahren. 9 O-Ton Vocelka14 „Bei den Österreichern hat es ganz sicherlich einen bis heute prägenden Eindruck hinterlassen, man spricht von der Maria-Theresianischen Epoche. Maria Theresia ist eine der beliebtesten Persönlichkeiten auch heute noch, wenn man Österreicher befragt, fast gleichauf mit Leuten wie Mozart. Und zweifellos hat ihre Epoche, die eine Epoche der Modernisierung des Staates ist, wo es einen erheblichen Modernisierungsschub gegeben hat, wo eine Verwaltung geschaffen wurde, die grundlegend bis zum Ende der Monarchie bestanden hat und in manchen Elementen darüber hinaus ihre Wirkung gehabt hat, hat eine ganz große Vorbildrolle gespielt und ist eine ganz eine wichtige Epoche zumindest für die Geschichte der Habsburger Monarchie und die österreichische Geschichte.“

Friedrich der Große förderte nicht nur die Kartoffel, sondern auch den Seidenbau. Ausgerechnet im unwirtlichen Brandenburg. Dazu ließ er die Eier des Seidenspinners nach Preußen bringen, warb Fachkräfte aus dem Ausland an, ließ Waisenkinder im Seidehaspeln anlernen und machte sich damit herzlich unbeliebt. Von Katharina Hübel (BR 2020) Credits Autorin: Katharina Hübel Regie: Axel Wostry Es sprachen: Heiko Ruprecht, Katja Schild, Axel Wostry Technik: Monika Gsaenger Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Susanne Evers, Dr. Silke Kamp Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): WirTier Dieser Podcast erzählt von Menschen, die ihr ganzes Leben verändert haben durch diesen einen Moment auf Augenhöhe mit einem Tier. Sie teilen mit uns ihre tiefgreifenden Erfahrungen und Erkenntnisse über unser Zusammenleben auf diesem Planeten und lassen uns teilhaben an ihrem Wissen über Tiere. Denn auch Forscherinnen und Forscher wissen zunehmend: Tiere haben Gefühle, Intelligenz und ein Sozialleben. Und auch Vici und Julius, die Hosts von WirTier, verändern sich durch diese Begegnungen – und stellen sich vielfältigen Herausforderungen auf der Weide, im Garten oder auch in freier Wildbahn. ZUM PODCAST [https://1.ard.de/wir-tier] Linktipps planet wissen: Geschichte der Seide Seit die Seidenherstellung vor gut 5000 Jahren in China entdeckt wurde, ranken sich um den begehrten Stoff Geheimnisse und Mythen. Dabei hat die Seide nicht nur die Mode, sondern auch die Wirtschaft ganzer Länder beeinflusst. JETZT LESEN [https://www.planet-wissen.de/technik/werkstoffe/seide/pwiegeschichtederseideentdeckungenmodengeschaefte100.html] WDR (2021): Friedrich der Große erlässt den Kartoffelbefehl Friedrich der Große liebte Kartoffeln: Weniger für sich, um so mehr für seine Untertanen. Immer wieder versuchte er, die Kartoffel unters Volk zu bringen: Mit Tricks, durch Predigten - und in Befehlen. JETZT ANHÖREN [https://www.ardaudiothek.de/episode/wdr-zeitzeichen/friedrich-der-grosse-erlaesst-den-kartoffelbefehl-am-24-03-1756/wdr-5/87287510/] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Zitatorin: „Leider haben sich die Würmer einigermaßen zu Krankheiten geneiget, welche darin bestehen, dass sie häufig auf den Rändern laufen, durch starke Bewegungen eine gewisse Angst äußern und sogar das frische Futter meiden. Einige fressen sehr gut, bleiben aber dessen ungeachtet klein und vertrocknen auch an den Schachteln, welches eine Art von Schwindsucht ist.“ Sprecher: Das ist der Bericht von Anne Marie Baral, einer bemerkenswerten Frau. Ehemalige Tagelöhnerin. Witwe. Alleinerziehende Mutter. Eine von den Armen im Preußen des 18. Jahrhunderts. Sie hat eine steile Karriere gemacht und ist Angestellte von keinem Geringeren als von Friedrich dem Zweiten, dem preußischen König. Seinem Kommissar legt sie Rechenschaft ab: Zitatorin: „Die meisten dieser kranken Würmer sind blanke Würmer, welche zuletzt, nachdem sie an den Rändern gelaufen, platzen und auslaufen“ Sprecher: „Die Würmer“, um die sie sich sorgt, sind: „Seidenwürmer“, also: Seidenraupen. Anne Marie Baral ist königliche Seidenbauerin im „Jägerhof“ zu Potsdam, einer so genannten „Seidenbau-Musteranstalt“, in der landesweit ausgebildet wird. Eine absolut privilegierte Position: Anne Marie Baral bekam ein jährliches Gehalt von 150 Reichstalern und war mit Abstand die bestbezahlte Seidenkultivateurin des Landes, zudem konnte sie mietfrei wohnen und erhielt Gewinnbeteiligung, mehr noch: die königlichen Behörden verpflichteten für sie Pflücker, die das Futter für die Seidenraupen besorgten und anlieferten. Baral musste nichts davon finanzieren, die Kosten trug Friedrich der Große. Auch für die sechs Waisenkinder, die ihr bei der Pflege und Aufzucht der Raupen halfen, bezahlte sie keinen Groschen: der König höchstpersönlich verpflichtete die Waisen und sah seinerseits ebenfalls davon ab, sie zu bezahlen – in seinen Augen erhielten sie genug Lohn in Form einer Gratis- Ausbildung. Anne Marie Barals Tochter Susette hingegen wurde vom König bezahlt mit vier Groschen Lohn pro Tag. Zudem erhielten die Barals 16 Lot Graines frei Haus. Musik „Graines“ - die Eier des Seidenspinners, aus dem die Raupen schlüpfen. Die fressen sich einen guten Monat lang groß und spinnen sich dann in einen Kokon ein, den Seidenkokon. Sofern sie solange überleben. Eine verwegene Vision Friedrichs des Großen: Ausgerechnet im klimatisch wechselhaften, unwirtlichen Brandenburg heimische Seide gewinnen zu wollen. Er versuchte es mit allen Mitteln: Anne Marie Baral hatte drei beheizbare Säle und bekam Holz fürs Befeuern geliefert. Doch all das reichte nicht. Zitatorin: „So beklagte ich mich wegen Mangel an Futter. Da nun dieses wohl daher kommt, weil die Arbeiter beym Schneiden zu nachlässig sind, und statt, wenn gutes Wetter ist, um acht Uhr aufhören könnten, so hören selbige schon um vier Uhr auf. Bitte demnach Euer Hochwohlgeboren denen Leuten scharf anzubefehlen, dass selbige fleißiger schneiden und ich mehr Futter bekomme, sofern die Würmer vor Mangel der Blätter umkommen müssen.“ Sprecher: …berichtet Anne Maria Baral dem so genannten Seidenbaukommissar, der im Auftrag von Friedrich dem Zweiten alle Arbeiten rund um die Gewinnung preußischer Seide kontrollierte. Die Seidenraupen – normalerweise in wärmeren, asiatischen Gefilden heimisch – sind wählerisch: Sie fressen nur die Blätter des Maulbeerbaumes. Und da Friedrich der Große unbedingt mit eigener Seide glänzen wollte, griff er ein Jahr nach seiner Thronbesteigung per Dekret in die Flora Brandenburgs ein: Er ließ tausende Linden fällen und machte Platz für Maulbeerbäume. Samen wurden verteilt, für je 1.000 Stämme gab es eine Geldprämie von 50 Thalern. Manche der Maulbeerbäume stehen heute noch, gut 200 Jahre später, wie in Zernikow. Die Historikerin Dr. Silke Kamp hat dort die Dauerausstellung „Vom Maulbeerbaum zur Seide“ wissenschaftlich begleitet. Sie weiß: Der Pflanz-Befehl des absolutistischen Herrschers war nicht von heute auf morgen umsetzbar. 01 / OT Kamp Diese Bäume müssen erstmal in Baumschulen, bevor sie ins Freiland gesetzt werden, müssen in den ersten Jahren auch noch sehr liebevoll gepflegt werden, damit sie nicht eingehen, nicht vertrocknen, auch regelmäßig beschnitten werden. Musik Sprecher: Das Gedeihen der Maulbeerbäume im unwirtlichen Brandenburg war oberste Staatsaufgabe: Selbst die Akademie der Wissenschaften unter Leitung des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigte sich damit. Auch die Königliche Realschule bildete aus, Plantagen-Inspektoren und Kreisgärtner schwärmten aus, um auf dem Land den Anbau zu überwachen. Friedrich der Große selbst unternahm Reisen ins Brandenburgische. Selten war er zufrieden. Er schreibt an die Kammer: Zitator Friedrich „...die Amtleute ernstlich zur Befolgung ihrer Pflicht anzuhalten. Es seindt Faule Esels“ Sprecher Der König wurde zum Botaniker. Zitator Friedrich „Glaubwürdigen Berichten zufolge werden die meisten Maulbeerbaumplantagen nicht richtig kultiviert, sondern von Anfang an dadurch verdorben, dass die Baumwurzeln nicht ordentlich beschnitten werden“ Sprecher: Friedrich war ungeduldig mit seinen Untertanen. Doch der Seidenbau erforderte enorme Fachkenntnis. Italien und Frankreich waren damals die führenden Nationen im Seidengewerbe – ihnen wollte Friedrich Konkurrenz machen. Die absolutistischen Herrscher standen im Wettkampf - um Gebiete, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Prestige. Doch das Geschäft mit der Seide war durchaus heikel und wirtschaftlich riskant. Wer sollte das wagen? Wie sollte die nötige Kenntnis nach Preußen kommen? Friedrich der Zweite warb kurzerhand Facharbeiter aus dem Ausland an. Silke Kamp: 02/ OT Kamp Zum Teil hatte man sie durch das Edikt von Potsdam durch die Aufnahme der Hugenotten auch bereits im Land. Oder bereits Nachfahren dieser französischen Religionsflüchtlinge und konnte auf deren Wissen zurückgreifen. Sprecher: Wie auf das von Anne Marie Baral, eine der geschicktesten Seidenhasplerinnen, die Brandenburg wohl hatte, wenn man dem Obersten Seidenbauinspektor glauben mag. Sie war die Tochter von Hugenotten und lebte schon länger in Potsdam. Die Fertigkeit des Seidehaspelns – also des Abwickelns des Seidenfadens – hat sie von ihren Eltern gelernt. Know-How war für die Hugenotten die Chance, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Anne Marie Baral bildete auch Lehrlinge aus. Musik Der Arbeitsplatz einer Hasplerin sieht so aus, 03 / OT Kamp dass vor ihr ein Behältnis mit heißem Wasser steht, in dem die Kokons eingeweicht werden. Die werden zu mehreren herausgefischt und (…) behutsam über eine Spule gelegt, die dann durch eine Kurbel angetrieben (…) den Faden langsam abwickeln vom Kokon. Und das erfordert dann sehr viel Geschick, dass man darauf achtet, dass sich diese Kokons nicht untereinander verheddern, daher das Wort verhaspeln. Sprecher: Auch die Seidenraupen selbst erforderten viel Sorgfalt. 30 bis 45.000 Raupen versorgte Anne Marie Baral pro Saison. Die Eier lagerte sie in kleinen Papierschachteln auf Holzregalen, die penibel reingehalten werden mussten, sortierte kranke und tote Raupen aus, versorgte die anderen bis zu fünf Mal täglich mit frischem Futter. 1.500 Kilogramm Maulbeerbaum-Blätter benötigte sie in der Saison, jeden Tag frisch angeliefert. Sprecher: Daher ordnete Friedrich der Große an, dass preußische Beamte und Pastoren auf ihren Grundstücken und Kirchhöfen Maulbeeren pflanzen und Seide kultivieren sollten. Daraufhin pflanzten Adlige Maulbeerbaum-Alleen bei ihren Schlössern. Doch vor allem niedere Stände trafen Zwangsmaßnahmen. Die Bauern wurden ohne Nutzen für sich selbst verpflichtet – zu ihrem Leidwesen. 05 / OT Kamp Der Baum selber bringt dann auch keinen Ertrag, wenn der Seidenbau (…) schiefläuft, weil die Raupen sich nicht entwickelt haben, weil sie durch Krankheit dahingerafft wurden, weil es Fäulnis gab. All diese Faktoren, die (…) oftmals zum Totalausfall führten. Das frustrierte die Bauern ungemein, denn sie waren darauf angewiesen, genau abzuwägen, was lukrativ ist, was Gewinn bringt und sie hätten die Bäume lieber umgehauen, um wenigstens Obstbäume zu pflanzen. Sprecher: Sie versuchten es zum Teil – und wurden rigoros bestraft. Die Bauern mussten gezwungen werden. Nicht die besten Voraussetzungen für Friedrichs Projekt. 06/ Kamp Man muss verstehen, dass sich diese Seidenkultur nicht etabliert hat und auch nicht etablieren konnte, weil sie nicht über Jahrhunderte gewachsen ist wie in Italien oder Frankreich, in den Dörfern der Cevenne, wo jede Familie nebenbei auch noch Seide kultiviert. Hier muss sich diese Seidenkultur in die bestehende Landwirtschaft einordnen. Sprecher: Und sie will nicht so recht ins bäuerliche Jahr passen. Seidenraupen brauchen konstant Wärme – doch der Sommer kommt nicht in Frage – ab Juli ist Ernte in Brandenburg. 07/Kamp Sie brauchen Wagen, auf denen das Laub transportiert werden muss. Das sind dann Fuhrwerke, die dann den Bauern eventuell fehlen in der Erntezeit, daher waren sie allein deswegen schon nicht besonders glücklich darüber, da so in die Pflicht genommen zu werden. Sprecher: Der Seidenbau wurde also vorgezogen – in den unwirtlichen, klimatisch wankelmütigen Mai. Ein Problem für die empfindlichen Seidenraupen. Von den 45.000 Eiern blieben Anne Marie Baral am Ende vielleicht 50 Kokons. Silke Kamp: 08 / OT Kamp (…) Wenn es dort zu Temperaturschwankungen kommt, dann wird dieser Faden, der gesponnen wird von der Raupe, auch unterbrochen. (…) Der Faden erreichte nicht diese Länge wie von der italienischen oder französischen Seide von bis zu vier Kilometern. Musik Sprecher: Für aufwändige Webarbeiten mit komplexen, mehrschichtigen Mustern, benötigen die Webstühle lange, stabile Fäden. Ein Faden, der reißt oder zu kurz ist, bewirkt Unebenheiten im Stoff. Auch beim Färben gibt es Probleme bei minderwertigen Seidenfäden. Und so war Friedrichs Landseide für die aufwändigen Seidenstoffe ungeeignet. Der Faden hatte keine besondere Qualität. Wofür also der ganze Aufwand? Friedrich der Zweite war es leid, seinen politischen Konkurrenten viel Geld zuzuschustern, indem er teure Rohseide oder auch fertige Seidengewebe importierte. Wirtschaftspolitische Maxime war der so genannte Merkantilismus. Die eigene Wirtschaft zu subventionieren und aufzubauen und gleichzeitig ausländische Güter auszubremsen durch Zölle oder Importstopps. Und Preußen brauchte viel Seide. Schon allein fürs Militär – für Seidenstrümpfe und seidene Haarbänder. Was manieriert klingt, war höchst funktional: Seide war damals die einzige reißfeste Faser. Doch Friedrich der Große wollte mehr als Strümpfe. Doktor Susanne Evers ist Kunsthistorikerin bei der Stiftung preußische Schlösser und Gärten und eine Kennerin der Seidenkunst unter Friedrich dem Großen. 09 / OT Evers Es war ihm natürlich auch unglaublich wichtig zu zeigen, dass sein Land, das ja erst seit relativ kurzer Zeit zu den europäischen Größen gezählt werden konnte, dass eben in diesem Land diese hochwertige Kunst auch hergestellt werden konnte, dass man sich schmücken konnte mit Werken, die in eigenen, in heimischen Manufakturen gefertigt wurden. Das war damals ein ganz großer Prestigepunkt. Und Friedrich hatte es halt relativ nötig. Weil er eben ein Neuling war. Musik Sprecher: Friedrich der Große wollte eine ganze Industrie aufbauen. Er investierte in Seidenmühlen, die den Zwirn herstellten und in königliche Manufakturen, Webereien, die Stoffe für Kleidung und Tapeten herstellten. Susanne Evers: 10 / OT Evers Die Textilmanufakturen, die Fabrikation war eigentlich einer der führenden Wirtschaftszweige. Es waren unglaublich viele Menschen an der Herstellung von Textilien beteiligt. (…) Dazu kommt noch, dass in diesem Bereich auch die Technologie gefordert war. Das heißt, man musste immer wieder neue Innovationen wagen, um die Webstühle auf den neuesten Stand zu bringen. Musik 11/ OT Evers Wie wird ein Webstuhl eingerichtet, damit man die komplizierten Muster tatsächlich fabrizieren kann? Das war im Land einfach nicht vorhanden. Deswegen hat Friedrich gleich nach seiner Thronbesteigung auch Edikte erlassen, dass aus den führenden Seidennationen, das war in erster Linie natürlich Frankreich, aber auch Italien und auch Holland, dass Musterzeichner, Färber und eben einfach auch Weber nach Preußen gelockt wurden, muss man sagen: mit Anreizen, mit Unterstützung von Ansiedlung und so weiter. Sprecher: Es waren Hugenotten, die bei der Einreise schon eine Generation vorher ganze Webstühle mitgebracht hatten, das Wissen, sie zu konstruieren und zu bedienen. Es waren Zeichner von Webmustern aus Italien und Holland, es waren so genannte „Liseurs“, diejenigen, die die Muster lesen und auf den Webstuhl übertragen konnten, es waren Ziehjungen, die halfen, den Webstuhl zu bedienen; Färber, die wussten, die Seide zu färben. Und jüdische Unternehmer, die das finanzielle Risiko wagten, um beruflich Fuß fassen zu können. Anfangs brachten die preußischen Seidenmanufakturen trotzdem nur einfache Stoffe zustande. Aus Lyon, dem führenden Zentrum der Seidenkunst, kamen die kompliziertesten Motive für Seidentapeten her, dort wurden die fehlerfreisten Stoffe aus der hochwertigsten Seide gewebt. Dieses Niveau wollte Friedrich der Zweite erreichen. 11 / OT Evers Was sich mit der Zeit entwickelte, waren dann mehrschichtige Muster, die ein Grundgewebe hatten, eine erste Musterebene und oft auch noch eine zweite. Und das ist technologisch sehr kompliziert. Sprecher: Beispielsweise ein Stoff mit Hintergrundmuster, auf das dann Blumen gewebt wurden, die sich plastisch in einem 3-D-Effekt abhoben. Die preußischen Webereien machten unter Friedrich dem Zweiten eine enorme technische Entwicklung durch und konnten nach einiger Zeit eben auch diese aufwändigen Stoffe herstellen, die sich mit der internationalen Konkurrenz messen ließen. Kunsthistorikerin Susanne Evers: 12 / OT Evers Ein schönes Beispiel ist ein Brief von der Schwester Friedrichs des Zweiten. Er hat offensichtlich seiner Schwester einen schönen Stoff geschickt und sie schreibt zurück, dieser Stoff ist ja wundervoll. Sie ist völlig überrascht, dass der in Preußen hergestellt werden konnte. (…) Sie hätte sich einen großen Spaß daraus gemacht, all ihren Bekannten diesen Stoff zu zeigen. Und alle hätten gedacht, er wäre aus Frankreich. Sprecher: So sehr Friedrichs Zeitgenossen beeindruckt waren - für einen solch aufwändigen Stoff nahmen die preußischen Webereien keine heimische Seide her, bis zum Schluss nicht. Sie benötigten die besseren Seidenfäden aus dem Ausland. Friedrich der Große kam nicht ohne importierte Rohseide aus. Die in Brandenburg gewonnene so genannte Landseide war nach wie vor von minderer Qualität und reichte auch von der Menge her nicht aus. Dieser Makel blieb. Dennoch ist der Preußenkönig stolz auf die heimische Webkunst, er sucht eine Art „Showroom“ und findet ihn im „Neuen Palais“ in Sanssouci. Nach dem Siebenjährigen Krieg stattet er dieses repräsentative Gästeschloss aus, das sogar öffentliche Besuchszeiten für Untertanen hatte. Susanne Evers kennt dort jedes Detail. 13/ OT Evers Es ist nirgends in einer Quelle geschrieben, dass das Neue Palais das Musterbuch der Seidenproduktion ist. Aber die Beobachtung legt das sehr nahe. (…) Es ist so, dass in diesem Haus wirklich alle Qualitäten der Seidentapetenkunst, die es damals gab, vorhanden sind. (…) Das ist außergewöhnlich. Sprecher: Seidentapeten waren damals tatsächlich die wertvollsten Kunstobjekte in den Schlössern. Das zeigt sich unter anderem daran, dass auch Friedrichs Schlösser im Siebenjährigen Krieg geplündert wurden – Seidenstoffe waren oft Kriegsbeute. 14 / OT Evers Das fand ich auch spannend, das war lange gar nicht so bekannt. Offensichtlich war es so, dass man so einen hohen Preis zahlte für solche Seidenstoffe, dass es sich sogar lohnte, eher die Stoffe als zum Beispiel die Gemälde mitzunehmen. (...) stattdessen schnitt man tatsächlich rundum so einen Seidenpaneel aus der Wand aus. Auch von Stühlen und von Sesseln hat man den Bezug abgeschnitten. Sprecher: Friedrich der Zweite kam also 1763 aus dem Krieg wieder und musste seine Schlösser neu ausstaffieren. Und das bei leeren Staatskassen. Dennoch: die perfekte Gelegenheit für eine Leistungsschau der preußischen Seidenkunst. 15 / OT Evers Da ist sicherlich vieles auch auf Pump gewesen. Er hat ja auch das Neue Palais selbst, eine Fanfaronade, also eine Angeberei genannt. Aber er wollte damit zeigen, wir sind wer. Wir sind jetzt unter den wichtigsten fünf in Europa. (…) Ich habe mal ausgerechnet nach dem, was in den Rechnungen überliefert ist, dass ein ganzer Raum mit einer allerhöchsten Qualität der reichen Seidenstoffe bis zu 8.400 Taler gekostet hat. Der Stoff für einen Raum mit ganz einfacher Seidenbespannung war dann nur knapp 2.000 Taler teuer. Was haben andere Dinge gekostet? Da kann man sagen, ein Gemälde von Antoine Pesne, das war damals der bekannteste Hofmaler, hat 200 Taler gekostet. Sprecher: Fast nichts im Vergleich zur Seide, die also ganz entscheidend zum Prunk, zur „Fanfaronade“, beigetragen hat. Musik Sprecher: Seide als Teil einer universalen königlichen Raumkunst – für die Kunstgeschichte ein Gewinn. Doch für die Menschen damals? 18 / OT Evers Es gibt sehr viele Reiseberichte, die wirklich sehr lobend über diese Ausstattung schreiben. Aber es ist nicht so, dass er eine große Nachfolge gehabt hat. Denn der Zweck war natürlich unter anderem auch, dass die Bestellungen in den Manufakturen sich stapeln. Dass die Menschen, die dahinkommen sagen: das will ich auch. Das hat nicht geklappt. Sprecher: Friedrich der Große kam zu spät. Die Mode war längst eine andere: Papiertapeten, auch fürs Bürgertum erschwinglich. Die Seidenmanufakturen überlebten noch einige Zeit dank königlicher Aufträge, die aber auch weniger wurden. 19 / OT Evers Das ist so ein schleichender, schleichender Abschied gewesen. Sprecher: Doch Friedrich der Zweite hatte mit seiner Vision trotz aller Anstrengungen und Hindernisse auch etwas geschaffen, das blieb: Er hatte es geschafft, die Textilindustrie auszubauen, Technologie, Wissen und Fachkräfte ins Land zu holen und Arbeit für sozial ausgegrenzte Gruppen zu schaffen. Musik Und der Seidenbau? Millionen von Maulbeerbäumen prägten zwei Jahre vor Friedrichs Tod das Landschaftsbild und immerhin fünf Prozent der Seide konnte Preußen selbst produzieren. Doch bei all den Subventionen über fast 50 Jahre - ein wirtschaftspolitisches Desaster. Historikerin Silke Kamp: 20 / OT Kamp Die Geschichtsschreibung hat sich sehr lange dagegengestemmt einzugestehen, dass der Seidenbau wirtschaftlich nicht erfolgreich war. Sprecher: Und den Untertanen einfach lästig. Nach dem Tod von Friedrich dem Zweiten, ab 1786, holzten viele die ungeliebten Maulbeerbäume einfach ab. Friedrich und die Seidenraupen – ein historisches Kapitel voller Widerstände, Mühen und Kuriositäten. Was so energisch begann, war letzten Endes dann doch nur eine sehr anstrengende Illusion. Musik

Marquise Madame Pompadour gilt also glanzvollste "Maitresse" im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Aber sie war nicht nur die Geliebte des französischen Königs Ludwig XV. Sie förderte auch Kunst und die noch junge Wissenschaft. Auch politisch agierte sie ehrgeizig und riskant. Von Renate Kiesewetter (BR 2021) Credits Autorin: Renate Kiesewetter Regie: Irene Schuck Es sprachen: Berenike Beschle, Christian Baumann, Carsten Fabian, Rahel Comtesse Technik: Andreas Lucke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Andrea Weisbrod Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): Ein Zimmer für uns allein Im Podcast "Ein Zimmer für uns allein" mit Host Paula Lochte treffen zwei Frauen aus verschiedenen Generationen aufeinander und sprechen über ein Thema, das sie verbindet. Zum Beispiel über Schönheitsideale, sexuelle Aufklärung, Finanzen, Care-Arbeit. Was waren ihre Struggles damals und heute? Was hat sich verändert, oder vielleicht sogar verbessert? ZUM PODCAST [https://1.ard.de/EinZimmerfuerunsallein] Linktipps ARD Klassik (2023): MDR-Sinfonieorchester – Joseph, ach Joseph Tanja Kuhn und Carl Rumstadt singen "Joseph, ach Joseph" aus der Operette "Madame Pompadour", dem erfolgreichsten Bühnenwerk von Leo Fall. Der österreichische Komponist, dessen Werke später von den Nationalsozialisten verboten werden sollten, starb 1925. "Madame Pompadour" wurde 1922 in Berlin uraufgeführt. Die Aufnahme mit dem MDR-Sinfonieorchester unter Leitung von Florian Ludwig von 2023 ist eine Produktion von MDR Klassik. JETZT ANSEHEN [https://www.ardmediathek.de/video/ard-klassik/fall-madame-pompadour-joseph-ach-joseph-tanja-kuhn-carl-rumstadt-mdr-sinfonieorchester-florian-ludwig-mdr/ard/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE4NTM1NDQ] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: SPRECHER: „Mätresse“ – das Wort klingt heute ziemlich abwertend. MUSIK SPRECHERIN: Eine "Maitresse-en-titre" nannte man am Hof von Versailles die nicht geheime Liebesbeziehung der Könige. Keine dieser Mätressen hatte so viel Macht und Einfluss wie Madame de Pompadour. ZUSPIELUNG 1: Was man bei Madame de Pompadour auch sagen kann, dass eine große Ambition bestanden hat, aber auch eine große intellektuelle Kapazität und vielleicht auch eine Vision, was Kunst anbelangt und auch durchaus, was Politik anbelangt. Und das macht sie innerhalb dieses Jahrhunderts doch sehr besonders. SPRECHERIN: Die Historikerin und Kunsthistorikerin Dr. Andrea Weisbrod hat zu Madame de Pompadour geforscht und die umfassende Monographie geschrieben: Madame de Pompadour und die Inszenierung der Macht MUSIK SPRECHERIN: Die Pompadour und Ludwig. Beginnen wir mit ihm. König Ludwig XV. lebte von 1710 bis 1774. Er war der Urenkel von Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, und folgte ihm - bereits mit fünf Jahren - auf den Thron. Den zweijährigen Waisen erzog eine Gouvernante aus dem Hochadel, sein Hauslehrer, Bischof Fleury, betreute seine formale und religiöse Bildung. Mit 16 übernahm Ludwig die Staatsgeschäfte selbst, Kardinal Fleury als Premierminister an seiner Seite. Ein Jahr zuvor noch hatte Ludwig die acht Jahre ältere tief religiöse polnische Königstochter Marie Leszczy¬nska geheiratet, damit es beizeiten einen männlichen Thronfolger gab. MUSIK SPRECHER: Madame de Pompadour wurde am 29. Dezember 1721 in Paris als bürgerliche Jeanne Antoinette Poisson geboren. Ihr Vater Francois, ein wohlhabender Armeelieferant, musste nach einem Finanzskandal nach Deutschland fliehen. Jeannes Mutter Louise Madeleine de la Motte, galt als eine sehr schöne, intelligente und lebenslustige Frau mit zahlreichen Affären. Darunter eine mit dem reichen Steuerpächter und Finanzier Lenormant de Tournehem, möglicherweise Jeannes leiblichem Vater. Zumindest gewährt er als Vormund Jeanne die für Adelstöchter übliche Erziehung mit Gesprächskreisen sowie täglichem Üben in Balletttanz, Schauspiel und Gesang. Als 16-jährige grazile Schönheit mit "großen blauen Augen, schmalem Gesicht und einer Porzellanhaut", wie es heißt, brilliert sie mit Opernarien in den besten Pariser Salons. Verheiratet wird sie von ihrem Ziehvater mit seinem reichen adligen Neffen und Erben Le Normant d`Etiolles. Über die junge Madame d`Etiolles wird Voltaire in seinen Memoiren schreiben, sie sei… ZITATOR: …gut erzogen, reizend, angenehm, bezaubernd und talentiert. SPRECHERIN: Das geistige Leben Frankreichs blüht im 18. Jahrhundert in den Pariser Salons. Hier verkehren alter Hochadel und Großbürger, Kardinäle, Staatsmänner, Gelehrte, Philosophen und Schriftsteller . Die junge Madame d´Etiolles trifft auf Voltaire, Montesquieu, Helvetius, die mit ihren neuen gesellschaftsverändernden Ideen, dem rationalen Denken den Weg ebnen wollen. Später wird sie den Schriftsteller Denis Diderot und den Physiker Jean d`Alembert protegieren. Sie sind Autoren der Encyclopédie, eines der Hauptwerke der französischen Aufklärung. SPRECHER: Legenden über Madame de Pompadour gibt es genug. Befeuert werden sie bis in die jüngste Zeit vor allem durch zwei Fälschungen. Einmal durch die angeblichen Memoiren ihrer Kammerfrau Nicole de Hausset. Und dann durch eine Briefsammlung, die noch 1999 ins Deutsche übersetzt wurde. Doch das können keine Originalbriefe sein. Andrea Weisbrod: ZUSPIELUNG 2: Also bei ihren echten Briefen kann man sehen, dass das sehr kurze Briefe sind, sie sind sehr zielgerichtet, und die gefälschten Briefe, im Gegenzug dazu, sind sehr lang, manchmal seitenweise. Und die erzählen alles Mögliche, die erzählen, wie dumm der König ist, und wer wieder gegenüber dem König sich frech verhalten hat, die sind plump und in einer Art und Weise indiskret, dass ein einziger solcher Brief Madame de Pompadour ihre Stellung gekostet hätte, wenn der in die Hände des Königs geraten wäre. MUSIK SPRECHERIN: Verbürgt ist jedenfalls: Auf der Hochzeit des Thronfolgers mit Marie-Thérèse von Spanien, im Februar 1745, lernen sich Ludwig und Madame d´Etiolles kennen. Nach dem prächtigen Maskenball in Versailles wundert sich der am Hof etablierte Herzog de Luynes über die enge Vertrautheit der beiden. ZITATOR: Madame d'Etiolles soll angeblich bis über beide Ohren in den König verliebt sein und er soll ihre Gefühle erwidern. SPRECHER: Hinter ihren aufgeklappten seidenen Fächern lästern die Höflinge: Eine Bürgerliche?? ZUSPIELUNG 3: Madame de Pompadour kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Sie ist zwar eine Bürgerliche, aber sie ist vernetzt mit dem Pariser Großbürgertum und vor allen Dingen mit der Pariser Hochfinanz. Die wiederum in der Hand des Großbürgertums war, und da hat sie eben sehr, sehr gute Kontakte, und aus dem Kreis gab es wiederum Kontakte zu dem Hof, die geholfen haben, sie überhaupt am Hof zu platzieren um dieses Kennenlernen mit Ludwig möglich zu machen. MUSIK SPRECHERIN: Ein paar Monate später wird sie – zum Entsetzen vieler Höflinge - offiziell am Hof vorgestellt, auch der Königin. Und zwar als frischernannte Marquise de Pompadour. Denn kurz vorher hat Ludwig ihr eine freie Markgrafschaft geschenkt und ihr so zu "einem makellosen Namen“ verholfen. Anfang des Jahres 1746, sitzt Madame de Pompadour am Hof "unangreifbar fest im Sattel", versichert Andrea Weisbrod in ihrem Buch über Madame de Pompadour. ZITATORIN: Bald schon drängeln sich bei ihrer morgendlichen Toilette, die den höfischen Gebräuchen gemäß öffentlich stattfindet, beinahe ebenso viele Höflinge wie beim Lever des Königs. SPRECHERIN: Madame de Pompadour kennt die erfolgreichen Großbankiers, die Brüder de Paris. Sie finanzieren die meisten Projekte des Königs: Ludwig ist von ihnen sozusagen finanziell abhängig. ZUSPIELUNG 4: Der Finanzminister, da war der Posten vakant, der wird dann mit jemandem besetzt aus diesem Pariser Kreis. Ihr Ziehvater bekommt das Amt des Kulturministers, das nannte man damals Generalintendant der königlichen Bauten, der war also für Architektur und Kunstankäufe am Hof zuständig, d.h. sie besetzt also gleich in den ersten Monaten wichtige Ämter am Hof, d.h. sie hat dann auch Stützen am Hof. MUSIK SPRECHERIN: Sie beauftragt ihren Ziehvater Tournehem mit dem Ausbau eines Theaters. Und übergeht damit demonstrativ den Herzog von Richelieu, der für Festivitäten am Hof eigentlich zuständig wäre. Später finden sich in ihrer großen Bibliothek in Versailles unter den über 3.500 Büchern immerhin "über 3.000 Opern, Theaterstücke und Abhandlungen zu Oper und Schauspiel ". SPRECHER: Sie trommelt selbst ein buntes Ensemble zusammen. Höflinge, Diener und Dienerinnen sowie von den Pariser Bühnen professionelle Schauspieler und Schauspielerinnen, sogar ein Kinderballett aus Söhnen und Töchtern der besten Tanzlehrer. Ohne Standesgrenzen. Die Hauptrollen spielt sie meist selbst. ZUSPIELUNG 5: Das Theater war ein weiteres Ausdrucksmittel ihrer Macht, sie hat das Publikum bestimmt, und nach dem Theater gab es ein Abendessen, was sie für den König veranstaltet hat, in ihren Räumen oder in den Räumen des Königs. Und dazu hat sie wieder eine handverlesene Zahl von Gästen eingeladen, d.h., alle haben natürlich versucht, Einladungen zu diesem Abendessen zu bekommen, weil das Ganze so zwanglos war, dass der König manchmal für seine Gäste am Ende des Essens einen Kaffee gekocht hat. SPRECHER: Als gebildete und politisch versierte Frau nimmt Madame de Pompadour auch teil an Staatsratssitzungen, organisiert politische Arbeitsessen mit Ludwigs Ministern in ihren Räumen. Der Soziologe Norbert Elias hat in seiner Abhandlung Die höfische Gesellschaft beschrieben, wie die Anordnung der Räume am Hof Rang und Bedeutung der adligen Höflinge widerspiegelt. Das ungewöhnlich große Appartement von Madame de Pompadour hat durch eine geheime Wendeltreppe direkten Zugang zu den privaten Gemächern des Königs. MUSIK SPRECHERIN: Den lässt sie später allerdings zumauern, denn ihr Verhältnis zum König wird für diesen vor allem mit Blick auf die mächtige Kirche zunehmend auch eine Belastung. In der vom Katholizismus geprägten Gesellschaft lebt der König offiziell in Sünde, kann als Ehebrecher z.B. bei der Messe nicht die Heilige Kommunion empfangen. Auch keine Sterbesakramente. Sobald der König also krank oder verletzt wurde, das heißt, möglicherweise in Lebensgefahr geriet, mussten die Mätressen sofort verbannt werden. Das erlebte eine Vorgängerin von Madame Pompadour. So verging sogar das Heilige Jahr 1750, ohne dass Ludwig die Kommunion empfangen hätte, und der Druck der Kirche und seiner sehr religiösen Familie auf ihn ließ nicht nach. SPRECHER: Eine "extreme Zwangslage" für den König, er will Madame de Pompadour in seiner Nähe behalten. Und sie möchte ihren Verbleib am Hof sichern. Fegefeuer und Höllenschlund. Wie also die Kirche besänftigen? Andrea Weisbrod: ZUSPIELUNG 6: Dann entsteht eben dieser Plan, dass quasi diese Liebesbeziehung in eine platonische Freundschaft umgewandelt wird, dass Madame de Pompadour auch versucht, zu ihrem Mann zurückzukehren, der aber dann dankend ablehnt, und dass Madame de Pompadour sich einen Beichtvater nimmt, der sie in religiösen Dingen berät. Dass auf einmal Skulpturen entstehen, die Madame de Pompadour als die Freundschaft darstellen, d.h. all dies wurde öffentlich gemacht, um dem Hof und der Kirche zu zeigen, wir sind kein Paar mehr, wir sind nur noch befreundet. Und in diesem Zug bekommt dann Madame de Pompadour dieses Amt als Palastdame der Königin, um damit ein offizielles Amt zu haben, was ihr auch ermöglicht hat, am Hof zu bleiben, unabhängig von Ludwig. SPRECHERIN: So notiert Herzog de Lynes 1754 in seinem Tagebuch. ZITATOR: Madame de Pompadour ist von der Mätresse zur Freundin des Königs geworden und übt durch diesen neuen Status vielleicht sogar noch mehr Einfluss auf ihn aus als zuvor. SPRECHER: Zwei Jahre vorher hatte der König die Marquise de Pompadour zur Herzogin von Ménars erhoben. SPRECHERIN: Und sie inszeniert ihre Macht äußerst geschickt. Ihre Portraits – im 18. Jahrhundert ein zentrales politisches Mittel der Machtdarstellung – kann die Öffentlichkeit regelmäßig in Salonausstellungen im Pariser Louvre sehen. Auf uns heute wirken die Rokokokleider prachtvoll genug, das Publikum damals aber wusste, dass es Tageskleider sind, als Ausdruck ihrer prominenten Stellung am Hof. Es fehlt nicht das Perlenarmband, ein Geschenk Ludwigs, der Quelle ihrer Macht. Von allen Portraits, sorgt Mitte der 1750er Jahre das lebensgroße Werk von Maurice-Quentin Delatour, für Aufsehen in Paris. Madame de Pompadour verkörpert hier die machtvolle Politikerin. Zu erkennen am Aufbau des Gemäldes, der genauso ist wie bei anderen Ministerportraits jener Zeit. Auf dem Globus im Hintergrund ist nur Frankreich aufgemalt, noch dazu mit einer blauen Linie umrandet. Eindeutiger geht’s nicht mehr: Frankreich ist ihr Machtbereich. SPRECHER: Auf dem Gemälde ist nichts zufällig. ZUSPIELUNG 7: Auf ihrem Schreibtisch stehen verschiedene Bücher von Aufklärern, unter anderem ein Band von der Encyclopédie, eines großen Lexikonprojektes in der Zeit und ein Buch von Montesquieu, einem berühmten Aufklärer, beide Bücher waren zu der Zeit verboten. D.h. sie zeigt eben auch, sie hat diese Bücher und diese Autoren gefördert, weil ihre Machtstellung das eben zulässt. MUSIK SPRECHER: In den 1750er Jahren lässt sie eine Militärakademie errichten, um die Ausbildung des Nachwuchses im Heer zu systematisieren. In Sèvres entsteht die königliche Porzellanmanufaktur in Konkurrenz zum bekannten Meißner Porzellan. SPRECHERIN: In der Außenpolitik geht es um nichts Geringeres als die Vormachtstellung in Europa. MUSIK SPRECHERIN: Das "renversement des alliances" – die Umkehrung der Allianzen wirft fast alle Mächte auf den Kriegsschauplatz, an allen Enden der Welt. Das erstarkende Preußen unter König Friedrich II., bisher Frankreichs Verbündeter, wendet sich England zu. Das wiederum gegen Frankreich erbittert um die nordamerikanischen Kolonien kämpft. Österreich unter Kaiserin Maria Theresia, bisher klassischer Kriegsgegner von Frankreich, muss sich Preußen erwehren und sondiert bei Frankreich für ein Bündnis. SPRECHER: Madame de Pompadour übernimmt die Vermittlerrolle zwischen der österreichischen und der französischen Seite. ZUSPIELUNG 9: Sie hat den ersten Brief überbracht von der Kaiserin Maria Theresia an Ludwig, und sie war danach auch bei den ersten Verhandlungen zugegen, die im kleinsten Kreis mit dem österreichischen Botschafter, dem damaligen französischen Außenminister Bernis, und ihr eben geführt wurden, d.h., sie waren nur zu dritt, bevor das Ganze dann eben öffentlich gemacht wurde. SPRECHERIN: Der 1756 signierte Vertrag zwischen Frankreich und Österreich schlägt an den anderen europäischen Höfen ein wie ein "Donnerschlag". Der preußische König Friedrich II. sieht sich von allen Seiten bedroht. Er marschiert sofort in Sachsen ein, bevor dieses sich der neuen Allianz anschließen kann - und ruft dadurch alle Mächte auf den Plan und auf die Schlachtfelder. Es ist der Beginn des Siebenjährigen Kriegs. Ob Madame de Pompadour da den König klug beraten hat? ZUSPIELUNG 10: Sie hat ihn falsch beraten, das kann man in jedem Fall sagen, allerdings muss man auch sagen, dass zur Zeit sich alle gegenseitig falsch beraten haben. Weil, es gab auf der französischen Führungsebene kaum Stimmen gegen dieses neue Bündnis, sowohl der König als auch sein Außenminister haben sich davon eben Vorteile versprochen und es hat wahrscheinlich damit auch niemand gerechnet, dass Friedrich II. aufgrund dieses neuen Bündnisses sofort angreift und er sofort einen Krieg vom Zaun bricht. SPRECHER: Auch als Frankreich nach anfänglichen Erfolgen zurückfällt, will Madame de Pompadour noch keine Verhandlungen mit den Gegnern, im Gegensatz zu ihrem alten Freund, dem französischen Außenminister de Bernis. Machtbewusst verschafft sie ihm die Kardinalswürde, lässt ihren neuen Günstling, den Grafen de Stainville, zum Herzog von Choiseul-Stainville küren, und überzeugt Ludwig, der etwas bei ihr gutzumachen hatte, de Bernis gegen de Choiseul auszutauschen. SPRECHERIN: Friedensverhandlungen oder nicht? Der englische Außenminister Newcastle bringt es auf den Punkt: ZITATOR: Die große Frage ist, auf welcher Seite die Lady steht. Das wird alles entscheiden. MUSIK SPRECHER: Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges ist für Frankreich desaströs: Die nordamerikanischen Kolonien sind verloren, die österreichischen Niederlande bekommt Frankreich auch nicht, Preußen erstarkt in Europa, und Frankreich steht kurz vor dem Staatsbankrott. Bei seinen Untertanen wird Ludwig, der "Vielgeliebte", zum "Vielgehassten". Und mit ihm Madame de Pompadour. Verprasst habe sie alles mit der prunkvollen Ausstaffierung ihrer Schlösser, dem Theater, ihren sündteuren Garderoben, den immensen Kriegskosten. SPRECHERIN: Freilich gab es das "System der Verschwendung" schon länger, so Andrea Weisbrod: ZUSPIELUNG 11: Alles war eben darauf angelegt, Schulden zu machen, und letztlich diese Schulden wieder zu decken durch Einkünfte, die man aus den Kolonien erzielen konnte, aus Leibeigenschaften. Und nachdem dieses System dann nach und nach bröckelt, und durch den Krieg die französische Kolonialherrschaft in Amerika abrupt beendet wird, fielen auch viele Geldquellen weg. Letztlich war sie aber greifbar, sie war das Sinnbild und konnte damit auch zu einer Art Sündenbock gemacht werden. SPRECHER: Auch wenn ihr Altersportrait sie am seinerzeit modischen Stickrahmen zeigt - natürlich, sittsam und nur im Haus wirkend: eine solche neue Pompadour gibt es nicht! Den König Friedrich II. von Preußen bringt sie zur Raserei, weil sie sich nicht in die Karten schauen lässt. Ihr großes Netzwerk an Kontakten auch zu anderen Fürstenhöfen zusammen mit einem florierenden Günstlingshandel sichert ihre Macht: Auf einen Gunstbeweis folgt eine Gegenleistung und darauf wieder eine Gunst. So entstehen immer neue Abhängigkeiten. SPRECHERIN: Gleichwohl ist der Preis für ihre Machstellung hoch. Ständig verfügbar sein für den König, häufiges Reisen mit dem Hof, ein immenses Arbeitspensum. Sie schrieb, meistens nachts, an die 60 Briefe pro Tag. ZUSPIELUNG 12: Dann kam eben dazu, diese persönlichen Schicksalsschläge, vor allen Dingen, der Tod ihrer Tochter Alexandrine, die mit 10 Jahren dann ganz überraschend gestorben ist, und von diesem Tod sagt sie, dass ihr das quasi einen Schlag versetzt hat, von dem sie sich nicht mehr richtig erholt hat. MUSIK SPRECHER: Sie bewahrt dennoch die Contenance. Legt sich selbst eiserne Disziplin auf gegenüber einem als schwierig beschriebenen, manchmal depressiven, ängstlichen und schweigsamen König. Sie nimmt stets trotz Migräne und Fieber an Hoffesten teil, Ludwig zuliebe. Sie muss Intrigen der Hofschranzen abwehren, kann niemandem vertrauen. Sie bannt auch zahlreiche Versuche, sie durch jüngere Frauen zu ersetzen. Und Ludwig ist kein Heiliger, er fühlt sich zu blutjungen Frauen hingezogen. Sie vergisst indes nie: Sie ist vollständig von ihm abhängig. Einmal verrät sie in einem Brief ihren geheimen Wunsch: ZITATORIN: Ich hätte den großen Thron bevorzugt, muss mich aber mit dem kleinen begnügen, der nicht im geringsten meinem Temperament entspricht. SPRECHERIN Nach dem Attentat auf Ludwig XV. im Jahr 1757 will Madame de Pompadour schon von sich aus den Hof verlassen, damit er vor seinem Ableben in den Schoß der Kirche zurückkehren kann. Aber Ludwig, der nach einer Woche Wehklagen merkt, dass er doch nicht lebensgefährlich verletzt ist, kann ihren Weggang noch verhindern. MUSIK SPRECHER: All dies zehrt über die Jahre an ihrer fragilen Gesundheit. Sie ist oft krank, wird immer häufiger bettlägerig. Von einer Erkältung kann sie sich nicht mehr erholen. Sie stirbt am 15. April 1764, im Alter von 42 Jahren, an Lungenentzündung. Der König, so flüstert man am Hof, sei "tief betroffen" über den Tod seiner Freundin. SPRECHERIN: Keine 25 Jahre später fegt die Französische Revolution mit einer neuen aufsteigenden bürgerlichen Schicht das höfische System weg. Politisch, freilich nur aus unserem heutigen Rückblick, hat Madame de Pompadour, zusammen mit dem König, durch Fehlentscheidungen Frankreich destabilisiert und den Weg zur Französischen Revolution bereitet. Das Erbe ihres Mäzenatentums aber, so Andrea Weisbrod, wirke bis in unsere Zeit hinein. ZUSPIELUNG 13: Sie hat Diderot gefördert, sie hat Montesquieu gefördert, sie hat selbst Rousseau gefördert, sie hat Voltaire gefördert, d.h. sie hatte ein Gespür letztlich auch für Umwälzungen in diesem Zeitalter, und hat die entscheidenden Personen gefördert, die bis heute eben Reichweite haben.

Die Römer hatten gepflasterte Straßen nach Deutschland gebracht, aber im Mittelalter verfielen sie langsam. Ohne feste Straßen versanken die Menschen im Schlamm, und Krankheiten breiteten sich schneller aus. Erst viel später überlegten die Stadtväter, wie sie ihre Wege mit einem sicheren Belag ausstatten könnten. Unter ihnen verlief bald auch die Kanalisation. - Das harte Handwerk des Pflasterns war entstanden. Von Anja Mösing (BR 2010 // 2019) Credits Autorin: Anja Mösing Regie: Anja Mösing Es sprach: Christiane Roßbach Technik: Christian Schimmöller Redaktion: Brigitte Reimer Im Interview: Dr. Wolfgang Czysz Archäologe (verstorben 2022) ; Dr. Lutz Dallmeier Stadtarchäologe; Dr. Brigitte Huber Kunsthistorikern; Ludwig Bauer Steinmetzmeister (Organisation und Leitung des Hauzenberger Granitzentrums seit Juli 2023 neu geregelt), Walter Braun Pflasterer Obermeister Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): WirTier Zu Gast bei Radiowissen: WirTier erzählt von Menschen, die ihr ganzes Leben verändert haben durch diesen einen Moment auf Augenhöhe mit einem Tier. Sie teilen mit uns ihre tiefgreifenden Erfahrungen über unser Zusammenleben auf diesem Planeten und ihr Wissen über Tiere. Sechs Folgen - ab dem 13. Mai jeden Dienstag neu. ZUM PODCAST [https://1.ard.de/wir-tier] Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE [https://www.ardaudiothek.de/sendung/tatort-geschichte-true-crime-meets-history/88069106/]“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/]erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/]. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/]
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