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episode Vergesst Pfingsten 2024: Kein Heiliger Geist, keine Erleuchtung, keine Feuerzungen – nirgends! artwork
Vergesst Pfingsten 2024: Kein Heiliger Geist, keine Erleuchtung, keine Feuerzungen – nirgends!
Für Christen beginnt die sogenannte Pfingstnovene neun Tage vor dem eigentlichen Hochfest an Christi Himmelfahrt. Diese Novene geht laut der Website des Erzbistums Köln auf den Pfingstbericht der Apostelgeschichte zurück, nachdem sich Jesu Jünger vor Pfingsten im Gebet zurückgezogen hatten. In der Pfingstnovene wird um das Kommen des Heiligen Geistes und seiner sieben Gnadengaben gebetet: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Pfingsten dann wurden Jesu Jünger vom Heiligen Geist erfüllt und besaßen fortan die Fähigkeit, in allen Sprachen der Welt zu sprechen. Von solchen Gnadengaben und Sprachtalenten lässt sich reichlich zwei Jahre nach Verkündung einer „Zeitenwende“ nur träumen. Wenngleich sich nicht Zeiten, allenfalls Politiker samt Politiken in ihnen wenden. Ein säkularer Zwischenruf von Rainer Werning. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. „Geburtstag der Kirche“ Pfingsten (griech. „pentecoste“), der 50. Tag der Osterzeit, so heißt es auf der Website des Erzbistums Paderborn, > „steht für den Tag, an dem der Heilige Geist auf die Apostel herabkam und ihnen die Kraft und die Fähigkeit gab, die Botschaft Jesu Christi in die Welt zu tragen. Deshalb gilt Pfingsten (für Christen das nach Ostern und Weihnachten dritthöchste Fest im Kirchenjahr – RW) auch als ‚Geburtstag der Kirche‘. (…) Am Pfingsttag (waren) Jesu Jünger in Jerusalem in einem Haus versammelt. Nachdem Jesus gestorben und wieder auferstanden war, wussten sie nicht so recht, was sie jetzt ohne ihn tun sollten. Plötzlich hörten die Jünger ein starkes Rauschen, wie ein heftiger Sturm, und sahen Feuerzungen, die sich auf jedem von ihnen niederließen. Sie wurden vom Heiligen Geist erfüllt. Von diesem Moment an besaßen sie die Fähigkeit, in allen Sprachen der Welt zu sprechen.“ Aus der Apostelgeschichte erfahren wir überdies, dass der Heilige Geist symbolisch mit Feuerzungen und der Taube dargestellt wird. Das muss lange her gewesen sein; geblieben und gefragt sind heute vielmehr – erst recht unter Politikern und Parteien mit dem großen C voran – Falken mit dem Talent, ein Feuerwerk mit Botschaften zu verkünden – besser: zu entzünden –, die da lauten: „Normale“ Friedenszeiten sind passé und werdet kriegstauglich! Stoppt – mit Blick auf Russlands Putin – „völkerrechtswidrige Angriffskriege“ und bekräftigt – mit Blick auf Israels Netanjahu – ein uneingeschränktes JA zur „Selbstverteidigung“. Zwischentöne und Nuancierungen sind bestenfalls verpönt. Schlimmstenfalls landet man als ausgemachter „Lumpenpazifist“ hurtig in der Schmuddelecke von „Russland-Verstehern“ und/oder eingefleischtem „Antisemitismus“. Exemplarisch seien hier „Botschafter“ genannt, deren martialische Bekenntnisse allenfalls drei der insgesamt sieben Gnadengaben entsprechen. Weisheit, Einsicht, Rat und Erkenntnis müssen da außen vor bleiben – des noblen Gehalts solcher Werte und Tugenden wegen. Partout keine frohen Botschaften Begonnen sei mit Boris Pistorius, der, bevor er als Verteidigungsminister quasi über Nacht zum beliebtesten bundesdeutschen Politiker avancierte, immerhin mal (von November 2006 bis Februar 2013) als Oberbürgermeister der Friedensstadt Osnabrück amtierte. Heute schlägt er kräftig die Kriegspauke und schwelgt bei jeder sich bietenden Möglichkeit in Russophobie mit dem tremoloartig strapazierten Hinweis darauf, dass Mr. Putin im Falle eines Sieges in der Ukraine unaufhaltsam weiter gen Westen aufmarschieren ließe. O-Ton Pistorius: > „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ Wie angenehm wäre indes die Vorstellung, der Minister reiste mal zur Abwechslung in die benachbarte Friedensstadt Münster, reagierte sich auf dem dortigen Aasee in einer Tretbootfahrt gehörig ab, um anschließend in der nächstgelegenen Gelateria auf der Himmelreichallee durch den Verzehr mehrerer Eiskugeln Abkühlung zu schlecken. Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für die nationale Sicherheit und in dieser Funktion gleichzeitig auch Oberaufseher der dortigen Gefängnisse, hat sich mehrfach öffentlich als Ultra-Falke im Kabinett Netanjahus geoutet. Ginge es nach ihm, sollten Palästinenser, die des Terrorismus geziehen werden, kurzerhand exekutiert werden, um Platz zu schaffen in den landesweit ohnehin hoffnungslos überfüllten Gefängnissen. Und Israels Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte Ende April ohne Umschweife, solche Städte wie Rafah und andere Orte im Gazastreifen einfach „auszuradieren“. Wörtlich sagte der Minister: > „Es sollte da keinerlei Halbheiten geben. Rafah, Deir al-Balah, Nuseirat – total vernichten.” In nicht minder exterminatorischen Kategorien denkt sein Chef. Für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu befindet sich sein Land seit der blutigen Attacke und Geiselnahme seitens der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres in einem existenziellen Krieg, der dadurch gekennzeichnet ist, dass ein/der Feind nebenan nicht geduldet wird. Für Israel geht es laut Netanjahu um „die Existenz, seine Freiheit, Sicherheit und Prosperität“: > „Entweder wir oder sie – Israel oder die Monster von Hamas.“ Perversion des Denkens und Sprachverluderung Was nun die USA als engster politischer Verbündeter, größter Waffenlieferant und beharrlichster diplomatischer Protektor Israels betrifft, so hat wohl in der Vorpfingstphase der republikanische Kongressabgeordnete Tim Walberg aus Michigan die ungeheuerlichste aller Forderungen formuliert. Laut dem Nachrichtensender CNN hatte er vorgeschlagen, Bomben auf Gaza „wie Nagasaki und Hiroshima“ abzuwerfen, um „es schnell hinter uns zu bringen“. Einem auf sozialen Medien veröffentlichten Video, das während eines Wählertreffens Ende März aufgenommen ward, ist zu entnehmen, dass sich Walberg gegen humanitäre Unterstützung im Gazastreifen aussprach und stattdessen die Dringlichkeit betonte, den „Konflikt“ dort rasch zu beenden. Walbergs Büro wiegelte danach ab und sprach von „Metaphorik“, die der Abgeordnete bemüht habe! Kein Wunder, dass sich zu so viel Perversion des Denkens und Sprachverluderung eine gargantueske Heuchelei gesellte, mit der das Biden-Blinken-Team auf die Kriegführung und faktische Unterbindung notwendiger humanitärer Hilfen seitens der Netanjahu-Regierung reagierte! Bissige Kommentatoren der angesehenen israelischen Tageszeitung Haaretz veranlasste das zu der Bemerkung, der oberste US-Chefdiplomat agiere so, als säße er am Jerusalemer Kabinettstisch. Bei alledem sollte nicht vergessen werden, dass das Pfingstfest auch zeitgleich zum jüdischen Fest Schawuot stattfindet, welches zu den Hauptfesten des Judentums gehört. Es bedeutet „Wochen“ und verweist auf die 50 Tage nach dem Pessachfest. Schawuot ist gleichzeitig das Erntedankfest, da es den Abschluss der Weizenernte markiert. Mit Blick auf Anno Domini 2024 kann da nur von einer höchst zweifelhaften „Ernte“ die Rede sein. Seit dem 7. Oktober 2023 scheint hinsichtlich der israelischen Politik vis-à-vis den Palästinensern das fünfte Gebot („Du sollst nicht töten!“) einem elften Gebot gewichen zu sein. Ausgerechnet Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des zwischen 1954 und 1992 zweimalig amtierenden Vorsitzenden/Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, gab einer ihrer Publikationen den Titel „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ – Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik. Titelbild: Romolo Tavani/shutterstock.com Quellenhinweise https://www.erzbistum-koeln.de/presse_und_medien/magazin/Pfingsten-2020-Wie-der-Heilige-Geist-die-Juenger-Jesu-erfuellt-und-die-Kirche-begruendet/ [https://www.erzbistum-koeln.de/presse_und_medien/magazin/Pfingsten-2020-Wie-der-Heilige-Geist-die-Juenger-Jesu-erfuellt-und-die-Kirche-begruendet/] https://www.erzbistum-paderborn.de/glauben-und-leben/kirchenjahr/pfingsten-ursprung-und-bedeutung/ [https://www.erzbistum-paderborn.de/glauben-und-leben/kirchenjahr/pfingsten-ursprung-und-bedeutung/] „Kriegstüchtig“ – oder: Wie wäre das eigentlich vor 40 Jahren gewesen? * https://www.nachdenkseiten.de/?p=114927 [https://www.nachdenkseiten.de/?p=114927] & Bei Maischberger: Pistorius beendet mal eben die „Friedenszeit“ * https://www.nachdenkseiten.de/?p=114387 [https://www.nachdenkseiten.de/?p=114387] https://news.antiwar.com/2024/04/18/israels-ben-gvir-calls-for-executing-palestinians-to-make-more-room-in-prisons/ [https://news.antiwar.com/2024/04/18/israels-ben-gvir-calls-for-executing-palestinians-to-make-more-room-in-prisons/] https://news.antiwar.com/2024/04/30/israels-smotrich-calls-for-total-annihilation-of-rafah-other-cities-in-gaza/ [https://news.antiwar.com/2024/04/30/israels-smotrich-calls-for-total-annihilation-of-rafah-other-cities-in-gaza/] & Netanyahu says Israel is in an existential war * https://www.jpost.com/breaking-news/article-800993 [https://www.jpost.com/breaking-news/article-800993] https://www.timesofisrael.com/us-congressman-denies-calling-to-nuke-gaza-after-urging-hiroshima-like-tactics/ [https://www.timesofisrael.com/us-congressman-denies-calling-to-nuke-gaza-after-urging-hiroshima-like-tactics/] & https://www.theguardian.com/us-news/2024/mar/31/tim-walberg-republican-congressman-gaza [https://www.theguardian.com/us-news/2024/mar/31/tim-walberg-republican-congressman-gaza] Schawuot|Jüdisches Museum Berlin * https://www.jmberlin.de/thema-schawuot [https://www.jmberlin.de/thema-schawuot] https://www.hdg.de/lemo/biografie/heinz-galinski.html [https://www.hdg.de/lemo/biografie/heinz-galinski.html] & Evelyn Hecht-Galinski: „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ – Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik * http://www.palmyra-verlag.de/HG.html [http://www.palmyra-verlag.de/HG.html]
Gestern - 9 min
episode Piepegalpakt 2.0: Eine Runde digitaler Antibildung ist nicht genug artwork
Piepegalpakt 2.0: Eine Runde digitaler Antibildung ist nicht genug
Der „Digitalpakt Schule“ war gestern. Deshalb braucht es schleunigst ein Anschlussprogramm, finden nicht nur IT-Industrielle und -Lobbyisten, sondern auch die hiesigen Gewerkschaften. Dass bisher so technikverliebte Länder wie Dänemark und Schweden die Flucht zurück zum Analogen ergreifen, um das Klassenzimmer wieder zum Bildungsraum zu machen, stört sie nicht, so wenig wie ein allgemeines Schulleistungsniveau im freien Fall. Bleibt nur die Hoffnung auf Gegenwehr durch Eltern, Lehrer und vielleicht ja sogar die größten Leidtragenden – die Kinder. Und darauf, dass die Politik für das Quatschprojekt kein Geld zusammenkratzt. Ein Kommentar von Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Die IT-Industrie macht sich Sorgen. Am gestrigen Donnerstag war der „Digitalpakt Schule“ ausgelaufen, und noch steht nicht fest, wie es danach weitergeht. „Eine zeitgemäße Bildung darf nicht dem anhaltenden Gerangel um Budget und Kompetenzen zwischen Bund und Ländern zum Opfer fallen“, befand am Dienstag der Präsident des Branchenverbands, Ralf Wintergerst. Mit dem Ausbleiben einer rechtzeitigen Anschlussfinanzierung und einer gemeinsamen Lösung verpasse Deutschland die Chance, die Schulen digital auf die Höhe der Zeit zu bringen. „Einmaliges Geld zur Anschaffung von Technik reicht nicht aus“ [https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Digitalpakt-Schule-laeuft-aus-Anschlussfinanzierung-fehlt], mahnte der Cheflobbyist, und man ist versucht, ihm in den Mund zu legen: Es braucht zweimaliges Geld, besser noch, es braucht Geld ohne Ende! Wofür? Vor fünf Monaten hat sich Dänemarks sozialdemokratischer Minister für Kinder und Bildung, Mattias Tesfaye, in aller Öffentlichkeit dafür entschuldigt, Schülerinnen und Schüler zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ [https://futur-iii.de/2024/02/paedagogik-statt-experimente-mit-schuelern-als-versuchskaninchen/] gemacht zu haben, „dessen Ausmaß und Folgen wir nicht überblicken können“. Die Dänen, überhaupt die skandinavischen Länder, galten bisher stets als großes Vorbild in puncto digitaler Bildung – auch und gerade für Deutschland. Und jetzt das: Das Klassenzimmer sei nun einmal keine „Erweiterung des Jugendzimmers, in dem gestreamt, gespielt und geshoppt wird“, so Tesfaye, der seinen Worten prompt Taten folgen ließ. Anfang Februar legte sein Ministerium zwölf „restriktive“ Empfehlungen vor, damit die Schulen das „Klassenzimmer als Bildungsraum zurückerobern“. Bloß ein Haufen Technik Für die Süddeutsche Zeitung klingen die Maßnahmen wie ein „Digital-Detox-Programm für Heavy User“ [https://www.sueddeutsche.de/politik/digitalisierung-daenemark-schule-handy-pisa-tablet-1.6344670]. Unter anderem umfassen sie: Handys komplett raus aus der Schule, Tablets und Computer wegsperren, sofern sie nicht didaktisch und pädagogisch sinnvoll im Unterricht genutzt werden, die Einrichtung von Firewalls zur Abwehr unterrichtsfremder Inhalte. Der Vorstoß ist eine Reaktion auf Klagen von Lehrerverbänden und Bildungsforschern, wonach konzentriertes Arbeiten in vielen Klassen kaum mehr möglich sei, und Ausdruck der späten Erkenntnis – O-Ton Tesfaye –, sich den großen Tech-Konzernen „zu lange unterworfen“ zu haben und als Gesellschaft zu „verliebt“ gewesen zu sein in die Wunder der Digitalwelt. Man wünschte sich ähnliche Einsicht bei seiner deutschen Amtskollegin. Doch während neben Dänemark davor auch schon Schweden zum großen „Rollback zum Analogen“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=107173] angesetzt hat, gibt Bettina Stark-Watzinger (FDP) lieber zu Protokoll: „Vom Digitalpakt profitieren immer mehr Schulen in ganz Deutschland.“ [https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/pressemitteilungen/de/2023/09/230914-Digitalpaktl.html] Was heißt das? Richtig ist: „Immer mehr Schulen“ verfügen heute über digitale Geräte, aber die wenigsten haben einen Plan, was sie damit mangels Ressourcen und schulbehördlicher Anleitung anstellen sollen. Schließlich folgte das 2019 aufgelegte Projekt, das sich allein der Bund bis dato 6,5 Milliarden Euro hat kosten lassen, bisher dem Muster: Vor der Schule wird ein Haufen Technik abgeladen, obendrauf eine Postkarte mit der Aufschrift: Macht was draus! Dass daraus nur Machwerk werden kann, war programmiert. Kein Interesse an Kindeswohl Wer schließt die Geräte an, wer unterhält und pflegt sie, wo kommt Ersatz her, wenn sie kaputt sind, wer sorgt für Datenschutz? Mit solchen Problemen wurden die Schulen komplett allein gelassen. Die neuen Aufgaben bekamen sie einfach übergebraten, während sie schon unter der ohnehin riesigen Last eines Schulbetriebs am Limit – mit immer mehr lernschwachen, sozial und kognitiv gestörten Teenagern und schwer beschulbaren Flüchtlingskindern bei einem zugleich historischen Lehrermangel – zu ächzen haben. Sicher gibt es Fälle in reicheren Kommunen, wo digitale Schule zumindest in puncto technischer Umsetzung funktioniert, aber in der Breite gleicht das Unterfangen einer Notgeburt ohne Hebamme. Noch mehr gilt das für die didaktisch-pädagogische Begleitung. Eine Art übergeordnete Steuerung, geschweige denn ein wissenschaftlich grundiertes Konzept, was digitale Schule überhaupt leisten, lehren und vermitteln kann und soll, gibt es nicht. „Bereitstellung von digitalem Unterrichtsmaterial, Lehrkräftefortbildungen, landeseigene Schulplattformen – an allen Ecken und Enden hapert es“ [https://www.news4teachers.de/2024/05/pingpong-um-die-zukunft-der-bildung-kmk-schlaegt-im-streit-um-den-digitalpakt-2-0-zurueck/], monierte dieser Tage das Portal News4Teachers und geißelte eine „je nach Lust und Kassenlage ausfallende Bildungspolitik, die sich um ihre Kernzielgruppen – die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrkräfte – einen Teufel schert“. Das trifft es. 80 Prozent der verausgabten Mittel fließen gemäß politischen Vorgaben in die Anschaffung von Hardware, und bestenfalls der Rest bleibt dafür übrig, die ganzen neuen Whiteboards, Tablets und PCs irgendwie unterrichtsverträglich zu machen. Spielwiese Klassenzimmer Geklappt hat das nicht, weil es nicht klappen kann. Allein der Ansatz, das bei Heranwachsenden mit Abstand begehrteste, vielfach exzessiv bis hin zur Sucht genutzte Spielzeug zum schulischen Lernwerkzeug zu machen, ist grotesk. Angezeigt wäre das Gegenteil, nämlich Schule als Offline-Bastion zu etablieren. Auch hierzulande mehren sich die Wortmeldungen, die den eingeschlagenen Weg für grundfalsch halten: Bildungsexperten, Pädagogen, Soziologen, Kinderärzte, Hirnforscher [https://www.nachdenkseiten.de/?p=49485]. Beispielhaft hatten unlängst über drei Dutzend Fachleute unterschiedlichster Disziplinen ein „Moratorium der Digitalisierung in KITAs und Schulen“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=107173] im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen gefordert. Es müssten zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, „bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden“. Tatsächlich schreibt die Verwaltungsvereinbarung des „Digitalpakts“ eine wissenschaftliche Evaluation des Programms vor. Los ging es damit allerdings erst im vergangenen Jahr, und mit dem Abschlussbericht wird 2027 gerechnet. Warum prüft man nicht, bevor eine Anschlussvereinbarung auf den Weg gebracht wird? Man schickt ja auch keinen Sechserschüler aufs Gymnasium, nur weil sein Zeugnis verschüttgegangen ist. Ohnedies ist der allgemeine Niveauverlust an deutschen Lehranstalten schon sehr lange offensichtlich. Seit mindestens 2010 werden die schulischen Leistungen kontinuierlich schlechter, erkennbar etwa an den regelmäßigen Untersuchungen des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Aus Fehlern lernen? Nicht bei uns! Natürlich sind die Ursachen vielschichtig – mehr Armut, mehr Zuwanderung, Lehrermangel, ein chronisch unterfinanziertes Bildungssystem. Nur wer wollte heute noch behaupten, dass der Allgegenwart von Smartphones und Tablets schon bei Kindern, bei sinkendem Einstiegsalter und zunehmender Nutzungsdauer, nicht mindestens eine Mitschuld an der Misere zukommt? Warum besteht an 87 Prozent [https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/handyverbot-an-schulen-ja-oder-nein-was-sagen-die-studien/] der Privatschulen in Deutschland ein Handyverbot, während das für weniger als die Hälfte der staatlichen Einrichtungen gilt? Dass man sich mit höherem sozialen Status der Gefahren digitaler Medien bewusster ist, zeigt sich auch daran, dass die Kinder der Tech-Avantgarde aus dem Silicon Valley vermehrt digital befreite Schulen besuchen. Und halten nicht hiesige Bildungspolitiker PISA hoch wie den Stein der Weisen? Aber ausgerechnet die Überflieger von einst, Schweden etwa oder Dänemark, haben bei der internationalen Schulleistungsstudie deutlich abgebaut. Der Unterschied: Die Nordeuropäer lernen aus ihren Fehlern, die Regierenden in Deutschland machen einfach stur weiter. Oder sie plappern die plumpen Sprüche von Digitalökonomen nach, die mangelnde Evidenz schlicht mit der Behauptung wegwischen, die Potenziale wären „noch nicht ausgeschöpft“. Gleichwohl ist die Politik nicht mehr mit dem anfänglichen Enthusiasmus bei der Sache. Namentlich die Bundesregierung behandelt das einstige Vorzeigeprojekt mit allerhand Lieblosigkeit. Ein jüngst publik gewordenes Papier aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bringt die Bundesländer in Rage. Demnach will sich der Bund schrittweise aus der Finanzierung zurückziehen. Zum angestrebten „Digitalpakt 2.0“, der 2025 starten soll, will er bloß noch 50 Prozent [https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/digitalpakt-bilanz-100.html] und nicht wie bisher 90 Prozent beisteuern und die Förderung ab 2030 komplett einstellen. Die Länder weisen das zurück und pochen auf den bisherigen Verteilungsschlüssel. Wie viel Geld das Gesamtpaket umfassen soll, ist auch nicht geklärt. In besagter Vorlage ist der Kostenaufwand mit „X“ bezeichnet. Gewerkschaften voll auf Kurs Daraus zu schließen, die Ampel wolle womöglich beim Thema Technoschule zum Rückzug blasen, führte fraglos zu weit. Es gibt nur momentan Wichtigeres zu tun, Stichwort: Kriegsertüchtigung. Die herzustellen, ist schon teuer genug. Da wird dann manches nachrangig, was gestern noch unter „first“ gehandelt wurde. Immerhin ein Fünkchen Durchblick offenbart der BMBF-Entwurf: Demnach sollen Lehrkräfte künftig mit pro Kopf 30 Stunden Fortbildungen fürs digitale Unterrichten fit gemacht werden. Denn, so Stark-Watzinger, der „Digitalpakt 2.0 darf nicht zu einer reinen Bestellliste für Endgeräte werden“. Was wohl besagt, Pakt eins war genau das. Selbstredend wehren sich die Bundesländer gegen eine Lernpflicht für Lehrer, wegen Übergriffigkeit in die Bildungshoheit. Wie soll das auch bezahlt werden, und wer kümmert sich währenddessen um die Kinder? Prof. Dr. Google vielleicht. Warum nicht? Bei führenden Lehrerverbänden – der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) – ist man ob des Bund-Länder-Zoffs jedenfalls erbost. Dabei sei doch das „Gebot der Stunde, den Pakt jetzt gut auszufinanzieren und ihn zu verstetigen“, verlautete von der GEW. „Deshalb fordern wir Bund, Länder und Kommunen auf, sich zum Wohle der Kinder endlich zu einigen und Schulen umfänglich, zuverlässig und nachhaltig auszustatten, sodass Deutschland nicht noch weiter von der weltweiten Entwicklung in der Digitalität abgehängt wird“, gab der VBE Bescheid. Wer braucht da noch die bezahlten Bitkom-Lobbyisten? Titelbild: Just dance/shutterstock.com[http://vg04.met.vgwort.de/na/6f23f6d79353451c900c23bbd1334aa1]
17. Mai 2024 - 12 min
episode Woker Lifestyle-Militarismus oder: Die GRÜNEN an der Macht – Ein Epitaph artwork
Woker Lifestyle-Militarismus oder: Die GRÜNEN an der Macht – Ein Epitaph
Die heutigen GRÜNEN haben mit der Partei, die 1983 in den Bundestag einzog, noch nicht mal mehr den Namen gemeinsam. Statt sich mit allen Kräften für ein Ende der Kampfhandlungen im Ukrainekrieg und für eine diplomatische Lösung einzusetzen, eskalieren sie fröhlich bis über die Schmerzgrenze hinaus. Von Leo Ensel mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge [https://globalbridge.ch/woker-lifestyle-militarismus-oder-die-gruenen-an-der-macht-ein-epitaph/]. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Liebe GRÜNE, eure Politik, die seit zweieinhalb Jahrzehnten nichts, aber auch gar nichts mehr mit euren friedensbewegten Wurzeln der Achtziger Jahre zu tun hat – was offenbar die Wenigsten zu stören scheint; ja, die Allerwenigsten überhaupt realisieren –, ist einfach nicht mehr zu ertragen. Sie schreit nach Widerspruch. Kurz und in klarer deutscher Prosa: Ich hoffe, ihr werdet zusammen mit der AFD bei den kommenden Europawahlen ein krachendes Desaster, euer Waterloo erleben! Überhaupt möchte ich euch schnellstmöglich auch im Bundestag wieder auf der wohlverdienten Oppositionsbank sehen. Und das sagt euch jemand, der euch 30 Jahre lang so treu und brav gewählt hat, wie dessen Eltern seinerzeit die CDU. Aber spätestens seit zehn Jahren ist damit Schluss. Kurz zu mir: Wie Hunderttausende andere Menschen bin ich in den Achtziger Jahren in Westdeutschland auf die Straße gegangen und habe gegen die Stationierung von atomar bestückten Mittelstreckenraketen demonstriert, die im sogenannten „Ernstfall“ innerhalb von acht Minuten alle größeren westlichen Städte der Sowjetunion dem Erdboden gleich gemacht, Millionen Sowjetbürger in Leichen verwandelt und im Gegenzug das atomare Inferno in Westeuropa provoziert hätten. Damals wart ihr unsere Hoffnung. Als ihr im Frühling 1983 erstmals in den Bundestag einzogt, wart ihr das Bein der Friedensbewegung im Parlament. Und ihr habt in dieser Zeit – das sei euch nach wie vor zugestanden – den Laden gehörig aufgemischt. Ökopax „Ökopax“ hieß das Zauberwort, es ist bezeichnenderweise längst vergessen, damals! Ökologie, der Kampf gegen die Zerstörung der Mitwelt und der Kampf für den Frieden, also für Abrüstung, die Überwindung der Machtblöcke und für eine Welt ohne Massenvernichtungsmittel, kurz: der Kampf gegen die Vernichtung allen Lebens auf unserem Planeten – sei es durch Krieg oder „friedlich“ – gehörte damals für euch, wie für alle Menschen, die in größter Unruhe waren, selbstverständlich zusammen. Allen war klar, dass dies ein und derselbe Kampf war, nur eben an unterschiedlichen Fronten. Das Gleiche galt für die Menschenrechte: Petra Kelly, sie trug dabei ein T-Shirt mit dem „Schwerter zu Pflugscharen“-Symbol der staatlich verfolgten DDR-Friedensbewegung, traf sich am 31. Oktober 1983 zusammen mit den grünen Bundestagsabgeordneten Gerd Bastian, Antje Vollmer, Lukas Beckmann und Otto Schily mit dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in Ostberlin – und anschließend mit oppositionellen Bürgerrechtlern. Im Mai desselben Jahres waren Kelly, Bastian und andere GRÜNE sogar kurzfristig verhaftet worden, als sie auf dem Alexanderplatz ein Transparent mit der Forderung „Abrüstung in Ost und West“ entrollten. Und später, im November 1987, protestierten sie gegen die Inhaftierung von Mitgliedern der Ostberliner Umwelt-Bibliothek. Mit einem Wort: Damals wart ihr unbestechlich und habt euch von keiner Seite vereinnahmen lassen. Lang, lang ist‘s her! Heute habt ihr mit der damaligen Partei noch nicht mal mehr den Namen gemeinsam. Ihr seid ein bis auf die Fassade komplett entkernter Altbau. Euer Ur-Sündenfall war eure von Joschka Fischer eingefädelte Zustimmung zum Kriegseinsatz deutscher Soldaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Frühjahr 1999, dem ersten seit dem Zweiten Weltkrieg – und gleich ohne völkerrechtliches Mandat. Nichts weniger als Auschwitz musste dafür herhalten, eure damals noch antimilitaristische Basis in den Krieg zu locken! Die Scham ist vorbei Heute habt ihr solch atemberaubende Salti Mortali nicht mehr nötig. Die Pazifisten und Rüstungskritiker in eurer Partei, ja, selbst die Befürworter eines Waffenstillstands in der Ukraine sind entweder tot, kaltgestellt, weggeekelt, altersmilde oder halten freiwillig den Mund. Und ihr seid wieder an den Hebeln der Macht: mit einer Außenministerin, die für die Menschenrechte über Leichen geht, und einem Vizekanzler, der vor dem saudiarabischen Kronprinzen und mutmaßlichen Kashoggi-Schlächter den Bückling macht. Aber statt UN-Charta und Völkerrecht bemüht ihr nur noch eine ominöse „regelbasierte Weltordnung“, die nirgends kodifiziert ist und offenbar kein Problem damit hat, die zivilen Opfer der aktuellen Kriege je nach Täter als „Kriegsverbrechen“ oder „Kollateralschaden“ [https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/muendige-buerger-sind-systemrelevant/] zu verbuchen. Immerhin sprecht ihr Klartext: Eure Außenministerin will Russland nicht etwa nur „ruinieren“ [https://www.merkur.de/politik/annalena-baerbock-zu-eu-sanktionen-das-wird-russland-ruinieren-91373782.html], she’s already „fighting a war against Russia“ [https://www.berliner-zeitung.de/news/ukraine-krieg-aussenministerin-annalena-baerbock-we-are-fighting-a-war-against-russia-li.310974]! Statt alles dafür zu tun, das wechselseitige Töten und Sterben in der Ukraine schnellstmöglich zu stoppen, liefert ihr euch zusammen mit FDP, CDU und Teilen der SPD einen schrillen Überbietungswettbewerb, was die Waffenlieferungen angeht. Ihr fallt eurem Kanzler, der zum ersten Mal Rückgrat zu beweisen scheint, mit euren Forderungen nach Taurus-Marschflugkörpern – mit denen die Ukraine immerhin den Kreml und russische Atomwaffendepots pulverisieren könnte – prompt in den Rücken, morgen werdet ihr solidarisch-tapfer auch noch „European boots on the ground!“ und „Germans to the front!“ fordern. Für Verhandlungen dagegen, für eine diplomatische Lösung macht ihr keinen Finger krumm. Die Folgen für die geschundene Ukraine, die gerade – auch mit den von euch geforderten und gelieferten Waffen – zu Tode verteidigt wird, in der weite Landstriche durch Minen, Uran- und Streumunition auf Jahrzehnte verseucht sind, wo die verbliebenen Soldaten auf Himmelfahrtskommandos geschickt werden und Zehntausende Menschen oder mehr bereits sterben mussten? Die Folgen für unser Land, von dem ihr laut Amtseid Schaden abzuwenden habt, das ihr aber im Worst Case in den Dritten Weltkrieg hineinzieht? – So what!! Let’s face it: Was Rüstung, Militär und Kriege angeht, seid ihr heute nichts Anderes als opportunistische Apologeten der Eskalation – die Partei des woken zeitengewendeten Lifstyle-Militarismus! Petra Kelly, Antje Vollmer und erst recht Heinrich Böll, dessen Namen ihr zu Unrecht schamlos für euch in Anspruch nehmt, rotieren im Grabe. Was Vielfalt ist, bestimmen wir! Unter eurer farbenfrohen Regenbogenfahne hat auch noch die skurrilste Inszenierung der exotischsten erotischen Neigung ihren Ehrenplatz – nur niemand, der sich für ein Schweigen der Waffen im Ukrainekrieg und Deeskalation mit Russland, immerhin eine Frage von Krieg und Frieden, nein: von Weiterleben und Untergang, einsetzt! Statt dessen belegt ihr die wenigen Politiker, Publizisten und Fachleute, die es noch wagen, sich für Diplomatie und Entspannung oder gar für ein Einfrieren des Ukrainekriegs einzusetzen, mit öffentlichem Bann, sorgt im Verbund mit den Leitmedien rigoros dafür, dass sie nichts mehr zu melden haben, grenzt sie aus, macht sie mundtot – und darauf seid ihr auch noch stolz! So sehen bei euch „Toleranz und Vielfalt“ aus. Und das schafft ihr spielend, denn ihr wart längst schon zu den heimlichen Machthabern dieser Gesellschaft avanciert, bevor ihr überhaupt wieder an die Macht kamt. Die Vierte Gewalt habt ihr kampflos erobert. Nahezu sämtliche relevanten Medien, bis tief in die einst so verachtete Springer-Presse, fressen euch aus der Hand. Sie sind eure Stichwortgeber und Claqueure zugleich. Und das hat Folgen: Heutzutage erfordert es erheblich mehr Mut und „Zivilcourage“, sich mit euch, die ihr euch für sakrosankt haltet, anzulegen, als den Papst zu beleidigen! Aber wo wart ihr, als der bedeutendste Abrüstungsvertrag der Weltgeschichte, der INF-Ver­trag – seinerzeit das unerwartet glückliche Resultat auch eures Engagements –, jämmerlich verreckte? Habt ihr damals oder gar im Vorfeld, als noch Zeit war, „Gesicht gezeigt“? Auch nur einen einzigen Mucks von euch gegeben? Ich kann mich nicht erinnern. Und warum betreibt ihr jetzt, wo es Spitz auf Knauf steht, nichts als Totalverweigerung in Sachen Diplomatie? Warum überlasst ihr alle dringendst gebotenen Aktivitäten Ländern wie Brasilien, Südafrika, China, Italien oder dem Vatikan? – Welch grandiose Leistung einer Partei, die ihre Wurzeln in der Friedensbewegung hat! „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ Euer pathologisch gutes Gewissen, eure gefühlte moralische Überlegenheit, die ihr wie eine Monstranz vor euch hertragt, euer inquisitorisches Insistieren auf dem allerneuesten politisch-koketten Schönsprech, eure fürsorgliche Bevormundung sämtlicher Minderheiten auf dem Planeten – die diese ungefragt über sich ergehen lassen müssen –, euer gesinnungsethisches Jakobinertum, kurz: eure toxische Selbstgerechtigkeit macht euch blind und unfähig zu erkennen, dass ihr mit eurem tollkühnen außenpolitischen Dilettantismus den Karren nur noch tiefer in den Dreck fahrt. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, heißt es in einem berühmten Buch! Was also sind eure Früchte? Was habt ihr erreicht mit eurer schrillen Rüstungs- und Sanktionsorgie, mit eurer vorgeblichen Menschenrechtspolitik? Habt ihr den Krieg in der Ukraine beendet? Ein einziges Menschenleben gerettet? In „Putins Russland“ einen zu Unrecht verurteilten Oppositionellen aus dem Gefängnis oder Lager befreit? Eine Organisation davor bewahrt, mit dem Etikett „ausländischer Agent“ kaltgestellt zu werden? Wenigstens den „Fall Nordstream“ aufgeklärt? Sorry, aber Realpolitik ist nichts für dünkelhafte Missionare, die mit Schwarzer Pädagogik Eingeborene bekehren wollen und noch bis in die letzte Körperzelle die Überzeugung ausstrahlen, dass an ihrem Wesen die Welt genesen soll! Nichts für oberlehrerhafte Entwicklungshelfer, die der anderen Seite beibiegen, wie es – angeblich – geht, zu gehen hat. Nein, Realpolitik – Politik, die wirklich etwas bewirken, sprich: zum Besseren wenden oder noch bescheidener: wenigstens das Schlimmste abwenden will und zwar mit den Akteuren, die die Politik tatsächlich bestimmen – funktioniert anders! Geräuschlos und schon gar nicht bekenntnishaft. Das berühmte „starke und langsame Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, das vorsichtige Knüpfen von Gesprächsfäden, das mühsame Abbauen von Misstrauen im Millimetertempo über lange Zeiträume hinweg, das umsichtige Ausloten des realen Handlungsspielraums der anderen Seite, das geduldige, extrem störungsanfällige Halten von Kontakten, namentlich zu Krisen-, gar Kriegszeiten, mit einem Wort: der Aufbau von belastbarem Grundvertrauen, ohne das nichts, aber auch gar nichts geht – all dies findet in geschütztem Rahmen, bestimmt aber nicht vor laufenden Kameras statt. Und es erfordert Profis, die ihr Fach beherrschen: Filigrane Feinmechaniker der Diplomatie. Menschen, die die andere Seite, ihre Interessen und ihre Werte, ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre Traumata und Tabus, aber auch ihren Stolz gut kennen und begierig sind, dies alles immer noch besser und tiefer zu verstehen. Personen, die bereit und in der Lage sind, sich probeweise in ihr Gegenüber, und sei es ihnen noch so fern, fremd oder gar unsympathisch, zu versetzen und die Welt aus dessen Perspektive wahrzunehmen. Persönlichkeiten, die sich nicht zu schade sind, zur Not als Reparaturarbeiter in die verstopften Kloaken der Politik abzutauchen, sie zu reinigen, sich, wenn es sein muss, gar mit dem „Teufel“ an einen Tisch zu setzen – und die über Souveränität und Rückgrat verfügen, öffentliche gesinnungsethische Prügel gelassen einzustecken. Zu Zeiten des (ersten) Kalten Krieges gab es solche Persönlichkeiten, wie unterschiedlich die jeweiligen Regierungskonstellationen auch aussehen mochten. Und sie waren mal höchst erfolgreich. Liebe GRÜNE, Hand aufs Herz: Habt ihr solche Menschen in euren Reihen? Titelbild: Screenshot Der Spiegel 29.04.2022
16. Mai 2024 - 14 min
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Hirngespinste und Hotspots: Baerbock in den Weiten des Indopazifiks
Der Besuch von Außenministerin Baerbock in Fidschi in der vergangenen Woche demonstrierte das Scheitern eines großen strategischen Entwurfs, nämlich das Scheitern der sogenannten werteorientierten Außenpolitik, einer Worthülse, welche die Tatsache zu verschleiern versucht, dass es weder in Berlin noch in Brüssel Ansätze einer eigenen außenpolitischen Doktrin gibt, welche den geopolitischen und geographischen Gegebenheiten gerecht wird. Von Ramon Schack. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Der Indopazifik ist als Aufmarschgebiet der Berliner Außenpolitik denkbar ungeeignet – gerade in einem Zeitalter, in dem Europa von schwelenden und offenen geopolitischen Brandherden umrundet ist. Diese Konflikte, nicht selten das Ergebnis verfehlter westlicher Strategien unter Führung der USA, werden jetzt von einer globalen Überdehnung übertrumpft, in der Frau Baerbock auf Fidschi als Vertreterin der US-Außenpolitik fungierte. Es war der indische Marinestratege Gurpreet S. Khurana, der Anfang 2007 den Begriff „Indopazifik“ erfand und in die geopolitische Debatte brachte. Inzwischen wurde diese Begrifflichkeit – ganz zum Entsetzen des Urhebers – umgedeutet. Eine geostrategische Brücke zwischen Indischem Ozean und Pazifik Die Wortschöpfung geschah mit dem Ziel, den indischen Subkontinent mit seiner zweitgrößten Bevölkerung weltweit strategisch mit den Boom-Regionen Ostasiens am Pazifik in Verbindung zu bringen, was den Anspruch Indiens unterstreichen sollte, der Volksrepublik China auf dem Weg zum Status einer Weltmacht zu folgen. Keine Kartenkunde im Auswärtigen Amt? Ja, man kann den Eindruck gewinnen, im Auswärtigen Amt hätte man schon lange keine Kartenkunde mehr betrieben, denn in dem Text auf der Homepage las man diesbezüglich: > „Geopolitische Machtverschiebungen im Indopazifik haben auch unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland: Die Volkswirtschaften im europäischen und im indo-pazifischen Raum sind durch globale Lieferketten eng miteinander vernetzt. Wichtige Handelsrouten führen durch den Indischen Ozean, das Südchinesische Meer und den Pazifik. Wenn Konflikte in der Region die Sicherheit und Stabilität dort beeinträchtigen, hat das auch für Deutschland Folgen.“ Ja, es hat vor allem für Deutschland Folgen, wenn in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Sicherheit und Stabilität gefährdet sind, wenn durch falsche außenpolitische Ansätze, durch transatlantische Nibelungentreue neue Brandherde geschaffen werden, wenn auf Geheiß Washingtons die EU ihr Verhältnis zu Russland und zu China belastet, ja, wenn durch deutsche und westliche Rüstungsfirmen Konflikte angeheizt werden – aber auf solche Formulierungen verzichtet man im Auswärtigen Amt dann doch lieber. Baerbocks Visite unter der Sonne der Südsee war also nicht von diplomatischen Rahmenbedingungen geprägt, sondern von der Anmaßung, den Einfluss der Volksrepublik China vor Ort zurückzudrängen. Dass dies im strategischen Interesse der USA liegt, versteht sich von selbst, weshalb die deutsche Außenministerin auch über ihr Amt verlautbaren ließ, dass in Fidschi das Pacific Islands Forum (PIF) ansässig sei, eine Regionalorganisation, weshalb die Stadt auch in diplomatischen Kreisen als „Brüssel des Pazifiks“ tituliert wird. Baerbock selbst sprach von Fidschi als „Hotspot der Geopolitik“, bezogen auf den Machtkampf mit China, was umso vermessener klingt, wenn man bedenkt, dass die ukrainische Front am Zusammenbrechen ist. Die rechten Grünen Diese Hirngespinste werden in der Volksrepublik inzwischen mit markigen Worten bedacht. In chinesischen Medien werden die deutschen Grünen inzwischen als „weit rechts stehend“ tituliert [https://www.globaltimes.cn/page/202405/1311758.shtml], was bezüglich deren außenpolitischen Vorgehensweisen nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Titelbild: Shutterstock / wasiolka Mehr zum Thema: Weltweiter Ansehensverlust der deutschen Diplomatie und die Vogel-Strauß-Taktik des Auswärtigen Amts [https://www.nachdenkseiten.de/?p=114601] „Kulturwandel“ im Auswärtigen Amt: Baerbock will, dass deutsche Diplomaten mehr auf Social Media gegen Russland und China austeilen [https://www.nachdenkseiten.de/?p=103079] Die Infantilisierung der deutschen Außenpolitik: Botschafterin in der Ukraine posiert mit „Kuschel-Leo“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=95404]
15. Mai 2024 - 5 min
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Verfassungsrechtler: „Was wir während der Coronakrise erlebt haben, war eines Rechtsstaats nicht würdig“
„Während Corona haben wir die extremsten Grundrechtseinschränkungen gesehen, die es in der Bundesrepublik bisher gegeben hat. Die Richter hätten sehr kritisch und sehr genau hinschauen müssen, was die staatlichen Institutionen machen. Sie hätten Rote Linien der Freiheit ziehen müssen. Das hätte eine Signalwirkung für die anderen Gerichte gehabt. Stattdessen haben sie unkritisch fast alle staatlichen Maßnahmen mit dem Stempel der Verfassungsmäßigkeit versehen.“ – mit diesen Worten äußert sich der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler [https://twitter.com/NeBoehme] im Interview mit den NachDenkSeiten. Scharf kritisiert er das Bundesverfassungsgericht, aber auch generell die Justiz im Hinblick auf die „Corona-Rechtsprechung“. Boehme-Neßler [https://twitter.com/terran_liberty/status/1766903172507869269] spricht von einem „Verrat am Gedanken des Rechtsstaats“. Der Rechtswissenschaftler hält außerdem die Impfpflicht bei der Bundeswehr für „verfassungswidrig“ und fordert eine Aufarbeitung die Justiz betreffend. Von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Marcus Klöckner: Herr Boehme-Neßler: Wo war das Recht in der Coronakrise? Volker Boehme-Neßler: Es war nicht da, wo es gebraucht wurde. Das Recht war teilweise faktisch außer Kraft gesetzt. Vor allem die Gerichte haben ihre Aufgabe nahezu nicht erfüllt. Was wir während der Coronakrise erlebt haben, war eines Rechtsstaats nicht würdig. Die Idee des Rechtsstaats ist ja: Das Recht gilt immer, auch und gerade in der Krise. Das haben wir leider anders erlebt. Viele Bürger, die die Maßnahmen kritisch betrachtet haben, sprechen immer wieder auch das Verhalten der Justiz an. Lassen Sie uns bitte genauer auf die Gerichte und die Vertreter der Gesetze schauen. Wie hätten sich denn aus Ihrer Sicht die Gerichte verhalten müssen? Was wäre der grundlegende Weg gewesen? Die Gerichte hätten die Aufgabe erfüllen müssen, die sie im Rechtsstaat haben. Nämlich? Sie müssen prüfen, ob das Recht eingehalten wird. Ist das, was geschieht, mit dem geltenden Recht vereinbar? Das ist die Frage, die Gerichte klären müssen, wenn sie von Bürgern angerufen werden. Und das war nicht der Fall? Was hätten die Gerichte noch tun müssen? Die Gerichte hätten in jedem einzelnen Fall akribisch und konkret prüfen müssen, ob die einschlägigen Rechtsnormen eingehalten werden. Das gilt für jedes Rechtsgebiet. Sie hätten etwa im Arbeitsrecht in den vielen konkreten Fällen, die ihnen zur Entscheidung vorlagen, prüfen müssen, ob alle coronabedingten Maßnahmen der Arbeitgeber rechtmäßig waren. In der Arbeitswelt gab es zahllose, nicht selten an die Existenz gehende Konflikte. Da wären Arbeitsgerichte mit abgewogenen Konfliktlösungen sehr nötig gewesen. Sie hätten – anderes Beispiel – im Verwaltungsrecht alle Coronamaßnahmen der staatlichen Behörden auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen müssen. Viel zu oft haben sich die Richter darauf beschränkt, staatliche Maßnahmen völlig unkritisch als rechtmäßig anzusehen. Können Sie ein Beispiel anführen? Behörden haben fast routinemäßig Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen verboten – ein harter Eingriff in die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit der Bürger. Das haben Verwaltungsgerichte viel zu oft und viel zu voreilig als rechtmäßig akzeptiert. Wie sieht es denn mit dem Bundesverfassungsgericht aus? Da sprechen Sie ein ganz wichtiges und sensibles Thema an. Der Fisch stinkt vom Kopf her, sagt man. Das zeigt sich auch hier wieder. Das Bundesverfassungsgericht ist das oberste deutsche Gericht. Es prägt natürlich die gesamte Justiz. Es legt die Verfassung aus. Damit macht es Vorgaben für alle Gerichte. Das Gericht in Karlsruhe sieht sich selbst als „Hüter der Verfassung“. Es passt auf, dass die Verfassung durch staatliches Handeln nicht beschädigt wird. In der Coronazeit wäre es deshalb seine Aufgabe gewesen, die staatlichen Coronamaßnahmen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Diese Aufgabe hat es – leider – während der Coronakrise nicht erfüllt. Während Corona haben wir die extremsten Grundrechtseinschränkungen gesehen, die es in der Bundesrepublik bisher gegeben hat. Die Richter hätten sehr kritisch und sehr genau hinschauen müssen, was die staatlichen Institutionen machen. Sie hätten Rote Linien der Freiheit ziehen müssen. Das hätte eine Signalwirkung für die anderen Gerichte gehabt. Stattdessen haben sie unkritisch fast alle staatlichen Maßnahmen mit dem Stempel der Verfassungsmäßigkeit versehen. Das hatte dann eine entsprechende Signalwirkung für die unteren Instanzen der Justiz und erklärt die repressive Rechtsprechung der unteren Instanzen. Was haben Sie auf der juristischen Ebene im Hinblick auf die „Coronarechtsprechung“ beobachtet? Ich habe vor allem Angst gespürt und beobachtet. Fast kein Gericht wollte etwas riskieren. Ich hatte den starken Eindruck, dass auch in der Justiz – wie in anderen Teilen der Gesellschaft – unausgesprochen der Ausnahmezustand herrschte. Die Richter haben sich mehr als loyale Staatsdiener gesehen statt als unabhängige und kritische Richter. Kein Richter wollte riskieren, durch ein freiheitsfreundliches Urteil möglicherweise Ansteckungen zu fördern. Keiner wollte in der Ecke der „Querdenker“ oder „Coronaleugner“ landen. Angst verhindert klares und rationales Denken – und sie macht streng, freiheitsfeindlich und rigide. Wie für den großen Teil der Gesellschaft galt das auch für die Justiz. Das soll eigentlich die Stärke der Gerichte sein: rational analysieren und präzise Problemlösungen auf der Grundlage des geltenden Rechts entwickeln. Dadurch schützen sie die Freiheit der Bürger, wie sie die Gesetze garantieren. In der Coronazeit habe nicht nur ich fast ausnahmslos Angsturteile beobachtet, die im Zweifel repressiv die Einschränkung der Freiheiten gerechtfertigt haben. Wie erklären Sie sich das? Warum haben Gerichte sich so verhalten? Richter sind auch nur Menschen und können sich dem allgemeinen Klima in der Gesellschaft nicht entziehen. Wenn wir uns erinnern: Das gesellschaftliche Klima war geprägt von Angst und Hysterie. Das berüchtigte Angst-Papier aus dem Bundesinnenministerium vom März/April 2020 belegt, dass diese Angst von der Spitzenpolitik bewusst und permanent geschürt wurde. Gleichzeitig wurden auch Kritiker bösartig stigmatisiert und brutal ausgegrenzt. Das hat natürlich auch verhindert, dass Gerichte genau hingeschaut und staatskritisch geurteilt haben. Man brauchte schon viel Mut und Standhaftigkeit, um in diesen Zeiten kritisch aufzutreten, auch als Richter. Können Sie an einem Beispiel zusammengefasst aufzeigen, wo konkret Sie die Rechtsprechung kritisieren? Vielleicht am Beispiel des Bundesverfassungsgerichts, Stichwort „Bundesnotbremse“? Die beiden Beschlüsse zur Bundesnotbremse vom November 2021 zeigen deutlich, welche Defizite die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Coronakrise hat. Im Verfassungsrecht geht es oft um Abwägungen zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern. Hier musste abgewogen werden zwischen der Gefahr durch das Virus für die Allgemeinheit einerseits und den Freiheitseinschränkungen für die Einzelnen andererseits. Auffällig ist, dass das Gericht die Abwägungen des Gesetzgebers kaum nachprüft. Es räumt der Politik einen weiten „Beurteilungsspielraum“ ein, mit anderen Worten: Es hält sich raus. Das ist normalerweise anders. Ungewöhnlich ist auch, wie auffällig selektiv und erschreckend oberflächlich das Gericht die wissenschaftlichen Informationen zur Pandemie rezipiert und in den Urteilen verarbeitet. Normalerweise bringt sich das Gericht vor seinen Entscheidungen akribisch auf den aktuellen Stand des relevanten Wissens – hier überhaupt nicht. Auch hier wieder: Das Gericht steigt nicht wirklich in die Thematik ein und hält sich raus. Deshalb hört es in diesen Verfahren zur Bundesnotbremse vor allem Sachverständige und Experten, die die Linie der Bundesregierung stützen. Kann man sagen, dass es in der Coronakrise oftmals keine Rechtsprechung im Sinne des Rechts mehr gegeben hat, sondern eine Rechtsprechung im Sinne der Politik? Etwas zugespitzt kann man das sagen. Die Aufgabe gerade der Verwaltungsgerichte und des Verfassungsgerichts ist, die Politik und die staatlichen Behörden zu kontrollieren. Das haben die Gerichte in der Coronakrise viel zu selten gemacht. Dadurch haben sie letztlich die repressiven Maßnahmen der Behörden unterstützt. Das ist ein Verrat am Gedanken des Rechtsstaats. Die Idee des Rechtsstaats ist nämlich gerade, die (politische) Macht durch das Recht zu begrenzen. Das funktioniert aber nur, wenn wir unabhängige Gerichte und Richter mit Zivilcourage haben. Was heißt es für eine Demokratie, was heißt es für einen Rechtsstaat, wenn Bürger spüren, dass sie bei schwersten Grundrechtseingriffen kaum noch rechtliches Gehör finden? Ich denke, dass dieses Verhalten der Gerichte den Rechtsstaat schwer beschädigt hat. Grundrechte sollen ja die Freiheit der Bürger garantieren. Dazu gehört natürlich auch, dass Gerichte den Bürgern im Konfliktfall helfen, ihre Grundrechte gegen den übergriffigen Staat durchzusetzen. Wie soll man denn im Rechtsstaat Grundrechte ohne Gerichte durchsetzen? Grundrechte, die nur auf dem Papier stehen, sind nichts wert. Das Verhalten der Justiz hat das Vertrauen in den funktionierenden Rechtsstaat heftig erschüttert. Das wird Spätfolgen haben, die wir noch gar nicht absehen können. Schon jetzt zeigen Umfragen, dass das Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Institutionen abgenommen hat – und immer weiter abnimmt. Eine ganze Weile stand die Corona-Impfpflicht im Raum. Auch wenn die allgemeine Corona-Impfpflicht abgelehnt wurde: Von staatlicher Seite wurde ein massiver Impfdruck erzeugt. Bürger waren aufgrund bestimmter Lebenssituationen regelrecht gezwungen, sich der Corona-Impfung zu unterziehen. Eine Weigerung hätte für manche schwere Folgen nach sich gezogen: Verlust des Arbeitsplatzes, ökonomischer Zusammenbruch. Nun wissen wir: Diese Impfung war nicht „nebenwirkungsfrei“. Wir hören in Medien von schwersten Nebenwirkungen bis hin zum Tod. Wie bewerten Sie im Hinblick auf diese Schadensfälle das Verhalten des Staates? Der Impfdruck war extrem. Daran sind Menschen zerbrochen. Und unzählige Menschen haben sich impfen lassen, obwohl sie das nicht wirklich wollten. Wir haben in dieser Zeit nicht den demokratischen Rechtsstaat gesehen, den die Verfassung will. Wir waren stattdessen mit einem autoritären Obrigkeitsstaat konfrontiert, der Ängste geschürt, Maßnahmen ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt und Kritiker ausgegrenzt hat. Das Problem ist: Es geht so ähnlich weiter. Als Wiedergutmachung wäre es angebracht, wenn der Staat wohlwollend und großzügig für die teilweise furchtbaren Impfschäden entschädigt. Davon ist nichts zu sehen, ganz im Gegenteil. Impfgeschädigte müssen mit zahllosen bürokratischen Hindernissen kämpfen und sich durch die Instanzen klagen. Das zeugt nicht von Einsicht bei den staatlichen Akteuren, eher von Vertuschung durch Bürokratie. Gestatten Sie mir, die Frage zu präzisieren. Durften verantwortliche Politiker, durfte „der Staat“ so vorgehen, wie er vorgegangen ist? Bei Lichte betrachtet konnte der Staat Nebenwirkungen und Langzeitfolgen der Impfung nicht ausschließen, im Gegenteil: Er hätte meines Erachtens geradezu wissen müssen, dass es zu Schäden kommen wird. Was ist hier passiert? Hat hier der Staat Leben gegen Leben aufgewogen? Hat hier der Staat bewusst die Schädigung des Lebens von zumindest einigen Staatsbürgern in Kauf genommen, um – so der Tenor – doch das Leben „von vielen“ zu schützen? Wie sieht diesbezüglich eine rechtliche Würdigung aus? Der Staat hat die Schädigung einiger Staatsbürger in Kauf genommen, um das Leben von vielen zu schützen. Das war die offizielle Linie. Das Problem dabei ist: Der Staat hätte wissen müssen, dass die Sachlage nicht so eindeutig ist, wie er sie kommuniziert. Die maßgebenden Politiker waren nicht immer ehrlich. In der von Angst und Hysterie geprägten Stimmung galt die Impfung als der Königsweg aus der Pandemie. Man konnte schon damals wissen, dass das eine falsche Hoffnung war. Die Politik war aber schon auf dem autoritären Weg, die Bürger unter Druck zu setzen und zu zwingen. Sie wollte – aus welchen Gründen auch immer – diese Strategie nicht mehr ändern. Das ging maßgeblich auf die damalige Bundeskanzlerin Merkel zurück. (Fast) alle Spitzenpolitiker waren sich mit ihr einig. Die Politik wollte den autoritären Weg gehen und die Bürger zwingen. Das war nicht wirklich demokratisch. In der Demokratie hätte man einen vernünftigen und maßvollen Weg gehen und die Bürger zutreffend informieren müssen. Man hätte um Zustimmung für die Corona-Politik werben müssen. Der autoritäre und manipulative Ansatz war in meinen Augen der grundsätzliche und schlimme Fehler des Staates in der Pandemie. Ich habe Anfang 2022 ein Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer allgemeinen Impfpflicht veröffentlicht. Darin komme ich klar zum Ergebnis: Eine allgemeine Impfpflicht wäre verfassungswidrig gewesen. Und die existierenden (Teil-)Impfpflichten waren und sind verfassungswidrig. Also meine Antwort ist klar: Der Staat durfte so nicht handeln. Der Druck, der auf die Bürger ausgeübt wurde, entsprach faktisch fast einer rechtlichen Pflicht zur Impfung. Es war sozusagen eine „Impfpflicht durch die Hintertür“. Das war verfassungswidrig. Karl Lauterbach schrieb im August 2021 in einem Tweet auf der Plattform Twitter (jetzt X) Folgendes: „Und zusätzlich geht es darum, weshalb eine Minderheit der Gesellschaft eine nebenwirkungsfreie Impfung nicht will, obwohl sie gratis ist und ihr Leben und das vieler anderer retten kann.“ Was sagt der Jurist in Ihnen dazu? Die Aussage war schon nach dem damaligen Wissensstand völlig falsch, und der Minister wusste das. Jedenfalls hätte er es wissen können und müssen. Der Verfassungsjurist in mir ist schockiert, dass ein herausragender Vertreter des demokratischen Rechtsstaats – ein Bundesminister – solche massiv falschen Behauptungen aufstellt. Und er findet es verstörend, dass dieser Mann immer noch im Amt ist. Der Politikwissenschaftler in mir allerdings wundert sich nicht. Dass die Wahrheit in der Politik nicht das Wichtigste ist, ist nicht wirklich neu. Wie blicken Sie auf die noch immer geltende Corona-Impfpflicht bei der Bundeswehr? Ich halte diese Impfpflicht bei der Bundeswehr für verfassungswidrig. Sie muss sofort abgeschafft werden. Es ist eine Schande, dass sie immer noch besteht. Es gibt immer mehr Informationen darüber, dass die Impfung nur eine sehr begrenzte Wirkung hat, gleichzeitig aber zahlreiche schwere Nebenwirkungen. Abgesehen davon ist klar, dass das Virus viel von seinem Schrecken verloren hat. Vor diesem Hintergrund ist mir völlig unverständlich, wie man die Soldaten und Soldatinnen zu einer Impfung zwingen kann, die ein tiefer Eingriff in ihre Gesundheit ist. Sie verletzt die Grundrechte der Soldaten. Und es erschreckt mich, wie sehr der Verteidigungsminister seine Fürsorgepflicht vernachlässigt, die er gegenüber seinen Soldaten hat. Wir haben bis jetzt weitestgehend über das Geschehen in den vergangenen Jahren gesprochen. Lassen Sie uns den Fokus auf die aktuelle Zeit richten. Wie sieht es denn nun aus? Noch immer laufen ja Verfahren wegen Verstößen gegen die Coronamaßnahmen. Verfolgen Sie die aktuelle Rechtsprechung? Was fällt Ihnen auf? Ich verfolge nicht akribisch die gesamte aktuelle Rechtsprechung. Aber es häufen sich Berichte über Urteile, die jetzt im Nachhinein Coronamaßnahmen kritischer sehen und aufheben. Das macht mich vorsichtig optimistisch. Vielleicht fangen die Gerichte an, ihre Corona-Schockstarre und ihre Staatsfixiertheit zu überwinden. Das wäre wenigstens ein Anfang. Aber schockierend ist, dass Behörden immer noch mit allen rechtlichen Mitteln Bußgelder wegen Verstößen gegen Coronaregeln eintreiben. Ein Beispiel: Man weiß, dass Maskenpflichten weitgehend sinnlos waren. Trotzdem werden immer noch Ärzte vor Strafgerichten angeklagt und verurteilt, weil sie – angeblich – falsche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt hätten. Ein Amtsrichter aus Weimar steht wegen Rechtsbeugung vor Gericht. Sein Vergehen: Er hatte 2021 verfügt, dass die Kinder in zwei Schulen keine Masken tragen müssten. Staatliche Behörden treiben immer noch Bußgelder von Bürgern ein, die das Maskentragen verweigert hatten. Rein formalrechtlich mag das alles vielleicht gehen, aber politisch und psychologisch ist das verheerend. Slowenien geht einen anderen Weg. Dort werden Corona-Bußgelder zurückgezahlt. Das wäre auch in Deutschland ein guter Anfang auf dem Weg zur Aufarbeitung der Pandemie und zur Versöhnung der Gesellschaft. Aus meiner Sicht wäre auch eine generelle Amnestie für „Corona-Taten“ ein wichtiger Schritt, das Unrecht, das in der Pandemie geschehen ist, wiedergutzumachen. Das Cannabis-Gesetz zeigt, dass solche Amnestien möglich sind, wenn man politisch will. Derzeit wird viel über das Thema Aufarbeitung gesprochen. Wie denken Sie über eine Aufarbeitung im Hinblick auf die Rechtsprechung? Bedarf das Verhalten der Justiz einer eigenen Aufarbeitung? Selbstverständlich muss auch die Rolle der Justiz in der Coronakrise aufgearbeitet werden. Es braucht akribische und detaillierte Forschung, warum die Justiz so staatsfromm, so wenig kritisch war. Und man muss darüber diskutieren, wie man in Zukunft verhindert, dass Gerichte in einer Krise ihre Kontrollaufgaben vergessen. Dazu braucht es eine doppelte Aufarbeitung – eine interne und eine externe. Die Justiz muss selbst einen Beitrag leisten. Ein selbstkritisches Reflektieren des eigenen Verhaltens könnte eine heilsame Wirkung innerhalb der Justiz entfalten. Das wird aber aus naheliegenden Gründen nicht ausreichen. Die Rolle der Justiz muss auch von anderen Instanzen der Gesellschaft aufgearbeitet werden. Das wären etwa die Politik, die Gesellschaft, die Historiker und nicht zuletzt die Rechtswissenschaft. Das wäre doch bestimmt eine Mammutaufgabe. Wie könnte eine Aufarbeitung im Bereich der Justiz ablaufen? Aufarbeitung ist in allen Bereichen der Gesellschaft nötig – nicht nur in der Justiz, sondern natürlich auch in der Politik, den Medien, der Wissenschaft und der Medizin. Und in allen Bereichen ist es eine Mammutaufgabe. Das liegt weniger daran, dass unglaublich viele Informationen gesammelt, analysiert und bewertet werden müssten. Die Aufarbeitung ist vor allem deshalb schwierig, weil es weite Kreise in Politik und Gesellschaft gibt, die keine Aufarbeitung wollen. Viele der damaligen Entscheider sind noch im Amt. Sie wollen sich – fast hätte ich gesagt: natürlich – nicht der Kritik stellen. Und auch die meisten Mitläufer wollen keine Aufarbeitung. Sie haben ja bei der maßlosen, nicht selten brutalen Ausgrenzung der Kritiker und der Ungeimpften mitgemacht. Das war kein gutes Verhalten. Das möchte sich keiner eingestehen. So ist die Lage natürlich auch in der Justiz. Die Richter, die während der Coronakrise geurteilt haben, sind immer noch im Amt. Sie müssten ihre eigenen Fehler und Schwächen offenlegen und analysieren. Das macht die Aufarbeitung schwierig. Hoffentlich gibt es Impulse zur Aufarbeitung auch innerhalb der Justiz. In jedem Fall müssen sich aber die Gesellschaft und die Politik von außen mit der Rolle der Justiz in der Pandemie beschäftigen. Jens Spahn hat gesagt, in Sachen Aufarbeitung dürfe es keinen „Querdenkergerichtshof“ geben. Sind Sie auch für eine Aufarbeitung in Bezug auf die Politik? Wie könnte eine Aufarbeitung, die dem Namen gerecht wird, aussehen? Es gibt sehr zu denken, dass Jens Spahn weiter die böse Ausgrenzungsvokabel „Querdenker“ benutzt. Das zeigt, dass es ihm nicht um echte Aufarbeitung geht. Selbstverständlich muss es eine schonungslose Aufarbeitung auch in der Politik geben. Man muss – nur als Beispiel – darüber sprechen, warum Angela Merkel und die anderen Spitzenpolitiker eine dezidierte Angst-Politik betrieben haben. Warum wurden die Bürger von der Politik permanent in Angst und Schrecken versetzt? In einer Demokratie wäre es angemessen gewesen, die Bürger vernünftig zu informieren und von rationalen Maßnahmen und Lösungen zu überzeugen. Wieso haben große Teile der Politik so sehr gegen Kritiker und ungeimpfte Bürger gehetzt? Das passte nicht zur Demokratie des Grundgesetzes. Das hat Spätschäden verursacht, die wir noch gar nicht alle übersehen können. Selbstverständlich muss auch die Rolle von konkreten Personen untersucht und aufgearbeitet werden. Dabei ist sicherlich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Schlüsselfigur. Auch ihre Rolle muss schonungslos und akribisch analysiert und bewertet werden. Im demokratischen Rechtsstaat geht es nicht um Rache, aber um Verantwortlichkeit und Schuld schon. Titelbild: r.classen/shutterstock.com[http://vg05.met.vgwort.de/na/6d7b2db0007c44388501f1f2e529b877]
15. Mai 2024 - 22 min

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