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In einer Zeit, in der der Debattenraum zunehmend schrumpft und polarisiert ist, haben Verlage eine besondere Verantwortung, für offene Diskursräume einzutreten. Markus Johannes Karsten, Verleger des Westend Verlags, setzt mit seinem Programm genau auf diese Vielfalt. Unter dem Motto Bücher für die Wirklichkeit bringt er gesellschaftskritische und auch „umstrittene“ Autoren und Inhalte in den Buchmarkt. Ein aktuelles – und vielleicht überraschendes – Beispiel für diese Haltung des Westend Verlags ist die Veröffentlichung von Ulf Poschardts Buch „Shitbürgertum [https://westendverlag.de/Shitbuergertum/2312]“, das dadurch jetzt im regulären Buchhandel erhältlich ist, nachdem es von seinem ursprünglichen Verlag fallen gelassen wurde. Maike Gosch sprach im Interview mit Markus Johannes Karsten über Cancel Culture, Debattenraum und Meinungsfreiheit. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Maike Gosch: Herr Karsten, Sie haben mit dem Westend Verlag das Buch „Shitbürgertum“ des prominenten Medienmanagers und Autors Ulf Poschardt veröffentlicht, das zuvor nur im Selbstverlag erhältlich war, nachdem es vom ursprünglichen Verlag des Autors als zu polemisch abgelehnt wurde. Was glauben oder wissen Sie über die Beweggründe des vorigen Verlags zu Klampen, das Buch aus dem Programm zu nehmen? Und was hat Sie selbst bewogen, dieses Buch in Ihr Programm aufzunehmen? Markus Johannes Karsten: Über die Beweggründe von zu Klampen kann ich relativ wenig sagen. Es war so, dass in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Anfang Januar ein Artikel erschien, in dem zu lesen war, dass ein Buch von Ulf Poschardt nicht wie geplant erscheinen wird. Man konnte – so meine ich, mich zu erinnern – herauslesen, dass etwas an dem Manuskript dem zu Klampen Verlag nicht gepasst hatte oder nicht so war, wie sie es sich vorgestellt hatten, und das Buch daher nicht dort erscheinen würde. Jetzt liegt es natürlich in der heutigen Zeit nicht allzu fern, anzunehmen, dass Poschardt eben Sachen geschrieben hatte, die dem Verlag nicht politisch korrekt genug erschienen. Dass Ulf Poschardt nicht so ganz die DNA des Westend-Programmes trifft, das hatten wir angenommen, aber wenn der Text eines Autors, der auch Herausgeber einer bedeutenden Mediengruppe ist, nicht erscheinen soll, kann das aus meiner Sicht nicht daran liegen, dass er etwas geschrieben hat, das nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist, sondern dass dies andere Gründe hat. Und dann hatte ich oder wir einfach den Impuls, ihn anzurufen und zu sagen: „Also, wenn die es nicht machen wollen, dann machen wir es.“ Diese Entscheidung trafen Sie noch, bevor sie es gelesen hatten? Ja, ohne es gelesen zu haben. Es war ja noch nicht auf dem Markt. Es war nur der Reflex, zu sagen: Das kann nicht sein, dass Poschardt hier aus dem Debattenraum ausgeschlossen werden soll, so sah es für mich zumindest aus. Ob es so gewesen ist, weiß ich natürlich nicht. > „Wir bringen das und werfen es wieder in den Debattenraum rein.“ Und wir haben ihn dann kontaktiert und gesagt: „Wir würden das machen.“ Es ist ja viel von Debattenkultur, Demokratie und Meinungsfreiheit und vom „man muss mit allen reden“ die Rede. Dann muss man eben auch mal, wenn so etwas passiert, einspringen und sagen: Wir bringen das und werfen es wieder in den Debattenraum rein. Genau so haben wir im vorliegenden Falle gehandelt. Wir haben dann im Januar die Nachricht aus Berlin bekommen, dass Herr Poschardt für sein Buch jetzt schon eine andere Lösung gefunden hätte – aber man könne ja in Kontakt bleiben für weitere folgende Publikationen. Kurze Zeit später, etwa Ende Januar, erschien das Buch dann bei Amazon. Das heißt, es war bei Amazon erhältlich – und nur bei Amazon – und eroberte da sofort Verkaufsrang 1, und das drei Wochen lang. Das ist relativ ungewöhnlich für ein politisches Sachbuch. Und ich vermute mal, dass Herr Poschardt nichts an dem Buch geändert hat, wie zu Klampen das wollte, und damit eben Erfolg hatte. Dann kamen die Bundestagswahlen, und das Buch war immer noch sehr stark im Gespräch. Ich hatte das Buch auch inzwischen gelesen, ihm erneut geschrieben und gesagt: „Also, wenn das Buch so einen enormen Anklang findet, dann sollte es doch auch über den Buchhandel verfügbar sein, und zwar von Rügen bis Bozen, also im gesamten deutschsprachigen Raum.“ Um nachhaltig Diskussionen und Debatten anzustoßen, ist es schon notwendig, dass ein Buch auch im stationären Buchhandel erhältlich ist und nicht nur im Internet. Deswegen sind wir erneut auf Ulf Poschardt zugegangen und haben ihm vorgeschlagen, nun auch eine Buchhandelsausgabe zu veröffentlichen. Kurz danach trafen wir uns in Berlin, das war Ende März, und schon am 22. April lag das Buch überall im Handel. Inzwischen seien auch andere Verlage auf Poschardt zugegangen. Er wollte das Buch aber mit uns machen – weil wir sehr früh schon, bevor das Buch erfolgreich war, gesagt hatten, wir würden es veröffentlichen, eben aus der Motivation heraus, den Debattenraum groß und weit zu halten. Eine Woche nach Erscheinen ist der Titel bei der einschlägigen Bestsellerliste, die uns allen bekannt ist, auf Platz drei eingestiegen, von null auf drei, wohlgemerkt. Und was für eine Wirkung erhoffen Sie sich von dem Buch oder von seiner Veröffentlichung? Wir machen in der Regel keinen Abgleich: Gibt es eine bis ins Kleinste ausformulierte Programmbeschreibung des Westend-Verlages und passt ein Buch genau da rein? Wir machen nicht zwingend Bücher, die uns gefallen oder mir gefallen, das natürlich schon, aber das eigentlich Entscheidende ist: Gibt es ein Thema, das öffentlich besprochen werden soll, gibt es einen Beitrag, der in den Debattenraum soll, ja, muss? Das war ja schon zum Teil geschehen, als es bei Amazon so stark bestellt wurde und gekauft wurde, was ja zeigt, dass dieses Buch auf ein größeres Interesse stößt. Und ich verspreche mir von der Veröffentlichung, dass – auch wenn das, was dort steht, an der einen oder anderen Stelle forciert formuliert ist – sich mit den Thesen von Herrn Poschardt auseinandergesetzt wird. Der Westend Verlag setzt sich ja nach eigener Aussage für alternative Sichtweisen und neue Perspektiven ein, die im „Mainstream“ zu wenig Raum oder kein Forum bekommen. Sehen Sie das auch bei diesem Buch gegeben, also jenseits von der Ablehnung durch zu Klampen? Der Autor selbst hat ja objektiv eine sehr große Meinungsmacht und eigentlich auch ein sehr großes Forum durch seine Prominenz und berufliche Position in der Medienwelt. Und man könnte auch argumentieren, dass seine Position oder die Thesen, die er in dem Buch vertritt, selbst wenn nicht Teil des links-grünen, aber doch des liberal-rechten Mainstream-Spektrums sind, also mitnichten eine marginale Position sind. Tatsächlich habe ich ihn in der vergangenen Woche noch selbst in Berlin getroffen, und auf dem Weg habe ich auch einen Beitrag von ihm in der Welt gelesen. Er kann mehr oder weniger, wenn er will, jeden Tag mit seiner Meinung reichweitenstark aufwarten und erreicht ein gewisses Publikum, und in diesen Meinungsbeiträgen schimmert natürlich auch immer wieder durch, was er auch in dem Buch sagt und beschreibt. Ein Buch kann unbestritten ausführlicher und nuancierter sein. > „Man muss erstmal ein Diktat als ein Diktat erkennen, > bevor man sich dann von diesem befreien kann.“ Man muss erstmal ein Diktat als ein Diktat erkennen, bevor man sich dann von diesem befreien kann und wieder stärker dahin kommt, dass sich in einem Debattenraum, in der Öffentlichkeit, über politische Sachverhalte gestritten werden darf. Die ganze Welt redet von Demokratie und davon, wie wichtig es ist, dass alle mit allen reden, man sich mit allen auseinandersetzen muss – wie kürzlich zum Beispiel auch wieder Bodo Ramelow auf dem evangelischen Kirchentag gesagt hat –, und dann, wenn so etwas passiert wie dieses Buch, dann gilt das plötzlich nicht mehr, dann heißt es: „Ja, aber der war nicht gemeint“ oder „Diese These war nicht gemeint“. Das kann nicht sein, und dem Westend Verlag steht es gut an, auch Debattenbeiträge zu publizieren, die nicht in unser klassisches Programmschema passen, das eher soziale Fragen, Medienkritik, Frieden, geopolitische und kritische Beiträge umfasst, die aber den Debattenraum offenhalten. Autoren von uns, die sehr stark sozialpolitisch unterwegs ausgerichtet sind, wie zum Beispiel Heiner Flassbeck, Albrecht Müller [Anm. M. G.: der Herausgeber der NachDenkSeiten] oder auch andere, machen inhaltliche Angebote und zeigen Erklärungen für Fehlentwicklungen in Politik und Gesellschaft. > „Schnell steht fest, was als richtig zu gelten hat, > und ab dann ist der Sack sofort zu.“ Wenn wir ehrlich sind, werden aber wirkliche Debatten doch gar nicht mehr geführt. Schnell steht fest, was als richtig zu gelten hat, und ab dann ist der Sack sofort zu: Man will sich gar nicht mehr damit rumschlagen, zu prüfen und zu bewerten, welche Argumente sind stichhaltig, welche weniger. Denn: Es steht ja bereits fest, was als gut und richtig zu gelten hat. Gab es da von Lesern oder Unterstützern des Westend Verlags und ihrem Umfeld negative Reaktionen im Hinblick darauf, dass viele der Positionen, die Poschardt in dem Buch äußert, der politischen Linie oder inhaltlichen Deutung der Welt in vielen der anderen Bücher in Ihrem Programm diametral entgegenstehen? Nein. Es hat eine Zuschrift gegeben von Seiten der Medien, mit einem sehr kritischen Unterton, bei der naheliegt, dass hier eine ad-hominem-Beurteilung zugrunde liegt. Ich glaube nicht, dass das Buch gelesen wurde. Jetzt kann man natürlich sagen, auch wenn das Buch gelesen wurde, wäre es kritisch gewesen, vielleicht. Aber diese eine Stimme, die kann ich mit einigen anderen aufwiegen, die gesagt haben: „Oh, das ist ja klasse, dass ihr den Poschardt macht, herzlichen Glückwunsch.“ Und ich glaube, dass bei diesen Glückwünschen der Unterton weniger war, dass sie in allen Verästelungen Poschardt folgen, sondern überhaupt dafür, die Fahne hochzuhalten und zu sagen, hier ist ein Beitrag, über den soll verdammt nochmal diskutiert werden. Wir haben ja nach Ansicht vieler Menschen inzwischen einen zunehmend gespaltenen und auch aufgeheizten Debattenraum bei politischen und vielen anderen Themen in Deutschland. Ist da das Buch in seiner verschärften Polemik nicht eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung? Was heißt verschärfte Polemik? Ich kann nur sagen, es ist ein brillant geschriebenes Buch, und dies ist vielleicht eine gute Gelegenheit, hier mal Folgendes zu sagen – ein Publizist aus München hat mich drauf aufmerksam gemacht –: Es gibt heutzutage überhaupt ein Problem damit, erst einmal zu sagen, dass ein Buch gut geschrieben ist, dass es intellektuell sehr dicht ist. Und das ist dieses Buch. Ich kann die Inhalte in toto ablehnen, kann aber sagen, es ist einfach toll geschrieben – und Letzteres trifft hier auf alle Fälle zu. Ich sehe Teile der Problematik, die im Buch beschrieben werden, ähnlich. Ich würde es vielleicht anders angehen, aber ich sehe überhaupt nicht den Punkt, warum das Buch Teil eines Problems sein soll und warum es intellektuell, inhaltlich, auch in der Argumentationsführung, nicht veröffentlicht werden kann. Was würden Sie denen entgegnen, die sagen: Verlage geben mit solchen Veröffentlichungen rechten Tendenzen eine Bühne? Ich kann nicht nachvollziehen, was an dem Buch rechts sein soll. Ich habe diese Vorwürfe auch so nicht wahrgenommen. Ich glaube, im Großen und Ganzen wird das Buch von Medienleuten so eingeschätzt, dass hier ein gewaltiger, wortmächtiger Herausgeber sehr pointiert auf gewisse Entwicklungen hinweist und damit ein Gespräch, eine Debatte anstößt, die geführt werden soll. Wie die dann endet, ob sie so endet, wie Herr Poschardt sich das wünscht und ob die Diskussion so endet, dass viele von den Argumenten, die er verwendet, abgeschwächt oder gar getilgt werden, das wird man sehen. Das ist ja genau der Sinn dieser Debatte, die angestoßen werden soll. Momentan scheint es so zu sein, dass Herr Poschardt vielen Menschen aus der Seele spricht. Da können wir ja als Verlag nicht einfach wegschauen. Vielleicht kann ich hier eine kleine Anekdote dazu erzählen: Wolfgang Kubicki hat vor einigen Jahren im Bundestag – das war, glaube ich, noch vor Corona – eine kurze Philippika im Bundestag gehalten, in der es um Meinungsfreiheit ging. Das war vielleicht der Beginn davon, dass auch öffentlich viel stärker über die Einengung der Meinungsfreiheit gesprochen wurde, was ja in der Tendenz eine rechte oder eine dem rechten politischen Spektrum zugeschriebene Beobachtung ist. Jedenfalls hat er dort öffentlich darauf aufmerksam gemacht, vielleicht im Bundestag zum ersten Mal, dass es hierbei zu Fehlentwicklungen oder für die Demokratie ungünstigen Entwicklungen kommen kann. > „Wolfgang, du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir anhören muss, > weil wir dein Buch bei Westend machen.“ > Er erwiderte: „Markus, es geht mir genauso. Was glaubst du, was ich mir anhören muss, dass mein Buch bei Westend erschienen ist.“ Ich hatte ihn angeschrieben und gesagt: „Machen Sie doch ein Buch daraus.“ Und das hat er gemacht. Dann hat sich in der Tat damals einer unserer Autoren daran gestoßen, rief mich an und meinte, wieso das denn, und überhaupt die FDP und Kubicki und so weiter. Und ich habe gesagt, Moment, in diesem Buch geht es doch um ein ganz bestimmtes Thema, und warum soll sich der Autor nicht bei Westend auch zu diesem Thema äußern können? Einige Zeit danach war Wolfgang Kubicki mal zu Gast bei uns, und ich sagte ihm bei einem Mittagessen: „Wolfgang, du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir anhören muss, weil wir dein Buch bei Westend machen.“ Er erwiderte: „Markus, es geht mir genauso. Was glaubst du, was ich mir anhören muss, dass mein Buch bei Westend erschienen ist.“ > „Es darf doch nicht sein, dass wir uns nur noch > in hermetisch abgeschirmten Bereichen bewegen.“ Zeigt dieser Hergang nicht, wie es sein sollte? Es darf doch nicht sein, dass wir uns nur noch in hermetisch abgeschirmten Bereichen bewegen. Ich glaube, von so etwas leben die politisch-demokratischen Prozesse, in denen wir uns befinden. Und diese Prozesse dürfen nicht erlahmen, und es gehört auch immer wieder ein gewisser Mut dazu, diese Prozesse am Leben zu halten. Ich finde, auch in diesem Fall steht es dem Westend Verlag gut an, hier mitzumischen. Von vielen Beobachtern wird heute immer häufiger von einer Verengung des Debattenraums gesprochen, wir haben es hier ja auch schon angesprochen. Sehen Sie diese Entwicklung auch? Und falls ja, warum glauben Sie, ist der Raum für alternative oder kritische Stimmen im öffentlichen Diskurs geschrumpft, und welche Rolle spielen Verlage hierbei? Ich glaube, es gibt diese Tendenz – das klingt übrigens auch bei Poschardt an, ich kann mich sozusagen auf ihn beziehen –, die man so beschreiben kann: Es gibt Gute, und die sind nur gut, und Böse, die sind nur böse. Poschardt bezeichnet das als manichäisch [Anm. M. G.: Eine weltanschauliche Schwarz-Weiß-Sicht ohne Grautöne]. Ich finde, das ist eine richtige Beobachtung und betrifft möglicherweise auch beide Seiten der Debatte. Und es gibt tatsächlich Diskurshoheiten, die besagen, dass man bestimmte Begriffe und politische Umstände auf eine bestimmte Weise zu beschreiben hat, oder sie sind falsch. Und auch hier, glaube ich, leistet das Buch von Poschardt einen Beitrag dazu, zu versuchen, sich diesen Panzer nicht überstülpen zu lassen. Die NachDenkSeiten probieren das ja auch – auf anderen Gebieten – permanent. Es gibt viele Buchverlage, insbesondere die politischen Sachbuchverlage, die immer wieder gute Bücher bringen und sich bemühen, eine politische Diskussion anzustoßen und politische Sachverhalte differenziert zu diskutieren. Und alle Verlage täten eben gut daran, sich nicht an diesem Gut-Böse-Schema zu orientieren. Inwiefern beobachten Sie auch eine publizistische Selbstzensur bei Verlagen? Also, das bewusste Meiden bestimmter Themen, Begriffe oder Autoren aus Angst vor öffentlicher Empörung oder Cancel-Kampagnen? Ich glaube schon, dass es in den Medien – ob es jetzt Buchverlage, Magazine, Zeitschriften, Online-Medien sind – in der Tendenz eine, vielleicht auch unbeabsichtigte, aber schlussendlich doch reale Annäherung an einen regierungskonformen Meinungskorridor gibt, dem man sich anschmiegt. Es gibt aber immer wieder, überraschenderweise auch in öffentlich-rechtlichen Medien, sehr gute Beiträge, was allerdings nichts daran ändert, dass dieser Meinungskorridor besteht. Und die Frage ist: Wird dieser Korridor enger, füllt er sich links und rechts mit noch mehr Beton oder bleibt er flexibel? Interessanterweise ist dieser enge und vorgegebene Meinungskorridor aber bei ganz vielen Menschen, die mitunter keinen übermäßigen Medienkonsum betreiben, gar nicht wirkmächtig. Und gewisse Auseinandersetzungen, die in den Medien bis zum Exzess geführt werden, kommen bei ihnen überhaupt nicht an – ja, ich möchte sogar sagen, werden dort gar nicht wahrgenommen, weil sie einfach ganz weit weg von deren Lebensrealität sind. Erleben Sie selbst als Verlag oder Verleger auch Druck – etwa von Medien, Buchhandel oder öffentlichen Institutionen –, wenn sie bestimmte Gegenperspektiven anbieten? Auch, wenn wir nicht direkt kritisch angesprochen werden, nehmen wir natürlich wahr, wie durch bestimmte manipulative Methoden versucht wird, Einfluss zu nehmen. Albrecht Müller hat ja in seinem Buch „Glaube wenig – Hinterfrage alles – Denke selbst“ sehr ausführlich beschrieben, welche Methoden es gibt. Aber da wir das Buch gelesen haben und uns zu Herzen nehmen, durchschauen wir das Vorgehen. > „Das Buch gelesen haben muss man nicht, > es reicht das Thema oder eine Autorin, um es zu diskreditieren.“ Wenn man heutzutage in irgendeiner Form medial auftritt und mit gewissen Inhalten aufwartet, werden diese natürlich nicht immer bejubelt. Das Buch gelesen haben muss man nicht, es reicht das Thema oder eine Autorin, um es zu diskreditieren. Und die Frage ist, was dann passiert: Ist es einfach Kritik, mit der man sich auseinandersetzt, oder wird ein Ausschluss versucht, also bedeutet das zum Beispiel „Mit euch arbeite ich nicht mehr zusammen“ oder so etwas. Uns erreichen auch, relativ selten, aus meiner Sicht etwas scheinheilige Fragen zu diesem oder jenem Autor oder Thema. Im Kern sind wir sozialpolitisch geleitet und haben im Gegensatz zu vielen anderen Medienleuten auch tatsächlich regelmäßigen und intensiven Kontakt zu Menschen, denen es nicht gut, besser gesagt sogar sehr schlecht geht in dieser Gesellschaft: ob aus dem migrantischen Milieu, dem klassischen Arbeitermilieu, Arbeitslose oder sonst wie abgehängte Menschen. Und weil wir da sehr nah dran sind und viele dieser Menschen tatsächlich intensiv unterstützen und sie auch an unterschiedlichen Stellen in unsere Verlagsarbeit einbeziehen, wissen wir, wovon wir sprechen. Wir wissen, was es bedeutet, ganz unten zu sein, weil wir uns sehr eng mit diesen Menschen austauschen, ihnen beistehen und nicht nur über sie sprechen. Das bietet kaum Wohlfühlbenefit, wie man ihn auf einer Demo gegen oder für irgendwas einstreicht, sondern kostet Zeit, Nerven, Geld. Aber weder spielt das eine Rolle, noch wüsste ich eine Alternative dazu, als an dem Ort, an dem man sich gerade befindet, andere so zu unterstützen, dass sie einigermaßen menschenwürdig leben können. Alles andere ist Sich-wichtig-Nehmen. Gab es auf Bücher des Westend Verlags irgendwelche Reaktionen, sei es auf der Buchmesse, sei es bei Veranstaltungen, wo Lesereisen oder Ähnliches verhindert werden oder wo Ihnen vielleicht Kollegen aus anderen Verlagen entweder sagen „Das finde ich unmöglich, was ihr macht“ oder unter der Hand sagen „Ich finde das eigentlich spannend, aber bei uns ginge das nicht“? Bei den Autoren und Autorinnen, bei denen friedenspolitische oder geopolitisch-kritische Thematiken vorherrschen, kann das schon mal vorkommen. Wir bekommen vor Ort sehr viel Zuspruch. Zum Beispiel werden wir als Verlag oft an den Büchertischen, mit denen wir bei den Lesungen vor Ort sind, mit so einem Lob überschüttet, dass es mir schon fast unangenehm ist, weil wir ja im Prinzip nichts anderes machen, als den Gedanken der Autorinnen und Autoren einen Raum zu geben. Wir heimsen sozusagen Lob für den Mut und die Arbeit ein, den eigentlich die Autorinnen und Autoren bekommen sollten. Aber ich verstehe es schon, der Verlag als Mittler, als Medium spielt da auch eine Rolle. > „Es gibt sehr wache politische Köpfe, aber sie werden bis aufs Messer bekämpft.“ Wir bekommen allerdings auch die Schwierigkeiten mit. Und es ist in der Tat so, dass Menschen, die sich für Frieden und Verständigung und Miteinanderreden einsetzen, unverständlicherweise (oder vielleicht auch verständlicherweise) sehr stark attackiert werden – gerade von Leuten, die sich eigentlich damit brüsten, irgendwie „kritisch“ zu sein. Und wenn Sie mich fragen, hat die politische Linke bei den vergangenen großen politischen Problemen absolut versagt: Sie hat bei Corona versagt und sie versagt aktuell bei friedenspolitischen Fragen. Es gibt sehr wache politische Köpfe, aber sie werden bis aufs Messer bekämpft. Und es macht schon traurig, aber auch wütend, zu sehen, wie – gerade journalistisch – Menschen von Schein-Linken attackiert werden, obwohl sie sich doch eigentlich für etwas sehr Gutes und Menschliches einsetzen, nur um die Meinungsführerschaft zu behalten. Aber es ist eigentlich nur eine behauptete Meinungsführerschaft. Man muss, das dürfte eindeutig sein, strikt unterscheiden zwischen der Meinung der großen Medienorgane und dem, was die Menschen draußen tatsächlich bewegt und was sie tatsächlich denken. Vielen Dank für das Gespräch! Titelbild: © privat [https://vg09.met.vgwort.de/na/a18980bbf48b4b01b9849d543b7f358e]

„Das RKI setzt das wissenschaftliche Arbeiten aus“ – unter dieser Zwischenüberschrift fokussiert die habilitierte Krankenhaushygienikerin Ines Kappstein in ihrem aktuellen Buch auf das Robert Koch-Institut. Im Interview mit den NachDenkSeiten sagt Kappstein, die Behörde habe den Auftrag, „wissenschaftlich zu arbeiten“, womit nicht vereinbar sei, „dass man einfach nur Behauptungen aufstellt, für die man keine wissenschaftlichen Daten hat“. Im Gespräch schildert Kappstein, was die Grundlage für ihre Kritik an dem RKI ist und zeigt, wie brüchig das Fundament war, auf das die Politik eine allgemeine Maskenpflicht gegossen hat. Ihr Fazit: „Die Wirksamkeit der Maske ist für die beabsichtige Anwendung nicht belegt. Es fehlte jede wissenschaftliche Grundlage. Deshalb hätte eine Maskenpflicht nicht verhängt werden dürfen.“ Von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Marcus Klöckner: Die Maske – nichts war wohl so sehr Zeichen für die Coronazeit wie dieses Teil, das urplötzlich zum festen Bestandteil des Lebens wurde. Sie haben nun ein Buch über die Maske geschrieben. Auf fast 400 Seiten kommt der Begriff allein oder in zusammengesetzter Form rund 1.500-mal vor. Was war für Sie der Grund, den Fokus auf die Maske zu setzen? Ines Kappstein: Interessant. Mir war nicht bewusst, dass der Begriff so häufig vorkommt; ich bin nie auf die Idee gekommen, zu zählen. Für mich begann die intensive Beschäftigung mit den Corona-Maßnahmen nach der Masken-Empfehlung des RKI, die Mitte April 2020 im Epidemiologischen Bulletin des RKI erschien. Aufgrund meines Fachgebiets, der Krankenhaushygiene, kenne ich mich mit Masken aus, wofür sie verwendet werden und wie sie getragen werden müssen, damit sie – vielleicht – Schutz bieten. Sie sagen „vielleicht Schutz bieten“. Wie meinen Sie das? Bewiesen ist ein Schutzeffekt auch bei der Anwendung in der Patientenversorgung nicht, sei es durch das OP-Team während Operationen oder auf der Station bei engem Kontakt (ein bis zwei Meter Abstand bei Vis-à-vis-Kontakt) mit Patienten, bei denen Erreger im Nasen-Rachen-Raum nachgewiesen (oder vermutet werden), vor deren Kontakt sich das medizinische Personal schützen soll (z.B. Influenzaviren bei entsprechender Symptomatik, A-Streptokokken bei eitriger Angina oder Meningokokken bei Meningitisverdacht). Bei diesen Gelegenheiten verwendet man die sogenannte chirurgische oder OP-Maske. FFP-Masken (in der Regel als FFP2) wurden ‚vor Corona‘ nur bei Patienten mit sogenannter offener Tuberkulose der Atemwege (d.h. Lunge oder Kehlkopf) getragen, dann aber auch nur, solange man im selben Raum mit dem Patienten war. Die Maske war plötzlich für jedermann ein Muss. Das lässt darauf schließen, dass der Umgang mit ihr einfach ist und jeder richtig damit umgehen konnte. War dem so? Nein. Masken sind nur scheinbar trivial im Umgang. Und: Sie sind auch mit einem Kontaminationsrisiko für die Hände des Trägers verbunden, weil sie an der Innenseite zwangsläufig mit bakteriellen potenziellen Infektionserregern aus dem Nasen-Rachen-Raum des Trägers kontaminiert werden. Würden Sie das bitte etwas näher erläutern? Das medizinische Personal wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht, die Maske nicht – und insbesondere nicht an der Innenseite – zu berühren. Das hat seinen Grund. Dieses Risiko der Kontamination besteht insbesondere immer dann, wenn die Maske nur kurz abgenommen wird und dann z.B. am Hals vor der Brust (die OP-Maske wird meist mit Bändern am Kopf und im Nacken geschlossen) oder eben bei Ohrgummis am Ohr baumelt: Spätestens beim Wiederaufsetzen kann man leicht mit den Händen die Innenseite berühren, und dadurch gelangen die Bakterien (zu denen häufig Staphylococcus aureus gehört, der der häufigste Erreger eitriger Infektionen innerhalb und außerhalb des Krankenhauses ist und mit dem der Mensch oft in der vorderen Nasenhöhle besiedelt ist, d.h. wo er also nur auf der Schleimhaut ‚sitzt‘, aber keine Infektion verursacht) an die Hände des Personals. Je nach Tragedauer kann die Maske aber auch an der Außenseite mit den Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum des Trägers kontaminiert sein, denn das Maskenmaterial wird durch die Atemluft beim längeren Tragen feucht, sodass die Bakterien von innen nach außen quasi durchwandern können. Und im Bereich der Krankenhaushygiene ist dieses Wissen also sehr präsent? Wenn man in der Krankenhaushygiene arbeitet, macht man das klinisch tätige Personal immer wieder auf dieses Kontaminationsrisiko der Hände aufmerksam, weil potenzielle Infektionserreger an den Händen zu einem Infektionsrisiko für die Patienten werden können, wenn man z.B. am Venenkatheter manipulieren oder einen Verbandswechsel durchführen muss. Lassen Sie uns jetzt noch mal auf die RKI-Maskenempfehlung für jedermann eingehen. Was ich ausgeführt habe, ist wichtig, um die Empfehlung des RKI einzuordnen. Das RKI empfahl die Maske für nahezu jeden Bürger in Deutschland, um damit angeblich die Ausbreitung des Coronavirus zu reduzieren und wiederum dadurch eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Und nun kommt ein „Aber“? Erstens war die Wirksamkeit der Masken für dieses Ziel unbewiesen, und zweitens hat man damit der im Umgang mit Masken völlig ungeübten Bevölkerung eine nur scheinbar einfache und darüber hinaus potenziell risikoerhöhende Maßnahme verordnet, denn nicht nur Bakterien, sondern auch Viren werden im normalen Leben über die Hände verbreitet, weil wir uns natürlicherweise und meist auch noch ohne es zu bemerken mit den Händen oft ins Gesicht fassen, an Nase, Augen und Mund, wo respiratorische Viren ihre sogenannten Eintrittspforten haben, d.h. hingelangen müssen, um überhaupt eine Infektion verursachen zu können. Ich bin in meinem Buch auf die Rolle der Hände und der häufigen Hand-Gesichtskontakte des Menschen ausführlich eingegangen. Deshalb liegt der Fokus des Buches auf der Maske, weil sie durch die Ende April eingeführte Maskentragepflicht das Erscheinungsbild der Corona-Pandemie in der Öffentlichkeit maßgeblich bestimmt hat. Sie war also keine Petitesse, und sie zu tragen war keine freie Entscheidung, denn nahezu in jedem Lebensbereich des mehr oder weniger öffentlichen Lebens bestand die Pflicht, eine Maske zu tragen, sonst bekam man einen Bußgeldbescheid oder wurde nicht eingelassen (zum Beispiel in Krankenhäuser). Die Kampflinie zwischen Maßnahmenbefürwortern, Politik, Medien und Kritikern ließ sich gut an der „Maskenfrage“ ablesen. War die Maske mehr als ein, sagen wir: Mittel zum Zweck? Die Maske war viel mehr als nur ein ‚Mittel zum Zweck‘ (also die Virusausbreitung zu reduzieren etc.). Sie war aus meiner Sicht, wie mir aber erst sukzessive im Laufe der Coronajahre klar wurde, das entscheidende Instrument der Politik, um die Bevölkerung gefügig zu machen: Sie sollte den Lockdown vor Einführung der Maskenpflicht (und später dann die nachfolgenden) rechtfertigen, sollte also zeigen, dass wirklich etwas Schlimmes passiert sei, weshalb man erstmals in Deutschland derart einschneidende Maßnahmen ergriffen hat. Sie sollte den aus der Sicht der Politik nötigen Angstpegel hochhalten, auch die Angst der Menschen voreinander, nicht nur vor dem (unsichtbaren) Virus. Sie sollte die Bevölkerung dazu bringen, die kaum richtig untersuchten Impfungen zu akzeptieren, aber nicht nur das, sondern sogar für erstrebenswert zu halten. Bevor wir auf Ihre Erkenntnisse eingehen: Lassen Sie uns bitte noch mal das Schlaglicht auf die Coronazeit werfen. Die eine Gruppe hat an den Masken festgehalten, für die andere war sie ein rotes Tuch. Was waren die Gründe, die aus Sicht der Gruppe, die das Maskentragen befürwortete, für die Maske sprachen? Wir reden jetzt nicht von den Politikern, die die Maskenpflicht aus welchen Gründen auch immer wollten, sondern von den Bürgern. Viele Maskenbefürworter fanden es wahrscheinlich plausibel, wenn man Mund und Nase bedeckt, weil dahinter ja die Viren sitzen können, und haben den Politikern vielleicht einfach geglaubt, dass sie schon das Richtige tun. Diese Personen hätte man leicht durch eine entsprechende Information überzeugen können, dass nämlich Plausibilität erstens nicht ausreicht, um eine Maskenpflicht für die gesamte Bevölkerung zu verhängen, und zweitens weit entfernt ist von einer Wirksamkeit aus wissenschaftlicher Sicht. Plausibel ist vieles, das allein reicht aber nicht für so weitgehende und noch dazu Zwangsmaßnahmen. Das wäre jetzt die Gruppe jener Maskenbefürworter, die die Maske aus ihrer Sicht aus „Gründen der Vernunft“ getragen haben. Es gab aber noch eine andere Gruppe von – strikten und schwer bis gar nicht erreichbaren – Maskenbefürwortern, die damit einen moralischen Anspruch verbunden haben, die wahrscheinlich von den Begriffen ‚Altruismus und Solidarität‘ angesprochen waren, auf jeden Fall aber nicht bereit waren zu fragen, ob Masken denn überhaupt in ihrer Effektivität wissenschaftlich belegt sind. Es sind (bzw. waren) wohl diejenigen, die sich als ‚links‘ bezeichnen würden und eher ‚grüne‘ Ziele verfolgen und die jeden Zweifel an der Maskenwirksamkeit als ‚rechts‘ bezeichnet haben, was sie von ihrem Weltbild her bekämpfen mussten. Vom Alter her waren die Vertreter dieser Gruppe oft aus der Mitte des Lebens, einer Zeit, wo viele beginnen, Angst vor dem Älterwerden zu entwickeln. Ich habe mal gelesen (weiß aber nicht mehr, wo und wer das gesagt hat), dass diese immer noch ziemlich jungen Menschen, deren Jugend aber definitiv vorbei ist und die in aller Regel schon entscheidende Weichen in ihrem Leben gestellt haben (Familie, Beruf), sich nicht sicher sind, ob das alles so richtig war, und da sich schon deshalb bei ihnen eine gewisse Grundangst breitmacht, waren sie sehr anfällig für die Angst, die um das Coronavirus herum geschürt wurde. Vielleicht eine Erklärung dafür, dass nicht etwa alte Menschen, für die das Virus tatsächlich gefährlich sein konnte, sondern viel jüngere Leute besonders viel Angst vor dem Virus hatten. Mit welcher Begründung lehnte die andere Gruppe das Maskentragen ab oder stand ihm kritisch gegenüber? Die andere Gruppe war zum Teil zunächst von den Maßnahmen mehr oder weniger überzeugt, wie ich aus meinem Umfeld erfahren habe, hat sich dann aber vor allem via Internet kundig gemacht und ist dabei auf Personen gestoßen, die ihnen aufgrund ihrer Fachkenntnisse Informationen über das Virus und die möglichen Auswirkungen der ‚Maßnahmen‘ geben konnten. Mein damaliger Artikel in der Zeitschrift Krankenhaushygiene up2date zur Masken-Empfehlung des RKI gehörte dazu, aber zahlreiche Kritiker der Corona-Maßnahmen machten wiederholt Videos mit Erläuterungen oder Video-Interviews. Das habe ich nie gemacht, weil es nicht so meine Art ist, mich auf diese Art zu äußern, sondern ich schreibe lieber. Jedenfalls konnte man – auch schon frühzeitig – eine Menge Kritisches zu der offiziellen Sichtweise über das Coronavirus erfahren, und das hat bei dieser Gruppe zu einer anderen Sicht auf das Virus und die Maßnahmen der Regierung geführt. Beide Gruppen führten immer wieder Studien und angebliche oder echte Belege ins Feld, die das Tragen der Masken rechtfertigten oder eben nicht. Sie haben, um das noch mal hervorzuheben, im Bereich Krankenhaushygiene habilitiert. Wie haben Sie in der Coronazeit diese Diskussion und auch das „Hauen und Stechen“ im Hinblick auf die Maskenpflicht beobachtet? Was waren Ihre Gedanken? Man kann sagen: Ich war dankbar für die Diskussionen und die Nennung all der Artikel, die die Effektivität der Masken angeblich belegt haben – oder eben nicht. So erfuhr ich frühzeitig, was gerade diskutiert wurde, und kam ohne viel Aufwand an die Artikel, die gerade von der einen oder anderen Seite angeführt wurden. Man hat ja damals nahezu alle Artikel frei erhalten können, auch wenn man die (Fach-)Zeitschriften nicht abonniert hatte. Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Man brauchte also nur einen der Autoren, den Titel oder die Zeitschrift zu wissen, um ohne Aufwand auch an die PDF-Datei des Artikels oder Preprints zu kommen. So gesehen waren das gute Zeiten. Nebenbei: Warum war das damals so, also warum musste man nicht mehr jeden einzelnen Artikel teuer bezahlen, bevor man ihn lesen konnte? Da war ich lange auf einer Art Irrweg und habe ganz naiv gedacht, die internationale Community der wissenschaftlichen Journale habe sich angesichts der besonderen Situation durch das neue Virus eben großzügig bereitgefunden, alles freizugeben. Inzwischen meine ich (nachdem bekannt geworden ist, dass die Peer-Reviewer und deren Institutionen in den Coronajahren sehr viel Geld von der Industrie bekommen haben), dass die Fachzeitschriften von der einschlägigen Industrie (und vielleicht auch von den großen Stiftungen) ebenfalls mit viel Geld versorgt wurden, sodass man leicht die Artikel freigeben konnte, über die sonst ein Teil der Einnahmen läuft, mit denen die Zeitschriften sich finanzieren. Eine Zwischenüberschrift in Ihrem Buch lautet: „Das RKI setzt das wissenschaftliche Arbeiten aus“. Sie schildern dann die Zeit ab dem 14. April 2020. Am 27. April 2020 wurde die Maskenpflicht eingeführt. Was passierte in dieser Zeit? Und: Warum sagen Sie, das RKI habe seine wissenschaftliche Arbeit „ausgesetzt“? Das RKI hat in seinem für die Einführung der Maskenpflicht entscheidenden Artikel von April 2020 über die ‚Neubewertung‘ von Masken behauptet, die Maske könne ein Baustein sein, um die Ausbreitung des Virus zu reduzieren und damit die Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Dafür liefert der Artikel aber keine Belege. Ich habe jede der dort genannten Referenzen gelesen und habe das ausführlich in meinem Buch dargelegt. Das RKI hat sich dabei fast im ganzen Artikel ziemlich vorsichtig ausgedrückt, hat nur von Möglichkeiten gesprochen und hat an keiner Stelle gesagt, dass eine solche Maskeneffektivität wissenschaftlich belegt sei. Ganz am Schluss aber, im letzten Satz, heißt es dann in Bezug auf diese Maskeneffektivität nicht mehr ‚kann‘ oder ‚könnte‘, sondern ‚ist‘, d.h. am Ende des Artikels (da schauen die meisten Leser hin, weil an dieser Stelle meist ein kurzes Resümee gegeben wird) suggeriert das RKI, dass es diese Effektivität von Masken tatsächlich gibt. Für dieses Ziel hat das RKI in dem Artikel das Konstrukt der sogenannten unbemerkten Übertragung eingeführt – die übrigens auch Grundlage war für die massenhaften PCR-Testungen bei Gesunden. Damit war gemeint: Auch Menschen, die bereits mit dem Virus infiziert waren, aber keine Symptome hatten, könnten ansteckend sein. Richtig? Ja, so war das gemeint. Man scheide das Virus bereits aus, wenn man noch nicht erkrankt ist (‚präsymptomatisch‘), oder man könne ohne Symptome (‚asymptomatisch‘) infiziert sein. In beiden Fällen weiß man es also nicht, weil man nichts spürt von einer oberen Atemwegsinfektion, könne von daher aber ‚unbemerkt‘ das Virus streuen und so andere Menschen, denen man begegnet, infizieren. Als Novum hingestellt wurde damals, dass man das Virus schon ausscheidet, bevor man krank wird. Das war aber nicht neu, sondern von anderen Virusinfektionen nur zu bekannt. Natürlich ist man da dann auch prinzipiell infektiös. Ob es zu einer Erregerübertragung kommt, hängt von der Art der Kontakte ab (insbesondere enge Kontakte innerhalb der Familie). Und weil man damals so getan hat, als sei das außergewöhnlich, dass der Erreger schon vor den Krankheitssymptomen im Nasen-Rachen-Sekret erscheint, konnte man auch die ‚unbemerkte Übertragung‘ erfinden. Sicher, die gab und gibt es, wurde aber nie als Risiko betrachtet. Bei Corona aber brauchte man sie und hat sie hochstilisiert zu einem hohen Risiko für die gesamte Bevölkerung. Und genau das war und ist unbewiesen. Dieses Konstrukt der angeblich völlig neuen ‚unbemerkten Übertragung‘ mit noch dazu hohem Übertragungsrisiko wurde verwendet (und benötigt), um die Sinnhaftigkeit von Masken (zum ‚Fremdschutz‘) und damit die (offenbar frühzeitig geplante) politisch gewollte Maskenpflicht zu begründen (aus den RKI-Files geht jedenfalls hervor, dass der Artikel des RKI schon seit Ende März 2020 im RKI vorbereitet wurde). Das heißt: Mit der angeblich vorhandenen ‚unbemerkten Übertragung‘ (wegen der zum ‚Fremdschutz‘ aus ‚Altruismus und Solidarität‘ die Masken erforderlich seien) – und nur damit – hat das RKI der Politik die Grundlage dafür geliefert, eine Maskenpflicht verhängen zu können, nachdem die Maske zuvor von RKI und Politik aus guten Gründen abgelehnt worden war, weil es keine Daten gab, die ihre Anwendung in der Öffentlichkeit stützen. Mit der ‚unbemerkten Übertragung‘ also wurde die Pflicht zum Maskentragen begründet, egal, wo man sich im öffentlichen Raum aufhält, zum Beispiel in einem Lebensmittelladen, wo sich die Kunden auf dem Gang begegnen, bis hin zu Wanderwegen mit Engstellen wie in der Höllentalklamm im Zugspitzgebiet. Weil die ‚unbemerkte Übertragung‘ nicht belegt war (und ist), aber vom RKI in seinem Artikel vom April 2020 als hohes Risiko dargestellt wurde, habe ich im Buch geschrieben, dass das RKI das wissenschaftliche Arbeiten ausgesetzt hat. Das ist für sich schon interessant, weil das RKI gemäß § 1 IfSG den Auftrag hat, wissenschaftlich zu arbeiten, und damit ist nicht vereinbar, dass man einfach nur Behauptungen aufstellt, für die man keine wissenschaftlichen Daten hat. Noch viel interessanter aber ist, dass sich das RKI innerhalb von nur zwei Monaten – klandestin, wie man heute in gebildeten Kreisen sagt – schon wieder von der Theorie der ‚unbemerkten Übertragung‘ zurückgezogen hat (allerdings von der Öffentlichkeit – wie im Übrigen auch von mir – unbemerkt, also kann man schon sagen: heimlich), indem es im COVID-Steckbrief (den ich nicht ständig auf Veränderungen durchgeschaut habe, was, wie man sehen kann, ein Fehler war) bereits zu diesem frühen Zeitpunkt geschrieben hat, dass symptomatische Personen bei der Erregerübertragung die Hauptrolle spielen (das wusste man schon immer), dass ferner der Anteil präsymptomatischer Personen ‚nicht genau beziffert‘ werden könne und dass schließlich die Ansteckung durch asymptomatische Personen vermutlich eine ‚untergeordnete Rolle‘ spiele. Das muss man erst einmal begreifen: Noch im April 2020 ist die ‚unbemerkte Übertragung‘ angeblich ein hohes Risiko und man braucht Masken zum ‚Fremdschutz‘, und schon zwei Monate danach im Juni 2020 kann man das Ausmaß der unbemerkten Übertragung ‚nicht genau beziffern‘ (präsymptomatisch), oder sie spielt eine ‚untergeordnete Rolle‘ (asymptomatisch). Da hatte das RKI das wissenschaftliche Arbeiten wieder aufgenommen. Deshalb also meine Aussage, das RKI habe das wissenschaftliche Arbeiten ausgesetzt. Wie sind Sie denn nun für Ihr Buch vorgegangen, um die „Maskenfrage“ zu klären? Was haben Sie gemacht? Ich habe alle Artikel, die von den Masken-Befürwortern genannt wurden (das waren mit Abstand die meisten) und von den Masken-Kritikern dagegengestellt wurden, durchgelesen und dabei geprüft, was die Autoren sagen und wie sie es begründen oder welche Methodik sie ggf. bei ihren Studien angewendet haben. Denn es waren ja viele Artikel gar keine ‚Studien‘, also Untersuchungen zu einer konkreten Frage, sondern viele waren nur Artikel, in denen die Autoren ihre Meinung zur Maskenfrage geäußert haben. Das ist legitim, aber keine Studie, sondern ganz schlicht ein Meinungsbeitrag und hat wissenschaftlich keine darüber hinausgehende Bedeutung, wenn nicht darin wiederum auf konkrete Untersuchungen bzw. Ergebnisse zur relevanten Frage Bezug genommen wird. Und ich habe geschaut, wann die Artikel publiziert bzw. bei der Zeitschrift eingereicht worden waren, um sehen zu können, was wann bekannt war (denn es hieß ja bald insbesondere von Seiten der Politik so oder ähnlich: das haben wir damals ja noch nicht gewusst). Und dabei zeigte sich (das habe ich in einer eigenen Tabelle zusammengestellt), dass sehr viel Corona-Maßnahmen-Kritisches schon in 2020 publiziert und auch methodisch gut war, dass aber die für die Corona-Maßnahmen positiven Publikationen hauptsächlich aus Modellrechnungen oder eben Meinungsbeiträgen bestanden, die nur eine geringe Aussagekraft für die Realität haben. Ich habe mir auch die Referenzlisten aller Beiträge durchgesehen und daraus die Artikel besorgt und gelesen, die die Autoren z.B. der Meinungsbeiträge für ihre Aussagen zitiert haben. Dasselbe Vorgehen habe ich praktiziert bei den Veröffentlichungen der internationalen Gesundheitsbehörden, also ECDC für Europa, CDC für die USA und WHO für die Welt (das RKI hatte ich ja schon). Das ist zeitaufwendig – und häufig nicht sehr interessant, um es vorsichtig auszudrücken, aber da musste ich durch, wenn ich mir sicher sein wollte, keine Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen übersehen zu haben, die vielleicht doch für die Anwendung von Masken in der Öffentlichkeit sprechen könnten. Sie sprechen vom Tragen „von Masken in der Öffentlichkeit“. Das ist das Stichwort. Bei all diesen Überlegungen geht es immer nur um die Anwendung von Masken in der Öffentlichkeit, um, wie es die Regierung immer sagte (und ins IfSG geschrieben hat), damit die Virusausbreitung einzudämmen und die Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Es geht also nicht um Masken in Situationen, wo zwei Menschen miteinander zu tun haben und der eine von den beiden eine respiratorische Infektion hat, und es geht natürlich auch nicht um experimentelle Studien, wo Masken unter Laborbedingungen an einem Dummy getestet werden, und ebenso wenig geht es um Tierstudien. Die Frage, unter der ich alles beurteilt habe und beurteilen musste, war also: Gibt es Daten aus aussagefähigen wissenschaftlichen Untersuchungen, die belegen, dass Masken, die von allen Bürgern im öffentlichen Raum getragen werden, die Virusausbreitung eindämmen und dadurch die Überlastung von Krankenhäusern (incl. Intensivstationen) verhindern können? Nur darum ging es bei der Maskenfrage. Und? Gibt es diese aussagefähigen Daten? Nein, solche Daten gibt es nicht. Es gab, ich meine in 2021, einen Experten, der vorher nicht zum Zuge kam, aber dann relativ häufig interviewt wurde, der in einem solchen Interview von der ihn doch sehr überraschenden hervorragenden Wirksamkeit von Masken sprach. Ich habe ihn angeschrieben und gefragt, auf welche Untersuchungen er sich denn bezogen habe, denn mir seien keine bekannt, die die Anwendung von Masken in der Öffentlichkeit stützen würden, wie in Deutschland durch die Maskenpflicht festgelegt. Ich habe keine Antwort bekommen, und ich vermute, er hat die experimentellen Laborstudien gemeint, bei denen FFP-Masken untersucht werden, die seitlich mit Knetmasse abgedichtet werden, um wirklich nur das Maskenmaterial prüfen zu können. Ich glaube aber nicht, dass er nicht wusste, wovon er redet. Wie angesprochen haben Befürworter der Masken immer wieder Studien ins Feld geführt, die angeblich die Wirksamkeit belegen. Zusammengefasst: Welche Probleme haben Sie bei entsprechenden Studien ausgemacht? Es sind keine aussagefähigen Studien für die zur Diskussion stehende Fragestellung, sei es, dass es sich um Modellrechnungen handelt (mathematische Schätzungen oder Simulationsstudien) oder um sogenannte Fall-Kontrollstudien oder Beobachtungsstudien. Es gab in der Coronazeit am häufigsten Modellrechnungen. Das sind aber immer nur ‚Wenn-Dann-Ergebnisse‘, d.h. sie können gar nicht die Wirklichkeit widerspiegeln, weil sie ausschließlich auf Annahmen beruhen, eben so: Wenn das so ist, dann könnte daraus das werden. Das also sind ‚Wenn-Dann-Ergebnisse‘. Bei den anderen Studienarten gibt es keine gleichzeitigen Kontrollgruppen, und das ist eine entscheidende Voraussetzung: eine adäquate und das bedeutet auch: zufällig ermittelte Kontrollgruppe, die zeitgleich beobachtet werden kann. Man nennt dieses Studiendesign ‚kontrollierte randomisierte Studie‘ (oder engl. controlled randomized trial = RCT). Das hätte man, wenn man gewollt hätte, machen können. Ich habe das im Buch skizziert. Es gab international zwei solcher Studien: Die eine, schon im Jahr 2020 publiziert, hatte den Eigenschutz, nicht den Fremdschutz zum Ziel (und fand keinen signifikanten Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe). Sie konnte deshalb für die in Deutschland stattfindende Diskussion, wo es ja um den angeblichen Fremdschutz ging, nichts Entscheidendes beisteuern (obwohl natürlich ihr Ergebnis durchaus interessant war, weil danach die Maskenträger nichts von dieser Maßnahme hatten). Die andere Studie wurde in Bangladesch bei Landbevölkerung durchgeführt, hatte aber beträchtliche methodische Mängel und bei einer externen Reanalyse keinen nachweisbaren Effekt. Das ist im Buch eingehend beschrieben. Was ganz wichtig ist, sind sogenannte systematische Reviews, in denen zu einem gegebenen Thema alle verfügbaren Untersuchungen zusammengesucht und ausgewertet werden, soweit es geht, d.h. wenn sich die Untersuchungen dafür eignen, in einer zusammenfassenden mathematischen Auswertung, was man dann Metaanalyse nennt. Nicht selten sind einzelne Untersuchungen – ganz gleich, zu welchem Thema – zu klein, sodass die gleichzeitige Auswertung mehrerer Studien (aber natürlich nur, wenn dafür die Voraussetzungen bei den Einzelstudien stimmen) einen aussagefähigeren Pool von Daten ergeben kann. Abgesehen von der Metaanalyse ist schon die Beurteilung solcher Studien im systematischen Review zeitaufwendig, aber auch ohne Metaanalyse ist es wichtig, keine Untersuchung auszulassen, sondern eben systematisch nach allem zu suchen, was es zu der Fragestellung gibt, um schließlich ‚evidence-based‘ eine Aussage machen zu können. Anders ist das beim sogenannten narrativen Review (was auch immer die Bezeichnung ‚narrativ‘ hier bedeuten soll, die Bezeichnung ist aber seit Langem etabliert), denn dabei muss man nicht nach allem suchen, sondern kann eine (subjektive) Auswahl treffen. Seit einigen Jahren wird von einer Wissenschaftlerin aus Großbritannien, die Ende der 1990er-Jahre ein tolles Buch über evidence-based medicine geschrieben hat, überraschenderweise und wiederholt der narrative Review propagiert. Dazu findet sich im Buch ein aktuelles Beispiel, das zeigt, wohin dieses Vorgehen führen kann und dass damit mit einiger Sicherheit Interessen bedient werden, die man mit systematischen Reviews nicht (ausreichend) bedienen könnte. Wie müsste denn eine ideale Studie aussehen, um die Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit der Maske im Rahmen einer „Pandemiesituation“ festzustellen? Auf Seite 75 Ihres Buches beschreiben Sie eine Situation, in der eine ziemliche Masse an Menschen vorkommen müsste. Ja, stimmt. Da es aber auch um eine ungeheuer große Zahl an Menschen geht bzw. ging (ca. 80 Millionen in Deutschland), die von der Maskenpflicht betroffen waren, muss es halt sein, wenn man wirklich wissen will, ob die Maske etwas taugt, dass sehr viele Menschen (das heißt Tausende in jeder Gruppe) in solch eine vergleichende Untersuchung einbezogen werden. Schließlich wurden für die angebliche Maskenwirksamkeit die Grundrechte außer Kraft gesetzt. Grundrechte sind keine Privilegien, sie stehen uns zu, darum müssen wir nicht betteln. Da muss es doch möglich sein, das heißt der Wille da sein, so genau wie möglich herauszukriegen, ob das beabsichtigte Mittel auch geeignet ist. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen die Maßnahme Maske? Die Wirksamkeit der Maske ist für die beabsichtige Anwendung nicht belegt. Es fehlte jede wissenschaftliche Grundlage. Deshalb hätte eine Maskenpflicht nicht verhängt werden dürfen. Was noch? Eine große Bedeutung hatte für die Masken-Befürworter die Aerosol-Theorie, also die angeblich sicher nachgewiesene Übertragung speziell dieses Coronavirus über winzige Partikel, denen man nicht aus dem Weg gehen kann, weil sie in der Luft schweben, und die man deshalb zwangsläufig inhaliert. Um das zu verhindern, konnte nur die Maske helfen, aber natürlich auch nur eine FFP-Maske. Soweit die bekannte Story. Die Bundesregierung hat die Aerosol-Übertragung in seiner AHA- + L-Regel durch das ‘L‘ für ‚Lüften‘ berücksichtigt. Der Mechanismus ist ja nur zu bekannt: Wenn man eine Behauptung nur oft genug wiederholt, steht sie irgendwann als Tatsache da. Die Aerosol-Übertragung ist allerdings alles andere als nachgewiesen, sondern stellt eine der vielen unbelegten Behauptungen der Coronazeit dar. Auch der Bericht über die Chorprobe in den USA, die dafür stets als Beweis herangezogen wird, wirft mehr Fragen auf als darin beantwortet werden und kann keineswegs als Beleg für den behaupteten Übertragungsweg genommen werden, und zwar schon deshalb, weil man mit einem Ausbruch keinen Übertragungsweg sichern kann (das gilt also ebenso für den Ausbruch bei Webasto oder bei Tönnies). Offenbar ist die Aerosol-Theorie viel zu eingängig, um in Frage gestellt zu werden. Genau das aber habe ich ausführlich in einem der Kapitel des Buches getan und dort dargestellt, welche Fragen erst einmal geklärt werden müssten, um zu der Schlussfolgerung einer Übertragung via Aerosole gelangen zu können. Also: Ohne die Aerosol-Übertragung des Coronavirus hätte die Maske nicht so lange verteidigt werden können, aber die Aerosol-Übertragung ist unbewiesen. Wie blicken Sie auf das Thema Corona-Aufarbeitung, was müsste für eine fundierte Aufarbeitung geleistet werden? Mit Skepsis, aber dennoch zuversichtlich, würde ich sagen, weil ich der Typ ‚Glas halbvoll‘ bin, also letztlich immer glaube, dass trotz Widrigkeiten ein mindestens akzeptables Ergebnis kommen wird. Ich gebe zu, dass ich damit zum jetzigen Zeitpunkt beim Thema ‚Corona-Aufarbeitung‘ an meine Grenzen komme, weil ich diesbezüglich in Deutschland kein Lichtlein von irgendwoher kommen sehe. Die nächste Bundesregierung möchte angeblich eine Enquete-Kommission einrichten, aber keinen Untersuchungsausschuss. Der ist aber erforderlich. Eine Enquete-Kommission ist zumindest bei diesem komplexen Thema nur Kosmetik, weil dort neben ein paar Alibi-Personen wieder nur diejenigen aus Politik und Wissenschaft sitzen werden, die das Vorgehen in der Coronazeit maßgeblich bestimmt haben. Da kann es keine objektive Beurteilung der Situation geben. In einem Untersuchungsausschuss können Zeugen geladen werden, und eine Falschaussage ist wie vor Gericht strafbar. Das hört sich hart an, wir hatten es aber auch mit außergewöhnlich harten Maßnahmen zu tun, die nicht einfach damit erklärt werden können, dass man es doch nicht so genau gewusst und nur das Beste gewollt habe. Und immer hat sich die Politik auf ‚die‘ Wissenschaft berufen. Dass das nicht stimmte (abgesehen davon, dass es ‚die‘ Wissenschaft nicht gibt), wurde aus den RKI-Files deutlich oder auch aus der Zeugenaussage des jetzigen RKI-Präsidenten in einem Gerichtsverfahren zur Hochstufung des Risikos für die Bevölkerung durch das RKI. Es wurde politisch entschieden und Wissenschaft, wenn sie vorhanden war, wurde ignoriert. Es geht also bei einem Untersuchungsausschuss nicht um ‚Schuldzuweisungen‘, wie es die Gegner heute gerne sagen und deshalb dieses Verfahren ablehnen. Es geht vielmehr um Aufklärung: Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, was wer wann wusste und warum diese einschneidenden Maßnahmen durchgeführt wurden. Eine Aufarbeitung der Coronazeit müsste also auch klären, wieso das alles fast weltweit (berühmteste Ausnahme: Schweden) stattfand, denn wir wissen ja inzwischen, dass es sich eben nicht um ein Naturereignis gehandelt hat. Ich stelle dazu am Ende des Buches ein paar, aber keineswegs erschöpfende Fragen, z.B.: Warum wurde laut Zulassungsstudie von Pfizer/BioNTech mit der Vorbereitung der Impfstoffe schon am 10. Januar 2020 begonnen, als es doch noch lange keine durch die WHO ausgerufene Pandemie und noch nicht einmal eine PHEIC gab? Oder: Warum wurde schon Mitte Januar 2020 ein Testprotokoll zum Nachweis des Erregers verbreitet, obwohl es damals gemessen an der Weltbevölkerung nur wenige Fälle gab? Oder: Warum war die Politik in Deutschland bereit, derartige für ein Land katastrophale Maßnahmen wie Lockdowns einzuführen? Oder: Wieso konnten mit den Impfungen nahezu ungeprüfte Medikamente an Zigmillionen Menschen verabreicht werden, über die in den RKI-Files schon Ende April 2020 zu lesen ist, dass Impfungen ‚im Schnelldurchgang‘ entwickelt werden und ‚relevante Daten erst Post-Marketing‘ erhoben werden? Oder: Warum haben so viele Länder gleiche bis sehr ähnliche Maßnahmen nahezu zur selben Zeit eingeführt (z.B. Deutschland und Frankreich jeweils am 16. März 2020)? Oder: Warum wurde mit so großer Härte z.B. auf Demonstrationen gegen Kritiker der Maßnahmen vorgegangen (wobei es ja offensichtlich nicht darum ging, dass sie die ‚Maßnahmen‘ nicht befolgten, weil in anderen vergleichbaren Situationen mit vielen Menschen auf der Straße die gleiche Nichtbefolgung keine Konsequenzen hatte)? In Deutschland gab es aus den vom RKI routinemäßig erhobenen Überwachungsdaten zu respiratorischen Infektionen keinen Anhalt für eine besondere Situation, denn weder gab es viele Atemwegsinfektionen, wie man es aber doch erwarten würde bei einer Pandemie durch einen neuen Erreger, noch machte das neue Virus etwa einen hohen Anteil an allen isolierten respiratorischen Viren aus, sondern im Gegenteil lag der Anteil des Virus zu der Zeit, als der erste Lockdown beschlossen wurde, also Mitte März 2020, bei gerade mal 1,6 Prozent. Von diesen Daten her war in Deutschland einfach nichts los, was die radikalen Maßnahmen auch nur annähernd gerechtfertigt hätte. Das alles und noch viel mehr kann nur in einem Untersuchungsausschuss geklärt werden. Lesetipp Ines Kappstein: Aerosole, Angst und Masken: Die AHA- + L-Regeln. Münster 2025, Verlag Kubo UG, gebundene Ausgabe, 404 Seiten, ISBN 978-3962300258, 32 Euro. Titelbild: kovop/shutterstock.com[http://vg07.met.vgwort.de/na/0dbeb8d906d64180b05f0dc45986b34a]

Zusammen mit der Post fielen mir gerade zwei Prospekte in die Hand. Die Überschrift bei dem einen hieß „hejKITCHEN … Das Upgrade, …“, beim anderen auf dem Titelblatt: „MAZDA NEWS … CROSSOVER WOCHEN“. Und die Evangelische Kirche im Nachbardorf wirbt für „Moments of joy“ und eine ihrer Einrichtungen in Bad Bergzabern mit „Smile with us“. – Hier sind offensichtlich Dummköpfe oder Wichtigtuer unterwegs. Damit geht unsere Sprache kaputt. Wir sollten uns wenigstens ein bisschen dagegen wehren. Machen Sie in Ihrer Umgebung, in Ihrem Familien- und Bekanntenkreis anhand von konkreten Beispielen darauf aufmerksam. Sie werden keine Mühe haben, passende Beispiele zu finden. Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

War da etwas? Der von Deutschland angezettelte Zweite Weltkrieg ist seit 80 Jahren vorbei. Doch ausgerechnet zum Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus verkündet Armin Papperger, Boss des in Düsseldorf ansässigen Rüstungskonzerns Rheinmetall, der Öffentlichkeit grandiose Geschäftszahlen. Seine Jubelmeldung wird sogleich euphorisch von Medien verbreitet, die Fachpresse der Börsenjournalisten kriegt sich gar nicht mehr ein. Mehr noch, Papperger denkt schon an die Zukunft und wie es wäre, zivile Produktionskapazitäten in militärische umzuwandeln. Auch dafür erhält er Beifall aus der Zivilgesellschaft. Ein Zwischenruf von Frank Blenz. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Solche Zeilen lesen Anleger gern Bei den Machern von „Trading-treff.de“ scheint gerade die gleiche Euphorie zu herrschen wie bei Armin Papperger, Boss von Rheinmetall, und den mächtig Kasse machenden Anlegern. Das Geschäft mit der (Auf-)Rüstung geht durch die Decke. Beim Lesen der folgenden Zeilen wird hingegen den Bürgern schlecht, die nichts daran gut finden können, der Aufrüstung weiter volle Fahrt voraus zu gewähren. Derlei Worte lassen einen schier sprachlos zurück: Starke Außenwirkung, Knall, Allzeithoch, Aktie in einer herausragenden Position … und es kommt sogar noch dicker: > Die Rheinmetall-Aktie notiert auf einem neuen Allzeithoch von 1.705 Euro und zeigt starke Außenwirkung. Kein Investor befindet sich im Minus. > > Für die Aktie der Rheinmetall endet die Woche wieder mit einem Knall. Zum einen schafft die Aktie jetzt ein neues Allzeithoch. Derzeit stehen Kurse von 1.705 Euro auf den Kurstafeln. Dies sind auf der einen Seite nur ca. 0,2 % mehr als am gestrigen Tag. Auf der anderen Seite aber ist dies sicher ein Gewinn, der massive Außenwirkung haben kann. > > Denn: Ein Allzeithoch verschafft auf der einen Seite ohnehin Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite jedoch ist die Aktie damit auch noch in einer Position, in der kein Investor im Minus sein kann. Die Aktie ist also in einer herausragenden Position. > > Nun kommt es noch dicker: Ein Analyst hat ein neues Kursziel ausgemacht. > > JPMorgan mit dem sensationellen Kursziel! > > Die JPMorgan hat das Kursziel nun auf 2.100 Euro angehoben. Das ist ein echter Knaller. > > Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Das bisherige Kursziel lag bei 1.400 Euro. Nun werden 2.100 Euro ausgerufen, was immerhin einem Anstieg von 50 % entspricht! Quelle: Trading-Treff [https://trading-treff.de/trading/rheinmetall-aktie-der-2-100-euro-knall] Hut ab! Jubel! Trubel! Rüstungsgeilheit! Konfetti aus der Konfettikanone, sicher nebenher produziert von Rheinmetall. Wie schreibt dazu der Trading-Treff-Autor Bernd Wünsche gleich nochmal, als würde er über einen Lottogewinn abfeiern? Der Wahnsinn sei ein echter Knaller. Das müsse man sich auf der Zunge zergehen lassen. Beim Privatsender n-tv Wohlwollen, denn Rheinmetall kommt seinem Ziel näher Auf die Zunge beißt der brave Bürger sich, liest er die Zahlen, die Ausdruck einer katastrophalen Entwicklung für unser Land sind – und sicher kein Ausdruck wirtschaftlicher Stärke. > Laufe alles rund, könne Rheinmetall 2030 sogar mehr als 40 Milliarden Euro Umsatz erzielen, sagte der Manager in einer Telefonkonferenz. 2024 waren es noch knapp zehn Milliarden Euro. Dafür rechnet Papperger mit einer Auftragsflut – und will die Produktion deutlich ausweiten. Dazu widmet Rheinmetall auch Fabriken seiner zivilen Sparte um. In Neuss sollen künftig etwa Satelliten entstehen. > > Rheinmetall erlebe “ein Wachstum, wie wir es im Konzern noch nie hatten” und komme seinem Ziel, “ein globaler Defence-Champion zu werden, näher”, bilanzierte Papperger bei der Vorlage der Zahlen für das erste Quartal. Der Gewinn nach Steuern verdoppelte sich von Januar bis März auf 108 Millionen Euro. Rheinmetall hatte bereits Ende April auf Basis vorläufiger Zahlen ein Umsatzplus von 46 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro verkündet und bestätigte dies nun. Allein im militärischen Geschäft schnellten die Erlöse um rund 73 Prozent in die Höhe. Der Auftragseingang kletterte vor allem durch Bestellungen der Bundeswehr um über 180 Prozent auf elf Milliarden Euro. Quelle: n-tv [https://www.n-tv.de/wirtschaft/Auftragsflut-koennte-Rheinmetall-bald-40-Milliarden-in-die-Kasse-spuelen-article25755273.html] Deutschland, Deutschland, Rüstungsweltmeister? Papperger will, ganz auf Neu-Deutsch, „globaler Defence-Champion“ werden. Nach den Daten zu urteilen, wenn diese weiter lediglich die Merkmale „schneller, höher, weiter, größer, mehr, mehr, mehr“ aufweisen, könnte das dem Rheinmetall-Boss und seiner Gefolgschaft gelingen. Egal, ja sogar in Kauf genommen, dass gegenüber unserer Zivilgesellschaft der Rotstift das am meisten verwendete Werkzeug der politischen Klasse ist. Apropos Zivilgesellschaft – die bekommt dann doch was vom üppigen Büfett ab. Beim Deutschlandfunk (DLF) ist die passende Neuigkeit unter „Panzer statt Autos“ zu erfahren. Brav der Erzählung folgend, dass das nicht schlecht sein muss, findet der DLF … > Rüstungsboom stärkt schwächelnde Wirtschaft > > Krieg und Krisen bringen der Rüstungsindustrie Milliardenaufträge. Das bedeutet Rekordgewinne, neue Werke, neue Jobs. Auch andere Wirtschaftsbereiche könnten von dem Rüstungsboom profitieren – zum Beispiel die angeschlagene Automobilindustrie. Und damit der brave Bürger das auch kapiert, werden ihm, entsprechend von Experten „eingeordnet“, Vorteile offeriert, bei denen man nicht Nein sagen kann. Zauberwort Arbeitsplätze: > Der Rüstungsboom hat aus Sicht der Ökonomen einige Vorteile: In einer Studie haben die Dekabank und die Unternehmensberatung EY berechnet, dass die europäischen NATO-Länder momentan jährlich 72 Milliarden Euro in Rüstung investieren und damit 680.000 Arbeitsplätze sichern. Eine Steigerung der Militärausgaben auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung könnte demnach in Europa 660.000 Arbeitsplätze neu schaffen. Quelle: DLF [https://www.deutschlandfunk.de/aufruestung-deutschland-transformation-automobilindustrie-wirtschaftswachstum-102.html] Arbeitsplatzsicherung, Zukunft – auch in Neuss, es gibt halt einen Haken… Aus Zivilwerk wird Rüstungsschmiede. Der Neusser Bürgermeister Reiner Breuer (SPD) hat mit Rheinmetall gesprochen, berichtet die Rheinische Post. Breuer sei auf alles eingestellt, also, dass das Rheinmetallwerk der Stadt, das bisher in der zivilen Autozulieferbranche aufgestellt war, nun halt auf militärische Produktion umstellen werde. Breuer sei zunächst einmal froh, dass der Standort erhalten werde und die Beschäftigten eine zukunftsträchtige neue Perspektive erhielten, wie der Rheinmetallchef ergänzte. Auch Hans-Jürgen Petrauschke, CDU-Landrat des Rhein-Kreises Neuss, könne diese Entwicklung nachvollziehen [https://rp-online.de/nrw/staedte/neuss/rheinmetall-ruestungskonzern-will-in-neuss-sar-satelliten-bauen_aid-127132601]. Neuss wird in den aggressiven Expansions- und Transformationsplänen Rheinmetalls keine Ausnahme bleiben, denn der Düsseldorfer Konzern hält über 20 Werke weltweit, die Güter der zivilen Nutzung herstellen. Dem nicht genug, auf dem Weg zum Global Champion kann sich die Konzernleitung auch vorstellen, Werke von VW zu übernehmen. Ein Blick zurück Düsseldorf ist nicht nur aktueller Standort von Rheinmetall, die Großstadt am Rhein ist auch ein überaus geschichtsträchtiger Ort. Im Parkhotel fand am 26. Januar 1932 eine folgenreiche Begegnung statt. Der spätere Diktator Adolf Hitler hielt bei einem Treffen des „Industrie-Club Düsseldorf“ eine Rede vor über 600 gewichtigen, einflussreichen Teilnehmern. Hier ein Zitat aus einem Archiv: > Diese Rede machte einen tiefen Eindruck auf die versammelten Industriellen, und als Ergebnis floß eine Zahl von bedeutenden Zuwendungen aus den Quellen der Schwerindustrie in die Kassen der NSDAP … In den letzten Jahren vor der Machtergreifung leisteten die großen industriellen Verbände laufend Kontributionen.“ Quelle: Web Archiv [https://web.archive.org/web/20101119233451/http:/braunbuch.de/1-01.shtml#i01] Ein Blick ins Heute Viele Jahre später, wir halten zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus inne, ist in unserer Bundesrepublik eine beispiellose Aufrüstung im Gang. Im NachDenkSeiten-Zwischenruf [https://www.nachdenkseiten.de/?p=132582] wird über eine Vision des Wissenschaftlers Ranga Yogeshwar berichtet, die denen, die von all diesen wahnsinnigen Zahlen, von Allzeithochs ihrer Aktien und von irrsinnigen Transformationsplänen der Zivilgesellschaft profitieren, nicht über Lippen kommt: „Wir in Deutschland rüsten gar nichts auf, wir rüsten ab, lass uns das Land komplett entmilitarisieren, weil … es gibt keine Begehrlichkeiten.“ Ich frage: Wann kommen ähnliche Worte von Politikern und eben diesen anderen wichtigen Leuten? Titelbild: Screenshot Google.de

Erhellende Zahlen aus Griechenland: Laut einer Studie starben dort während der Omikron-Welle kaum mehr als die Hälfte der sogenannten Corona-Toten direkt am Virus oder mit dessen Zutun. In 45 Prozent der Fälle bestand kein Zusammenhang zu SARS-CoV-2. Die Forscher fordern mehr Klarsicht bei der Vermessung von Pandemien und einheitliche Standards. Deutschland bleibt seiner Linie treu: Je mehr Opfer, desto stärker die Wirkung, und bloß keine Aufarbeitung. Von Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Die Corona-Krise war eine Zeit der Zahlen, im Besonderen der großen Zahlen. Von allem „Schlimmen“ gab es viel: Infizierte, Kranke, Tote. Zu wenig gab es dagegen von all dem, was der Not hätte Einhalt gebieten können: Tests, Masken, Ärzte, Pfleger, Krankenhausbetten, Intensivplätze. Diese Zwickmühle aus Masse und Mangel steigerte vor allem eines: Angst. Die Angst, sich anzustecken, zu erkranken, zu sterben. Und so, wie die Infizierten, Kranken und Toten immer mehr wurden, steigerte sich die Angst zu einer kollektiven Psychose und machte die Mehrheit der Bürger gefügig, jede noch so rigide Einschränkung ihres und des gesellschaftlichen Lebens auszuhalten oder gar zu begrüßen. Der fraglos stärkste Angsttreiber waren die Todeszahlen. Weltweit sollen dem Virus bis heute 7,1 Millionen Menschen erlegen sein, in Deutschland über 187.000. Die Frage ist bloß: Stimmt das? Kritiker weisen seit Jahren darauf hin, dass die offiziellen Mortalitätsziffern übertrieben sind, dass längst nicht alle sogenannten Covid-19-Toten tatsächlich infolge der Infektion mit dem Erreger ihr Leben ließen. Vielmehr gelte es zu unterscheiden zwischen Fällen von „an“ Corona und Fällen von „mit“ Corona Verstorbenen. Aber dieser Einwand wird, nicht nur hierzulande, von den Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft bis heute überhört und mit dem Stempel „Verschwörungstheorie“ versehen. Echte und falsche Corona-Tote Eine Studie griechischer Wissenschaftler könnte und sollte die Diskussion neu beleben. Sie wollen mittels Auswertung der Daten Hunderter verstorbener Patienten den Beleg geliefert haben, dass nahezu die Hälfte der sogenannten Corona-Toten zu Unrecht in dieser Rubrik gelandet ist, womöglich sogar mehr. Die Arbeit [https://www.nature.com/articles/s41598-025-98834-y.pdf] wurde am 21. April im Fachjournal Scientific Reports [https://www.nature.com/srep/] veröffentlicht. Die Forscher untersuchten 530 amtlich registrierte Corona-Tote aus sieben großen Athener Kliniken während der Omikron-Welle im Zeitraum zwischen Januar und August 2022. Ergebnis: In 240 Fällen (45,3 Prozent) stand der Tod in keinem Zusammenhang mit Covid-19. Die Betroffenen litten und verstarben demnach an anderen Erkrankungen und waren nur „nebenbei“ positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Die mehrheitlich ermittelten Todesursachen waren: Schlaganfall, bakterielle Blutvergiftung, Lungenentzündung nach Verschlucken, Herzversagen, Krebserkrankungen. Selbst die restlichen Fälle (54,7 Prozent) haben die Forscher nicht eindeutig Corona zugeordnet. Nach ihren Befunden waren gerade einmal 25,1 Prozent oder 133 Personen direkt an Covid-19 gestorben („direct cause of death“). Bei den verbleibenden 29,6 Prozent oder 157 Fällen war das Virus ein mitverantwortlicher Faktor am Tod, also ein Teil „der Kette an Ereignissen“, die schließlich zum Ableben führten, („not the primary cause but contributed to the chain of events leading to death“). Und auch das könnte noch an der Realität vorbeigehen. Damals wurde praktisch einzig auf Covid-19 getestet, während andere Erreger von Atemwegserkrankungen ein großer blinder Fleck waren. Insofern wäre es denkbar, dass etwa auch unerkannte Influenza-, Rhino- oder RSV-Viren Einfluss auf die „Kette an Ereignissen“ hatten. Evidenzbasierte Wissenschaft Ohnehin ist die Feststellung von Todesursachen mitunter ein ziemliches Ratespiel, weil sich bei einem so komplexen System wie dem menschlichen Organismus Kausalitäten nicht verlässlich nachweisen lassen. Das gilt mithin sogar für die Fälle, bei denen Corona als „direkter“ Grund für den Tod ermittelt wurde. Klarer liegen die Dinge dagegen in der Gruppe der „falschen“ Corona-Toten. Wie die Forscher ermittelten, waren die fraglichen Patienten im Schnitt jünger, oft chronisch krank, häufig immungeschwächt und zum Teil erst im Krankenhaus mit dem Virus in Kontakt gekommen. Sie zeigten außerdem kaum Covid-19-typische Symptome und wurden überwiegend nicht dahingehend behandelt. Die „echten“ Corona-Patienten litten hingegen fast immer an Atemnot, brauchten Sauerstoff und erhielten spezifische Therapien. Diese offenkundigen Differenzen zwischen den Patientengruppen sprechen für eine hohe Plausibilität der Resultate der Studie. Überhaupt besteht deren Wertigkeit darin, dass sie sich nicht auf die Angaben auf Totenscheinen verlässt, sondern jeder Einzelfall eingehend medizinisch geprüft und Patientenakten, Labordaten sowie Symptomatik systematisch studiert wurden. Das macht die Arbeit bei allen vorhandenen Limitierungen so aussagekräftig, weil sie das Narrativ vom „Killervirus“, das Massen hingerafft haben soll, mit redlicher, weil evidenzbasierter Wissenschaftlichkeit ins Wanken bringt. Damit es endgültig fällt, bedürfte es freilich noch mehr, sprich Folgearbeiten aus anderen Ländern und eine Weitung der Perspektive auf die gesamte Pandemie. Die von den Forschern beleuchte Omikron-Mutation war erwiesenermaßen weniger gefährlich als ihre Vorläufer, also die am Anfang der Pandemie kursierende Variante oder später die mutierte Delta-Variante. Bei beiden lag die Sterblichkeit deutlich höher, während Omikron sehr viel ansteckender war, aber um Längen harmloser. Kein griechischer Sonderfall Die neuesten griechischen Daten sollen über Athen hinaus repräsentativ für ganz Griechenland sein. Gleichwohl hüten sich die Autoren davor, ihre Befunde zu verallgemeinern, nach dem Motto: Hellas ist überall. Zumal ihre Untersuchung Lücken aufweist. Das betrifft etwa die fehlenden Daten von Intensivstationen. Deren Nichtberücksichtigung könne „zu einer Unterschätzung der Todesfälle ‚aufgrund‘ von Covid-19 führen“, halten sie fest. Zudem fehle eine Kontrollgruppe aus der Anfangszeit der Pandemie. Und ausdrücklich raten sie davon ab, ihre Ergebnisse eins zu eins auf andere Länder zu übertragen, „da sich sowohl die Kapazität des Gesundheitssystems als auch die Intensität der Pandemiewellen von Land zu Land unterscheiden“. Gleichwohl sind die Erkenntnisse bestimmt kein griechischer Sonderfall. In der Tendenz dürfte sich dasselbe Bild so ziemlich allerorten zeigen, wo mittels großer Zahlen schweres Geschütz gegen die Freiheitsrechte aufgefahren wurde. Die Forscher wollen im Wesentlichen zweierlei erreichen: dass, erstens, ihr Ansatz – zwischen „an“ und „mit“ Corona Verstorbenen zu differenzieren – aufgegriffen und in anderen, möglichst größeren Zusammenhängen überprüft wird und dass, zweitens, nicht länger mit uneinheitlichen Standards operiert wird, wenn es um die Vermessung und Bewertung eines globalen Gesundheitsnotstands geht. Zitat: > „Um jedoch zuverlässige Rückschlüsse auf die Sterblichkeitsrate durch Covid-19 ziehen zu können, müssen wir wichtige Verzerrungen beseitigen, die aufgrund der Verwendung ungenauer Definitionen zu ungenauen Schlussfolgerungen führen können.“ Alles auf Panik In dieser Hinsicht herrschte und herrscht weiterhin große Beliebigkeit. So weist die Analyse an mehreren Beispielen nach, wie Corona-Tote je nach Staat und Region mit unterschiedlicher Methodik gezählt wurden. Dabei klassifiziert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) per Richtlinie sogar einigermaßen trennscharf. > „Ein Covid-19-Todesfall wird für Überwachungszwecke definiert als ein Todesfall infolge einer klinisch kompatiblen Erkrankung bei einem wahrscheinlichen oder bestätigten Covid-19-Fall – es sei denn, es gibt eine eindeutige alternative Todesursache, die nicht mit der Covid-Krankheit in Verbindung gebracht werden kann.“ Aber obwohl auch das „Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC) dieser Vorgabe offiziell folgt, verfuhren die EU-Mitgliedsstaaten in der Mehrheit ganz anders – und provozierten damit die maximale Erregung in der Bevölkerung. Zum Beispiel wurden in Großbritannien oder Dänemark lange Zeit alle Verstorbenen, die innerhalb von 30 Tagen vor dem Todesdatum positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren, als Corona-Tote registriert. Ebenso ging Griechenland vor, und dasselbe gilt bis heute für Deutschland: Beim federführenden Robert Koch-Institut (RKI) [https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/FAQ-Liste-COVID-19-Pandemie.html#entry_16871532] heißt es dazu: > „In die Statistik des RKI gehen die Covid-19-Todesfälle ein, bei denen ein laborbestätigter Nachweis von SARS-CoV-2 (direkter Erregernachweis) vorliegt und die in Bezug auf diese Infektion verstorben sind. (…) Sowohl Menschen, die unmittelbar an der Erkrankung verstorben sind („gestorben an“), als auch Personen mit Vorerkrankungen, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren und bei denen sich nicht abschließend nachweisen lässt, was die Todesursache war („gestorben mit“), werden erfasst.“ China macht den Unterschied Warum rückt das RKI nicht endlich von dieser beschränkten Sicht der Dinge ab und korrigiert die Todeszahlen nach unten? Und warum legt man für die unterschiedlichen Pandemiephasen (Urform, Alpha, Delta, Omikron) nach wie vor dieselbe Messlatte an, so als wäre nicht längst sonnenklar, dass ein mit Omikron infizierter Toter viel weniger wahrscheinlich auf das Corona-Konto geht als früher ein Verstorbener mit Delta-Nachweis? Dabei gibt es Länder, die ihre verbohrte Haltung überwunden haben und sich an die Realität halten. So gilt es in Dänemark inzwischen als amtlich, dass während der Omikron-Welle 40 Prozent der gemeldeten Toten keinen direkten Covid-19-Bezug hatten. Für Schweden ermittelten Forscher einen entsprechenden Wert von 24 Prozent. Selbst in China, bekannt für seine einst ultraharte Gangart im Kampf gegen das Virus, hat irgendwann die Vernunft obsiegt. Nachdem man Anfang 2022 dazu übergangen war, nur noch solche mit Atemwegserkrankungen assoziierte Sterbefälle zu erfassen, rauschte die Zahl der Corona-Toten in den Keller [https://amp.theguardian.com/world/2022/dec/21/china-covid-infection-surge-puts-end-of-global-emergency-in-doubt-who]. Lirum larum Faktencheck Im Internet zieht die griechische Studie erwartungsgemäß Kreise. Wie stets in solchen Fällen unbotmäßiger „Desinformation“ schwärmen auch diesmal umgehend die „Faktenchecker“ aus. Bei factenchecking dpa schießt man sich im Gros auf die „Einschränkungen“ der Arbeit ein und titelt stupide: „Kein ‚Mythos‘ widerlegt. Studie bestätigt Mehrzahl von Corona-Todesfällen in Athen.“ [https://dpa-factchecking.com/luxembourg/250429-99-685569/] Auch sonst stiftet der Artikel mehr Verwirrung denn Aufklärung und scheitert obendrein daran, die Hauptbotschaft der Publikation zu entkräften. Die lautet: Die Covid-19-Todeszahlen sind zu hoch gegriffen, wahrscheinlich viel zu hoch. Das gilt für praktisch alle Kennziffern der Pandemie. Aber es gibt Ausnahmen: Impfgeschädigte oder Impftote soll es lange Zeit überhaupt keine gegeben haben, irgendwann dann ein paar wenige. Aber Genaues weiß man nicht und will man auch nicht wissen – so wenig wie von der jahrelangen Übersterblichkeit in Deutschland und Europa. Themenwechsel … Titelbild: angellodeco / Shutterstock[http://vg06.met.vgwort.de/na/968ec0ee0b6a45059ba591c6087c6f04]
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