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Der Journalist und Publizist Patrik Baab ist auf Veranstaltungen und in den Videos der deutschen Friedensbewegung ein gefragter Gesprächspartner. In Moskau präsentierte er kürzlich auf einer Veranstaltung in der Tscheglakow-Stiftung die russischsprachige Ausgabe seines Buches „Auf beiden Seiten der Front“. Das Buch handelt vom Krieg in der Ukraine. Mit Patrik Baab hat Ulrich Heyden gesprochen. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Ulrich Heyden: Herr Baab, Sie sind jetzt schon ein paar Tage in Moskau. Was haben Sie hier erlebt, und was sind Ihre Ziele auf dieser Moskau-Reise? Patrik Baab: Der Besuch ist rein privater Natur, denn ich finde, die Kontakte zu den Menschen in Russland müssen erhalten bleiben, gerade in einer Zeit, in der wir sprechen können von dem vollständigen Ruin der deutschen Diplomatie. Man muss sich das vorstellen: Ein Land, von dem die furchtbarsten Kriege des vergangenen Jahrhunderts ausgegangen sind, mit vielen Millionen Toten, ist nicht in der Lage, im Ukraine-Konflikt eine einzige Friedens- und Vermittlungsinitiative zu starten. Für diese verkommene deutsche Politik kann man sich wirklich nur schämen. Und Sprüche wie „Russland wird immer unser Feind sein“ – Johann Wadephul – oder seine Vorgängerin – Frau Baerbock – „wir führen einen Krieg gegen Russland“, „die Sanktionen werden Russland ruinieren“, das ist der Bankrott der Diplomatie, vor allem, wenn man weiß, dass dies alles andere ist als ein unprovozierter Angriffskrieg. Also, ich halte die Verbindungen zu den Menschen in Russland aufrecht, ich recherchiere auch weiter in Russland, und ich bin meinem Verlag hier in Russland, Gnosis, dankbar, dass er mein Buch „Auf beiden Seiten der Front“ übersetzt hat und dass es auf Russisch herausgekommen ist. Das Interesse der Medien hier und der Öffentlichkeit ist groß. Und das ist – in Deutschland muss man das ja immer dazusagen – ein Verlag, der völlig unabhängig von der russischen Regierung arbeitet. Sie haben hier in Moskau „Auf beiden Seiten der Front“ [1] präsentiert. Nach der Veranstaltung wurden Sie von russischen Medien interviewt, von Rossija 1 und RT DE. Auch die Nachrichtenagentur Tass war da. Alle genannten Medien haben über die Präsentation berichtet. Ist das nicht eigentlich ein ganz gutes Ergebnis, dass die russischen Medien Sie hier als Deutschen interessant finden und vorstellen? Ich freue mich darüber. Zumal sich die russische Öffentlichkeit mit meinem Buch schwertut, denn es folgt weder der westlichen, der NATO-Propaganda, noch folgt es der Propaganda des Kremls. Das Buch ist irgendwo dazwischen. Es ist für die Menschen in Russland schwer einzuordnen, weil sie natürlich daran gewöhnt sind, unter einer Propaganda-Glocke zu leben. Das Buch führt zur Verunsicherung, und deswegen hat es der Verlag natürlich nicht leicht. Der Titel des Buches „Auf beiden Seiten der Front“ ist ja in Russland heute praktisch nicht präsent, denn wir hören in russischen Medien Reportagen von der russischen Kriegsfront. Wir hören aber eigentlich nichts über das Leben der Ukrainer. Von daher ist der Ansatz des alten, liberalen deutschen Journalismus, wo man in den 1980er-Jahren noch versucht hat, beide Seiten der Front darzustellen, heute hier in Russland kaum noch zu erklären. Die Russen interessieren sich zwar dafür, was in der Ukraine passiert, aber zu diesem Thema werden hier keine Informationen geliefert. Ich nehme das so wahr, dass auch auf Kanälen wie Rossija 1 – einem staatlichen Kanal – zumindest die Positionen Deutschlands und der NATO-Länder korrekt dargestellt werden, auch wenn man sie nicht teilt. Aber tatsächlich verfolgt der Mainstream-Journalismus in Russland einen Ansatz, der in meinen Augen zwingend ist, nämlich beide Seiten zu hören. Vor allem muss man natürlich auch mit den Menschen sprechen. Das sieht man vor allem bei Militär-Bloggern oder Bloggern, die im Kriegsgebiet unterwegs sind. Die liefern wieder ein ganz anderes Meinungsbild. Es gibt ja auch in Russland unterschiedlichen Journalismus. Es gibt einen Spielfilm und einen Dokumentarfilm, in dem die Realität des Kriegsalltags gezeigt wird [2]. Für den Dokumentarfilm hat der Kameramann die russischen Soldaten bei der Eroberung von Mariupol begleitet. Das ist wirklich guter Journalismus. Leider ist das in Deutschland kaum bekannt und wird im deutschen Fernsehen auch nicht erwähnt. Das Problem für den Reporter ist, dass er im Kriegsgebiet konsekutiv – also nacheinander – arbeiten muss. Man kann nicht gleichzeitig auf beiden Seiten der Front sein, weil man dafür die Feuerlinie der Maschinengewehre durchkreuzen müsste, und das ist de facto unmöglich. Sie waren ja auch in St. Petersburg. Dort haben Sie einen Freund, der Sie eingeladen hatte, eine Lesung zu machen. Wie lief das da ab in St. Petersburg? Mit Alexander arbeite ich seit 25 Jahren zusammen. Er ist Kollege und wie ich jetzt im Ruhestand. Er ist ein ehemaliger Journalist. Aus Kollegen wurden Freunde, und er hat sich sehr dafür eingesetzt, eine Veranstaltung zu machen, eine Diskussionsrunde zu meinem Buch „Auf beiden Seiten der Front“, in St. Petersburg. Aber der Journalistenverband hat kalte Füße bekommen und fragte beim Kulturamt der Stadt St. Petersburg nach. Dort wollte man sich auch nicht entscheiden, denn ich bin ja ein Autor aus Deutschland. Das ist ja gefährlich. Und dann fragte man den Inlandsgeheimdienst FSB. Der FSB wollte sich aber in die Inhalte des Buches gar nicht einmischen. Er gab nur ein Urteil ab, ob eine Gefahr für einen Terroranschlag vorliegt. Der FSB hat das verneint. Ein Terroranschlag gegen Sie möglicherweise? Ja, gegen die Veranstaltung. Der FSB hat das verneint und gab das zurück an die Stadtverwaltung, aber die kalten Füße sind geblieben. Auch in Russland gibt es viel vorauseilenden Gehorsam und Furcht, dass man irgendwas falsch machen könnte und dass dann sozusagen Blitz und Donner aus dem Kreml da reinhauen. Vor zwei Wochen haben Sie den alternativen Karlspreis in der Stadt Aachen bekommen. In einem Video über die Preisverleihung unter freiem Himmel hat mich etwas fasziniert. Ulrike Guérot trat auf, danach traten Sie auf. Währenddessen sah man im Hintergrund das Publikum. Es waren etwa 300 Menschen, die frenetisch Beifall klatschen, wie bei einem Rockkonzert. Was war das für ein Publikum? Das war nicht choreographiert und nicht gestellt. Die Reden in Aachen hatten eine lange Vorgeschichte. Und es geht darauf zurück, dass ich einmal einen Film für den NDR gemacht habe, über den Tod von Jenny Böken auf der Gorch Fock. Das war eine Offiziersanwärterin, die unter ungeklärten Umständen an Bord des Segelschulschiffes ums Leben gekommen ist. Und so habe ich Kontakt zu der Familie bekommen. Der Vater von Jenny Böken ist der Direktor eines Gymnasiums. Und der hat mich angerufen und gesagt: „Du recherchierst ordentlich. Das habe ich erkannt. Ich möchte, dass du mal dein Buch mit meinen Schülern diskutierst.“ Und so habe ich eine Einladung an ein Gymnasium in Geilenkirchen in der Nähe von Aachen bekommen. Doch dann erhob sich ein Proteststurm, natürlich von pro-ukrainischen Nichtregierungsorganisationen und von Nichtregierungsorganisationen, die der NATO nahestehen und von der EU bezahlt und organisiert wurden. Das hat zu einem Shitstorm geführt, an den sich die örtliche Presse – die Aachener Zeitung – drangehängt hat. In Deutschland geht es ja darum, nicht offen zu diskutieren, sondern Veranstaltungen zu verhindern und am besten die Existenz des Autors zu beschädigen. Die Presse selbst und die Nichtregierungsorganisationen sind die schärfsten Kriegstreiber im Ukraine-Krieg. Und sie sind selbst die Vernichter der öffentlichen Meinung. Hier hat sich etwas völlig verkehrt. Und dann wurde der Schuldirektor im Bildungsministerium Nordrhein-Westfalen einbestellt. Und dann gab es eines von diesen Sechs-Augen-Gesprächen, wo sich die Gegenseite immer gegenseitig in den Zeugenstand rufen kann. Aber der Direktor war schlau genug, seinen Anwalt mitzunehmen. Aber er musste die Veranstaltung absagen. Und da waren die Kräfte des Friedens und der Demokratie im Raum Aachen so verärgert, dass ich am Ende drei Veranstaltungen bewältigen musste, bei denen jeweils 200 bis 250 Leute zu Gast waren. Die waren wütend, dass sich das Bildungsministerium anmaßt, eine offene Diskussion zu unterbinden. So wurden schließlich drei Veranstaltungen organisiert, darunter eine von der protestantischen und katholischen Kirche gemeinsam veranstaltete. Wir haben eine Diskussion im Gemeindehaus gemacht, die wunderbar verlief. Da waren fast 300 Leute da, wenn ich mich richtig erinnere. Und das waren eben die Menschen, die dann zur Verleihung des [Alternativen] Karlspreises gekommen sind. Und sie haben mich natürlich begeistert empfangen, weil es eine Vorgeschichte gab. Die Geschichte, die Sie gerade erzählt haben, macht Hoffnung. Ja. Aber wie betten Sie dieses Erlebnis ein in die Gesamtlage in Deutschland? Wir stehen ja vor dem Problem, dass die Kriegstreiber immer frecher auftreten. Unsere Stimmen kommen in den Medien nicht mehr vor. Wie kann es weitergehen? Wir müssen nun mal feststellen, dass die Kriegspropaganda über die Ministerien, in die Kirchen hinein, über die Verbände in die einzelnen Fachbereiche hinein, über die Nichtregierungsorganisationen in die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen hinein, über die Medien in die Öffentlichkeit hinein organisiert und orchestriert wird. Das Beispiel Aachen zeigt, dass mutige Bürger dem etwas entgegenstellen können, wenn sie sich auf dem Absatz umdrehen und sagen ‚Freunde, bis hierher und nicht weiter‘. Jetzt wehren wir uns. So schaffen wir eine neue Öffentlichkeit, eine Gegenöffentlichkeit, die sich im Unterschied zu den Regierenden am Friedensgebot des Grundgesetzes orientiert. Und ich kann die Menschen in ganz Deutschland nur ermutigen, auf die Straße zu gehen und ihren Protest gegen den Kriegskurs der Regierung in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir haben jetzt drei Jahre „Spezialoperation“, also russischen Krieg in der Ukraine. Und wir haben eine Entwicklung, die sich immer mehr steigert. Wenn Sie jetzt zurückblicken, was haben die friedensbewegten Menschen in Deutschland erreicht und was nicht? Wir haben nichts erreicht. Wir haben deswegen nichts erreicht, weil es der Regierung und der NATO gelingt, die Gesellschaft zu spalten. Der Riss geht heute durch die Gruppe der Gleichaltrigen, durch die Familien, durch die Betriebsgruppen, die sozialen Einrichtungen. Dem müssen wir Einhalt gebieten. Wir brauchen wieder eine Kultur des Sich-Unterhakens. Denn eines ist doch völlig klar, Deutschland wird derzeit immer tiefer in diesen Krieg hineingezogen. Ich kenne die Russen schon sehr lange. Ich arbeite in Russland schon seit 25 Jahren. In Russland schaut man den Dingen sehr lange zu, denn Russland ist ein Land mit einem großen Raum. Es ist das größte Land der Welt, und da gelten andere Dimensionen. In Russland zieht man sich eine ganze Weile immer nur zurück, und dann dreht man sich auf dem Absatz um und bekämpft den Gegner mit aller Macht. Und das kann Deutschland auch passieren. Und es ist doch völlig klar: Wenn der Kriegskurs der Regierung so fortgesetzt wird, dann werden unsere Kinder in den kommenden Kriegen sterben. Die neuen Kriege gegen Russland werden ausgehen wie die alten Kriege, die wir mit Millionen Opfern verloren haben, mit einem Unterschied: Nach einem neuen Krieg gegen Russland wird es Deutschland nicht mehr geben. Menschen, die für den Frieden sind, begnügen sich ja oft damit, einfach nur Videos zu „liken“ oder zu teilen. Doch eigentlich hoffen viele darauf, dass Politiker vom BSW oder der AfD oder Leute wie Sie, Herr Baab, den Karren aus dem Dreck ziehen. Das ist eine Haltung, die darauf hinausläuft: ‚Ich kann ja sowieso nichts machen, das müssen irgendwie stärkere Leute machen.´ Wie kann man diese Einstellung verändern? Dazu sind zwei Schritte erforderlich: Der eine Schritt ist, aus der Nebelglocke der Propaganda herauszutreten und anzufangen, selbst zu denken. Und dazu gehört es, dass man eben nicht nur um 20 Uhr den Fernseher einschaltet oder die Regionalzeitungen liest. Sondern da muss man sich auch aus den neuen Medien informieren, aus ausländischen Medien, englisch-, französisch- und russischsprachigen Medien, um durch die Vielfalt der Positionen und der Perspektiven zu einem eigenständigen Urteil zu gelangen und nicht wie ein Schaf den Mainstream-Medien zu folgen. Denn die lassen die Hälfte weg. Die lassen vor allem die wahren Kriegsursachen weg. Sie lügen durch Weglassen. Der zweite Schritt ist, wir müssen wieder lernen, von der eigenen Überlegung zu einer Handlungsoption zu gelangen. Wir müssen handlungsfähig werden, und das geht eben nicht als Einzelkämpfer, sondern das geht nur gemeinsam. Und hier lohnt es sich, sich in Friedensgruppen zusammenzuschließen. Und dann werden sie sehen: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland sind für den Frieden. Und wir müssen auf die Straße gehen. Und wenn beispielsweise Sahra Wagenknecht aufruft zu einer Friedensdemonstration, dann erwarte ich schon von den Menschen, die am Friedensgebot des Grundgesetzes orientiert sind, dass sie eben zu dieser Demo hingehen. Aber ich sage auch: Am Ende des Tages muss das herrschende Parteien-Kartell geschlossen abgewählt werden. Denn die Brandmauer gegen die AfD ist die Lebensversicherung des herrschenden Parteien-Kartells, das uns in den Krieg führt. Ich erinnere mich an unser letztes Gespräch [3], das war im Oktober 2024 hier in Moskau. Da kamen Sie gerade aus dem Kriegsgebiet Donbass zurück. Ich hatte damals das Gefühl, dass Sie sich nun zu Hause in Berlin an den Schreibtisch setzen, um ein neues Buch zu schreiben. Stattdessen geben Sie nun fast wöchentlich YouTube-Interviews. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich in diesen Interviews wiederholen? Brauchen Sie jetzt nicht mehr Ruhe, um auf neue Gedanken zu kommen? Ja, ich brauche mehr Ruhe. Das Buch kommt voran, leider zu langsam. Aber es ist so, dass ich die meisten Interview-Anfragen absage. Es ist die Not, die mich zu diesen Diskussionen zwingt. Vor allem versuche ich nun, Kontakt zu finden zu den friedliebenden Menschen im amerikanischen und englischsprachigen Raum und in Skandinavien. Das ist wichtig, denn heute unterliegen Menschen, die aus dem Kriegsgebiet berichten wie Alina Lipp und Thomas Röper, aber auch Intellektuelle wie Professor Ulrike Guérot in Deutschland im Grunde genommen einer subtilen politischen Verfolgung. Man muss jede Nacht mit einer Hausdurchsuchung rechnen. Oder man muss inzwischen – nachdem Alina Lipp und Thomas Röper mit Sanktionen überzogen wurden – damit rechnen, dass man auch mit Sanktionen überzogen wird. Konten werden beschlagnahmt. Man wird im Grunde genommen aus Deutschland rausgedrängt. Führende Funktionäre der SPD haben ein Manifest für den Frieden verfasst. Wie ist Ihre Meinung dazu? Ich war viele Jahre Mitglied der SPD. 1999 bin ich ausgetreten, als der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen Serbien mit Unterstützung der Regierung Schröder durchgeführt wurde. Das war mir zu viel. Ich beobachte die Sozialdemokratie mit einer gewissen Leidenserfahrung. Ich halte dieses Manifest für eine erforderliche und notwendige, aber nicht für eine zureichende Sache. Es ist einfach zu wenig. Es muss von den Kräften in der SPD, die zum Frieden zurückfinden wollen, mehr Aktivität kommen. Ein Manifest genügt nicht, ich erwarte hier Handlung. Denn die SPD ist Regierungspartei, und da gehört es sich, dass die Friedenskräfte in dieser Partei die Regierung unter Druck setzen. Und da habe ich bislang noch nicht viel gesehen. Sogar der Vorsitzende der Jungsozialisten hat das Manifest kritisiert. Dabei waren die Jusos früher noch das linke Feigenblatt der SPD. Die Jusos, das ist heute ein Club von Leuten, die Karriere machen und nicht arbeiten wollen. Sie sind bei den Jusos, weil sie hoffen, dass sie irgendwann einen Kofferträger-Job bekommen, statt sich dem Arbeitsleben zu stellen. Da wird nicht viel kommen. Die SPD hat sich zu einer Kriegspartei formiert, und sie hat den Boden der Überlegungen von Willy Brandt vollständig verlassen. Willy Brandt hat gesagt: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Deshalb bin ich mal in die SPD eingetreten. Das gilt für mich heute noch. Herr Baab, Sie sind nach dem Krieg geboren, aber Sie sind trotzdem vom Krieg gezeichnet. Das habe ich Ihren Veröffentlichungen entnommen. In einem Text schreiben Sie, dass Sie von Ihren Eltern, die durch den Zweiten Weltkrieg traumatisiert waren, sehr streng erzogen wurden. Einmal mussten Sie als Vierjähriger zur Strafe eine Nacht allein in einem Keller verbringen. Hängt Ihr Engagement als Journalist und Kriegsreporter damit zusammen, dass Sie etwas wiedergutmachen wollen? Vielleicht kann man das so sagen. Die Familiengeschichte prägt einen Menschen. Mein Großvater väterlicherseits wurde im Ersten Weltkrieg schwer verwundet. Mein Vater bekam im Februar 1945 – er war der beste Schütze in der Hitler-Jugend und 15 Jahre alt – einen Einberufungsbescheid an die Ostfront. Sein Vater sagte: „Der Krieg ist verloren. Du gehst nicht mehr Verrecken. Versteck’ Dich im Wald.“ Das tat mein Vater, und so geriet er im Südwesten von Deutschland zwischen die Fronten der Amerikaner und der SS. Die SS zog nach Osten ab. Die amerikanischen Soldaten strömten in die Wälder und schossen auf jedes Eichhörnchen. Das waren ja junge Kerle mit ihren 19, 20 Jahren. Mein Vater war natürlich vollständig traumatisiert. Der Vater meiner Mutter war Kommandant der Außenstelle des Konzentrationslagers Neue Bremm – Außenstelle Neunkirchen – im Saarland. Und natürlich prägt das. Das war durchaus eine Erziehung, die nicht demokratisch, sondern eher streng war und sich an den Vorstellungen der Hitler-Diktatur orientierte. Und wenn man solche Erfahrungen hat, dann ist es doch das Erste, zur Selbstständigkeit zu reifen und sich gegen die Eltern aufzulehnen, Handlungsfähigkeit aus freien Stücken zurückzugewinnen. Wenn ich in Kriegsgebiete reingehe, dann hat das natürlich auch damit zu tun, dass ich die Traumata der Familie noch einmal durchlebe. Vielleicht ist es das. Schafft Ihr Herangehen bei den Menschen eine gewisse Achtung oder eher eine Distanz? Das ist völlig unterschiedlich. Natürlich kann man niemandem empfehlen, der noch bei Sinnen ist, in ein Kriegsgebiet reinzugehen. Aber das verschafft mir viel Respekt bei Menschen, die sagen, er versucht wenigstens, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Und das ist das, was mein Freund Patrick Lawrence aus den Vereinigten Staaten sagt: „Was wir leisten können als Reporter, das ist Sehen und Sagen. Wir müssen genau hinschauen, die Situation genau analysieren und dann davon erzählen, was wir erlebt haben.“ Und das steht in einem großen Unterschied zu den sogenannten Journalisten, den Schreibtischtätern in den Redaktionen. Die fragen überhaupt nicht mehr, was man im Kriegsgebiet erlebt hat. Sie beugen sich ins Joch der NATO-Propaganda. Diese Berichterstattung ist nichts wert. Wir befinden uns im postfaktischen Zeitalter, weil sich niemand mehr der Situation aussetzt. Die Beobachtung vor Ort wird vermieden. Man schreibt den Käse von der Nachrichtenagentur ab, und es führt zu nichts. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Reise! Ich hatte hier in Russland eine ganze Reihe lebhafter und hitziger Diskussionen. Manchmal hat man hier in Moskau das Gefühl, man kann offener und streitbarer diskutieren, als das heute in Deutschland noch möglich ist. Titelbild: Ulrich Heyden ---------------------------------------- Fußnoten: [«1] https://gnosisbooks.ru/books/politologiya/po_obe_storony_fronta_iskusstvo_reportazha/ [https://gnosisbooks.ru/books/politologiya/po_obe_storony_fronta_iskusstvo_reportazha/] [«2] Mein Artikel über zwei russische Filme (Spiel- und Dokumentarfilm), welche den Kriegsalltag lebensnah zeigen. Zwei aktuelle russische Filme über den Krieg in der Ukraine zeigen das Geschehen aus ungewohnten Blickwinkeln. – Berlin 24/7 [https://berlin247.net/panorama/zwei-aktuelle-russische-filme-ueber-den-krieg-in-der-ukraine-zeigen-das-geschehen-aus-ungewohnten-blickwinkeln/] [«3] Buchautor Patrik Baab über die Eindrücke seiner neuen Reise in das Kriegsgebiet Donbass [https://www.nachdenkseiten.de/?p=123234] [https://vg04.met.vgwort.de/na/6ce02a1d83674357bd7461d4a29ebc0d]

Die infame Kanzler-Aussage, Israel würde im Iran „die Drecksarbeit für uns alle“ erledigen, möchten nun einige Politiker und Journalisten verteidigen – die dafür genutzten „Argumente“ sind zurückzuweisen: Neben der Behauptung von der „unbequemen Wahrheit“ wird einmal mehr ein falsches „Wir“ beschworen – denn für mich oder für „uns alle“ wird diese „Arbeit“ bestimmt nicht erledigt. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Eine aktuelle Verteidigung des inakzeptablen Merz-Satzes [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134660] lautet, dass die Aussage mit der „Drecksarbeit“ zwar stilistisch grenzwertig, aber inhaltlich zutreffend sei. Beispielhaft für ähnliche Äußerungen, die Merz in Schutz nehmen wollen, schreibt etwa die FAZ [https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/merz-und-die-drecksarbeit-wahrheiten-%C3%BCber-iran/ar-AA1H2OtB?ocid=entnewsntp&pc=U531&cvid=c3c2a965f006455e820ac4ad28602b9d&ei=14]: > „Nein, es ist nicht das feine Diplomatengesäusel, mit dem deutsche Politiker sonst gern ihre Macht- und Ratlosigkeit überspielen, wenn der Bundeskanzler öffentlich davon spricht, dass Israel in Iran die ‚Drecksarbeit für uns alle‘ mache. Aber die Wahrheit ist es schon.“ Und Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte laut Bild [https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/merz-und-die-drecksarbeit-wahrheiten-%C3%BCber-iran/ar-AA1H2OtB?ocid=entnewsntp&pc=U531&cvid=c3c2a965f006455e820ac4ad28602b9d&ei=14]: > „Der Bundeskanzler spricht die Wahrheit aus.“ Auch der Soziologe Ahmad Mansour springt Merz laut Medien [https://www.focus.de/politik/meinung/schaebig-wahrheit-zu-verurteilen-mansour-verteidigt-merz-drecksarbeit-satz_dadd4e24-92c0-49df-85d2-ae4bdc93b0a4.html] zur Seite und behauptet, dessen Äußerung sei eine „unbequeme Wahrheit“ – und an die Kritiker des Merz-Satzes sagt er: > „Es ist schäbig, die Wahrheit zu verurteilen.“ Drecksarbeit „muss“ eben erledigt werden… Spricht Merz also eine „unbequeme Wahrheit“ aus, wenn auch in einem grenzwertigen Stil? Nein, das tut er nicht. Das Wort „Drecksarbeit“ beinhaltet indirekt die Aussage, dass eine Tätigkeit nicht nur „dreckig“ ist, sondern auch, dass sie trotz dieses dreckigen Charakters irgendwie erledigt werden „muss“: Als gäbe es eine allgemeine Übereinstimmung, dass die aktuellen Handlungen Israels zwar unschön, aber doch „nötig“ und damit gerechtfertigt seien. Diese Aussage ist in ihrer Eindeutigkeit und in ihrem Alarmismus bezüglich einer iranischen Atombombe überwiegend unbelegte Propaganda. Auf die seit Jahrzehnten suggerierte „Dringlichkeit“ bezüglich des iranischen Atomprogramms ist Jens Berger gerade im Artikel „Irans Atombombe – und täglich grüßt das Murmeltier [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134667]” eingegangen. Auch die NZZ schreibt [https://www.nzz.ch/international/wie-nah-war-iran-wirklich-am-bau-der-bombe-ld.1890096], US-Geheimdienste und die internationale Atombehörde würden der israelischen Darstellung von der „Gefahr im Verzug“ widersprechen. Weitere Hintergründe zum Iran-Krieg als gefährlichen Präzedenzfall beschreibt Detlef Koch in diesem Artikel [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134763]. „Für uns alle…“ – Die Propaganda und das falsche „Wir“ Trotzdem wird von manchen Stimmen jetzt versucht, den Eindruck zu erwecken, als seien alle moralischen, rechtlichen und militärischen Fragen bezüglich des israelischen Überfalls auf Iran längst beantwortet und als sei es „Konsens“, dass die iranische Regierung mit allen Mitteln und unter Bruch des gestern noch selektiv geheiligten Völkerrechts bekämpft werden darf oder gar „muss“. Gänzlich inakzeptabel ist das von Merz und seinen Verteidigern nun genutzte falsche „Wir“. Wenn Merz sagt, Israel mache die Drecksarbeit „für uns alle“, dann behauptet er eine Gemeinschaft, die so nicht existiert. Für mich wird diese „Drecksarbeit“ jedenfalls nicht erledigt. Und so gibt es sicher zahllose Bürger weltweit, die es vehement ablehnen würden, in eine Mithaftung mit den Tätern genommen zu werden, indem behauptet wird, sie würden von den aktuellen Verbrechen der israelischen Armee in Gaza und Iran langfristig indirekt profitieren. Endlich sagt’s mal einer – die selektive „Offenheit“ Auch die angebliche „Ehrlichkeit“, die manche angepasste Journalisten jetzt den Aussagen von Merz zugestehen – nach dem Motto: „Endlich sagt’s mal einer“ -, auch diese „Ehrlichkeit“ ist höchst fragwürdig: Denn auch wenn man sich oft eine weniger verklausulierte Sprache von Politikern wünschen mag, so haben sich doch bestimmte „sanfte“ Ausdrucksformen eingeschliffen, gerade in der internationalen Diplomatie. Von diesen gewohnten Sprachregelungen in einer so plötzlichen und harten Weise abzuweichen, hat auf viele Bürger die Wirkung einer zynischen Schocktherapie – und meiner Meinung nach ist diese erschütternde und verrohende Wirkung kein Versehen, sondern Vorsatz. Auch wegen dieser mutmaßlichen Motivation für seine „neue Offenheit“ ist die angebliche „Ehrlichkeit“ von Merz keineswegs zu begrüßen. Diese „Offenheit“ wird von Politikern und Journalisten außerdem sehr selektiv eingesetzt – diese selektive Praxis entfaltet wiederum im politischen Gesamtkontext eine vernebelnde Wirkung, also das Gegenteil von Offenheit. Die HAZ bezeichnet den selektiven Zynismus von Merz trotzdem voller Hochachtung als „Der neue German Mut“ [https://epaper.haz.de/epaper/hannoversche-allgemeine-zeitung-2025-06-20-epa-126469/?page=p1616246]. „Hasssprache von Oben“ Die Darstellung, die Regierung in Teheran, deren politische und gesellschaftliche Ziele ich nicht teile, sei nach „allgemeiner“ Ansicht die „gefährlichste Regierung der Welt“, bringt außerdem die Verhältnisse durcheinander: Unter anderem das Land, dessen Armee in den letzten Jahrzehnten mit Abstand zu allen anderen Ländern die meisten Menschen im Ausland getötet hat, wird durch die übertriebene Dämonisierung Irans moralisch relativ verniedlicht: die USA. Zu den konkreten politischen Auswirkungen des Merz-Satzes kommt noch der eher allgemeine Aspekt hinzu, dass eine „Hasssprache von Oben“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=120925] noch mehr gesellschaftlichen Schaden anrichten kann als tausende von enthemmten Bürger-Kommentaren in sozialen Netzwerken. Zur Rolle der Medien bei dem Vorgang sei noch daran erinnert, dass das Wort „Drecksarbeit“ in dem betreffenden Interview [https://www.zdfheute.de/politik/g7-gipfel-merz-100.html] zuerst von der ZDF-Journalistin Diane Zimmermann genutzt wurde, die es Merz in einem befremdlichen Ping-Pong-Spiel mit dem Politiker „angeboten“ hat. Das entlastet den Kanzler nicht, es wirft aber zusätzlich ein Licht auf die Qualität des bürgerfinanzierten Rundfunks. Neue Gipfel der Doppelmoral Dass die „offizielle“ politisch-mediale Bewertung des Vorgehens Israels in Gaza/Iran einerseits und des Vorgehens Russlands in der Ukraine andererseits hierzulande eine politische Doppelmoral offenbart, die man gar nicht mehr angemessen in Worte fassen kann, hat Jens Berger gerade in diesem Artikel [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134560] beschrieben. Eine starke Doppelmoral hat ein Leser nun auch bezüglich mancher Reaktionen auf die „Drecksarbeit“-Äußerung von Merz festgestellt: „Man stelle sich nur einmal vor, diese Wortwahl wäre aus der Richtung des BSW oder der AfD gekommen – die Reaktion der Politik und der Presse kann ich mir lebhaft vorstellen.“ Friedrich Merz zeigt übrigens keinerlei Einsehen in der Sache: Laut einem Bericht der Bild [https://www.bild.de/politik/inland/kritik-an-drecksarbeit-aussage-merz-bleibt-bei-seinem-iran-klartext-6854039dd89474609437b1ea] denkt der Kanzler „nicht im Traum daran, seine Aussage zurückzunehmen“. Titelbild: EUS-Nachrichten/shutterstock.com Mehr zum Thema: Strafanzeige gegen Bundeskanzler Friedrich Merz [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134789] Israel und die „Drecksarbeit“: Kanzler Merz erklimmt neuen Gipfel der Verrohung und der Doppelmoral [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134660] Ich will nie wieder das Wort ‘Völkerrecht’ hören [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134560] Zwischen Prävention und Aggression – Der Iran–Israel-Krieg als globaler Präzedenzfall [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134763] [https://vg04.met.vgwort.de/na/70a87571b4764f67b7879168294d3d1b]

NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat das zentrale Thema des Gipfeltreffens in einer Rede in einer britischen Denkfabrik erläutert. Dabei sparte er nicht mit einseitiger Kriegspropaganda. Doch was steckt hinter der Forderung, die Verteidigungsausgaben vieler NATO-Staaten mehr als zu verdoppeln? Verfolgen die USA und die europäischen Partner überhaupt die gleichen Ziele? Und warum ist Russland – trotz deutlicher Unterlegenheit auf dem Papier – im Begriff, den Krieg in der Ukraine zu gewinnen? Eine nähere Betrachtung der jeweiligen Verteidigungsausgaben und militärischen Potenziale gibt Aufschluss. Von Karsten Montag. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Der NATO-Gipfel am 24. und 25. Juni in Den Haag steht vor der Tür, und zentrales Thema wird die Anhebung der Rüstungsausgaben der Mitgliedsstaaten auf fünf Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) sein. In einer Rede mit anschließender Pressekonferenz [https://www.youtube.com/watch?v=DN222oDLmSs] in der britischen Denkfabrik Chatham House hat NATO-Generalsekretär Mark Rutte Anfang Juni die Hintergründe erläutert. Russland habe sich mit China, Nordkorea und dem Iran „zusammengetan“, und die Länder würden ihre Streitkräfte und Fähigkeiten ausbauen. Russland produziere in drei Monaten so viel Munition wie die gesamte NATO in einem Jahr und könne „innerhalb von fünf Jahren bereit sein, militärische Gewalt gegen die NATO einzusetzen“. Auch China würde sein Militär „in rasantem Tempo“ modernisieren und erweitern. Das Land verfüge bereits über die „größte Marine der Welt“ und würde auch sein Atomwaffenarsenal ausbauen. Bis 2030 sollen laut Rutte China „mehr als 1.000 einsatzfähige Atomsprengköpfe“ zur Verfügung stehen. Diejenigen, die sich gegen Freiheit und Demokratie stellten, bereiteten sich auf eine „langfristige Konfrontation“ vor und würden versuchen, „uns zu beherrschen und zu besiegen“. In diesem Zusammenhang verwies der Generalsekretär auf eine Rede des ehemaligen britischen Premierministers Winston Churchill. Dieser soll 1936 im britischen Unterhaus die Frage gestellt haben, ob es genug Zeit gebe, um „unsere Verteidigung in Ordnung zu bringen“, oder ob „die schrecklichen Worte zu spät aufgenommen“ würden. Die NATO würde heute vor derselben Frage stehen. Damit vergleicht Rutte Russland, China, Iran und Nordkorea mit Nazideutschland. Die Darlegungen des ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten enthalten noch weitere Aussagen, die sehr an einseitige Kriegspropaganda erinnern und zum Teil historischen Tatsachen widersprechen. So verhalte sich Russlands Präsident Wladimir Putin nicht wie jemand, der „am Frieden interessiert“ sei. Russland greife „weiterhin zivile Ziele in der Ukraine an“. Das sei „Gewalt um der Gewalt willen“. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei „unprovoziert“ gewesen. Die Menschen in der Ukraine hätten „einen gerechten und dauerhaften Frieden“ verdient – ein Synonym für die Niederlage Russlands. Die NATO werde hingegen „immer ein Verteidigungsbündnis sein“. Dabei verschweigt Rutte die Tatsache, dass NATO-Staaten in der jüngeren Vergangenheit sehr wohl Angriffskriege geführt haben. Selbst der bisher einzige Verteidigungsbündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags – in der Folge des Terrorangriffs 2001 auf New York und Washington – führte zu einem Angriffskrieg gegen Afghanistan – ohne dass ein einziger Afghane an dem Terroranschlag direkt beteiligt war. Die Antwort des NATO-Generalsekretärs auf die von ihm konstruierte Bedrohung: „Wir werden eine bessere NATO aufbauen. Eine, die stärker, fairer und tödlicher ist.“ Daher müssten die Mitgliedsländer „viel mehr“ für die Verteidigung ausgeben. Alle Bündnispartner würden das ursprüngliche Ziel, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, „in diesem Jahr erreichen“. Das sei „eine Zusage“ aus dem Jahr 2014 gewesen. Rutte geht zudem davon aus, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Alliierten auf dem Gipfel in Den Haag darauf einigen werden, „fünf Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben“. 3,5 Prozent würden in „militärischen Kernbedarf“ investiert, während der Rest in „verteidigungs- und sicherheitsrelevante Investitionen“ fließe, einschließlich Infrastruktur und Aufbau von Industriekapazitäten. Mehr Verteidigungsausgaben und -produktion würden für eine „wirksame Abschreckung“ sorgen, das „Wirtschaftswachstum fördern“ und „Arbeitsplätze schaffen“. Und dann machte der Generalsekretär noch eine Äußerung, die sich auf den ersten Blick logisch nicht erschließt, angesichts der absoluten Rüstungsausgaben der verschiedenen NATO-Mitglieder jedoch darauf hindeutet, was tatsächlich hinter verschlossenen Türen in dem Bündnis diskutiert wird. So sagte Rutte, Amerika habe schon „zu lange einen Großteil der Last getragen“. Europa und Kanada würden nun mehr für die gemeinsame Sicherheit tun. Das würde „durch Amerikas felsenfestes Bekenntnis zur NATO“ gestützt werden. Eine ähnliche Formulierung [https://www.dw.com/de/wadephul-deutschland-folgt-usa-bei-f%C3%BCnf-prozent-ziel/video-72556010] findet sich auch bei dem deutschen Außenminister Johann Wadephul auf einem Treffen der NATO-Außenminister im türkischen Antalya Mitte Mai. So sieht er in der Forderung von US-Präsident Donald Trump, fünf Prozent vom BIP für Verteidigung auszugeben, „ein klares Bekenntnis der Vereinigten Staaten von Amerika zu Artikel 5“ des Nordatlantikvertrags. Das Zwei-Prozent-Ziel war keine verpflichtende „Zusage“, sondern eine Richtlinie Das konkrete Ziel, dass die NATO-Partner zwei Prozent ihres BIP für Rüstung ausgeben sollen, wurde das erste Mal auf dem Gipfel im lettischen Riga 2006 von den Staats- und Regierungschefs mündlich erklärt [https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2019/mythen-der-zwei-prozent-debatte-zur-diskussion-um-die-nato-verteidigungsausgaben]. Dieses Ziel fand sich in der Folge in der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels 2014 [https://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/documents/sede/dv/sede240914walessummit_/sede240914walessummit_en.pdf] im britischen Newport wieder. Dort heißt es, dass Bündnispartner, deren Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP unter zwei Prozent liegt, „sich bemühen“ würden, „sich innerhalb eines Jahrzehnts der 2-Prozent-Richtlinie anzunähern, um ihre NATO-Fähigkeitsziele zu erreichen und die Fähigkeitslücken der NATO zu schließen“. In einem NATO-Dokument [https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_49198.htm] wird ausdrücklich von einer „2-Prozent-Richtlinie“ gesprochen. Dass die Mehrheit der wirtschaftlich stärksten NATO-Staaten sich weder nach 2006 noch nach 2014 an diese Richtlinie gebunden fühlte, zeigt die folgende Auswertung. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb1-Ruestungsausgaben.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb1-Ruestungsausgaben.jpg Abbildung 1: Rüstungsausgaben der wirtschaftlich stärksten NATO-Staaten im Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt, Datenquelle: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) [https://www.sipri.org/databases/milex] Während die USA nach ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak und der darauf folgenden Besatzung des Landes, die bis 2011 andauerte, ihre Verteidigungsausgaben auf circa 3,5 Prozent des BIP gesenkt haben, pendeln seit 2006 lediglich Großbritannien und Frankreich um die Zwei-Prozent-Marke. Allerdings lagen diese beiden Länder seit der Gründung der NATO noch nie unter diesem Wert, sondern eher deutlich darüber. Andere wirtschaftlich bedeutende NATO-Länder wie Italien, Spanien und Kanada haben seit 2006 den Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP kaum erhöht und lagen auch 2024 noch deutlich unter zwei Prozent. Lediglich Deutschland hat ab 2022 mit dem „Sondervermögen Bundeswehr“ [https://multipolar-magazin.de/artikel/bundeswehr-sondervermoegen] den Anteil erhöht und nähert sich derzeit dem geforderten Wert. Dass alle NATO-Staaten 2025 das Zwei-Prozent-Ziel erreichen werden, wie Generalsekretär Rutte dies formuliert hat, ist zudem angesichts der Zahlen für 2024 zumindest zweifelhaft. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb2-Ruestungsausgaben.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb2-Ruestungsausgaben.jpg Abbildung 2: Rüstungsausgaben der NATO-Staaten 2024 im Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt, Datenquelle: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) [https://www.sipri.org/databases/milex] Zwar haben sowohl Italien, Spanien und Belgien gemäß eines Beitrages in der Neuen Zürcher Zeitung [https://www.nzz.ch/pro/europas-verteidigungsausgaben-sind-unausgegoren-und-kurzfristig-gedacht-ld.1881434] erst kürzlich angekündigt, die geforderte Marke noch 2025 zu erreichen. Doch die schweizerische Tageszeitung geht davon aus, dass das Kriterium in diesen Ländern nur kurzzeitig und nicht ohne finanzielle Haushaltstricks erreicht wird. Auch der kanadische Premierminister Mark Carney hat überraschend angekündigt [https://www.youtube.com/watch?v=Rp556VIVTRI], dass sein Land noch 2025 das Zwei-Prozent-Ziel erreicht und nicht erst – wie geplant – in fünf Jahren. Allerdings betonte er [https://www.dw.com/en/canada-boosts-defense-spending-to-hit-natos-2-target-early/a-72848318], dass es ihm dabei vornehmlich um eine größere Unabhängigkeit von den USA ginge. Auch Portugal will die Zwei-Prozent-Marke bereits 2025 erreichen [https://finance.yahoo.com/news/portugal-meet-2-defence-spending-201051777.html] und nicht erst, wie geplant, 2029. Doch das Land erreicht selbst den bisherigen Anteil von 1,5 Prozent laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung [https://www.sueddeutsche.de/politik/portugal-nato-verteidigungspolitik-li.3229237] nur mit Finanztricks. Woher kommt die Forderung nach Rüstungsausgaben in Höhe von fünf Prozent Anteil am BIP? Bereits in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident hat Donald Trump auf dem NATO-Gipfel in Brüssel 2018 von den Staats- und Regierungschefs der Partnerländer gefordert [https://www.reuters.com/article/world/trump-tells-nato-leaders-to-increase-defense-spend-to-4-percent-idUSKBN1K12BW/], vier Prozent des jeweiligen BIP für die Verteidigung auszugeben. Zur damaligen Zeit wurde seine Forderung noch als „Rhetorik“ abgetan. Man sollte zuerst auf zwei Prozent kommen, sagte beispielsweise der damalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nachdem während der US-Regierung unter Joe Biden diese Forderungen nicht erneuert wurden, ließ Trump nach seiner Wiederwahl und noch vor seiner Amtseinsetzung über sein Team europäischen Politikern mitteilen [https://www.ft.com/content/35f490c5-3abb-4ac9-8fa3-65e804dd158f], dass er von den NATO-Mitgliedsstaaten eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP verlangen wird. Wenige Tage zuvor hatte der damals designierte US-Präsident mit einem Austritt seines Landes aus der NATO gedroht [https://www.spiegel.de/ausland/donald-trump-zieht-nato-austritt-absolut-in-betracht-und-droht-ukraine-mit-geldentzug-a-dbfbdd9f-254f-4158-a503-3ae73f9d6132], sollten die anderen Verbündeten nicht mehr Geld für Verteidigung ausgeben. Auf dem NATO-Außenministertreffen in Antalya Mitte Mai kündigte der deutsche Außenminister Wadephul schließlich an [https://www.dw.com/de/wadephul-deutschland-folgt-usa-bei-f%C3%BCnf-prozent-ziel/video-72556010], dass „wir“ Trumps Forderungen folgen würden – wobei nicht deutlich wurde, ob mit „wir“ die NATO-Außenminister oder Deutschland gemeint war. Bereits einen Tag später relativierte Bundeskanzler Friedrich Merz [https://de.euronews.com/my-europe/2025/05/16/nato-deutschland-verteidigung] die Zusage seines Außenministers. Die Debatte solle nicht „überbewertet“ werden. Die „Diskussion um Prozentzahlen vom BIP“ sei eine „Hilfskonstruktion“, um Richtwerte zu haben, in welche Richtung die Aufrüstung der Streitkräfte gehe. Es ginge darum, die Fähigkeit zu entwickeln, den europäischen Kontinent „aus eigener Kraft heraus“ verteidigen zu können, so Merz. Der britische Premierminister Keir Starmer hat bereits im Februar angekündigt [https://www.deutschlandfunk.de/premier-starmer-kuendigt-hoehere-verteidigungsausgaben-an-100.html], die Verteidigungsausgaben seines Landes bis 2027 auf 2,5 Prozent und danach auf drei Prozent des BIP zu erhöhen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat im März gefordert [https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-fuehrungsposition-europa-100.html], den Verteidigungsetat seines Landes auf 3,5 Prozent des BIP zu steigern. Die NATO – das sind größtenteils die USA Warum US-Präsident Trump derartige Forderungen stellen kann und warum zumindest Deutschland, Großbritannien, Frankreich und viele weitere europäische Staaten bereit sind, ihm zu folgen, wird erst deutlich, wenn man nicht die prozentualen, sondern die absoluten Rüstungsausgaben betrachtet. In der nachfolgenden Abbildung sind diese Ausgaben sowie zum Vergleich die theoretischen Werte bei einem Anteil von fünf Prozent vom jeweiligen BIP dargestellt. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb3-Ruestungsausgaben.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb3-Ruestungsausgaben.jpg Abbildung 3: Rüstungsausgaben der NATO-Staaten 2024 tatsächlich und theoretisch (bei fünf Prozent vom BIP) in US-Dollar, Datenquelle: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) [https://www.sipri.org/databases/milex] Die Vereinigten Staaten geben derzeit annähernd doppelt so viel für die Verteidigung aus wie alle übrigen 31 NATO-Staaten zusammen. Selbst wenn alle Bündnispartner – inklusive der USA – ihr Verteidigungsbudget auf fünf Prozent des jeweiligen BIP erhöhen würden, lägen die Ausgaben der Vereinigten Staaten noch immer elf Prozent über den Gesamtausgaben der restlichen Bündnisländer. Auch wenn alle europäischen NATO-Staaten ihr Verteidigungsbudget auf fünf Prozent des jeweiligen BIP erhöhen würden, läge die Summe noch immer um ein Drittel niedriger als die derzeitigen Gesamtausgaben der NATO inklusive USA und Kanada. Angesichts dieser Zahlen und der militärischen Lage in der Ukraine erschließt sich, warum die führenden Staaten der „Koalition der Willigen“ [https://www.nachdenkseiten.de/?p=130497] bereit sind, ihre Rüstungsausgaben drastisch zu steigern und den Forderungen Trumps nachzukommen. Denn ein endgültiges Aussteigen der USA aus der Unterstützung der Ukraine würde die Ziele dieser vornehmlich europäischen Allianz durchkreuzen. Diese bestehen darin, „Friedenstruppen“ in die Ukraine zu entsenden, um einen „gerechten Frieden“ in der Ukraine zu ermöglichen. Hinter diesen Bezeichnungen steckt das Gegenteil von dem, was sie suggerieren sollen. Denn mit einem „gerechten Frieden“ ist die Rückeroberung aller von Russland besetzen Gebiete in der Ukraine, inklusive der Krim, gemeint – also eine vollkommene militärische Niederlage Russlands. Die Entsendung von „Friedenstruppen“, um einen eventuellen Waffenstillstand zu sichern, würde bedeuten, dass größere Kontingente von NATO-Einheiten dauerhaft und offiziell in der Ukraine stationiert werden. Dies käme einer NATO-Mitgliedschaft des Landes gleich. Denn sollte der Waffenstillstand nicht halten, wie dies häufig im Laufe des vorangegangenen Bürgerkriegs in der Ukraine der Fall war, dann wären NATO-Truppen direkt und offiziell in den Krieg verwickelt. Erklärtes Ziel des russischen Angriffs auf die Ukraine war jedoch, eine Integration des Landes in die NATO zu verhindern [https://pekin.mid.ru/en/news/about_the_special_military_operation_in_ukraine/]. Die „Koalition der Willigen“ treibt also nicht eine Friedensinitiative voran, sondern eine Eskalation des Krieges. Diesen Krieg ist die Ukraine im Begriff zu verlieren – und das nicht erst seit der Ankündigung der neuen US-Regierung unter Donald Trump, sich aus der Unterstützung des Landes zurückzuziehen. Nach der erfolglosen Sommeroffensive 2023 muss die ukrainische Armee in allen vier umkämpften Regionen kontinuierlich Gebiete räumen [https://www.warmapper.org/stats], insbesondere im Oblast Donezk. Auch die Eroberungen der Ukraine in der russischen Region Kursk waren ein Fehlschlag, denn das offensichtliche Ziel der Operation – die Einnahme des Kursker Kernkraftwerkes [https://www.themoscowtimes.com/2024/08/16/what-happens-if-ukraine-seizes-the-kursk-nuclear-power-plant-a86045] – wurde nicht erreicht, und die russische Armee konnte sämtliche besetzten Gebiete zurückerobern. Auf dem Papier sollte Russland den Krieg in der Ukraine theoretisch verlieren Verwunderlich – zumindest aus der Sicht vieler westlicher Politiker – ist die Tatsache, dass Russland trotz der immensen finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine [https://www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/krieg-gegen-die-ukraine/ukraine-support-tracker/] hauptsächlich durch die NATO, trotz des strategischen und taktischen Eingreifens der USA [https://multipolar-magazin.de/artikel/kriegsplanung-von-deutschem-boden] und vieler europäischer Staaten in die Kriegshandlungen und trotz der beispiellosen Sanktionen der EU [https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions-against-russia-explained/] und der USA [https://ofac.treasury.gov/sanctions-programs-and-country-information/russia-related-sanctions] den Krieg überhaupt gewinnen kann. Dass die russische Wirtschaft sich von den westlichen Sanktionen größtenteils unbeeindruckt zeigt, liegt vorrangig an der wirtschaftlichen Kooperation innerhalb der BRICS-Staaten – insbesondere zwischen Russland, China und Indien. Diese konnte das Wegbrechen der für Russland besonders wichtigen Handelsverbindungen nach Europa annähernd komplett kompensieren [https://www.nachdenkseiten.de/?p=115361]. Doch der militärische Erfolg Russlands erstaunt zumindest angesichts der Rüstungsausgaben des Landes sowie seiner militärischen Verbündeten Nordkorea und Iran. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb4-Ruestungsausgaben.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb4-Ruestungsausgaben.jpg Abbildung 4: Rüstungsausgaben der BRICS-Staaten und Nordkoreas 2024 in US-Dollar, Datenquellen: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) [https://www.sipri.org/databases/milex], GlobalData [https://www.globaldata.com/data-insights/aerospace-and-defence/uae-defense-market-budget-assessment-drivers-market-trends-2022/], DefenseNews [https://www.defensenews.com/global/asia-pacific/2023/01/19/north-korea-passes-new-defense-budget/] Die Verteidigungsausgaben Russlands betrugen 2024 lediglich ein Zehntel der Gesamtausgaben der NATO für Rüstung und Militär. Die Verteidigungsbudgets des Irans und Nordkoreas sind im Verhältnis dazu so gering, dass sie kaum erwähnenswert erscheinen. Auf dem Papier sollte Russland also den Abnutzungskrieg in der Ukraine klar verlieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Gründe dafür müssen also woanders zu finden sein. Ohne die USA und NATO-Bodentruppen kein „gerechter Frieden“ in der Ukraine Wenn laut NATO-Generalsekretär Rutte Russland in drei Monaten so viel Munition – gemeint ist in diesem Fall Artilleriemunition [https://edition.cnn.com/2024/03/10/politics/russia-artillery-shell-production-us-europe-ukraine] – produzieren kann wie die gesamte NATO in einem Jahr, dann ist Russland offenbar deutlich besser auf einen Landkrieg vorbereitet als die Staaten des westlichen Verteidigungsbündnisses. Das macht aus der Perspektive Russlands durchaus Sinn, denn das größte Land der Welt lässt sich letztendlich nur über einen Landkrieg erobern beziehungsweise verteidigen. Die NATO-Staaten haben hingegen eine deutliche Überlegenheit [https://www.nachdenkseiten.de/?p=116099] bei den Luft- und Seestreitkräften aufgebaut. Diese haben sie in der Vergangenheit hauptsächlich gegen hoffnungslos unterlegene Gegner in Serbien, Afghanistan, im Irak, Libyen und Syrien eingesetzt – allesamt Länder ohne eine adäquate Luftverteidigung. Ausschlaggebend in einem Landkrieg ist auch die Größe, die Ausrüstung und die Ausbildung der Infanterie sowie die Potenziale, eine solche auf Dauer bei großen Verlusten zu ersetzen. In dieser Hinsicht ist Russland der Ukraine deutlich überlegen. [https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb5-Ruestungsausgaben.jpg]https://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/250623-Abb5-Ruestungsausgaben.jpg Abbildung 5: Größe der Armee und menschliche Reserven, Russland und Ukraine, Datenquelle: Global Firepower [https://www.globalfirepower.com/countries-listing.php] Um das Blatt in der Ukraine zu wenden und die Ziele der „Koalition der Willigen“ zu erreichen, ist neben einer Steigerung der Rüstungsausgaben in Europa und einer weiteren Unterstützung der USA also auch ein Einsatz von westlichen Bodentruppen in der Ukraine zwingend erforderlich. Vor diesem Hintergrund erschließen sich letztendlich die Aussagen von NATO-Generalsekretär Rutte („Amerikas felsenfestes Bekenntnis zur NATO“) und von Bundesaußenminister Wadephul („Klares Bekenntnis der Vereinigten Staaten von Amerika zu Artikel 5“). Man will mit dem Erfüllen von Trumps Forderungen die USA dazu bewegen, weiterhin in den Krieg in der Ukraine zu investieren. Vordergründig wird das Narrativ vorgeschoben, Russland könne – oder würde sogar – in fünf Jahren europäische NATO-Staaten angreifen. Die Bevölkerung der europäischen NATO-Mitgliedsländer ohne die Türkei beträgt jedoch 500 Millionen Menschen (Russland: 140 Millionen). Diese Länder verfügen derzeit über knapp 1,7 Millionen aktive Soldaten (Russland: 1,3 Millionen) und weitere drei Millionen Reservisten (Russland: zwei Millionen). Das Verteidigungsbudget der europäischen NATO-Mitgliedsländer ohne die Türkei übertrifft mit derzeit knapp 455 Milliarden Dollar das russische um mehr als das Dreifache. Der Kreml müsste wahnsinnig sein, einen Krieg mit europäischen NATO-Staaten überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Trotzdem werden westliche Politiker und Medien nicht müde, das Narrativ vom russischen Angriff ständig zu wiederholen, mehr Ausgaben für Verteidigung zu fordern und die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu diskutieren. In der Militärtheorie wird davon ausgegangen, dass ein Angreifer in einem Krieg eine Überlegenheit an Soldaten von mindestens drei zu eins benötigt [https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/verteidigung-kampf-gegen-den-angreifer], um die Verteidigungsstellungen des Gegners einzunehmen. Selbst dann ist ein Sieg noch lange nicht garantiert. Im sowjetisch-finnischen Winterkrieg [https://de.wikipedia.org/wiki/Winterkrieg] zwischen 1939 und 1940 verfügte die Rote Armee über eine Überlegenheit an Soldaten von drei zu eins, an Artillerie von fünf zu eins und an Panzern von achtzig zu eins. Trotzdem scheiterte die sowjetische Invasion Finnlands. Eine noch deutlichere Überlegenheit europäischer NATO-Streitkräfte gegenüber Russland, wie sie die „Koalition der Willigen“ derzeit anstrebt, macht also nur Sinn, wenn es nicht nur darum geht, dass eigene Territorium zu verteidigen, sondern auch Gebiete zu erobern beziehungsweise zurückzuerobern. Ein solches Vorgehen könnte die Herstellung eines „gerechten Friedens“ in der Ukraine darstellen. Denn um die russisch besetzen Gebiete in der Ukraine einzunehmen, müsste die ukrainische Armee in der Lage sein, die russischen Verteidigungsstellungen zu überwinden. Dies ist nur möglich, wenn die westlichen Verbündeten noch mehr Waffen, Munition und Ausrüstung liefern und zudem auch eigene Truppen entsenden. Die „Koalition der Willigen“ könnte die Rechnung ohne den Wirt machen Der „Wirt“ ist in diesem Fall die USA, denn diese hat sich unter Präsident Donald Trump offensichtlich dafür entschieden, die von Russland eroberten Gebiete in der Ukraine abzuschreiben und die US-amerikanischen Ressourcen eher für Stellvertreterkriege im Nahen Osten oder im Indopazifik zu verwenden. Wie bereits in einem früheren Beitrag dargestellt [https://www.nachdenkseiten.de/?p=132369], geht es den Vereinigten Staaten vordergründig nicht darum, Gerechtigkeit herzustellen oder Territorien zurückzuerobern – auch wenn europäische Politiker und Journalisten dies so darstellen oder am Ende sogar selbst glauben. Primäres Ziel ist vielmehr, das Entstehen einer wirtschaftlichen und militärischen Supermacht auf dem Eurasischen Kontinent dauerhaft zu verhindern, um die US-Vormachtstellung in der Welt zu sichern. Eine in der Entstehung begriffene europäisch-russische wirtschaftliche Supermacht scheint aufgrund der gesprengten Nord-Stream-Pipelines, dem Krieg in der Ukraine und den EU-Sanktionen gegen Russland auf Dauer verhindert. Aus US-amerikanischer geopolitischer Sicht geht es nunmehr darum, die wachsenden engen wirtschaftlichen und auch militärischen Kooperationen hauptsächlich zwischen Russland, China und dem Iran zu torpedieren. US-Außenminister Marco Rubio hat in einem Interview Anfang des Jahres [https://multipolar-magazin.de/meldungen/0167] durchscheinen lassen, dass er sich von den gesteigerten Rüstungsausgaben in Europa eine militärische Kooperation im Indopazifik erhofft. Im gleichen Atemzug warf er Frankreich, Deutschland und Spanien vor, sie würden zu wenig in ihre Landesverteidigung investieren und das Geld lieber für ihre „enormen“ Sozialsysteme ausgeben. Geht es nach dem Willen der USA, soll die europäische Unter- und Mittelschicht zukünftig in den gleichen prekären Verhältnissen leben wie in den Vereinigten Staaten, dafür aber Ressourcen und Soldaten aufbringen, um an anderen Orten auf dem Eurasischen Kontinent zu kämpfen. Vordergründig geht es natürlich darum, diejenigen Kräfte einzuhegen, die sich gegen „Freiheit und Demokratie“ stellen und „uns“ beherrschen und besiegen wollen. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat diese Pille längst geschluckt, wenn er vor einer wachsenden chinesischen Gefahr warnt. Schaltet man jedoch den Fernseher einmal für längere Zeit aus, beschäftigt sich auch nur ansatzweise mit den Hintergründen von Geopolitik und zählt eins und eins zusammen, dann ist das eigentliche Ziel leicht zu erkennen. Es geht um die Wahrung der US-amerikanischen Vormachtstellung in der Welt, von der die westeuropäischen Staaten lange Zeit profitiert haben, die aber aufgrund des Aufstrebens der BRICS-Staaten und der hohen Kosten für die „transatlantische Partnerschaft“ für Europa immer unattraktiver wird. Titelbild: Onur26120/stutterstock.com[https://vg09.met.vgwort.de/na/c7443a5e16ed465586d1b03d3ef9872b]

Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche ab jetzt in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln. – Die ersten beiden Folgen erschienen am 29. Mai [https://www.nachdenkseiten.de/?p=133673] und am 2. Juni [https://www.nachdenkseiten.de/?p=133905]. Von Leo Ensel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. 2030 Magisches Datum, an dem angeblich Russland uns alle spätestens angreifen wird. „Russland könnte innerhalb von fünf Jahren bereit sein, militärische Gewalt gegen die NATO einzusetzen. Fünf Jahre …“, raunt [https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_235867.htm] wiederholt – ohne Begründungen zu liefern – NATO-Generalsekretär Mark Rutte dunkel. Dem Militärhistoriker Sönke Neitzel dagegen geht selbst das nicht schnell genug. Er proklamiert schon mal den „letzten Friedenssommer [https://rundumdeutschland.de/militaerhistoriker-soenke-neitzel-warnt-das-koennte-unser-letzter-sommer-im-frieden-sein-wie-real-ist-die-kriegsgefahr-in-europa/]“ für 2025. So redet man fröhlich Kriege herbei. Und wir alle lassen uns das widerstandslos [https://www.nachdenkseiten.de/?p=131741] gefallen! Appeasement Sollte der Westen – nein: Deutschland und die EU! – auf keinen Fall gegenüber Putin, dem „zweiten Hitler“, betreiben, denn sonst wird der ja, nachdem er die gesamte Ukraine geschluckt hat, auch noch die NATO angreifen und spätestens 2030 mit seinen Panzern wieder vorm Brandenburger Tor stehen. – Betreiben die EU und die black-rote Bundesregierung aber de facto gegenüber Donald Trump: Legionen von Psychologen, Konfliktologen und Coachs entwickeln ausgefuchste Kommunikationsstrategien, um die launische Diva im Weißen Haus – z.B. im persönlichen Gespräch – bloß nicht zu reizen, am besten gar gnädig zu stimmen. Brückeneinstürze [https://www.rnd.de/politik/kiew-zug-in-russisch-kontrolliertem-gebiet-wurde-gesprengt-URJQV3PTS5N75BAM3OOQDXPIXM.html] „Zwei Züge in Russland entgleisen nach Brückeneinstürzen. Es gibt Tote und Verletzte, Moskau stuft das als Terror ein“, schrieb das RedaktionsNetzwerk Deutschland am 1. Juni 2025. Dass diese Brücken nicht einfach ‚einstürzten‘, sondern (von wem eigentlich?) gesprengt wurden – was offenbar der Grund dafür ist, dass das russische Ermittlungskomitee dies als Terrorakt einstuft –, das erfahren wir erst viel später im Text, bevor die gesamte Meldung dann endgültig westlich-korrekt geframed wird. (vgl. „Vorfall“) das von Russland angegriffene Land Wie „in ihrem Abwehrkampf“ eine beliebte, in den öffentlich-rechtlichen Medien gern verwendete Exkulpierungsformel, wenn die Ukraine auf russischem Territorium operiert. Und sei es, wie im Mai 2024 [https://www.nachdenkseiten.de/?p=115976] und am 1. Juni 2025 [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134444], bei den die globale Sicherheit gefährdenden Attacken auf die russische strategische Zweitschlagsfähigkeit. Als die NATO (unter deutscher Beteiligung) im Frühjahr 1999 die Bundesrepublik Jugoslawien und die USA vier Jahre später mit ihrer „Koalition der Willigen“ den Irak angriffen, waren analoge Formeln hierzulande nicht vernehmbar. Experte Als solcher wird uns von den Leitmedien mittlerweile so gut wie jeder Mensch angedreht, der/die offensiv und mit Herzblut die transatlantische Perspektive vertritt. Meist Vertreter entsprechender einflussreicher Think Tanks, im Zeitalter der Emanzipation gerne auch Frauen. (Manche sogar, hoch die Ästhetik!, auch noch mit dem passenden Nachnamen …) Dauerabonnements in den entsprechenden Talkshows – „Fünf Stühle, eine Meinung“ – garantiert. Fatigue [https://taz.de/-Nachrichten-zum-Ukrainekrieg-/!5857171/] „Ein Moment der Fatigue.“ So umschrieb vornehm Ex-Außenministerin Annalena Baerbock die „Kriegsmüdigkeit“ der deutschen Gesellschaft schon nach drei Monaten Ukrainekrieg. feministische Außenpolitik Bedeutet: Sich für jährlich 136.500 Euro [https://www.focus.de/kultur/stars/christian-lindner-annalena-baerbock-co-so-viel-geben-sie-fuer-make-up-aus_id_184016992.html] aus der Staatskasse das Outfit auf Vorderfrau bringen lassen, um die Welt jetten und dort einschlägige Bilder von sich selbst produzieren, von Atombunkern schwärmen und da ausgelassene Hüpfspielchen veranstalten, sich öffentlich in der eigenen gefühlten moralischen Superiorität sonnen, anderen Staatsoberhäuptern vor aller Welt ungefragt Ratschläge erteilen, für die Menschenrechte über Leichen gehen, andere Länder ruinieren [https://www.welt.de/politik/ausland/article237145901/Ukraine-Krieg-Baerbock-bestaetigt-EU-Sanktionen-gegen-Putin-und-Lawrow.html] wollen und zu guter Letzt auch noch eine zuvor selbst nominierte, nun aber zur unliebsamen Konkurrentin mutierte hochgeschätzte Diplomatin mit jahrzehntelanger Erfahrung wegzubeißen. Bedeutet nicht: Sich auch nur ein einziges Mal auf das graue, unspektakuläre Tagesgeschäft der Diplomatie, das ‚starke und langsame Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich‘ einzulassen! Friedensforscher [https://www.nachdenkseiten.de/?p=133971] Widmen sich heutzutage – Orwell lässt grüßen – immer stärker der Militarisierung der Gesellschaft. Siehe die Einleitung eines uns gerade als „Friedensgutachten 2025 [https://friedensgutachten.de/user/pages/02.2025/02.ausgabe/01.gesamt/FGA2025_Gesamt.pdf]“ verkauften Dossiers: „Um den Frieden ist es gegenwärtig schlecht bestellt. Als politisches Konzept scheint er sich mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine erschöpft zu haben.“ Unwillkürlich fragt man sich, was eigentlich die Alternative sein soll, wenn der Frieden, wie offizielle Friedensforscher und -forscherinnen postulieren, sich „als politisches Konzept erschöpft zu haben“ scheint …! (Die Richtung deuten sie immerhin an, indem sie für den Übergang von der NATO zu einer, euphemistisch „Sicherheitssystem“ genannten, extrem hochgerüsteten europäischen Militärmacht werben.) Etwas unverblümter plauderte [https://www.mopo.de/podcast/wie-ist-die-lage/prof-dr-ursula-schroeder-im-kriegsfall-ist-diplomatie-ein-hintergrundgeschaeft/] dankenswerterweise die wissenschaftliche Direktorin des „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg“ kürzlich aus dem Nähkästchen: „Interessant ist, dass viele Menschen denken, dass sich die Friedensforschung vorrangig mit Frieden beschäftigt und wir diejenigen sind, die keine Waffen wollen und mit selbstgebatikten T-Shirts in der Gegend rumstehen. Das ist nicht so.“ Mag sein, aber vor vier Jahrzehnten war das durchaus noch etwas anders. Gesicht zeigen Sollen wir alle. Und bei dieser Gelegenheit am besten auch noch „ein Zeichen setzen“. Zum Beispiel, wenn es „gegen Rechts [https://www.nachdenkseiten.de/?p=129340]“ geht. Oder gegen die Abschiebung von Flüchtlingen, ääh: Geflüchteten. Oder fürs Klima. Oder bei Demonstrationen gegen den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine“. Nur nicht, wenn es um einen sofortigen Stop der Kampfhandlungen im Ukrainekrieg, gegen „Kriegstüchtigkeit,“ die irrwitzige billionenschwere Aufrüstung und die totale Militarisierung der gesamten Gesellschaft nach dem „Operationsplan Deutschland“ geht! (Dann gilt man nämlich als „rechtsoffen“.) So funktioniert der regierungsamtlich wohlwollend geförderte „Aufstand der Anständigen“. (vgl. „Zivilcourage“) gewachsene internationale Verantwortung Bedeutet schlicht: Deutsche Soldaten können, nein: sollen, wieder schießen. Gewalt um der Gewalt willen [https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_235867.htm] NATO-Generalsekretär Rutte: „Russland greift weiterhin zivile Ziele in der Ukraine an, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Das ist Gewalt um der Gewalt willen.“ Ganz im Gegensatz zur Ukraine. Die griff sehr zielgerichtet im Mai 2024 [https://www.nachdenkseiten.de/?p=115976] Module des russischen Raketenabwehrsystems und im Mai/Juni 2025 [https://www.nachdenkseiten.de/?p=134444] die strategische Bomberflotte Russlands an. Nicht um der Gewalt willen. Sondern, um die NATO in den Krieg hineinzuziehen! Haltung Eine solche – natürlich regierungsamtlich erwünschte – sollen Journalisten heute flächendeckend an den Tag legen. Um „das Volk, den großen Lümmel“ auf den richtigen Weg zu bringen. (vgl. „Gesicht zeigen“, „Zivilcourage“) Heimatfront und Frontlinie [https://overton-magazin.de/top-story/nato-generalsekretaer-die-heimatfront-und-die-frontlinie-sind-jetzt-ein-und-dasselbe/] „Die Heimatfront und die Frontlinie sind jetzt ein und dasselbe. Kriege werden nicht mehr aus der Ferne geführt – unsere Gesellschaften und Militärs sind gemeinsam daran beteiligt“, deklarierte [https://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_235867.htm] – jubilierte? – NATO-Generalsekretär Mark Rutte am 9. Juni im Londoner transatlantischen Chatham House. Denn: „Straßen, Schienen und Häfen sind ebenso wichtig wie Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Wir brauchen zivile Transportnetze, die die militärische Mobilität unterstützen, um die richtigen Kräfte zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen.“ Brillanter hätte man das dem „Operationsplan Deutschland“ – oder sollte man besser schreiben: „dem neuen totalen Krieg“? – zugrunde liegende Prinzip nicht auf den Punkt bringen können! Ruttes ungenierte Conclusio: „Together, we will make our Alliance stronger, fairer and more lethal.“ Wohlgemerkt: tödlicher. (vgl. „Gewalt um der Gewalt willen“, „unsere Lebensweise“) hybrid Ominös klingendes Wort für alle möglichen dunklen verdeckten Attacken, die Russland – pardon: Putin – führt oder, was so gut wie auf dasselbe hinausläuft, führen könnte. Also alles! Funktioniert nach dem Prinzip des berühmten Witzes vom Elefanten im Kirschbaum: „Warum hat der Elefant rosa Augen?“ – „Damit er im Kirschbaum nicht gesehen wird.“ – „Hast du schon mal einen Elefanten im Kirschbaum gesehen? Nein? Siehst du, so gut hat er sich getarnt!“ In ihrem Abwehrkampf Obligatorische Einleitungsphrase in den offiziellen Nachrichten des Deutschlandfunks. Und zwar immer dann, wenn die Ukraine ihrerseits mit Soldaten, Drohnen, Marschflugkörpern etc. auf russischem Terrain operiert. Wird vom DLF stets kostenlos mitgeliefert, damit wir Hörer auch genau wissen, wer in diesem Krieg gut und wer böse ist. (vgl. „das von Russland angegriffene Land“) Kreml-Narrativ Das darf man bei Strafe des sozialen Todes auf gar keinen Fall bedienen oder gar verwenden. Diese „Argumentation“ basiert auf folgenden impliziten Prämissen: Alles, was aus Russland, pardon: dem Kreml, kommt, ist zu hundert Prozent erlogen. Und alles, was unsere Politiker und Medien verlautbaren, entspricht – ebenfalls zu hundert Prozent – der Wahrheit. Also: Wenn Putin behauptet, zwei plus zwei würde vier ergeben, dann kann in Wirklichkeit zwei plus zwei nur fünf, wenn nicht sechs oder achtundfünfzig sein! Kriegsmüdigkeit [https://taz.de/-Nachrichten-zum-Ukrainekrieg-/!5857171/] Vor einer solchen warnte Ex-Außenministerin Annalena Baerbock bereits ein Vierteljahr nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. „Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht“, formulierte Baerbock es allerdings noch einen Tick gezierter. Gemeint war nicht etwa die ukrainische oder die russische Bevölkerung. Die Warnung galt der Kriegsmüdigkeit in den westlichen Staaten: Eine wachsende Skepsis hänge, so Baerbock, auch damit zusammen, dass der russische Angriffskrieg zu höheren Preisen bei Energie und Nahrungsmitteln führe. Dies aber sei genau die Taktik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Daher sei es so wichtig, an den Sanktionen und der Unterstützung der Ukraine festzuhalten. – Auf Deutsch: Durchhalten, Leute, bis zum bitteren Ende! kulturelle Umprogrammierung „Aus dieser Situation herauszukommen, ist eine sehr schwierige Sache, weil dazu eine kulturelle Umprogrammierung einer weitgehend entpolitisierten Gesellschaft – manche nennen sie postheroische Gesellschaft – notwendig ist.“ Worum geht es? Die 3sat-Sendung Kulturzeit [https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/frauen-an-die-front-sendung-vom-02-06-2025-100.html] vom 2. Juni diesen Jahres klärt uns auf: Eltern, so ganz unverblümt der Althistoriker Egon Flaig, müssten bereit sein, ihre Kinder – junge Männer und Frauen – zu geben. O-Ton Flaig: „Die Unwilligkeit von Eltern, ihre Kinder als Soldaten zu sehen, d.h. als Mitglieder des Gemeinwesens, die eventuell geopfert werden für das Gemeinwesen – die geopfert werden für die Aufrechterhaltung unseres Lebens, so wie wir es weiterpflegen wollen – dieser Wille, dieses Opfer auch bringen zu wollen, ist ein schmerzliches [sic!].“ Auch wenn dieser Satz jeglicher syntaktischen Logik entbehrt, ist klar, worauf der Althistoriker hinaus will … Vielleicht sollte man ja die betreffende 3sat-Sendung künftig in Barbareizeit umbenennen. (vgl. „Opferbereitschaft“, „Opfermut“, „postheroisch“) (wird fortgesetzt) Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge [https://globalbridge.ch/das-woerterbuch-der-kriegstuechtigkeit-iii/]. Titelbild: © NATO – NATO-Generalsekretär Mark Rutte referierte im Chatham House, einer britischen privaten Denkfabrik in London, die 1920 als “Royal Institute of International Affairs” gegründet wurde und heute von 75 Großunternehmen unterstützt wird und mit knapp 200 Beschäftigten über ein Jahresbudget von 12 Millionen Euros verfügt. Dort erklärte Mark Rutte, wie die NATO “more lethal” werden soll, also tödlicher.

Statt einen „herrschaftsfreien Diskurs“ als eine Weiterentwicklung der Demokratie zu wagen, kultiviert die mediale Politöffentlichkeit voller Elan einen „herrschaftlichen Monolog“ aus den vordemokratischen Zeiten. Dazu gehört ein staatsmächtig gelenktes Ignorieren, Auslachen und sogar Bestrafen von Stimmen, in denen die Meinungsvielfalt und Demokratie bereichernde Diskussionsbereitschaft über die systemimmanenten Fehlentwicklungen lebendig gehalten werden. Und dies ist leider kein Science-Fiction-Scherz, sondern fühlt sich eher wie eine Art Weltschmerz an. Von Pentti Turpeinen. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Ja, es „weltschmerzt“, zu beobachten, wie die westlichen Nationen die demokratischen Ideale, ohne die historische Bedingtheit und Konsequenzen des eigenen Denkens und Handelns zu reflektieren, in einen quasi monarchistischen Treueschwur an ein „wertewestliches Reich“ verwandeln. Alles hat seine Geschichte. Mit der Sprachfähigkeit war der Mensch auf die Idee gekommen, sich von der unmittelbaren Verbundenheit mit der Natur zu emanzipieren und mit eigenen Visionen und Vorstellungen das gemeinschaftliche Überleben zu gestalten. Aber welche und wessen Ideen und Ideale sollten es sein? Statt gemeinschaftlich die unendlichen Potenziale dieser neu erworbenen Sprachintelligenz zu erforschen und zu verwirklichen, erkannten einige sich als auserwählte Führungspersönlichkeiten und fingen an, ihre eigenen Ein- und Aussichten nicht nur als einzig wahre zu zelebrieren, sondern auch durchzusetzen. Unser „Herr und Sager“ und sein „himmlisches Reich“ wurden geboren. Sich als ein edles und vollkommenes Herrschaftssystem mit einem noblen Markennamen zu präsentieren, wurde weltweit Standard und brachte auch den abendländisch zivilisierten Monarchien vom klassischen Altertum bis zum heutigen Tag große Bewunderung, Ehre und Stabilität; in allgemeinbildenden Geschichtserzählungen hochachtungsvoll beherzigt. Und es gab und gibt tatsächlich auch viel Positives zu bestaunen und zu preisen. Schon die alten Kaiser- und Königreiche haben es im Laufe ihrer Geschichte wahrlich vielen Kreativen im Volke ermöglicht, auf unterschiedlichsten Gebieten Außerordentliches zu leisten. Großartige Werke in bildenden Künsten und Musik, Literatur und Philosophie, Medizin, Architektur und Handwerk, Wissenschaft und Technik usw. bereichern und erleichtern unseren Alltag. Dass diese Förderung der talentierten Geistesgrößen auch die „Selbstbewunderung und das Sich-bewundern-Lassen“ der jeweiligen Machthaber und Wohlhabenden und ihrer Machtgebilde verewigen sollte, hat sich als ein zivilisiertes Kulturideal in den Demokratien bestens bewährt. Es gilt: Was die bestehende Grundordnung stabilisiert und bereichert, wird gefördert und verwirklicht, gebaut und mit Profit verkauft. Im Laufe ihrer gut zweitausend Jahre währenden Geschichte wussten schon die abendländischen Monarchien sowie ihre späteren Erben als freiheitlich-demokratische Nationen die zivilisierten Kulturen mit unterschiedlichsten Methoden zur Unterstützung der eigenen Macht zu prägen. Dabei hat sich „der diskrete Charme des Schweigens“ über die selbstverursachten Katastrophen, seien es Kriege und Kolonialismus, Ausbeutung, Unterdrückung, Rassismus, die unbekümmerte Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen usw., als eine unerschütterliche Kultivierung der allgemeinen Begeisterung für die jeweilige werteorientierte Zukunft bewährt. Mit diesem „Sound of Silence“ über die eigenen Untaten ist es auch gelungen, die uns angeborene Neugierde auf ein ergebenes „Was darf ich bitte wissen?“ zu reduzieren. Auf eine derart „qualifizierte Mehrheit“ ist eben Verlass. Und dementsprechend, die weltweite Dynamik der wirtschaftspolitischen Gesamtzusammenhänge „aus den Augen, aus dem Hirn“, fällt es nicht mal unserer aufgeweckten medialen Öffentlichkeit auf, wie die „regelbasierte Werteordnung“ die fast in Vergessenheit geratenen monarchistischen Eroberungsideale und altbewährte aggressiv-kriegerische Arroganz und die rassistische Überheblichkeit als eine „Verteidigung unserer Freiheit“ wiederbelebt. Gegen die Unterdrückung und Ausbeutung und Heuchelei der Herrschaftssysteme haben die Völker sich immer gewehrt. Und dass es bei den Aufständen nicht nur um isolierte Ungerechtigkeiten ging, sondern um einen Widerstand gegen die Herrschaft als solche, war schon in uralten Schriften weltweit eine Selbstverständlichkeit. Aber erst vor gut 250 Jahren eröffnete sich mit den Umwälzungen gegen die „im Namen von Höherem und Erhabenem“ legitimierte Ungerechtigkeit und Selbstherrlichkeit der Monarchen und ihrer Adligen eine reale Chance für das gemeinschaftliche Verwirklichen einer herrschaftsfreien Lebensgestaltung. Und die abendländischen Geistesgrößen nahmen diese Herausforderung sehr ernst. Sie entwickelten mit einem bewundernswerten Einsatz nicht nur unterschiedlichste Modelle für Demokratie, Kommunismus, Sozialismus, Anarchismus usw., sondern kultivierten mit ihren hervorragenden Untersuchungen den Blick auf die Fehlentwicklungen der gesellschaftlichen Gesamtsysteme und auf die Möglichkeit und Dringlichkeit, nach einem menschheitlichen Überleben ohne Herrschaft zu suchen. Damit hatte die abendländische Zivilisation nicht nur etwas wahrhaft Positives, sondern auch Weltbewegendes in Gang gesetzt. Nach Tausenden von Jahren Engstirnigkeit, Rücksichtslosigkeit und Überheblichkeit der unterschiedlichsten Herrschaftssysteme, die nur ihre eigenen Macht- und Profitinteressen zu verwirklichen versuchten, hatte sich endlich eine Chance eröffnet, die Kreativität der Völker der Erde für eine gemeinsame Überlebensstrategie zu vereinen. In machtpolitischen Abhängigkeiten von den monarchistischen Traditionen fingen aber auch die Systemveränderer an, ihre jeweilige Lehre und Ideologie als die einzig wahre zu verteidigen und durchzusetzen. Man war nicht bereit, die eigenen Entwürfe als nur einen Beitrag unter anderen zum Entwickeln einer gemeinschaftlichen Überlebensstrategie zu akzeptieren. Gerechtigkeit und Menschlichkeit ja, aber nur unter unserer Führung, hieß es damals wie heute. Aller Anfang ist schwer. Das sich entwickelnde Projekt für eine weltweit gemeinschaftliche Herrschaftsfreiheit fiel zurück in die egoistische Kurzsichtigkeit der alten Alleinherrscher. Und dabei waren vor allem die neuen zivilisiert demokratisierten Nationen im großen Vorteil, da sie die Weiterentwicklung ihrer Stärke auf die lang erprobte Bereicherungs- und Kriegstüchtigkeit der Monarchien aufbauen konnten. Die Abschaffung der Herrschaft entwickelte sich trotz allem zu einer weltweiten Bewegung. Als sich die Lage in den europäischen Demokratien beruhigt hatte, waren die sozialen Umwälzungen anderswo nicht aufzuhalten. Getragen von Sozialisten/Kommunisten, wurden uralte Herrschaftssysteme aufgelöst – und dies ironischerweise auch gegen die Interessen der abendländischen Demokratien, die ihren frisch erkämpften Freiheitsdrang in einen monarchistischen Kolonialismus umgewandelt hatten. Inzwischen bemühen sich die Demokratien und der Sozialismus in der Regel um ein friedliches Geschäftsklima. Das Tagesgeschäft prägt das Denken und Handeln. Wohlständige Zufriedenheit des eigenen Volkes steht im Vordergrund. Die fernen Ziele als urdemokratische Visionen von kultivierten Bevölkerungen, die ihre Lebensbedingungen gemeinschaftlich gestalten und die Fehlentwicklungen am Gesamtsystem selbstbewusst reformieren, haben an Bedeutung verloren. Die monarchistischen Kulturideale waren und sind unter den gegebenen Machtverhältnissen nicht zu überwinden. Dementsprechend zeigten sich schon die demokratischen Nationen gleich nach ihrer Abnabelung von den Monarchien als deren gelehrige Schüler. Wie selbstverständlich wussten auch sie, in altbewährter zivilisierter Manier, die eigenen Bevölkerungen mit phantasievollen Geschichten und Lobeshymnen von dem gemeinschaftlichen Nutzen ihrer Kriege und sonstiger weltweiter kolonialistischer Raubzüge zu überzeugen. Die monarchistischen Traditionen prägen weiterhin unseren Alltag. Ein amüsantes Beispiel: Dass demokratisch gewählte Präsidenten im Dienste des Volkes in Schlössern und Palästen residieren müssen und dürfen, wird als eine Huldigung der Demokratie gefeiert. Aller Anfang ist eben schwer. Es wird wohl noch ein paar Jahrhunderte dauern, bis die Demokratien überhaupt lernen, die eigenen systemimmanenten Fehler zuzugeben; es sei denn, die mediale Öffentlichkeit beginnt, selbstkritisch zu analysieren, ob die Werte und die Geisteshaltung, die man von den Monarchien übernommen hat, wirklich den ursprünglichen demokratischen Idealen entsprechen. Davon sind wir nicht nur weit entfernt, sondern entfernen uns immer weiter. Die gegenwärtige wertewestliche Politik ähnelt zunehmend einer „Remonarchisierung“ der Demokratie. Im Phänomen Trump verkörpert sich in aller Offenheit die Geisteshaltung der Welteroberer und Alleinherrscher längst vergangener Zeiten; diesmal als Big Boss von „We-Win-Kapitalismus“. Die restliche westliche Demokratie schämt sich für ihn, ist entsetzt, dass ein Präsident Donald Trump es wagt, unverblümt die allgemein akzeptierte freiheitliche Geisteshaltung des Westens als sein privates Image zu feiern und durchzusetzen: Frei nach König Ludwig dem XIV.: Die Welt, das bin ich. Es ist ja nicht nur Donald Trump, sondern das wertewestliche Demokratie-Ensemble in aller Pracht, das im Stil der vormaligen Alleinherrscher den eigenen Bevölkerungen klarstellt: Was immer WIR im Auftrag des Volkes entscheiden und vollbringen, ist von UNS bestens durchdacht und zum Wohle ALLER! Die demokratische Arbeitsteilung zwischen den Politikern und der Bevölkerung hat sich in eine allgemein akzeptierte gesellschaftliche Dynamik stabilisiert: Die einen entscheiden und die anderen tragen ihr Kreuz, sei es auf den Wahlzettel. Die Demokratie zu verteidigen ist wahrlich eine Bürgerpflicht. Nur, wie soll man das interpretieren und verwirklichen? Wertewestlich als Bejubeln und Restauration der Ideale der vergangenen monarchistischen Zeiten? Oder als ein gemeinschaftliches Entwickeln einer gesellschaftlichen Dynamik, die es den „Bevölkerungen als demokratische Systemveränderer“ nicht nur ermöglicht, das jeweilige Gesamtsystem zu durchschauen und Fehlentwicklungen zu korrigieren, sondern endlich das Verwirklichen von menschlichen Potenzialen in unsere alltägliche Überlebensstrategie zu verwandeln? Titelbild: Shutterstock / gheinesca Mehr zum Thema: Werteorientierte Zivilisation im Bann ihrer Alternativlosigkeit [https://www.nachdenkseiten.de/?p=124773] Wenn Wirklichkeitsversteher das Sagen haben – der Fehlentwicklung des Werte-Westens auf der Spur [https://www.nachdenkseiten.de/?p=113026] Vom Nationalismus zum Werte-Westen-Nationalismus – So wahr Gott uns helfe! [https://www.nachdenkseiten.de/?p=109706] Die „asoziale Intelligenz“ der regelbasierten Weltordnung [https://www.nachdenkseiten.de/?p=104203]