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Vor ca. 4200 Jahren begann mit der Bronzezeit eine der spannendsten Epochen der europäischen Urgeschichte. Das neue Material eröffnete sensationelle Möglichkeiten bei der Geräte- und Waffenherstellung. Gleichzeitig entstanden zur Beschaffung des eher seltenen Zinns neue Handelswege. Was bedeutete das für die Frauen dieser Zeit? Autorin: Carola Zinner Credits Autor/in dieser Folge: Carola Zinner Regie: Susi Weichselbaumer Es sprachen: Irina Wanka, Peter Weiß Technik: Susanne Harasim Redaktion: Andrea Bräu Im Interview: Philipp W. Stockhammer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Professor für prähistorische Archäologie an der LMU München; Rainer Linke und Siglinde Matysik vom Arbeitskreis für Vor- und Frühgeschichte im Heimatverein für den Landkreis Augsburg, Mitarbeiter des Archäologischen Museums Königsbrunn Linktipps: Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir: ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/alles-geschichte-history-von-radiowissen/82362084/] Skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Das Kalenderblatt erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum. Ein Angebot des Bayerischen Rundrunks. DAS KALENDERBLATT [https://www.ardaudiothek.de/sendung/das-kalenderblatt/5949906/] Frauen ins Rampenlicht! Der Instagramkanal frauen_geschichte versorgt Sie regelmäßig mit spannenden Posts über Frauen, die Geschichte schrieben. Ein Angebot des Bayerischen Rundfunks. EXTERNER LINK | INSTAGRAMKANAL frauen_geschichte [https://www.instagram.com/frauen_geschichte/] Literaturtipp: Stockhammer, Philipp W. ORCID logo, Mittnik, Alissa, Massy, Ken and Knipper, Corina (2018): Mobilität - Die wissenden Frauen vom Lechtal. In: Spektrum der Wissenschaft Spezial Archäologie - Geschichte - Kultur, Vol. 2018, Nr. 4: S. 38-41 Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | RadioWissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-manuskripte-frauen-bronzezeit-lechtal-raetsel-sozialstruktur-mobilitaet-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK atmoartig, unterlegen. Anmutung „Vorgeschichte“ ZUSPIELUNG 1 (Stockhammer) Die Bronzezeit ist in meinen Augen eine der spannendsten Epochen der europäischen Urgeschichte. ZUSPIELUNG 2 (Linke) Die Bronze war wichtig, das war's A und O. ZUSPIELUNG 3 (Matysik) Und ich finde das fantastisch, dass man da das genau regional begrenzen kann, wo diese Leute hergekommen sind. ERZÄHLERIN Philipp Stockhammer, Siglinde Matysik und Rainer Linke haben auf verschiedene Art zum Wissen über die Bronzezeit beigetragen: Linke und Matysik sind Mitglieder eines regionalen Arbeitskreises, der bei Grabungen im südlichen Landkreis Augsburg prähistorische Überreste frei legte. Und Philipp Stockhammer, Mitarbeiter des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Professor für prähistorische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München konnte unter anderem anhand dieser Funde das Leben in jener Zeit neu beleuchten. ZUSPIELUNG 4 (Stockhammer) Wir können da ganz viele naturwissenschaftliche Verfahren einsetzen, das nimmt einem schier den Atem, aber zwingt uns jetzt halt auch als Archäologen und Archäologinnen, die Vergangenheit irgendwie auch wieder neu zu denken und wegzukommen von diesen alten, überkommenen Erzählungen. MUSIK geht über in ZUSPIELUNG 5 ATMO Museum ZUSPIELUNG 6 (Matysik) Die meisten Leute kommen auf die Grabung. Erste Frage habt ihr Gold gefunden? Dabei ist Gold gar nicht so wichtig. (Linke) Meistens, wenn wir die ausgraben, die Bronzefunde, dann sind die meistens blau, dann weiß man schon, da ist sehr viel Kupfer drin. ERZÄHLERIN Königsbrunn bei Augsburg: Im Untergeschoss des Rathauses präsentiert ein kleines archäologische Museum Funde aus der Region, darunter auch zahlreiche Stücke aus der Epoche zwischen 2200 bis 800 vor Christus – der mitteleuropäischen Bronzezeit. ZUSPIELUNG 7 ATMO ERZÄHLERIN Die beiden Ausstellungsmacher Siglinde Matysik und Rainer Linke stehen vor einer großen Vitrine. ZUSPIELUNG 8 (Matysik) Dieses Skelett ist wirklich original, und wir wollen anhand dessen die Bestattungssitten zeigen: das ist der Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeit: die Männer wurden immer mit dem Kopf nach Norden beerdigt, die Frauen mit dem Kopf nach Süden, Blickrichtung Richtung Osten, also aufgehende Sonne. ERZÄHLERIN Lange ließ sich nicht einmal mit Sicherheit bestimmen, ob es sich bei menschlichen Skeletten um die Überreste eines Mannes oder einer Frau handelte. Hinweise gaben etwa die Lage und Größe der Verstorbenen, ihre Kleidung und Grabbeigaben wie Schmuck, Waffen oder Haushaltsgegenstände. Mittlerweile ist die Forschung deutlich weiter: DNA-Überreste geben heute zuverlässig Auskunft über das Geschlecht und über Verwandtschaftsbeziehungen. Und mithilfe der so genannten Strontium-Isotopenanalyse lässt sich sogar erkennen, in welcher Region die Menschen aufgewachsen sind. Denn die ganz spezifische chemische Zusammensetzung des jeweiligen Bodens, die über die Nahrung in den Körper gelangte, hat in den Zähnen eine Art Signatur hinterlassen. ZUSPIELUNG 9 (Stockhammer) Das heißt, ich kann, wenn sagen wir, eine Frau oder ein Mann in München bestattet ist, kann ich sehen, passen die Backenzähne zur Boden-Signatur zur Münchner Schotterebene. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich sagen, die haben offensichtlich ihre Kindheit woanders verbracht. MUSIK ERZÄHLERIN Im Süden von Augsburg liegt, umrahmt von den Flüssen Lech und Wertach, die breite Schotterebene des Lechfeldes. Und, daran angrenzend, das „Hochfeld“: eine fruchtbare Lößterrasse, die bereits den Menschen der frühen Bronzezeit ideale Bedingungen für den Ackerbau bot. Ihre Höfe lagen am Rand des Hochfeldes lose aneinander gereiht wie Perlen an einer Schnur, mit genügend Abstand zum Fluss, um bei Hochwasser in Sicherheit zu sein, und doch nah genug, um die relativ karge Alltagskost - Getreidebrei, Beeren, Pilze, Milchprodukte, ohne großen Aufwand mit Fisch und Wild aufbessern zu können. (MUSIK hoch). Zu den Gehöften gehörte auch jeweils ein Gräberfeld für die Verstorbenen. Deren Überreste nun mithilfe bioarchäologischer Analysen genauer bestimmt werden können. ZUSPIELUNG 10 (Stockhammer) Wir hatten Glück, dass wir eine fantastische DNA-Erhaltung haben. Insgesamt haben wir 800 Jahre dort untersucht, so zwischen 2500 und 1700 vor Christus. ERZÄHLERIN EIN Ergebnis der Untersuchungen: Die einzelnen Höfe wurden über vier, fünf Generationen von ein- und derselben Familie bewohnt. Allerdings zieht sich die Verwandtschaft nur in männlicher Linie durch; es gibt Väter und Söhne, Brüder und Onkel. Die Mütter der Kinder jedoch stammen allesamt von auswärts; sie hatten hier keine Vorfahren. Und unter den hier geborenen Frauen wiederum findet sich keine einzige Bestattung, bei der die Verstorbene älter als 17 Jahre war. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Töchter in diesem Alter ihre Familien und die Heimat verlassen mussten - wohl in erster Linie, um anderswo einzuheiraten. MUSIK hoch Dieser Befund ist allerdings keineswegs außergewöhnlich; die Archäologie kann diese so genannten patrilinearen Heiratsmuster, die ja zumindest partiell noch heute in einigen Teilen der Welt existieren, für viele Epochen und Regionen nachweisen. Ein anderes Ergebnis der Untersuchungen aber ließ die Fachwelt aufhorchen. Es war die Entdeckung der „fremden Frau aus der Ferne“, die hier weder Vorfahren noch Nachkommen besaß. ZUSPIELUNG 11 (Stockhammer) Total spannend. Also wir haben da schon gesehen, okay, genetisch scheinen alle Mütter von außerhalb zu kommen und gleichzeitig sehen wir jetzt von den Isotopenanalysen, dass ein erheblicher Teil der Frauen offensichtlich von ganz weit herkommt, also über 400 Kilometer, ja? ERZÄHLERIN Besonders auffällig war, dass die Bestattungen dieser „Frauen aus der Fremde“ zu den reichsten in der Region gehörten. Und das, obwohl es keine leiblichen Kinder gab, die für ein angemessenes Begräbnis Sorge hätten tragen können. Was könnte für andere Gründe gegeben haben für die Hochachtung, die die Gesellschaft diesen Migrantinnen offenbar entgegenbrachte? Die Spurensuche führt in die ursprüngliche Heimat der Frauen, die Regionen um Halle, Leipzig und Prag. Und damit in die High-Tech-Zentren jener Epoche, die gekennzeichnet ist vom wachsenden Wissen um die Herstellung und Bearbeitung von Bronze - einer Legierung aus Kupfer und Zinn. ZUSPIELUNG 12 (Stockhammer) Das richtig coole an Bronze ist, wenn die frisch gegossen ist, ist sie so hart wie Stahl, glänzt wie Gold, und man kann es ja auch viel besser gießen als Kupfer. ERZÄHLERIN Allerdings kommt Zinn - im Gegensatz zu Kupfer – nur selten in Europa vor. Die wichtigsten Lagerstätten befinden sich in Südengland und im Erzgebirge. Um an das begehrte Metall zu gelangen, braucht es ein großräumiges Netz von Handelsbeziehungen. ZUSPIELUNG 13 (Stockhammer) Deshalb ist die Bronzezeit auch etwas, was Menschen über weite Distanzen ganz neu miteinander in Austausch gebracht hat, und letztlich, so kann man sagen, die erste globale Epoche der Menschheitsgeschichte in Eurasien zur Folge hatte. ERZÄHLERIN In der Forschung, sagt Philipp Stockhammer, herrschte früher auch ein relativ klares Bild davon, in welcher Form dieser Austausch stattfand. ZUSPIELUNG 14 (Stockhammer) Die Erzählung meiner Studienzeit war eben: Mobilität war vor allem der Mann mit der Waffe oder der Mann, der Handwerker, oder der Mann, der Händler, der quasi glücksbringend durch die Bronzezeit Europas zieht. MUSIK andere Färbung, Dänemark, Bronzezeit ERZÄHLERIN Am 24. Februar des Jahres 1921 machte der Bauer Peder Platz im dänischen Egtved einen eigenartigen Fund. Er war gerade dabei, die Reste eines kleinen Hügels beiseite zu räumen, als er in dessen Mitte auf einen ausgehölten Eichenstamm stieß, in dem Leiche einer jungen Frau lag, eingewickelt in ein Kuhfell. Peder Platz beriet sich zuerst einmal mit seinem Nachbarn, dann setzten sich die beiden hin und schrieben einen Brief an das Nationalmuseum von Kopenhagen. ZITATOR Ich vermute, dass es sich um ein altes Begräbnis handelt und dass dieses von Interesse für das Museum sein könnte. Ich habe deshalb die Arbeit eingestellt. ERZÄHLERIN Tatsächlich erwies sich der Fund als absolute Sensation: Beim „Mädchen von Egtved“ handelt es sich um eine der am besten erhaltenen Bestattungen aus der Bronzezeit. Die schafwollene Kleidung der bei ihrem Tod etwa 17jährigen - eine Bluse mit halblangen Ärmeln und ein knielanger Rock aus gedrehten Schnüren, ihre Haare – vorne und an den Seiten kurz geschnitten, hinten halblang, ihr Schmuck – Gürtelpatte, Armreifen und ein Ohrring aus Bronze – all das hatte die Jahrtausende ebenso gut überstanden wie die Dose aus Birkenrinde am Fußende des Sarges, in der sich Reste eines mit Honig gesüßten Biers aus Weizen und Beeren fanden. MUSIK hoch (spätestens bei der nächsten Zuspielung weg) Der mittlerweile mehr als 100 Jahre zurückliegenden Entdeckung von Peder Platz verdankt die Archäologie zahlreiche Erkenntnisse über das bronzezeitliche Leben. Dazu gehört nun, dank moderner Untersuchungsmethoden, auch der Nachweis, dass sich die junge Frau zu ihren Lebzeiten keineswegs immer nur in Dänemark aufgehalten hat. Sie war offenbar gleich mehrmals in Süddeutschland unterwegs gewesen, wo sie unter Umständen – ganz einig ist sich die Forschung in dieser Beziehung nicht - auch geboren wurde. Aus welchen Gründen aber mag sie sich auf die lange und wohl auch einigermaßen gefährliche Tour quer durchs Land begeben haben? In welchem Rahmen reiste sie? Und – was hatte sie dabei im Gepäck? Auf jeden Fall steht ganz abseits jener Fragen fest: die alte Vorstellung von Handel und kulturellen Austausch in der Bronzezeit – ein Mann zieht bewaffnet oder mit Waren im Gepäck durch die Lande und schlägt sich allein und auf eigene Faust von Ansiedlung zu Ansiedlung durch - ist, wenngleich nicht unbedingt falsch, so doch höchstens ein Teil des Gesamtbildes, zu dem die jungen Frau aus Dänemark ebenso gehört wie die Migrantinnen des Lechtals. ZUSPIELUNG 15 (Stockhammer) (Gut möglich, dass es ihn gab, diesen Händler. Weil: Der einzelne Krieger hat es schon irgendwie geschafft. Aber) jetzt habe ich Mädels mit 17 Jahren, die zu Fuß entweder aus der Gegend von Prag oder aus der Gegend von Leipzig nach Augsburg kommen, das ist schon ein Stück. Und was wir auch sehen können über die Zähne, dass immer auch wieder Jungs im Alter von sieben Jahren aus dem Lechtal weggeschickt wurden und dann als erwachsene Männer mit 17 wiedergekommen sind. Weil die Zähne bis zum siebten Lebensjahr sind lokal; vom siebten bis zum 17. Lebensjahr ist es dann die Gegend Halle, Leipzig, und dann sind sie aber wieder vor Ort bestattet, also die sind sozusagen ausgeschickt worden, um in der Ferne zu landen… Ich meine, schicken Sie heute mal einen Siebenjährigen quer durch Deutschland! ERZÄHLERIN Sollte so eine Reise auch nur ansatzweise Aussicht auf Erfolg haben, dann musste es auf jeden Fall Begleitpersonen geben, die es gewohnt waren, mit Schwierigkeiten umzugehen, von Überfällen durch Mensch oder Tier bis hin zu plötzlichen Krankheiten. Vorstellbar wäre es etwa, dass sich zu bestimmten Zeiten im Jahr Trecks im Stil von Karawanen auf den Weg zu zentral gelegenen Plätzen machten, wo man zusammenkam, um religiöse Feiern abzuhalten und sich bei der Gelegenheit auch für zukünftige Termine verabredete und untereinander Tausch betrieb, ob es nun um Waren oder Wissen ging, Saatgut, Vieh oder Mensch. ZUSPIELUNG 16 (Matysik) Ein Grab aus der Gemeinde Wehringen: das ist die Ausstattung von einem Frauengrab. ERZÄHLERIN Auch wenn das kleine Museum von Königsbrunn keinen Jahrhundert-Fund wie das „Mädchen von Egtved“ zu bieten hat, kam doch bei den Grabungen der Ehrenamtlichen Beachtliches zutage. Siglinde Matysik zeigt auf ein üppig mit Bronzeschmuck versehenes weibliches Skelett: Ein massiver Halsring und zahlreiche „Tutuli“ - kleine Pyramiden aus Bronzeblech, die einst einen mittlerweile längst zerfallenen Stoff schmückten. Dazu im Bereich der Brust Bronzeplatten und um die Waden lange Spiralen aus Bronze, dessen einstiger Goldton sich über die Jahrtausende im Schotterfeld in ein sanft schimmerndes Türkis-Grün verwandelt hat. ZUSPIELUNG 17 (Matysik) Das ist für mich immer so schwer nachvollziehbar, dass die auf den ganzen Reichtum verzichtet haben und haben das dann mit ins Grab weitergegeben. ERZÄHLERIN Die kostbare Bronze sollte offenbar der Verstorbenen auch im Jenseits das gute „Standing“ sichern, das sie im irdischen Leben besaß. Denn eine derart reiche Beerdigung bekamen nur Angehörige der Oberschicht. MUSIK ERZÄHLERIN Die Bronzezeit ist nicht nur die Epoche, in der das Know-How in Sachen Metallbearbeitung rapide wächst und Handel und damit auch Mobilität eine immer größere Rolle spielen; sie ist auch geprägt von großen sozialen Unterschieden. Die Bestattungen des Lechtals zeugen davon: neben den reich mit Waffen und Schmuck ausgestatteten Gräbern gibt es auch solche, die so gut wie keine Beigaben enthalten. Die Verstorbenen waren offenbar arm gewesen. Und sie besaßen, wie die Analysen ergaben, keinerlei Verwandtschaft im Lechtal. ZUSPIELUNG 18 (Stockhammer) Wir haben diese Gruppe interpretiert als vielleicht Bedienstete, Mägde, Knechte, ob die jetzt unfrei waren oder nicht, also Sklaven oder so, wissen wir alles nicht: sie haben in dem Gehöft gelebt, sie wurden auf dem Familienfriedhof bestattet, also sie sie waren schon Teil der Familie, aber sie hatten den ganzen niedrigen Status. ERZÄHLERIN Sprich, ihre Situation war ganz anders als die „fremden Frauen aus der Ferne – obwohl doch die Grundbedingungen – ursprünglich nicht hier beheimatet, keine Verwandten, keine Kinder - auf den ersten Blick ganz ähnlich wirken. Der Unterschied: die „fremden Frauen“ kamen aus Technologiezentren. Und brachten wohl aus ihrer Heimat etwas extrem Wertvolles mit, nämlich Wissen und Können – insbesondere, was die Herstellung von Bronze betraf. ZUSPIELUNG 19 (Stockhammer) Da ist nichts Körperliches, wo man sagt, das kann doch nur ein Mann, das braucht so besondere Kraft: Sie beobachten, wann hat das Metall die richtige Temperatur erreicht von der Färbung her, wie machen Sie die Gussform, welchen Ton wählen Sie für den Schmelztiegel aus? ERZÄHLERIN Ausgerüstet mit diesem Know-How, vielleicht auch mit Werkzeug oder Bronze im Gepäck trafen die „Frauen aus der Fremde“ also auf dem jeweiligen Gehöft ein, auf dem sie fortan leben sollten, in einer Art Wohngemeinschaft mit dem Bauern und, sofern sie noch am Leben waren, mit seinen Eltern, Brüdern und mit den Schwestern unter 17 Jahren. Dazu kamen noch die – eingeheiratete - Ehefrau des Bauern und die Kinder des Paares. An deren Pflege und Erziehung die „Frau aus der Fremde“ vermutlich maßgeblich beteiligt war. ZUSPIELUNG 20 (Stockhammer) Wenn mal eine Frau mit einem Kind bestattet ist, dann ist es nicht die biologische Mutter, sondern eine Frau von ganz weit her. Worauf das für mich hindeutet, ist, dass wir letztlich andere Formen von Mutterrollen haben als wir uns vorstellen: Jedes Kind hatte sozusagen seine biologische Mutter, die immer wieder schwanger geworden ist, und auf der anderen Seite eine soziale Mutter, die vermutlich halt dem Kind auch ganz viel Wissen mitgegeben hat. ERZÄHLERIN Angesichts der hohen Müttersterblichkeit, aber auch angesichts der Tatsache, dass die Frauen bei der Heirat fast noch Teenager waren, hatte eine solche „Aufteilung“ der Mutterrolle mit Sicherheit Vorteile. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag damals zwischen 20 und 30 Jahren – und jede Geburt stellte ein hohes Risiko dar. Eine „Ersatzmutter“, die zudem über größeres Wissen als der Durschnitt verfügte, konnte hier ein, wie Philipp Stockhammer es nennt, „Schlüssel zur Optimierung“ sein. ZUSPIELUNG 21 (Stockhammer) Einerseits der Reproduktion, und andererseits, um den Kindern maximales Wissen und Überlebensmöglichkeiten zu garantieren. Und es ist so spannend, weil es einfach zeigt, wie komplex das Zusammenleben in diesen Häusern war und weit es über das hinausgeht, wie wir uns immer dieses, ach, einfache Leben in der Urgeschichte vorstellen. MUSIK ERZÄHLERIN Dank bioarchäologischer Methoden lässt sich heute vieles beantworten, was früher unlösbar erschien. Doch jede Antwort bringt unzählige neue Fragen hervor. Was etwa mögen die „fremden Frauen“ wohl sonst noch mitgebracht haben aus ihrer Heimat: Neue Techniken der Textilherstellung? Der Essenszubereitung? Lieder? Ihre Sprache? Medizinische Kenntnisse? ((Und wie ist - ohne die Hilfe unseres modernen Wissens über Verhütung - jene durchgehende Kinderlosigkeit zustande gekommen, die ja offenbar für die hoch angesehenen „fremden Frauen“ ebenso galt wie für die Frauen der Unterschicht. ZUSPIELUNG 21 (Stockhammer) Ich glaube, dass es ganz strikte Regeln gegeben haben muss, wer mit wem Nachkommen zeugen durfte und wer nicht, und es hat offensichtlich funktioniert, weil wir keinen einzigen genetischen Beleg dafür haben, dass irgendwo mal ein Seitensprung oder ähnliches… das würden wir ja genetisch sehen. Und das ist schon sehr spannend und zeigt uns, wie strikt und klar dieses System funktioniert haben muss.)) ERZÄHLERIN Ein System, das – wiewohl es offenbar sehr gut funktionierte – dann nach rund 750 Jahren trotzdem relativ abrupt endet. Die frühbronzezeitlichen Gehöfte des Lechtals sterben nach und nach aus, während parallel dazu andere Menschen in die Region ziehen, die sich, oftmals nur ein paar hundert Meter entfernt, neue Häuser bauen und ihre Toten auf andere Art bestatten. Was mag da wohl dahinterstecken? Und – weitere Fragen: Was war eigentlich mit den armen Bewohnern der Höfe? Wo und wie kamen sie her? Waren sie gekauft oder gar gekidnappt worden? Oder kamen sie womöglich freiwillig, froh, einen Unterschlupf zu finden, der ihnen in der rauen Welt der Bronzezeit zumindest einigermaßen das Überleben sicherte? Fragen über Fragen - auf die es wohl kaum je Antworten geben wird. Denn jener Teil unserer Geschichte, aus dem nichts Schriftliches und nur einige wenige Bilder überliefert sind, bleibt verborgen wie hinter einem Vorhang, der nur kleine Einblicke auf das gewährt, was dahinter liegt. Alles andere bleibt reine Spekulation.

1974 gelang der schwedischen Pop-Band ABBA mit "Waterloo" ein erster Welthit. Das Quartett der anfänglich noch verheirateten Paare steht für gutgelaunte, international erfolgreiche Popsongs Made In Sweden. Von Markus Mayer (BR 2022) Credits Autor/in dieser Folge: Markus Mayer Regie: Es sprachen: Katja Amberger, Andreas Neumann, Katja Schild, Carsten Fabian Redaktion: ,Dr. Nicole Ruchlak Im Interview: * Dietmar Schwenger - Journalist, München (Branchenblatt Musikwoche) Noch mehr Interesse an Wissenschaft und Musik? Dann empfehlen wir: Kosmos Musik Fördert Klavierspielen die Intelligenz? Warum ist Singen gut fürs Immunsystem? Und wie klang der Urknall? Auf diese und andere spannende Fragen antwortet der neue Wissens-Podcast "Kosmos Musik" mit der Astrophysikerin und angehenden Astronautin Suzanna Randall: BR PODCAST I KOSMOS MUSIK - DER WISSENS-PODCAST MIT SUZANNA RANDALL [https://www.br.de/mediathek/podcast/kosmos-musik-mit-suzanna-randall-wissens-podcast/875] Literatur: Bandbiographien: Licht und Schatten – ABBA – die wahre Geschichte. Carl Magnus Palm. Bosworth Berlin London Wien. 2006. Die offiziöse, ‚amtliche‘ Bandbiographie des schwedischen Journalisten Carl Magnus Palme erzählt die Geschichte der Band aus der Sicht der Landsleute. ABBA – Thank You For The Music. Andrew Oldham, Tony Calder, Colin Irwin. Aus dem Englischen von Heike Steffen. Ullstein 2. Auflage 2000. Politisch höchst unkorrekte Bandbiographie voller Sottisen und schmutziger Witze, des öfteren schallend gelacht bei der Lektüre. Könnte heutzutage nicht mehr geschrieben bzw. veröffentlicht werden, ein zutiefst sexistisches Buch, das zeigt in welchen Kontexten, die Karriere des Schweden-Quartetts einst verhandelt wurde. ABBA – The Music Still Goes On – Die Story zu ihren Songs. Robert Scott. Deutsch von Karin Miedler und Ursula Pesch. Rockbuch Verlag. Schlüchtern 2005 Bildbiographie mit zahlreichen, teilweise ganzseitigen Farbfotos, klassisches „Fan“-Produkt i.e. ein Buch, das für Fans, wenngleich mit Bildern, die viel über die Professionalität der ABBA-Mitglieder verraten und informativen Kurztexten. ABBA – Ihre ganze Geschichte. Fréderic Tonnon & Marisa Grau. Schwarzkopf & Schwarzkopf. Berlin 2005 Lexikoneinträge in folgenden Kompendien: Von ABBA bis Zappa – Die Klassiker des Rock & Pop. Hg. v. Peter Kemper, Reclam 2015, darin Artikel über Abba von Uwe Schütte. S. 11 – 17. Spitzzüngiger Abriss eines kompetenten Autors, profunde Informationen und Einschätzungen. Rock und Pop von A bis Z. Von Julia Edenhofer. Bastei Lübbe. Bergisch Gladbach. 1993. S. 55 - 56. Nichtssagender Artikel. Das neue Rocklexikon. Band 1. Hg. von Barry Graves, Siegried Schmidt-Joos & Bernward Halbscheffel. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Hamburg 1998. S. 36 - 37. Cooler Abriss mit Zitaten aus angelsächsischer Presse eines ungenannten Autors. Rock Rough Guide. Hg. Von Jonathan Buckley und Mark Ellingham. Verlag J.B. Metzler. Stuttgart, Weimar. 1998. S. 1 – 2. Artikel von Jonathan Kennaugh. Pop-Splits Die besten Songs aller Zeiten und ihre Geschichte. Hg. von Frank Bruder. Illustriert von Tim Dinter. Aufbau Taschenbuch Verlag. Berlin 2004 Zu Schweden: Gebrauchsanweisung für Schweden. Antje Rávik Strubel. Piper Verlag München, sechste Auflage 2019. Darin: S. 154 - 174 / Kapitel Auffallen verboten! Linktipps: Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-manuskripte-abba-vier-schweden-erobern-die-pop-welt-esc-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ERZÄHLERIN Sechster April 1974. Beim Eurovision Song Contest im englischen Seebad Brighton vertritt die Gruppe ABBA Schweden. Das Quartett war im Vorjahr bei der schwedischen Vorentscheidung ausgeschieden. ERZÄHLER Der Eurovision Song Contest, kurz ESC, ist eine Veranstaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Europas. Ziel ist es, europäische Kulturen darzustellen und zu fördern. ERZÄHLERIN Der Dirigent des Orchesters, das die Band begleitet, trägt einen Zweispitz und eine historische Uniform wie Napoleon Bonaparte. Denn der Song von ABBA heißt Waterloo, Schauplatz der größten Niederlage des Heerführers. ZUSPIELUNG ABBA: Waterloo / Z9464472 001 1‘31 ERZÄHLER Der Song von ABBA spielt auf die Redewendung ‚ein persönliches Waterloo erleben‘ an, also im eigenen Leben einen großen Misserfolg erleiden. Im Liedtext wird eine Liebesbeziehung mit Napoleons letzter Schlacht verglichen. ERZÄHLERIN ABBA haben die Startnummer acht: Agnetha trägt eine hautenge, blaue Satinhose, die blonden Haare werden bedeckt von einem neckischen Mützchen. Anni-Frid, die ihren rötlich-brünetten Haare eine Dauerwelle verpasst hat, ist mit einem schicken Rock in Maxi-Länge bekleidet. Björns Beine stecken in silberglänzenden Stiefeln mit Plateauabsätzen, der Korpus seiner silberfarbenen E-Gitarre ist wie eine Sternenexplosion gezackt. Der bärtige Benny, der hinter dem Klavier nur selten ins Bild kommt, wirkt verglichen mit den anderen fast unauffällig. Die Gesichter der Damen tragen Glitzer-Makeup, an allen Kostümen funkeln Silber-Kettchen - ABBA treten gemäß der Mode auf, die damals in der Pop-Arena angesagt ist. ERZÄHLER Glamrock, kurz für Glamour- oder Glitter Rock steht für den großen, theatralen Auftritt, für Schminke, Androgynität und Künstlichkeit. Entwickelt wurde er von Vordenkern wie David Bowie, Marc Bolan, Roxy Music und Gary Glitter. ERZÄHLERIN ABBA wirken zwar nicht wirklich androgyn, gewinnen aber den ESC mit Waterloo. Das ist bemerkenswert. Erstens, weil Schweden damit zum ersten Mal Siegerland wird. Zweitens, weil der Song tatsächlich ungewöhnlich peppig und eingängig ist. 2020 wird er zum beliebtesten ESC-Song aller Zeiten gewählt. Und Drittens, weil die schwedische Band mit einem Popsong auf Englisch, der Rock-Elemente enthält, angetreten ist. Meist singen ESC-Teilnehmer in den Landessprachen. So tragen Cindy & Bert, die Deutschland 1974 vertreten, das Lied „Die Sommermelodie“ vor. ERZÄHLER Was ABBA mit angelsächsischem Pop und Glam Rock verbindet, formuliert ein Kritiker der amerikanischen Musikzeitschrift Rolling Stone so: ZUSPIELUNG ABBA: Waterloo ZITATOR „Mit ihren prägnanten und temporeichen Pop-Nummern liegen ABBA viel näher beim eigentlichen Rock’n’Roll als viele dieser übersteigerten Gitarrenkanonen oder diese seelenguten Gruppierungen, die den verwirrten Massen kosmo-dynamische Erleuchtung bringen wollen.“ ZITATORIN ABBA Forever – Wie vier Schweden die Popwelt erobern ZUSPIELUNG ABBA: The Winner Takes It All ERZÄHLER ABBA haben es also geschafft, sie sind weltweit Nummer Eins. Eigentlich könnte dies das Ende dieser Gruppe sein, aber Björn und Benny, die Songwriter des Projekts, haben Blut geleckt. Beide sind Ende 20, relativ alt also für eine Popstar-Karriere. Sie bilden bereits seit Jahren ein hervorragendes Songschreiberteam. Und was einmal gelungen ist, lässt sich auch ein zweites Mal und öfter schaffen. ERZÄHLERIN Eine Pop-Band mit zwei Songschreibern und zwei Frauen, die den Ton angeben – das ist neu. Es passt in die Zeit von Women’s Liberation, Emanzipation und Partnerlook. ZUSPIELUNG ABBA: Super Trouper / ERZÄHLERIN Anni-Frid und Agnetha sind mehr als ein attraktives Aushängeschild, sie verfügen über Stimmen, die sich optimal ergänzen: Anni-Frid bildet mit ihrem vollen, runden Mezzosopran das Fundament, über den sich Agnethas Sopran in der Tonlage darüber mühelos in die Höhe schrauben kann. Beide haben wie auch Björn und Benny zahllose Auftritte absolviert, auch mit den Anforderungen von Fernseh- und Aufnahme-Studios sind sie vertraut. ERZÄHLER Der Müncher Musikjournalist Dietmar Schwenger ist ABBA-Fan seit Kindheitstagen ZUSPIELUNG DIETMAR Schwenger über kunstvolle Stimmführung Wenn man dann hört, wie die zwei Stimmen kunstvoll miteinander verwoben sind. Mal unisono, dann wieder im Terzabstand, miteinander gesungen haben. Ein großer Teil der ABBA-Magie liegt darin, wie die beiden Stimmen eingesetzt sind. ZUSPIELUNG ABBA: Take A Chance / Z8006513 208 21’’ ERZÄHLERIN Björn Ulvaeus, geboren 1945 in Göteborg, und Benny Andersson, 1946 in Stockholm zur Welt gekommen, haben sich über die Hep Stars kennen gelernt, eine schwedische Band, bei der Benny Orgel spielt. Die Hep Stars empfinden in den 60er Jahren angloamerikanische Songs nach. Bei einem Auftritt der Gruppe im Juni 1966 treffen sie sich zum ersten Mal. Als dann der Hep Stars-Gitarrist ausfällt, springt Björn, der in Folkbands Gitarre gespielt hat, ein. Sein Jurastudium hängt er an den Nagel. ERZÄHLER Weil Björn und Benny sich gut verstehen, bilden sie eine Arbeitsgemeinschaft, die für Polar Music tätig ist. Das ist eine Schallplatten-Firma mit Musikverlag, die der Geschäftsmann und Branchenkenner Stig Anderson führt. ERZÄHLERIN Eine der Künstlerinnen von Polar Music, für die Björn und Benny Songs schreiben, ist die Jazzsängerin Anni-Frid Lyngstad, geboren 1945 in Norwegen. Sie ist ein so genanntes “Tyskerbarn”, ein Deutschenkind. Ihre Mutter war erst 19, als sie auf die Welt kam. Anni-Frid ist das Kind einer Liebschaft zwischen einer Norwegerin und einem deutschen Besatzungssoldaten. Ihr Vater, heißt es, wäre in den letzten Kriegstagen gefallen. Weil ihre Mutter 1947 an einem Nierenversagen stirbt und Tyskerbarna mit Diffamierungen und Ausgrenzung zu rechnen haben, zieht Anni-Frids Großmutter mit ihr nach Schweden. Mit 14 verlässt sie die Schule und beginnt eine Schneiderlehre. Später gestaltet sie einige Bühnen-Kostume von ABBA. ZUSPIELUNG Anni-Frid Lyngstad - Peter Pan ERZÄHLER Die Jüngste im Bunde ist Agneta Fältskog, geboren 1950 in der Provinzhauptstadt Jonköping als Tochter eines Kaufhausgeschäftsführers. Sie geht mit 15 von der Schule ab und arbeitet als Telefonistin. Davor hat sie bereits in einem Mädchen-Vokaltrio gesungen. 1967 produziert sie mit einer Band ein Demoband mit Liedern, die sie selbst geschrieben hat. Es landet auf dem Schreibtisch einer Plattenfirma in Stockholm und führt dazu, dass Agnetha unter Vertrag genommen wird. ZSP Agnetha Fältskog: Wer schreibt heut noch Liebesbriefe ERZÄHLERIN 1968 nimmt die ehrgeizige Sängerin mehrere deutsche Schlager auf, die allerdings floppen. Bei einem Auftritt in Schweden lernt sie Björn Ulvaeus kenne, damals ein gefeierter Teeniestar. Als sich die beiden ein Jahr später bei der Aufzeichnung einer Fernsehsendung wiedersehen, kommt es zu einer Liaison, die von der Boulevardpresse aufgegriffen wird. Derweil veröffentlicht Agneta ihr Debutalbum mit selbstgeschriebenen Songs – ein Erfolg beim jungen Publikum.

Datenschutz - deutsche Erfindung oder digitale Bremse? Von Hessens Pioniergesetz 1970 über den Volkszählungs-Protest bis zur DSGVO und dem Einsatz von Max Schrems gegen Facebook: Eine Geschichte zwischen Grundrechten, Überwachungssorgen und dem Ruf nach mehr digitaler Freiheit. Autor: Stefan Foag. (BR 2025) Credits Autor: Stefan Foag Regie: Sabine Kienhöfer Sprecher: Christian Baumann, Peter Veit Technik: Wolfgang Lösch Redaktion: Yvonne Maier Im Interview: * Prof. Dr. Kai v. Lewinski, Universität Passau, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht * Hartmut Bäumer, ehemaliger Landtagsabgeordneter (Bündnis 90/Die Grünen) * Leopold Beer, Research Assistant bei Open Search Foundation e.V. Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: eat.READ.sleep. Bücher für dich [https://www.ardaudiothek.de/sendung/eat-read-sleep-buecher-fuer-dich/urn:ard:show:21785c45dc44e254/] Nach einer literarischen Vorspeise servieren Katharina Mahrenholtz, Daniel Kaiser und Jan Ehlert aktuelle Neuerscheinungen und Lieblingsbücher. Für die Bestseller-Challenge lesen sie sich durch die Titel der aktuellen Top Ten - kneifen gilt nicht, deutliche Meinung ist erwünscht! Beim Quiz können alle ihr Literatur-Wissen testen und Fun Facts für die nächste Party sammeln. Dazu gibt es Interviews mit Büchermenschen und Insights aus der Buchbranche. JETZT ENTDECKEN [https://1.ard.de/eatreadsleep-cp] Linktipps: Geschichte der Privatsphäre - Menschliches Grundbedürfnis oder Konstrukt? [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/geschichte-der-privatsphaere-menschliches-grundbeduerfnis-oder-konstrukt/bayern-2/83456380/] Das Recht auf Widerstand - Wer sich nicht wehrt [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/das-recht-auf-widerstand-wer-sich-nicht-wehrt/bayern-2/78750218/] Überwachung, Spitzel, Zensur - Das "System Metternich" [https://www.ardaudiothek.de/episode/radiowissen/ueberwachung-spitzel-zensur-das-system-metternich/bayern-2/14164709/] Literatur: - Von Lewinski, Kai (2021) „Zur Geschichte von Privatsphäre und Datenschutz – eine rechtshistorische Perspektive“ – spannende Zusammenfassung mit juristischer Brille - M. Friedewald, J. Lamla, and A. Roßnagel (2017) „Informationelle Selbstbestimmung im digitalen Wandel“ – für tiefgründige Einblicke in die Rechtsdebatten Weiterführende Links: Internetseite der Initiative „Open Web Search EU“ https://openwebsearch.eu/ [https://openwebsearch.eu/] Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-manuskripte-datenschutz-grundrecht-dsgvo-meta-volkszaehlung-social-media-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Sprecher Im Fernsehen läuft Werbung. Fragebögen werden vorbereitet; teilweise kommen Mitarbeiter persönlich an die Haustür und überprüfen die Aussagen. Routine, wie in den anderen Volkszählungen auch. Doch diesmal sagen viele: Was geht das eigentlich alles den Staat an? Zsp 6 Datenschutz Die einzelnen Daten sind gar nicht so problematisch, aber die die Verknüpfung dann eben auch der persönlichen Daten mit diesen fachlichen Fragen. Das war damals das Problem. Sprecher Erklärt Hartmut Bäumer. Die Sorge: Staatliche Behörden könnten nicht nur herausfinden, wie viele Menschen etwa mit dem Zug zur Arbeit fahren, sondern den Arbeitsweg des Einzelnen unter seinem Namen. Grünen-Politiker wie er empfehlen den Leuten damals, sich nicht zu beteiligen. Ohne direkt zum Boykott aufzurufen – das wäre strafbar: Zsp 7 Datenschutz Aber es war natürlich informell schon ein Aufruf zu boykottieren, das ist richtig, aber man muss ja nicht unbedingt, gerade wenn man Jurist ist, ins sozusagen ins offene Messer laufen. Sprecher Denn das Ausfüllen des Fragebogens ist Pflicht - ein Gesetz. Im ganzen Land kämpfen Aktivisten gegen die Volkszählung. ((Ein Bericht des politischen Fernsehmagazins Panorama in der ARD beginnt mit fünf Personen mit schwarzer Jacke, Hut und Sonnenbrille. Sie betreten einen Waschsalon in Hamburg. Mit Klemmbrettern gehen sie auf die dort sitzenden Menschen zu: Zsp 8 Datenschutz „Haben Sie ein Klo? Oder wo duschen Sie? PKW? Marke, Name, Kennzeichen? Auf wessen Kosten? Alter, Name, Geschlecht, Telefon? Arbeit oder entlassen?“ Die Fragen klingen absurd, aber sie stammen, wenn auch ein wenig verfremdet, aus den Fragebögen zur Volkszählung 83.)) Sprecher Die Bundesregierung aus Union und FDP hat kein Verständnis für den Protest. ((Zsp 9 Datenschutz Wir brauchen diese Angaben für den Bürger. Die Zahl seiner Arbeitsstätten, die Anzahl der Berufe. Wir müssen wissen, wer heizt mit Holz, Kohle, Gas! Wo geschieht das? Wie viele Wohneinheiten? Der Wohnungsbauminister, die ganze Bauwirtschaft ist darauf angewiesen, die ganzen Unterlagen zu erhalten, die für die Planung der nächsten zehn Jahre notwendig ist.)) Sprecher Der damalige Innenminister, Friedrich Zimmermann von der CSU wirft den Aktivisten im Magazin „Der Spiegel“ darüber hinaus „eine Diffamierungskampagne“ vor und einen „Angriff auf das ganze System“. Straßen, Schulen, Sozialleistungen lassen sich ohne Daten schwer organisieren. Doch in den 1980ern blicken viele anders auf den Staat, sagt Hartmut Bäumer: Zsp 10 Datenschutz Also man sah […] eher den bösen Staat und nicht den helfenden Sozialstaat, den es ja auch gibt. Zsp 11 Datenschutz Computer-Atmo [nach Belieben einbauen und drunterlegen] Sprecher Zur allgemeinen Staatskepsis kommt damals noch etwas dazu: Sorgen vor der Technik. Der Panaroma-Beitrag zeigt den Computer-Raum der Hamburger Polizei: Bildschirme im Bierkasten-Größe; in Schränken laufen Bänder an Filmrollen: Zsp 12 Datenschutz Die technischen Möglichkeiten moderner Computer sind kaum zu überschätzen. […] Viele Millionen Einzeldaten werden auf diesen Computern gespeichert. Die Polizei lässt hier arbeiten, der Verfassungsschutz und das Finanzamt … Sprecher Auf digitale Daten können Behörden schneller zugreifen und sie auch mit anderen Informationen verknüpfen, so die Sorge … Zsp 13 Datenschutz Und wenn da dann entsprechende Leute an der Macht sind, können sie diese Daten natürlich durch Verknüpfung auch gegen die einzelne Person verwenden. Sprecher Hartmut Bäumer und andere denken damals dabei zwangsläufig an die jüngere Geschichte: Zsp 14 Datenschutz Hitler ist per Wahl an die Macht gekommen und hat dann alles geändert. Sprecher 1933 und 1939 fanden auch Volkszählungen statt. Wie viel der damals erhobenen Daten für die spätere Judenverfolgung genutzt wurde, ist unklar. Fakt ist: Der millionenfache Mord wurde auch dadurch möglich, dass ein Bürokraten-Apparat sensible Daten systematisch erfasst hatte: Zsp 15 Datenschutz Und diese Überlegung, wir alle wissen, wie ein totalitäres System funktioniert. Und wenn wir jetzt als Zugabe noch den Computer dazugeben, heijeijei ich glaube, das war das Gefühl. Sprecher Sagt der Jurist Kai von Lewinski. Er ist Professor an der Universität Passau und hat sich mit der Geschichte des Datenschutzes beschäftigt. Er sagt: Zwar wurde auch in anderen Ländern, vor allem in den USA, über Datenschutz diskutiert. Aber Proteste in dem Ausmaß wie in der Bundesrepublik Deutschland gab es in anderen Ländern nicht. ((Dass ausgerechnet hier die Debatte so hochkochte, hält Lewinski für … Zsp 16 Datenschutz Keine geschichtliche Notwendigkeit oder auch kein deutscher Sonderweg.)) Aber durch die Geschichte Erfahrung mit dem Nationalsozialismus, vielleicht auch: Wir neigen ja so ein bisschen zu Bedenkenträgerei. Das war dann die Mischung, die dazu geführt hat, dass es sich so entwickelt hat, wie es sich entwickelt hat. Sprecher Zu dieser Entwicklung gehört auch, dass das erste Datenschutz-Gesetz weltweit aus der BRD kommt. Und zwar schon deutlich vor den Protesten zur Volkszählung. In den 1960ern entstehen die ersten Computer. Intellektuelle warnen, dass die neue Technik fürs Sammeln von Daten missbraucht werden könnte. Darüber schreibt der FAZ-Journalist Hanno Kühnert 1969 einen Kommentar. Warnt vor den „Tücken der Computer“ und ihre Gefahr für die Privatsphäre. Ein entscheidender Startschuss für die Auseinandersetzung.

Die innere Leere, sie kann ein Warnsignal mit Chance sein: der Chance, etwas im Leben zu ändern, bevor es zu spät ist. Das erfuhr auch der Skispringer Sven Hannawald. Er schien am Ziel seiner Träume, als er die Vierschanzentournee gewinnt. Doch statt Glück fühlt er eine innere Leere. Kann das ein Zeichen für eine Depression sein? Und wie kann man dieses Gefühl überwinden? Autor: Jean-Marie Magro (BR 2025) Credits: Autor: Jean-Marie Magro Es sprachen: Technik: Regie: Martin Trauner Redaktion: Bernhard Kastner Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Frag dich Fit: [http://www.wdr.de/k/podcast-fragdichfit] Doc Esser beantwortet jeden Freitag Eure Gesundheitsfragen. Zusammen mit Anne gibt er Tipps für ein besseres und gesünderes Leben JETZT ENTDECKEN [http://www.wdr.de/k/podcast-fragdichfit] Wie wir ticken – Euer Psychologie Podcast [https://www.ardaudiothek.de/sendung/wie-wir-ticken-euer-psychologie-podcast/94700346/] Jeder Mensch 'tickt' anders - doch warum? Psychologie hilft, unsere Wahrnehmung zu schärfen und sich und andere besser zu verstehen. Ihr wollt erfahren, weshalb Dankbarkeit befreiend wirken kann, Neid uns einengt, was unsere Partnerwahl über uns aussagt, und wieso wir dazu neigen, unangenehme Dinge aufzuschieben? Das und viel mehr beantwortet unser Psychologie Podcast "Wie wir ticken" vom BR und SWR jede Woche mit einer neuen Folge. Immer mittwochs in der ARD Audiothek und am Freitag auf allen anderen Plattformen. Ihr habt Fragen, Anmerkungen oder Themenwünsche? Schreibt uns gerne eine Nachricht über wiewirticken@ard.de! Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-manuskripte-innere-leere-philosophie-psychologie-depression-burnout-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Sprecherin: Sven Hannawald war der erste Skispringer, der alle vier Springen bei der Vierschanzentournee nacheinander gewann. Nur wenige Wochen später holte er Olympiagold im Teamspringen und wurde Skiflugweltmeister. Eine nahezu perfekte Saison. Die großen Ziele der Karriere: erreicht. Wer so viel Erfolg hat, muss doch glücklich sein! Oder? Bei Hannawald ist genau das Gegenteil der Fall. Zwei Jahre nach seinem größten Triumph, im Frühjahr 2004, beendet er die Saison frühzeitig. Es herrscht bei ihm ein Gefühl… 04 Zsp Leere - Hannawald „… der körperlichen Müdigkeit, der Antriebslosigkeit, der Überfordertheit einfach… Wo ich einfach gemerkt habe, mein Körper braucht alles andere, aber kein Skispringen aktuell.“ Sprecherin: Schon in den Jahren zuvor hatte Hannawald oft darüber nachgedacht aufzuhören, weil seine Ziele in weiter Ferne schienen. Er hatte schon früh körperliche Tiefpunkte erlebt, erzählt er. Doch er kehrte jedes Mal zurück. Nun aber saß der Skisprungstar zuhause, versuchte, Kraft zu tanken. Doch die Batterien ließen sich nicht aufladen. Er ging zum Mannschaftsarzt: 05 Zsp Leere - Hannawald „Du Ernst, ich kenne mich so nicht. Und dann haben wir natürlich irgendwo auch angefangen mit Arztbesuchen von sämtlichen Abteilungen. Ob das Blutbilder waren, organisch und so weiter, weil ich einfach den Hintergrund wissen wollte, weil ich mir das nicht erklären konnte, was jetzt der Unterschied ist zu den anderen Jahren.“ Sprecherin: Hannawald drückt es so aus: Er habe den Zugang zum Körper verloren und einen Zusammenbruch erlitten… Kurz darauf ging er zu einem Arzt für Psychosomatik … 06 Zsp Leere - Hannawald „… der dann klar innerhalb von einer halben Stunde gesagt hat: Dringendst in die Klinik! (Bitte kürzen: Burn-Out!) Sprecherin: Prof. Matthias Berking ist Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Erlangen-Nürnberg. An ihn wenden sich Patienten, denen es ähnlich wie Sven Hannawald geht: Sie verspüren eine innere Leere. 07 Zsp. Leere - Berking 1 „Sie meinen damit eine Empfindung von Empfindungslosigkeit, dass sie nicht mal mehr negative Gefühle spüren, sondern einfach nur gar nichts. Da ist kein Antrieb da, und es wird berichtet als geradezu manchmal schlimmer als das Dasein von negativen Gefühlen, weil man sich dann im Extremfall gar nicht mehr spürt, wie ein Roboter nur noch unterwegs ist, den Eindruck hat, man geht wie an Faden Marionetten-gesteuert durchs Leben. Und das wird als noch belastender erlebt als sehr schmerzhafte, präsente Gefühle.“ Sprecherin: Stellen Sie sich Ihr Leben wie einen Roman mit vielen Kapiteln vor. Im besten Fall gibt es in jedem Abschnitt gewisse Anker, an denen Sie sich als Protagonistin oder Protagonist der Geschichte, festhalten können. In der Kindheit sind das die Eltern, Jugendfreunde, der Kindergarten, die Schule… Nach dem Schulabschluss schließen vielleicht die Ausbildung, die Universität, die erste Partnerschaft an. Später dann das Berufsleben, Ehe, Kinder… In jedem Kapitel gibt es also eine gewisse Struktur. Oder, wie der Psychotherapeut Dr. Oliver Schwarz sagt: 08 Zsp. Leere - Schwarz „Man ist wie auf einer Straße zwischen so Leitplanken, die einen immer noch so den Weg ebnen. Und wenn man dann fertig ist, dann hat man diese Leitplanken nicht mehr. Und dann weiß man nicht so genau, wo der Weg hinführt. Und so ähnlich habe ich beispielsweise auch viele Menschen kennengelernt. Beispiel jetzt Frauen, die so Ende 40 Anfang 50 sind. Häufig ist dann so der Lebensweg: gemeinsame Partnerschaft, Ehe, dann kommen Kinder, dann wird das Haus gebaut, dann definieren sich die Frauen häufig eben als Mittelpunkt der Familie, der alles organisiert. Und wenn dann die Kinder erwachsen sind und ausziehen, dann ist häufig so eine Situation, dass man sagt: Wo ist denn jetzt meine Bestimmung?“ Sprecherin: Dr. Oliver Schwarz ist Chefarzt für Psychosomatische Akutbehandlung an einer Klinik am Tegernsee. Mit dem Gefühl der inneren Leere hatten wohl alle schon einmal zu kämpfen: Der Schulabschluss in der Tasche und das anschließende Lebewohl von langjährigen Freundinnen, der Abschied vom Traum, eines Tages Fußballprofi zu werden oder nachdem Sie jemandem die Liebe gestanden haben – und die Person Ihnen einen Korb gab. Es gibt aber auch anders gelagerte Fälle. Oder eine Leere, die eintritt, obwohl Sie genau das geschafft haben, wovon Sie immer geträumt haben. Sprecherin: Eineinhalb Jahre lang hatte Hannawald bis dahin diese Kraftlosigkeit mitgeschleppt. In die Klinik zu gehen, war die einzig richtige Entscheidung, sagt er heute. Wer einen solchen Zustand verschleppe, nichts gegen das Gefühl der inneren Leere unternehmen möchte, dem könne im schlimmsten Fall eine tiefe Depression drohen, sagt Prof. Matthias Berking von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Gefährlich sei nämlich, dass einige beim Erreichen eines Ziels gar nicht merkten, dass sie etwas verloren haben: nämlich das Ziel selbst. 09 Zsp Leere - Berking „Diese Kombination aus Kraftlosigkeit und Zielverlust. Das ist was ganz Typisches für Depressionen. Auch bei Depressionen haben die Leute den Eindruck, dass sie bestimmte Ziele nicht erreichen. Und dann sind sie gestresst und schlafen schlecht. Und irgendwann haben sie keine Energie und keine Kraft mehr. Und das ist eine ganz toxische Wirkung: So ein aversiver Zustand und keine Kraft, um das zu ändern oder keine Perspektive, keine Idee, wie ich es ändere. Das macht auf eine Art depressiv. Wenn diese Personen, die diese Leere empfinden, einen Hang zur Depression hätten, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie in die Depression reinrutschen würden.“ Sprecherin: Dem Psychologie-Professor ist wichtig zu betonen: Menschen reagieren unterschiedlich auf die innere Leere. Nicht jeder hat einen Hang zur Depression. Einige sind resilient und haben über Jahre ein Fundament gelegt, um eine Leere sofort füllen zu können. Andere wiederum haben viele negative Gedanken, bis hin zum Selbstmord. Berking erklärt, in seinem Fach werde zwischen Annäherungs- und Vermeidungszielen unterschieden. Ziele, die sich alle von uns setzen, jedoch aus unterschiedlicher Motivation heraus. Annäherungsziele sind positiv besetzt, Dinge, auf die man sich freut. Vermeidungsziele wiederum sind unangenehme Dinge, die niemand erleben möchte. Ein Beispiel aus dem Alltag ist der Renteneintritt. Es gibt Leute, die, weil ihnen der Job so viel Spaß macht, einfach weiterarbeiten wollen. Das wäre ein sogenannter annäherungsbezogener Ansatz. Prof. Matthias Berking: 10 Zsp Leere - Berking „Wenn es aber jetzt getrieben wird von der Angst vor dieser Leere, dem Verlust von Struktur, dem Verlust von Bedeutung, dann wäre es eine Vermeidungsmotivation, die dann eben mehr einhergeht mit Gefühlen von Angst, auch körperlicher Übererregung, Nicht-gut-schlafen-können und eben Risikofaktor für psychische Störungen ist.“ Sprecherin: Sprich: Das Ziel ist dasselbe, die Motivation jedoch eine ganz andere. Prof. Matthias Berking von der Uni Erlangen-Nürnberg beobachtet, dass Menschen, die sich eher aus einer Vermeidungsmotivation heraus Ziele setzen, öfter depressiv werden als andere. Warum aber reagieren wir Menschen so unterschiedlich auf Herausforderungen, die mit dem Gefühl der inneren Leere einhergehen? Psychologen haben dafür unterschiedliche Hypothesen aufgestellt: Hypothese Nr. 1: die Biologie- oder auch die „Botenstoffhypothese“ genannt. Bei Menschen, die an Depressionen erkranken, wurde in bestimmten Bereichen des Gehirns ein Mangel an Botenstoffen wie Serotonin festgestellt. Daran setzt die Medikation an, wenn Ärzte etwa Antidepressiva verschreiben. Zweite Hypothese: die Gene. Der Hang zur Depression kann möglicherweise vererbbar sein. Prof Matthias Berking beschreibt, dass schon in der Krippe erhebliche Unterschiede sichtbar seien. Da gebe es… 11 Zsp Leere - Berking „Frohnaturen, die sehr flexibel sind. Wenn mal was nicht klappt, dann switchen sie um auf das, was klappt und immer mit einem Lächeln oder nach einem Misserfolg immer schnell wieder mit einem Lächeln. Und dann gibt es Kinder, die schon ganz früh sehr stark zu knabbern haben an so Misserfolgen, wenn was nicht geklappt hat. Und die große Schwierigkeiten haben, sich dann flexibel umzuorientieren. Und das ist auf eine Art so früh, dass man denkt, dass das irgendwie doch schon einen geradezu genetisch geprägten Einfluss, dass es den geben muss. Wobei es immer schwer ist, so etwas zu quantifizieren.“ Sprecherin: Hypothese Nr. 3: Die Umwelt, in der wir aufwachsen, bestimmt darüber, wie wir mit Problemen umgehen. Dabei kommt Eltern die wichtigste Rolle zu, sagt Berking: 12 Zsp Leere - Berking „Wenn Eltern sich nicht gut um ihr Kind kümmern und es ist sehr auf sich allein gestellt und die Bedürfnisse sind nicht befriedigt, hat es viel negativen Effekt. Es wird sehr in so eine Orientierung gedrückt werden, dass es Gefühle wie Einsamkeit und Verlassensein vermeidet. Und dann ist es schon mehr auf dieser Vermeidungsschiene und hat nicht so viele positive Alternativen für den Moment, wo es was verloren hat, auf die man sich dann konzentrieren kann.“ Sprecherin: Kurz gesagt: Kinder beobachten, ob bewusst oder unbewusst, sehr genau, wie ihre Eltern mit Problemen umgehen. 13 Zsp Leere - Berking „Und wenn dann das Elternteil in so eine innere Leere auch rutscht und halb depressiv zwei Jahre rumhängt, sieht das Kind nicht unbedingt, wie man damit gut umgeht. Das muss trotzdem nicht schlecht sein. Es kann für ein älteres Kind vielleicht auch sein, so nach dem Motto: ‚So will ich das aber nicht machen.‘ Sondern es sieht ja auch, was es für Folgen hat, und kann am Modell lernen, dass man es so nicht macht. Also von daher ist man jetzt nicht festgenagelt.“ Sprecherin: Der Psychologieprofessor rät Eltern, dass sie ihre Kinder schon früh dazu ermuntern, über ihre Situation zu reflektieren und in sich reinzuhören. Eltern könnten auch mal Kinder fragen, wie sie etwas empfinden. Etwa, wenn ein Schuljahr vorbei ist. Wahrscheinlich tragen alle genannten Faktoren – Biologie, Gene und Umwelt – dazu bei, wie ein Mensch auf eine innere Leere reagiert, ob er diese schnell füllen kann oder an ihr zu knabbern hat. Diejenigen, die an der Leere verzweifeln, teilten meistens eine Sache, sagt Matthias Berking: Sie sind auf nur eine Sache fixiert. 14 Zsp Leere - Berking „Es dreht sich alles um dieses Ziel. Links und rechts, die Interessen sind weggefallen. Studium war total wichtig für mich, hat viele Bereiche meines Lebens definiert, hat mir den Selbstwert gegeben. Da kamen die Erfolge her. Ich habe mir viel davon versprochen. Im Gegensatz zu Personen, die ihr Leben auch während der Studienzeit schon auf verschiedene Säulen bauen und die Bereiche haben wie Sport, Partnerschaft, Freunde, Hobby eins, Hobby zwei, Hobby drei, Hobby vier und nebenbei studieren Sie auch noch.“ Sprecherin: Eine wichtige Erkenntnis der Sozialpsychologie ist, dass die Rolle, die ein Mensch in einer Gemeinschaft einnimmt, sehr wichtig für seine Identität ist. Wird diese Rolle infrage gestellt oder kommt sie abhanden, kann das der Auslöser für eine Sinnkrise sein. Jahrelang war man im Job erfolgreich, nun kommen Jüngere, die den Rang bedrohen – oder man hat das Rentenalter erreicht. Oder man hat sein Leben der Familie komplett untergeordnet. Nun aber ziehen die Kinder aus oder der Partner will sich trennen. Manchmal beides zusammen. Der Rat von Prof. Matthias Berking: 15 Zsp Leere - Berking „Sein Leben auf möglichst viele Säulen stellen und nicht nur auf eine. Da kann man sich halt auch fragen, wie man da aufgestellt ist, wo man seinen Spaß, seine Zufriedenheit, sein Glück, seinen Selbstwert, seinen Stolz herbekommt. Hat das alles nur eine Quelle, dann bin ich gefährdet. Weil wenn diese Quelle wegbricht, bricht geradezu alles weg.“ Sprecherin: Der Skispringer Sven Hannawald weiß genau, was Berking damit meint. Skispringen hatte für ihn als Kind und jungen Mann den wichtigsten Stellenwert. Nie konnte er abschalten. 16 Zsp Leere - Hannawald „Wenn ich von der Schanze nach Hause gegangen bin oder vom Training nach Hause gegangen bin oder vom Wettkampf wir alle im Bus auf dem Weg nach Hause waren, konnte ich nicht Skispringen loslassen, sondern ich habe mich direkt wieder weiter damit beschäftigt. Welches Profil hat die Schanze am nächsten Wochenende? Zuhause bei mir: Komm, ich geh nochmal an den Ski und guck nochmal, wie war nochmal der Schwerpunkt? Kann ich da irgendetwas anders machen? Also dieses Loslassen müssen Menschen, die so gestrickt sind wie ich, früh lernen. Dass sie die Arbeit in der Arbeit lassen.“ Sprecherin: Irgendwann müsse es bei Leuten wie ihm einfach knallen, sagt Hannawald heute mit etwas Abstand. Er habe es damals nur nicht wahrhaben wollen, weil er Erfolg hatte. Nach der Therapie blieb er vorerst bei seinen Eltern und konnte zum ersten Mal das Skispringen loslassen. Bis in ihm wieder die Lust aufkam. Er zog nach Hinterzarten im Schwarzwald, die Schanze nur 300 Meter entfernt. Das Kribbeln war wieder da, beschreibt Hannawald.

Wir sehen Farben, sobald wir die Augen öffnen: Die Farbe des Himmels, der Wände in unserer Wohnung oder die Farben in einem Blumenstrauß. All die Millionen von Farbnuancen auf unserem Planeten sind nicht nur ein Produkt der Evolution, Farben nehmen auch tagtäglich Kontakt mit uns auf: Mit uns und unserem Empfinden. (BR 2022) Autor/in dieser Folge: Anja Mösing Regie: Martin Trauner Es sprach: Irina Wanka Technik: Adele Kurdziel Redaktion: Susanne Poelchau Linktipps: Wir empfehlen außerdem die Plattform Colour.education. Es handelt sich um ein gemeinnütziges Projekt der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Farbzentrums zur Vermittlung von Wissen und Erfahrungen aus allen Forschungs-, Theorie-, und Praxisfeldern der Farbe. Hier finden Sie aufschlussreiche Videos mit Vorträgen von Experten zum Thema Farbe: EXTERNER LINK | COLOUR.EDUCATION [https://colour.education/] BIOTOPIA Festival „SINNE – Die Welt durch andere Augen sehen!“ Tauchen Sie in die Welt der Sinneswahrnehmung von Mensch, Tier und anderen Spezies ein! Das BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern lädt zu seinem BIOTOPIA Festival ein – am 01. und 02. Oktober 2022: EXTERNER LINK | https://www.biotopia.net/de/festival-sinne [https://www.biotopia.net/de/festival-sinne] Literaturtipps: Farblich sehr ansprechend gestaltetes Buch, das in viele Bereiche der psychologischen Farbforschung vorstößt und immer verständlich und mit vielen Beispielen erklärt. Ein Grundlagenbuch und ein Glücksgriff: Axel Buether: Die geheimnisvolle Macht der Farben, Droemer Verlag, München 2020 Interessante Sammlung zu Farb-Assoziationen, basierend auf schriftlichen Befragungen von 1888 Personen: Eva Heller: Wie Farben wirken, Rowohlt Verlag, Hamburg 1989 und 2004 Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de [radiowissen@br.de]. Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Radiowissen JETZT ENTDECKEN [https://www.ardaudiothek.de/sendung/radiowissen/5945518/] Das vollständige Manuskript gibt es HIER [https://www.br.de/radio/bayern2/service/manuskripte/radiowissen/radiowissen-manuskripte-wirkung-der-farben-wohlfuehlen-wohnung-evolution-auge-gehirn-100.html]. Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: SPRECHERIN Die Intensivstation des Wuppertaler Universitäts-Krankenhauses: Das Personal in weißen, grünen oder blauen Kitteln, die schwerkranken Patienten angeschlossen an Schläuche, Maschinen und Monitore. Wer hier liegt, hatte eine schwere Operation, einen Unfall, oder vielleicht einen Schlaganfall hinter sich. Nicht gerade ein Ort, an dem man einen Farbforscher vermuten würde! Jemanden, der sich die Gestaltung der Wände und die Beleuchtung auf der Intensivstation genau anschaut. Aber genau das ist passiert. Zwischen 2017 und 2019 hat Professor Axel Buether hier im Krankenhaus für eine Renovierung gesorgt, die von seinem Team wissenschaftlich begleitet wurde. Die Fragestellung lautete: ZSP 1 BUETHER Können wir zur Gesundung der Patienten beitragen, indem wir mit ganz einfachen Mitteln wie Änderung der Leuchtmittel, es war ja nicht viel Geld vorhanden - oder Änderung der Raumfarbe, indem wir neu streichen, eine andere Atmosphäre herstellen? Und damit hatten wir ein wissenschaftliches Setting. Und dann haben wir gesagt: Okay, dann machen wir das nicht nur in den Patientenzimmern, sondern dann nehmen wir uns die gesamte Intensivstation! Und dann gucken wir auch nicht nur nach dem Wohlbefinden der Patienten, sondern auch nach dem des medizinischen und des Pflegepersonals nach der Umgestaltung. SPRECHERIN Axel Buether ist Professor an der Bergischen Universität Wuppertal. Er hat im Grenzbereich von Neuropsychologie und Umweltgestaltung promoviert. Und noch immer staunt er über das Ergebnis der zweijährigen Studie, die er am Wuppertaler Krankenhaus machen durfte: ZSP 2 BUETHER Die Erwartung ist, wenn man eine Station mit Farbe gestaltet, dass man das Wohlbefinden tatsächlich steigern kann. Also dass sich Menschen wohler fühlen, damit hatte ich gerechnet! Dass sie vielleicht auch ein bisschen von ihrer Angst abbauen. Was für mich total verblüffend war, dass wir tatsächlich auch Implikationen auf den Gesundheitszustand hatten. Wir hatten also im Endeffekt 30 Prozent weniger Verbrauch von Neuroleptika. Und das ist ein Medikament, was vor allen Dingen zur Delir-Prävention gegeben wird. Das heißt bei Wahnvorstellungen, wild um sich schlagende oder schreiende Patienten kann man sich vorstellen. Um das zu verhindern, wird dann mit Medikamenten entgegengewirkt. Und da konnten wir auf der gesamten Station im Jahr danach den Verbrauch um 30 Prozent senken. Und das war schon eine Sensation! MUSIK „crystal math“ – C161112/003 (0:30) SPRECHERIN Mit Farbgestaltung den Medikamentenverbrauch senken? Klingt umwerfend! Nur wie können Farben so etwas bewirken? Zunächst muss man wissen, dass Farben tatsächlich auf uns Menschen Einfluss nehmen. Und zwar zu 99 Prozent unbewusst, dafür aber ganz unmittelbar und intensiv. ZSP 3 BUETHER Die moderne Farbpsychologie geht empirisch vor. Wir versuchen also zu schauen: Wie sind die Wirkungen von Farben auf das Erleben und Verhalten von Menschen? Was sind da naturwissenschaftlich erklärbare Ursachen? Und wie können wir damit auch gezielt gestalten und kommunizieren? SPRECHERIN Heute wird an verschiedenen Orten dazu geforscht, wie Farben auf Menschen wirken. Mit Befragungen direkt vor Ort: in Schulen, in Kitas, an Arbeitsplätzen, in Krankenhäusern…... Denn der Kontext, in dem man eine Farbe wahrnimmt, ist ganz entscheidend für ihre Wirkung: ZSP 4 BUETHER Das hat man lange Zeit ausgeblendet und dachte, man kann quasi überall nach Farben fragen: Dann sieht man am Bildschirm vielleicht einen Raum und dann erzählen einem die Leute, ob sie sich damit wohlfühlen. Es ist aber ein Unterschied, ob sie das am Bildschirm sehen, oder tatsächlich in ihrer Wohnung raumgreifend an die Wand gestrichen haben! Oder ob sie damit morgens selbst ins Büro laufen müssen als Kleidung, als wenn sie das an einer Person im Computer beurteilen. ATMO 2 (Archiv) Krankenhausgang/ Lungenmaschine MUSIK „crystal math“ – C161112/002 (0:30) SPRECHERIN Für die Studie am Wuppertaler Krankenhaus befragten die Forscher zunächst Patientinnen und Pflegepersonal, auch der Medikamentenverbrauch der Patienten wurde festgehalten, ebenso die Krankheitstage des Personals. Und in die Farb-Studie sollte sich das medizinische und das Pflegepersonal von Anfang an mit einbringen. Für sie begann nun ein Lernprozess – so wie für jeden, der sich zum ersten Mal intensiv mit Farbe beschäftigt: ATMO (Archiv) Gruppengemurmel / Workshop, weiter darüber: ZSP 5 BUETHER Ich komme dann immer so mit 2000 Farbkarten. Und dann suchen erst mal die Menschen raus: Farben, die sie zum Beispiel schön finden. Dann suchen sie raus: Farben, die sie hässlich finden. Und dann gucken wir uns die alle an. Und wenn die alle so in einer Reihe liegen, dann kann keiner am Ende mehr sagen, was ist jetzt eigentlich schön oder hässlich? Weil da sind Konventionen dabei, Wertvorstellungen dabei. Und dann merkt man, wenn man aber Farben zum Beispiel für seine Kinder aussuchen würde, würde man vielleicht eher doch die nehmen, die man gerade als hässlich bezeichnet hat. Und dann merkt man, dass der Kontext sehr stark die Wirkung einer Farbe bestimmt: Wenn ich für stark Schutzsuchende oder geschwächte Personen wie auf Intensivstationen, Farben aussuche, ist das natürlich völlig anders, als wenn ich jetzt in der Schule gestalte, in der Kita, oder auch eine Arbeitssituation gestalte. SPRECHERIN Axel Buether hat in seinem 2020 erschienen Buch „Die geheimnisvolle Macht der Farben“ die neuesten Erkenntnisse der Farbforschung zusammengefasst. Warum Farben für uns so bedeutend sind, liegt für ihn auf der Hand: ATMO: vielfältige Natur, Insekten, darüber MUSIK „Interludio3 ZSP 6 BUETHER Für mich ist das tatsächlich eine Frage der biologischen Wirkung. Was gibt es für biologische Wirkungen der Farben? So etwas wie Orientieren, Verstecken, Tarnen, Werben. SPRECHERIN Insgesamt hat Buether sieben überlebenswichtige biologische Aufgaben für Farben in der Natur gefunden. Erstens Orientierung: Wohin kann ich mich bewegen? Zweitens Gesundheit: Was tut mir gut? Wo fühl ich mich wohl? Drittens Warnung: Worauf soll ich aufmerksam werden? Viertens Tarnung: Wie kann ich optisch fast verschwinden? Fünftens Werbung: Wie kann ich auf mich aufmerksam machen? Sechstens Status: Wie kann ich meine Position in einer Hierarchie betonen? Und siebtens Verständigung: Wie kann ich mit Farben kommunizieren? Schon bei dieser knappen Aufzählung merkt man, dass die biologischen Aufgaben in sämtliche Lebensbereiche hineinspielen. Und kurioser Weise tun sie das, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wie ein stummes, farbiges Leit-System der Natur. ZSP 7 BUETHER Das muss einen Sinn machen, weil das verbraucht bei uns tatsächlich einen ganz-ganz großen Teil unserer Ressourcen, unserer biologischen. Man sagt, dass so etwa 60 bis 80 Prozent unseres Gehirns mit der Verarbeitung von Farbinformationen verbunden ist. MUSIK „Moto perpetuo“ – C115959/0 (0:20) SPRECHERIN Also bekommt ein viel größerer Teil unseres Gehirns Farb-Informationen weitergeleitet, die von unseren Augen eingesammelt werden, als zum bloß faktischen Erfassen eines Gegenstandes nötig wäre. Farb-Informationen werden bis in ältere Gehirn-Regionen gesendet wie den Thalamus und dort mit anderen Sinnesempfindungen abgeglichen: Geschmack, Temperatur, Erregung. Im Thalamus werden dann beispielsweise Spontanreaktionen verursacht: ATMO (Archiv) Bremsenquietschen ZSP 8 BUETHER Denken Sie mal an die rote Ampel: Sie müssen die rote Ampel noch gar nicht gesehen haben, aber unser Blick geht schon dahin, ja? Weil Rot im Prinzip unsere Augen magisch anzieht. Und da sparen wir Bruchteile von Sekunden, die uns vielleicht helfen, dann doch noch zu bremsen. Weil wir tatsächlich nicht erst suchen müssen, sondern unsere Augen werden wie ferngesteuert tatsächlich zu diesen roten Signalen geführt. SPRECHERIN An der intensiven Wirkung, die Rot auf uns hat, kann man auch gut sehen, wie unterschiedlich die Bedeutung dieser Signal-Farbe aufgeladen ist. Wir sehen einfach mal Rot und dann? ZSP 9 BUETHER Wenn man dieses rote Signal mal durchs Gehirn verfolgt, ist es tatsächlich so: Thalamus heißt Achtung, dann geht es weiter: Im visuellen Kortex wird es tatsächlich wie auf so einer Landkarte irgendwo kontextualisiert. Und dann geht es weiter in die Gedächtnis-Areale unseres Gehirns, wo es dann irgendwo mit Inhalten in Zusammenhang gebracht wird. Also Rot könnte jetzt bedeuten: eine Farbe der Liebe, oder der Wut, oder: Halten! Ampel! Und je nach Kontext wird dann entsprechend die Bedeutung abgerufen. MUSIK „Sea weed in Trance“ – CD80060/004 (0:43) SPRECHERIN Wie vorteilhaft Farben für Lebewesen aller Art von Beginn an gewirkt haben, darauf verweisen Evolutionsbiologen gerne. Schon unter den ersten Organismen unseres Planeten gab es die Blau-Algen, die sich mit Hilfe des Ur-Farbstoffs Chlorophyll mit einem lichtempfindlichen Fleck sozusagen hin zur Sonne orientieren konnten, um so Energie aufzunehmen. Auch schon eine Art Kommunikation per Farbe! ATMO Dschungel / Vögel, darüber: ZSP 10 BUETHER Wenn wir jetzt nicht die ganze Evolution durchgehen können, aus Zeitgründen, können wir vielleicht die zweite große Stufe anschauen: die Entwicklung der Pflanzen- und Tierwelt. Es gibt über 300.000 Blütenpflanzen und parallel - koevolutionär - hat sich auch die Farb-Wahrnehmung in der Tierwelt entwickelt! Die Blütenpflanzen haben gelernt, über Farbsignale mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, weil die haben ja keine Fortbewegungs-Instrumente. Die können also nicht ihren Standort von alleine wechseln. Die brauchen also die Tiere mit ihren Flügeln und Schwimmflossen und Beinen, um ihren Standort über die Welt auszubreiten. Also ein evolutionärer Vorteil, ganz klar: Wenn ich kommunizieren kann, locke ich mir tatsächlich Lebewesen mit Beinen Flügeln und so weiter an, indem ich denen Nektar zum Beispiel in Blüten gebe oder mit meinen Früchten Werbung betreibe. Un