
Bildung auf die Ohren
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INTERVIEW MIT PROF. DR. UTE HARMS VOM LEIBNIZ-INSTITUT FÜR PÄDAGOGIK IN DEN NATURWISSENSCHAFTEN UND MATHEMATIK (IPN) Ute Harms, Professorin für Didaktik der Biologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktorin am IPN stellt das Verbundprojekt VideT, Videobasiertes Transferinstrument für Schülerinnen und Schüler, vor. VideT ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt von IPN, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen sowie den Universitäten Bochum und Hannover. Neben der fachwissenschaftlichen Forschung zur Ökologie von Fledermäusen erforscht es die multimediale Vermittlung von Kompetenzen – mit dem Ziel den Austausch zwischen Schulen und Wissenschaft zu verbessern. Das IPN mit Sitz in Kiel untersucht Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter. ZUM INTERVIEW MIT UTE HARMS (26:58 min) ---------------------------------------- LESEFASSUNG Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann. In dieser Folge unserer Podcast-Reihe Bildungsforschung für die Bildungspraxis ist Ute Harms vom Leibniz-Institut für Pädagogik in den Naturwissenschaften und Mathematik zu Gast, auch als IPN bekannt. Logo des Leibniz Forschungsnetzwerks Bildungspotenziale [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/02/Leibniz_Bildungspotenziale_Logo.jpg] Eine Podcast-Reihe in Kooperation mit dem Leibniz Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale, in dem das IQB ist Mitglied ist. Das IPN mit Sitz in Kiel untersucht Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter. Frau Harms ist Professorin für Didaktik der Biologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktorin am IPN. Sie beschäftigt sich damit, wie biologische und naturwissenschaftliche Kompetenzen im Unterricht und bei außerschulischen Lerngelegenheiten entwickelt und gefördert werden können. Sie ist in der Lehrkräftebildung tätig und sie engagiert sich in der Bildung für Nachhaltigkeit. GUTEN TAG, FRAU HARMS. AM BESTEN STELLEN SIE SICH UNSEREN HÖRERINNEN UND HÖRERN SELBST NOCH EINMAL AUSFÜHRLICHER VOR. WER SIND SIE UND WOZU FORSCHT IHR INSTITUT? Ute Harms: Ja, hallo. Danke, dass ich heute hier ein bisschen von unserer Arbeit erzählen darf. Ja, ich fange mal mit unserem Institut an. Das IPN liegt im Norden von Deutschland. Wir haben unser Institut in Kiel und wir sind ein Leibniz-Institut. Das heißt, wir sind ein Institut, das der Maxime Theoria cum Praxi folgt. Also, wir machen im Kern vor allen Dingen Forschung, die auch einen starken Anwendungsbezug hat und deren Ergebnisse eine Anwendung finden sollen im Bildungsbereich. Die Schwerpunkte unserer Arbeit haben Sie zum Teil schon genannt. Das sind die naturwissenschaftlichen Fächer, das ist die Mathematik, die Informatik, aber wir haben auch Forschungsarbeiten aus den intrinsischen Fächern, pädagogische Psychologie und auch die Methodenlehre steht hier bei uns im Mittelpunkt. Und wir haben ein empirisches Paradigma. Das heißt, wir denken uns nicht Dinge aus, sondern wir erheben Daten in unseren Forschungen, aus denen wir dann Losfolgerungen ableiten, die für die Praxis, angefangen von der Bildungspraxis im Elementarbereich bis hin zur Universität und der beruflichen Bildung, dann hoffentlich Einfluss auf Entwicklung, positive Einflüsse auf die Entwicklung haben. Mein Hintergrund ist, ich bin Gymnasiallehrerin für die Fächer Biologie und Deutsch, habe hier in Kiel vor vielen, vielen Jahren diese Fächer Pädagogik und Philosophie studiert, habe fünf Jahre auch in der Schule unterrichtet, vorher mein zweites Staatsexamen absolviert, bin promovierte Biologin und seit 25 Jahren Professorin für Didaktik der Biologie. Meine Universitäten, an denen ich tätig war, sind die LMU München, die Universität Bremen und jetzt seit einigen Jahren die Christian-Albrechts-Universität hier in Kiel, verbunden mit der Forschungsarbeit am IPN. UND WAS IST AM IPN DANN IHR SPEZIELLES FORSCHUNGSGEBIET ALS PROFESSORIN FÜR DIDAKTIK DER BIOLOGIE? WAS KANN MAN SICH DARUNTER GENAUER VORSTELLEN? Ute Harms: Also im Kern ist es Bildungsforschung, die sich mit der Biologie, mit dem Fach Biologie beschäftigt, aber auch darüber hinaus mit Schnittflächen zu den anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Es geht in meinen Forschungen zum Beispiel um die Frage, wie werden grundlegende biologische Konzepte, mit welchen Methoden werden diese von Schülerinnen und Schülern im Unterricht beispielsweise am besten gelernt, welche Hindernisse lassen sich nachweisen, die bisher dazu geführt haben, dass diese Konzepte nicht gelernt wurden. IPN: HANDREICHUNGEN, MATERIAL UND LITERATUR FÜR DIE PRAXIS * Das Verbundprojekt VideT – Videobasiertes Transferinstrument für Schülerinnen und Schüler in der Projektedatenbank des Innovationsportals [https://www.bildungsserver.de/innovationsportal/innovationsprojekt.html?innovationsprojekte_id=2046] * Das IPN und seine Abteilungen in der Institutionendatenbank des Deutschen Bildungsservers [https://www.bildungsserver.de/institution.html?institutionen_id=846] * IPN-Forschungslinien [https://www.bildungsserver.de/onlineressource.html?onlineressourcen_id=65965] * IPN-Unterrichts- und Fortbildungsmaterialien für MINT-Fächer [https://www.leibniz-ipn.de/de/fuer-die-gesellschaft/unterrichts-und-fortbildungsmaterialien] * MINT-Fächer – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialien beim Deutschen Bildungsserver [https://www.bildungsserver.de/schule/mint-faecher-11545-de.html] * IPN-MatMINT-Fächer – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialienialien für den Biologieunterricht [https://www.bildungsserver.de/onlineressource.html?onlineressourcen_id=65963] * Biologie – Arbeitsblätter und weitere Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufen beim Deutschen Bildungsserver [https://www.bildungsserver.de/schule/biologie-4916-de.html] Außerdem forsche ich im Bereich der Lehrkräftebildung. Da habe ich mit Einsatz von KI eine digitale Simulation entwickelt, die wir hier in der Lehrkräftebildung sowohl in der ersten Phase als auch im Zusammenhang mit dem IQSH in der zweiten Bildungsphase für Lehrkräfte der Biologie einsetzen. Und ich glaube, Sie sagten es bereits, ich forsche auch seit einigen Jahren interdisziplinär zum Thema Klimabildung, also insbesondere über das Konstrukt Risikoerfahrung, Risikowahrnehmung, was inwieweit hat Risikowahrnehmung einen Einfluss darauf, ob wir uns positiv der Klimaentwicklung verhalten oder nicht. Das sind so meine Schwerpunkte. Und ein querliegender Themenbereich ist die Frage, wie vermitteln wir Schülerinnen und Schülern, aber auch der Öffentlichkeit, wie Forschung, wie Wissenschaft in den Naturwissenschaften überhaupt funktioniert? GENAU, DAZU HABEN SIE AUCH VORGESCHLAGEN, DASS WIR ÜBER EIN PROJEKT SPRECHEN, DAS SIE GEMEINSAM MIT ANDEREN WISSENSCHAFTLICHEN EINRICHTUNGEN QUASI BETRIEBEN HABEN. SIE HABEN DA EIN VIDEOBASIERTES TRANSFERINSTRUMENT ENTWICKELT, DAS SCHÜLERINNEN UND SCHÜLERN EINSICHTEN IN FORSCHUNGSERGEBNISSE UND IN DEN WISSENSCHAFTLICHEN ERKENNTNISPROZESS VERMITTELT. DAS HEISST VIDET. KÖNNEN SIE DAS MAL UNSEREN HÖRERINNEN UND HÖRERN EIN BISSCHEN ERKLÄREN, WAS SIE DA GENAU GEMACHT HABEN UND WORUM ES DA GEHT? Ute Harms: Ja, sehr gern. Sie sagten schon, es ist ein Projekt, das von verschiedenen Institutionen durchgeführt wurde. Und wir sind so noch beim Publizieren, also noch beim Datenauswerten. So ganz abgeschlossen ist es noch nicht. Die Finanzierungsphase ist vorbei, aber natürlich muss noch der große Erkenntnisgewinn aus dem Projekt aufgeschrieben werden. ES IST SCHWIERIG FORSCHUNGSERGEBNISSE ZU TRANSFERIEREN UND ZU VERMITTELN UND DEUTLICH ZU ZU MACHEN, WIE EIN WISSENSCHAFTLER ÜBERHAUPT ZU SEINEN ERGEBNISSEN KOMMT. Wir haben dieses Projekt durchgeführt, zusammen mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, die den Lead hatten auch in diesem Projekt. Also ein rein naturwissenschaftlich-biologisch-lebenswissenschaftlich-forschungsinstitut. Und dann war neben dem IPN noch ein zweites Leibniz-Institut dabei, das eher so in den Bereich der Bildungsforschung zu verorten ist. Das ist das Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Und wir hatten auch noch Kollegen und Kolleginnen von der Ruhr-Universität in Bochum und von der Universität Hannover dabei. Und Sie sagten es bereits, der Fokus und das Anliegen dieses Projekts, hier zu einmal ganz grob gesprochen, war, weil wir aus der Forschung wissen, dass das ein Problem darstellt, eben nicht nur Forschungsergebnisse zu transferieren und zu vermitteln, sondern auch deutlich zu machen, wie kommt ein Wissenschaftler überhaupt zu seinen Ergebnissen? Wie kommt er überhaupt auch zu einer Fragestellung? Was ist eine relevante naturwissenschaftliche Fragestellung, die überhaupt auch mit naturwissenschaftlichen Methoden dann auch beantwortbar ist? Und das war sozusagen der eine Punkt. Und der zweite Punkt war, dass wir auch ein digitales Instrument in diesem Kontext entwickeln wollten, deren Kern Videos darstellen, wo wir die darstellen, wie der Forschungsprozess durchgeführt wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom eben schon erwähnten Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Da ging es um zwei Projekte über Fledermäuse, wo wir in den Videos den gesamten Denkprozess des Forschers und der Forscherin transparent gemacht haben, indem die Forscherinnen und Forscher beispielsweise genau gesagt haben, warum sie jetzt diese Frage stellen und wie sie von der Fragestellung, wo sie die Hypothesen herbekommen haben, die sie als potenzielle Antworten auf ihre Fragestellung entwickelt haben, wie sie dann auf den konkreten Untersuchungsablauf dann gekommen sind und bis hin dann über Datenerhebung, bis zu Hypothesenüberprüfung dann am Ende. Und wir haben verschiedene Varianten von Transparenz, sage ich jetzt mal ganz allgemein, zum Forschungsprozess entwickelt und gefilmt, auch ganz professionell mit einem professionellen Filmteam. Das war alles sehr, sehr aufwendig. Und in unseren Forschungen haben wir dann geschaut. Das waren dann Forschungen, die an sogenannten Aktionstagen mit Schulklassen an verschiedenen Orten stattgefunden haben, wo Lehrkräfte die Möglichkeit hatten, mit ihren Lerngruppen zu kommen. Einen ganzen Tag dann wurde mit den Schülerinnen und Schülern gearbeitet. Sie haben auf dieser digitalen Plattform dann Fragen gehabt, Texte und so weiter, mit denen sie sich auseinandergesetzt haben. Und der Kern wurde eben von diesen Videos gebildet. Und wir hatten dann verschiedene Gruppen, haben verschiedene Videos dann bekommen zur Arbeit, damit wir dann letztendlich schauen konnten, gibt es da Unterschiede und macht es wirklich etwas aus, wenn der Forschungsprozess und wie der Forschungsprozess dargestellt wird und damit auch an einem authentischen Forschungsprojekt auf eine gewisse Art und Weise die Schülerinnen und Schüler selbst in Anführungsstrichen teilnehmen können und das hautnah beobachten können. Und wir sind, wie gesagt, bei der Datenauswertung, aber wir haben schon Hinweise, dass wir da tatsächlich auch Wirkungen identifizieren können. ALSO DAS HEISST, ES IST SINNVOLL UND DEN LEUTEN ODER DEN SCHÜLERINNEN UND SCHÜLERN ZU ERKLÄREN, WIE FORSCHUNG FUNKTIONIERT. DAS VERSTÄNDNIS FÜR DIE ERGEBNISSE WIRD GRÖSSER DADURCH. WIE SIND SIE DENN AUF DIE IDEE GEKOMMEN, DASS ES FÜR SCHÜLER WICHTIG SEIN KÖNNTE, SOLCHE EINBLICKE ZU BEKOMMEN? HABEN SIE AUCH AUS DER PRAXIS ENTSPRECHENDE HINWEISE BEKOMMEN, ZUM BEISPIEL VON BIOLOGIELEHRERINNEN ODER WIE KOMMT DIE FORSCHUNG ZU IHREN FORSCHUNGSFRAGEN? Ute Harms: Für unseren Bereich oder ich denke, dass auch vielleicht jede Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler da auch so ein bisschen seine eigenen Schwerpunkte setzt, woraus er jetzt seine Fragestellungen ableitet. Natürlich ist es schon mal die intrinsische Neugier, die Wissenschaftler an sich schon mitbringen, denn ein Wissenschaftler ist ja ein Wissenschaftler, weil er neues Wissen schaffen möchte. WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE KONNTE MAN DIE OFFENEN STELLEN VON WISSENSCHAFT ERKENNEN. Und in diesem Zusammenhang waren für mich zwei Ansatzpunkte relevant für die Entwicklung, gemeinsam natürlich mit den Kolleginnen und Kollegen. Das ist also nicht alleine nur auf mich zurückzuführen, sondern wir haben das Ganze ja auch in der Antragstellungsphase intensiv diskutiert. Und ich sage jetzt mal, die zwei schwerpunktmäßigen Ausgangspunkte waren zum einen, dass in der Corona-Pandemie man ja sehr schön, ich sage jetzt mal, die offenen Stellen von Wissenschaft erkennen konnte, nämlich dass sich im Laufe dieser schrecklichen Jahre, die wir unter Corona leiden mussten, in den Medien erkennen konnten, dass auch Wissenschaftler nicht genau wissen, wie etwas zu erklären ist, sondern dass sich das auch im Laufe der Zeit, die Erklärungsansätze, gerade bei so etwas Neuem wie jetzt diesem Covid-19-Virus, dass auch Wissenschaftler schrittweise immer tiefer und immer breiter und immer genauer Erkenntnisse erarbeiten, was natürlich dann auch dazu führt, dass in der Anwendung, in diesem Fall war es ja vor allen Dingen dann die Impfstoffe, dass sich da eben auch Dinge verändern und dass ein Impfstoff, der zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr gut gewirkt hat gegen das Virus, vielleicht anderthalb Jahre später nicht mehr so gut gewirkt hat, was dann an Widerstand kam, gezeigt hat, Menschen, die Öffentlichkeit ist viel zu wenig informiert darüber, wie Naturwissenschaften und medizinische Forschung abläuft. WISSENSCHAFTLER BRAUCHEN EINE GEWISSE AMBIGUITÄTSTOLERANZ, EINE UNKENNTNISTOLERANZ. Und wir brauchen einfach ein gewisses Maß an Ambiguitätstoleranz. Wir müssen eine gewisse Unkenntnistoleranz haben, auch als Wissenschaftler, weil wir kommen der Wahrheit schrittweise näher, aber wir kommen nie ganz bis zu der Wahrheit. Denn gerade auch im Zusammenhang mit der medizinischen Forschung und auch der lebenswissenschaftlichen Forschung allgemein ist es wichtig, welche Techniken können wir überhaupt anwenden. ERKENNTNISGEWINNUNG IST BEI DEN KMK-BILDUNGSSTANDARDS EINER VON VIER KOMPETENZBEREICHEN FÜR DEN SCHULISCHEN NATURWISSENSCHAFTLICHEN UNTERRICHT. Und der zweite Ansatzpunkt für das VIDET-Projekt war die Tatsache, dass wir ja in den KMK-Bildungsstandards, die maßgeblich sind für alle Bundesländer und auf deren Basis die Lehrpläne für den Unterricht entwickelt werden, dass die einen Kompetenzbereich von vier festlegen für den schulischen naturwissenschaftlichen Unterricht, der als Erkenntnisgewinnungsbereich festgeschrieben ist. Und in dem geht es auch darum, dass Schülerinnen und Schüler neben dem inhaltlichen Wissen, das sie entwickeln, auch über das wissenschaftliche Denken eines Naturwissenschaftlers Bescheid wissen müssen, dass sie begreifen müssen, welche Schritte ein Naturwissenschaftler geht, um eine möglichst belastbare Evidenz hinterher auch formulieren zu können. Aber auch auf einer übergeordneten Ebene, nicht neben den Schritten, die wir als Wissenschaftsverständnis bezeichnen, auch ein wissenschaftliches Denken zu entwickeln, also über Wissenschaft auch nachdenken zu können und zu erkennen, ist etwas, was mir da vielleicht in der Zeitung oder in anderen, in den sozialen Medien vorgegaukelt wird, ist das tatsächlich wissenschaftlich erarbeitet worden, hat das diese Qualität oder nicht? Also wir nennen das Nature of Science. DAS LEUCHTET UNMITTELBAR EIN, VOR ALLEM NACH DEN ERFAHRUNGEN WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE. DA KONNTE MAN JA SEHR GUT NACHVOLLZIEHEN, WIE WISSENSCHAFT EIGENTLICH FUNKTIONIERT. BEI VIELEN LEUTEN HAT ES FÜR GROSSE IRRITATIONEN GESORGT, WEIL SIE IMMER DACHTEN, WAS DIE WISSENSCHAFT SAGT, IST RICHTIG FÜR IMMER UND EWIG. UND MAN HAT DA SO RICHTIG SCHÖN BEOBACHTEN KÖNNEN, WIE MAN SICH IMMER WIEDER NEU ÜBERLEGEN MUSS, WAS HAT SICH VERÄNDERT, WIE SIND DIE ZAHLEN JETZT ZU DEUTEN. ALSO ICH FAND DAS FÜR MEINEN TEIL ZUMINDEST RECHT SPANNEND. ABER SIE SAGTEN, DAS PROJEKT IST JETZT ABGESCHLOSSEN, DAS LIEF BIS ENDE 2024. SIE SIND NOCH MIT DER AUSWERTUNG BESCHÄFTIGT, ABER JETZT DIE FRAGE, WAS HABEN DENN DIE LEHRKRÄFTE UND DIE SCHÜLERINNEN VON DIESEM PROJEKT, WENN DAS JETZT ABGESCHLOSSEN IST, WIE WIRD DAS WEITER IN DER PRAXIS ODER IM UNTERRICHT EINGESETZT? Ute Harms: Ja, das ist eine sehr gute Frage, die uns nicht nur umtreibt und auch Thema ist bei diesem Projekt, sondern wir haben ja auch schon andere Projekte gehabt, wo wir digitale Plattformen entwickelt haben, gerade so im Transferbereich, wenn man wissenschaftliche Erkenntnisse an oder auch wie hier jetzt eben auch andere Bildungsinhalte wie den Forschungsprozess an Schülerinnen und Schüler, aber es gilt genauso für andere Gruppen, heranbringen möchte. Diejenigen, die am meisten davon profitiert haben, sind natürlich die ganzen Klassen, die zu den Aktionstagen gekommen sind und ich denke nicht nur die Klassen, sondern auch die Lehrkräfte, die ja auch da Einblick bekommen haben in diese Plattformen, die haben natürlich am meisten davon gehabt. Und unser Wunsch wäre es natürlich, dass man so eine Plattform dann auch verstetigen kann, damit man nachhaltig diese Bildungsprozesse bei Schülerinnen und Schülern und vielleicht kann man da auch noch an andere Gruppen denken, weil wir nicht nur dieses Instrument für die Schule gemacht haben, sondern auch mit dem Ziel, dass auch außerschulische Lernorte, Schülerlabore beispielsweise, diese Plattform dann nutzen können und diese Videos. WÜNSCHENSWERT WÄRE EINE NACHHALTIGE VERSTETIGUNG VON ERGEBNISSEN AUS DER BILDUNGSFORSCHUNG FÜR DIE BILDUNGSPRAXIS. Es ist aber, und das ist eben auch eine gewisse Problematik dieser befristeten Projekte, die natürlich für uns sehr wichtig sind, für die Forschung, aber dass dann so ein Instrument auch im Sinne von Theoria cum Praxi nachhaltig irgendwo aufgehängt wird, wo es benutzbar ist von den Adressaten und Adressatinnen, die wir im Blick hatten. Das ist nach wie vor eine große Frage, wie das umgesetzt werden kann. Da sind unterschiedliche Problemfelder. Da ist einmal das technische Problemfeld. Selbst wenn man einen Ort, einen virtuellen Ort, sage ich mal, hätte, wo man diese Plattform etablieren könnte, dann ist es so, dass die Technik ja weiterschreitet und diese Plattform ist in einem bestimmten Format programmiert. Und es ist jetzt schon absehbar, dass 2030 es die nächste Version geben wird und dann diese Plattform müsste in diese neue Version gesetzt werden, damit es technisch überhaupt funktioniert. Das zweite ist aber auch, wo ist ein Ort, an dem man das aufhängt? Also aus IPN-Sicht ist natürlich das IPN da ein interessanter Ort, denke ich, weil die Lehrkräfte, die in den Naturwissenschaften unterrichten, das IPN in der Regel auch kennen und vielleicht ja auch auf unsere Homepage gehen. Und unter aktuelles machen wir die nach außen besonders deutlich sichtbar, wenn jetzt etwas Neues entstanden ist. Beispielsweise auf der Homepage meiner Abteilung haben wir so einen Reiter Materialien. Da können Lehrkräfte ganze Lehrprogramme zum Beispiel zur Evolution sich herunterladen und damit arbeiten. Das wäre beispielsweise eine Möglichkeit, wobei die Komplexität zu einer Plattform das eigentlich schon übersteigt. Wir sind jetzt am überlegen, ob wir das Ganze versuchen abzuspecken, dass wir wenigstens diese Videos zum Beispiel beim IPN dann verorten, dass Lehrkräfte sich wenigstens diese Videos herunterladen können, um damit mit ihren Schülerinnen und Schülern oder auch in Schüler Laboren zu arbeiten und wir die Materialien dann als PDFs zusätzlich zur Verfügung stellen. Aber es ist natürlich schade, dass dadurch geht auch diese interaktive Möglichkeit, die die Plattform natürlich verloren. GENAU, DAS IST EIGENTLICH SCHON TEIL MEINER NÄCHSTEN FRAGE VORWEGGENOMMEN. WIE SCHULEN ODER LEHRKRÄFTE ÜBERHAUPT WAS ERFAHREN ÜBER DIE ANGEBOTE, DIE DIE WISSENSCHAFTLERINNEN UND WISSENSCHAFTLER BEIM IPN ENTWICKELN? WIE WERDEN DIE DAVON IN KENNTNIS GESETZT? WIE ERFAHREN SIE DAVON? SIE SAGTEN ÜBER DIE WEBSEITE DES IPN, AUCH VIELLEICHT ÜBER LEHRKRÄFTEBILDUNG, ALSO JETZT NICHT SPEZIELL AUF IHR PROJEKT BEZOGEN ODER AUF DIESES VIDET-PROJEKT BEZOGEN, SONDERN AUCH AUF DIE ANDEREN ERKENNTNISSE. Ute Harms: Das wären ja die Klassiker. Ich sage erstmal, in der Lehrkräftebildung tätig ist, dass das an Lehrerseminare weitergereicht wird, dass das verpflichtende Fortbildungen sind. Wie sind da Ihre Kommunikationswege bisher gewesen? Ja, also es gibt verschiedene. Sie haben schon einige genannt. Ich kann aber sagen, dass gerade dieser Aspekt einer ist. Ich bin jetzt 25 Jahre lang Professorin für Didaktik der Biologie in Bayern, in Bremen und jetzt seit langer Zeit auch in Schleswig-Holstein. Und es war eigentlich überall das Gleiche. Wir machen nach meiner Auffassung, ich habe selbst fünf Jahre in der Schule unterrichtet und habe auch guten Kontakt zu Lehrkräften, auch hier in Schleswig-Holstein, die mir im privaten Bereich dann auch rückmelden, Mensch, das ist super. Hätte ich das eher gewusst. Und diese Disseminationsebene, die ist schwierig. Ich meine, wir in den naturwissenschaftlichen Fächern und Mathematik und jetzt ja auch Informatik haben wirklich den Luxus, dass es dieses Institut in Deutschland gibt. Das gibt es ja für andere Fächer nicht. Und nach meiner Auffassung ist das wirklich ein Schatz, der hier entwickelt wird. Wir haben jetzt gerade mit einem neuen Projekt angefangen, Fabius, wo wir versuchen, eben unsere Ergebnisse, die bildungswissenschaftlichen Ergebnisse über eine Plattform an Lehrkräfte zu bringen. Aber auch da werden wir wieder irgendwann dieses Problem haben. Das Projekt ist zu Ende und was machen wir mit der Plattform? Aber Sie haben ganz richtig den einen schwerwiegenden Punkt oder wichtigen Punkt angesprochen. Das ist die Lehrkräftebildung, sowohl in der ersten als auch in der zweiten und dritten Phase und natürlich unsere Studierenden. Aber da ist eben auch ganz sichtbar, Studierende machen ja auch Schulpraktika während ihres Studiums und wir kommen gegen die Praxis nicht gegen an. DIE BILDUNGSFORSCHUNG KOMMT GEGEN DIE PRAXIS NICHT AN. Wenn die Lehrkräfte in der Schule sagen, hier macht das so und wir mit unseren 14 Semesterwochenstunden begründen mit Forschung, internationaler Forschung, hier sind Effekte nachgewiesen und das macht Sinn, es so und so zu machen, da kommen wir gegen die Praxis nicht gegen an. Das ist nach wie vor ein Problem, gibt es ja heute nicht mehr, ein großes Feld von Herausforderungen. Dann haben wir unsere aktuelle Seite auf der Homepage, wir gehen über unsere Fachgesellschaften, also der V-Bio ist ja eine Rahmengesellschaft oder mir fehlt gerade das richtige Wort dafür. DACHVERBAND ODER? Ute Harms: Ja genau, ein Verband in dem viele Fachgesellschaften aus den Lebenswissenschaften vereinigt sind und da gibt es eben auch eine Gruppe von Lehrkräften, Biologie Lehrkräfte sind da auch organisiert als Gruppe. Da gehen wir über die Verteiler und wir würden uns natürlich auch sehr wünschen, wenn unsere Lehrkräftefortbildungsveranstaltungen, die wir dann anbieten, um auch diese Dinge in die Praxis zu bringen, auch nachgefragt würden. Aber das ist ganz schwierig, ich kann das auch verstehen, wir haben alle sehr viel zu tun. Es ist nur so schade, dass wenn wir dann, also wir haben manchmal Lehrkräftefortbildungen, da stellen wir dann fest, wir sind fast so viele, die die Fortbildung durchführen wie Teilnehmende. Das geht natürlich auch nicht, aber es wäre vielleicht doch schön, wenn man schauen würde, dass auch für Lehrkräftefortbildungen verpflichtend werden, denn ich glaube keiner von uns würde zu einem Mediziner, zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen, die sich nicht auf Zack hält, was so an Therapien und Diagnosen möglich ist. Und ich finde der Vergleich zum Bildungsbereich ist da eigentlich sehr gut möglich. Es ist ja auch von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Es gibt auch Bundesländer, da ist es so. In Schleswig-Holstein gibt es nach meiner Kenntnis keine verbindlich. QUALITÄTSGEPRÜFTE FORTBILDUNGEN FÜR LEHRKRÄFTE SOLLTEN VERPFLICHTEND SEIN. WIR MÜSSEN EIN BISSCHEN AUF DIE ZEIT GUCKEN, FRAU HARMS. ICH HABE NOCH ZWEI FRAGEN. VIELLEICHT KÖNNEN SIE DIE EINE KURZ BEANTWORTEN, BEVOR ICH ZU DIESER SCHLUSSFRAGE KOMME. BEKOMMEN SIE DENN FEEDBACK AUS DER PRAXIS ZU IHREN ANGEBOTEN? WIE OFT UND VON WEM? SIE SAGTEN, SIE MACHEN LEHRKRÄFTEFORTBILDUNGEN. WAS HÖREN SIE DENN DA? Ute Harms: Also wenn wir Lehrkräftefortbildungen machen, da haben wir bei den Teilnehmenden natürlich immer eine hochgradig selektive Gruppe, weil das sind natürlich diejenigen, die auch wirklich sich wahrscheinlich am meisten interessieren. Aber wenn wir Lehrkräftefortbildungen machen, bekommen wir im Gespräch mit den Teilnehmenden ein Feedback. Wir machen aber auch in den meisten Fällen ein strukturiertes Feedback, weil für uns dieses Feedback natürlich auch extrem wertvoll ist, um unsere Dinge auch stärker mit der Praxis zu vernetzen. Ich soll ja kurz antworten, aber eines möchte ich doch noch hinzufügen. Und zwar, es hat ja früher große Programme gegeben, wie SINUS beispielsweise oder die Kontextprojekte am IPN oder dieses Riesenprogramm Alleskönner und …, das das Land Hamburg aufgesetzt hatte, wo wirklich die Lehrkräfte auf Augenhöhe mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Unterricht gearbeitet haben. Das war damals gerade, als die Etablierung des kompetenzorientierten naturwissenschaftlichen Unterrichts in Deutschland begann. Und das ist für mich persönlich eigentlich so das Optimum, dass man auf Augenhöhe miteinander arbeitet, weil natürlich haben Lehrkräfte viele Erfahrungen, praktische Erfahrungen aus dem Unterricht mitbringen. Die sind für uns total wertvoll, weil A, um auch das mit einzubeziehen in den Entwicklungen, die wir dann vorschlagen. Zum Zweiten aber natürlich auch, um auch die richtigen Fragen zu stellen. Also wir entwickeln unsere Fragestellungen in der Wissenschaft ja in erster Linie aus dem Kontinuum der wissenschaftlichen Erkenntnisse und wir entwickeln Theorien weiter und das Ganze ja international. Wir machen ja gar keine lokale Forschung oder nur Forschung für Deutschland. Das geht ja um etwas Größeres. Aber nach meiner Auffassung sollte es auch eine zweite Quelle geben für unsere Art von Forschung und die muss aus der Praxis kommen. Aber da dieser Gesprächsfaden gar nicht so sehr da ist und da auch viele Berührungsängste sind, findet das nicht statt. Und das finde ich sehr, sehr schade. GENAU, DAS WÄRE NÄMLICH JETZT AUCH TATSÄCHLICH MEINE ALLERLETZTE FRAGE GEWESEN, WAS SIE SICH FÜR DIE, WAS SIE SICH WÜNSCHEN WÜRDEN FÜR DIE KÜNFTIGE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN BILDUNGSFORSCHUNG UND BILDUNGSPRAXIS? Ute Harms: Ja, dass es vielleicht überlegt wird, wie man das auch strukturiert wirklich organisieren kann und es nicht so eine Zufälligkeit ist mit mehr Verbindlichkeiten. Ich sagte das schon, das werden Lehrkräfte wahrscheinlich gerne hören. Aber ich denke schon, es wäre gut, auch verbindliche Lehrkräftefortbildungen zu haben. Da ist natürlich gleichermaßen dann aber auch notwendig, dass diese Fortbildung auch einer Qualitätsprüfung unterliegen. Das ist nach meiner Auffassung dann natürlich die Kehrseite der Medaille, die eingelöst werden muss. WÜNSCHENSWERT WÄRE EINE ENGERE ZUSAMMENARBEIT AUCH ZWISCHEN PRAXIS UND WISSENSCHAFT. Und generell eine engere Zusammenarbeit auch zwischen der Praxis und der Wissenschaft. Es gibt ja jetzt, wenn ich das noch kurz hinzufügen darf, das riesige QUAMATH-Projekt für den Mathematikunterricht. Ich glaube, es soll zehn Jahre laufen, was ja wohl das IPN ja maßgeblich auch für steht, was die KMK finanziert, wo Lehrkräfte-Netzwerke mit Wissenschafter-Netzwerken eng zusammenarbeiten und da eben ein riesiger Pool an Lehrkräftefortbildungen entwickelt wird, um den Mathematikunterricht in Deutschland zu verbessern. Und nach meiner Auffassung brauchen wir etwas Ähnliches auch für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Und da möchte ich noch einen Gedanken mit reinbringen. Wir wissen alle, das ging durch die Medien ja in den letzten Monaten und im letzten Jahr vehement, dass die Schülerinnen und Schüler in Deutschland mit den Basiskompetenzen ganz große Probleme haben.Das betrifft Mathematik, das betrifft Deutsch. Aber die naturwissenschaftlichen Fächer haben ja und überhaupt die Sachfächer neben ihren eigenen Inhalten natürlich auch die Aufgabe, die Basiskompetenzen anzuwenden. Es gibt so viele biologische Bereiche und auch naturwissenschaftliche Bereiche, wo wir Mathematik brauchen. Mit Sprache haben wir immer zu tun. Also auch unter dem Aspekt ist es wichtig, natürlich die Naturwissenschaften an sich sind maßgeblich wichtig, auch für die Zukunft unseres Landes, das wissen wir alle. Aber auch nochmal in die Richtung zu denken, wie verbinden wir die Dinge? Wozu nutzen wir den naturwissenschaftlichen Unterricht noch? Auch das wäre etwas, was in so einem großen angelegten Projekt wie QUAMAT, wenn es so etwas Analoges für die Naturwissenschaften gäbe, auch diskutiert werden könnte. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch, Frau Harms. Und hoffe, dass unsere Hörerinnen und Hörer was mitgenommen haben von Ihren Ausführungen, aber ich glaube, ja. Ute Harms: Danke Ihnen. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

FRAGEN AN DIE GRÜNDER*INNEN DES ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHEN NETZWERKS DISKURSINTERVENTION RECHTSAUSSEN Die Gründer*innen von EN:DIRA (v.l.n.r.) Milena Feldmann, Carlotta Voß und Hendrik Richter [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/04/Endira-quer-300x200.png] Die Gründer*innen von EN:DIRA (v.l.n.r.) Milena Feldmann, Carlotta Voß und Hendrik Richter Milena Feldmann und Hendrik Richter geben Einblicke in das von ihnen gegründete Erziehungswissenschaftliche Netzwerk Diskursintervention Rechtsaußen, EN:DIRA. Als Reaktion auf die jüngsten Wahlerfolge der Rechten gegründet, ist das Netzwerk ein Ort des Austauschs zur gegenseitigen Information und Solidarität. Im Interview erläutern sie die Aktivitäten von EN:DIRA und heben die Verantwortung der Erziehungswissenschaft hervor, sich gegen Rechts zu positionieren. ZUM GESPRÄCH MIT DEN EN:DIRA-GRÜNDER*INNEN ---------------------------------------- LESEFASSUNG Jens Röschlein: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Es begrüßen Sie Christine Schumann und Jens Röschlein. Nicht zuletzt mit der Bundestagswahl ist Deutschland ein Stück weiter nach rechts gerückt. Im Wahlkampf spielte das Thema Bildung zwar eine eher untergeordnete Rolle, das Erstarken von Rechtsaußenparteien hat allerdings Auswirkungen auf den Bereich Bildung in der tagtäglichen Praxis als auch auf den Diskurs. Öffentlich zeigte sich das nicht zuletzt auch bei der Bildungsmesse Didacta, auf der die AfD mit einem Stand vertreten war und dies ausgerechnet zum Thema Demokratiebildung. Das führte im Vorfeld und während der Messe zu Protesten, teilweise zum Boykott und bewog auch Marina Weisband schließlich dazu, die Auszeichnung als Bildungsbotschafterin abzulehnen und vor der schleichenden Normalisierung zu warnen. Wir treffen uns heute mit Personen, die etwas gegen den Einfluss von rechts auf Bildung tun. Wir begrüßen ganz herzlich mehrere Gäste des Erziehungswissenschaftlichen Netzwerks Diskursintervention Rechtsaußen, kurz EN:DIRA. Es sind zugeschaltet Melina Feldmann und Hendrik Richter. Möchten Sie sich kurz vorstellen? Milena Feldmann: Ja, hallo in die Runde. Mein Name ist Melina Feldmann. Ich promoviere aktuell an der Universität Frankfurt zu einem Thema der erziehungswissenschaftlichen Alternsforschung. Es geht um Schutzkonzepte bei Kindern, älteren Erwachsenen und parallel absolviere ich aktuell eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Und mein Zweitkorrektor der Promotion ist Professor Markus Rieger-Ladich, der möglicherweise noch eine Rolle spielen wird und über den ich Hendrik Richter kennengelernt habe. MAILINGLISTE EN:DIRA Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler, die in die Mailingliste von EN:DIRA aufgenommen werden wollen, schicken eine Mail an endira@posteo.de [endira@posteo.de]. Hendrik Richter: Ja hallo, schönen guten Tag auch von meiner Seite. Ich bin Hendrik Richter. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden und bin da in dem Projekt QuaBIS, das ist Qualifizierung von Bildungsreferent*innen, also von Menschen mit Behinderungserfahrung, die wir zu sogenannten Bildungsreferent*innen ausbilden. Und ich habe im vergangenen Jahr promoviert und genau, soweit erstmal von mir. „…HATTEN WIR DAS GEFÜHL, ETWAS TUN ZU WOLLEN“ Christine Schumann: Dann komme ich doch gleich zu meiner ersten Frage. Es geht um den Begriff EN:DIRA, ein erziehungswissenschaftliches Netzwerk Diskursintervention Rechtsaußen. Was bedeutet das? Was verbirgt sich denn dahinter? Milena Feldmann: Wir haben dieses Netzwerk im September letzten Jahres gegründet und das ist zunächst mal ein erziehungswissenschaftliches Netzwerk, das im DACH-Raum organisiert ist, also in Deutschland, Österreich und der Schweiz und sich gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit engagiert. Wir haben aktuell rund 850 Mitglieder oder besser gesagt Interessierte auf einer Mailing-Liste, von denen circa 10 Prozent aktiv sind in verschiedenen AGs, die wir relativ zu Beginn gegründet haben. Und diese Mailing-Liste ist aktuell unser Herzstück. Darüber verteilen wir Informationen zu verschiedenen Veranstaltungen, Call for Paper, Aktionen, Aufrufe, Petitionen, die sich mit dem Erstarken von Rechtsaußen-Positionen im erziehungswissenschaftlichen Kontext beschäftigen. Und gegründet haben wir uns so ein bisschen auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, wo wir auch eine starke Zunahme von Rechtsaußen-Parteien sehen mussten. Und vor diesem Hintergrund hatten wir das Gefühl, etwas tun zu wollen und uns auch als Erziehungswissenschaftler*innen positionieren zu wollen. DER BEGRIFF RECHTSAUSSEN ALS KLAMMER FÜR DIE UNMITTELBARE GEFAHR FÜR DIE DEMOKRATIE Jens Röschlein: Im Titel des Netzwerks verwenden Sie die Bezeichnung Rechtsaußen. Warum denn dieser Begriff? Oder auf was, auf wen zielt er denn ab – angesichts von verschiedenen anderen Bezeichnungen, wie zum Beispiel Rechtsextremismus, extreme Rechte, Rechtspopulismus? Warum gerade Rechtsaußen? Hendrik Richter: Also als wir das Netzwerk gegründet haben, haben wir auch tatsächlich relativ lange darüber diskutiert, wie wir uns nennen wollen und auf welche Begrifflichkeiten wir uns einigen. Also genau wie Sie sagen, das waren Begriffe von Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, aber auch Rechtsaußen. Und wir haben uns tatsächlich an mehreren Rechtsextremismus-Forscher*innen orientiert, zum Beispiel Léonie de Jonge oder Alexander Häusler, die quasi den Rechtsaußenbegriff so in gewisser Weise als Oberbegriff vorschlagen, also als spektrumsübergreifende Klammer für unterschiedliche Organisationen, Positionen, worunter dann eben Rechtsextremismus oder Rechtspopulismus auch subsumiert werden können. Und mit Heike Radvan könnte man da auch argumentieren, dass der Begriff Rechtspopulismus in gewisser Weise auch eher eine Kommunikationsstrategie in erster Linie darstellt, um demokratiefeindliche Ziele zu verschleiern. Und deswegen dachten wir, wir verwenden den Rechtsaußenbegriff, wenngleich uns auch bewusst ist, dass er einige Schwierigkeiten hat. Also gerade wenn wir an Bezüge oder Begriffen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit denken, die ja auch in der Mitte der Gesellschaft irgendwie wiederzufinden sind, zielt der Rechtsaußenbegriff eher genau auf die Ränder von rechten Positionen ab. Aber wir wollten halt ein Netzwerk gründen, wo wir die unmittelbare Gefahr für die Demokratie ins Auge greifen. Und deswegen haben wir uns letztendlich dann für den Rechtsaußenbegriff entschieden. Christine Schumann: Frau Feldmann, Sie hatten es ja eben schon kurz angedeutet, wie Sie dazu kamen, EN:DIRA zu gründen. Vielleicht können Sie das noch ein bisschen genauer beschreiben, unseren Hörerinnen und Hörern: Gab es jenseits dieser Landtagswahlen jetzt im letzten Jahr einen konkreten Anlass dazu? Und wie genau haben Sie denn zusammengefunden? Milena Feldmann: Also wie gesagt, die Hintergründe waren tatsächlich diese Wahrnehmung eines zunehmenden Erstarken von Rechtsaußenpositionen in unserer Gesellschaft, was sich vor allem natürlich in Wahlergebnissen widergespiegelt hat, unter anderem die Wahlergebnisse der EU-Wahl, aber natürlich auch die Beobachtung, dass die rechten Parteien schon seit Jahren Gewinne verzeichnen. Wir denken an die 20 Prozent der AfD bundesweit bei der Bundestagswahl. In Thüringen und Sachsen lagen wir bei 38 beziehungsweise 37 Prozent. Und wir hatten das Gefühl, dass gerade bei den Erstwähler*innen, also wenn wir an die Europawahl nochmal denken, diese rechten Parteien ihre Stimmen fast verdreifachen konnten. Und wir als Erziehungswissenschaftler*innen da einen besonderen Auftrag vielleicht auch sehen, als Pädagog*innen oder als diejenigen, die Sozialarbeiter*innen und Lehrkräfte und Pädagog*innen ausbilden, irgendwie eine Handlungsmöglichkeit zu haben. Hendrik Richter: Genau, also daran anknüpfend, was du jetzt gesagt hast auch, Melina. Also es sind ja nicht nur die Erstwähler*innen, wo extreme oder schon massive Zugewinne zu verzeichnen waren, sondern auch bei der U18-Wahl konnte man das beobachten. Auch wenn bei der U18-Wahl, das ging auch durch die Medien, die Linke zwar die stärkste Partei war, hat aber trotzdem gleichzeitig die AfD auch ihr Ergebnis von 2021 jetzt nochmal verdoppeln können. Und gerade in Bundesländern in Sachsen, Sachsen hat für uns natürlich jetzt eine Relevanz, weil sowohl Carlotta Voß als auch ich in Sachsen leben und auch hier arbeiten. Die Carlotta arbeitet in Halle, also in Sachsen-Anhalt, aber gerade in Sachsen eben auch die AfD bei der U18-Wahl zum Beispiel auf 31,6 Prozent gekommen ist, was schon irgendwie sehr erschreckend ist. Und ähnliches können wir quasi auch beobachten in der extremen Rechten und der Mobilisierung in den letzten Jahren, bei Demonstrationen, speziell jetzt auch gegen den Christopher-Street-Day zum Beispiel letztes Jahr in Sachsen, also zum Beispiel in Städten wie in Dresden oder in Bautzen, wo extrem viele junge Menschen mobilisiert werden konnten. Und das beschreiben eben auch zivilgesellschaftliche Akteure wie das Kulturbüro Sachsen zum Beispiel, RAA Sachsen, aber auch antifaschistische Rechercheteams, die eine extreme Zunahme von jungen Neonazis beobachten, die sich diesen Protesten anschließen. Und wo wir gesagt haben, eigentlich gehört es zu unserer Verantwortung als Erziehungswissenschaftler*in, hier auch irgendwie was zu machen und quasi den Diskurs mitzubestimmen und auch unsere Verantwortung in diesem Bereich zu sehen. Milena Feldmann: Und jetzt fiel der Name Carlotta Voß gerade schon. Das hatte ich eingangs so ein bisschen angeteasert, dass sowohl Hendrik Richter als auch Carlotta Voß und ich gemeinsam ein Kolloquium besuchen, bei Markus Rieger-Ladich, der unsere Dissertation betreut hat oder teilweise noch betreut und wir in diesem Kontext viel diskutiert haben über unsere Verantwortung auch als Erziehungswissenschaftler*innen angesichts des gesellschaftlich-politischen Klimas aktuell. Und wir nach einem Kolloquium zusammensaßen und dachten, wir kommen jetzt mal ins Handeln. Wir wollen nicht immer nur diskutieren. Wir versuchen uns jetzt mal ein bisschen zu vernetzen, weil wir davon ausgegangen sind, und das hat sich auch schnell bestätigt, dass dieses mulmige Gefühl viele Erziehungswissenschaftler*innen umtreibt in der DACH-Region. Und viele auch schon dazu denken, forschen, diskutieren und wir das so ein bisschen zusammenführen wollten, weil wir der Überzeugung sind, dass wir uns jetzt organisieren sollten. ZIELE UND TÄTIGKEITEN VON EN:DIRA Jens Röschlein: Ja, was kann EN:DIRA dazu beitragen, gegen Rechtsaußen Position zu beziehen? Was sind ihre Ziele mit dem Netzwerk? Milena Feldmann: Ja, das ist natürlich eine wichtige und relevante Frage. Zunächst mal geht es uns darum, dass wir das Thema platzieren wollen in der Erziehungswissenschaft, dass in der Lehre auch mehr verankert wird. Da geht es um solche Sachen, da kommen wir vielleicht später auch nochmal drauf zu sprechen, Umgang auch mit Neutralitätsgebot an den Universitäten: Was können, was dürfen wir überhaupt auch als Wissenschaftler*innen an der Universität? Wir würden uns aber vor allem, ja, glaube ich, in der Rolle sehen, Vernetzung zu ermöglichen. Perspektivisch kann das auch zu gemeinsamen Publikationen führen, zu Sammelbänden oder mal in der Organisation von einer Tagung. Aber ganz akut haben wir zum Beispiel eine AG Lehre, die Lehrkonzepte entwickelt, dass man sich da austauscht, dass nicht jeder Lehrstuhl vor sich hinarbeitet und vielleicht im Kleinen tolle Initiativen startet, tolle Lehrkonzepte entwickelt, sondern dass man sich da einfach austauscht und voneinander profitiert und gemeinsam Wissen teilt. Und dann geht es uns natürlich darum, auch Menschen in der erziehungswissenschaftlichen Community, die vielleicht noch stärker betroffen sind von diesen erstarkenden Positionen von Rechtsaußenakteur*innen, zu unterstützen und da auch Solidarität zu zeigen. Insofern verstehen wir es auch so ein bisschen als solidarische Gemeinschaft, auch wenn wir zum Beispiel den Blick über den Atlantik werfen und sehen, wie die Wissenschaft unter Druck gerät in den USA, dass wir uns da auch gegenseitig vielleicht beraten, ermächtigen, empowern, wenn wir selber mal in Bedrängnis kommen und das Gefühl haben, nicht mehr an der Universität vielleicht auch so lehren und forschen zu können, wie wir das für richtig halten. Jens Röschlein: Sie hatten jetzt schon einiges angesprochen, was Sie auch machen. Ich möchte nochmal anknüpfen, vielleicht wollen Sie zu den Aktivitäten noch weiter ausführen und zudem bezeichnen Sie Ihr Netzwerk ja auch als Diskursintervention. Was ist damit gemeint und wie wird das umgesetzt? Hendrik Richter: Genau, dazu will ich vielleicht was sagen. Also wir hatten das ja vorhin schon thematisiert, dass wir gesellschaftlich, politisch, medial eine Diskursverschiebung seit etlichen Jahren beobachten, immer weiter nach rechts, damit sind Sie ja auch eingestiegen und wir dachten, dass wir aus Perspektiven der Erziehungswissenschaft eben eine Diskursintervention setzen und eben ganz aktiv auch in diesen Diskurs eingreifen. Das bedeutet sowohl gesellschaftlich, politisch als auch in der akademischen Welt und gerade weil das Thema, was wir gerade auch hatten, das sehr viele Erst- und Jungwähler*innen ihr Kreuz bei der AfD gesetzt haben, sehen wir es eben als unsere Verantwortung, auch hier dieses Thema irgendwie stark zu machen und den Fokus darauf zu setzen. Zu der Frage, was wir aktuell machen, was unsere Aktivitäten sind: Also wir hatten jetzt mehrere Vorträge, die wir anbieten. Wir versuchen, sämtliche Vorträge aktuell online anzubieten, damit sie eben für den gesamten DACH-Raum auch zugänglich sind. Das heißt, Menschen, die sich bei uns engagieren in dem Netzwerk, auch egal wo sie wohnen oder leben, auf die Vorträge zugreifen können, mitmachen können. Es wird im kommenden Semester eine Ringvorlesung geben. Wir haben Workshops schon veranstaltet zum Thema Diskriminierungssensible Lehre, wo zum Beispiel Leute aus der Wissenschaft, aus der Lehre der Erziehungswissenschaft, aus der sozialen Arbeit daran teilnehmen konnten und eigene Erfahrungen mit Diskriminierung in der eigenen Lehrveranstaltung – das thematisieren konnten und dann besprochen werden konnte. In Zukunft, das hatte auch Milena gerade schon gesagt, versuchen wir irgendwie auch Publikationsstrategien zu entwickeln oder auch vielleicht sowas wie Podcasts, vielleicht voranzuschreiten. Und es gibt eine Gruppe, die nennt sich also ein AG bei uns, kreative Interventionen, die quasi eigene kreative Möglichkeiten entwickelt, in diesen Diskurs auch eingreifen zu können. Es gab jetzt bei der Bundestagswahl eine Idee, die wir auch umgesetzt haben, quasi eine automatische Mailantwort einzurichten, in der aufgerufen wurde, demokratisch zu wählen, sich demokratisch zu positionieren. Milena Feldmann: Vielleicht, um das nochmal so ein bisschen zu konkretisieren, zu welchen Themen Veranstaltungen stattgefunden haben: da ging es einmal um so einen historischen Blick in die Entwicklung und auch noch so einen Rückblick, wie die neue Rechte heutzutage vielleicht zusammenhängt mit früheren rechtsautoritären Bewegungen. Es ging um die Verantwortung ganz konkret der Erziehungswissenschaft in diesem Feld, auch nochmal vor dem besonderen Hintergrund, dass die Erziehungswissenschaft in der Zeit von 1933 bis 1945 selbst involviert war in nazi-ideologische Positionen und auch Publikationen. Und dann hatten wir, das hatte Hendrik schon angesprochen, Workshops zu Rassismus-sensibler Lehre. Wir haben jetzt eine Veranstaltung ganz konkret nochmal zum Neutralitätsgebot, was das bedeutet, was das für uns bedeutet, also ein bisschen auch praktischerer Natur. Und wir haben auch eine eigene AG Veranstaltung, die sich jetzt darum kümmert. Das würde ich ganz gerne nochmal betonen. Wir stehen jetzt hier, Hendrik Richter und ich, Melina Feldmann, Carlotta Voß hat das mit uns gegründet, aber inzwischen sind wir wirklich ein demokratisches Netzwerk mit vielen engagierten Leuten, die dieses Netzwerk auch tragen und gestalten. EIN NETZWERK FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLER*INNEN UND DARÜBER HINAUS Christine Schumann: Das finde ich ja sehr beeindruckend. Sie hatten eingangs ja schon gesagt, Sie hätten schon 850 Mitglieder auf Ihrer Mailing-Liste. Also das hat mich ehrlich gesagt umgehauen, dass es schon so viele sind. Aber ich würde gerne mal wissen, woher kommen die alle? Sind das alles Leute aus den Erziehungswissenschaften, aus der Bildungsforschung oder aus der sozialen Arbeit, also eher im akademischen Bereich oder ist das auch für andere offen? Vielleicht können Sie dazu noch was sagen. Also wen wollen Sie denn damit erreichen und wer kann sich vernetzen und sich daran beteiligen? Hendrik Richter: Also primär richten wir uns aktuell noch an Erziehungswissenschaftler*innen und der Großteil von den Mitgliedern bei uns auf der Mailing-Liste kommen auch genau aus der Erziehungswissenschaft, aus den Bildungswissenschaften und aus Nachbardisziplinen. Genau, also der Großteil ist schon die akademische Welt, die da irgendwie auf dieser Mailing-Liste abgebildet ist. Wenngleich trotzdem auch Leute aus der Zivilgesellschaft, Akteure, da sich mit auf die Mailing-Liste gesetzt haben und teilweise auch Lehrer*innen. Aber genau, der Großteil ist schon Erziehungswissenschaft und daran hatten wir uns auch gerichtet gehabt als erziehungswissenschaftliches Netzwerk. Perspektivisch wollen wir das aber schon öffnen. Da sind wir natürlich irgendwie gemeinsam im Gespräch mit den aktiven Mitgliedern und überhaupt mit den Mitgliedern des Netzwerks, um uns auch an Lehrkräfte und an Sozialarbeiter*innen, an Praktiker*innen zu richten und das dahingehend auch zu öffnen. Also weil gerade, als wir damit im September an den Start gegangen sind mit dem erziehungswissenschaftlichen Netzwerk, haben wir gemerkt, dass wir sehr viel Rücklauf auch von Praktiker*innen bekommen haben, die gesagt haben, ey, sowas brauchen wir gerade. Wir haben extreme Probleme bei uns an den Schulen. Wir brauchen Unterstützung. Christine Schumann: Da würde ich gerne nochmal nachfragen, weil Sie sagten, dieses Netzwerk dient erst mal dazu, sich kennenzulernen, Strukturen zu schaffen, um über dieses Thema zu kommunizieren und um sich auszutauschen. So richtige Module in der Lehrerfortbildung oder so können Sie aber noch gar nicht anbieten. Da ist die Frage, wie diese ganze Überlegungen, was man tun könnte, wie man das tatsächlich nachher in die Praxis umsetzen kann. Machen Sie sich da auch schon Gedanken darüber? Milena Feldmann: Also wir haben eine Arbeitsgruppe, die sich auch Vernetzung nennt und die so ein bisschen damit beschäftigt ist, auf der einen Seite sich mit anderen Netzwerken, Instituten und Forschungsverbänden auch zu connecten, zu vernetzen, wie zum Beispiel WiRex, das Wissenschaftsnetzwerk Rechtsextremismusforschung, das neue Institut Rechtsextremismus in Tübingen und anderen Forschungsverbänden. Gleichzeitig ist das auch die Gruppe, die sich um den Kontakt mit der Praxis bemüht. Das hatte ich ja auch vorhin schon mal erwähnt, dass wir vor allem aus der Verantwortung heraus, dass die Erziehungswissenschaft eben keine rein wissenschaftliche Disziplin ist, sondern irgendwie immer auch einen Praxisbezug hat, aus dieser Verantwortung heraus, wir das Netzwerk auch gegründet haben und insofern ist unser Fernziel durchaus, da auch wieder in die Praxis zurückzuwirken. Und wir sind ja jetzt noch ein relativ junges Netzwerk, ein halbes Jahr alt und wir sind, das muss man ehrlicherweise zugeben, auch noch dabei, uns zu finden und zu strukturieren, zu organisieren. Wir waren selber überwältigt von dem großen Andrang anfangs auf der Mailingliste und unsere Arbeitsgruppe Lehre ist also fleißig dabei, auch Lehrkonzepte auszuarbeiten, die dann prinzipiell vielleicht auch mit der Praxis geteilt werden können. Wobei, wie gesagt, primär wir jetzt erst mal uns noch an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler richten, auch von der Themenwahl unserer Veranstaltung her. Gleichwohl kann so eine Veranstaltung zum Neutralitätsgebot oder auch eine zu Familienideologien und Vorstellungen in der neuen Rechten natürlich auch für Pädagog*innen in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen von Interesse sein und die sind dann auch herzlich willkommen, daran teilzunehmen. Und wofür wir zum Beispiel auch sehr offen sind, dass sich dann Lehrkräfte vielleicht auch innerhalb unseres Netzwerks finden und gemeinsam vernetzen und möglicherweise auch selbst Veranstaltungen organisieren, die dann für ihre Zielgruppe noch ein bisschen passgenauer sind. NEUTRALITÄTSGEBOT MEINT VERANTWORTUNG Jens Röschlein: Sie hatten jetzt auch schon das Neutralitätsgebot mehrfach erwähnt. Vielleicht könnten Sie noch ganz kurz umreißen, was damit gemeint ist und darüber hinaus aufzeigen, welche Themen und welche Diskurse es sind, die die rechten besetzen und bespielen wollen. Hendrik Richter: Genau, also zum Thema Neutralitätsgebot bieten wir eine Veranstaltung an und da geht es darum, dass das Neutralitätsgebot häufig fälschlicherweise interpretiert wird in der Hinsicht, dass man als Lehrkraft an Schulen oder auch in der Universität als Lehrveranstaltungsleiter*in sich gar nicht politisch zu äußern, zu positionieren hat. Das Neutralitätsgebot sagt aber vielmehr auch aus, dass man sich im Hinblick auf die Demokratie und das Einsetzen für demokratische Werte sehr wohl politisch positionieren darf. Und gerade wenn wir im Hinblick auf Rechtsextremismus und auf verfassungsfeindliche Positionen damit auch gucken, ist es sehr wohl auch in der Verantwortung oder liegt es in der Verantwortung von Lehrveranstaltungsleiter*innen oder auch von Lehrkräften, dahingehend auch zu intervenieren und dem auch etwas entgegenzusetzen. Welche Themen wir jetzt sehen, die gerade von rechts irgendwie besetzt werden wollen, das sind auf jeden Fall Fragen, also Geschlechterfragen: Wenn wir an queere Menschen denken, wenn wir zum Beispiel auch an Inklusion denken. Die AfD ist ja nie müde geworden, sich dagegen zu positionieren, dass sie gegen eine gemeinsame Beschulung ist von Schüler*innen mit und ohne Behinderung. Die AfD ist auch oder rechtsextreme Positionen fokussieren auch immer wieder das leistungsorientierte Bildungssystem, was weiterhin gestärkt werden soll. Und da sehen wir in jedem Fall genügend Themen, wo Rechts versucht, eigentlich in diesem Diskurs einzugreifen und diese Themen zu besetzen, wo wir sagen, hier müssen wir eine Grenze setzen und versuchen, dagegen vorzugehen. Milena Feldmann: Vielleicht auch noch als ein konkretes Beispiel, dass es in Niedersachsen ja inzwischen so eine Meldeplattform gibt, neutrale lehrer de, und da merkt man einfach, wo Schüler*innen und vielleicht auch Eltern und andere Personen von Schuleinrichtungen, also Lehrkräfte melden können, die ihrer Meinung nach gegen das Neutralitätsgebot verstoßen haben. Und da ist natürlich klar, dass die Unsicherheit zunimmt, sowohl bei Lehrkräften, aber auch an den Universitäten, vielleicht in den Hörsälen, in den Seminarräumen, dass man beginnt, darüber nachzudenken, wie kann ich mich eigentlich gerade äußern, mit welchen Konsequenzen, sowohl als Person, die in der Lehre tätig ist, aber vielleicht auch als Seminarteilnehmende und da so ein bisschen Unsicherheit abzubauen und das, was ich vorhin schon mal erwähnt hatte, auch Rat zu suchen, vielleicht in der Community, wenn jemand ähnliche Erfahrungen hatte. Wir hatten zum Beispiel in Workshops Fallbeispiele gesammelt, wo vielleicht auch Studierende menschenverachtende Positionen geäußert haben, sich auch als rechtsaffin geoutet haben, mehr oder weniger, und das aber dann eben einen Einfluss hatte, auch auf die Art und Weise, wie die Atmosphäre sich verändert hat in diesem Seminar und dass einzelne andere Studierende sich da in der Bedrängnis gesehen haben und auch offen diskriminiert wurden. Und wie geht man damit eigentlich um als Lehrperson? Also solche Fragen, dafür auch einen Raum des Austauschs zu bieten, das ist, glaube ich, auch ein Anliegen. Hendrik Richter: Vielleicht nochmal anknüpfen daran, also wo finden Räume des Austauschs statt? Also wir hatten jetzt schon mehrmals den Workshop benannt, den haben wir schon zweimal veranstaltet, den werden wir auch im kommenden Semester wieder veranstalten und wir haben einmal pro Monat unser Netzwerktreffen, wo wir auch diese Möglichkeiten bieten des gemeinsamen Austausches und darüber hinaus hat sich tatsächlich auch eine eigene Regionalgruppe EN:DIRA Ost gegründet, quasi für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die sich auch regelmäßig in Präsenz treffen und dort sich über die eigenen Erfahrungen auch austauschen können und die gemeinsam auch Veranstaltungen planen. Milena Feldmann: Und Stichwort Veranstaltungen, was da auch einfach konkret an Solidarität passiert, ist, dass es teilweise natürlich auch Geld kostet, dass wir Referent*innen bezahlen müssen und wir jetzt schon gemerkt haben, dass wir über dieses Netzwerk auch Finanzierungsmöglichkeiten haben, die sonst vielleicht fehlen und auch vor dem Hintergrund, dass man vielleicht befürchten muss, dass auch Gelder gekürzt werden für bestimmte Themen, auch in der Forschung, dass die Akzeptanz verringert wird für bestimmte Initiativen, zum Beispiel Schule gegen Rassismus oder queerfreundliche Initiativen und dass wir da sehen, in unserem Netzwerk gibt es aber auch Professor*innen, die Gelder zur Verfügung stellen können über ihre Lehrstühle, wo wir vielleicht auch bestimmte Finanzierungslücken ausgleichen können. WIE KANN MAN MITMACHEN? Christine Schumann: Sie haben jetzt sehr, sehr viel genannt, was Sie machen. Wie kriege ich das denn mit, wenn ich interessiert bin? Woher kriege ich denn die Informationen, wenn ich neugierig bin? Kann ich mich auf Ihre Mailingliste eintragen lassen? Haben Sie eine Webseite, wo man schauen kann? Machen Sie publik, wann die Vorträge sind und die Workshops? Ist es digital? Also Fragen über Fragen? Hendrik Richter: Wenn Sie Interesse haben an dem Netzwerk, dann können Sie uns gerne einfach ein E-Mail schreiben an endira@posteo.de, dann werden Sie auf die Mailingliste gesetzt und dann bekommen Sie eigentlich alle nötigen Informationen, die Sie brauchen. Milena Feldmann: Und zusätzlich sind wir gerade dabei, beziehungsweise unsere Arbeitsgemeinschaft Öffentlichkeit eine Homepage zu erstellen, möglicherweise auch einen Social Media Auftritt, wo wir dann auch die tagesaktuellen Veranstaltungen publik machen. EINFLUSS VON RECHTSAUSSEN AUF DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG Jens Röschlein: Ich habe zum Abschluss auch noch eine persönlichere Frage. Durch die Beschäftigung damit hat dieses Thema denn auch und ihr Engagement auch eine Folge und eine Einwirkung auf Ihre Forschung? Hendrik Richter: Ja, also wir sind ja ein Netzwerk von Erziehungswissenschaftler*innen, wo es unterschiedliche Expertisen gibt. Es gibt einige Expert*innen im Bereich Rechtsextremismus und Rechtsaußen. Wenn Sie mich jetzt fragen, ich habe so Inklusion und Exklusion in der Schule geforscht. Das ist natürlich ein Thema, was auch von Rechts aufgegriffen wird. Also ich habe das ja vorhin schon gesagt, wenn es um Inklusion und quasi gemeinsame Beschulung von Schüler*innen mit Behinderung oder nicht mit Behinderung geht. Und da ergeben sich natürlich Zusammenhänge, die ich auch in den Blick bekomme oder in den Blick nehme. Das heißt aber nicht, dass ich mich jetzt als Rechtsextremismusforscher verstehe, sondern ich weiterhin an den Themen arbeite, an denen ich ohnehin schon gearbeitet habe und nicht in dem Bereich des Rechtsextremismus forsche. Milena Feldmann: Ähnliches gilt auch für mich. Ich promoviere ja zu einem Thema der Schutz- und Gewaltforschung in Kindheit und höherem Lebensalter. Und ich würde sagen, dass auch da das Thema so indirekt reinragt. Insofern, als dass Gelder nicht zur Verfügung gestellt werden könnten, dass vielleicht auch bestimmte Altersgruppen, ich promoviere innerhalb der Erziehungswissenschaftlichen Altersforschung, dass bestimmte Altersgruppen auf eine besondere Art und Weise vielleicht angesprochen werden, affin sind, auf Social Media adressiert werden zu Themen der rechten Parteien, rechten Positionen und da genau hinzuschauen einfach. Wie findet das statt? Und auch Carlotta Voß, die Dritte im Bunde, die zu queeren Themen forscht, ist damit konfrontiert, dass diese Themen von rechten Akteur*innen besetzt werden und dass sie da auch Gegenwind bekommt. Viele Bereiche der Erziehungswissenschaft werden tangiert von diesem gesellschaftspolitischen Klima, in dem rechte Positionen gesellschaftsfähig werden und einfach mehr an Raum gewinnen. Das kann also die differenzsensible Pädagogik sein. Da geht es um die Frühpädagogik, um die Schulforschung, Schulentwicklung, die allgemeine Pädagogik. Letztlich beinahe alle Bereiche, würde ich sagen, haben direkt oder indirekt damit zu tun und können da also anknüpfen. Aber es ist eben keine Voraussetzung, wie Hendrik das vorhin auch schon betont hat. Wir sind kein Netzwerk von Erziehungswissenschaftler*innen, die dezidiert zu Rechtsextremismus forschen, sondern sind daran interessiert, uns einfach zu treffen, gemeinsam weiterzubilden, uns zu vernetzen und zu solidarisieren. Jens Röschlein: Das ist auch ein sehr gutes Schlusswort. Vielen Dank für den Austausch, für die spannenden Einblicke in das noch im Werden begriffene Netzwerk, wie wir gelernt haben. Es hat uns sehr gefreut und wir wünschen Ihnen mit EN:DIRA weiterhin viel Erfolg. Und damit endet diese Folge von Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Ciao und bis zum nächsten Mal. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Jens Röschlein für Deutscher Bildungsserver. ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

AUDIO-LINKEMPFEHLUNGEN ZUR DEMOKRATIEBILDUNG Im Rahmen unserer Aktionswoche „Demokratiebildung für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ stellt Dr. Caroline Hartmann, Redakteurin des Themenbereichs Schule beim Deutschen Bildungsserver, ein paar besonders gute und handlungsorientierte Unterrichtsmaterialien, Spiele und Projekte zum Thema Demokratiebildung in der Grundschule und der Sekundarstufe I und II vor. ZU DEN AUDIO-LINKEMPFEHLUNGEN „DEMOKRATIEBILDUNG IN DER SCHULE“ ---------------------------------------- LESEFASSUNG Herzlich Willkommen bei „Bildung auf die Ohren“, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Caroline Hartmann. „Die gelebte Demokratie muss ein grundlegendes Qualitätsmerkmal unserer Schulen sein“, so lautet die Empfehlung der Kultusministerkonferenz. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission SWK sieht jedoch noch immer große Defizite bei der Demokratiebildung an deutschen Schulen und empfiehlt kurz- und mittelfristige Maßnahmen, um die Fächer Politik und Geschichte und die demokratische Schulkultur zu stärken. Guter Politik-unterricht sei lebensweltorientiert, handlungsorientiert, problemorientiert und konfliktorientiert. DOSSIERS MIT UNTERRICHTSMATERIALIEN UND PROJEKTEN IM BEREICH DEMOKRATIEBILDUNG BEIM DEUTSCHEN BILDUNGSSERVER * Arbeitsmaterialien für die Grundschule – vom Göttinger Institut für Demokratieforschung [https://www.kinderdemokratie.de/downloads/arbeitsblaetterhefte/] * Arbeitsmappe „Was heißt hier Demokratie?“ – von der Bundeszentrale für politische Bildung [https://www.bpb.de/shop/materialien/thema-im-unterricht/148489/was-heisst-hier-demokratie/] * Unterrichtsmodul „Demokratie“ (11 x 60 min) – von Eduskills+ [https://reflections.eduskills.plus/modules/living_together/democracy] * „Fabulous Council“ – Online-Game für den Unterricht in der 7. und 8. Klasse [https://germany.representation.ec.europa.eu/fabulous-council-online-game-fur-den-unterricht_de] * Online-Spiel „Deine Insel“ – vom ZDF und der Bildungsstätte Anne Frank [https://deine-insel.zdf.de] * „Das mobile Demokratielabor“ Modellprojekt von „Gesicht zeigen!“ [https://www.gesichtzeigen.de/blog/angebote/demokratielabor-hauptseite-mehr-erfahren/] Hier geht’s zur kompletten Sammlung von Unterrichtsmaterialien zu Demokratie, Partizipation und Wertevermittlung beim Deutschen Bildungsserver [https://www.bildungsserver.de/die-demokratie-12654-de.html]. DEMOKRATIEBILDUNG IN DER GRUNDSCHULE Demokratiebildung sollte unbedingt schon in der Grundschule beginnen. Dafür hat das Göttinger Institut für Demokratieforschung lebensweltorientierte Arbeitsmaterialien für die Primarstufe entwickelt, die schon die Jüngsten an Themen wie Toleranz, Pluralismus und Inklusion heranführen. Das Heft mit dem Titel „Du und Ich – Vom demokratischen Umgang mit Unterschieden und Konflikten“ thematisiert hier bereits die gesellschaftliche Vielfalt unserer Demokratie. Vor dem Hintergrund fremdenfeindlicher Tendenzen finden sich auf dem Portal auch sehr kindgerechte Arbeitsblätter zu Aspekten wie Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wie dem Mehrheitsprinzip sowie Mobbing und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. HANDLUNGSORIENTIERTE UNTERRICHTSMATERIALIEN FÜR DEN POLITIK- UND SOZIALKUNDEUNTERRICHT Weiterhin bietet Eduskills+ breit gefächerte kostenlose Unterrichtsmodule zum Thema „Demokratie“ an. Diese fördern gezielt kritisches und kreatives Denken – zentrale Fähigkeiten für eine aktive Beteiligung an demokratischen Prozessen und ein harmonisches Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft. ONLINE-GAMES UND PLANSPIELE ZUR VERMITTLUNG VON DEMOKRATISCHEN WERTEN Wenn Sie im Unterricht in der 7. und 8. Klasse das Thema vielleicht eher spielerisch angehen möchten und nach kleinen Projekten für Vertretungsstunden oder Projekttagen suchen, kann ich Ihnen auch das Online Game „Fabulous Council“ empfehlen, das von der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland insbesondere für Haupt- und Mittelschulen, Real-, Gesamt- und Gemeinschaftsschulen entwickelt wurde. Für eine Unterrichtsstunde können hier die Schülerinnen und Schüler in die Fantasiewelt „Nafasia“ eintauchen und in die Rollen der dort lebenden Fabelwesen schlüpfen, die in ihrem Land alle frei und glücklich leben wollen. Nur dafür müssen sie sich eben erst auf Gesetze einigen. Und das gelingt eben nur, wenn sie neben den eigenen Bedürfnissen und Interessen auch die der anderen Wesen berücksichtigen. Auf spielerische Weise sollen den Schülerinnen und Schülern hier also demokratische Prozesse und Kompromissfindung nähergebracht werden. Das ZDF und die Bildungsstätte Anne Frank haben ebenfalls ein Online-Spiel herausgebracht. „Deine Insel“ ist ein Frage-Antwort-Spiel, das den jungen Spielerinnen und Spielern die Möglichkeit bietet, eine kleine Inselgesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen, Werten und Regeln aufzubauen. Ein Chatbot bittet um Antworten auf etwa ein Dutzend Fragen. Dabei müssen die Kinder und Jugendlichen auswählen, welche Werte für das Inselleben handlungsleitend sein sollen: Wie sollen Entscheidungen fallen und Ressourcen verteilt werden und wie sollen die Bewohnerinnen und Bewohner Fehlverhalten sanktionieren? Das Spiel hilft, Mechanismen transparent zu machen, die freie Gesellschaften herausfordern oder in Gefahr bringen können.Stempel transparent zur Aktionswoche Deutscher Bildungsserver "Demokratiebildung für gesellschaftlichen ZUsammenarbeit" [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/03/Stempel-transparent-deutsch-300x300.png] MODELLPROJEKT ZUR DEMOKRATIEBILDUNG Abschließend möchte ich Ihnen gerne noch das „Das mobile Demokratielabor“, ein Projekt von „Gesicht zeigen“, ans Herz legen, das Sie für Ihre Schule bestellen können. Die vierzehn Module dieser mobilen Materialsammlung bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für Politik, Ethik, Geschichte, Sprachen, Kunst und Musik und sind insbesondere für die Klassen 5 bis 10 geeignet. Ich hoffe, all diese Materialien und Angebote können Sie dabei unterstützen, den Kindern und Jugendlichen das demokratische Werteverständnis näherzubringen. Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern wünsche ich viel Erfolg und auch viel Spaß beim Spielen und Diskutieren, aber vor allem auch beim Umsetzen und beim Leben dieser demokratischen Werte im eigenen Umfeld. ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Caroline Hartmann für Deutscher Bildungsserver. ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

INTERVIEW MIT SANEM KLEFF ÜBER DAS SCHULISCHE PRÄVENTIONSNETZWERK GEGEN UNGLEICHWERTIGKEITSDENKEN UND DEMOKRATIEBILDUNG In dieser Folge von „Bildung auf die Ohren“ spricht Caroline Hartmann mit Frau Sanem Kleff von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, dem größten schulischen Präventionsnetzwerk gegen Ungleichwertigkeitsdenken, über die Demokratiebildung an deutschen Schulen, über die Möglichkeiten und Chancen, aber auch über die derzeitigen vielschichtigen Herausforderungen. ZUM INTERVIEW MIT SANEM KLEFF ---------------------------------------- LESEFASSUNG WIE IST „SCHULE OHNE RASSISMUS – SCHULE MIT COURAGE“ ENTSTANDEN, UND WAS ZEICHNET DIESES NETZWERK AUS? Ich selbst bin im Jahr 2000 zu dieser Arbeit gekommen. Damals erzählte man mir von einer Idee, die aus den Niederlanden und Belgien stammte – ein spannender Ansatz. Die Frage lautete: Wie können wir das nach Deutschland bringen? Passt das zu uns? Aus diesen Überlegungen entstand der erste Impuls – und seit einem Vierteljahrhundert prägt diese Arbeit nun mein Leben. DOSSIERS MIT UNTERRICHTSMATERIALIEN UND PROJEKTEN IM BEREICH DEMOKRATIEBILDUNG BEIM DEUTSCHEN BILDUNGSSERVER * Unterrichtsmaterialien zu Demokratie, Partizipation und Wertevermittlung [https://www.bildungsserver.de/unterrichtsmaterialien-zu-demokratie-12654-de.html] * Rassismus Prävention – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialien [https://www.bildungsserver.de/rassismus-als-thema-im-schulunterricht-12363-de.html] * Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und Projekte zur Prävention von Antisemitismus [https://www.bildungsserver.de/antisemitismus-12365-de.html] * Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und Projekte zur Prävention von Antiziganismus [https://www.bildungsserver.de/antiziganismus-im-unterricht-13153-de.html] * Unterrichtsmaterialien und Methoden zur Prävention von Rechtsextremismus in der Schule [https://www.bildungsserver.de/rechtsextremismus-12362-de.html] Es gibt in Deutschland viele Initiativen und Netzwerke, die sich für Demokratie und Respekt im schulischen Umfeld einsetzen. Eine Besonderheit unseres Netzwerks ist jedoch, dass Schulen, die beitreten möchten, sich freiwillig selbst verpflichten: Sie schauen nicht weg, wenn an ihrer Schule Diskriminierung, Mobbing, Gewalt oder Rassismus auftreten. Das ist der Kern unserer Arbeit. Nach ihrem Beitritt sind die Schulen nicht auf sich allein gestellt. Sie werden Teil eines bundesweiten Netzwerks mit fast 4.700 Schulen und erhalten Unterstützung durch regionale Ansprechpersonen. In jedem Bundesland gibt es eine Landeskoordinierungsstelle, und zusätzlich stehen 120 regionale Beratungs- und Koordinierungsstellen bereit. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Schulen entscheiden selbst, welche Maßnahmen sie ergreifen und wie sie arbeiten wollen. Dabei unterstützen wir sie durch Impulse, Anregungen und Beratung. Unser Ansatz ist kein vorgefertigtes Konzept, das von außen vorgegeben wird. Vielmehr müssen die Schulen selbst aktiv werden – das macht unser Netzwerk so besonders. DAS POTENTIAL DER SCHULEN FÜR DEMOKRATIEBILDUNG WIRD ZU WENIG GENUTZT WIE SIEHT DIE DEMOKRATIEBILDUNG AN DEUTSCHEN SCHULEN AUS? WELCHE POSITIVEN ENTWICKLUNGEN GIBT ES UND WO SEHEN SIE DEFIZITE? Ich bin nicht der Meinung, dass deutsche Schulen grundsätzlich ungeeignet oder unfähig wären, demokratische Werte zu vermitteln. Ich bedaure jedoch, dass das enorme Potenzial von Schulen viel zu wenig genutzt wird. Schule könnte viel effektiver, flächendeckender und vielseitiger Demokratie als Haltung und Kompetenz fördern. Es gibt bereits viele gute Ansätze – aber es könnten noch viel mehr sein.Stempel transparent zur Aktionswoche Deutscher Bildungsserver "Demokratiebildung für gesellschaftlichen ZUsammenarbeit" [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/03/Stempel-transparent-deutsch-300x300.png] SCHULEN VERLIEREN DEN KONTAKT NACH AUSSEN Mit unserer Arbeit in den Courage-Schulen möchten wir dazu beitragen, Lehrkräfte zu ermutigen, neue Wege zu gehen, und Schülerinnen und Schüler daran zu erinnern, dass sie die Mehrheit in der Schule sind – sie können etwas bewirken, wenn sie aktiv werden. Ein Problem ist jedoch, dass viele Schulen dazu neigen, sich nach innen zu kehren und den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren. Die vielen Herausforderungen und Belastungen im Schulalltag führen dazu, dass Schulen häufig ihre Rolle in der Gesellschaft aus dem Blick verlieren. Aber gerade dieser Austausch mit der Kommune, mit lokalen Initiativen und Akteurinnen ist wichtig. Wir wollen Schulen motivieren, sich nach außen zu öffnen, ihre Stimme in der Gesellschaft hörbar zu machen woie aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen – sei es durch Stadtteilveranstaltungen, Kooperationen mit lokalen Organisationen oder Projekte mit externen Expertinnen und Experten. POLARISIERUNG MUSS IM UNTERRICHT THEMATISIERT WERDEN WIE SOLLTEN SCHULEN AUF DIE ZUNEHMENDE GESELLSCHAFTLICHE POLARISIERUNG REAGIEREN? WELCHE MASSNAHMEN SIND SINNVOLL – KURZFRISTIG UND LANGFRISTIG? Gesellschaftliche Unterschiede gab es schon immer. Doch in den letzten zehn Jahren, insbesondere durch die Corona-Pandemie, hat sich die Polarisierung noch einmal verstärkt. Viele Themen wurden plötzlich auf einfache Ja-Nein-Fragen reduziert, und die gesellschaftliche Ungleichheit hat weiter zugenommen. Ein erster Schritt dagegen ist, diese Polarisierung anzusprechen, zu problematisieren und zu reflektieren. Schüler*innen, Lehrkräfte und Schulleitungen müssen verstehen, warum Polarisierung gefährlich ist und niemandem nützt – im Gegenteil, sie verhindert ein friedliches Miteinander. Ich wünsche mir deshalb mehr Diskussionen über Ungleichheit, Diskriminierung und gesellschaftliche Spaltungen – sowohl in den Klassenzimmern als auch im Kollegium. DEMOKRATIEBILDUNG ALS DAUERAUFGABE Konkrete Maßnahmen gibt es viele. Schulleitungen können zum Beispiel aktiv nach Wegen suchen, wie sie ihre Schule besser an die Bedürfnisse der Eltern und Schüler*innen anpassen. Dazu gehört etwa die Frage: Welche Sprachen werden in der Schulgemeinschaft gesprochen? Können alle Eltern an Elternabenden teilnehmen? Viele Schulleitungen setzen hier bereits viele gute und sinnvolle Maßnahmen um – und viele Lehrkräfte engagieren sich mit kreativen Ansätzen für ein besseres Miteinander. Auf Ihre Frage nach kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen: Man kann hier sofort handeln. Konflikte lösen sich nicht von selbst – wenn sie ignoriert werden, schwelen sie weiter. Demokratiebildung ist eine Daueraufgabe, die nie aufhören darf. LEHRKRÄFTEMANGEL ALS GRÖSSTES PROBLEM Welche Unterstützung bräuchten Schulen für eine bessere Demokratiebildung? Der größte Mangel an Schulen ist Personal. Es fehlen schlichtweg „Erwachsenen-Minuten pro Kind“ – und das mehr denn je. Der Personalmangel wird derzeit noch durch Quer- und Seiteneinsteiger*innen und externe Fachkräfte überdeckt, die unterstützend tätig sind. Dagegen ist nichts zu sagen, doch sie sollten zusätzlich eingestellt werden und nicht ausgebildete Pädagog*innen ersetzen. Ein weiteres Problem: Die Fächer und Aktivitäten, die für das soziale Miteinander besonders wichtig sind – etwa Sport, Kunst, Musik, Exkursionen, Klassenfahrten oder einfach persönliche Gespräche – fallen als erstes weg, wenn der Lehrkräftemangel zu groß wird. Das ist fatal, denn genau diese Angebote sind essenziell für eine starke demokratische Kultur. Zum Glück gibt es mittlerweile viele zivilgesellschaftliche Organisationen und auch Landeszentralen für politische Bildung, die wertvolle Unterstützung leisten können – durch Workshops, Seminare oder Austauschformate. Wie vermitteln wir Kindern nachhaltig die Werte von Demokratie und Gleichberechtigung? Eine Gesellschaft kann nur die Werte an ihre Kinder weitergeben, zu denen sie selbst mehrheitlich steht. Das bedeutet: Wir Erwachsenen müssen vorleben, was wir vermitteln wollen. Das Beste, was wir für junge Menschen tun können, ist, unsere eigene Haltung zu Demokratie und Menschenrechten zu stärken, uns aktiv gegen Ungleichwertigkeitsdenken, Antisemitismus, Homophobie und Klassismus einzusetzen und eine Gesellschaft zu gestalten, in der demokratische Werte gelebt werden – nicht nur in der Schule, sondern überall. Denn nur dann haben unsere Kinder eine Chance, diese Werte wirklich zu verinnerlichen. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Caroline Hartmann für Deutscher Bildungsserver. ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

EIN GESPRÄCH ÜBER RASSISMUSKRITISCHE BILDUNG Die Leiterin des Hessischen Kompetenzzentrums Rassismus und Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft, Muniba Kalohn, berichtet wie jüdisch-muslimische Begegnungen und Bündnisse gegen Diskriminierung an der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt umgesetzt und Wissen zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus vermittelt wird. In dieser Podcast-Episode spricht Christine Schumann mit Muniba Kalohn von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt darüber, was Demokratiebildung und Religion mit einander zu tun haben. Die Erziehungswissenschaftlerin plädiert dafür, religiöse Vielfalt als demokratische Ressourcen zu sehen anstatt als Bedrohung wahrnehmen – und kritisch zu reflektieren, wie beides miteinander verflochten ist. Für sie muss politische Bildung Räume schaffen, in denen Menschen über Glauben, Werte und Demokratie diskutieren können, ohne dass Vorurteile entstehen und Machtverhältnisse den Diskurs dominieren. Wie das mit den Projekten und Aktivitäten der Bildungsstätte Anne Frank gelingt, erklärt sie hier. ZUM INTERVIEW MIT MUNIBA KAHLON ---------------------------------------- LESEFASSUNG Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann. Ich freue mich sehr, heute Muniba Kalohn von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt zu Gast zu haben. Mit ihr möchte ich über Demokratie oder Demokratiebildung und Religion sprechen. Frau Kalohn ist Leiterin des Hessischen Kompetenzzentrums Rassismus und Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft, das jüdisch-muslimische Begegnungen und Bündnisse gegen Diskriminierung fördert und Wissen zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus vermittelt. Aber am besten stellen Sie sich und Ihre Arbeit selbst vor, Frau Kahlon.Stempel transparent zur Aktionswoche Deutscher Bildungsserver "Demokratiebildung für gesellschaftlichen ZUsammenarbeit" [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/03/Stempel-transparent-deutsch-300x300.png] Muniba Kalohn: Hallo und guten Tag. Vielen Dank für die Einladung zu diesem interessanten Gespräch, liebe Frau Schumann. Wie Sie bereits erwähnt haben, mein Name ist Muniba Kalohn. Ich bin Bildungsreferentin seit 2019 bei der Bildungsstätte Anne Frank und leite seit mehreren Jahren verschiedene Projekte, unter anderem das Hessische Kompetenzzentrum Antisemitismus und Rassismus in der Migrationsgesellschaft, das gefördert ist vom Hessischen Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales. Allerdings muss ich hier noch mal erwähnen, dass es ursprünglich von der Planung her ein hessisches Kompetenzzentrum werden soll. Aber leider, wie das nun mal zur Zeit ist, mit den finanziellen Mitteln stehen wir immer noch auf dem Weg zur Vorbereitung und sind dann nicht wirklich weitergekommen. Das bedeutet konkret in diesem Fall, dass wir dann immer so etwa sechs bis acht Monatsabschnitte finanziert bekommen, um verschiedene Maßnahmen umzusetzen. Des Weiteren leite ich noch zwei weitere Projekte. Einmal das Projekt „Frankfurter Schulen schauen hin“ und das Projekt „(K)Eine Glaubensfrage“. Das sind beides Projekte, die sich eher auf das schulische Gebiet fokussieren. Zurück zum Hessischen Kompetenzzentrum Antisemitismus und Rassismus in der Migrationsgesellschaft. Dieses Projekt hat leider momentan immer einen sechsmonatigen Turnus und im Vordergrund stehen thematisch da tatsächlich der jüdisch-muslimische Dialog. Und bislang war das so, dass wir wegen dieser kurzen Finanzierungszeit uns dafür entschieden haben, dass wir eher offene Formate anbieten. WAS VERSTEHEN SIE DENN UNTER OFFENEN FORMATEN? Muniba Kalohn: Normalerweise ist es ja so, dass wir als Bildungseinrichtung unsere Zielgruppen so ein bisschen vorgegeben bekommen, wie schon bereits erwähnt. So zum Beispiel das Projekt „(K)eine Glaubensfrage“ und „Frankfurter Schulen schauen hin“. Das ist eher im schulischen Kontext. Da habe ich einmal die Zielgruppe pädagogisches Fachpersonal an Schulen oder dann halt eben Lehrkräfte. Und in dem Fall in dem Projekt Hessisches Kompetenzzentrum ist es wiederum so, dass wir das für die breite Öffentlichkeit geöffnet haben. Das heißt, auch interessierte Menschen, die nichts mit Rassismuskritik in dem Sinne zu tun haben, außer dass sie sich quasi selbst dafür engagieren, dass wir da Formate anbieten, an denen jedermann quasi teilnehmen kann. Das sind keine klassischen Fortbildungen oder Workshops. Das sind tatsächlich eher Fach- und Abendveranstaltungen. Abendveranstaltungen in dem Sinne, wir hatten zum Beispiel letztes Jahr im Rahmen der Jährung des 7. Oktobers und dem Krieg in Gaza, Teamtage auf die Beine gestellt für verschiedene Zielgruppen und unter anderem dann halt an einem Mittwoch für die breite Masse eher, wo wir die Abschlussveranstaltung „Sparkle of Hope“ [https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/projekte/hessisches-kompetenzzentrum-rassismus-und-antisemitismus-in-der-migrationsgesellschaft] unter diesem Projekt durchgeführt haben. Und bei der Abendveranstaltung haben wir uns dafür entschieden, dass wir ein gemeinsames Dinner haben und verschiedene Stimmen aus Hessen und auch Deutschland zusammenbringen, an einem Tisch bringen quasi, indem wir uns austauschen, wie der Umgang mit dem 7. Oktober hier für uns als Gesellschaft war und ist und haben unter anderem auch Sporttrainerinnen vom Makkabi-Verein eingeladen. Die Location, wo wir diese Abendveranstaltung haben, gehört den Ardinast-Brüdern. Das sind zwei jüdische Frankfurter, die ein Restaurant in dem Bahnhofsviertel haben namens Bar Shuka und quasi sehr viele auch muslimisch-arabische Angestellte haben und quasi durch ihr Zusammenleben, durch ihre Zusammenarbeit auch quasi für das Stehen, dass wir auch gemeinsam hier etwas leisten können und es nicht immer ein Gegeneinander ist. Wir hatten ja auch noch eine kleine Comedy-Einlage von einem chalessinensischen Comedian namens Abdul Kader Chahin und Sinn dieses Abendprogramms war es tatsächlich, dass wir zwischen den Essensgängen quasi dann noch mal Zeit den Leuten, die zu dieser Veranstaltung gekommen sind, die zu diesem Dinner gekommen sind, geben, um miteinander ins Gespräch zu kommen. INTERESSANTE LINKS ZU RASSISMUSKRITISCHER BILDUNG * Bildungsstätte Anne Frank * Hessisches Kompetenzzentrum „Rassismus und Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft“ [https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/projekte/hessisches-kompetenzzentrum-rassismus-und-antisemitismus-in-der-migrationsgesellschaft] * Projekt „(K)eine Glaubensfrage“ [https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/projekte/keine-glaubensfrage] * Projekt „Frankfurter Schulen schauen hin!“ [https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/projekte/frankfurter-schulen-schauen-hin] * Antisemitismusprävention an hessischen Schulen [https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/projekte/antisemi-was] * Deutscher Bildungsserver * Verknüpfungen. Ansätze für die antisemitismus- und rassismuskritische Bildung [https://www.bildungsserver.de/onlineressource.html?onlineressourcen_id=64667&mstn=1] * bpb-Förderprogramm „Antirassistische/rassismuskritische politische Bildung stärken“ [https://www.bildungsserver.de/innovationsportal/innovationsprojekt.html?innovationsprojekte_id=1778&mstn=2] * OER zu rassismuskritischer Bildung: Was offen sein sollte: Antisemitismus- und rassismuskritische Bildung & Praxis [https://open-educational-resources.de/was-offen-sein-sollte-antisemitismus-und-rassismuskritische-bildung-praxis/?mstn=3] * Radikalisierung Jugendlicher – Demokratiebildung in der Jugendarbeit [https://www.bildungsserver.de/sozialpaedagogik/demokratie-vielfalt-radikalisierung-extremismus-11306-de.html] OFFENE FORMATE WIE GEMEINSAME ABENDESSEN SCHAFFEN RÄUME FÜR EINEN INTERKULTURELLEN AUSTAUSCH ZWISCHEN MENSCHEN VERSCHIEDENER RELIGIONEN, KULTUREN UND HERKUNFT. DA HÄTTE ICH GLEICH MAL EINE FRAGE: WIE VIELE LEUTE KOMMEN ZU SO EINEM OFFENEN FORMAT, IN DEM FALL ZU SO EINEM DINNER UND WIE SETZEN DIE SICH ZUSAMMEN? Muniba Kalohn: Tatsächlich war das so gewesen, dass wir das über unsere Social-Media-Kanäle beworben haben und die Leute sich selbstständig dafür angemeldet haben. Wir mussten auch einen kleinen Unkostenbeitrag erheben, der über PayPal gezahlt wurde und hatten das eigentlich auf 100 Personen begrenzt und tatsächlich lagen wir aber am Ende des Tages oder an dem Abend bei 120 Personen, weil dann noch mal Leute an die Tür aufgetaucht sind und meinten, das ist ein total interessantes Format. Wir würden sehr, sehr gerne daran teilnehmen und da standen einige noch in der Warteschlange in der Hoffnung, dass jemand nicht kommt und das war dann auch der Fall. Der eine oder andere kam dann halt nicht, aber nichtsdestotrotz mussten wir dann manche Personen auch an der Tür leider, leider abweisen. Das Format kam sehr, sehr gut an und das waren Menschen aus den unterschiedlichsten Gebieten. Die waren noch nicht mal jetzt groß in der Bildungsarbeit tätig oder so. Das waren einfach interessierte Menschen, die der 7. Oktober privat auch interessiert und auch getroffen hat und die sich einbringen wollten in diese Abendveranstaltung. Also ich kann Ihnen nicht sagen, dass aus der und der Zielgruppe irgendwie aus der Hochschule mehr Menschen kamen oder irgendwie aus den Ämtern mehr Menschen kamen, sondern es war wirklich bunt gemischt. AUCH WAS DIE ALTERSSTRUKTUR, SAGE ICH MAL, UND DEN KULTURELLEN HINTERGRUND ANGEHT? Muniba Kalohn: Absolut, ja. Gerade bei der Altersstruktur waren wir sehr überrascht, weil wir wirklich von jung bis alt alles dabei hatten und so divers, wie es bei dieser Abendveranstaltung war, hatten wir es kaum. Entweder tauchen sehr, sehr junge Menschen auf, aber ältere Menschen sind ja nicht wirklich für solche Formate zu haben und wir waren total überrascht, wie durchmischt das eigentlich ist. Und das Interessante war halt einfach auch und sehr befriedigend auch zu beobachten an dem Abend war tatsächlich, wie Menschen, fremde Menschen, die sich vorher noch nie im Leben begegnet sind, ins Gespräch kamen und es war nicht nur an den Tischen der Fall gewesen, weil wir hatten ja keine Sitzordnung oder ähnliches. Die Leute haben sich einfach hingesetzt, kamen irgendwie zu zweit oder zu dritt und dann waren ja längere Reihen und die kamen ins Gespräch und dann ging es sogar so weit, dass dann Leute irgendwie zwischendurch mal vielleicht eine Zigarette rauchen waren und draußen gestanden haben und da auch noch mal ins Gespräch gekommen sind, sodass sie dann abends dann auch Kontakte ausgetauscht haben und vielleicht hoffentlich noch heute im Diskurs sind. JA, DAS KLINGT WIRKLICH NACH EINEM GESELLIGEN UND AUSGESPROCHEN AUCH NETTEN ABEND. ES SCHEINT EIN FORMAT ZU SEIN, DAS SICH LOHNT NOCH MAL ANZUBIETEN ODER ZU WIEDERHOLEN. Muniba Kalohn: Absolut. Das haben wir auch tatsächlich, Frau Schumann, das würde ich auch noch mal ganz kurz erzählen. Wir haben dann auch später eine Bürgerrechtsorganisation aus Israel hier gehabt, Personen von denen, die sich zufällig nach Deutschland begeben haben für andere Formate und dann hat das super gepasst, dass wir ein weiteres Format unter diesem Projekt angeboten haben, „Building Bridges“ [https://integrationskompass.hessen.de/integration/integrationsvertraege/building-bridges], und da ging es auch vornehmlich um Dialoge. Wir haben zusätzlich hier hessische Vertreterinnen eingeladen, unter anderem „Sei ein Mensch“ [https://www.sei-ein-mensch.de/]. Das sind die zwei Aktivistinnen, die immer mittwochs friedlich hier zur Demo aufrufen und sich am Rathausplatz auch treffen in Offenbach. Die findet man auch in den Medien. Das ist die Rechtsanwaltin Elishewa Patterson und der muslimische Imam Khaled El Sayed. Die haben wir unter anderem eingeladen. Auch die Staatssekretärin von dem hessischen Ministerium kam, um dann noch mal über die Wichtigkeit solcher Formate zu sprechen. Und es war auch ein tolles Format. Das haben wir auch wiederum so ausgerichtet, dass es in einer Location hier in Frankfurt war, die man vorher eigentlich anders wahrgenommen hat. Wir haben sie ein bisschen umfunktioniert und haben das dann auch noch mal so ein bisschen mit Essen verbunden. ESSEN IST IMMER GUT. Muniba Kalohn: Das ist immer gut, genau. Das ist halt auch das Ziel dieses Projektes, Dialoge zu fördern. THEMA UNSERES PODCASTS HEUTE IST DEMOKRATIE, BILDUNG UND RELIGION. WAS HAT DAS MITEINANDER ZU TUN? GERADE BEI JÜDISCH-MUSLIMISCHEN DIALOGEN, ANGESICHTS DIESER KATASTROPHALEN SITUATION IN ISRAEL BZW. IM GAZASTREIFEN, MUSS MAN SICH DAS JA AUCH NOCH MAL FRAGEN, WAS DAS AUCH FÜR DEUTSCHLAND BEDEUTET. WENN MAN AN DIE UNIVERSITÄTEN DENKT, WO DANN PLÖTZLICH IRGENDWELCHE SPRÜCHE SKANDIERT WERDEN UND MAN SICH FRAGT, IST DAS EIN BISSCHEN GESCHICHTSVERGESSEN. ANDERERSEITS SIEHT MAN DIE SITUATION IN GAZA UND STEHT FASSUNGSLOS DAVOR. WIE NEHMEN SIE DIESE KONFLIKTE HIER IN DEUTSCHLAND WAHR? UND WÜRDEN SIE SAGEN, DEMOKRATIE, BILDUNG HAT WAS MIT RELIGION ZU TUN UND WENN JA, WAS? Muniba Kalohn: Aus der Perspektive einer Bildungsreferentin für politische Bildung ist es so, dass in der Rassismuskritik Demokratie und Religion eher auf mehreren Ebenen miteinander verknüpft sind. Das kann man nicht nur an einer Ebene festmachen. Einerseits geht es um Grundrechte und Pluralismus. Demokratie basiert eben auf Grundrechten wie Meinungs- und Religionsfreiheit. Und diese garantieren zu können, dass Menschen ihre Religion frei ausüben können und trotzdem, dass der Staat und die Religion getrennt bleiben. In der rassismuskritischen Bildung, in unserem Fall, bedeutet es, dass religiöse Vielfalt als demokratische Ressourcen darzustellen ist, anstatt sie eher als Bedrohung darzustellen, wie das leider durch viele Medien in den letzten Jahren und insbesondere nach dem 7. Oktober wiederholt passiert. DEMOKRATIE UND RELIGION SIND AUF MEHREREN EBENEN VERKNÜPFT. RELIGIÖSE VIEFALT ALS DEMOKRATISCHE RESSOURCE ANSEHEN, NICHT ALS BEDROHUNG. Es geht darum, dass wir aber auch Inklusion und Diskriminierung einander gegenüberstellen. Religiöse Gruppen, insbesondere die sich als anders wahrgenommen fühlen, sprich Muslime oder jüdische Gemeinschaften, erleben in der Demokratie oft Diskriminierung. Und in der rassismuskritischen Bildung geht es darum, dass man hinterfragt, wie diese strukturellen und institutionellen Mechanismen bestimmte Religionen marginalisieren und wie man eine demokratische Praxis fördert, indem man alle miteinbezieht. Außerdem geht es auch darum, dass wir die Demokratie als Aushandlungsprozess ansehen. Das heißt, Religion kann sowohl demokratische Werte fördern, als auch Spannung erzeugen. Das ist einfach so. Politische Bildung sollte eher Räume schaffen, in denen Menschen über Glauben, Werte und Demokratie diskutieren können, ohne dass Vorurteile entstehen und Machtverhältnisse den Diskurs dominieren. Außerdem geht es darum, dass man tatsächlich die Religion, die zurzeit eher als Mobilisierungsfaktor genutzt wird, eher darauf hinweist, dass es eher kontraproduktiv ist für das Miteinander hier in Deutschland. Letztendlich würde ich nochmal unterstreichen, dass Demokratie und Religion eher nicht als Gegensätze zu betrachten sind, sondern es geht eher darum, Dinge kritisch zu reflektieren, wie beide eigentlich auch miteinander verflochten sind und wie wir es schaffen, Barrieren abzubauen, damit wirklich ein inklusiver Diskurs entstehen kann. UM ES NOCHMAL EIN BISSCHEN KONKRETER ZU MACHEN. IN WELCHER FORM BEGEGNET IHNEN, ALSO IN IHRER ARBEIT IM HESSISCHEN KOMPETENZZENTRUM RASSISMUS UND ANTISEMITISMUS IN DER MIGRATIONSGESELLSCHAFT DISKRIMINIERUNG? UND WIE GEHEN SIE DANN DAMIT UM? UND SIND SIE PERSÖNLICH ALS MUSLIMA UND POLITISCHE BILDNERIN AUCH VON DISKRIMINIERUNG BETROFFEN? Muniba Kalohn: Ja, tatsächlich lädt das ja auch ein. Also das äußere Bild natürlich, gerade wenn ich als muslimische Bildungsreferentin mit Kopftuch für die Fortbildung auftauche, wirft es dann halt auch schon gewisse Bilder auf und natürlich auch eine gewisse Haltung, das ist klar. Aber mir geht es tatsächlich eher darum, mich als Person eher quasi wegzuhalten. Das bedeutet, dass ich tatsächlich in meinen Workshops versuche, mit Beispielen zu arbeiten, Beispiele aus dem Alltag zu nehmen, die auch unter anderem Alltagsrassismus inkludieren oder Mikroaggressionen. Dann geht es darum, Szenarien darzustellen. Das passiert auch schon tatsächlich immer bei der ersten Einstiegsübung, dass wir quasi uns bewusst für Thesen, Situationen entscheiden, um dann quasi einen umgekehrten Blick auf Situationen zu werfen. Teilnehmende sollen dann in der Lage sein, sich quasi in diese Situation zu versetzen, um dann nochmal zu schauen, ob gewisse Situationen eben diskriminierend sind oder eben nicht. Als Beispiel kann ich einfach sagen, dass wir dann vielleicht Beispiele oder Szenarien einbringen, wie dass muslimische Frauenkopftuch weniger zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden oder eher benachteiligt werden. MIT INTERAKTIVEN METHODEN WIE PERSPEKTIVWECHSELÜBUNGEN WIRD ALLTAGSRASSISMUS SZENISCH DARGESTELLT, UM EINEN UMGEKEHRTEN BLICK AUF DIE SITUATION ZU WERFEN. Oder dass es dann halt an Schulen für muslimisch gelesene Schülerinnen eher weniger die gymnasiale Bildungsempfehlung gibt, obwohl sie die gleichen Leistungen einbringen wie andere Schülerinnen. Es gibt aber auch Situationen, dass meine Expertise zum Beispiel infrage gestellt wird während Seminaren oder Workshops. Meistens sind das so Fragen wie, ganz banal, wie stehst du als muslimische Frau eigentlich zur Gleichberechtigung, als wäre mein Geschlecht oder meine Religion an sich ein Widerspruch. Und da setze ich eher darauf, dass rassismuskritische Reflexionen in meinen Workshops stattfinden. Das passiert meistens, wie gesagt, durch interaktive Methoden wie Perspektivwechselübungen oder das eben Arbeiten mit realen Diskriminierungsfällen. Dazu führen, dass auch Mikroaggression und Makroaggression aufgedeckt werden und auch Machtverhältnisse klarer für Menschen, privilegierte Menschen dargestellt werden, die eben nicht von Diskriminierung betroffen sind. Es geht aber auch darum, dass in Diskussionsrunden mit Akteurinnen Muslime pauschal unterstellt wird, eben nicht demokratiefähig zu sein oder problematische Werte zu vertreten. Und da versuche ich, Räume zu konzipieren für einen differenzierteren Dialog. Das heißt, es müssen auch muslimische Stimmen gehört werden, um Klischees irgendwie aus dieser Welt zu schaffen. DER FOKUS IHRER ARBEIT LIEGT JA AUF DEM JÜDISCH-MUSLIMISCHEN AUSTAUSCH. SIE HABEN DAS JA SCHON ERZÄHLT ANHAND DIESER OFFENEN FORMATE, WIE MAN SICH DAS VORSTELLEN MUSS. ABER SIE SAGEN EBEN AUCH, SIE GEHEN AUCH IN SCHULEN UND BIETEN DA WORKSHOPS AN, MACHEN INTERAKTIVE ÜBUNGEN. GEHEN SIE AUCH IN DEN BEREICH DER SOZIALARBEIT ODER HABEN WEITERBILDUNGSANGEBOTE FÜR LEHRKRÄFTE? ALSO WENN ICH JETZT EINE INTERESSIERTE LEHRERIN WÄRE, KÖNNTE ICH EINFACH ZU IHNEN KOMMEN UND SAGEN, BITTE, ICH HÄTTE GERN MAL EINEN WORKSHOP ODER EINEN GAST VON IHNEN IN MEINEM UNTERRICHT. Muniba Kalohn: Das aber nicht unter dem Format Hessisches Kompetenzzentrum, sondern tatsächlich durch unsere anderen Projekte. Ich hatte ja eingangs schon erzählt, dass ich auch die Projektleitung für das Projekt Frankfurter Schulen schon hin inne habe. Das ist ein Projekt für pädagogisches Fachpersonal an Schulen. Mittlerweile sagt man nicht mehr so gerne Schulsozialarbeiterinnen. Das habe ich auch im Laufe der Jahre dann gelernt. Die nennen sich lieber pädagogisches Fachpersonal an Schulen. Die arbeiten ja an Schulen auch in der Jugendhilfe oder in der Ganztagsbetreuung. Und dieses Projekt ist zum Beispiel vom Frankfurter Stadtschulamt gefördert. Je nach Bedarf bieten wir da Fortbildungen an. Da kommen geschlossene Gruppen zu uns. Meistens dann schon, wenn was passiert ist, sprich das und das ist passiert oder dieses und dieses Problem haben wir in unserer Schule. Hätten Sie Zeit, hätten Sie die Kapazität, uns dann eine Fortbildung zum Thema XY zu geben. IN DER LEHRKRÄFTE-FORTBILDUNG GIBT ES KEINE VERPFLICHTENDEN MODULE ODER SENSIBILISIERUNGSWORKSHOPS FÜR RASSISMUSKRITSCHE BILDUNG. Das Gleiche gilt auch für Lehrkräfte-Fortbildung. Dieses Projekt ist vom hessischen Kultusministerium gefördert. Es nennt sich „(K)Eine Glaubensfrage“. Ein weiteres Projekt haben wir auch vom hessischen Kultusministerium namens „Antisemitismusprävention an hessischen Schulen“ [https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/projekte/antisemi-was]. Und da sind wir vornehmlich mit Lehrkräften tätig. Und da ist es aber auch wiederum so, dass wir erst quasi gerufen werden, wenn schon etwas passiert ist. Wir haben festgestellt, dass es an Schulen tatsächlich auch Kompetenzen fehlt, weil eben im Studium, in der Ausbildung der Lehrkräfte oder dieser pädagogischen Fachpersonen Ausbildungsformate einfach fehlen. Es fehlt einfach. Sie können sich für das eine oder andere Seminar natürlich auch freiwillig anmelden, aber es gibt keine Sensibilisierungsworkshops in dem Sinne oder Module für Lehrkräfte oder Fachpersonen aus der Pädagogik, die auch irgendwie verpflichtend sind. Und das ist halt das, woran wir uns immer wieder stoßen. ZURECHT, WEIL ES IST JA SCHWIERIG. AUF DER EINEN SEITE WIRD DARÜBER GEKLAGT, ALSO WIE SCHWIERIG ES IST, EINGEWANDERTEN KINDERN ODER KINDERN, DIE KEINE DEUTSCHSPRACHIGEN ELTERN HABEN, WIE SCHWIERIG ES IST, DENEN DEUTSCH BEIZUBRINGEN ANGESICHTS EINER GROSSEN SPRACHLICHEN VIELFALT. UND DANN KOMMEN DIE LEHRERINNEN UND LEHRER AUS DEM REFERENDARIAT UND STEHEN PLÖTZLICH VOR DIESEN KLASSEN UND HABEN NICHT EINMAL EINE AHNUNG, WIE SIE DAMIT JETZT UMGEHEN SOLLEN. DA IST JEDER ÜBERFORDERT. Muniba Kalohn: Schade ist halt einfach nur, dass dadurch, dass die Finanzierung momentan fehlt, wir haben das ja jetzt auch am Wochenende aus Berlin erfahren, dass das Kompetenzzentrum für antisemitismuskritische Bildung und Forschung [https://zwst-kompetenzzentrum.de/], das konkret an Schulen arbeitet, zum Beispiel die komplette Finanzierung gestrichen wurde. Und es ist halt einfach ein bisschen erschreckend mitzubeobachten, dass so wichtige Thematiken aufgrund von vermeintlich fehlenden Geldern wegfallen oder weggestrichen werden oder auch wirklich nur begrenzt da sind. Das heißt, wir haben ein Projekt, was auf eine Laufzeit von eineinhalb Jahren für Schulen ausgelegt ist, vom Hessischen Kultusministerium finanziert, wo aber hessenweit nur acht Lehrkräftefortbildungen inkludiert sind und einiges an Jugendmaßnahmen. Aber trotzdem, wenn man das so irgendwie als Gesamtprogramm betrachtet, ist es zu wenig. DIE LAUFZEIT UND AUSSTATTUNG DER PROJEKTE ERMÖGLICHT ES NICHT, VERTIEFEND MIT SCHULEN ODER LEHRKRÄFTEN WEITERZUARBEITEN. Das heißt, wir sind gar nicht in der Lage, irgendwie vertiefend mit einzelnen Schulen oder Lehrkräften weiterzuarbeiten, weil uns da die finanziellen Mittel fehlen, aber den Schulen genauso. Motiviert sind viele, viele Lehrkräfte oder auch das Personal allgemein an Schulen, aber es fehlt halt einfach auch an finanziellen Mitteln und das ist dann halt das, woran wir uns schulden. Aber nichtsdestotrotz versuchen wir uns hier das Beste zu leisten und für Lehrkräfte, die auch wirklich engagiert sind, irgendwie da zu sein. ICH HATTE MIR NOCH EINE FRAGE NOTIERT. ICH BIN MIR NICHT SICHER, OB DIE SINNVOLL IST AN DER STELLE. ICH MÖCHTE SIE TROTZDEM MAL STELLEN. OB WISSENSVERMITTLUNG ZU ANTISEMITISMUS UND ANTIMUSLIMISCHEM RASSISMUS AUCH BEDEUTET, KENNTNISSE ZU RELIGION UND KULTUR ZU ERWERBEN UND WIE SIE DAS MACHEN? SIE SAGTEN VORHER IN DER POLITISCHEN BILDUNG WERDEN RÄUME ERÖFFNET, UM DARÜBER ZU SPRECHEN, ABER WIE SEHEN SIE DAS? Muniba Kalohn: Das ist eine tolle Frage, Frau Schumann, wirklich. Also hier zu diesem Thema in meiner Arbeit als Bildungsreferentin in der politischen Bildung setze ich bei der Vermittlung von Wissen zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus bewusst nicht den Fokus auf religiöse oder kulturelle Aspekte. Der Grund dafür ist einfach, eine zu starke Betonung von Religion, das würde zu einer gewissen Exotisierung führen, die wir ja eben gerade vermeiden wollen. Es würde aber auch zur Reproduktion von Othering zum Beispiel führen, also die anderen und wir. Stattdessen verfolge ich in diesem rassismuskritischen Ansatz eher die Diskriminierungsmechanismen in diesem Fall im Vordergrund zu stellen. Was heißt das jetzt aber konkret? Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus sind keine religiösen Konflikte in dem Sinne, sondern Ausdruck von struktureller Diskriminierung. Ich versuche eher zu vermitteln, dass es sich um gesellschaftliche Konstruktion handelt, die historisch gewachsen sind im Laufe der Jahre, die man auch sehr gut verfolgen kann, wenn man sich verschiedene Statistiken ansieht und politische und soziale Funktionen in dem Moment auch irgendwo erfüllt. Mit Benachteiligung und eben keine Benachteiligung, privilegiertere Haltung oder eher benachteiligte Haltung, je nachdem. Die religiöse Zugehörigkeit ist eben nicht der Grund für Diskriminierung. Vielmehr sind es Menschen, die aufgrund von zugeschriebenen Merkmalen ausgeblendet werden, unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht. Das ist im schulischen Kontext immer wieder interessant. Leider hebe ich das jetzt immer wieder hervor, weil ich jahrelang schon im pädagogischen Bereich tätig bin. Es ist auch so interessant, wenn Lehrkräfte anrufen und dann auch sagen, wir haben ein Problem, weil die muslimischen Schülerinnen und Schüler dies und jenes, so geht es dann weiter. Und es fängt dann schon an, diese Homogenisierung quasi als eine Gruppe vereinheitlichen zu können, die muslimischen Schülerinnen und Schüler, die dann halt Probleme bereiten. Und genau da geht es bei meiner Arbeit darum, diese Missstände quasi aufzuweisen. UND DAS GELINGT? Muniba Kalohn: Ja, mit interaktiven Formaten definitiv. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die sich von nichts beeindrucken lassen. Das sollte einen nicht entmutigen. Es geht nämlich auch darum, dass man wirklich klarstellen muss, also es ist den meisten Menschen auch bewusst, aber es gibt nicht den Islam und das Judentum, sondern wir leben in einer Gesellschaft mit einer vielfältigen und individuellen Lebensrealität. Und wenn man das dann so quasi ausspricht, macht es dann meistens nochmal Klick, obwohl man das ja weiß. Es ist trotzdem so, dass man bei den Fortbildungen, wenn man das dann sagt, diesen gewissen Aha-Effekt einfach nochmal hat. Das ist immer wieder sehr, sehr interessant zu beobachten. UM HERAUSZUARBEITEN, WELCHE NARRATIVE IN DER GESELLSCHAFT IM HINBLICK AUF BESTEIMMTE GRUPPEN DOMINIEREN, SIND MEDIEN- UND DISKURSANALYSEN IN DEN FORTBILDUNGEN SEHR WICHTIG. Und was mir immer wieder wichtig ist, dass wir tatsächlich auch bei diesen Fortbildungen auch Medien- und Diskursanalysen führen. Warum ist das so wichtig? In den Medien werden oft jüdische und muslimische Menschen in der Öffentlichkeit eher, ja vielleicht auch negativ, also gerade muslimische Menschen werden in der Öffentlichkeit, in den Medien eher negativ dargestellt. Und ich versuche dann gemeinsam mit den Teilnehmenden zu erarbeiten, welche Narrative eigentlich dominieren in der Gesellschaft und warum. Und da geht es darum, das anstatt religiöse Inhalte zu thematisieren, analysieren wir lieber mit Teilnehmenden gesellschaftliche Gegebenheiten, die dann quasi die anderen in Anführungszeichen konstruieren, um sich selbst Privilegien zu sichern oder halt eben Ängste zu schwören, wie wir das in den letzten Wochen leider auch durch die vermehrten Attentate auch vernehmen konnten. Als letzten Punkt ist mir halt auch manchmal sehr, sehr wichtig, je nachdem in welchem Format wir uns befinden, dass wir Perspektiven von Betroffenen auch einbinden, von Betroffenen von Diskriminierung und das geht meistens durch Erfahrungsberichte oder Perspektivwechselübungen auch. Also dass wir dann halt auch konkret verdeutlichen, wie sich Menschen, die durch Antisemitismus oder antimuslimischen Rassismus betroffen sind, fühlen, unabhängig davon, ob die betroffene Person in dem Moment religiös ist oder nicht. Und tatsächlich geht es aber auch darum, gewisse Ansätze an Empowerment auch darzustellen. Es geht einfach nur, wenn man Betroffene eher mit in den Mittelpunkt stellt, statt nur über sie zu sprechen. DA IST WAS DRAN. ANGESICHTS DER ZEIT, WIR HABEN NICHT MEHR SO VIEL ZEIT. DA VERQUATSCHT MAN SICH IMMER SEHR, SEHR GERNE. UND ICH WOLLTE GERNE NOCH MEINE ABSCHLUSSFRAGE STELLEN, WEIL DAS BESTIMMT AUCH NOCH MAL INTERESSANT IST. DIE IST ZUGEGEBENERMASSEN GROSS. WORAN MANGELT ES IN DER GESELLSCHAFT IHRER ERFAHRUNGEN NACH ODER WAS WÜRDEN SIE SICH WÜNSCHEN? Muniba Kalohn: Darüber kann man tatsächlich noch weitere 20 Minuten sprechen, Frau Schumann, aber ich hatte das ja eingangs schon erwähnt, dass es wirklich sehr, sehr schade ist, dass aufgrund von finanziellen Mitteln viele Dinge wegbrechen. Das ist auf jeden Fall das, was ich mir von der Politik konkret oder auch von der Öffentlichkeit, von der Gesellschaft auch wünsche, dass diese Wichtigkeit von solchen Formaten noch mal unterstrichen wird, indem man immer wieder danach fragt. Und tatsächlich wünsche ich mir auch auf jeden Fall weiterhin einen offeneren Diskurs auch untereinander. Und das geht einfach nur darum, wenn man tatsächlich an einen Tisch kommt. Ich finde es immer wieder toll, auch für das Hessische Kompetenzzentrum tätig zu sein, weil das eben so ein Format ist, was immer wieder Hoffnung in mir hervorruft. Aber leider sind das nur sehr, sehr begrenzte Maßnahmen, die wir hier treffen können. Ich wünsche mir einfach nur, dass Menschen, die sich weiterhin für eine disziplinierungsfreie Gesellschaft einsetzen, gehört werden und an Dominanz finden. Und wir treffen uns ja heute tatsächlich einen Tag nach der Wahl. Wahlprognosen hin oder her, ich habe es jetzt auch schon eben heute mit Kolleginnen besprochen, ja, die Wahlprognosen sind eigentlich ja sehr gut mittlerweile. Und wir wussten das auch und wir waren auch mental darauf vorbereitet, aber es dann doch noch mal umgesetzt zu sehen, wie die Wahlergebnisse letztlich ausgefallen sind, ist wirklich traurig. Aber nichtsdestotrotz sollten wir uns nicht demotivieren lassen. Und ich hoffe einfach nur, weiterhin Menschen zu finden, die eine gewisse Art von Fellowship mit uns bilden und wir dann Positiveres in der Gesellschaft bewirken können. JA, DA BIN ICH VOLLKOMMEN BEI IHNEN. Wir bleiben stark und stemmen uns dem Ganzen entgegen. Herzlichen Dank, Frau Schumann. WUNDERBAR. ICH DANKE IHNEN, FRAU KAHLON. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal
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