
Bildung auf die Ohren
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INTERVIEW MIT PROF. DR. MICHAEL DOH VON DER KATHOLISCHEN HOCHSCHULE FREIBURG Michael Doh ist Professor für Digitale Transformation im Sozial- und Gesundheitswesen [https://www.kh-freiburg.de/de/hochschule/profil/personen/doh-michael] an der Katholischen Hochschule Freiburg. Er leitet das Verbundprojekt „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“ an dem neben der Katholischen Hochschule Freiburg [https://www.kh-freiburg.de/de] das Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Ulm [https://www.uni-ulm.de/einrichtungen/zawiw/], die Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest [https://www.mkfs.de/], Ludwigshafen und die Evangelische Heimstiftung GmbH Stuttgart [https://www.ev-heimstiftung.de/] beteiligt sind. In diesem Podcast-Interview berichtet Doh davon, wie die Projekt-Erkenntnisse die Arbeit mit digitalen Medien im Betreuten Wohnen oder in Pflegewohnheimen unterstützen und verbessern können. ZUM INTERVIEW MIT MICHAEL DOH (21:50 min) ---------------------------------------- LESEFASSUNG Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann. Heute ist Michael Doh, Professor für digitale Transformation im Sozial- und Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Freiburg, zu Gast in unserer Podcast-Reihe Bildungsforschung für die Bildungspraxis. Michael Doh koordiniert ein Projekt, in dem Bildungsangebote zur sozialen und digitalen Teilhabe älterer Menschen im betreuten Wohnen und in der Pflege untersucht und entwickelt werden. Konkret geht es dabei um Fragen, wie man digitale Bildung und Teilhabe dieser Senioren fördern kann, wie sich ehrenamtliche Begleitangebote für Internetneulinge im hohen Alter entwickeln lassen und welche Möglichkeiten es für digitale Angebote für Personen mit Pflegebedarf gibt. Ein recht komplexes Vorhaben also, an dem insgesamt vier Projektpartner mit mehreren Forschungsschwerpunkten gearbeitet haben und das im August 2025 endet. Wie die Forschung im Einzelnen ausgesehen hat und wie die gewonnenen Erkenntnisse die Arbeit mit digitalen Medien in Pflegewohnheimen oder Seniorentreffs unterstützen und verbessern können, erklärt uns Professor Michael Doh am besten selbst. Schön, dass Sie da sind, Herr Doh. Mögen Sie sich und Ihr Projekt unseren Hörerinnen und Hörern kurz vorstellen? Michael Doh: Ja, guten Morgen, Frau Schumann. Sie haben eigentlich schon vollumfänglich alles berichtet. Ich kann eigentlich jetzt auf der abstrakten Ebene gar nichts mehr dem hinzufügen, vielleicht aus der Praxis berichten oder Interna kundgeben. Da können Sie vielleicht einfach die nächste Frage dazu stellen. VIELLEICHT KÖNNEN SIE DAS PROJEKT DOCH NOCH MAL KURZ BESCHREIBEN, VOR ALLEM AUCH IM HINBLICK AUF DIESE DREI FORSCHUNGSANSÄTZE, DIE SIE BEDIENEN: MEDIENGERONTOLOGISCHE FORSCHUNG, BILDUNGSBIOGRAFIE UND SOZIALRAUMFORSCHUNG UND FORSCHUNG ZU PARTIZIPATION UND PRAXIS. DAS SIND RECHT ABSTRAKTE BEGRIFFE, DIE MAN VIELLEICHT EIN BISSCHEN MIT LEBEN FÜLLEN KÖNNTE. UND DIE FRAGE, DIE ICH DAMIT VERBINDE, IST, WAS TRAGEN GERADE DIESE DREI ANSÄTZE DAZU BEI, ERKENNTNISSE IN DER PRAXIS SELBST UMZUSETZEN? Michael Doh: Okay, also das ist jetzt schon eine große Frage. Fangen wir mal vorne an. mediengerontologische Bezugspunkte – das ist vor allem mein eigener Forschungsschwerpunkt, weil ich aus der quantitativen mediengerontologischen Forschung komme und seit Jahrzehnten auch Grundlagenforschung mache zur Digitalität im Alter, also: Wie nutzen ältere Menschen digitale Medien oder auch analoge klassische Medien? Wie stehen die in Bezug zueinander? Welche Einstellungen haben sie dazu? Welche Motive, welche Ängste und Verunsicherung? Welche Kompetenzen bringen sie mit? Welche Selbstwirksamkeitserwartung bringen sie mit? Und das in Bezug setzen zu psychologischen, gerontologischen Konstrukten wie Gesundheitsparameter oder auch soziale Eingebundenheit – das Gefühl von Ausgrenzung, Obsoleszenz ist da der Fachbegriff. Das ist eigentlich alles, was zu dieser mediengerontologischen Forschung zählt. DAS PROJEKT DIBIWOHN * Das Verbundprojekt „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“ [https://dibiwohn.org/] * Die fünf Forschungsschwerpunkte [https://dibiwohn.org/?Projekt] * Technikbegleitung u.a. mit Handreichungen für Einrichtungen, Methodenkoffer und Erfahrungsberichten [https://dibiwohn.org/?Technikbegleitung] * Veranstaltungen zum Projekt „Digitale Bildungsprozesse für ältere Menschen in seniorenspezifischen Wohnformen der institutionalisierten Altenhilfe“ [https://dibiwohn.org/?Veranstaltungen/Transfer-Veranstaltungen] Und in unserem Projekt, einem Fünfjahresprojekt, hatten wir die einmalige Gelegenheit, zum einen das Ruhealter zu analysieren, das heißt Personen ab 80, 85 Jahren aufwärts, was eigentlich sehr selten erforscht wird, wenn es um Mediennutzung geht. Und zum anderen auch Personen, die in Einrichtungen leben, also in Institutionen leben, was noch seltener erforscht wird. Und dazu die Möglichkeit, das im Längsschnitt zu machen. Das ist auch forschungsmethodisch nahezu einmalig, dass wir die Chance haben zu untersuchen, wie sich Personen in diesem hohen Alterssegment entwickeln, wenn wir verschiedene Begleitangebote mit ihnen führen – das ist unser Part gewesen. Der zweite Part ist die Bildungsbiografieforschung und Sozialraumforschung, auch an der Katholischen Hochschule Freiburg angesiedelt. Da ging es vor allem darum, zu erfassen, wie die heutige Digitalität oder Offenheit oder Verwaltungsstrategien gegenüber neuen digitalen Techniken mit der Sozialisation mit der Bildungsbiografie zusammenhängen. Da haben wir wichtige Erkenntnisse gewinnen können, die auch jetzt für die Bildungspraxis hoch relevant wird. Wir können nicht mehr einfach Kurse anbieten oder traditionelle Bildungsangebote machen können, um Interesse für Smartphone oder Tablets zu wecken. Vielmehr müssen wir gezielt auch alltagsspezifische Angebote schaffen, damit die Menschen einen Bezug finden können zu ihren bisherigen Bildungsbiografien. Sozialraumforschung war noch ein interessanter Punkt: Da ging es darum, wie die soziale Eingebundenheit ist für diese Personen, die in Einrichtungen des betreuten Wohnens leben. Wie mobil sind sie in ihrem Quartier unterwegs? Im Laufe des Forschungsprojekts kam heraus, dass die Personen, die durch diese Begleitung internetaffin wurden, tatsächlich virtuelle Sozialräume entstanden sind. Dass wir dann auch feststellen können, es gibt keine Altersgrenze. Warum nicht auch die Sozialräume sich ändern und wandeln und erweitert werden durch digitale Angebote? Das war der zweite Part. Der dritte Part ist eigentlich unser Herzstück, das am praxisrelevantesten ist und in dem gleich drei Praxispartner involviert sind. Da geht es tatsächlich um Partizipationsforschung mit den Zielgruppen; sprich mit den Personen im sogenannten vierten Alter, also das hohe Alter, und um Ehrenamtspersonen, die auch schon im dritten Alter, aber auch teilweise schon älter sind – also 60, 70, teilweise 80 Jahre, mit denen wir gemeinsam Angebote in diesen Einrichtungen entwickelt haben. Wir haben angefangen mit der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg als Altenhilfeträger, die uns so eine Einrichtung zur Verfügung stellen konnte, in der wir Angebote entwickeln und auch austesten konnten. Ein zweites wichtiges Bundesland war Rheinland-Pfalz, bei dem wir mit verschiedenen Trägerschaften kooperieren konnten. WIE SIND SIE DENN AUF DIE IDEE GEKOMMEN, SO EIN PROJEKT ZU MACHEN, SO EIN KOMPLEXES ÜBER FÜNF JAHRE? WAREN DAS RÜCKMELDUNGEN AUS DER PRAXIS, ALSO AUS DEN AUSPFLEGEHEIMEN ODER SENIORENTREFFEN, DIE SAGEN, WIE FANGEN WIR DAS JETZT AM BESTEN AN? HABEN SIE DA TIPPS? WIE KOMMT MAN ZU DIESER FORSCHUNGSTRAGE? Michael Doh: Da kann ich jetzt ein paar Sätze zu mir selbst sagen. Ich bin von Haus aus Bildungswissenschaftler und Gerontologe, habe in Gerontologie promoviert an der Uni Heidelberg und habe seit bestimmt – um Gottes Willen, 20 vielleicht sogar 30 Jahre – das Thema digitale Bildung im Alter als Schwerpunkt; das heißt, ich bin auch nicht mehr ganz der Jüngste! Schon seit den 90er Jahren ging es darum, wie ältere Menschen neben den klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Zeitung auf dem Computer nutzen. Dann kamen das Internet und dann die sozialen Medien auf. Dann kam Smart Home als Thema auf und jetzt die KI. Es war also schon immer ein anwendungsbezogenes Forschungsthema: Wie kann man Sozialräume, Bildungsangebote, Begleitangebote, Beratungsangebote schaffen auf kommunaler Ebene für ältere Menschen. INTERESSANTES BEIM DEUTSCHEN BILDUNGSSERVER SOZIALPÄDAGOGIK * Altenarbeit / Altenhilfe [https://www.bildungsserver.de/sozialpaedagogik/altenarbeit-altenhilfe-1608-de.html] * Soziale Arbeit und Digitalisierung [https://www.bildungsserver.de/sozialpaedagogik/soziale-arbeit-und-digitalisierung-12917-de.html] ERWACHSENENBILDUNG – SENIOREN * Lernen und Wissen im Alter [https://www.bildungsserver.de/erwachsenenbildung/lernen-und-wissen-im-alter-1440-de.html] * Forschungsprojekte – Altersfragen [https://www.bildungsserver.de/erwachsenenbildung/forschungsprojekte-altersfragen-1453-de.html] Und im Laufe der Jahre, auch durch die Grundlagenforschung, haben wir erkannt, dass so peu à peu auch jetzt das ältere Segment, sprich das hohe Alter, dazu kommt. Also am Anfang ging es darum, ob ältere Menschen überhaupt einen Bezug zu den neuen Medien haben. Ja, haben sie! Und jetzt wechselt hier auch eine Technikgeneration ins Alter, die schon mit Technik zu tun hatte – mit digitaler Technik in ihrer beruflichen Phase, in ihrer produktiven Phase. Aber seit Corona zeigt sich ganz massiv, dass auch das hohe Alter dazu Bezugspunkte findet.Es war also naheliegend, dass wir nach so vielen Jahren Forschung im privaten Sektor, im Sozialraum jetzt auch gezielt anschauen wollen, wie Menschen im hohen Alter, die in Einrichtungen leben, wie es da funktioniert. Und das war wirklich ein weißer Fleck, wir haben nicht gedacht, dass es so schwierig werden kann. LEUTE, DIE IM PFLEGEHEIM WOHNEN, SIND JA OFT EINFACH AUCH PHYSISCH BEEINTRÄCHTIGT. SIE KÖNNEN NICHT MEHR GUT HÖREN ODER SEHEN. INWIEFERN SPIELT ES EINE ROLLE MIT SOLCHEN HANDICAPS UMZUGEHEN? Michael Doh: Okay, also da kommt jetzt die erste Erkenntnis für uns selbst als Gerontologen – uns war das alles auch noch ein bisschen zu diffus. Wir gingen mit dem Bild rein, die werden ja alle hochvulnerabel sein. Und wir mussten unterscheiden zwischen Personen, die im betreuten Wohnen oder Servicewohnen leben und dem anderen Bereich, wo wirklich die Pflege Vordergrund steht. Ist jetzt im Nachhinein logisch und naheliegend gewesen, dass man das groß unterscheiden muss, denn im betreuten Wohnen gibt es eine große Heterogenität. Es ist eben nicht so, dass alle schon vulnerabel, pflegebedürftig oder hilfsbedürftig sind. Es gibt auch viele, die einfach antizipieren, dass sie den Alltag alleine so nicht mehr stemmen können, die Gemeinschaft suchen und proaktiv in diese Einrichtung gehen. Das heißt, wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass in diesen Einrichtungen sehr wohl schon digital affine Personen im hohen Alter sind, die – jetzt kommt das Spannende daran – mit unserem sogenannten Peer-to-Peer-Konzept sehr wohl sogar als technikbegleitende Personen qualifiziert werden können. Unser Gedanke war: Wir kommen extern mit Ehrenamtspersonen aus dem Quartier, aus dem Sozialraum und in die Einrichtungen rein und begleiten die Menschen einmal in der Woche und dann ist nach ein paar Monaten eine Kontinuität drin. Das stimmt. Aber jetzt haben wir tolle Ergebnisse, die zeigen, dass sich in den Einrichtungen selbstorganisierte Lerncafés entwickeln und die Leute sich selbst helfen können. Das heißt, die Heterogenität in Einrichtungen des betreuten Wohnens ist sehr spannend, in den Einrichtungen der Pflege gibt es die natürlich weniger. VIELLEICHT KÖNNEN SIE DAZU NOCH GENAU MAL WAS SAGEN. WIE IST DENN DANN IHR ANSATZ GEWESEN KONKRET? ALSO SIE HABEN MULTIPLIKATORINNEN AUSGEBILDET IN DEN EINRICHTUNGEN, ALSO BEWOHNERINNEN UND BEWOHNER. WIE STELLE ICH MIR DAS VOR? Michael Doh: Der Begriff ist schon ein paar Mal gefallen: Das sogenannte Peer-to-Peer-Konzept. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, gerade bei älteren Menschen das informelle Lernen in den Fokus zu stellen und nicht mehr Angebote in Volkshochschulen oder anderen Bildungsinstitutionen zu machen. Das heißt, das zufällige Lernen oder das Lernen über Angehörige, über Ehrenamtspersonen ist eigentlich am zielführendsten. Und jetzt kommt der zweite Begriff dazu, die Selbstwirksamkeit. Nach Bandura ist das das sozialkognitive Lernen. Im Alter, speziell im hohen Alter, geht es nicht mehr darum, sich zwingend Kompetenzen anzueignen, sondern erst mal Vertrauen zu gewinnen und Angst zu verlieren. Und das hängt sehr viel mit diesem Begriff der Selbstwirksamkeit zusammen. Also: Traue ich mir zu, mit den neuen digitalen Herausforderungen umzugehen, oder bin ich aversiv und traue mich nicht? Und genau das ist das Momentum, das wir festgestellt haben, auch nach Bandura. Wenn wir Role Models, Vorbilder haben, sprich Personen, die aus einer ähnlichen Technikgeneration kommen, die auch keine englischen Begriffe nutzen, also auch noch in der gleichen Sprache, im gleichen Denken zu Hause sind, schafft das Barrieren und Ängste ab. Und diese Personen, die erst verunsichert sind, sagen, jetzt traue ich es mir vielleicht doch durch. Und da geht es dann erst mal kleinteilig darum, erste Schritte zu gehen, sich mit einem Gerät anzufreunden, um dann ganz alltagsnah, lebensweltnah Bezugspunkte zu finden. Das gelingt am ehesten Personen, die ähnlich alt sind und nicht irgendwelchen jüngeren Personen. Das können später Enkelkinder sein, das sind meistens die Türöffner. Sie sagen Oma oder Opa „Mach doch mal, ich schenke dir ein Tablet oder mein altes Handy.“ Und dann stehen sie da und wissen nicht, wie es funktioniert. Man muss also wirklich versuchen, mit diesen gleichaltrigen Gruppen oder ähnlichen Technik-Generationen sich auf den Weg zu machen. Genau das tun wir! Wir schauen in diese Sozialräumen und versuchen über die Kommune oder über andere Akteure, Netzwerke zu bilden. Es geht also darum, ältere Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen und sie speziell zu qualifizieren. Aufgrund der Fragilität dieser Menschen auch auf sozialer und emotionaler Ebene muss man andere Antennen mitbringen als in einem Volkshochschulkurs; dann kann auch eine Freundschaft und Beziehung entstehen. Wir haben mit diesem Begleitprogramm sehr gute Erfahrungen gemacht. WIE FUNKTIONIERT DIESES BEGLEITPROGRAMM? SIE HABEN DAS IN DREI EINRICHTUNGEN IN VERSCHIEDENEN BUNDESLÄNDERN AUSPROBIERT UND DURCHGEFÜHRT. WAS KRIEGEN SIE FÜR FEEDBACK VON DEN LEUTEN, MIT DENEN SIE GEARBEITET HABEN? UND WIE KOMMEN ANDERE PFLEGEKRÄFTE ODER INSTITUTIONEN AN DIESE INFORMATIONEN ZUM BEGLEITPROGRAMM? WIE IMPLEMENTIERT MAN DAS GROSSFLÄCHIG IN DER PRAXIS? Michael Doh: Also zum einen hatten wir mit der Evangelischen Heimstiftung und einem Träger in Rheinland-Pfalz schon mal ein festes und gutes Fundament. Dann haben wir noch andere Netzwerke einbezogen, in Baden-Württemberg das Netzwerk der Senioren-Internet-Initiativen, in dem über 800 ältere Menschen als sächlich Begleitende aktiv sind. In Rheinland-Pfalz sind es die sogenannten Digitalbotschafter und -botschafterinnen, das sind es auch um die 700 Menschen. Wir haben also geschaut, ob es schon nahegelegene ehrenamtlich Aktive im Bereich der digitalen Technik gibt und konnten so anfangen zu matchen. Das war der erste Schritt, dass wir sagen, in welchen Orten und Kommunen gibt es schon gute Voraussetzungen, gute Infrastruktur? Natürlich muss man auch die Einrichtung selbst anschauen. Gibt es da eine Infrastruktur? Gibt es überhaupt ein WLAN? Also das ist die große erste Hürde. Und dann zweitens, natürlich: Gibt es in den Einrichtungen auch eine Bereitschaft, so etwas überhaupt zu machen? Das ist auch nicht selbstverständlich. Also es gibt schon viele Hürden, die man nehmen muss. Mittlerweile gibt es aber gute Handreichungen dazu, wie man Rahmenvoraussetzungen in der Kommune oder in den Einrichtungen für sich selbst prüfen und schauen kann, ob man alles mitbringt, um so ein Programm zu machen. Das kann man nur wärmstens empfehlen für einen Transfer dieses Programms in die Praxis. Wir haben zu all diesen Forschungsvorhaben sehr gute frei zugängliche Handreichungen entwickelt – zu finden über unsere Homepage. Wie bringt man das jetzt so in die Fläche? Wie kann man skalieren? Wir machen jetzt seit fast einem Jahr schon permanent Informationsveranstaltungen – auch digital, ganz niedrigschwellig. Aus Deutschland kann sich jeder zuschalten, wir hatten aber auch schon Personen aus Österreich zugeschaltet. Und wir machen auch Großwerbung über unsere eigenen Netzwerke, Multiplikatoren. Der Deutsche Seniorentag war beispielsweise ein großer Auftritt für uns. Dort konnten wir unsere Forschungsergebnisse präsentieren und Multiplikatoren aus den Kommunen ansprechen, die sich für dieses Thema interessieren. Aber, das muss man ganz klar sagen: Die größte Bremse sind mittlerweile immer noch, leider Gottes, die Einrichtungen selbst, die noch nicht unbedingt die Affinität mitbringen für die Bewohnerschaft was machen zu müssen. Ich muss das vorsichtig ausdrücken. Innerhalb der Bewohnerschaft gibt es eine große Bereitschaft und Interesse mittlerweile, die digitale Welt für sich entdecken zu können. Aber sie sind hilflos, weil keine Unterstützungs- und Infrastrukturen gegeben sind. Und wir müssen auch ganz klar unterscheiden zwischen betreutem Wohnen und der Pflege. In Pflegeeinrichtungen schaut es anders aus. Dafür haben ein anderes Konzept entwickelt, nicht Peer-to-Peer, weil diese Personenkreise gar nicht mehr zwingend selbst lernen wollen, mit dem Tablet oder mit Alexa umzugehen. Da geht es eher um das „passive Lernen“. Hier werden in Kleingruppen auch für Menschen mit schwerer Demenz, Angebote geschaffen, um gemeinsam mit einer Ehrenamtsperson oder jemanden aus der Einrichtung – das können auch Familienangehörige sein oder Alltagsbegleiter – Spotify-Nachmittage zu machen: „Wünsch dir was“ an Lieblingsmusik oder Google-Earth-Reise, Biographiearbeit. Von wo kommst du her? Was war dein Lieblingsort? Wo hast du deinen ersten Kuss gehabt? All solche Sachen. Oder was war deine Lieblingsreise? Und Sie können sich nicht vorstellen, was passiert, wenn solche Kleingruppen zusammensitzen und man mit einer Geschichte anfängt! Plötzlich werden auch Personen, die relativ verstummt sind, emotional aktiviert und fangen an Assoziationen freizugeben. Musik hilft natürlich immer, weil sie Emotionen freisetzt. Aber auch Bilder und bewegte Bilder auf YouTube, alte Klassiker zum Beispiel oder Kurzfilme mit dem Dialekt der Region, da kommen sehr viele Assoziationen auf von Personen, die eigentlich gar nicht mehr aktiv stimuliert, sozial aktiv sind. So etwas funktioniert sehr gut in Kleingruppen. In der Diakonissenanstalt in Stuttgart suchen sie mittlerweile den größten Raum für bis zu 80 Personen raus, um einmal in der Woche ein festes Programm anzubieten. In unserem Methodenkoffer kann man aus 30 verschiedene Methoden, nach Lebensbereichen geordnet, aussuchen, wenn man was zum Thema Unterhaltung, Information oder Gesundheit machen will; damit kann man ein Programm über 30 oder 40 Minuten oder auch einen ganzen Nachmittag gestalten. WEIL WIR EINE ZEITLICHE BESCHRÄNKUNG HABEN FÜR DIESEN PODCAST, WILL ICH NOCH EINMAL NACHFRAGEN, WIE DAS FEEDBACK AUF IHRE ARBEIT IST. SIE HABEN KURZE VIDEOCLIPS AUF IHRER PROJEKTWEBSITE, AN DENEN MAN SIEHT, WIE ANGETAN UND WIE BEGEISTERT DA EINIGE PARTIZIPANTEN AN DEM PROJEKT WAREN. UND DIE LETZTE FRAGE BETRIFFT DAS THEMA TRANSFER ZWISCHEN FORSCHUNG UND PRAXIS: WAS HABEN SIE FÜR SICH GELERNT AUS DIESEM PROJEKT HABEN? WIE KÖNNTE EINE BESSERE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS IHRE FORSCHUNG BEREICHERN? Michael Doh: Also die Bewohnerschaft, die teilnimmt, das sieht man auf der Homepage mit den kurzen Videos, sind angetan und wollen eigentlich, dass es so weitergeht. Und wir haben auch schöne Beispiele von Personen, die teilweise aus dem Pflegesetting gewechselt haben ins betreute Wohnen, weil sie durch diese Technikbegleitung selbst wieder aktiv und fitter wurden und sogar weniger Medikamente brauchen. In einer Partnereinrichtung in Bad Kreuznach gibt es eine tolle technikbegleitende Person, die einmal in der Woche Musiknachmittage organisiert über YouTube. Solche Einzelbeispiele zeigen gut, dass Programme wie wir sie entwickelt haben Potenzial haben – sowohl im Pflegesetting wie auch im betreuten Wohnen. Es gibt aber auch Einrichtungsleitungen, die manchmal mit guten Gründen sagt, dass sie so ein Programm nicht stemmen können. Einfach, weil sie die Ressourcen nicht haben. Die Pflegekräfte gehen auf Anschlag – Stichwort: Fachkräftemangel. Wir können dem Personal also nicht auch noch die digitale Bildung übertragen. Das heißt, wir brauchen da andere Strukturen – zum Beispiel ist das Ehrenamt sehr wichtig. Dann sind wir auch schnell beim Thema Kommune: Die Kommune muss auch für die digitale Daseinsvorsorge in die Pflicht genommen werden. Nur dann können Strukturen entstehen, in denen man gemeinsam etwas schaffen kann. Und damit sind wir bei den Bildungsakteuren: Die Bildungseinrichtungen müssen sich öffnen für Einrichtungen der Altenpflege und des betreuten Wohnens. Der Klassiker, dass man zu Bildungseinrichtungen wie der Volkshochschule geht, funktioniert nicht mehr – man muss hybrid anbieten und vielleicht auch die Volkshochschule dazu bringen, Kurse dort anzubieten, damit die Bürgerschaft in solche Einrichtungen geht und eine niedrigschwellige Begegnung stattfinden kann. Da gibt es schon einige neue Möglichkeiten, vor allem im betreuten Wohnen; das stellen wir immer wieder fest. Da gibt es beispielsweise 90-Jährige, die sind hoch bildungsaffin, hätten großes Interesse sogar an Seniorenuniversitäten teilzunehmen und kennen diese Angebote nicht. Hier können auch die Bildungsakteure noch große Schritte gehen. Was wünsche ich mir für die Forschung? Natürlich wäre es toll, wenn wir auf politischer Ebene, auf kommunalpolitischer Ebene zumindest, eine wie auch immer geartete Gesetzgebung, einen Rahmen hätten, der alle Einrichtungen in Deutschland zu freiem WLAN verpflichten würde. Dass zur Grundversorgung mit Strom und Wasser das Internet reinkommt. Da haben wir in Deutschland leider Gottes erstmal wenig Gesetze. Ich glaube, drei Bundesländer gibt es: Berlin und Bremen gehören, glaube ich, dazu und Sachsen-Anhalt, in denen es Pflicht ist, Personen, die in diesen Einrichtungen leben, mit einem Internetanschluss zu versorgen. Das ginge theoretisch auch kostenpflichtig, das ist wieder eine andere Frage. Aber angenommen, das wäre kostenfrei und es gäbe eine gute technische Infrastruktur, dann kann man auch wirklich loslegen und in der Fläche agieren anfangen. Dann wäre auch für die Forschung die Voraussetzung gegeben, Grundlagenforschung im Längsschnitt zu machen und zu schauen, wie entwickelt sich da was. Das war eigentlich unsere größte Herausforderung: Wie können wir in so einem Peer-to-Peer mit vielleicht zehn verschiedenen Einrichtungen überprüfen, was sich nach drei, sechs oder neun Monaten ändert. Wir haben jetzt nach zwei Jahren eine Nachbefragung zur Nachhaltigkeit unserer Angebote gemacht, die ist gegeben. Und in einer Längsschnittuntersuchung mit über 30 Personen konnten wir feststellen, dass die Internetangst zurückgeht und die Digitalität zunimmt. Und keiner der Teilnehmenden aus der digitalen Welt wieder ausgedreht wurde – wenn nicht gerade gesundheitliche Gründe in die Quere kamen. Also die Senioren bleiben dran an dem Thema! GANZ HERZLICHEN DANK, HERR DOH, FÜR DIESE EINBLICKE IN DIESES PROJEKT. ICH MUSS ABER DOCH NOCH SAGEN, ICH FINDE ES EIN BISSCHEN SCHOCKIEREND, DASS ES IN DEN ALTERS- UND PFLEGEHEIMEN GAR KEIN W-LAN GIBT. MAN DENKT, ES MÜSSTE EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT SEIN. Michael Doh: Die offizielle Statistik sagt, dass es in 66 Prozent der Einrichtungen Internet-Anschlüsse gibt; allerdings weiß man nicht, in welchem Umfang die kostenfrei sind. Und es gibt keine Verpflichtung bundesweit. Wir können den Einrichtungen jetzt also nicht einfach sagen, legt los mit digitalen Angeboten für Eure Bewohnerschaft. Das ist alles auf freiwilliger Basis. GANZ HERZLICHEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH. Michael Doh: Gerne, ich bedanke mich auch. (Transcribed by Voice AI. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

INTERVIEW MIT PROF. DR. UTE HARMS VOM LEIBNIZ-INSTITUT FÜR PÄDAGOGIK IN DEN NATURWISSENSCHAFTEN UND MATHEMATIK (IPN) Ute Harms, Professorin für Didaktik der Biologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktorin am IPN stellt das Verbundprojekt VideT, Videobasiertes Transferinstrument für Schülerinnen und Schüler, vor. VideT ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt von IPN, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen sowie den Universitäten Bochum und Hannover. Neben der fachwissenschaftlichen Forschung zur Ökologie von Fledermäusen erforscht es die multimediale Vermittlung von Kompetenzen – mit dem Ziel den Austausch zwischen Schulen und Wissenschaft zu verbessern. Das IPN mit Sitz in Kiel untersucht Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter. ZUM INTERVIEW MIT UTE HARMS (26:58 min) ---------------------------------------- LESEFASSUNG Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann. In dieser Folge unserer Podcast-Reihe Bildungsforschung für die Bildungspraxis ist Ute Harms vom Leibniz-Institut für Pädagogik in den Naturwissenschaften und Mathematik zu Gast, auch als IPN bekannt. Logo des Leibniz Forschungsnetzwerks Bildungspotenziale [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/02/Leibniz_Bildungspotenziale_Logo.jpg] Eine Podcast-Folge in Kooperation mit dem Leibniz Forschungsnetzwerk Bildungspotenziale, in dem das IQB ist Mitglied ist. Das IPN mit Sitz in Kiel untersucht Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter. Frau Harms ist Professorin für Didaktik der Biologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktorin am IPN. Sie beschäftigt sich damit, wie biologische und naturwissenschaftliche Kompetenzen im Unterricht und bei außerschulischen Lerngelegenheiten entwickelt und gefördert werden können. Sie ist in der Lehrkräftebildung tätig und sie engagiert sich in der Bildung für Nachhaltigkeit. GUTEN TAG, FRAU HARMS. AM BESTEN STELLEN SIE SICH UNSEREN HÖRERINNEN UND HÖRERN SELBST NOCH EINMAL AUSFÜHRLICHER VOR. WER SIND SIE UND WOZU FORSCHT IHR INSTITUT? Ute Harms: Ja, hallo. Danke, dass ich heute hier ein bisschen von unserer Arbeit erzählen darf. Ja, ich fange mal mit unserem Institut an. Das IPN liegt im Norden von Deutschland. Wir haben unser Institut in Kiel und wir sind ein Leibniz-Institut. Das heißt, wir sind ein Institut, das der Maxime Theoria cum Praxi folgt. Also, wir machen im Kern vor allen Dingen Forschung, die auch einen starken Anwendungsbezug hat und deren Ergebnisse eine Anwendung finden sollen im Bildungsbereich. Die Schwerpunkte unserer Arbeit haben Sie zum Teil schon genannt. Das sind die naturwissenschaftlichen Fächer, das ist die Mathematik, die Informatik, aber wir haben auch Forschungsarbeiten aus den intrinsischen Fächern, pädagogische Psychologie und auch die Methodenlehre steht hier bei uns im Mittelpunkt. Und wir haben ein empirisches Paradigma. Das heißt, wir denken uns nicht Dinge aus, sondern wir erheben Daten in unseren Forschungen, aus denen wir dann Losfolgerungen ableiten, die für die Praxis, angefangen von der Bildungspraxis im Elementarbereich bis hin zur Universität und der beruflichen Bildung, dann hoffentlich Einfluss auf Entwicklung, positive Einflüsse auf die Entwicklung haben. Mein Hintergrund ist, ich bin Gymnasiallehrerin für die Fächer Biologie und Deutsch, habe hier in Kiel vor vielen, vielen Jahren diese Fächer Pädagogik und Philosophie studiert, habe fünf Jahre auch in der Schule unterrichtet, vorher mein zweites Staatsexamen absolviert, bin promovierte Biologin und seit 25 Jahren Professorin für Didaktik der Biologie. Meine Universitäten, an denen ich tätig war, sind die LMU München, die Universität Bremen und jetzt seit einigen Jahren die Christian-Albrechts-Universität hier in Kiel, verbunden mit der Forschungsarbeit am IPN. UND WAS IST AM IPN DANN IHR SPEZIELLES FORSCHUNGSGEBIET ALS PROFESSORIN FÜR DIDAKTIK DER BIOLOGIE? WAS KANN MAN SICH DARUNTER GENAUER VORSTELLEN? Ute Harms: Also im Kern ist es Bildungsforschung, die sich mit der Biologie, mit dem Fach Biologie beschäftigt, aber auch darüber hinaus mit Schnittflächen zu den anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Es geht in meinen Forschungen zum Beispiel um die Frage, wie werden grundlegende biologische Konzepte, mit welchen Methoden werden diese von Schülerinnen und Schülern im Unterricht beispielsweise am besten gelernt, welche Hindernisse lassen sich nachweisen, die bisher dazu geführt haben, dass diese Konzepte nicht gelernt wurden. IPN: HANDREICHUNGEN, MATERIAL UND LITERATUR FÜR DIE PRAXIS * Das Verbundprojekt VideT – Videobasiertes Transferinstrument für Schülerinnen und Schüler in der Projektedatenbank des Innovationsportals [https://www.bildungsserver.de/innovationsportal/innovationsprojekt.html?innovationsprojekte_id=2046] * Das IPN und seine Abteilungen in der Institutionendatenbank des Deutschen Bildungsservers [https://www.bildungsserver.de/institution.html?institutionen_id=846] * IPN-Forschungslinien [https://www.bildungsserver.de/onlineressource.html?onlineressourcen_id=65965] * IPN-Unterrichts- und Fortbildungsmaterialien für MINT-Fächer [https://www.leibniz-ipn.de/de/fuer-die-gesellschaft/unterrichts-und-fortbildungsmaterialien] * MINT-Fächer – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialien beim Deutschen Bildungsserver [https://www.bildungsserver.de/schule/mint-faecher-11545-de.html] * IPN-MatMINT-Fächer – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialienialien für den Biologieunterricht [https://www.bildungsserver.de/onlineressource.html?onlineressourcen_id=65963] * Biologie – Arbeitsblätter und weitere Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufen beim Deutschen Bildungsserver [https://www.bildungsserver.de/schule/biologie-4916-de.html] Außerdem forsche ich im Bereich der Lehrkräftebildung. Da habe ich mit Einsatz von KI eine digitale Simulation entwickelt, die wir hier in der Lehrkräftebildung sowohl in der ersten Phase als auch im Zusammenhang mit dem IQSH in der zweiten Bildungsphase für Lehrkräfte der Biologie einsetzen. Und ich glaube, Sie sagten es bereits, ich forsche auch seit einigen Jahren interdisziplinär zum Thema Klimabildung, also insbesondere über das Konstrukt Risikoerfahrung, Risikowahrnehmung, was inwieweit hat Risikowahrnehmung einen Einfluss darauf, ob wir uns positiv der Klimaentwicklung verhalten oder nicht. Das sind so meine Schwerpunkte. Und ein querliegender Themenbereich ist die Frage, wie vermitteln wir Schülerinnen und Schülern, aber auch der Öffentlichkeit, wie Forschung, wie Wissenschaft in den Naturwissenschaften überhaupt funktioniert? GENAU, DAZU HABEN SIE AUCH VORGESCHLAGEN, DASS WIR ÜBER EIN PROJEKT SPRECHEN, DAS SIE GEMEINSAM MIT ANDEREN WISSENSCHAFTLICHEN EINRICHTUNGEN QUASI BETRIEBEN HABEN. SIE HABEN DA EIN VIDEOBASIERTES TRANSFERINSTRUMENT ENTWICKELT, DAS SCHÜLERINNEN UND SCHÜLERN EINSICHTEN IN FORSCHUNGSERGEBNISSE UND IN DEN WISSENSCHAFTLICHEN ERKENNTNISPROZESS VERMITTELT. DAS HEISST VIDET. KÖNNEN SIE DAS MAL UNSEREN HÖRERINNEN UND HÖRERN EIN BISSCHEN ERKLÄREN, WAS SIE DA GENAU GEMACHT HABEN UND WORUM ES DA GEHT? Ute Harms: Ja, sehr gern. Sie sagten schon, es ist ein Projekt, das von verschiedenen Institutionen durchgeführt wurde. Und wir sind so noch beim Publizieren, also noch beim Datenauswerten. So ganz abgeschlossen ist es noch nicht. Die Finanzierungsphase ist vorbei, aber natürlich muss noch der große Erkenntnisgewinn aus dem Projekt aufgeschrieben werden. ES IST SCHWIERIG FORSCHUNGSERGEBNISSE ZU TRANSFERIEREN UND ZU VERMITTELN UND DEUTLICH ZU ZU MACHEN, WIE EIN WISSENSCHAFTLER ÜBERHAUPT ZU SEINEN ERGEBNISSEN KOMMT. Wir haben dieses Projekt durchgeführt, zusammen mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, die den Lead hatten auch in diesem Projekt. Also ein rein naturwissenschaftlich-biologisch-lebenswissenschaftlich-forschungsinstitut. Und dann war neben dem IPN noch ein zweites Leibniz-Institut dabei, das eher so in den Bereich der Bildungsforschung zu verorten ist. Das ist das Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Und wir hatten auch noch Kollegen und Kolleginnen von der Ruhr-Universität in Bochum und von der Universität Hannover dabei. Und Sie sagten es bereits, der Fokus und das Anliegen dieses Projekts, hier zu einmal ganz grob gesprochen, war, weil wir aus der Forschung wissen, dass das ein Problem darstellt, eben nicht nur Forschungsergebnisse zu transferieren und zu vermitteln, sondern auch deutlich zu machen, wie kommt ein Wissenschaftler überhaupt zu seinen Ergebnissen? Wie kommt er überhaupt auch zu einer Fragestellung? Was ist eine relevante naturwissenschaftliche Fragestellung, die überhaupt auch mit naturwissenschaftlichen Methoden dann auch beantwortbar ist? Und das war sozusagen der eine Punkt. Und der zweite Punkt war, dass wir auch ein digitales Instrument in diesem Kontext entwickeln wollten, deren Kern Videos darstellen, wo wir die darstellen, wie der Forschungsprozess durchgeführt wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom eben schon erwähnten Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Da ging es um zwei Projekte über Fledermäuse, wo wir in den Videos den gesamten Denkprozess des Forschers und der Forscherin transparent gemacht haben, indem die Forscherinnen und Forscher beispielsweise genau gesagt haben, warum sie jetzt diese Frage stellen und wie sie von der Fragestellung, wo sie die Hypothesen herbekommen haben, die sie als potenzielle Antworten auf ihre Fragestellung entwickelt haben, wie sie dann auf den konkreten Untersuchungsablauf dann gekommen sind und bis hin dann über Datenerhebung, bis zu Hypothesenüberprüfung dann am Ende. Und wir haben verschiedene Varianten von Transparenz, sage ich jetzt mal ganz allgemein, zum Forschungsprozess entwickelt und gefilmt, auch ganz professionell mit einem professionellen Filmteam. Das war alles sehr, sehr aufwendig. Und in unseren Forschungen haben wir dann geschaut. Das waren dann Forschungen, die an sogenannten Aktionstagen mit Schulklassen an verschiedenen Orten stattgefunden haben, wo Lehrkräfte die Möglichkeit hatten, mit ihren Lerngruppen zu kommen. Einen ganzen Tag dann wurde mit den Schülerinnen und Schülern gearbeitet. Sie haben auf dieser digitalen Plattform dann Fragen gehabt, Texte und so weiter, mit denen sie sich auseinandergesetzt haben. Und der Kern wurde eben von diesen Videos gebildet. Und wir hatten dann verschiedene Gruppen, haben verschiedene Videos dann bekommen zur Arbeit, damit wir dann letztendlich schauen konnten, gibt es da Unterschiede und macht es wirklich etwas aus, wenn der Forschungsprozess und wie der Forschungsprozess dargestellt wird und damit auch an einem authentischen Forschungsprojekt auf eine gewisse Art und Weise die Schülerinnen und Schüler selbst in Anführungsstrichen teilnehmen können und das hautnah beobachten können. Und wir sind, wie gesagt, bei der Datenauswertung, aber wir haben schon Hinweise, dass wir da tatsächlich auch Wirkungen identifizieren können. ALSO DAS HEISST, ES IST SINNVOLL UND DEN LEUTEN ODER DEN SCHÜLERINNEN UND SCHÜLERN ZU ERKLÄREN, WIE FORSCHUNG FUNKTIONIERT. DAS VERSTÄNDNIS FÜR DIE ERGEBNISSE WIRD GRÖSSER DADURCH. WIE SIND SIE DENN AUF DIE IDEE GEKOMMEN, DASS ES FÜR SCHÜLER WICHTIG SEIN KÖNNTE, SOLCHE EINBLICKE ZU BEKOMMEN? HABEN SIE AUCH AUS DER PRAXIS ENTSPRECHENDE HINWEISE BEKOMMEN, ZUM BEISPIEL VON BIOLOGIELEHRERINNEN ODER WIE KOMMT DIE FORSCHUNG ZU IHREN FORSCHUNGSFRAGEN? Ute Harms: Für unseren Bereich oder ich denke, dass auch vielleicht jede Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler da auch so ein bisschen seine eigenen Schwerpunkte setzt, woraus er jetzt seine Fragestellungen ableitet. Natürlich ist es schon mal die intrinsische Neugier, die Wissenschaftler an sich schon mitbringen, denn ein Wissenschaftler ist ja ein Wissenschaftler, weil er neues Wissen schaffen möchte. WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE KONNTE MAN DIE OFFENEN STELLEN VON WISSENSCHAFT ERKENNEN. Und in diesem Zusammenhang waren für mich zwei Ansatzpunkte relevant für die Entwicklung, gemeinsam natürlich mit den Kolleginnen und Kollegen. Das ist also nicht alleine nur auf mich zurückzuführen, sondern wir haben das Ganze ja auch in der Antragstellungsphase intensiv diskutiert. Und ich sage jetzt mal, die zwei schwerpunktmäßigen Ausgangspunkte waren zum einen, dass in der Corona-Pandemie man ja sehr schön, ich sage jetzt mal, die offenen Stellen von Wissenschaft erkennen konnte, nämlich dass sich im Laufe dieser schrecklichen Jahre, die wir unter Corona leiden mussten, in den Medien erkennen konnten, dass auch Wissenschaftler nicht genau wissen, wie etwas zu erklären ist, sondern dass sich das auch im Laufe der Zeit, die Erklärungsansätze, gerade bei so etwas Neuem wie jetzt diesem Covid-19-Virus, dass auch Wissenschaftler schrittweise immer tiefer und immer breiter und immer genauer Erkenntnisse erarbeiten, was natürlich dann auch dazu führt, dass in der Anwendung, in diesem Fall war es ja vor allen Dingen dann die Impfstoffe, dass sich da eben auch Dinge verändern und dass ein Impfstoff, der zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr gut gewirkt hat gegen das Virus, vielleicht anderthalb Jahre später nicht mehr so gut gewirkt hat, was dann an Widerstand kam, gezeigt hat, Menschen, die Öffentlichkeit ist viel zu wenig informiert darüber, wie Naturwissenschaften und medizinische Forschung abläuft. WISSENSCHAFTLER BRAUCHEN EINE GEWISSE AMBIGUITÄTSTOLERANZ, EINE UNKENNTNISTOLERANZ. Und wir brauchen einfach ein gewisses Maß an Ambiguitätstoleranz. Wir müssen eine gewisse Unkenntnistoleranz haben, auch als Wissenschaftler, weil wir kommen der Wahrheit schrittweise näher, aber wir kommen nie ganz bis zu der Wahrheit. Denn gerade auch im Zusammenhang mit der medizinischen Forschung und auch der lebenswissenschaftlichen Forschung allgemein ist es wichtig, welche Techniken können wir überhaupt anwenden. ERKENNTNISGEWINNUNG IST BEI DEN KMK-BILDUNGSSTANDARDS EINER VON VIER KOMPETENZBEREICHEN FÜR DEN SCHULISCHEN NATURWISSENSCHAFTLICHEN UNTERRICHT. Und der zweite Ansatzpunkt für das VIDET-Projekt war die Tatsache, dass wir ja in den KMK-Bildungsstandards, die maßgeblich sind für alle Bundesländer und auf deren Basis die Lehrpläne für den Unterricht entwickelt werden, dass die einen Kompetenzbereich von vier festlegen für den schulischen naturwissenschaftlichen Unterricht, der als Erkenntnisgewinnungsbereich festgeschrieben ist. Und in dem geht es auch darum, dass Schülerinnen und Schüler neben dem inhaltlichen Wissen, das sie entwickeln, auch über das wissenschaftliche Denken eines Naturwissenschaftlers Bescheid wissen müssen, dass sie begreifen müssen, welche Schritte ein Naturwissenschaftler geht, um eine möglichst belastbare Evidenz hinterher auch formulieren zu können. Aber auch auf einer übergeordneten Ebene, nicht neben den Schritten, die wir als Wissenschaftsverständnis bezeichnen, auch ein wissenschaftliches Denken zu entwickeln, also über Wissenschaft auch nachdenken zu können und zu erkennen, ist etwas, was mir da vielleicht in der Zeitung oder in anderen, in den sozialen Medien vorgegaukelt wird, ist das tatsächlich wissenschaftlich erarbeitet worden, hat das diese Qualität oder nicht? Also wir nennen das Nature of Science. DAS LEUCHTET UNMITTELBAR EIN, VOR ALLEM NACH DEN ERFAHRUNGEN WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE. DA KONNTE MAN JA SEHR GUT NACHVOLLZIEHEN, WIE WISSENSCHAFT EIGENTLICH FUNKTIONIERT. BEI VIELEN LEUTEN HAT ES FÜR GROSSE IRRITATIONEN GESORGT, WEIL SIE IMMER DACHTEN, WAS DIE WISSENSCHAFT SAGT, IST RICHTIG FÜR IMMER UND EWIG. UND MAN HAT DA SO RICHTIG SCHÖN BEOBACHTEN KÖNNEN, WIE MAN SICH IMMER WIEDER NEU ÜBERLEGEN MUSS, WAS HAT SICH VERÄNDERT, WIE SIND DIE ZAHLEN JETZT ZU DEUTEN. ALSO ICH FAND DAS FÜR MEINEN TEIL ZUMINDEST RECHT SPANNEND. ABER SIE SAGTEN, DAS PROJEKT IST JETZT ABGESCHLOSSEN, DAS LIEF BIS ENDE 2024. SIE SIND NOCH MIT DER AUSWERTUNG BESCHÄFTIGT, ABER JETZT DIE FRAGE, WAS HABEN DENN DIE LEHRKRÄFTE UND DIE SCHÜLERINNEN VON DIESEM PROJEKT, WENN DAS JETZT ABGESCHLOSSEN IST, WIE WIRD DAS WEITER IN DER PRAXIS ODER IM UNTERRICHT EINGESETZT? Ute Harms: Ja, das ist eine sehr gute Frage, die uns nicht nur umtreibt und auch Thema ist bei diesem Projekt, sondern wir haben ja auch schon andere Projekte gehabt, wo wir digitale Plattformen entwickelt haben, gerade so im Transferbereich, wenn man wissenschaftliche Erkenntnisse an oder auch wie hier jetzt eben auch andere Bildungsinhalte wie den Forschungsprozess an Schülerinnen und Schüler, aber es gilt genauso für andere Gruppen, heranbringen möchte. Diejenigen, die am meisten davon profitiert haben, sind natürlich die ganzen Klassen, die zu den Aktionstagen gekommen sind und ich denke nicht nur die Klassen, sondern auch die Lehrkräfte, die ja auch da Einblick bekommen haben in diese Plattformen, die haben natürlich am meisten davon gehabt. Und unser Wunsch wäre es natürlich, dass man so eine Plattform dann auch verstetigen kann, damit man nachhaltig diese Bildungsprozesse bei Schülerinnen und Schülern und vielleicht kann man da auch noch an andere Gruppen denken, weil wir nicht nur dieses Instrument für die Schule gemacht haben, sondern auch mit dem Ziel, dass auch außerschulische Lernorte, Schülerlabore beispielsweise, diese Plattform dann nutzen können und diese Videos. WÜNSCHENSWERT WÄRE EINE NACHHALTIGE VERSTETIGUNG VON ERGEBNISSEN AUS DER BILDUNGSFORSCHUNG FÜR DIE BILDUNGSPRAXIS. Es ist aber, und das ist eben auch eine gewisse Problematik dieser befristeten Projekte, die natürlich für uns sehr wichtig sind, für die Forschung, aber dass dann so ein Instrument auch im Sinne von Theoria cum Praxi nachhaltig irgendwo aufgehängt wird, wo es benutzbar ist von den Adressaten und Adressatinnen, die wir im Blick hatten. Das ist nach wie vor eine große Frage, wie das umgesetzt werden kann. Da sind unterschiedliche Problemfelder. Da ist einmal das technische Problemfeld. Selbst wenn man einen Ort, einen virtuellen Ort, sage ich mal, hätte, wo man diese Plattform etablieren könnte, dann ist es so, dass die Technik ja weiterschreitet und diese Plattform ist in einem bestimmten Format programmiert. Und es ist jetzt schon absehbar, dass 2030 es die nächste Version geben wird und dann diese Plattform müsste in diese neue Version gesetzt werden, damit es technisch überhaupt funktioniert. Das zweite ist aber auch, wo ist ein Ort, an dem man das aufhängt? Also aus IPN-Sicht ist natürlich das IPN da ein interessanter Ort, denke ich, weil die Lehrkräfte, die in den Naturwissenschaften unterrichten, das IPN in der Regel auch kennen und vielleicht ja auch auf unsere Homepage gehen. Und unter aktuelles machen wir die nach außen besonders deutlich sichtbar, wenn jetzt etwas Neues entstanden ist. Beispielsweise auf der Homepage meiner Abteilung haben wir so einen Reiter Materialien. Da können Lehrkräfte ganze Lehrprogramme zum Beispiel zur Evolution sich herunterladen und damit arbeiten. Das wäre beispielsweise eine Möglichkeit, wobei die Komplexität zu einer Plattform das eigentlich schon übersteigt. Wir sind jetzt am überlegen, ob wir das Ganze versuchen abzuspecken, dass wir wenigstens diese Videos zum Beispiel beim IPN dann verorten, dass Lehrkräfte sich wenigstens diese Videos herunterladen können, um damit mit ihren Schülerinnen und Schülern oder auch in Schüler Laboren zu arbeiten und wir die Materialien dann als PDFs zusätzlich zur Verfügung stellen. Aber es ist natürlich schade, dass dadurch geht auch diese interaktive Möglichkeit, die die Plattform natürlich verloren. GENAU, DAS IST EIGENTLICH SCHON TEIL MEINER NÄCHSTEN FRAGE VORWEGGENOMMEN. WIE SCHULEN ODER LEHRKRÄFTE ÜBERHAUPT WAS ERFAHREN ÜBER DIE ANGEBOTE, DIE DIE WISSENSCHAFTLERINNEN UND WISSENSCHAFTLER BEIM IPN ENTWICKELN? WIE WERDEN DIE DAVON IN KENNTNIS GESETZT? WIE ERFAHREN SIE DAVON? SIE SAGTEN ÜBER DIE WEBSEITE DES IPN, AUCH VIELLEICHT ÜBER LEHRKRÄFTEBILDUNG, ALSO JETZT NICHT SPEZIELL AUF IHR PROJEKT BEZOGEN ODER AUF DIESES VIDET-PROJEKT BEZOGEN, SONDERN AUCH AUF DIE ANDEREN ERKENNTNISSE. Ute Harms: Das wären ja die Klassiker. Ich sage erstmal, in der Lehrkräftebildung tätig ist, dass das an Lehrerseminare weitergereicht wird, dass das verpflichtende Fortbildungen sind. Wie sind da Ihre Kommunikationswege bisher gewesen? Ja, also es gibt verschiedene. Sie haben schon einige genannt. Ich kann aber sagen, dass gerade dieser Aspekt einer ist. Ich bin jetzt 25 Jahre lang Professorin für Didaktik der Biologie in Bayern, in Bremen und jetzt seit langer Zeit auch in Schleswig-Holstein. Und es war eigentlich überall das Gleiche. Wir machen nach meiner Auffassung, ich habe selbst fünf Jahre in der Schule unterrichtet und habe auch guten Kontakt zu Lehrkräften, auch hier in Schleswig-Holstein, die mir im privaten Bereich dann auch rückmelden, Mensch, das ist super. Hätte ich das eher gewusst. Und diese Disseminationsebene, die ist schwierig. Ich meine, wir in den naturwissenschaftlichen Fächern und Mathematik und jetzt ja auch Informatik haben wirklich den Luxus, dass es dieses Institut in Deutschland gibt. Das gibt es ja für andere Fächer nicht. Und nach meiner Auffassung ist das wirklich ein Schatz, der hier entwickelt wird. Wir haben jetzt gerade mit einem neuen Projekt angefangen, Fabius, wo wir versuchen, eben unsere Ergebnisse, die bildungswissenschaftlichen Ergebnisse über eine Plattform an Lehrkräfte zu bringen. Aber auch da werden wir wieder irgendwann dieses Problem haben. Das Projekt ist zu Ende und was machen wir mit der Plattform? Aber Sie haben ganz richtig den einen schwerwiegenden Punkt oder wichtigen Punkt angesprochen. Das ist die Lehrkräftebildung, sowohl in der ersten als auch in der zweiten und dritten Phase und natürlich unsere Studierenden. Aber da ist eben auch ganz sichtbar, Studierende machen ja auch Schulpraktika während ihres Studiums und wir kommen gegen die Praxis nicht gegen an. DIE BILDUNGSFORSCHUNG KOMMT GEGEN DIE PRAXIS NICHT AN. Wenn die Lehrkräfte in der Schule sagen, hier macht das so und wir mit unseren 14 Semesterwochenstunden begründen mit Forschung, internationaler Forschung, hier sind Effekte nachgewiesen und das macht Sinn, es so und so zu machen, da kommen wir gegen die Praxis nicht gegen an. Das ist nach wie vor ein Problem, gibt es ja heute nicht mehr, ein großes Feld von Herausforderungen. Dann haben wir unsere aktuelle Seite auf der Homepage, wir gehen über unsere Fachgesellschaften, also der V-Bio ist ja eine Rahmengesellschaft oder mir fehlt gerade das richtige Wort dafür. DACHVERBAND ODER? Ute Harms: Ja genau, ein Verband in dem viele Fachgesellschaften aus den Lebenswissenschaften vereinigt sind und da gibt es eben auch eine Gruppe von Lehrkräften, Biologie Lehrkräfte sind da auch organisiert als Gruppe. Da gehen wir über die Verteiler und wir würden uns natürlich auch sehr wünschen, wenn unsere Lehrkräftefortbildungsveranstaltungen, die wir dann anbieten, um auch diese Dinge in die Praxis zu bringen, auch nachgefragt würden. Aber das ist ganz schwierig, ich kann das auch verstehen, wir haben alle sehr viel zu tun. Es ist nur so schade, dass wenn wir dann, also wir haben manchmal Lehrkräftefortbildungen, da stellen wir dann fest, wir sind fast so viele, die die Fortbildung durchführen wie Teilnehmende. Das geht natürlich auch nicht, aber es wäre vielleicht doch schön, wenn man schauen würde, dass auch für Lehrkräftefortbildungen verpflichtend werden, denn ich glaube keiner von uns würde zu einem Mediziner, zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen, die sich nicht auf Zack hält, was so an Therapien und Diagnosen möglich ist. Und ich finde der Vergleich zum Bildungsbereich ist da eigentlich sehr gut möglich. Es ist ja auch von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Es gibt auch Bundesländer, da ist es so. In Schleswig-Holstein gibt es nach meiner Kenntnis keine verbindlich. QUALITÄTSGEPRÜFTE FORTBILDUNGEN FÜR LEHRKRÄFTE SOLLTEN VERPFLICHTEND SEIN. WIR MÜSSEN EIN BISSCHEN AUF DIE ZEIT GUCKEN, FRAU HARMS. ICH HABE NOCH ZWEI FRAGEN. VIELLEICHT KÖNNEN SIE DIE EINE KURZ BEANTWORTEN, BEVOR ICH ZU DIESER SCHLUSSFRAGE KOMME. BEKOMMEN SIE DENN FEEDBACK AUS DER PRAXIS ZU IHREN ANGEBOTEN? WIE OFT UND VON WEM? SIE SAGTEN, SIE MACHEN LEHRKRÄFTEFORTBILDUNGEN. WAS HÖREN SIE DENN DA? Ute Harms: Also wenn wir Lehrkräftefortbildungen machen, da haben wir bei den Teilnehmenden natürlich immer eine hochgradig selektive Gruppe, weil das sind natürlich diejenigen, die auch wirklich sich wahrscheinlich am meisten interessieren. Aber wenn wir Lehrkräftefortbildungen machen, bekommen wir im Gespräch mit den Teilnehmenden ein Feedback. Wir machen aber auch in den meisten Fällen ein strukturiertes Feedback, weil für uns dieses Feedback natürlich auch extrem wertvoll ist, um unsere Dinge auch stärker mit der Praxis zu vernetzen. Ich soll ja kurz antworten, aber eines möchte ich doch noch hinzufügen. Und zwar, es hat ja früher große Programme gegeben, wie SINUS beispielsweise oder die Kontextprojekte am IPN oder dieses Riesenprogramm Alleskönner und …, das das Land Hamburg aufgesetzt hatte, wo wirklich die Lehrkräfte auf Augenhöhe mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Unterricht gearbeitet haben. Das war damals gerade, als die Etablierung des kompetenzorientierten naturwissenschaftlichen Unterrichts in Deutschland begann. Und das ist für mich persönlich eigentlich so das Optimum, dass man auf Augenhöhe miteinander arbeitet, weil natürlich haben Lehrkräfte viele Erfahrungen, praktische Erfahrungen aus dem Unterricht mitbringen. Die sind für uns total wertvoll, weil A, um auch das mit einzubeziehen in den Entwicklungen, die wir dann vorschlagen. Zum Zweiten aber natürlich auch, um auch die richtigen Fragen zu stellen. Also wir entwickeln unsere Fragestellungen in der Wissenschaft ja in erster Linie aus dem Kontinuum der wissenschaftlichen Erkenntnisse und wir entwickeln Theorien weiter und das Ganze ja international. Wir machen ja gar keine lokale Forschung oder nur Forschung für Deutschland. Das geht ja um etwas Größeres. Aber nach meiner Auffassung sollte es auch eine zweite Quelle geben für unsere Art von Forschung und die muss aus der Praxis kommen. Aber da dieser Gesprächsfaden gar nicht so sehr da ist und da auch viele Berührungsängste sind, findet das nicht statt. Und das finde ich sehr, sehr schade. GENAU, DAS WÄRE NÄMLICH JETZT AUCH TATSÄCHLICH MEINE ALLERLETZTE FRAGE GEWESEN, WAS SIE SICH FÜR DIE, WAS SIE SICH WÜNSCHEN WÜRDEN FÜR DIE KÜNFTIGE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN BILDUNGSFORSCHUNG UND BILDUNGSPRAXIS? Ute Harms: Ja, dass es vielleicht überlegt wird, wie man das auch strukturiert wirklich organisieren kann und es nicht so eine Zufälligkeit ist mit mehr Verbindlichkeiten. Ich sagte das schon, das werden Lehrkräfte wahrscheinlich gerne hören. Aber ich denke schon, es wäre gut, auch verbindliche Lehrkräftefortbildungen zu haben. Da ist natürlich gleichermaßen dann aber auch notwendig, dass diese Fortbildung auch einer Qualitätsprüfung unterliegen. Das ist nach meiner Auffassung dann natürlich die Kehrseite der Medaille, die eingelöst werden muss. WÜNSCHENSWERT WÄRE EINE ENGERE ZUSAMMENARBEIT AUCH ZWISCHEN PRAXIS UND WISSENSCHAFT. Und generell eine engere Zusammenarbeit auch zwischen der Praxis und der Wissenschaft. Es gibt ja jetzt, wenn ich das noch kurz hinzufügen darf, das riesige QUAMATH-Projekt für den Mathematikunterricht. Ich glaube, es soll zehn Jahre laufen, was ja wohl das IPN ja maßgeblich auch für steht, was die KMK finanziert, wo Lehrkräfte-Netzwerke mit Wissenschafter-Netzwerken eng zusammenarbeiten und da eben ein riesiger Pool an Lehrkräftefortbildungen entwickelt wird, um den Mathematikunterricht in Deutschland zu verbessern. Und nach meiner Auffassung brauchen wir etwas Ähnliches auch für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Und da möchte ich noch einen Gedanken mit reinbringen. Wir wissen alle, das ging durch die Medien ja in den letzten Monaten und im letzten Jahr vehement, dass die Schülerinnen und Schüler in Deutschland mit den Basiskompetenzen ganz große Probleme haben.Das betrifft Mathematik, das betrifft Deutsch. Aber die naturwissenschaftlichen Fächer haben ja und überhaupt die Sachfächer neben ihren eigenen Inhalten natürlich auch die Aufgabe, die Basiskompetenzen anzuwenden. Es gibt so viele biologische Bereiche und auch naturwissenschaftliche Bereiche, wo wir Mathematik brauchen. Mit Sprache haben wir immer zu tun. Also auch unter dem Aspekt ist es wichtig, natürlich die Naturwissenschaften an sich sind maßgeblich wichtig, auch für die Zukunft unseres Landes, das wissen wir alle. Aber auch nochmal in die Richtung zu denken, wie verbinden wir die Dinge? Wozu nutzen wir den naturwissenschaftlichen Unterricht noch? Auch das wäre etwas, was in so einem großen angelegten Projekt wie QUAMAT, wenn es so etwas Analoges für die Naturwissenschaften gäbe, auch diskutiert werden könnte. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch, Frau Harms. Und hoffe, dass unsere Hörerinnen und Hörer was mitgenommen haben von Ihren Ausführungen, aber ich glaube, ja. Ute Harms: Danke Ihnen. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

FRAGEN AN DIE GRÜNDER*INNEN DES ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHEN NETZWERKS DISKURSINTERVENTION RECHTSAUSSEN Milena Feldmann und Hendrik Richter geben Einblicke in das von ihnen gegründete Erziehungswissenschaftliche Netzwerk Diskursintervention Rechtsaußen, EN:DIRA. Als Reaktion auf die jüngsten Wahlerfolge der Rechten gegründet, ist das Netzwerk ein Ort des Austauschs zur gegenseitigen Information und Solidarität. Im Interview erläutern sie die Aktivitäten von EN:DIRA und heben die Verantwortung der Erziehungswissenschaft hervor, sich gegen Rechts zu positionieren. ZUM GESPRÄCH MIT DEN EN:DIRA-GRÜNDER*INNEN ---------------------------------------- LESEFASSUNG Jens Röschlein: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Es begrüßen Sie Christine Schumann und Jens Röschlein. Nicht zuletzt mit der Bundestagswahl ist Deutschland ein Stück weiter nach rechts gerückt. Im Wahlkampf spielte das Thema Bildung zwar eine eher untergeordnete Rolle, das Erstarken von Rechtsaußenparteien hat allerdings Auswirkungen auf den Bereich Bildung in der tagtäglichen Praxis als auch auf den Diskurs. Öffentlich zeigte sich das nicht zuletzt auch bei der Bildungsmesse Didacta, auf der die AfD mit einem Stand vertreten war und dies ausgerechnet zum Thema Demokratiebildung. Das führte im Vorfeld und während der Messe zu Protesten, teilweise zum Boykott und bewog auch Marina Weisband schließlich dazu, die Auszeichnung als Bildungsbotschafterin abzulehnen und vor der schleichenden Normalisierung zu warnen. Wir treffen uns heute mit Personen, die etwas gegen den Einfluss von rechts auf Bildung tun. Wir begrüßen ganz herzlich mehrere Gäste des Erziehungswissenschaftlichen Netzwerks Diskursintervention Rechtsaußen, kurz EN:DIRA. Es sind zugeschaltet Melina Feldmann und Hendrik Richter. Möchten Sie sich kurz vorstellen? Milena Feldmann: Ja, hallo in die Runde. Mein Name ist Melina Feldmann. Ich promoviere aktuell an der Universität Frankfurt zu einem Thema der erziehungswissenschaftlichen Alternsforschung. Es geht um Schutzkonzepte bei Kindern, älteren Erwachsenen und parallel absolviere ich aktuell eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Und mein Zweitkorrektor der Promotion ist Professor Markus Rieger-Ladich, der möglicherweise noch eine Rolle spielen wird und über den ich Hendrik Richter kennengelernt habe. MAILINGLISTE EN:DIRA Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftler, die in die Mailingliste von EN:DIRA aufgenommen werden wollen, schicken eine Mail an endira@posteo.de [endira@posteo.de]. Hendrik Richter: Ja hallo, schönen guten Tag auch von meiner Seite. Ich bin Hendrik Richter. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden und bin da in dem Projekt QuaBIS, das ist Qualifizierung von Bildungsreferent*innen, also von Menschen mit Behinderungserfahrung, die wir zu sogenannten Bildungsreferent*innen ausbilden. Und ich habe im vergangenen Jahr promoviert und genau, soweit erstmal von mir. „…HATTEN WIR DAS GEFÜHL, ETWAS TUN ZU WOLLEN“ Christine Schumann: Dann komme ich doch gleich zu meiner ersten Frage. Es geht um den Begriff EN:DIRA, ein erziehungswissenschaftliches Netzwerk Diskursintervention Rechtsaußen. Was bedeutet das? Was verbirgt sich denn dahinter? Milena Feldmann: Wir haben dieses Netzwerk im September letzten Jahres gegründet und das ist zunächst mal ein erziehungswissenschaftliches Netzwerk, das im DACH-Raum organisiert ist, also in Deutschland, Österreich und der Schweiz und sich gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit engagiert. Wir haben aktuell rund 850 Mitglieder oder besser gesagt Interessierte auf einer Mailing-Liste, von denen circa 10 Prozent aktiv sind in verschiedenen AGs, die wir relativ zu Beginn gegründet haben. Und diese Mailing-Liste ist aktuell unser Herzstück. Darüber verteilen wir Informationen zu verschiedenen Veranstaltungen, Call for Paper, Aktionen, Aufrufe, Petitionen, die sich mit dem Erstarken von Rechtsaußen-Positionen im erziehungswissenschaftlichen Kontext beschäftigen. Und gegründet haben wir uns so ein bisschen auch vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, wo wir auch eine starke Zunahme von Rechtsaußen-Parteien sehen mussten. Und vor diesem Hintergrund hatten wir das Gefühl, etwas tun zu wollen und uns auch als Erziehungswissenschaftler*innen positionieren zu wollen. DER BEGRIFF RECHTSAUSSEN ALS KLAMMER FÜR DIE UNMITTELBARE GEFAHR FÜR DIE DEMOKRATIE Jens Röschlein: Im Titel des Netzwerks verwenden Sie die Bezeichnung Rechtsaußen. Warum denn dieser Begriff? Oder auf was, auf wen zielt er denn ab – angesichts von verschiedenen anderen Bezeichnungen, wie zum Beispiel Rechtsextremismus, extreme Rechte, Rechtspopulismus? Warum gerade Rechtsaußen? Hendrik Richter: Also als wir das Netzwerk gegründet haben, haben wir auch tatsächlich relativ lange darüber diskutiert, wie wir uns nennen wollen und auf welche Begrifflichkeiten wir uns einigen. Also genau wie Sie sagen, das waren Begriffe von Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, aber auch Rechtsaußen. Und wir haben uns tatsächlich an mehreren Rechtsextremismus-Forscher*innen orientiert, zum Beispiel Léonie de Jonge oder Alexander Häusler, die quasi den Rechtsaußenbegriff so in gewisser Weise als Oberbegriff vorschlagen, also als spektrumsübergreifende Klammer für unterschiedliche Organisationen, Positionen, worunter dann eben Rechtsextremismus oder Rechtspopulismus auch subsumiert werden können. Und mit Heike Radvan könnte man da auch argumentieren, dass der Begriff Rechtspopulismus in gewisser Weise auch eher eine Kommunikationsstrategie in erster Linie darstellt, um demokratiefeindliche Ziele zu verschleiern. Und deswegen dachten wir, wir verwenden den Rechtsaußenbegriff, wenngleich uns auch bewusst ist, dass er einige Schwierigkeiten hat. Also gerade wenn wir an Bezüge oder Begriffen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit denken, die ja auch in der Mitte der Gesellschaft irgendwie wiederzufinden sind, zielt der Rechtsaußenbegriff eher genau auf die Ränder von rechten Positionen ab. Aber wir wollten halt ein Netzwerk gründen, wo wir die unmittelbare Gefahr für die Demokratie ins Auge greifen. Und deswegen haben wir uns letztendlich dann für den Rechtsaußenbegriff entschieden. Christine Schumann: Frau Feldmann, Sie hatten es ja eben schon kurz angedeutet, wie Sie dazu kamen, EN:DIRA zu gründen. Vielleicht können Sie das noch ein bisschen genauer beschreiben, unseren Hörerinnen und Hörern: Gab es jenseits dieser Landtagswahlen jetzt im letzten Jahr einen konkreten Anlass dazu? Und wie genau haben Sie denn zusammengefunden? Milena Feldmann: Also wie gesagt, die Hintergründe waren tatsächlich diese Wahrnehmung eines zunehmenden Erstarken von Rechtsaußenpositionen in unserer Gesellschaft, was sich vor allem natürlich in Wahlergebnissen widergespiegelt hat, unter anderem die Wahlergebnisse der EU-Wahl, aber natürlich auch die Beobachtung, dass die rechten Parteien schon seit Jahren Gewinne verzeichnen. Wir denken an die 20 Prozent der AfD bundesweit bei der Bundestagswahl. In Thüringen und Sachsen lagen wir bei 38 beziehungsweise 37 Prozent. Und wir hatten das Gefühl, dass gerade bei den Erstwähler*innen, also wenn wir an die Europawahl nochmal denken, diese rechten Parteien ihre Stimmen fast verdreifachen konnten. Und wir als Erziehungswissenschaftler*innen da einen besonderen Auftrag vielleicht auch sehen, als Pädagog*innen oder als diejenigen, die Sozialarbeiter*innen und Lehrkräfte und Pädagog*innen ausbilden, irgendwie eine Handlungsmöglichkeit zu haben. Hendrik Richter: Genau, also daran anknüpfend, was du jetzt gesagt hast auch, Melina. Also es sind ja nicht nur die Erstwähler*innen, wo extreme oder schon massive Zugewinne zu verzeichnen waren, sondern auch bei der U18-Wahl konnte man das beobachten. Auch wenn bei der U18-Wahl, das ging auch durch die Medien, die Linke zwar die stärkste Partei war, hat aber trotzdem gleichzeitig die AfD auch ihr Ergebnis von 2021 jetzt nochmal verdoppeln können. Und gerade in Bundesländern in Sachsen, Sachsen hat für uns natürlich jetzt eine Relevanz, weil sowohl Carlotta Voß als auch ich in Sachsen leben und auch hier arbeiten. Die Carlotta arbeitet in Halle, also in Sachsen-Anhalt, aber gerade in Sachsen eben auch die AfD bei der U18-Wahl zum Beispiel auf 31,6 Prozent gekommen ist, was schon irgendwie sehr erschreckend ist. Und ähnliches können wir quasi auch beobachten in der extremen Rechten und der Mobilisierung in den letzten Jahren, bei Demonstrationen, speziell jetzt auch gegen den Christopher-Street-Day zum Beispiel letztes Jahr in Sachsen, also zum Beispiel in Städten wie in Dresden oder in Bautzen, wo extrem viele junge Menschen mobilisiert werden konnten. Und das beschreiben eben auch zivilgesellschaftliche Akteure wie das Kulturbüro Sachsen zum Beispiel, RAA Sachsen, aber auch antifaschistische Rechercheteams, die eine extreme Zunahme von jungen Neonazis beobachten, die sich diesen Protesten anschließen. Und wo wir gesagt haben, eigentlich gehört es zu unserer Verantwortung als Erziehungswissenschaftler*in, hier auch irgendwie was zu machen und quasi den Diskurs mitzubestimmen und auch unsere Verantwortung in diesem Bereich zu sehen. Milena Feldmann: Und jetzt fiel der Name Carlotta Voß gerade schon. Das hatte ich eingangs so ein bisschen angeteasert, dass sowohl Hendrik Richter als auch Carlotta Voß und ich gemeinsam ein Kolloquium besuchen, bei Markus Rieger-Ladich, der unsere Dissertation betreut hat oder teilweise noch betreut und wir in diesem Kontext viel diskutiert haben über unsere Verantwortung auch als Erziehungswissenschaftler*innen angesichts des gesellschaftlich-politischen Klimas aktuell. Und wir nach einem Kolloquium zusammensaßen und dachten, wir kommen jetzt mal ins Handeln. Wir wollen nicht immer nur diskutieren. Wir versuchen uns jetzt mal ein bisschen zu vernetzen, weil wir davon ausgegangen sind, und das hat sich auch schnell bestätigt, dass dieses mulmige Gefühl viele Erziehungswissenschaftler*innen umtreibt in der DACH-Region. Und viele auch schon dazu denken, forschen, diskutieren und wir das so ein bisschen zusammenführen wollten, weil wir der Überzeugung sind, dass wir uns jetzt organisieren sollten. ZIELE UND TÄTIGKEITEN VON EN:DIRA Jens Röschlein: Ja, was kann EN:DIRA dazu beitragen, gegen Rechtsaußen Position zu beziehen? Was sind ihre Ziele mit dem Netzwerk? Milena Feldmann: Ja, das ist natürlich eine wichtige und relevante Frage. Zunächst mal geht es uns darum, dass wir das Thema platzieren wollen in der Erziehungswissenschaft, dass in der Lehre auch mehr verankert wird. Da geht es um solche Sachen, da kommen wir vielleicht später auch nochmal drauf zu sprechen, Umgang auch mit Neutralitätsgebot an den Universitäten: Was können, was dürfen wir überhaupt auch als Wissenschaftler*innen an der Universität? Wir würden uns aber vor allem, ja, glaube ich, in der Rolle sehen, Vernetzung zu ermöglichen. Perspektivisch kann das auch zu gemeinsamen Publikationen führen, zu Sammelbänden oder mal in der Organisation von einer Tagung. Aber ganz akut haben wir zum Beispiel eine AG Lehre, die Lehrkonzepte entwickelt, dass man sich da austauscht, dass nicht jeder Lehrstuhl vor sich hinarbeitet und vielleicht im Kleinen tolle Initiativen startet, tolle Lehrkonzepte entwickelt, sondern dass man sich da einfach austauscht und voneinander profitiert und gemeinsam Wissen teilt. Und dann geht es uns natürlich darum, auch Menschen in der erziehungswissenschaftlichen Community, die vielleicht noch stärker betroffen sind von diesen erstarkenden Positionen von Rechtsaußenakteur*innen, zu unterstützen und da auch Solidarität zu zeigen. Insofern verstehen wir es auch so ein bisschen als solidarische Gemeinschaft, auch wenn wir zum Beispiel den Blick über den Atlantik werfen und sehen, wie die Wissenschaft unter Druck gerät in den USA, dass wir uns da auch gegenseitig vielleicht beraten, ermächtigen, empowern, wenn wir selber mal in Bedrängnis kommen und das Gefühl haben, nicht mehr an der Universität vielleicht auch so lehren und forschen zu können, wie wir das für richtig halten. Jens Röschlein: Sie hatten jetzt schon einiges angesprochen, was Sie auch machen. Ich möchte nochmal anknüpfen, vielleicht wollen Sie zu den Aktivitäten noch weiter ausführen und zudem bezeichnen Sie Ihr Netzwerk ja auch als Diskursintervention. Was ist damit gemeint und wie wird das umgesetzt? Hendrik Richter: Genau, dazu will ich vielleicht was sagen. Also wir hatten das ja vorhin schon thematisiert, dass wir gesellschaftlich, politisch, medial eine Diskursverschiebung seit etlichen Jahren beobachten, immer weiter nach rechts, damit sind Sie ja auch eingestiegen und wir dachten, dass wir aus Perspektiven der Erziehungswissenschaft eben eine Diskursintervention setzen und eben ganz aktiv auch in diesen Diskurs eingreifen. Das bedeutet sowohl gesellschaftlich, politisch als auch in der akademischen Welt und gerade weil das Thema, was wir gerade auch hatten, das sehr viele Erst- und Jungwähler*innen ihr Kreuz bei der AfD gesetzt haben, sehen wir es eben als unsere Verantwortung, auch hier dieses Thema irgendwie stark zu machen und den Fokus darauf zu setzen. Zu der Frage, was wir aktuell machen, was unsere Aktivitäten sind: Also wir hatten jetzt mehrere Vorträge, die wir anbieten. Wir versuchen, sämtliche Vorträge aktuell online anzubieten, damit sie eben für den gesamten DACH-Raum auch zugänglich sind. Das heißt, Menschen, die sich bei uns engagieren in dem Netzwerk, auch egal wo sie wohnen oder leben, auf die Vorträge zugreifen können, mitmachen können. Es wird im kommenden Semester eine Ringvorlesung geben. Wir haben Workshops schon veranstaltet zum Thema Diskriminierungssensible Lehre, wo zum Beispiel Leute aus der Wissenschaft, aus der Lehre der Erziehungswissenschaft, aus der sozialen Arbeit daran teilnehmen konnten und eigene Erfahrungen mit Diskriminierung in der eigenen Lehrveranstaltung – das thematisieren konnten und dann besprochen werden konnte. In Zukunft, das hatte auch Milena gerade schon gesagt, versuchen wir irgendwie auch Publikationsstrategien zu entwickeln oder auch vielleicht sowas wie Podcasts, vielleicht voranzuschreiten. Und es gibt eine Gruppe, die nennt sich also ein AG bei uns, kreative Interventionen, die quasi eigene kreative Möglichkeiten entwickelt, in diesen Diskurs auch eingreifen zu können. Es gab jetzt bei der Bundestagswahl eine Idee, die wir auch umgesetzt haben, quasi eine automatische Mailantwort einzurichten, in der aufgerufen wurde, demokratisch zu wählen, sich demokratisch zu positionieren. Milena Feldmann: Vielleicht, um das nochmal so ein bisschen zu konkretisieren, zu welchen Themen Veranstaltungen stattgefunden haben: da ging es einmal um so einen historischen Blick in die Entwicklung und auch noch so einen Rückblick, wie die neue Rechte heutzutage vielleicht zusammenhängt mit früheren rechtsautoritären Bewegungen. Es ging um die Verantwortung ganz konkret der Erziehungswissenschaft in diesem Feld, auch nochmal vor dem besonderen Hintergrund, dass die Erziehungswissenschaft in der Zeit von 1933 bis 1945 selbst involviert war in nazi-ideologische Positionen und auch Publikationen. Und dann hatten wir, das hatte Hendrik schon angesprochen, Workshops zu Rassismus-sensibler Lehre. Wir haben jetzt eine Veranstaltung ganz konkret nochmal zum Neutralitätsgebot, was das bedeutet, was das für uns bedeutet, also ein bisschen auch praktischerer Natur. Und wir haben auch eine eigene AG Veranstaltung, die sich jetzt darum kümmert. Das würde ich ganz gerne nochmal betonen. Wir stehen jetzt hier, Hendrik Richter und ich, Melina Feldmann, Carlotta Voß hat das mit uns gegründet, aber inzwischen sind wir wirklich ein demokratisches Netzwerk mit vielen engagierten Leuten, die dieses Netzwerk auch tragen und gestalten. EIN NETZWERK FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLER*INNEN UND DARÜBER HINAUS Christine Schumann: Das finde ich ja sehr beeindruckend. Sie hatten eingangs ja schon gesagt, Sie hätten schon 850 Mitglieder auf Ihrer Mailing-Liste. Also das hat mich ehrlich gesagt umgehauen, dass es schon so viele sind. Aber ich würde gerne mal wissen, woher kommen die alle? Sind das alles Leute aus den Erziehungswissenschaften, aus der Bildungsforschung oder aus der sozialen Arbeit, also eher im akademischen Bereich oder ist das auch für andere offen? Vielleicht können Sie dazu noch was sagen. Also wen wollen Sie denn damit erreichen und wer kann sich vernetzen und sich daran beteiligen? Hendrik Richter: Also primär richten wir uns aktuell noch an Erziehungswissenschaftler*innen und der Großteil von den Mitgliedern bei uns auf der Mailing-Liste kommen auch genau aus der Erziehungswissenschaft, aus den Bildungswissenschaften und aus Nachbardisziplinen. Genau, also der Großteil ist schon die akademische Welt, die da irgendwie auf dieser Mailing-Liste abgebildet ist. Wenngleich trotzdem auch Leute aus der Zivilgesellschaft, Akteure, da sich mit auf die Mailing-Liste gesetzt haben und teilweise auch Lehrer*innen. Aber genau, der Großteil ist schon Erziehungswissenschaft und daran hatten wir uns auch gerichtet gehabt als erziehungswissenschaftliches Netzwerk. Perspektivisch wollen wir das aber schon öffnen. Da sind wir natürlich irgendwie gemeinsam im Gespräch mit den aktiven Mitgliedern und überhaupt mit den Mitgliedern des Netzwerks, um uns auch an Lehrkräfte und an Sozialarbeiter*innen, an Praktiker*innen zu richten und das dahingehend auch zu öffnen. Also weil gerade, als wir damit im September an den Start gegangen sind mit dem erziehungswissenschaftlichen Netzwerk, haben wir gemerkt, dass wir sehr viel Rücklauf auch von Praktiker*innen bekommen haben, die gesagt haben, ey, sowas brauchen wir gerade. Wir haben extreme Probleme bei uns an den Schulen. Wir brauchen Unterstützung. Christine Schumann: Da würde ich gerne nochmal nachfragen, weil Sie sagten, dieses Netzwerk dient erst mal dazu, sich kennenzulernen, Strukturen zu schaffen, um über dieses Thema zu kommunizieren und um sich auszutauschen. So richtige Module in der Lehrerfortbildung oder so können Sie aber noch gar nicht anbieten. Da ist die Frage, wie diese ganze Überlegungen, was man tun könnte, wie man das tatsächlich nachher in die Praxis umsetzen kann. Machen Sie sich da auch schon Gedanken darüber? Milena Feldmann: Also wir haben eine Arbeitsgruppe, die sich auch Vernetzung nennt und die so ein bisschen damit beschäftigt ist, auf der einen Seite sich mit anderen Netzwerken, Instituten und Forschungsverbänden auch zu connecten, zu vernetzen, wie zum Beispiel WiRex, das Wissenschaftsnetzwerk Rechtsextremismusforschung, das neue Institut Rechtsextremismus in Tübingen und anderen Forschungsverbänden. Gleichzeitig ist das auch die Gruppe, die sich um den Kontakt mit der Praxis bemüht. Das hatte ich ja auch vorhin schon mal erwähnt, dass wir vor allem aus der Verantwortung heraus, dass die Erziehungswissenschaft eben keine rein wissenschaftliche Disziplin ist, sondern irgendwie immer auch einen Praxisbezug hat, aus dieser Verantwortung heraus, wir das Netzwerk auch gegründet haben und insofern ist unser Fernziel durchaus, da auch wieder in die Praxis zurückzuwirken. Und wir sind ja jetzt noch ein relativ junges Netzwerk, ein halbes Jahr alt und wir sind, das muss man ehrlicherweise zugeben, auch noch dabei, uns zu finden und zu strukturieren, zu organisieren. Wir waren selber überwältigt von dem großen Andrang anfangs auf der Mailingliste und unsere Arbeitsgruppe Lehre ist also fleißig dabei, auch Lehrkonzepte auszuarbeiten, die dann prinzipiell vielleicht auch mit der Praxis geteilt werden können. Wobei, wie gesagt, primär wir jetzt erst mal uns noch an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler richten, auch von der Themenwahl unserer Veranstaltung her. Gleichwohl kann so eine Veranstaltung zum Neutralitätsgebot oder auch eine zu Familienideologien und Vorstellungen in der neuen Rechten natürlich auch für Pädagog*innen in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen von Interesse sein und die sind dann auch herzlich willkommen, daran teilzunehmen. Und wofür wir zum Beispiel auch sehr offen sind, dass sich dann Lehrkräfte vielleicht auch innerhalb unseres Netzwerks finden und gemeinsam vernetzen und möglicherweise auch selbst Veranstaltungen organisieren, die dann für ihre Zielgruppe noch ein bisschen passgenauer sind. NEUTRALITÄTSGEBOT MEINT VERANTWORTUNG Jens Röschlein: Sie hatten jetzt auch schon das Neutralitätsgebot mehrfach erwähnt. Vielleicht könnten Sie noch ganz kurz umreißen, was damit gemeint ist und darüber hinaus aufzeigen, welche Themen und welche Diskurse es sind, die die rechten besetzen und bespielen wollen. Hendrik Richter: Genau, also zum Thema Neutralitätsgebot bieten wir eine Veranstaltung an und da geht es darum, dass das Neutralitätsgebot häufig fälschlicherweise interpretiert wird in der Hinsicht, dass man als Lehrkraft an Schulen oder auch in der Universität als Lehrveranstaltungsleiter*in sich gar nicht politisch zu äußern, zu positionieren hat. Das Neutralitätsgebot sagt aber vielmehr auch aus, dass man sich im Hinblick auf die Demokratie und das Einsetzen für demokratische Werte sehr wohl politisch positionieren darf. Und gerade wenn wir im Hinblick auf Rechtsextremismus und auf verfassungsfeindliche Positionen damit auch gucken, ist es sehr wohl auch in der Verantwortung oder liegt es in der Verantwortung von Lehrveranstaltungsleiter*innen oder auch von Lehrkräften, dahingehend auch zu intervenieren und dem auch etwas entgegenzusetzen. Welche Themen wir jetzt sehen, die gerade von rechts irgendwie besetzt werden wollen, das sind auf jeden Fall Fragen, also Geschlechterfragen: Wenn wir an queere Menschen denken, wenn wir zum Beispiel auch an Inklusion denken. Die AfD ist ja nie müde geworden, sich dagegen zu positionieren, dass sie gegen eine gemeinsame Beschulung ist von Schüler*innen mit und ohne Behinderung. Die AfD ist auch oder rechtsextreme Positionen fokussieren auch immer wieder das leistungsorientierte Bildungssystem, was weiterhin gestärkt werden soll. Und da sehen wir in jedem Fall genügend Themen, wo Rechts versucht, eigentlich in diesem Diskurs einzugreifen und diese Themen zu besetzen, wo wir sagen, hier müssen wir eine Grenze setzen und versuchen, dagegen vorzugehen. Milena Feldmann: Vielleicht auch noch als ein konkretes Beispiel, dass es in Niedersachsen ja inzwischen so eine Meldeplattform gibt, neutrale lehrer de, und da merkt man einfach, wo Schüler*innen und vielleicht auch Eltern und andere Personen von Schuleinrichtungen, also Lehrkräfte melden können, die ihrer Meinung nach gegen das Neutralitätsgebot verstoßen haben. Und da ist natürlich klar, dass die Unsicherheit zunimmt, sowohl bei Lehrkräften, aber auch an den Universitäten, vielleicht in den Hörsälen, in den Seminarräumen, dass man beginnt, darüber nachzudenken, wie kann ich mich eigentlich gerade äußern, mit welchen Konsequenzen, sowohl als Person, die in der Lehre tätig ist, aber vielleicht auch als Seminarteilnehmende und da so ein bisschen Unsicherheit abzubauen und das, was ich vorhin schon mal erwähnt hatte, auch Rat zu suchen, vielleicht in der Community, wenn jemand ähnliche Erfahrungen hatte. Wir hatten zum Beispiel in Workshops Fallbeispiele gesammelt, wo vielleicht auch Studierende menschenverachtende Positionen geäußert haben, sich auch als rechtsaffin geoutet haben, mehr oder weniger, und das aber dann eben einen Einfluss hatte, auch auf die Art und Weise, wie die Atmosphäre sich verändert hat in diesem Seminar und dass einzelne andere Studierende sich da in der Bedrängnis gesehen haben und auch offen diskriminiert wurden. Und wie geht man damit eigentlich um als Lehrperson? Also solche Fragen, dafür auch einen Raum des Austauschs zu bieten, das ist, glaube ich, auch ein Anliegen. Hendrik Richter: Vielleicht nochmal anknüpfen daran, also wo finden Räume des Austauschs statt? Also wir hatten jetzt schon mehrmals den Workshop benannt, den haben wir schon zweimal veranstaltet, den werden wir auch im kommenden Semester wieder veranstalten und wir haben einmal pro Monat unser Netzwerktreffen, wo wir auch diese Möglichkeiten bieten des gemeinsamen Austausches und darüber hinaus hat sich tatsächlich auch eine eigene Regionalgruppe EN:DIRA Ost gegründet, quasi für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die sich auch regelmäßig in Präsenz treffen und dort sich über die eigenen Erfahrungen auch austauschen können und die gemeinsam auch Veranstaltungen planen. Milena Feldmann: Und Stichwort Veranstaltungen, was da auch einfach konkret an Solidarität passiert, ist, dass es teilweise natürlich auch Geld kostet, dass wir Referent*innen bezahlen müssen und wir jetzt schon gemerkt haben, dass wir über dieses Netzwerk auch Finanzierungsmöglichkeiten haben, die sonst vielleicht fehlen und auch vor dem Hintergrund, dass man vielleicht befürchten muss, dass auch Gelder gekürzt werden für bestimmte Themen, auch in der Forschung, dass die Akzeptanz verringert wird für bestimmte Initiativen, zum Beispiel Schule gegen Rassismus oder queerfreundliche Initiativen und dass wir da sehen, in unserem Netzwerk gibt es aber auch Professor*innen, die Gelder zur Verfügung stellen können über ihre Lehrstühle, wo wir vielleicht auch bestimmte Finanzierungslücken ausgleichen können. WIE KANN MAN MITMACHEN? Christine Schumann: Sie haben jetzt sehr, sehr viel genannt, was Sie machen. Wie kriege ich das denn mit, wenn ich interessiert bin? Woher kriege ich denn die Informationen, wenn ich neugierig bin? Kann ich mich auf Ihre Mailingliste eintragen lassen? Haben Sie eine Webseite, wo man schauen kann? Machen Sie publik, wann die Vorträge sind und die Workshops? Ist es digital? Also Fragen über Fragen? Hendrik Richter: Wenn Sie Interesse haben an dem Netzwerk, dann können Sie uns gerne einfach ein E-Mail schreiben an endira@posteo.de, dann werden Sie auf die Mailingliste gesetzt und dann bekommen Sie eigentlich alle nötigen Informationen, die Sie brauchen. Milena Feldmann: Und zusätzlich sind wir gerade dabei, beziehungsweise unsere Arbeitsgemeinschaft Öffentlichkeit eine Homepage zu erstellen, möglicherweise auch einen Social Media Auftritt, wo wir dann auch die tagesaktuellen Veranstaltungen publik machen. EINFLUSS VON RECHTSAUSSEN AUF DIE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG Jens Röschlein: Ich habe zum Abschluss auch noch eine persönlichere Frage. Durch die Beschäftigung damit hat dieses Thema denn auch und ihr Engagement auch eine Folge und eine Einwirkung auf Ihre Forschung? Hendrik Richter: Ja, also wir sind ja ein Netzwerk von Erziehungswissenschaftler*innen, wo es unterschiedliche Expertisen gibt. Es gibt einige Expert*innen im Bereich Rechtsextremismus und Rechtsaußen. Wenn Sie mich jetzt fragen, ich habe so Inklusion und Exklusion in der Schule geforscht. Das ist natürlich ein Thema, was auch von Rechts aufgegriffen wird. Also ich habe das ja vorhin schon gesagt, wenn es um Inklusion und quasi gemeinsame Beschulung von Schüler*innen mit Behinderung oder nicht mit Behinderung geht. Und da ergeben sich natürlich Zusammenhänge, die ich auch in den Blick bekomme oder in den Blick nehme. Das heißt aber nicht, dass ich mich jetzt als Rechtsextremismusforscher verstehe, sondern ich weiterhin an den Themen arbeite, an denen ich ohnehin schon gearbeitet habe und nicht in dem Bereich des Rechtsextremismus forsche. Milena Feldmann: Ähnliches gilt auch für mich. Ich promoviere ja zu einem Thema der Schutz- und Gewaltforschung in Kindheit und höherem Lebensalter. Und ich würde sagen, dass auch da das Thema so indirekt reinragt. Insofern, als dass Gelder nicht zur Verfügung gestellt werden könnten, dass vielleicht auch bestimmte Altersgruppen, ich promoviere innerhalb der Erziehungswissenschaftlichen Altersforschung, dass bestimmte Altersgruppen auf eine besondere Art und Weise vielleicht angesprochen werden, affin sind, auf Social Media adressiert werden zu Themen der rechten Parteien, rechten Positionen und da genau hinzuschauen einfach. Wie findet das statt? Und auch Carlotta Voß, die Dritte im Bunde, die zu queeren Themen forscht, ist damit konfrontiert, dass diese Themen von rechten Akteur*innen besetzt werden und dass sie da auch Gegenwind bekommt. Viele Bereiche der Erziehungswissenschaft werden tangiert von diesem gesellschaftspolitischen Klima, in dem rechte Positionen gesellschaftsfähig werden und einfach mehr an Raum gewinnen. Das kann also die differenzsensible Pädagogik sein. Da geht es um die Frühpädagogik, um die Schulforschung, Schulentwicklung, die allgemeine Pädagogik. Letztlich beinahe alle Bereiche, würde ich sagen, haben direkt oder indirekt damit zu tun und können da also anknüpfen. Aber es ist eben keine Voraussetzung, wie Hendrik das vorhin auch schon betont hat. Wir sind kein Netzwerk von Erziehungswissenschaftler*innen, die dezidiert zu Rechtsextremismus forschen, sondern sind daran interessiert, uns einfach zu treffen, gemeinsam weiterzubilden, uns zu vernetzen und zu solidarisieren. Jens Röschlein: Das ist auch ein sehr gutes Schlusswort. Vielen Dank für den Austausch, für die spannenden Einblicke in das noch im Werden begriffene Netzwerk, wie wir gelernt haben. Es hat uns sehr gefreut und wir wünschen Ihnen mit EN:DIRA weiterhin viel Erfolg. Und damit endet diese Folge von Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Ciao und bis zum nächsten Mal. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Jens Röschlein für Deutscher Bildungsserver. ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

AUDIO-LINKEMPFEHLUNGEN ZUR DEMOKRATIEBILDUNG Im Rahmen unserer Aktionswoche „Demokratiebildung für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ stellt Dr. Caroline Hartmann, Redakteurin des Themenbereichs Schule beim Deutschen Bildungsserver, ein paar besonders gute und handlungsorientierte Unterrichtsmaterialien, Spiele und Projekte zum Thema Demokratiebildung in der Grundschule und der Sekundarstufe I und II vor. ZU DEN AUDIO-LINKEMPFEHLUNGEN „DEMOKRATIEBILDUNG IN DER SCHULE“ ---------------------------------------- LESEFASSUNG Herzlich Willkommen bei „Bildung auf die Ohren“, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Caroline Hartmann. „Die gelebte Demokratie muss ein grundlegendes Qualitätsmerkmal unserer Schulen sein“, so lautet die Empfehlung der Kultusministerkonferenz. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission SWK sieht jedoch noch immer große Defizite bei der Demokratiebildung an deutschen Schulen und empfiehlt kurz- und mittelfristige Maßnahmen, um die Fächer Politik und Geschichte und die demokratische Schulkultur zu stärken. Guter Politik-unterricht sei lebensweltorientiert, handlungsorientiert, problemorientiert und konfliktorientiert. DOSSIERS MIT UNTERRICHTSMATERIALIEN UND PROJEKTEN IM BEREICH DEMOKRATIEBILDUNG BEIM DEUTSCHEN BILDUNGSSERVER * Arbeitsmaterialien für die Grundschule – vom Göttinger Institut für Demokratieforschung [https://www.kinderdemokratie.de/downloads/arbeitsblaetterhefte/] * Arbeitsmappe „Was heißt hier Demokratie?“ – von der Bundeszentrale für politische Bildung [https://www.bpb.de/shop/materialien/thema-im-unterricht/148489/was-heisst-hier-demokratie/] * Unterrichtsmodul „Demokratie“ (11 x 60 min) – von Eduskills+ [https://reflections.eduskills.plus/modules/living_together/democracy] * „Fabulous Council“ – Online-Game für den Unterricht in der 7. und 8. Klasse [https://germany.representation.ec.europa.eu/fabulous-council-online-game-fur-den-unterricht_de] * Online-Spiel „Deine Insel“ – vom ZDF und der Bildungsstätte Anne Frank [https://deine-insel.zdf.de] * „Das mobile Demokratielabor“ Modellprojekt von „Gesicht zeigen!“ [https://www.gesichtzeigen.de/blog/angebote/demokratielabor-hauptseite-mehr-erfahren/] Hier geht’s zur kompletten Sammlung von Unterrichtsmaterialien zu Demokratie, Partizipation und Wertevermittlung beim Deutschen Bildungsserver [https://www.bildungsserver.de/die-demokratie-12654-de.html]. DEMOKRATIEBILDUNG IN DER GRUNDSCHULE Demokratiebildung sollte unbedingt schon in der Grundschule beginnen. Dafür hat das Göttinger Institut für Demokratieforschung lebensweltorientierte Arbeitsmaterialien für die Primarstufe entwickelt, die schon die Jüngsten an Themen wie Toleranz, Pluralismus und Inklusion heranführen. Das Heft mit dem Titel „Du und Ich – Vom demokratischen Umgang mit Unterschieden und Konflikten“ thematisiert hier bereits die gesellschaftliche Vielfalt unserer Demokratie. Vor dem Hintergrund fremdenfeindlicher Tendenzen finden sich auf dem Portal auch sehr kindgerechte Arbeitsblätter zu Aspekten wie Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wie dem Mehrheitsprinzip sowie Mobbing und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. HANDLUNGSORIENTIERTE UNTERRICHTSMATERIALIEN FÜR DEN POLITIK- UND SOZIALKUNDEUNTERRICHT Weiterhin bietet Eduskills+ breit gefächerte kostenlose Unterrichtsmodule zum Thema „Demokratie“ an. Diese fördern gezielt kritisches und kreatives Denken – zentrale Fähigkeiten für eine aktive Beteiligung an demokratischen Prozessen und ein harmonisches Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft. ONLINE-GAMES UND PLANSPIELE ZUR VERMITTLUNG VON DEMOKRATISCHEN WERTEN Wenn Sie im Unterricht in der 7. und 8. Klasse das Thema vielleicht eher spielerisch angehen möchten und nach kleinen Projekten für Vertretungsstunden oder Projekttagen suchen, kann ich Ihnen auch das Online Game „Fabulous Council“ empfehlen, das von der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland insbesondere für Haupt- und Mittelschulen, Real-, Gesamt- und Gemeinschaftsschulen entwickelt wurde. Für eine Unterrichtsstunde können hier die Schülerinnen und Schüler in die Fantasiewelt „Nafasia“ eintauchen und in die Rollen der dort lebenden Fabelwesen schlüpfen, die in ihrem Land alle frei und glücklich leben wollen. Nur dafür müssen sie sich eben erst auf Gesetze einigen. Und das gelingt eben nur, wenn sie neben den eigenen Bedürfnissen und Interessen auch die der anderen Wesen berücksichtigen. Auf spielerische Weise sollen den Schülerinnen und Schülern hier also demokratische Prozesse und Kompromissfindung nähergebracht werden. Das ZDF und die Bildungsstätte Anne Frank haben ebenfalls ein Online-Spiel herausgebracht. „Deine Insel“ ist ein Frage-Antwort-Spiel, das den jungen Spielerinnen und Spielern die Möglichkeit bietet, eine kleine Inselgesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen, Werten und Regeln aufzubauen. Ein Chatbot bittet um Antworten auf etwa ein Dutzend Fragen. Dabei müssen die Kinder und Jugendlichen auswählen, welche Werte für das Inselleben handlungsleitend sein sollen: Wie sollen Entscheidungen fallen und Ressourcen verteilt werden und wie sollen die Bewohnerinnen und Bewohner Fehlverhalten sanktionieren? Das Spiel hilft, Mechanismen transparent zu machen, die freie Gesellschaften herausfordern oder in Gefahr bringen können.Stempel transparent zur Aktionswoche Deutscher Bildungsserver "Demokratiebildung für gesellschaftlichen ZUsammenarbeit" [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/03/Stempel-transparent-deutsch-300x300.png] MODELLPROJEKT ZUR DEMOKRATIEBILDUNG Abschließend möchte ich Ihnen gerne noch das „Das mobile Demokratielabor“, ein Projekt von „Gesicht zeigen“, ans Herz legen, das Sie für Ihre Schule bestellen können. Die vierzehn Module dieser mobilen Materialsammlung bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für Politik, Ethik, Geschichte, Sprachen, Kunst und Musik und sind insbesondere für die Klassen 5 bis 10 geeignet. Ich hoffe, all diese Materialien und Angebote können Sie dabei unterstützen, den Kindern und Jugendlichen das demokratische Werteverständnis näherzubringen. Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern wünsche ich viel Erfolg und auch viel Spaß beim Spielen und Diskutieren, aber vor allem auch beim Umsetzen und beim Leben dieser demokratischen Werte im eigenen Umfeld. ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Caroline Hartmann für Deutscher Bildungsserver. ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal

INTERVIEW MIT SANEM KLEFF ÜBER DAS SCHULISCHE PRÄVENTIONSNETZWERK GEGEN UNGLEICHWERTIGKEITSDENKEN UND DEMOKRATIEBILDUNG In dieser Folge von „Bildung auf die Ohren“ spricht Caroline Hartmann mit Frau Sanem Kleff von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, dem größten schulischen Präventionsnetzwerk gegen Ungleichwertigkeitsdenken, über die Demokratiebildung an deutschen Schulen, über die Möglichkeiten und Chancen, aber auch über die derzeitigen vielschichtigen Herausforderungen. ZUM INTERVIEW MIT SANEM KLEFF ---------------------------------------- LESEFASSUNG WIE IST „SCHULE OHNE RASSISMUS – SCHULE MIT COURAGE“ ENTSTANDEN, UND WAS ZEICHNET DIESES NETZWERK AUS? Ich selbst bin im Jahr 2000 zu dieser Arbeit gekommen. Damals erzählte man mir von einer Idee, die aus den Niederlanden und Belgien stammte – ein spannender Ansatz. Die Frage lautete: Wie können wir das nach Deutschland bringen? Passt das zu uns? Aus diesen Überlegungen entstand der erste Impuls – und seit einem Vierteljahrhundert prägt diese Arbeit nun mein Leben. DOSSIERS MIT UNTERRICHTSMATERIALIEN UND PROJEKTEN IM BEREICH DEMOKRATIEBILDUNG BEIM DEUTSCHEN BILDUNGSSERVER * Unterrichtsmaterialien zu Demokratie, Partizipation und Wertevermittlung [https://www.bildungsserver.de/unterrichtsmaterialien-zu-demokratie-12654-de.html] * Rassismus Prävention – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialien [https://www.bildungsserver.de/rassismus-als-thema-im-schulunterricht-12363-de.html] * Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und Projekte zur Prävention von Antisemitismus [https://www.bildungsserver.de/antisemitismus-12365-de.html] * Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und Projekte zur Prävention von Antiziganismus [https://www.bildungsserver.de/antiziganismus-im-unterricht-13153-de.html] * Unterrichtsmaterialien und Methoden zur Prävention von Rechtsextremismus in der Schule [https://www.bildungsserver.de/rechtsextremismus-12362-de.html] Es gibt in Deutschland viele Initiativen und Netzwerke, die sich für Demokratie und Respekt im schulischen Umfeld einsetzen. Eine Besonderheit unseres Netzwerks ist jedoch, dass Schulen, die beitreten möchten, sich freiwillig selbst verpflichten: Sie schauen nicht weg, wenn an ihrer Schule Diskriminierung, Mobbing, Gewalt oder Rassismus auftreten. Das ist der Kern unserer Arbeit. Nach ihrem Beitritt sind die Schulen nicht auf sich allein gestellt. Sie werden Teil eines bundesweiten Netzwerks mit fast 4.700 Schulen und erhalten Unterstützung durch regionale Ansprechpersonen. In jedem Bundesland gibt es eine Landeskoordinierungsstelle, und zusätzlich stehen 120 regionale Beratungs- und Koordinierungsstellen bereit. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Schulen entscheiden selbst, welche Maßnahmen sie ergreifen und wie sie arbeiten wollen. Dabei unterstützen wir sie durch Impulse, Anregungen und Beratung. Unser Ansatz ist kein vorgefertigtes Konzept, das von außen vorgegeben wird. Vielmehr müssen die Schulen selbst aktiv werden – das macht unser Netzwerk so besonders. DAS POTENTIAL DER SCHULEN FÜR DEMOKRATIEBILDUNG WIRD ZU WENIG GENUTZT WIE SIEHT DIE DEMOKRATIEBILDUNG AN DEUTSCHEN SCHULEN AUS? WELCHE POSITIVEN ENTWICKLUNGEN GIBT ES UND WO SEHEN SIE DEFIZITE? Ich bin nicht der Meinung, dass deutsche Schulen grundsätzlich ungeeignet oder unfähig wären, demokratische Werte zu vermitteln. Ich bedaure jedoch, dass das enorme Potenzial von Schulen viel zu wenig genutzt wird. Schule könnte viel effektiver, flächendeckender und vielseitiger Demokratie als Haltung und Kompetenz fördern. Es gibt bereits viele gute Ansätze – aber es könnten noch viel mehr sein.Stempel transparent zur Aktionswoche Deutscher Bildungsserver "Demokratiebildung für gesellschaftlichen ZUsammenarbeit" [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2025/03/Stempel-transparent-deutsch-300x300.png] SCHULEN VERLIEREN DEN KONTAKT NACH AUSSEN Mit unserer Arbeit in den Courage-Schulen möchten wir dazu beitragen, Lehrkräfte zu ermutigen, neue Wege zu gehen, und Schülerinnen und Schüler daran zu erinnern, dass sie die Mehrheit in der Schule sind – sie können etwas bewirken, wenn sie aktiv werden. Ein Problem ist jedoch, dass viele Schulen dazu neigen, sich nach innen zu kehren und den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren. Die vielen Herausforderungen und Belastungen im Schulalltag führen dazu, dass Schulen häufig ihre Rolle in der Gesellschaft aus dem Blick verlieren. Aber gerade dieser Austausch mit der Kommune, mit lokalen Initiativen und Akteurinnen ist wichtig. Wir wollen Schulen motivieren, sich nach außen zu öffnen, ihre Stimme in der Gesellschaft hörbar zu machen woie aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen – sei es durch Stadtteilveranstaltungen, Kooperationen mit lokalen Organisationen oder Projekte mit externen Expertinnen und Experten. POLARISIERUNG MUSS IM UNTERRICHT THEMATISIERT WERDEN WIE SOLLTEN SCHULEN AUF DIE ZUNEHMENDE GESELLSCHAFTLICHE POLARISIERUNG REAGIEREN? WELCHE MASSNAHMEN SIND SINNVOLL – KURZFRISTIG UND LANGFRISTIG? Gesellschaftliche Unterschiede gab es schon immer. Doch in den letzten zehn Jahren, insbesondere durch die Corona-Pandemie, hat sich die Polarisierung noch einmal verstärkt. Viele Themen wurden plötzlich auf einfache Ja-Nein-Fragen reduziert, und die gesellschaftliche Ungleichheit hat weiter zugenommen. Ein erster Schritt dagegen ist, diese Polarisierung anzusprechen, zu problematisieren und zu reflektieren. Schüler*innen, Lehrkräfte und Schulleitungen müssen verstehen, warum Polarisierung gefährlich ist und niemandem nützt – im Gegenteil, sie verhindert ein friedliches Miteinander. Ich wünsche mir deshalb mehr Diskussionen über Ungleichheit, Diskriminierung und gesellschaftliche Spaltungen – sowohl in den Klassenzimmern als auch im Kollegium. DEMOKRATIEBILDUNG ALS DAUERAUFGABE Konkrete Maßnahmen gibt es viele. Schulleitungen können zum Beispiel aktiv nach Wegen suchen, wie sie ihre Schule besser an die Bedürfnisse der Eltern und Schüler*innen anpassen. Dazu gehört etwa die Frage: Welche Sprachen werden in der Schulgemeinschaft gesprochen? Können alle Eltern an Elternabenden teilnehmen? Viele Schulleitungen setzen hier bereits viele gute und sinnvolle Maßnahmen um – und viele Lehrkräfte engagieren sich mit kreativen Ansätzen für ein besseres Miteinander. Auf Ihre Frage nach kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen: Man kann hier sofort handeln. Konflikte lösen sich nicht von selbst – wenn sie ignoriert werden, schwelen sie weiter. Demokratiebildung ist eine Daueraufgabe, die nie aufhören darf. LEHRKRÄFTEMANGEL ALS GRÖSSTES PROBLEM Welche Unterstützung bräuchten Schulen für eine bessere Demokratiebildung? Der größte Mangel an Schulen ist Personal. Es fehlen schlichtweg „Erwachsenen-Minuten pro Kind“ – und das mehr denn je. Der Personalmangel wird derzeit noch durch Quer- und Seiteneinsteiger*innen und externe Fachkräfte überdeckt, die unterstützend tätig sind. Dagegen ist nichts zu sagen, doch sie sollten zusätzlich eingestellt werden und nicht ausgebildete Pädagog*innen ersetzen. Ein weiteres Problem: Die Fächer und Aktivitäten, die für das soziale Miteinander besonders wichtig sind – etwa Sport, Kunst, Musik, Exkursionen, Klassenfahrten oder einfach persönliche Gespräche – fallen als erstes weg, wenn der Lehrkräftemangel zu groß wird. Das ist fatal, denn genau diese Angebote sind essenziell für eine starke demokratische Kultur. Zum Glück gibt es mittlerweile viele zivilgesellschaftliche Organisationen und auch Landeszentralen für politische Bildung, die wertvolle Unterstützung leisten können – durch Workshops, Seminare oder Austauschformate. Wie vermitteln wir Kindern nachhaltig die Werte von Demokratie und Gleichberechtigung? Eine Gesellschaft kann nur die Werte an ihre Kinder weitergeben, zu denen sie selbst mehrheitlich steht. Das bedeutet: Wir Erwachsenen müssen vorleben, was wir vermitteln wollen. Das Beste, was wir für junge Menschen tun können, ist, unsere eigene Haltung zu Demokratie und Menschenrechten zu stärken, uns aktiv gegen Ungleichwertigkeitsdenken, Antisemitismus, Homophobie und Klassismus einzusetzen und eine Gesellschaft zu gestalten, in der demokratische Werte gelebt werden – nicht nur in der Schule, sondern überall. Denn nur dann haben unsere Kinder eine Chance, diese Werte wirklich zu verinnerlichen. (Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.) ---------------------------------------- Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de]. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Caroline Hartmann für Deutscher Bildungsserver. ---------------------------------------- ---------------------------------------- spotifybadge_schwarz [https://blog.bildungsserver.de/wp-content/uploads/2021/09/spotifybadge_schwarz-300x73.png]https://open.spotify.com/show/02u7Ektb1fIjxbdyrZmxal