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Mit seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung hat der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimer eine Debatte angestoßen. Er schreibt: „Der Shitstorm gehört mittlerweile zum festen Inventar radikal-feministischer, postkolonialer, öko-sozialistischer Empörungskultur.“ BETONUNG KULTURELLER FREIHEIT? Der Publizist Ijoma Mangold sieht darin einen Versuch, kulturelle Freiheit zu betonen, ohne diese ideologisch zu vereinnahmen. „Ich glaube, die kommunikativ-strategische Entscheidung des neuen Kulturstaatsministers ist richtig, zu sagen, wir rücken die Freiheit in den Mittelpunkt,“ erklärt Mangold. Zwar bleibe Weimers Position konservativ, doch vermeide er eine einseitige Kulturkampfrhetorik. MEINUNGSFREIHEIT IN ALLE RICHTUNGEN Mangold verweist zudem darauf, dass Weimer „nicht einfach die Gegenposition zum identitätspolitischen Linken-Mainstream einnimmt.“ Stattdessen wolle er für Meinungsfreiheit in alle Richtungen einstehen. Der Kulturkorrespondent warnt jedoch davor, die Kritik an linker Cancel Culture nun kleinzureden, denn, so Mangold: „Jetzt, wo sich gewissermaßen diese Cancel Culture schon in den letzten drei, vier Jahren zu Tode gesiegt hat und es deswegen viel mehr Widerworte gibt, jetzt berufen sich alle darauf, dass das ja gar nicht mehr das Thema sei.“

Wie konnte eine amerikanische Freikirche aus dem 18. Jahrhundert Generationen von Künstlerinnen, Architekten und Designerinnen weltweit inspirieren? Diese Frage beantwortet das Vitra Design Museum in Weil am Rhein in seiner Ausstellung „Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter“. Besonders bekannt wurden die christliche Glaubensgemeinschaft der „Shaker“ aus den USA für ihre in Handarbeit gefertigten Holzstühle, die sich wegen ihrer Funktionalität und schlichten Schönheit gut verkaufen ließen. ZWISCHEN OFFENHEIT UND VERSCHWORENSEIN Bereits die ersten zwei Ausstellungsobjekte erzählen viel über die Mentalität der Shaker: Ein Radiogerät mit einem Gehäuse aus Holz und, etwas weiter, eine vier Meter lange Holzbank. Das Radiogerät symbolisiert die Offenheit der Gläubigen für die Nachrichten, die davon berichten, was auf der Welt so los ist. Die Bank hingegen steht für ihre verschworene Glaubensgemeinschaft. „Die Größe war ausgerichtet auf die großen Gruppen der Mitglieder. In den Shaker-Wohnhäusern lebten bis zu hundert Menschen zusammen“, erklärt Mea Hoffmann, die die Ausstellung kuratiert hat. „Das heißt: Der Kollektivgedanke schwingt in jeglicher Gestaltung mit, für den Eigennutzen.“ FUNKTIONAL UND MIT MATERIALEN AUS „GOTTES SCHÖPFUNG“ An der Kirchenbankden feinen Verstrebungen an der Rückenlehne lässt sich die Hingabe der Handwerker ablesen. Die landwirtschaftlich orientierten Shaker arbeiteten besonders viel mit Holz. Bewusst sollten Materialien aus der Natur verwendet werden, die sie als Gottes Schöpfung ansahen. Ein Leitspruch der Shaker lautete „labour as worship“, Arbeit als Anbetungsform also – das Machen als spiritueller Akt, so die Kuratorin. „Die Objektkultur ist Ausdruck ihrer Werte. Alles, was als Sünde angesehen werden konnte, als eine Zelebrierung des eigenen Egos, wurde abgelegt.“ So stand die Funktionalität im Fokus jedes Objekts. Die Kombination aus Funktionalität und schlichter Schönheit hat den Produkten der Shaker einen Markt erschlossen: Sie verkauften Stühle – vom Kinderstuhl bis zum Rollstuhl aus Holz – in verschiedenen Größen, Kleider, Spanschachteln und Holzkisten für Saatgut. GESELLSCHAFTSUTOPIE ALS DESIGN Genauso spannend wie handgearbeiteten Gegenstände findet Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, die Gedankenwelt dieser christlichen Freikirche: Die Shaker seien eigentlich Utopisten gewesen, die eine Gesellschaft entwarfen, die nicht ihrer Zeit entsprach. Wie ganzheitlich dieser Anspruch war, auch das zeige die Ausstellung: > Die Objekte hier sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung, in der es um Arbeit als Ausdruck des Glauben, um Pazifismus und um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht. Wir sehen hier eine komplette Gesellschaftsutopie, heruntergebrochen auf Design. > > > Quelle: Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums „Shaker“ wurden sie übrigens deshalb genannt, weil sie ihre Körper in religiöser Ekstase beim Tanzen schüttelten. NEU INTERPRETIERT: GEMEINDEHAUS DER US-KÜNSTLERIN AMIE CUNAT Im Obergeschoss des Weiler Vitra Design Museums steht ein maßstabsgetreu nachgebautes, aber neu interpretiertes Gemeindehaus aus blau angestrichenem Holz mit großem Fenster. In solchen Häusern hielten die Shaker ihre Gottesdienste ab. Entworfen hat den Nachbau die US-Künstlerin Amie Cunat. Was an ihrem Kunstwerk auffällt: Sie hat den Holzofen nicht in, sondern vor das Gebäude gestellt. Ein Detail, das sich auch auf die USA der Gegenwart beziehen lässt: Wie offen, wie verschlossen ist das Land? „Ich bin besorgt und auch nervös wegen der Lage in unserem Land. Und das ist auch in der Arbeit gegenwärtig, die ich mache“, so die Künstlerin. Es macht die ohnehin spannende Ausstellung des Vitra Design Museums noch facettenreicher, dass sich die Macher gegen eine rein historische Ausstellung entschieden haben. Neben Amie Cunat treten noch weitere Künstler mit ihren Werken in den Dialog mit den Shakern. So wird deutlich, dass deren Impulse für Kunst und Design weiterleben.

Heute Abend eröffnet die Bundeskunsthalle Bonn die Ausstellung „We Transform – Zur Zukunft des Bauens“. Sie zeigt 80 Projekte, die konkrete Antworten auf Klimarisiken wie Hitze, Flut oder Trockenheit geben. „Das Bauen ist ein riesiger Klimatreiber – wir müssen es neu denken“, sagt Kuratorin Eva Kraus. Gezeigt werden Materialien wie Algen oder Myzelien, smarte Architektur im Ahrtal und vor allem: der Aufbruch zu einem anderen Denken. REGIONALE LÖSUNGEN, GLOBALE IDEEN Ob Hochwasserschutz im Ahrtal oder Baumaterial aus Algen „wir zeigen experimentelle und praktische Ansätze zugleich“, erklärt Kraus. Das Haus Glasner etwa lässt Wasser kontrolliert in den Keller eindringen – ohne das Wohnhaus zu beschädigen. Gleichzeitig entstehen mit Biopolymeren und Pilzstrukturen neue Materialwelten, die Ressourcen schonen und Perspektiven fürs regenerative Bauen schaffen. VERSTÄNDNIS VON RAUM, STADT UND KONSUM Es gehe um mehr als neue Technik – es gehe um ein neues Verständnis von Raum, Stadt und Konsum. „Wir müssen vom Learning ins Doing kommen“, fordert Kraus. Entsiegelung, Bestandserhalt und kollektive Nutzung gehören für sie zu einem tiefgreifenden Kulturwandel. Die Ausstellung will diesen Wandel beschleunigen – gerade, wenn Politik und Wirtschaft andere Prioritäten setzen.

Greta und Valdin teilen eine Menge. Zum Beispiel: einen komplizierten Nachnamen. > Vla« wie »bla«, nur mit V. »Dis« wie in Radieschen. »Sav« wie die Automarke »Saab«, nur mit V. »Ljev« wie Lyev Himmelsritter, die Figur aus Magic: The Gathering. Und »Vic« reimt sich auf Bitch. > > > Quelle: Rebecca K Reilly – Greta & Valdin Die Geschwister Vladisavljević wohnen zusammen in Auckland, Neuseeland. Greta ist Masterstudentin der russischen Literatur. Valdin hat gerade seine akademische Karriere als Astrophysiker an den Nagel gehängt und moderiert jetzt eine Reisesendung im TV. GESCHWISTER MIT LIEBESKUMMER Was die beiden noch verbindet? Liebeskummer. Greta ist unglücklich in ihre Kommilitonin Holly verliebt, die ihr widersprüchliche Signale sendet. Valdin hingegen trauert seiner Beziehung zum älteren Xabi hinterher. Nach dem Liebesaus ist der nach Argentinien ausgewandert – und die Lücke, die er hinterlassen hat, fühlt sich für Valdin unüberwindbar an. > Ich versuche seinen Namen nicht zu denken oder laut auszusprechen, ersetze ihn durch ein ehemaliger Bekannter oder dieser Typ, den ich mal gedatet habe. > > > Quelle: Rebecca K Reilly – Greta & Valdin Rebecca K. Reilly erzählt in ihrem Debütroman „Greta & Valdin“ ein Jahr im Leben der Geschwister. Ein Jahr voller Fragen und zaghafter Neuanfänge. Dabei unterstützt die beiden ihre exzentrische, kulturell vielfältige Großfamilie, die maorische, russische und katalanische Wurzeln mitbringt. Greta und Valdins Perspektive wechselt kapitelweise. Auf der Suche nach Liebe und Selbstbestimmung erleben die beiden queere Krisen, familiäre Zwänge und den Wunsch, dazuzugehören. Reilly schreibt das mit großer Sympathie für ihre Figuren, schnellem Witz und scharfem Blick. Ihre Dialoge sind pointiert, oft komisch und warmherzig. BEZIEHUNGSPROBLEME VERSCHIEDENER GENERATIONEN Eine besondere Qualität ihres Romans ist, dass sie die Herausforderungen verschiedener Generationen im modernen Beziehungsleben mit einem Augenzwinkern einfängt. Etwa, wenn der siebzehnjährige Neffe Tang seine sexuelle Identität entdeckt: > O Gott, Tang, hast du etwa eine queere Krise? Ich dachte, ihr Jugendlichen seid heutzutage alle total chill und pansexuell, und nur alte Millennials wie Ell drehen durch und schneiden sich die Haare ab, wenn sie mit sechsundzwanzig zum ersten Mal eine Brust anfassen. > > > Quelle: Rebecca K Reilly – Greta & Valdin Obwohl Reilly über queere Beziehungen schreibt, stellt sie die Queerness selbst nicht plakativ in den Vordergrund. Ihre Figuren definiert sie nicht über deren Sexualität – sie sind einfach junge Menschen, die auf ganz normale, manchmal verrückte, manchmal schmerzhafte Weise nach Liebe suchen. Die queere Identität ist dabei selbstverständlicher Teil ihres Lebens, aber nie ihr einziges Erkennungsmerkmal. GESELLSCHAFTLICHE THEMEN SIND IN DER HANDLUNG VERANKERT Ähnlich geht Rebecca K. Reilly mit gesellschaftlichen Themen wie Rassismus, Kolonialismus und kultureller Identität der Maori in Neuseeland um. Sie verhandelt die Dinge im Hintergrund, integriert sie in der Lebensrealität der Figuren – ohne erhobenen Zeigefinger. Diese selbstverständliche Verankerung im Alltag, das beiläufige, aber nie verharmlosende Einweben sozialer Konflikte, macht den besonderen Ton ihres Romans aus. Rebecca K. Reilly ist selbst Maorin, und hat unter anderem Kreatives Schreiben, European Studies und Deutsch studiert. Ein charmantes Gimmick für deutschsprachige Leserinnen und Leser ist, dass Reilly ihre eigene Vorliebe für deutsche Literatur in die Geschichte einflicht: Valdin liest etwa „Sommerhaus später" von Judith Hermann [https://www.swr.de/swrkultur/literatur/swr2-lesenswert-magazin-20230723-1705-03-judith-hermann-sommerhaus-spaeter-100.html]. Und Greta? Greta bringt ihre Skepsis gegenüber der deutschen Hauptstadt wunderbar ironisch auf den Punkt: > Du kannst Berlin doch gar nicht leiden. Du sagst immer, da laufen die ganzen nervigen Leute rum, die es in Melbourne zu nichts gebracht haben. > > > Quelle: Rebecca K Reilly – Greta & Valdin „Greta & Valdin“ ist ein lebenskluger und herzenswarmer Roman, voller Witz, voller Fragen, voller echter Gefühle. Und das ist vor allem: extrem unterhaltsam.

FALSCHES BILD DURCH GELEGENHEITSGEDICHTE Krüger ist der Ansicht, dass Mörikes Werk verkannt wird: „Der Kern seiner Gedichte hat mit Biedermeier nichts zu tun“, sagt der 81-Jährige, der 2006 von der Stadt Fellbach mit dem Eduard-Mörike-Preis ausgezeichnet wurde. Das Fehlurteil erklärt er sich mit der Tatsache, dass Mörike viele Gedichte für Freunde geschrieben hat: „Die sind alle so ein bisschen gemütlich.“ Übersehen werde dabei, dass sich Mörike intensiv mit der Schöpfung auseinandersetzte und Sprachspiele schuf, die - so Krüger - an Ernst Jandl erinnern. ERKLÄRUNG FÜR DIE WELTFLUCHT Auch den Verwurf der Kritiker, Mörike habe in seinen Gedichten und Märchen eine Weltflucht betrieben, will Krüger nicht stehen lassen. „Da wird übersehen, dass er doch ein sehr kritischer Theologe war, dass er sehr an seinem Beruf und seinem Glauben gezweifelt hat“, meint Krüger. In Wahrheit habe sich Mörike als Mensch sehr geöffnet, sei aber in entscheidenden Fragen sehr diskret geblieben. TYP MIT GEFÜHL FÜR REIM UND RHYTHMUS Den Vergleich mit den - in Schwaben gern zitierten - Dichter-Helden Schiller, Hegel, Uhland und Hauff, müsse Mörike nicht scheuen, erwidert Krüger auf kritische Fragen. „Wer liest heute noch Uhland?“ Dessen Werke seien zudem längst nicht so gut vertont worden wie die von Mörike und verweist auf die Lieder von Hugo Wolf: „Das ist einfach mit das Schönste an deutschem Lied, was man haben kann.“ Ähnliches gelte für Mörikes Übersetzungen antiker griechischer Autoren: „Der Typ hat den Reim, den Rhythmus gekonnt wie kaum ein anderer.“ EIN GROSSER DER DEUTSCHEN DICHTUNG Für Michael Krüger ist nicht das berühmte „Er ist's“-Gedicht mit den Zeilen „Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte“ das Paradebeispiel für Mörikes Können. Noch viel besser sei „An eine Lampe“, glaubt er: „Das ist eines der perfektesten deutschen Gedichte - geradezu über-perfekt.“ Sein Urteil zu Mörike: „Eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Literatur - gerade, weil er so ein verquollenes Leben geführt hat.“ Michael Krüger wurde 1943 geboren. Er arbeitet als Schriftsteller, Übersetzer und Laudator. Von 1968 an war er fast drei Jahrzehnte lang Lektor, dann Verleger und Geschäftsführer des Hanser Verlags.